Der Teufelstritt

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Der Teufelstritt
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Fritz Fenzl


Magische Geschichten und Rundgaänge

zu Sagenortan in München


Impressum

Vollständige eBook-Ausgabe der im Stiebner Verlag erschienenen Printausgabe (4. Neuauflage 2013; ISBN 978-3-8307-1059-2).

Weitere Information zum Thema auf den Webseiten des Autors:

www.magische-kraftorte.de

www.magisches-muenchen.de

Umschlaggestaltung: Pierre Sick

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2013 Stiebner Verlag GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Wiedergabe, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlags.

ISBN 978-3-8307-3002-6

www.stiebner.com

Inhalt

Vorwort

Erst einmal die Kette durchbeißen!

Die eiserne Kette um München herum

Von Geistern, Gespenstern und spukhaften Erscheinungen

Der Schlafhaubenkramer

Das Fausttürmlein und der Raubritter

Das Fausttürmlein, das rote Licht und der Spuk der unschuldig Hingerichteten

Die Isar-Nixe war ein hochmütiges Fräulein von der Burg Grünwald!

Das versunkene Dorf bei Riem oder: Nicht nur Flughäfen verschwinden! (Auch Omnibusse in unseren Tagen)

Wenn der Teufel selbst mit im Spiel ist

Die drei Raben oder: Wie der Teufel sich die Seele eines Münchner Advokaten holte!

Der Teufel, der Blitz und der Petersturm

In der Residenz geht etwas Schwarzes um!

Der verborgene Schatz in der Michaelskirche existiert im Kopf als geistiges Gut

Die Teufelsgrube bei Holzkirchen

Ein schreckliches Fisch-Ungeheuer, das im Walchensee ruht, bedroht die Landeshauptstadt München!

Von sagenhafter Frömmigkeit

Das Bild mit den gesenkten Händen

Die Toten streiten für einen Frommen

Die Braut, die Monstranz der Asamkirche und der Tod

Die stille Beterin an der Mariensäule

Die Gründung der Dreifaltigkeitskirche und die »fromme Seherin«

Historische Sagen

Der Mönch im Wappen oder: Wie der Name »München« entstand

Unser König Ludwig II. spukt immer noch im Nymphenburger Schloss umher!

Münchner Originale, Viecher und Ur-Viecher

Diez von Schaumburg

Das Wurmeck

Die diebische Dohle

Der Türmer und der Komet

Herzog Christophs Stein in der Residenz

Von Häusern und Gebäuden

Die Hundskugel

Der Schöne Turm

Der Schöne Turm, der Goldschmied und die diebische Dohle

Der Spuk am Isartor

Die Bronzelöwen an der Residenz

Der Jungfernturm

Der Geisterstundenschlag von der Ramersdorfer Kirchturmuhr

Der dreigesichtige Götze am Neuhauser Tor

Aus den Stadtteilen

Der ewige Jude in Haidhausen

Pestsagen aus Giesing

Der fromme Wandermönch Winthir kommt nach Neuhausen

Sagenhaftes aus Pasing: Von der Spiegelwiese und den schwebenden Hexen

Gespensterwege von Pasing nach München

Von Bräuchen, Sitten, Meinungen, Urteilen und Vorurteilen

Die Tauben im Rathausturm

Der Schäfflertanz

Das Bäckerschnellen oder: Wie es einem im Mittelalter »nass ’neigeh’« konnte

Das Aha-Bergerl in Nymphenburg: der Berg der Weisheit!

Sagen um die Frauenkirche

Der Teufelstritt

Der Wind um die Frauenkirche

Der Balken in der Frauenkirche

Die Sage von der Gründung des Münchner Domes

Wie aus einem tiefen Brunnen

Der Spiegelbrunnen

Das Hungerbrünndl am Dom

Bittere Tränen in der Magdalenenklause haben die Augen geöffnet

Magische Orte im Umkreis der Stadt

Das Schlossgespenst bei Erding

Irrlichter im Erdinger Moos

Das versunkene Schloss bei Trudering

Das Gnadenbild von Maria Eich

Maria in der grünen Senke

Die Pippinger Glocke

Die betenden Schwestern von Leutstetten

Die Birg bei Höhenschäftlarn oder: »Das Birgweibl«

Die weinende Madonna von Bernried

Das »Münchner Bier« von Andechs, der Schatz und das Mäuschen

 

Sage ist: Wissen um Magie

Fürstengruft in der Michaelskirche: Ein fehlender König Ludwig II. – und ein gewaltiger Raum-Zeit-Tunnel!

Onuphrius, der Riese vom Marienplatz, den keiner sieht, weil er so sichtbar ist!

Die Reismühle und die Geburt Karls des Großen

Statt jemandem einen Bären aufzubinden, hat Korbinian dem armen Bären die Last aufgebunden!

Die lange Agnes

Das Schnarchermandl in den Isarhöhlen

Die Insel Wörth im Wörthsee

Hexenprobe in Stockdorf!

Drei sagenhafte Rundgänge durch München – und die Kultführung durchs Mühltal

Erster Sagen-Rundweg: Marienplatz – Frauenkirche – Residenz

Zweiter Sagen-Rundweg: Marienplatz – Alter Peter – Schöner Turm – Neuhauser Tor – Dreifaltigkeitskirche

Dritter Sagen-Rundweg: Marienplatz – Asamkirche – Michaelskirche – Spuk am Isartor

Die Mühltalführung

Literaturverzeichnis

Vorwort zur 4. Auflage

Münchner Stadt-Sagen? Sie denken gleich an den Teufelstritt, das Wurmeck am Rathaus, den Riesen Onuphrius, die Blitzeinschläge am Alten Peter …

Irgendwie haben Sie alles schon einmal gehört. Jetzt aber wissen Sie: Erst das Hingehen und Da-Sein am Ort der Sage erschließt die verborgenen Wirklichkeiten.

Der vorliegende Band, nunmehr die vierte Ausgabe des neuauflagenstarken Klassikers »Münchner Stadtsagen«, will erzählend »hinführen«. Tauchen Sie ein, nicht nur in Folklore, Legende und Historie; sondern in eine faszinierende, seelengreifende »Welt hinter der Welt«. Entdecken Sie den »Sitz im Leben«, denn die Sagen-Geschichten, das sind …, eben: Das sind Sie selbst!

Es werden im vorliegenden Buch bewusst jene Sagen gewählt, die heute noch ergehbar sind, an die ein historisches »Beweisstück« erinnert. Wie etwa der drohende Lindwurm am Rathaus, der die Stadt München betretende Riese; oder jener geheimnistragende, in die Fußgängerzone gemauerte Grundriss des Schönen Turms, der eine Zeitenschleuse mitten in München markiert.

Die Sage komprimiert Wirklichkeit, sie bringt auf den Punkt. Die Erlebnis-Kausalität von Natur-, Götter-, Helden-Sagen, besonders der historischen Stadtsagen sind genau das, was andere den »Gral« nennen.

Sie verstehen bald, wenn Sie die Orte erfahren und erfühlen, jene sich aus dem Halbdunkel der Historie erschließende höhere Notwendigkeit, ja Determination der Agierenden, die auf der Jahrtausende alten Bühne des wuchtigen Weltentheaters so agieren, wie das Leben es will. Und wie es das Leben selbst dem Überlebens-Willigen zwingend vorschreibt.

In dieser sonst selten noch sagbaren, durchaus sozio-darwinistischen Archaik, die so mancher heutigen »Political Correctness« widerspricht, dort wo es nicht nur Gut gibt und Böse, sondern das Leben eben, – da liegt das Geheimnis, das Mysterium des Lebens selbst.

Sagen bewahren uraltes Einweihungswissen, sie entschlüsseln das Unterbewusst-Sein der gesamten Menschheit. Letztlich ist ein »hinführendes« Sagenbuch wie dieses ein »Überlebenstrainer« für das, was kommt.

Eine sagenhafte Zukunft!

Der Autor, im Frühjahr 2013


Wer Freude und neue Weltensicht aus diesem Buch gewonnen hat und seine Erlebnis-Touren bayernweit ausdehnen will, dem sei der dem Erfolg des »Teufels tritt« entsprungene Band »SAGEN UND MYTHEN AUS BAYERN« (Stiebner-Verlag, München 2009, ISBN 978-3-8307-1048-6) ans Herz gelegt.

Erst einmal die Kette durchbeißen!

Die eiserne Kette um München herum

Wie einem bald auffallen wird, führt dieses Buch gerne zu diesem und jenem magischen Ort, der an die Sage erinnert, es geleitet zu irgendeinem Bauwerk, einem Brunnen…, vor dem man dann stehen kann, sich gescheit mit dem Finger an die Stirn tippt und zu den lieben Begleitern sagt: »Soso. Aha. Ja da schau her.« Sodann hat man seine gebildete Pflicht und Schuldigkeit getan, darf das Buch zuklappen und sich ins nächste Wirtshaus begeben.

Erstmal aber haben wir es mit einer zauberwirksamen Kette zu tun, die um das »ursprüngliche München« herum gespannt ist.

Oder, sagenhaft schwer, davor liegt.

»Ja was denn«, wird so mancher ausrufen, »…diese Kette gibt es einfach nicht!«

So ist es auch. Man kann so lange außen um die Stadt herumlaufen, wie man will. Man findet einen »Innen oder Altstadt«-, einen »Mittleren« und gar einen »Äußeren« Ring, ein jeder von diesen stinkt mehr als der andere, aber eine Kette kann man lange suchen.

Es gibt sie aber. In der Sage und im Herzen! Wollen wir sehen:

Zunächst erzählt uns die Sage, dass in früheren Zeiten die Kinder und überhaupt die Leichtgläubigen »von draußen«, vom Lande also oder von anderswoher, wenn sie nach München herein haben wollen, gesagt bekamen:

»Nach München? Da darfst du aber sauber zur heiligen Apollonia beten.«

Der Angesprochene hat dies dann recht gut verstanden. Denn in Zeiten (das ist noch gar nicht so lange her), in denen ein ordentlicher Mensch genau gewusst hat, wo jeder Heilige hingehört, wie er zu Tode gefoltert worden ist und für welches Wehwehchen er also zu helfen vermag, da war bei dem Namen Apollonia ganz klar: Zähne!


Wer nach München herein will, der muß erst die schwere eiserne Kette durchbeissen: Das heißt, er muss lernen, die Stadt mit dem Herzen zu sehen!; 17

Und so war’s auch gemeint, denn man hat den Kindern gesagt, sie müssten »eine Kette durchbeißen«, wenn sie denn nach München herein wollten. Da haben die nicht wenig Angst gehabt vor der großen, fremden Stadt. Meiner Oma selbst ist es noch so ergangen, die hat bei den Bauern gewohnt und ist lange schon tot.

»Die Kette«, das ist natürlich ein aussagekräftiges Symbol, wie sich das für eine g’scheite Sage so gehört. Denn von einem ordentlichen Kerl, der nach München herein wollte, hat man schon erwarten dürfen, dass er Manns genug ist, den Kraftakt zu tun. Er hat sich »durch etwas durchbeißen müssen«, sich die Stadt sozusagen erst mal verdienen, erarbeiten und, vor allem: mit dem Herzen erschließen müssen*.

Wenn man sich nun einmal mit dem Finger ans Herz tippt, dann findet man vielleicht die Kette!

Wenn nicht, dann muss man halt noch eine Zeitlang danach suchen, dann ist einer »im Herzen« noch kein rechter Münchner, wenn er auch noch so angestrengt so tut.

Es ist erstaunlich, was Max Rohrer in einem Buch vom Jahre 1949 schreibt, also kurz nach Kriegsende, als es noch recht lange hin war zur Olympiade, der U-Bahn, dem Großflughafen, der »Szene München« und all dem modischen Schnickschnack, der uns mit »Münchnern« segnet, die von der Kette nichts wissen und selbst wie eine Kette aus Kletten das Stadtbild verkitten:

»Aber wann sie in den Straßen und den Ausstellungen und den ›Bräus‹, wie sie sagen, eine Weil umeinander spekulieren, oder gar wann sie sich in der Stadt heimisch einnisten wollen, da merken dann die mehreren doch, dass zwischen ihnen und dem wirklichen München eine eiserne Kette ist, die durchbissen sein will. Das sind aber die Bessern und Gescheitern unter den Zugereisten; die ganz Siebengescheiten meinen nämlich, dass sie mitten darinnen sind, und spannen durchaus nichts von einer Kette.«**

Übrigens ist es eine magische Kette, die München umgibt: Ein zauberwirksamer Kreis, dem keiner sich entziehen kann …

*Ganz schön viel Menschen, die aus einer Notlage heraus in der Stadt ihr Glück gesucht haben, die mussten sich tatsächlich sauber durchbeißen! Das ist heute nicht anders.

**Max Rohrer, Alt-Münchner Geschichten, München 1949, S. 8.

Von Geistern, Gespenstern und spukhaften Erscheinungen

Der Schlafhaubenkramer

Wer den Liebfrauendom, das Wahrzeichen unserer Stadt München, besucht, der möge nicht nur den Teufelstritt unter der Orgelempore besichtigen und die grimmigen Winde des Teufels um die Ecken pfeifen hören, sondern auch daran denken, dass hier vor Zeiten ein Friedhof bestand, der »Frauenfreithof«, so wie er in alten Büchern genannt wird.

Darüber nun gibt es eine der lebendigsten und schaurigsten Sagen, die unsere Stadt zu bieten hat. Das ist die Sage vom »Schlafhaubenkramer«.

»Vor hundert und etlichen Jahren…«, wie wundersam doch altehrwürdige Überlieferungen sich auszudrücken vermögen! Also, sagen wir: Es war einmal, damals, als der alte Frauenfreithof noch bestand.

Dieser Ort galt damals als ganz und gar nicht geheuer, und jedermann mied die Stätte des Grauens. Die Stelle war so sehr verschrien, dass die schauerlichsten Spukgeschichten darüber in der Stadt herumerzählt wurden.

Eine davon ist die, dass ein Geist mit einer weißen Schlafhaube (so etwas trug man damals, wenn man zu Bette ging) den Friedhof beherrscht und unsicher gemacht haben soll:

Man muss wissen, in der Weinstraße, gegenüber dem alten Polizeigebäude, gab es damals einen Kramladen. Der Krämer, dem dieses Geschäft gehörte, der war in etwa das, was man heute einen »Gschaftlhuber« nennen würde. Immer und überall, wenn es g’schaftig etwas auszutragen galt, dann musste dieser Mensch mit der eingebauten inneren Unruhe mit dabei sein.

Der Krämer war, sobald er in seinem Geschäft stand, ein tüchtiger, geflissentlicher Kaufmann, nicht weniger tüchtig und pünktlich aber eilte er nach Ladenschluss zu seinen Trinkspezln, mit denen zusammen er beim Wirt tüchtig dem Biere zusprach. Und was dabei herauskommt, das weiß man ja.


Als der Kramer dann endlich das Gespenst auf dem gottverlassenen Friedhof erblickte, da rannte er um sein Leben.

Bald wurde die Runde immer lustiger und ausgelassener, man darf ruhig sagen: blöder im Denken, und bald, wenn der Geist vernebelt ist, sieht man Gespenster und redet von ebensolchen.

»Ich sage euch: Das Gespenst mit der weißen Schlafhaube soll wieder auf dem Friedhof umtriebig geworden sein…!« so sprach einer.

Den anderen gruselte, ihnen gefror das Lachen am Bierglas, denn der »Freithof« war ja nicht weit weg, und Gespenster gab es zu der Zeit tatsächlich.

(Es gibt sie, übrigens, auch heute noch, nur wird nicht mehr so viel davon geredet, denn wir sind ja, ach, so gescheit geworden in unserer sogenannten »aufgeklärten Neuzeit«.)

Nun denn. Den Trinkkumpanen schauderte, der Kramer von der Weinstraße aber, der riss sein Maul noch weiter auf, als man es eh schon von ihm gewohnt sein durfte. Um diese Zeit halt! Die Zeiger der Uhr standen kurz vor Mitternacht.

»So ein Geist käme mir gerade recht«, höhnte er, »der soll nur hergehen. Ich werde es ihm schon zeigen.«

 

»Geh doch du zu ihm!« so ein anderer.

»Ich geh schon«, prahlte der Kramer. Und damit stand er im Wort.

Er nahm Hut, Stock und Laterne und eilte zum Friedhof, der in unheildrohender Dunkelheit lag. Nicht einmal der Mond schien, und das Friedhofstor knarzte gotterbärmlich.

Er schritt über den Kies, stolperte über Gräber, stieß sich an einem Stein und verfluchte seine Angeberei und die Lage, in die er sich gebracht hatte.

Da! Etwas Weißes!

Das Gespenst. Ein hagerer weißer Kerl, der ihn anstarrte. Der Kramer lief hin und schlug dem untoten Wesen mitten ins Gesicht. Die Schlafhaube kullerte zu Boden.

Das hätte er nicht tun sollen! Jetzt hieß es Reißaus nehmen. Er vorneweg, der Geist hinterher. Der Vordere rannte jetzt um sein Leben. Doch sein Verfolger blieb ihm auf den Fersen, durch Straßen und Gässchen und Tore, treppauf, treppab…, und noch bis vor das Haus, in dem der Kramer wohnte.

Im allerletzten Augenblick schlüpfte er durch die Tür und verriegelte von innen, rannte die Treppe hoch…

… doch er spürte, dass das Gespenst weiterhin dicht bei ihm blieb. Denn es kletterte außen die Fassade hoch. Zur Tür konnte es nicht herein, denn diese war mit drei Kreuzen bezeichnet. Der Kramer gelangte schweißgebadet in sein Zimmer. Und etwas Weißes schaut schon zum Fenster herein!

Da wirft er dem aufgebrachten Zwischenwesen, das tot ist und doch nicht ruhen kann, ein Bildnis der Muttergottes von Altötting entgegen.

Weg ist der Geist.

Das war zuviel der Aufregung. Der Kramer, halbtot, verfiel in einen tiefen Schlaf, der einige Tage gedauert haben mag (heute würden wir sagen: Heilschlaf), und als er wieder erwachte, da hing sogar das Madonnenbild ruhig an seinem Nagel an der Wand.

Sicherlich hat sich alles ganz genau so zugetragen, wie soeben berichtet. Zumindest in des »Schlafhaubenkramers« verwirrtem Geist war alles so.

Und einen Spitznamen hatte er auch weg für sein Lebtag.

Das Gespenst hat man nie mehr gesehen, vielleicht, wenn es wirklich eins war, ist es wohl durch die wuchtige Watsch’n des Altmünchner Originals von einem jahrhundertealten Fluch erlöst worden. Und muss nun nicht mehr umgehen.

Vielleicht.

Das Fausttürmlein und der Raubritter

Steht man am Sendlinger-Tor-Platz, sollte man es nicht versäumen, das Sendlinger Tor und sein dunkles altes Mauerwerk zu betrachten. In der Phantasie fällt es nun gar nicht so schwer, das efeuumrankte Gemäuer zu erweitern, bis es die ehemaligen Ausmasse, die es in Zeiten des Mittelalters hatte, wieder erreicht, und vor seinem inneren Auge die »innere Stadtringmauer« erneut entstehen zu lassen.

Inmitten dieser alten Stadtringmauer, unfern vom Sendlinger Tore – da stand dereinst ein Türmchen mit einer drohenden Faust auf der Dachspitze. Damit hatte es die folgende nachtfinstere Bewandtnis:

Dereinst, als die Menschen noch an den Teufel glaubten, der Alchimie Glauben schenkten und öffentliche Hinrichtungen ein rechtes Volksspektakel waren, da hat ein Raubritter, dessen Namen allerdings nicht überliefert ist, der Stadt München »Fehde angekündigt«, wie das in altehrwürdigen Büchern so genannt wird.

Man darf sich das aber nicht wie eine offene Kriegserklärung vorstellen, weil der nun folgende Fortgang der Geschichte zeigen wird, dass in der Verfahrensweise des unedlen Raubritters von »offen« in keiner Weise die Rede sein kann.

Wir wollen innehalten und ein Wort über Raubritter verlieren. Dieser erst durch spätere Abenteuerromane zu Ehren gekommene Ritter hatte es wohl nicht leicht zu Lebzeiten, sonst nämlich hätten die Herren Raubritter ganz sicherlich nicht die immer schon anrüchige Lebens- und Existenzform »Raubritter« als die Ihrige erkoren.

Vielmehr ist das Raubrittertum ein sicheres Zeichen für den Niedergang des »klassischen« Rittertums mit all seinen edlen Tugenden: manheit, zuht, mâze, milte, güete, êre, staete.

Überhaupt Beständigkeit! Denn beständig ging es mit dem Tugendkatalog bergab, und ab der Mitte des 13.Jahrhunderts hatten es die Ritter, die König Artus noch an seinen runden Tisch gebeten hätte, wahrlich schwer! Denn damals kam das merkantile Bürgertum zu Ehren und Reichtum. Siehe: Alter Adel war schon damals nicht mehr das, was er einmal gewesen!

Man darf sagen, dass mit dem Raubrittertum die Neuzeit beginnt, zumindest aber unsere geliebte freie Marktwirtschaft.

Nun denn. Der Raubritter von damals, um den es hier in unserer Schauersage geht, der war sogar noch etwas moderner, denn er lieferte der Stadt den allerersten Bestechungsskandal.

Weil nämlich er mit einem Ratsherren gegen hohen Lohn ein heimliches Bündnis einging, dass dieser Ratsherr ihm zu einer bestimmten und ausgemachten Zeit eines der wuchtigen Tore der Stadtmauer auftun würde. Alsdann wollte der strategisch gewitzte Raubritter die Stadt überfallen und »mit Brand anstoßen«.


Wenn eine unschuldige arme Seele hingerichtet wurde, dann stand über dem Falltürmchen und dem Scharfrichterhaus ein feuerroter Lichtschein… (Aquarell von 1874)

Aber! Gottlob! Die verräterische Tat ward rechtzeitig entdeckt und der enttarnte Ratsherr lebendig in eben diesen Faustturm eingemauert.

Elendiglich musste er im finstersten Verliese, unentrinnbar seinem Ende entgegensehend, verhungern und verdursten, wenn nicht ein gnädiger Wahnsinn, eine durch Auszehrung einsetzende Umnachtung der Sinne seinem bewussten Ende und Endleiden einen milderen Schlusspunkt gesetzt haben möge.

So schändlich die Tat des hinterlistigen Verrates wider die Stadt München gewesen ist, so grausam und unmenschlich war der Tod im kaltfinsteren Verliese.

Und zur Warnung an alle Verräter wurde daraufhin eine drohende Faust auf die Spitze des Turmes gesetzt, die für alle Vorübergehenden als grausige Mahnung da oben prangte.

Möge der Liebe Gott des im Turme verdorrten Ratsherren gnädig sein.