Neue Arbeit kompakt

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Copyright © 2007 Arbor Verlag GmbH, Freiamt

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Alle Rechte vorbehalten

E-book 2020

Hergestellt von mediengenossen.de

E-Book-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim, www.brocom.de

www.arbor-verlag.de

ISBN E-Book: 978-3-86781-201-6

Vorwort

Einleitung

Was ist Arbeit?

Was ist Neue Arbeit?

1. Selbstversorgung

2. Entdecken, was man wirklich, wirklich will

Wie fangen wir damit an?

Die Theorie

Die Welt im 21. Jahrhundert

Wohin geht die Fahrt?

Das tote Gleis

An der nächsten Weiche

Die andere Kultur

Psychologie der Reisenden

Psychologie der Reisenden

Weiter Richtung Abgrund

Das Lohnarbeitssystem – ein Auslaufmodell

Die Neue Arbeit als Alternative zum Lohnarbeitssystem

Die Geschichte der Neuen Arbeit

Die Armut der Begierde

Neue-Arbeit-Projekte – Beispiele

Dezentrale Ökonomie

High-Tech-Eigen-Produktion

Der Personal Fabricator

Die Neue Arbeit in der Dritten Welt

Die wirklich, wirklich gewollte Arbeit

Die Praxis

Andreas Gebhardt

Wie soll das denn konkret gehen?

Rosalind Honig

Ich will nicht gleich

Frauke Hehl

Das eigene Leben ändern

Peter Grottian

Über sinnvolle Arbeit nachdenken

Lola Güldenberg

Der Luxus, zu arbeiten, wie man …

Jaqueline Eddaoudi

Die Neue Arbeit ist wie Bambus

Ditz Schroer

Eine Alternative, wie man

Margrit Kennedy

Das fremdbestimmte Rädchen-Dasein

Günter Faltin

Den Markt nicht den

H. Peter Friedl

Ein Konzept der neuen Solidarität

Stefan Schwarzer

Höhenflüge

Katja Barloschky

In der Realität angekommen

Michael Birkenbeul

Anfangen!

Günter Thoma

Scheitern heißt nur, dass man

Nachwort von Frithjof Bergmann

Über Frithjof Bergmann

Vorwort

Das sprichwörtlich Gewordene an der Neuen Arbeit ist das Mantra, dass man eine Arbeit tun soll, die man „wirklich, wirklich will“. Und mit der gleichen Regelmäßigkeit stellt sich die Frage: Kann man davon leben? Wer wollte das nicht – eine Arbeit, die einen aufregt, die einen gefangennimmt, die einen in einen seligen Taumel versetzt? Tja, wer hätte das nicht gern! Fragt sich nur, wer die Rechnungen bezahlt. Kann man mit solch einer Arbeit genug verdienen, um damit für die Kosten des Lebens aufzukommen? Für die Miete, den Strom, das Auto, die Beiträge für die Rente und die Versicherungen und last, but not least für gesunde Nahrungsmittel, für Obst und Gemüse?

Eine Antwort auf diese Frage ist ganz einfach: In vielen Fällen kann man mit Arbeit, die man wirklich will, bedeutend besser Geld verdienen als mit der bisher im Trott verrichteten Arbeit in irgendeinem Job, die man über sich ergehen lässt wie eine „milde Krankheit“. Wenn ich im ICE unterwegs bin, spricht mich oft jemand an und berichtet mit feucht glänzenden Augen, dass sich sein Leben total gewendet habe: dass er im „ersten Leben“ dem allgegenwärtigen Druck nachgegeben und sich sehr bemüht habe, ein braver Steuerberater zu sein, sich dabei aber nicht nur elend gefühlt, sondern auch miserabel verdient habe – eben weil seine Arbeit ihn letztlich bis an die Substanz strapazierte. Im „zweiten Leben“ sei er Musiker geworden. Das sei absolut das, was er schon immer wollte, und jetzt sei er nicht nur gesünder und fröhlicher und sprühe geradezu vor Lebenslust – jetzt verdiene er auch unvergleichlich mehr.

Man könnte ganze Bücher mit solchen Beispielen füllen. (In Wahrheit gibt es solche Bücher jeodch schon zuhauf.) Dass man mit Arbeit, die man leidenschaftlich liebt, in der grausam-realen Welt tatsächlich tüchtiger Geld verdienen kann als mit Arbeit, die man nur erträgt – das stimmt, und es ist zweifellos von Bedeutung. Allerdings ist das nur die glitzernde Silberverpackung. Arbeit, die man nicht leiden kann, macht einen schwach und krank. Sie vergrämt einen so, dass sogar die eigenen Kinder einen zu hassen beginnen; und wenn man an der Arbeit, die man macht, vertrocknet, dann vertrocknet alles andere auch.

Diesen Zustand könnte man als ein Merkmal unserer Kultur bezeichnen. Die Arbeit hat so vieles aus unserem Lebensraum verdrängt, dass man unbedingt eine Arbeit braucht, die man leidenschaftlich liebt. Solche Arbeit nicht zu haben, bedeutet eigentlich schon, dass man den Versuch, sich selbst zum Menschen zu entwickeln, aufgegeben hat; denn was man an Kraft, an Lebenssaft in sich hat, wird im Normalfall von unserem Jobsystem gnadenlos bis auf den letzten Tropfen herausgepresst, und übrig bleibt die Schale, einem ausgetrockneten Brunnen vergleichbar. Deshalb steht es im Mittelpunkt der Neuen Arbeit, jeden Einzelnen persönlich anzusprechen in seiner brunnentiefen Einsamkeit und zu versuchen, ihn aus dem bloßen Schein des Lebens hinaus in ein wirkliches Leben zu begleiten.

Obwohl die Neue Arbeit nicht locker lässt bei der Konzentration auf das Besondere in jedem Einzelnen, fehlt bei diesem Bild etwas, um wirklich rund zu sein, nämlich nichts weniger als die zweite Hälfte: Neue Arbeit ist bewusst und mit aller Kraft auch ein politisches Konzept. Nach einer langen Vorbereitungszeit, mit der wir durchaus gerechnet hatten, wird sie jetzt schrittweise auch auf dieser Ebene realistisch und praxisnah. Das zu zeigen ist eine der wichtigsten Beiträge dieses Buches. Diese zweite Hälfte ist bisher zu kurz gekommen. Viele haben in der Neuen Arbeit hauptsächlich etwas zu ihrer eigenen Erbauung finden wollen und in dem 2004 erschienenen Buch Neue Arbeit – Neue Kultur nur eine Anleitung dafür gesehen, wie man einen Job finden könnte, der einem mehr entspricht.

Das Unterfangen Neue Arbeit, das vor dreißig Jahren initiiert wurde, war von allem Anfang an beides – höchst persönlich und individuell, aber gleichzeitig ebenso politisch und sozial. Man könnte sagen, dass gerade in dem Zusammenkommen dieser zwei Hälften ein Hauptcharakteristikum der Neuen Arbeit liegt, eine Qualität, in dem sie sich von vielem anderen unterscheidet.

In diesem Vorwort möchte ich das Politische besonders unterstreichen. Und zwar auch deshalb, weil Stella Friedland dieser Seite gerechter wird als andere und sie es verstanden hat, diesen Aspekt aus dem Schatten zu holen und angemessen ins Licht zu rücken. In ausgiebigen Gesprächen über viele Wochen hinweg haben Stella Friedland und ich immer wieder neu nach dem Ausschau gehalten, was den Kern der Neuen Arbeit ausmacht. Und dankenswerter Weise hat Stella Friedland es dann auf sich genommen, aus alldem ein kleines dichtes Buch zu formen. Es ist ihr aus ihrer eigenen Biographie und dem davon bestimmten Denken heraus gelungen, dem Leser mit Kunst und Charme und manchmal auch mit sanftem Drängen ein viel helleres Verständnis von dem größeren, dem umfassenderen politisch-sozialen Anliegen der Neuen Arbeit zu vermitteln.

Das Absterben des Sozialismus war der Ur-Impuls, der bei der Geburt der Neuen Arbeit Pate stand. Der Kern des sich weiterentwickelnden Komplexes von Vorschlägen und Ideen ist der Versuch, einen Weg zu zeigen – von der Seite des Verfalls hinüber auf die andere Seite eines durchdachten Aufstiegs. Das Aufzeigen dieses Weges hat Ähnlichkeit mit dem Überqueren eines Bachs: Hier ist der erste und da der zweite und dort der dritte Stein, auf den man treten kann.

Bei vielen Lesungen und Vorträgen und Diskussionen blieb das Verständnis für die politische Hälfte der Neuen Arbeit blass und fahl. Eine der schönsten Seiten des hier von uns vorgelegten Buches ist, dass es diesen Mangel korrigiert. Wenn Sie, lieber Leser, zu der großen Mehrheit derer gehören, die klar und deutlich sehen, dass die Welt nach unten geht, Sie als Antwort darauf aber nur ermüdet mit dem Kopf wackeln können, weil Sie weder ein Aufhalten und schon gar nicht eine Umkehr, eine Wende nach oben, für überhaupt noch denkbar halten, dann, bitte, halten Sie Ihren Kopf mit beiden Händen fest – und lesen Sie dieses Buch!

 

Frithjof Bergmann

7. Mai 2007

Einleitung

Was ist Arbeit?

Industrialisierung, Automatisierung und Computerisierung haben Millionen Menschen die Arbeit genommen. Der Produktionsprozess kommt ohne sie aus. Der Mensch ist überflüssig geworden. Zur Jahrtausendwende waren weltweit über eine Milliarde Menschen ohne Arbeit – ohne Lohnarbeit wohlgemerkt. Denn das, was wir heute unter Arbeit verstehen, eine Beschäftigung, die bezahlt wird und die Lebensgrundlage bildet, gibt es in der Menschheitsgeschichte erst seit einem eher kleinen Zeitabschnitt. Und dieser Zeitabschnitt ist vorbei. Lohnarbeit für alle wird es niemals mehr geben.

Ist das nun eine große Tragik in der Menschheitsgeschichte?

Ist es ein großes Unglück, dass der Mensch für den industriellen Produktionsprozess nicht mehr gebraucht wird? Ist es tatsächlich notwendig und erstrebenswert, jeden Tag dieselbe stupide Tätigkeit auszuführen?

Vielleicht stellt uns die Tatsache, dass unmöglich alle Menschen ihren Lebensunterhalt mit bezahlter Arbeit verdienen können, nur vor die Herausforderung, Arbeit wieder anders zu definieren. Anders über Arbeit nachzudenken.

Eine „Neue Arbeit“ zu erfinden.

Was ist Neue Arbeit?

Die Antwort auf diese Frage findet sich auf 420 Buchseiten unter dem Titel Neue Arbeit – Neue Kultur. Der „Erfinder“ der Neuen Arbeit, der amerikanische Philosoph Frithjof Bergmann, macht es seinen Lesern, die die Dinge gern klar vor sich sehen, dabei nicht leicht: „Wenn man mich persönlich auffordert, das, was ich unter Arbeit verstehe, in ein oder zwei Sätzen zu formulieren, so lehne ich das stets strikt und entschieden ab.“

Und an anderer Stelle betont er: „Die Neue Arbeit ist komplex, überraschend und schwer zu begreifen.“ Lassen Sie sich davon nicht abschrecken. Zwar ist das Konzept der Arbeit eine komplex verschachtelte Zusammenstellung einzelner Bestandteile. Doch sie ist für jeden Menschen leicht zu verstehen.

Also, los geht’s!

Die „alte Arbeit“ sieht wie gesagt so aus: man arbeitet und wird von jemandem dafür bezahlt, dem diese Arbeit irgendwie nützlich ist. Der erhaltene Lohn dient dem Lebensunterhalt und dem Erhalt der Fähigkeit, diese Arbeit zu verrichten. Nur sehr wenige Menschen mögen ihre Arbeit wirklich. Frithjof Bergmann spricht von einer „milden Krankheit“, die man erduldet und auf deren baldiges Ende man täglich, monatlich, jährlich hofft. Es gibt noch immer jede Menge Arbeit, die den Geist unterfordert, Kräfte verschleißt, Nerven und Gesundheit zerstört.

Und diese „milde Krankheit“, für die es Geld gibt, ist dabei, auszusterben. Eigentlich kein großes Drama, würden nicht viele Menschen den Zustand, ganz ohne Arbeit zu sein, als noch schlimmer empfinden als die milde Krankheit.

1. Selbstversorgung

Neue Arbeit kann jeder. Sie beginnt mit der Selbstversorgung. Arbeit, die man für sich selber tut. Entweder um Geld zu sparen, um weniger von der milden Krankheit erdulden zu müssen oder auch um ganz und gar ohne Lohnarbeit klarzukommen. Und wenn man es dann geschafft hat, seinen Lebensunterhalt zu sichern, dann kommt das Gegenteil der milden Krankheit: die wirklich, wirklich gewollte Arbeit. Eine Arbeit oder ein Tun, das man liebt, das man aus tiefstem Herzen und mit größter Leidenschaft tun möchte, das ungeahnte körperliche und seelische Energien freisetzen kann. Jene Tätigkeit, bei der man, statt auf der Uhr nach dem Feierabend zu schielen, Raum und Zeit vergisst. Eine Arbeit, die jeden zum Künstler machen kann und in einen Schaffensrausch versetzen. Eine Arbeit, die den eigenen Fähigkeiten entspricht, die Herausforderung und Berufung zugleich ist. Ein Privileg, das bisher nur sehr, sehr wenigen Menschen zuteil geworden ist und schon immer der größte Traum aller Sozialromantiker war.

Selbstversorgung, als Voraussetzung dieser Art von Arbeit, meint dabei nicht das ländliche Dasein mit Kuh und Schaf auf der Weide, selbstgestricktem Pullover und selbst eingekochter Marmelade.

Die Selbstversorgung im 21. Jahrhundert nutzt alle technischen Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts. Frithjof Bergmann nennt das High Tech Self Providing, „High-Tech-Eigen-Produktion“, abgekürzt HTEP. Er ist ständig auf der Suche nach den neuesten technologischen Entwicklungen, die der Selbstversorgung dienlich sein können. Durch kluges Vernetzen und geschickte Anwendung sollen diese Technologien garantieren, dass einerseits niemand Hühner auf dem Balkon halten und andererseits niemand auf die Annehmlichkeiten des modernen Lebens verzichten muss, ohne dabei dem Konsumwahn zu verfallen.

Was so einfach klingt, könnte eine enorme gesellschaftsverändernde Kraft entfalten. Wenn mehr Menschen die vorhandene Erwerbsarbeit unter sich aufteilen würden, gäbe es weniger Arbeitslose. Das setzt natürlich den Willen und die allgemeine Bereitschaft zur Um- und Neuverteilung der Arbeit voraus.

Wenn man sich entschließen könnte, sein Leben und seine materiellen Ansprüche zu überdenken und neu zu ordnen, auf Überflüssiges zu verzichten und das, was man für ein gutes Leben braucht, gemeinsam mit anderen selbst herzustellen, könnten wir vielleicht dem Konsumterror und der Überflussgesellschaft, den falschen Bedürfnissen und der ökologischen Katastrophe entkommen.

2. Entdecken, was man wirklich, wirklich will

Ja, und wenn dann noch alle Menschen die Möglichkeit hätten, etwas zu tun, wozu sie sich berufen fühlen, etwas, das sie wirklich gut können, das ihnen und anderen größter Anlass zur Freude wäre – unser Dasein hätte Sinn.

So weit die einfachste Formel für die Neue Arbeit.

Die Neue Arbeit ist also ein Mittel, die Gesellschaft zu verändern, ist der Versuch, eine neue Wirtschaftsform zu etablieren, in der nicht mehr die großen Konzerne die Märkte beherrschen, sondern in der durch die Selbstversorgung eine „Ökonomie von unten“ entsteht. In dieser neuen Wirtschaftsform geht es nicht um Profit, sondern um die wahren menschlichen Bedürfnisse. Diese neue, direkte, konzentrische, dezentrale, solidarische Ökonomie ist die Grundlage für die wirklich, wirklich gewollte Arbeit.

Es gibt so viele Gründe, das alte Lohnarbeitssystem zu ersetzen, wie es Kapitel im Sündenregister dieses Systems gibt. Es hat viele Menschen abhängig und unfrei gemacht. Es hat dazu geführt, dass Arbeit als etwas Lästiges empfunden wird, als etwas, das uns das Leben schwermacht. Es hat dazu geführt, dass Millionen Menschen überflüssig geworden sind. Sie ernähren sich von Almosen oder vegetieren vor sich hin. Kein Wunder, dass die Ersten von ihnen mitten in Europa beginnen, die Vorstädte anzuzünden.

Die Angst vor Terrorismus hält den Westen in Atem. Sehr viel Zündstoff könnte aber auch darin liegen, dass die wirklich im Elend Lebenden erkennen, wer mit Hilfe ihrer Rohstoffe ein Leben im Überfluss führt.

Die „Neue Arbeit“ ist ein derartig universelles Konzept, dass sie sowohl in den westlichen Industrieländern als auch in der Dritten Welt die Dinge zum Besseren wenden könnte. In der Dritten Welt kann Eigenproduktion die Lebensqualität der im Elend Lebenden deutlich verbessern, im Westen bedeutet die Entscheidung für die Neue Arbeit Einsicht und Umkehr und eine Abkehr vom materiell ausgerichteten Lebensstil. Und für all diejenigen, die darauf bestehen, dass man eine Sache, die es gibt, auch definieren können muss:

➤ Neue Arbeit ist

• eine Utopie, wie durch ein neues Verhältnis zur Arbeit einige die Menschheit existentiell bedrohende Probleme

• des 21. Jahrhunderts gelöst werden könnten;

• die Utopie von einer Gesellschaft, in der Arbeit den Menschen nicht mehr belastet, sondern ihm Freude und Bedürfnis ist;

• eine Art, zu arbeiten, die Kreativität und Produktivität wieder freisetzt, die Utopie einer Gesellschaft, in der es wieder Freude und Fröhlichkeit gibt;

• eine Art, die Gesellschaft zu organisieren, in der es keine „überflüssigen“ arbeitslosen Menschen mehr gibt;

• eine Art, zu produzieren, die Schluss macht mit der sinn- und ziellosen Warenproduktion, die Ressourcen verschleißt und unser Leben überflutet;

• eine Art, zu leben und zu arbeiten, die Schluss macht mit der Fremdbestimmung durch eine profitorientierte Wirtschaft und einer ihr hörigen Politik;

• ein Konzept, das zum Ausgleich zwischen Erster und Dritter Welt beitragen könnte;

• ein offenes Konzept, das es jedem ermöglicht, Teile davon zu erproben, neu zu kombinieren, zu ergänzen und zu modifizieren.

Beim Schreiben des Buches hat Frithjof Bergmann doch gelegentlich seine Verweigerungshaltung gegenüber Definitionen aufgegeben und einige Sätze geschrieben, die man durchaus als Definition lesen kann:

„Das Ziel der Neuen Arbeit besteht nicht darin, die Menschen von der Arbeit zu befreien, sondern die Arbeit so zu transformieren, damit sie freie, selbstbestimmte, menschliche Wesen hervorbringt. Nicht wir sollten der Arbeit dienen, sondern die Arbeit sollte uns dienen. Die Arbeit, die wir leisten, sollte nicht all unsere Kräfte aufzehren und uns erschöpfen. Sie sollte uns stattdessen mehr Kraft und Energie verleihen, sie sollte uns bei unserer Entwicklung unterstützen, lebendigere, vollständigere, stärkere Menschen zu werden.“

Frithjof Bergman hat in den vergangenen 20 Jahren das Konzept der Neuen Arbeit immer wieder weiterentwickelt. Das Konzept, so wie es jetzt vorliegt, ist aus einem langen Prozess heraus entstanden, aus einem Wechselspiel von Projekten, den dabei gewonnenen Erfahrungen, erneutem Nachdenken und Modifizierungen des Konzepts. Wenn man so will, ein Wechselspiel von Theorie und Praxis.

Das Ziel der Neuen Arbeit sind jedoch nicht nur die Projekte, wie sie Frithjof Bergmann in den letzten Jahren weltweit mit vorangetrieben hat. Es geht in jeder Hinsicht um eine neue Gesellschaft.

In dieser Gesellschaft, in der Menschen sich mehr daran orientieren, das zu tun, was sie wirklich tun möchten, gäbe es mehr Freude und Fröhlichkeit, mehr Kreativität und Erfindungsreichtum. Eine Gesellschaft, in der ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung einer „sinnvollen Beschäftigung“ nachgeht, hätte erheblich mehr Energieressourcen zur Verfügung als in der heutigen Zeit, wo in den Köpfen vieler Menschen Hoffnungslosigkeit und Resignation herrschen.

Wie fangen wir damit an?

Von unten.

Als Graswurzelbewegung.

Im Kopf.

Weiterdenken.

Weitersagen.

Der Feminismus hat dazu geführt, das Verhältnis der Geschlechter zueinander zu überdenken. Die ökologische Bewegung hat dazu geführt, dass wir über unser Verhältnis zur Natur gründlich nachgedacht haben. Die Neue Arbeit will der Arbeit einen neuen Stellenwert im menschlichen Leben geben.

Frithjof Bergmann und seine Mitstreiter und Sympathisanten sind seit Jahren damit beschäftigt, immer neue Beispiele dafür zu finden, wie Selbstversorgung möglich ist, ohne Verzicht üben zu müssen. Anders gesagt, sie sind auf der Suche nach Möglichkeiten, wie man dem Teufelskreis namens Arbeiten-müssen-um–Geld-zu-verdienen entkommen könnte.

Dabei ist er einer Tendenz auf die Spur gekommen, die bei der Etablierung der Neuen Arbeit sehr hilfreich sein könnte. Der Trend geht dank Mikroelektronik und Informationstechnologien dahin, immer mehr Dinge selber zu machen. Die Konsumenten werden selbst zu Produzenten. Zum Beispiel bei der Erzeugung von Solarenergie oder dem Ausdrucken digitaler Bilder. Oder der Mitarbeit an einer Open-Source-Software. Oder dem Mitschreiben an einer digitalen Enzyklopädie. Oder, perspektivisch, bei der Nutzung des Personal Fabricators.

Im Sinne der Wiederaneignung der Produktionsmittel bekommt eine sehr alte Utopie noch einmal eine Chance. Dem Sozialismus lag das Marx’sche Konzept der angeeigneten Produktionsmittel zugrunde. Es hat nicht funktioniert. Nicht als Revolution, nicht als Diktatur des Proletariats, nicht durch die Enteignung der Besitzenden. Vielleicht funktioniert es ohne das große ideologische Getöse und ohne Gewalt. Einfach weil es die bessere Idee ist, für die man keine revolutionäre Klasse braucht, sondern nur den Mut, sein Leben zu ändern, und ein paar Gleichgesinnte. Weil die „wieder angeeigneten Produktionsmittel“ ein autonomes, von den gegenwärtigen gesellschaftlichen Zwängen befreites Leben möglich machen. Weil sie die Globalisierung und die Macht der weltbeherrschenden großen Konzerne unterlaufen können.

 

Die Neue Arbeit ist eine Idee, die Menschen verbinden kann. Jeder hat die Möglichkeit, mit der Neuen Arbeit zu beginnen, besser geht es in Gemeinschaften. Wenn Menschen sich bei der Selbstversorgung vernetzen, zum Zwecke der Teilung von Erwerbsarbeit oder bei dem Erkenntnisprozess des wirklich, wirklich Wollens.

Ja, aber …

Genau. Es gibt Arbeit, die keinem menschlichen Bedürfnis entspricht. Wird es jemanden geben, der wirklich, wirklich Müll sortieren will? Die Kanalisation reinigen? Wer zahlt dann noch Steuern? Was wird aus dem Staat? Wie bekommt man Rente? Wie kann man sich krankenversichern?

Darauf antwortet der Philosoph, wie es ihm seine Profession gebietet: „Für mich geht es darum, eine Utopie in die Welt zu setzen. Ich habe nicht die Vorstellung, dass sich das genau so umsetzen lässt wie in meiner Theorie. Meine Absicht ist also die Verbreitung einer Idee. Ich will nur den Samen streuen, und an vielen verschiedenen Plätzen soll der Samen aufgehen. Das Bisherige ist nur der Auftakt zu einem Vorspiel für eine Ouvertüre, begleitet von der Hoffnung, dass viele unterschiedliche Menschen in vielen Ländern diesen Anfang weiterentwickeln.“

Dieses Buch gibt einen Überblick über das Konzept, wie es von Frithjof Bergmann auf 420 Seiten Neue Arbeit – Neue Kultur entworfen wurde. Im Interviewteil stellen wir die Erfahrungen derjenigen vor, die sich für Neue Arbeit interessieren, über Neue Arbeit nachdenken oder Projekte organisieren.

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