Das Licht hinter den Sternen

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Das Licht hinter den Sternen
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Fuchstraum

Das Licht hinter den Sternen

Märchen


Für meine Eltern.

adakia Verlag UG (haftungsbeschränkt), Leipzig

Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek:

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der deutschen Nationalbibliographie; detaillierte Daten sind im Internet über http://www.dnb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechts ohne Zustimmung des Verlags ist unzulässig.

Gesamtherstellung: adakia Verlag, Leipzig

Illustrationen: Krajamine

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH, Rudolstadt

1. Auflage, Mai 2019

ISBN 978-3-941935-58-7

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Herzvogel

Das Weltenkleid

Die hungrige Krone

Waldesruh

Der graue stählerne Beschützer

Dunkelmärchen

Ein Bär

Warmer Fels

Der Traumbus

Wo es glänzt

Der Heimsucher

Der Herzblutbaum

Die Tintengeborenen

Das Geschenk

Der Ladenhüter

Vorwort

Für mich reichen Märchen tiefer als andere Geschichten. Der Märchenton, das »Es war einmal« zieht mich zurück in eine magische Traumzeit, in der man mit angehaltenem Atem drinnen am Feuer saß und geflüsterten Worten lauschte, während draußen der kalte Wind heulte. Durch den Prozess des Schreibens wird dieses Gefühl im Kunstmärchen um eine psychologische Komponente erweitert.

Die hier versammelten Geschichten sind, wie es auch der Titel schon vermuten lässt, ein Anschreiben gegen die Angst vor der Leere, die mich ein Leben lang begleitet hat – eine Leere, die hinter allem irdischen beständig zu lauern scheint. Sie ist es, die draußen heult und mich immer wieder zweifeln lässt.

Also lassen Sie uns eine Kerze entzünden und den Worten folgen! Vielleicht öffnen sie uns eine Tür an einen besseren Ort.


Herzvogel

Es war einmal ein Mann, der fiel in die Liebe wie in einen tiefen Abgrund. Eben noch hatte er festen Boden unter den Füßen gespürt und plötzlich war da nichts mehr, was ihn hielt. Unaufhaltsam stürzte er diesem Gefühl entgegen, unfähig, seinen Fall zu bremsen. Er fiel lange und er fiel tief – und dann schlug er auf und sein Inneres zerbrach in tausend Scherben. Die Liebe aber war so weit entfernt, dass er ihre Wärme nicht einmal mehr erahnen konnte.

Und während er dastand und seine Seele nichts mehr war als ein innerer Abgrund voller Splitter, die er nicht mehr zusammenzusetzen vermochte, da spürte er ein Flattern in sich. Und auf einmal tat sich seine Brust auf und ein kleiner Vogel flog daraus hervor, kaum größer als ein Sperling. Der Vogel war grau und seltsam blass, doch der Mann sah ihn nur kurz, ehe er davonflog und in die Wolken entschwand.

Der Mann aber blieb zurück mit einem Loch in der Brust, voller Splitter und Nichts, doch er starb nicht. Trotz der Leere in sich lebte er - und er ging nach Hause und schlief. Als er erwachte, war das Loch noch immer da, aber kein Schmerz – nur die Leere. Der Mann setzte sich an den Tisch, um zu essen, aber alle Speisen waren Staub in seinem Mund. Er ging aus dem Haus und versuchte zu arbeiten, doch seine Hände hatten ihr Gefühl verloren. Er ging in den Tempel, um zu beten, aber seine Ohren waren taub geworden für die Stimmen der Götter.

Also wanderte er ziellos durch die Straßen, bis es Abend wurde. Wind kam auf und wehte kalt in ihn hinein. Und als es in seinem Inneren immer kälter und kälter wurde, machte er sich auf den Weg zurück nach Hause.

Lang war dieser Weg und dunkel, denn er war weit gelaufen. Schatten lagen in den Gassen und Häuserecken wie dicke schwarze Katzen, trunken von Mondmilch.

Der leere Mann schritt dahin und auch die Welt schien sich leer gemacht zu haben. Doch dann gewahrte er auf seinem Weg eine Gestalt. Je näher er kam, desto größer wurde sie, bis sie schließlich hoch vor ihm aufragte. Es war ein großer Mann, fast ein Riese, mit wildem Bart und funkelnden Kohleaugen. Er war ganz in Schwarz gekleidet und an seinen riesigen Händen trug er glänzend silberne Ringe.

Früher hätte der leere Mann Angst gehabt, doch jetzt schaute er sein Gegenüber nur sehnsüchtig an, denn dieser war nicht leer – das sah er deutlich. Er war voller Kraft und Schatten und wilder Wut, sodass es ihn umschwebte wie ein schwerer Geruch. Und dann hörte der leere Mann das Rauschen von Schwingen, als sich etwas in dem großen Mann regte.

Voller Sehnsucht sprach er den Riesen an: »Was ist es, was dort in dir rauscht?«

Der Riese lachte schallend, als hätte er etwas Lustiges gehört. »Das sind die Schwingen meines Herzvogels.«

Der leere Mann fühlte sich jetzt noch leerer und sein Kopf lastete schwer auf seinen Schultern. »Wie machst du, dass er nicht wegfliegt?«

Der Riese hörte auf zu lachen und wurde ernst, ja fast andächtig. »In mir ist ein Rabe. Er liebt die Schatten und den Tod und das glänzende Silber. Also habe ich ihm daraus ein Nest gebaut. Da, sieh selbst.«

Und der Riese schob sein Hemd zur Seite und zeigte dem leeren Mann sein Inneres. Da saß ein Rabe auf einem silbernen Schädel und um ihn herum flossen Schatten. Der Rabe war groß und zerzaust und sein Blick war so wild wie der des Riesen, denn sie waren eins.

Der leere Mann dankte dem Riesen und ging weiter. In einer Gasse hielt er an, um nach Schatten und Gebein zu suchen und damit die Leere zu füllen, doch der Schatten entglitt seinen tauben Fingern, und alles, was er finden konnte, war ein abgenagtes Hühnerbein. Traurig setzte er seinen Weg nach Hause fort.

Als er eine Weile gegangen war, kam er an eine Brücke. Da stand eine Frau und schaute nach unten ins Wasser. Sie war wunderschön und sah so glücklich aus, dass der Mann beschloss, auch sie nach ihrem Herzvogel zu fragen. Doch die Frau war so vertieft in ihr Spiegelbild im Mondscheinwasser, dass sie ihn erst bemerkte, als er sie an der Schulter berührte. Sie sah ihn nur kurz an, dann schaute sie wieder auf ihr Spiegelbild.

»Was begehrst du?«, fragte sie abwesend flüsternd.

»Sag mir, wohnt auch in dir ein Herzvogel?«

Die Frau nickte leicht. »Bitte sag mir, wie du ihn in dir hältst!«

Die Frau brauchte eine Weile, um sich erneut von ihrem Spiegelbild zu lösen. »In mir wohnt ein Paradiesvogel. Ich habe mein Inneres mit Spiegeln geschmückt und mit glänzenden Steinen.«

Und sie löste die Bänder ihres Kleides und entblößte Elfenbeinhaut und eine wohlgeformte Brust. Dann zeigte sie ihm ihr Inneres und er sah einen schillernden Vogel, der auf einem Haufen von Edelsteinen saß und sich in Spiegelscherben betrachtete. Und als der Paradiesvogel seinen Kopf abwesend hin und her drehte und sich in seiner eigenen Schönheit verlor, da sah der leere Mann, dass die beiden eins waren.

Er dankte ihr und ging weiter seines Weges. Seine Augen suchten die Schatten und Gassen ab, aber er konnte keine Spiegelscherben finden, ja nicht einmal Glasmurmeln, die spielende Kinder verloren hatten.

Er wanderte weiter und weiter und die Leere in seinem Inneren zog ihn zu Boden, doch da sah er sein Haus in der Ferne. Als er es fast erreicht hatte, erblickte er in einem anderen Hauseingang einen alten fahlen Mann sitzen, der schlief.

Die Kleider des Mannes waren zerrissen und waren starr von Schmutz. In seiner Hand war eine Flasche, in der ein langsamer Tod lauerte. Doch auf seinen faltig schmutzigen Zügen las der leere Mann Ruhe und Frieden.

Zögerlich, aber unfähig davon abzulassen, fasste er den Alten bei den Schultern und schüttelte ihn sacht. Der Fremde schlug die Augen auf und blickte ihn aus vergilbtem Weiß an.

»Was störst du meinen Schlaf?«, fragte er.

 

»Sag«, flüsterte der leere Mann, »hast du einen Herzvogel?«

Der Alte lächelte zahnlos und zwinkerte gelb. »Natürlich. Jeder Mensch hat einen Herzvogel, wenn auch nur wenige verstehen, ihn zu halten. Aber sie täten gut daran, denn nur wer einen Herzvogel hat, kann wahrhaft lieben. In mir wohnt ein Geier, der wälzt sich in Aas und Gestank, aber das ist nun einmal seine Natur.«

Und er öffnete seinen alten Mantel und zeigte dem leeren Mann sein Inneres. Da saß ein fahler Geier mit einem einzigen Auge und funkelte den Zuschauer an. Ihn umfing der Geruch von Kadavern und von seinem Schnabel troff zähes Gift, doch er war glücklich, so wie auch der alte Mann glücklich war, denn sie waren eins.

»Wenn jeder Mensch einen Herzvogel hat, warum habe ich dann keinen?«, fragte der leere Mann kläglich.

Der Alte lächelte wieder. »Du musst ihm ein Nest in dir bauen.«

»Aber ich habe nichts«, sagte der leere Mann. »Ich habe kein Silber und keinen Schatten, keine Spiegel und keine Edelsteine, keinen Tod und kein Gift.«

Voller Güte blickte der Alte ihn an. »Fülle dich mit dem, was deine Seele nährt. Nicht mit der Nahrung anderer Seelen.«

Da wollte der leere Mann verzweifeln und er stürzte wie in wilder Flucht in sein Haus, warf die Tür hinter sich zu, setzte sich an den Tisch und starrte in die Nacht.

Wie sollte er sich selbst füllen, wenn es in ihm nur Scherben und Leere gab? Schließlich wurde sein Kopf vor Kummer so schwer, dass er auf den Tisch sank. Und plötzlich war da etwas, wie eine sanfte beruhigende Berührung an seiner Stirn. Er stemmte sich in die Höhe und sah ein aufgeschlagenes Buch auf dem Tisch liegen. Behutsam, fast ehrfürchtig strich er über die Seiten und es war, als berührten sie auch ihn.

Da griff er zu, riss eine Seite aus dem Buch und stopfte sie in sein Inneres, und auf einmal war er nicht mehr vollkommen leer.

Da keimte in ihm ein neues Wissen auf und er riss Seite um Seite aus dem Buch. Dann nahm er ein anderes zur Hand und zerriss auch dieses und dann ein neues, bis er all seine Geschichten Seite um Seite in sich trug.

Dann ging er zum Fenster, griff in die Nacht und füllte sich mit Mondschein und zuletzt nahm er kleine grüne Zweige, die der Wind auf sein Fensterbrett geweht hatte, und bettete auch sie in sein Inneres.

Die Scherben in ihm waren nun bedeckt von Geschichten, Mondlicht und Waldgrün und es war ein wunderschönes Nest geworden – sein eigenes Seelennest.

Auf einmal hörte der leere Mann ein Flattern. Er sah einen kleinen grauen Schatten, und dann war er nicht mehr leer. Der Abgrund konnte ihn nicht mehr schrecken. Und weil er jetzt wieder weinen konnte, weinte er, aber er weinte vor Freude.

Nachdem er sich ausgeweint hatte, stand er auf, um die Liebe zu suchen, denn er wusste, dass er niemals wieder fallen würde. Denn auch in ihm wohnte nun wieder ein Herzvogel und sie waren endlich eins.


Das Weltenkleid

Es waren einmal eine Luchsin und ein Fuchs, die saßen auf einer Wiese und sprachen miteinander im Schatten einer alten Eiche. Je mehr sie redeten, desto mehr lösten sie die Fäden, die die Welt zusammenhalten. Behutsam, Faden um Faden öffneten sie einen Türspalt, durch den sie die Ewigkeit anwehte. Pfote in Pfote schnupperten sie neugierig in das Dahintersternenlicht, das alle Dinge erfüllt und selbst in einem Staubkorn Universen erschafft.

Sie blickten voller Staunen auf den Tanz der Sterne und wussten, dass alles um sie herum im tiefsten Grunde gut und richtig war. Und als sie genug vom Duft der Ewigkeit geatmet hatten, legten sie sich nieder – Seit an Seit. Die Luchsin bettete ihren Kopf an die Schulter des Fuchses und der Fuchs legte seine kleine schwarze Nase hinter ihr Ohr, dort, wo sie ganz sie selbst war.

»Ich will dir eine Geschichte vom Sternenlicht erzählen«, sagte er. »Möchtest du sie hören?«

Die Luchsin blickte ihn aus durchdringenden blauen Augen an und seine Seele verstand. Also begann er zu erzählen.

Es war einmal in einer der vielen anderen Welten ein armer Schreiber, der musste bei Gericht den ganzen Tag die Sünden der Menschen in ein großes ledernes Buch schreiben. Das Buch war schwer und dick, schwarz und endlos wie das All und die Sünden waren so viele. Eine war schlimmer als die andere, doch auch die Strafen für sie waren grausam, so grausam, dass sie die Richter selbst zu Sündern machten.

Als die Jahre vergingen, wurde der Schreiber darüber ganz bitter und schließlich sagte er zu sich selbst: »Was ist die Welt doch für ein toter, kalter Ort. Ich gehe mir eigene Welten finden.«

Von diesem Tage an zog er sich tief in sich selbst zurück und mied die Menschen, wo er es nur konnte. Er verkaufte sein Haus und zog in einen alten Turm weit vor der Stadt. Dort setzte er sich in die oberste Kammer, zog die Hänge fest vor das Fenster, entzündete eine einzelne Kerze und begann, in ein neues Buch zu schreiben.

Dieses Buch war klein und leicht und er füllte es Seite um Seite mit besseren Welten. Stolze Götter lebten dort und tapfere Helden, weise Herrscher und unschuldige Kinder, sprechende Tiere und auch die Liebe leuchtete in seinem Reich der Zeilen.

So lebte er tagein, tagaus. Sekunden fraßen sich zu dicken faulen Minuten heran, verpuppten sich zu Stunden, schlüpften als Tage und flogen als Jahre davon in die weite Ferne, wo die vergangene Zeit zu Hause ist.

Der Schreiber schlief und schrieb und schrieb und schlief. Seine Welten waren in ihm und er lebte glücklich in ihrer Mitte. Erstes Grau schlich sich in seinen Bart wie Raureif auf das herbstliche Feld vor seinem Fenster, doch er blickte niemals nach draußen. Für ihn gab es nur seine Innerwelten, und das Licht der flackernden Kerze war seine Sonne.

Eines Nachts lag der Schreiber in seinem Bett und schlief, als der Vorhang vor seinem Fenster durch die nächtliche Brise in Bewegung geriet und zu flattern begann, wie die Schwingen eines samtenen Raben. Durch den flatternden Vorhang fiel ein Lichtschein auf das Haupt des Schlafenden. Der Schein war so hell, dass der Schläfer erwachte und sich verwundert die Augen rieb.

Das alte Stundenglas in der Ecke der Kammer verriet, dass es Nacht war, und plötzlich spürte der Schreiber etwas, das er längst verloren geglaubt hatte: Neugier.

Er stemmte sich in die Höhe und schob den Vorhang beiseite. Sein Blick fiel auf das Feld nah am Waldesrand. Dort gewahrte er die zarte Gestalt einer jungen Frau, die dort allein tanzte. Schön war sie und fremd zugleich – und doch war da etwas seltsam Vertrautes, so als würde er sie von irgendwoher kennen.

Sie bewegte sich zu einer Musik, die nur sie selbst hörte, denn kein Geräusch war zu vernehmen. Anmutig hob und senkte sie die Arme und setzte die Füße mit Bedacht in verschlungene Pfade. Die Hände öffneten und schlossen sich und ihr langes Haar loderte in den Himmel wie güldenes Feuer.

Und wie Feuer strahlte das weckende Licht von ihr aus, denn während sie tanzte, verwob sie das Licht der Sterne und des Mondes zu einem Kleid aus Nachtglanz und strahlendem Schatten, das ihren nackten Leib umfloss. Immer heller und heller leuchtete dieses Kleid, als mehr und mehr Sterne der Tänzerin ihr Licht schenkten wie einen zärtlichen Liebespfand. Schließlich war es so hell, dass der Schreiber die Augen schließen musste. Doch sofort wollte er sie wieder öffnen, denn in ihm brannte ein Erkennen und er musste sie unbedingt wiedersehen, auch wenn er dabei das Augenlicht verlieren würde. Und so öffnete er wieder die Augen.

In helles Sternenlicht und glänzende Schatten gehüllt, stand die Tänzerin still auf dem Feld und zeichnete mit den Fingern Bilder und Formen in die Luft – und wo ihre Finger verweilten, da floss das Licht in die Welt um sie und erfüllte die Dinge mit Leben.

Unter Steinen reckten sich Trolle aus ewigem Schlummer. Zwischen Blumenknospen tanzten Elfen und die Bäume am Waldesrand lächelten sanft und gütig. Tiere umringten sie und sprachen mit ihr, ja sogar die Erde unter ihren Füßen vibrierte, als hole sie tief Atem.

Das Sternenlicht des Kleides und die zarten Hände der Tänzerin weckten die Welt aus ihrem Schlaf und offenbarten so ihr wahres Antlitz. Und dem Schreiber drohte das Herz zu zerspringen, denn diese Welt war so schön – schöner als alles, was er je durch sein inneres Auge erblickt hatte. Die Frau aber spendete nicht nur Sternenlichtleben, sie war mitten unter den Wesen, die sie geweckt hatte, und gemeinsam fingen sie wieder an zu tanzen und sie tanzten so lange, bis die Sterne am Himmel langsam verblassten und mit ihnen auch das Kleid aus Sternenlicht langsam anfing zu vergehen. Mit dem Licht floss auch die Magie aus den Dingen und die Natur fiel wieder in ihren ewigen Schlummer.

Am Ende stand die Tänzerin allein, nackt und wunderschön in der fahlen Dunkelheit und mit den letzten Sternen am Himmel ging auch sie und verschwand im Dickicht des Waldes.

Der Schreiber aber blickte ihr voller Sehnsucht nach. Er stand noch lange am Fenster und ihre Aura flackerte vor seinen Augen. Als auch dieses Licht verblasst war, setzte er sich nieder, nahm sein Buch und schrieb – und diesmal ließ er das Fenster weit geöffnet.

Er schrieb bis in den Morgentau und noch weiter, bis die Sonne schon hoch am Himmel stand. Das, was er schrieb, war nicht mehr nur seinem Inneren entstiegen. Die Spur seiner Feder leuchtete in Sternenlicht und Herzlicht und zum ersten Mal lächelten ihm aus den Seiten echte Seelen zu, denn er schrieb die Welt so, wie sie ihm die Tänzerin gezeigt hatte. Er schrieb, bis die Feder seinen kraftlosen Händen entglitt und er in einen tiefen traumlosen Schlaf fiel.

Am nächsten Tag setzte er sich erneut nieder, um zu schreiben, doch er fühlte sich zum ersten Mal, seit er denken konnte, einsam. Lange erforschte er dieses Gefühl in seinem Inneren, doch der Sog wurde immer stärker. Also verließ er die Turmkammer und stieg die Treppe des Turms herab. Seine Füße hinterließen Spuren in den dicken Staubschichten, die auf den Stufen lagen.

Er ließ den Turm hinter sich wie ein Verdurstender auf der Suche nach Wasser und seine Füße trugen ihn wie von selbst zum Waldrand hin. Dort herrschte tiefer Schatten und ein wenig graute ihm vor dieser Dunkelheit. Doch da war eine Wärme in ihm und er fand Mut darin. Beherzt trat er zwischen die Baumriesen hin und strebte tiefer in den Wald.

Im zwielichtigen Dickicht konnte er kaum die Hand vor Augen sehen, aber er tastete sich weiter und auf einmal war es ihm, als leiteten ihn die Zweige der Bäume sanft auf den richtigen Pfad. Selbst die leichte Brise, die zwischen den Bäumen wehte, schien ihn anzutreiben und irgendwann erreichte er eine kleine Hütte.

Leise klopfte er an die Tür und laut klopfte sein Herz. Doch niemand antwortete ihm. Er klopfte erneut, doch wieder fand er kein Gehör. Als ihm auch Minuten später niemand auftat, griff er nach der Klinke und drückte sie herab. Die Tür war nicht verschlossen und er trat ins Innere der Hütte. Und dort auf einem Lager aus Moos und Stroh lag die Sternenfrau unter einem dünnen Laken – und sie war noch schöner, als er es für möglich gehalten hatte.

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