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Die Hoffnungslosigkeit des modernen Unglaubens

„Ihr hattet keine Hoffnung und wart ohne Gott in der Welt“.

Epheser 2,12

Ohne Hoffnung und ohne Gott in der Welt, so bezeichnet der Apostel Paulus den Zustand eines Nichtchristen. Es ist also der Zustand eines Ungläubigen ein hoffnungsloser Zustand. An dieser Tatsache hat sich in den bald vollendeten zwei Jahrtausenden nichts geändert. Zwar sucht man heute die Tatsache umzukehren und die Wahrheit auf den Kopf zu stellen. Man redet mit aller Dreistigkeit vom „Verfall des Christentums“ und von der Hoffnungslosigkeit des Christenglaubens. Gläubiger Christ sein oder werden sei etwas ganz Hoffnungsloses, sei nichts als Ignoranz und Resignation, öde Unwissenheit und armseliger Verzicht. Diese Meinung ist dank der sogenannten Aufklärungsschriften so verbreitet, dass der gewöhnliche Kulturmensch den bibelgläubigen Christen bereits als ein Kuriosum, als etwas Absonderliches betrachtet, das er sowohl bedauert als verachtet. Bedauert wird der Gläubige, weil man ihm ohne weiteres das „intellektuelle Defizit“, den Mangel an Verstand, anhängt, ein Zurückgebliebener, ein Dummer!

Und verachtet wird der Gläubige, weil man ihm ebenso schnell das „moralische Defizit“, den Mangel an Ehrlichkeit, anhängt, ein Heuchler, ein Schuft! Beide Erklärungsweisen genügen dem Unglauben, um die Hoffnungslosigkeit des Christenglaubens zu betonen. Rückt aber der Ernst und die Notwendigkeit des Christwerdens dennoch einmal näher, so ist man schnell bereit, das Christwerden als etwas Hoffnungsloses abzuweisen, weil es, wie die jungen Leute gerne sagen, alle Lebensfreude zerstöre oder die geschäftliche Tüchtigkeit untergrabe und am Fortkommen hindere, also den Schritt hinein in die nackte Hoffnungslosigkeit bedeute. Und doch bleibt es bei dem Apostelwort. Nicht der Christ ist der Hoffnungslose, sondern der Nichtchrist.

Ich möchte aber nicht ins Blaue hineinreden und bloße Behauptungen aufstellen, sondern, was gesagt werden muss auch zu beweisen suchen.

Was heißt denn „hoffnungslos“? Nun, ich denke: antwortlos, aussichtslos, zukunftslos.

Ist das denn der Zustand des Nichtchristen? Gibt der Ungläubige nicht an, die ganze Wissenschaft für sich zu haben, die seinem Verstande doch so zahlreiche Antworten gibt, und er soll antwortlos sein? Haben ihm Wissen und allgemeine Kultur nicht geradezu leuchtende und großartige Aussichten eröffnet, und er soll aussichtslos dastehen? Und garantiert ihm die fortschreitende menschliche Erkenntnis nicht jede Zukunft, und er soll zukunftslos sein? Berechtigt nicht das bisher Errungene zu den schönsten Hoffnungen, und der so reich ausgerüstete Unglaube soll hoffnungslos sein?

Nun, wir wollen sehen.

Drei große Menschheitsfragen gibt es, vor denen jede sogenannte Weltanschauung sich zu erproben hat. Es sind die Fragen nach dem Woher? Wozu? und Wohin? unseres Geschlechts. Vor diesen drei inhaltsschweren, unabweisbaren Fragen zeigt es sich, wie weit eine Weltanschauung antwortfähig und damit hoffnungsvoll oder antwortlos und damit hoffnungslos ist.

Die Frage nach dem Woher? der Menschheit scheint ja das ungläubige Denken von heute ganz besonders ernstlich beschäftigt zu haben. Den biblischen Schöpfungsbericht hat man als „unwissenschaftlichen“ Mythos überlegen beiseite gelegt. Himmel, Erde und Mensch aus dem Worte und der Hand des persönlichen Gottes hervorgegangen, wird als unglaubliches Märchen belächelt. Man will eine bessere Antwort, als die, die Gott heißt. Man will Wirklichkeit. So hat man den einzig wirklichen Gott als etwas „Unwissenschaftliches“, das das menschliche Denken nimmermehr befriedigen kann, bei der Beantwortung der Frage nach dem Woher? streng methodisch ausgeschaltet und eine vernünftigere Antwort gesucht. Und man gibt an, die richtigere, ja, die einzig richtige Antwort gefunden zu haben. Wie lautet sie denn?

Ich stehe gerne vor den Schaufensterauslagen der Buchhandlungen still. Das Denken unserer Zeit mit seinen Fragen und Antworten spiegelt sich da ab. So las ich da einmal als Titel eines ausliegenden Buches: „Vom Nebelfleck zum Menschen“. Aha, dachte ich, da hat wieder einer die Frage nach dem Woher? unseres Geschlechts modern naturwissenschaftlich zu beantworten versucht. Und ich brauchte mir das Buch gar nicht erst zu kaufen, um mir die darin gegebene Antwort anzueignen, befanden sich doch bereits mehr als genug Bücher dieses populärnaturwissenschaftlichen Schlages mit ihren großtönenden Titeln in meinem Besitz. Großtönender aber hatte ich noch keinen gelesen. Das war wirklich etwas Großzügiges und Umfassendes. Nicht nur etwa: „Vom höheren Affen zum Menschen“ oder: „Vom Wirbeltier zum Menschen“ oder: „Von der Monere1 zum Menschen“ oder: „Vom feurigen Erdball zum Menschen“ oder: „Von der glühenden Sonnenkugel zum Menschen“, nein, hier sollte ganze Arbeit getan, hier sollte das äußerste enthüllt und gesagt werden, also: „Vom Nebelfleck zum Menschen“.

Lange stand ich still und sann: Wissbegierige Menschheit, frohlocke! Du bist weiter vorgedrungen als bis zum Nord- oder Südpol deiner Erde. Preise deine Sternwarten und Riesenteleskope; denn sie haben dich nun den Anfang aller Dinge schauen lassen: den Nebelfleck. Großartige Sammlung und Vereinfachung aller weltlichen Herkünfte und Bezüge; denn alles gipfelt im Nebelfleck! Uralt ewige Frage, über die so manche Häupter gegrübelt, Häupter im Turban und im schwarzen Barett, du hast deine zwar nicht nahe liegende, auch nicht sehr hell einleuchtende, aber desto gewaltigere und großartigere Lösung gefunden; sie heißt: Der Nebelfleck! Rätsel des Lebens und des Todes, Rätsel der Welt, der Mensch ist dir nachgegangen bis zum fernsten Mutterschoß, bis zum Nebelfleck! Lebendiger, allmächtiger Gott, und dennoch wissenschaftlich auf Erden vernichtet, nun bist du bei den aufgeklärten Menschen eine geringwertigere Rarität geworden, als jede vorzeitliche Postkutsche; denn an Stelle deiner illusorischen Existenz ist getreten die reale Ausdehnung des Nebelflecks!

Wird mich jetzt wieder ein Mensch fragen: Woher denn nun dies alles? Wo ist die Heimat? Wo liegt der hohe Pol? So werde ich geradenwegs ins Blaue oder Graue hinaufweisen, und werde mit wissenschaftlicher Betonung antworten: Im Nebelfleck! – So ungefähr sann ich. Und dann dachte ich weiter, wie viele Hunderte, ja vielleicht Tausende von deutschen Jünglingen und Jungfrauen wissbegierig dies Buch kaufen und lesen und danach den Gott ihrer Väter und Mütter tatsächlich aus ihrem Denken und Leben streichen und an seine Stelle tatsächlich diese letzte Station des Sichtbaren, den Nebelfleck, setzen werden. Welche zeitgemäße Bereicherung des Denkens, welche solidere Fundamentierung des Daseins wird das geben!

Wahrlich, ich treibe nicht Scherz hier; aber das Lächerliche bleibe lächerlich unter uns, damit es als Lächerlichkeit getötet werde. Auch denke ich gar nicht daran, hier Weltentstehungshypothesen kritisieren zu wollen, das liegt ganz außerhalb meines Könnens, aber wenn denkende Menschen die brennend ernste Frage nach dem Woher? des Menschen und seiner Welt mit dem Hinweis auf die Existenz glühender kosmischer Nebelhaufen erledigen wollen, dann muss man sagen: Ihr schreibt euch nichts anderes als das Zeugnis eurer Hoffnungslosigkeit!

Denn es mögen Menschen fortfahren, die sichtbare Schöpfung in ihrer Einzel- und in ihrer Gesamterscheinung, in ihren Nah- und in ihren Fernvorgängen zu beobachten und die Ergebnisse ihrer Beobachtung als „Wissenschaft“ zu bezeichnen, sie mögen von glühenden Nebelflecken im fernsten Weltraum oder von Elektronenvorgängen im Atom berichten, das eigentliche Woher? der Nah- oder Fernvorgänge, der Einzel- oder Gesamterscheinung vermögen sie durch solche Beobachtung nie zu beantworten. Ihre Erklärung bleibt Beschreibung des sinnlich Wahrnehmbaren; aber ins Innere der Natur dringt kein erschaffener Geist. Hoffnungslos bleibt daher jeder Versuch, die Frage nach dem Woher? des Menschen und seiner Welt auf naturwissenschaftlichem Wege beantworten zu wollen. Möge sich die menschliche Wahrnehmung durch den Gebrauch der sinnvollsten Instrumente und Apparate verschärfen und bereichern, sie wird dadurch nie ohne weiteres das Woher? ersehen, ertasten oder ermessen und registrieren können.

Mithin bleibt jede „Weltanschauung“, die die Beantwortung der Frage nach dem Woher? unter Beiseitesetzung der Offenbarung, die Gott in der Bibel gegeben hat, erzwingen will, hoffnungslos. Ihre Antworten sind keine Antwort. Der wirklich denkende Mensch wird sich nie mit den gottlosen Armseligkeiten einer monistischen Dogmatik abspeisen lassen, die den wahrgenommenen Stoffen und Kräften und dem ihnen innewohnenden „Naturgesetz“ einfach Allmacht und Ewigkeit zuspricht und sie an die Stelle des persönlichen Gottes setzt. Ebenso wenig lässt sich der wirklich denkende Mensch die Frage nach dem Woher? verbieten. Sagt man doch, es sei menschlich beschränkt, anmaßend und durchaus „unwissenschaftlich“ so zu fragen; der kleine Mensch müsse sich am sinnlich Erforschbaren genügen lassen und vor dem großen Unerforschlichen verstummen. Ja, wenn das Fragen nach dem Woher? nicht gerade unsere menschliche Natur ausmachte! Aber es gehört zu unserem natürlichsten Bestand und ist geradezu das unterscheidende Merkmal zwischen Mensch und Tier; denn das Tier kennt keine Frage nach seinem Schöpfer. Und was heißt denn schließlich „wissenschaftlich“? Doch nichts anderes, als das Begehren und Bemühen, die Wahrheit wissen zu wollen mit allen Mitteln der Wahrheit. Solange es Menschen gibt, werden sie immer fragen müssen: Woher der Mensch mit seinem unruhigen Herzen in der Brust? Und immer wieder werden sie als letzte und einzig befriedigende Antwort „Gott“ denken und erkennen müssen; jede andere Antwort muss sich als furchtbare Hoffnungslosigkeit erweisen.

 

Denn aufs engste hängt mit der ersten Frage nach dem Woher? die zweite Frage zusammen, die Frage nach dem Wozu?

Wozu lebte ich? Wozu lebt die Menschheit? Wozu lebt das Weltall?

Auch diese Fragen wird der Mensch nicht los, obgleich er sie nicht liebt. – Nein, er liebt sie nicht; denn es sind ja so unbehagliche und scheinbar auch so schwierige Fragen … So geht ihnen der gedankenlose Durchschnittsmensch am liebsten aus dem Wege, denn sie stören sein Tun und fordern sein Denken; beides ist ihm unbequem. Darum überlässt er die Beantwortung dieser Fragen gerne den grübelnden Gelehrten, den Philosophen, und – wie es heute Mode ist – der Wissenschaft. Diese wiederum lehnt die Beantwortung der Wozu?-Frage ebenfalls am liebsten als nicht streng wissenschaftliche, weil der wissenschaftlichen Methode eigentlich ganz abseits liegende Frage, glatt ab. Indes bleibt doch jedes Menschlein, ob gelehrt, ob ungelehrt ein kleiner Philosoph und Wissenspraktiker, der sich für alles sein Sprüchlein zurechtmacht. Denn die unbequeme Frage nach dem Wozu? lebt nun einmal in und mit uns, obgleich wir zehntausendmal versuchen, nicht mit ihr leben zu wollen. So muss sich der Mensch, schon um ihre lästige Aufdringlichkeit ein klein wenig loszuwerden, irgendeine billige Antwort bereithalten, mit der er ihr zu entweichen sucht. Ja, eigentlich sind alle unsere Moralsprüchlein und ethischen Systeme nichts weiter als der fortgesetzte Versuch des Menschen, sich die unerträgliche Schwere der Frage: Wozu leben wir eigentlich? auf eine annehmbare Weise vom Halse zu schaffen.

Ich stand einmal vor dem Schaufenster eines Graveurs. Ins blanke Messingschild eingegraben, las ich da:

„Das einzige Glück – die Pflicht,

Der einzige Trost – die Arbeit,

Der einzige Genuss – die Schönheit“

Siehe da, sagte ich mir, da hat sich jemand der Frage nach dem Wozu? seines Lebens in idealster Weise zu erledigen gesucht. Ein Moralsätzlein in drei Zeilen, lasst uns sehen was sie zur Beantwortung der Frage nach dem Wozu? unseres Lebens wert sind!

„Das einzige Glück – die Pflicht.“

Also man lebt auf Erden, um seine Pflicht zu tun, seine Pflicht in der Familie, im Beruf, in der Gesellschaft, im Staats- und Vaterlandsdienst, in der Menschheit. Pflichterfüllung ist etwas unbedingt Notwendiges und Löbliches. Aber wie unzulänglich wird das Pflichtgebot, wenn es zur Beantwortung unserer Frage ausreichen soll! Warum lebt man? Antwort: Um seine Pflicht zu tun! Ist damit unsere Frage beantwortet? Keineswegs! Denn die noch so ideale Betonung eines noch so nötigen Gebotes ist doch noch keine Daseinserklärung. Und warum soll ich meine Pflicht tun? fragt der Mensch. Hier wird ihm geantwortet: Die Pflichterfüllung sei dein Glück. Also wäre sittliches Glück der Zweck unseres Daseins. Schön, die Antwort erhebt unser Gemüt, aber sie befriedigt nicht unser Denken; denn Glücksempfinden ist doch keine Erklärung unseres Daseins. Zudem, wenn unser einziges Glück die Pflicht ist, dann ist es kein Wunder, dass sich die Menschen durchweg so unglücklich fühlen; denn wer tut allezeit seine Pflicht?

Ja, man muss sogar so sagen: Wenn unser einziges Glück die Pflicht ist, so haben wir alle miteinander nur eine Pflicht, nämlich die, uns allesamt unglücklich zu fühlen; denn niemand tut allezeit seine Pflicht. Prüfe dich nur einmal! Hast du gestern, hast du heute wirklich und wahrhaftig deine Pflicht getan? Das heißt: Hast du alles getan, was du nicht nur tun musstest, sondern tun konntest, und hättest du nicht noch mehr tun können? Und umgekehrt: Hast du alles unterlassen, was du nicht hättest tun sollen? Denn auch das gehört zur Pflicht. Ich suche jetzt schon seit Jahren den Mustermenschen, der wirklich und allezeit seine Pflicht getan hat. Bedenke doch: er wäre der einzig zum Glück Berechtigte unter uns allen! Man müsste ihn durch alle Straßen führen und auf allen Weltausstellungen prämieren. Er wäre der beneidenswerteste „Glückspilz“, den es gäbe.

Aber ich habe ihn leider noch nicht gefunden. Vielleicht ist er hier. Er melde sich doch! – Niemand? Ich habe es mir gedacht. – Fern sei mir der bloße Scherz. Aber auch hier gilt es, das Lächerliche als Lächerlichkeit bewusst zu machen und zu töten. Nie und nimmermehr ist ernste Pflichterfüllung und jedes ehrliche Ringen nach Pflichterfüllung lächerlich; und ideal und schön mag auch der Gedanke genannt werden: „Mein einziges Glück – die Pflicht.“ Aber soll dieser Gedanke mit allem Lebensernst zur wirklichen Lebenstat werden, dann bleibt uns allen – ich wiederhole und betone es – nur die eine Pflicht übrig, uns bitter unglücklich zu fühlen. Und soll gar vollendete Pflichterfüllung unser Lebenszweck sein, so haben wir allesamt unseren Lebenszweck verfehlt; unser Urteil hat dann zu lauten: Hoffnungslos!

Aber so geht es: der Unglaube fabriziert sich als Ersatz für den Glauben niedliche Moralsprüchlein, mit denen er sein Leben schmücken und inhaltsvoll machen möchte, und gerät ihm, wenn er nachdenklich ehrlich wird, doch nichts anderes als das, was sein Wesen ist, nämlich: Hoffnungslosigkeit! Hoffnungslos heißt hier aber nicht nur „antwortlos“, „aussichtslos“, sondern auch „gedankenlos“. Es kann ja gar nicht anders sein, fehlt doch dem Unglauben die Furcht Gottes, die jeder wahren Weisheit Anfang ist!

Sehen wir uns das zweite Moralsätzlein an:

„Der einzige Trost – die Arbeit.“

Ein recht modernes Sprüchlein! In unserer Zeit der Kulturüberschätzung gibt es ja beinahe nichts unbestritten Wertvolleres als die Arbeit. Man braucht nur die Probe zu machen. Frage irgendeinen regelrecht tätigen Menschen, wozu er eigentlich lebe. Er wird antworten: „Um zu arbeiten!“ Er hat damit der reellen Ernsthaftigkeit seiner Lebensauffassung Ausdruck gegeben; denn er kennt nichts Reelleres als die Arbeit; mithin erhebt er sie zum Lebenszweck. Frage ihn weiter: „Und wozu arbeiten Sie?“ so sieht er dich verwundert an und platzt heraus: „Na, um zu leben!“ Also er lebt, um zu arbeiten, und arbeitet, um zu leben. Das ist vieler moderner Kultursklaven einzige Lebensweisheit. Welch eine Hoffnungslosigkeit!

Sicherlich ist die Arbeit eine Lebensnotwendigkeit; aber sie bedeutet keine Lebenserklärung. Vielmehr ist die Arbeit eine fluchvolle Folge der Lebensbeeinträchtigung, die dem biblisch geoffenbarten Sündenfall auf dem Fuße folgte. „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis dass du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist“ (1.Mose 3,19). Welch ein unseliges Verhängnis! Aber der gottentfremdete Mensch empfindet diesen fluchbeladenen, verhängnisschweren Ursprung und Charakter der Arbeit gar nicht mehr. Im Gegenteil, er rühmt sich durch die Jahrtausende seiner Arbeitsleistung, ja, glaubt sogar durch sie zu werden wie Gott. Und doch ruht der Fluch auf aller menschlichen Arbeit. Sie bleibt mühevolle, Schweiß erfordernde, den brüchigen Erdenleib aufreibende Plage. Was diese Plage mühsam gebiert, bleibt unvollkommenes Stückwerk, das bald wieder in Trümmer fällt. Und sie ist kein Weg zu Gott zurück; denn niemand kann sich das Himmelreich erarbeiten. Das ist und bleibt der dreifache Fluch, der nicht vom menschlichen Tun weicht, was auch Menschenruhmredigkeit dagegen schreit. Heute, wo die Kulturleistung vergöttert und als Mittel zur Selbsterlösung der Menschheit über alles gepriesen wird, heute, wo ein Geschlecht, das bewusst ohne Gott in der Welt sein will, die stolzen Hoffnungen seines Unglaubens ganz auf den Ruhm seiner Arbeit stützt, muss es biblisch klar gesagt werden: Die Arbeit erklärt und erlöst unser Dasein nicht!

Sie ist und bleibt eine fluchgeborene Not, die Gott zur Erziehung der Menschen zur Tugend erhoben und gesegnet hat – denn der Müßiggang ist noch ungleich fluchbeschwerter, und das apostolische Gebot heißt: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“, ja, wehe dem, der sein Pfund vergräbt ins trockene Schweißtuch! Er kann vor Gott nicht bestehen – aber die Arbeit darf nicht abgöttisch zum rettenden Lebenszweck umgestempelt werden; und das geschieht überall, wo sie nicht mehr nach dem Worte Gottes unter dem Auge Gottes geschieht. Dämonische Leidenschaft ist sie da für unzählige, ein Geißelhieb für alle Geld- und Ehrgeizigen. Und satanische Betäubung ist sie da für alle, denen das Wort Pascals gilt: „Der Mensch sucht nichts so sehr als sich selbst, und er flieht zu gleicher Zeit nichts so sehr als sich selbst.“ Und furchtbarstes, trostlosestes, hoffnungslosestes Joch ist sie da für alle, die im Schweiße ihres Angesichtes sich auf Erden abmühen müssen.

Wer nicht klar weiß, wozu er lebt, der weiß auch nicht klar, wozu er arbeitet. Wozu arbeitest du, teurer Hörer? Die ärmlichste und allgemeinste Antwort lautet, wie bereits angeführt: „Ich arbeite um zu leben.“ Eine reichere Antwort scheint zu sein: „Ich arbeite für die Zukunft meiner Familie.“ Eine noch freiere und frohere Antwort wäre: „Ich arbeite im fröhlichen Schaffensdrang zur Betätigung und Verwertung meiner besonderen Anlagen und Kräfte.“ Sozialer und edler klingt die Antwort: „Ich arbeite für die und die gute Sache.“ Hochideal tönt es: „Ich arbeite für die Höherentwicklung der nationalen und allgemeinen Kultur.“ Und das erhabenste scheint zu sein: „Ich arbeite für die Menschheit.“ Alles gut und schön, aber die folgerichtigste Frage auf die umfassendste Antwort ist doch sicherlich die: „Wozu arbeitet die Menschheit?“ Und damit steht der Unglaube wieder vor der Antwortlosigkeit und Hoffnungslosigkeit; denn er vermag die Frage nicht zu beantworten.

Darum macht er es am liebsten bei der Frage nach dem Wozu? geradeso wie bei der Frage nach dem Wohin? Nämlich er sagt: „So muss man nicht fragen! Auch die Seidenraupe weiß nicht, wozu sie ihren Kokon spinnt, und doch spinnt sie ihn und stirbt. Und fragt sich der Vogel, wozu er sein Lied singt? Und doch singt er es, und singt's fröhlich. Mach's geradeso!“ Darauf ist zu fragen: „Sind wir nicht mehr als Vogel und Raupe? Ist die Frage nach dem Wozu? nicht der lauteste Vernunftschrei unserer Menschlichkeit, ununterdrückbar und unersättlich, bis er seine auf ewig stillende Antwort gefunden?“ Nie und nimmermehr wird sich der Mensch dabei beruhigen, eine Ätherwelle im Meere der Stoffbewegung, ein Rädchen in der Maschinerie des fragwürdigen Kulturbetriebs zu sein! Gerädert von der Kultur, geplagt von der Natur, wird er immer wieder aufschreien: „Wozu das alles? Wozu? Wozu?“ Und der Unglaube, der die Gottesoffenbarung der Bibel ablehnt, kann ihm keine Antwort geben. – Hoffnungslos! O, würde der Schrei nur noch viel lauter, nur noch viel nachdenklicher, wuchtiger, verzweifelter ertönen, wie viel schneller würde die Hoffnungslosigkeit jeder ungläubigen Weltanschauung offenbar werden! Indessen wird die Hoffnungslosigkeit des Unglaubens nur verhüllt durch die Gedankenlosigkeit des Unglaubens.

Wird diese Hülle durch Not und Nachdenken einmal gründlicher zerrissen, so stöhnt man trostlos auf: „Mein einziger Trost – die Arbeit!“ Nun wohl, es kann ein vorläufiger Trost sein, in irgendwelcher Bedrängnis und Trauer zu wissen, es ist einem noch Kraft und Gelehrsamkeit zur Arbeit geblieben; aber ein befriedigender, befreiender Trost kann für den nachdenklichen Menschen, in der bloßen Arbeitsbetätigung, mit der man sich schließlich nur zu betäuben sucht, nicht gefunden werden; denn Arbeiten erklärt und erlöst unser Dasein nicht.

Und nun zur praktischen Hauptsache in diesem Punkte. Wer hat denn das bisschen Trost im Leben am nötigsten? Ich denke, zunächst die Kranken. Nun gehe hin zum Kranken und sage ihm: „Der einzige Trost – die Arbeit.“ Er wird meinen, du wollest ihn verhöhnen. Die Krankheit hat ihn arbeitsunfähig gemacht, und du sagst: „Dein einziger Trost – die Arbeit“? Damit gibst du ihn der völligen Trostlosigkeit preis; denn gerade die Arbeit als einziger Trost, den er so sehr nötig hätte, ist ihm genommen. Ist's nicht schon traurig, wenn einem die Gesundheit genommen ist? Ist's nicht schon schlimm, wenn einem die Arbeit als Arbeit, genommen ist? Und nun muss er hören, dass ihm mit der Arbeit auch der einzige Trost genommen ist! Wie hoffnungslos entsetzlich!

Siehst du jetzt die platte Gedankenlosigkeit des prunkvollen Moralsprüchleins: „Der einzige Trost – die Arbeit“ ein? Gehe mit diesem gedankenlosen Trostspruch zum Arbeitsunfähigen, zum jungen Invaliden, der sonst gesund, aber eben aus irgendwelchem Grunde sein Leben lang arbeitsunfähig ist. Hat der Arme nicht Trost nötig? Sag ihm den Hohn ins Gesicht: „Dein einziger Trost – die Arbeit!“ Geh zu den Alten, zu den Ergrauten und Weißgewordenen, die im Lehnstuhl sitzen oder in Altersschwäche auf dem Lager liegen. Die Leute haben immer Trost nötig. Sage ihnen: „Euer einziger Trost – die Arbeit.“ Oder tritt in die Herbergen und in die tausendköpfige Versammlung der Arbeitslosen. Rufe ihnen zu: „Euer einziger Trost in eurer trostlosen Lage – die Arbeit!“ Und was sollte man den Sozialdemokraten sagen, die den achtstündigen Arbeitstag begehren. „Haltet ein!“ müsste man ihnen entgegentreten, „ihr beraubt ja die Leute des einzigen Trostes! Trachtet doch lieber nach dem vierundzwanzigstündigen Arbeitstag, damit die Leute doch vierundzwanzig Stunden Trost haben! – Zu solchen Schlüssen müsste man kommen, wäre das Sprüchlein wahr: „Der einzige Trost – die Arbeit.“ Möge die Lächerlichkeit auch hier töten!

 

Es bleibt also dabei: Nur wer aufgrund der Offenbarung Gottes im heiligen Schriftworte durch erlebten Glauben klar weiß, wozu und für wen er lebt und arbeitet, der schätzt die Arbeit recht ein und tut sie oder legt sie nieder getröstet. Ohne solchen wissenden Glauben bleibt auch das heute so beliebte Carlylesche2 Wort: „Arbeiten und nicht verzweifeln!“ nur eine schillernde Kulturphrase und der großtuerische Ausdruck bereits eingetretener platter Verzweiflung. Wäre die Arbeit anders ein Trost und schützte sie anders vor Verzweiflung – in welcher trostreichen, erquickenden Gegenwart müssten wir dann leben; denn zu keiner Zeit ist so intensiv gearbeitet worden wie heute. Entweder kehrt unsere wirre, überarbeitete Zeit zum Glauben zurück – oder ihr Siegel heißt: „Hoffnungslos!“

Und so ist es auch mit dem dritten Moralsätzlein:

„Der einzige Genuss – die Schönheit.“

Erziehung zur Kunst ist ein modernes Schlagwort geworden. Der künstlerisch schaffende und der künstlerisch genießende Mensch gelten als die eigentlichen Kulturträger. Von keiner Bemühung verspricht man sich so viel Veredelung des Menschen, wie von der Heranbildung der Sinne zum Kunstverständnis. Natur- und Kulturoffenbarungen sollen da gewonnen werden, wie man sie nie zuvor gekannt habe. Ein neuer Mensch werde der Erde gegeben: der ästhetische Mensch, der die Religion des Schaffenden bringe, den erlösenden Dienst und Genuss der Kunst. – Dieses Kulturideal hat reichlich Anhänger gefunden, denn es entspricht der sinnlichen Anlage des Menschen. Sinnenpflege im Interesse der Kunst, Kunstbetätigung und Kunstliebe als Vorzugskultur, Kunstverständnis als Ausweis wertvollster Höchstreife inmitten einer Zeit, die von dem Zauberwort „Entwicklung“ berauscht ist, o, das ist etwas für den immer genießenwollenden Menschen, der an die Welt der Sichtbarkeit und an sich selbst versklavt ist! So ist denn vielen „Gebildeten“ die Kunst einfach zur Religion geworden. Sie betrachten jetzt reichlich alles vom sogenannten künstlerischen Standpunkt aus, den sie natürlich möglichst „jenseits von Gut und Böse“ gewählt haben, und der ihnen erlaubt, alles genießend zu erleben und sich zugleich an nichts sittlich zu binden. So genießt man sogar in ästhetischer Überlegenheit das künstlerisch veranschaulichte oder vertonte Leiden Jesu Christi. Man sucht eben grundsätzlich längst nicht mehr ernste, unwidersprechliche, unabweisbar verpflichtende Wahrheit, sondern nur noch irgendwie genießbare Schönheit, in der sich, wie man gerne sagt, das „Göttliche“ am reinsten und annehmbarsten offenbare.

Man muss es mutig aussprechen: Das Ergebnis der ästhetischen Erziehung zum Genuss der Schönheit ist zum allergrößten Teil nichts anderes, als gesteigerte Sinnenlust, Erhöhung der selbstsüchtigen Ansprüche auf Ausstattung und Bequemlichkeit, üppigere Entfaltung der Modetorheiten, unbedenklichere, raffiniertere Genusssucht in Essen und Trinken, zugleich moralische Erschlaffung auf der ganzen Linie, Verlust an Einfachheit und Keuschheit, Zunahme der eitlen Selbstherrlichkeit, unfruchtbare Genusssucht bis ins Sensationell-Religiöse hinein, an Stelle der herben Wahrheit des einfachen Evangeliums pantheistisch-monistische Gedankenspielerei, Berauschung an spiritistischen, theosophischen und okkultistischen Ungeheuerlichkeiten, und durchaus Verlust an christlicher Wahrheit, Echtheit und Klarheit.

Und was wird der eigentliche Offenbarungswert der gegenwärtigen künstlerischen Überproduktion sein? O, er wird äußerst gering sein! Gemäß unserer ganzen Zeitentwicklung wird er bestehen in viel Technik und in wenig Gedanken. Es kann ja auch gar nicht anders sein. Auch das Kunstschaffen kann nur in Verbindung mit dem lebendigen persönlichen Gott und seinem Gesalbten Jesus Christus zu klarer und großer Reife gedeihen. Wo man aber bewusst ohne Gott zu leben und zu schaffen begehrt, da wuchert zuletzt nur noch die eitle menschliche Mache mit allen ihren widerspruchsvollen Albernheiten, wie es heutzutage in der Kunst zutage tritt. Aber selbst die reifste Kunst kann kein Volk vor seinem Niedergang retten; sie ist Blüte, aber nicht Wurzel. Deswegen kann sie nie zur Erklärung und Erlösung unseres Lebens dienen. Die Kunst vermag uns im besten Falle ein erhebendes Ahnen des Göttlichen, für das wir bestimmt sind, verschaffen, aber bleibend und erlösend herausheben aus der gemeinen bändigenden Macht unserer fluchbeladenen Lebensverhältnisse, das vermag kein Kunstschaffen und kein Kunstgenuss. Gerade die größten Künstler haben das einsehen und am Erlösungswert der Kunst verzweifeln müssen. Michelangelo, vielleicht der größte Bildhauer und Maler, musste dichten:

„Am Ziel der Fahrt ist angelangt mein Leben,

Auf schwachem Kahn durch wilden Meers Gewalten,

Im Hafen, wo der Landende gehalten

Ist, Rechnung über all sein Tun zu geben.

Die mich die Kunst zur Gottheit ließ erheben,

Zum einz'gen Herrn, die Freude am Gestalten:

jetzt weiß ich, wieviel Irrtum sie enthalten;

Denn Irrtum ist des Menschen Erdenstreben.

Was gilt, was einst ich sann in Lust und Fehle,

Wenn zwiefach Sterben mir vor Augen schreitet,

Ein Tod gewiss, der andre schreckt mit Bangen?

Nicht mal' noch meißl' ich mehr, Ruh wird der Seele

Von jener Gottesliebe nur, die breitetAm Kreuz die Arme aus, uns zu umfangen.“

Also auch hier bei allem Dienst der Schönheit, ohne den biblischen Glauben, nichts anderes als Hoffnungslosigkeit!

Nicht Pflicht als Glück, nicht Arbeit als Trost, nicht Schönheit als Genuss beantworten die bange Frage des Menschen nach dem Wozu? seines Daseins. Mithin ist alles Tun und Genießen des Menschen ohne den lebendigen biblischen Glauben hoffnungslos!

Das soll uns noch deutlicher werden, wenn wir jetzt zum Schluss noch die letzte Frage betrachten, die Frage nach dem Wohin?

Wohin Mensch, Menschheit, Menschenwerk und die vom Menschen wahrgenommene Welt?

Bei dem Versuche, diese allerwichtigste, allerhöchste Frage zu beantworten, zeigt sich die Hoffnungslosigkeit des Unglaubens am auffälligsten. Wie lautet die Antwort, die er uns anbietet? Sie lautet kurz zusammengefasst so: Vom Menschen zurück zum Nebelfleck.

Vor mir liegt eine Einladung zu einem naturwissenschaftlichen Vortrag, betitelt: „Die Tragödie der Erde“, das will sagen: „Die Unglücksgeschichte der Erde“, gemäß folgendem Programm:

I. Teil.

Wie konnte die Erde im Weltenraum entstehen?

Wie entwickelten sich die ersten Lebewesen auf der Erde?

Wie bildete sich der Mensch aus den niedrigsten Formen der Lebewesen?

Das erste Auftreten des Menschen.

Halbmensch, Vormensch, Urmensch.

II. Teil.

Die Entwicklung des Menschen und seiner Kultur.

Der Mensch der Zukunft.

Die höchste Stufe der Kultur auf Erden.

Rückgang und Verfall des Lebens auf der Erde.

Uns möge jetzt der zweite Teil dieser „Unglücksgeschichte der Erde“ interessieren. Da wird uns zunächst wissenschaftlich verkündigt, es gehe mit dem Menschen und seiner Kultur noch immer mächtig vorwärts. Ungeahntes werde sich erfüllen. Doch habe sich der Mensch nicht herausgerungen aus seiner tierischen Herkunft und Vergangenheit. Noch lebe die Bestie in ihm. Aber die Überwindung des Tierischen sei nur eine Frage der Zeit. Allerdings könne diese Zeit Jahrhunderttausende umfassen. Das sei aber im Vergleich mit der Länge der Entwicklungsperiode, die die Umwandlung des Wirbeltieres zum Kulturmenschen umfasse, so gut wie gar nichts. Also nur Geduld. Gerade gegenwärtig tue die Kulturmenschheit in Naturerkenntnis und Naturbeherrschung wieder einen ganz gewaltigen Schritt vorwärts, der zum Glauben an die Erreichung der höchsten Kulturideale berechtige. Der Mensch der Zukunft werde sich als völliger Herr der Natur erweisen. Keine Phantasie könne sich die Herrlichkeit dieser Herrschaft ausmalen. Ihr werde die Gerechtigkeit, Freiheit und Vernünftigkeit seiner ethischen und sozialen Kultur entsprechen, die ihm eine Zeit vollkommenen Wohlbefindens als Lohn für alles menschliche Ringen auf seiner Erde bringen werde. Aber inmitten des ewigen Werdens und Vergehens könne ja auch diese sicher zu erwartende höchste Kultur nicht von bleibender Dauer sein.