Schriften und Traktate

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Ein höchst geistreicher Schriftsteller, der aber seine militärischen Kenntnisse nur aus Homer und Virgil geschöpft hat, scheint den Schwedenkönig zu tadeln, weil er sich nicht an die Spitze der Flüchtlinge stellte, die Lewenhaupt zum Dnjepr führte. Den Grund dafür sieht er in dem Wundfieber, an dem der König damals litt und das nach seiner Behauptung den Mut schwächt. Ich erlaube mir aber zu entgegnen, daß ein solcher Entschluß passend sein mochte, als man noch mit blanker Waffe kämpfte. Heutzutage jedoch fehlt es der Infanterie nach einer Schlacht fast stets an Pulver. Die schwedische Munition war bei der Bagage geblieben, und diese war vom Feinde erbeutet worden. Wäre also Karl XII. so toll und eigensinnig gewesen, an der Spitze der Flüchtlinge zu bleiben, die weder Pulver noch Lebensmittel hatten (weshalb sich beiläufig die festen Plätze ergeben müssen), so hätte der Zar bald die Genugtuung gehabt, den so sehnlichst erwarteten Bruder Karl eintreffen zu sehen. Der König hätte also auch bei voller Gesundheit unter so verzweifelten Umständen nichts Klügeres tun können, als seine Zuflucht bei den Türken zu suchen. Herrscher sollen zweifellos die Gefahr verachten, aber ihr Stand nötigt sie auch, sich sorgfältig vor Gefangennahme zu hüten, nicht um ihrer selbst willen, sondern wegen der verhängnisvollen Folgen, die daraus für ihre Staaten erwachsen. Die französischen Schriftsteller sollten sich erinnern, wie nachteilig für ihre Nation die Gefangennahme Franz' I. war. Frankreich spürt noch heute ihre Wirkungen. Der Mißbrauch der Käuflichkeit der Ämter, der damals zur Beschaffung des Lösegeldes für den König eingeführt werden mußte, ist ein Denkmal, das immerfort an jene schimpfliche Epoche erinnert.

In einer Lage, die jeden anderen überwältigt hätte, zeigte sich unser flüchtiger Held noch immer darin bewunderungswürdig, wie er nach Auswegen aus dem Unglück suchte. Während seines Rückzuges sann er auf Mittel, die Pforte gegen Rußland aufzustacheln. So wollte er sein Mißgeschick selbst dazu benutzen, um sein Los wieder zu wenden. Allerdings sehe ich mit Betrübnis, wie er sich in der Türkei zum Höfling des Großherrn erniedrigt und um tausend Beutel bettelt. Welcher Eigensinn oder welch unbegreifliche Hartnäckigkeit, im Lande eines Fürsten zu bleiben, der ihn nicht mehr dulden wollte! Ich wünschte, man könnte aus seiner Geschichte den romanhaften Kampf von Bender auslöschen. Wieviel Zeit ging da unten in Bessarabien in Wahnhoffnungen verloren, während der Hilferuf Schwedens und das Pflichtgefühl den König zur Verteidigung seiner Lande aufforderten, die in seiner Abwesenheit sozusagen verwaist waren und seit einiger Zeit ringsum von den Feinden verheert wurden.

Die Pläne, die man ihm seit seiner Rückkehr nach Pommern zuschreibt und die manche auf Rechnung von Görtz setzen, erscheinen mir so ausschweifend, so seltsam, so wenig der Lage und Erschöpfung seines Landes angemessen, daß man mir zur Schonung seines Ruhmes gestatten möge, sie mit Stillschweigen zu übergehen.

Der an Erfolgen und Mißerfolgen so reiche Krieg war von Schwedens Feinden begonnen worden. Karl war also gezwungen, sich ihrer Angriffe zu erwehren, und im Zustande berechtigter Verteidigung. Seine Nachbarn kannten ihn nicht und griffen ihn an, weil sie ihn wegen seiner Jugend geringschätzten. Solange er Glück hatte und furchtgebietend erschien, beneidete ihn Europa. Sobald aber das Glück ihn verließ, fielen die verbündeten Mächte über ihn her, um ihn auszurauben. Hätte unser Held ebensoviel Mäßigung wie Mut besessen, hätte er seinen Triumphen selbst ein Ziel gesetzt und sich mit dem Zaren verständigt, solange es noch in seiner Hand lag, Frieden zu schließen, er hätte die Mißgunst seiner Neider erstickt. Nun aber, wo er ihnen nicht mehr furchtbar erschien, wollten sie sich mit den Trümmern seines Reiches vergrößern. Doch Karl war in seiner Leidenschaft keiner Mäßigung fähig. Er wollte alles ertrotzen und über andere Herrscher despotisch schalten. Er wähnte, Könige bekriegen und entthronen sei eins.

In allen Büchern über Karl XII. finde ich prachtvolle Lobpreisungen seiner Mäßigkeit und Enthaltsamkeit. Trotzdem hätten zwanzig französische Köche, tausend Weiber in seinem Gefolge, zehn Schauspielerbanden bei seiner Armee seinem Lande nicht ein Hundertstel soviel geschadet wie sein brennender Rachedurst und die ihn beherrschende maßlose Ruhmbegierde. Beleidigungen wirkten auf sein Gemüt so lebhaft und stark, daß die letzte Kränkung stets den Eindruck der vorhergehenden völlig auslöschte. Begleitet man ihn an der Spitze seiner Heere, so sieht man die verschiedenen Leidenschaften, die seine unversöhnliche Seele so gewaltsam durchtobten, sozusagen eine nach der anderen aufblühen. Erst bedrängt er den König von Dänemark heftig; dann verfolgt er den König von Polen bis aufs äußerste; bald wendet sich sein ganzer Haß gegen den Zaren; schließlich hat sein Groll sich einzig auf König Georg I. von England geworfen. Er vergißt sich so weit, daß er den Todfeind seines Landes ganz aus den Augen verliert, um dem Phantom eines Gegners nachzujagen, der es nur gelegentlich oder besser gesagt, zufällig mit ihm verdarb.

Faßt man die verschiedenen Charakterzüge dieses eigenartigen Königs zusammen, so findet man, daß er mehr tapfer als geschickt, mehr tätig als klug, mehr seinen Leidenschaften unterworfen als seinem wahren Vorteil zugetan war. Ebenso kühn wie Hannibal, aber weniger schlau, mehr dem Pyrrhus als Alexander ähnlich, glänzend wie Condé bei Rocroy (1643), Freiburg (1644) und Allersheim (1645), aber niemals mit Turenne zu vergleichen, noch so bewundernswert wie dieser in den Schlachten bei Gien (1652), in den Dünen unweit Dünkirchen (1658), bei Kolmar und besonders in seinen beiden letzten Feldzügen.

Welchen Glanz auch die Taten unseres berühmten Helden verbreiten, man darf ihm doch nur mit Vorsicht nachahmen. Je mehr er blendet, desto geeigneter ist er, die leichtfertige, brausende Jugend irrezuführen. Ihr kann man nicht genug einschärfen, daß Tapferkeit ohne Klugheit nichts ist und daß ein berechnender Kopf auf die Dauer über tollkühne Verwegenheit siegt. Ein vollkommener Feldherr müßte den Mut, die Ausdauer und die Tatkraft Karls XII., den Blick und die politische Klugheit Marlboroughs, die Pläne, Hilfsmittel und Fähigkeiten des Prinzen Eugen, die List Luxemburgs, die Klugheit, Methode und Umsicht Montecuccolis mit der Gabe Turennes, den Augenblick zu erfassen, vereinigen. Aber ich glaube, dieser stolze Phönix wird nie erscheinen. Man behauptet, Karl XII. habe sich an Alexander gebildet. Trifft das zu, so hat Karl XII. den Prinzen Karl Eduard geschaffen. Sollte es der Zufall fügen, daß dieser einen anderen hervorbringt, so kann das höchstens ein Don Quichote sein.

Aber, wird man sagen, mit welchem Rechte wirfst du dich zum Richter der berühmtesten Krieger auf? Hast du, großer Kritiker, denn selbst die Lehren befolgt, die du so freigebig erteilst? Ach nein! Ich kann hierauf nur das eine antworten: Fremde Fehler fallen uns auf, aber die eigenen übersehen wir.

Die Generalprinzipien des Krieges und ihre Anwendung auf die Taktik und Disziplin der preußischen Truppen

Die von mir geführten Kriege haben mir Gelegenheit zu gründlichem Nachdenken über die Grundsätze der großen Kunst gegeben, die so viele Reiche emporgebracht oder zerstört hat. Die große römische Disziplin besteht nur noch bei uns. Folgen wir auch darin dem Beispiel der Römer, daß wir den Krieg zum Gegenstand unseres Studiums und den Frieden zur steten Übung machen.

Ich habe es also für nützlich gehalten, Euch meine Betrachtungen mitzuteilen, Euch, die Ihr nach mir den größten Anteil am Kommando habt und denen schon eine Andeutung meiner Gedanken genügen muß, Euch endlich, die Ihr in meiner Abwesenheit nach meinen Grundsätzen zu handeln habt.

In diesem Werke habe ich meine eigenen Betrachtungen mit denen vereint, die ich in den großen Schriften der größten Feldherren fand, und ein Ganzes daraus gemacht, das ich auf die Ausbildung unserer Truppen angewandt habe.

Ich schreibe nur für meine Offiziere. Ich rede nur von dem, was auf den preußischen Dienst anwendbar ist, und fasse keine anderen Feinde ins Auge als unsere Nachbarn; denn beide Worte sind leider zum Wechselbegriff geworden. Ich hoffe, meine Generale werden durch die Lektüre dieses Werkes mehr als durch alles, was ich ihnen mündlich sagen könnte, überzeugt sein und erkennen, daß die Disziplin unseres Heeres die Grundlage für den Ruhm und die Erhaltung des Staates ist. Wenn sie sie unter diesem Gesichtspunkt betrachten, werden sie eifriger denn je die Ordnung bei den Truppen in voller Kraft aufrechterhalten, damit man nicht von uns sagen kann, wir hätten die Werkzeuge unseres Ruhmes in unseren Händen stumpf werden lassen. Es ist schön, sich Ruhm erworben zu haben. Es sei aber auch fern von uns, in sträflicher Sicherheit einzuschlafen. Vielmehr müssen wir von langer Hand die Mittel vorbereiten, zu deren Gebrauch uns Zeit und Umstände Gelegenheit geben werden.

Ich setze bei allen nachfolgenden Betrachtungen meine Reglements für die Armeen voraus, die gleichsam der Katechismus meiner Offiziere sind, und handle in dieser Schrift nur von dem, was den Heerführer angeht und was das Größte und Schwierigste an der Kriegskunst ist.

Vorzüge und Mängel der preußischen Truppen

Unsere Truppen erfordern von ihren Führern unendlichen Fleiß. Bei steter Wahrung der Disziplin müssen sie mit größerer Sorgfalt unterhalten und besser ernährt werden als vielleicht alle übrigen Truppen Europas.

Unsere Regimenter bestehen zur Hälfte aus Landeskindern, zur Hälfte aus Söldnern. Die letzteren, die kein Band an den Staat fesselt, suchen bei jeder Gelegenheit wegzulaufen. Darum ist es sehr wichtig, die Desertion zu verhüten. Einige unserer Generale meinen, ein Mann sei nur ein Mann und der Verlust eines Einzelnen sei ohne Einfluß auf das Ganze. Das mag für andere Armeen zutreffen, aber nicht für die preußische. Desertiert ein ungeschickter Kerl und wird er durch einen anderen Tölpel ersetzt, so ist das einerlei. Geht aber der Truppe ein Soldat verloren, den man zwei Jahre gedrillt hat, um ihm die nötige körperliche Gewandtheit beizubringen, und wird er schlecht oder gar nicht ersetzt, so hat das auf die Dauer schlimme Folgen. Hat man doch gesehen, wie durch die Nachlässigkeit der Offiziere im Kleinen ganze Regimenter zugrunde gerichtet worden sind. Ich selbst habe solche gesehen, die durch Desertion ganz erstaunlich zusammenschmolzen. Derartige Verluste schwächen die Armee; denn die Zahl macht stets viel aus. Haltet Ihr also nicht die Hand darauf, so verliert Ihr Eure besten Kräfte und seid nicht imstande, sie zu ersetzen. Es gibt zwar Menschen genug in meinem Staate, aber ich frage Euch, ob viele den Wuchs haben wie unsere Soldaten? Und wenn auch, sind sie dann gleich ausgebildet?

 

Es ist also eine wesentliche Pflicht jedes Generals, der eine Armee oder ein einzelnes Korps kommandiert, der Desertion vorzubeugen. Nicht weniger Sorgfalt erfordert die Erhaltung der Disziplin. Man wird vielleicht sagen: dafür werden schon die Obersten sorgen! Aber das genügt nicht. Bei einer Armee muß alles bis zur Vollkommenheit getrieben werden, und man muß erkennen, daß alles, was geschieht, das Werk eines Einzigen ist. Der größte Teil einer Armee besteht aus nachlässigen Leuten. Sitzt der Heerführer ihnen nicht beständig auf den Hacken, so gerät die ganze kunstvolle und vollkommene Maschine sehr bald in Unordnung, und er verfügt nur noch in der Idee über eine wohldisziplinierte Armee. Man muß sich also daran gewöhnen, unaufhörlich zu arbeiten. Wer das tut, den wird die Erfahrung lehren, daß dies notwendig ist und daß alle Tage Mißbräuche abzustellen sind. Sie entgehen nur denen, die sich nicht die Mühe geben, darauf zu achten.

Diese beständige, mühsame Arbeit scheint zwar hart, aber ein Heerführer, der sie leistet, sieht sich dafür reichlich belohnt. Welche Erfolge kann er doch mit so beweglichen, tapferen, gut disziplinierten Truppen über den Feind erringen! Ein Heerführer, der bei anderen Völkern für verwegen gälte, tut bei uns nur, was den Regeln entspricht. Er kann alles wagen und unternehmen, was Menschen zu vollbringen vermögen.

Was läßt sich nicht mit so gut disziplinierten Truppen unternehmen! Die Ordnung ist der ganzen Armee zur Gewohnheit geworden. Die Pünktlichkeit ist bei Offizieren und Mannschaften so weit getrieben, daß jeder schon eine halbe Stunde vor der bestimmten Zeit fertig ist. Vom Offizier bis auf den letzten Gemeinen redet keiner, aber alle handeln, und der Befehl des Heerführers wird prompt befolgt. Versteht er also nur richtig zu kommandieren, so kann er der Ausführung seiner Befehle sicher sein. Unsere Truppen sind so behend und beweglich, daß sie im Handumdrehen sich in Schlachtordnung aufstellen. Bei der Schnelligkeit ihrer Bewegungen können sie fast niemals vom Feind überfallen werden. Wollt Ihr ein Feuergefecht führen: welche Truppen feuern so schnell wie die preußischen? Die Feinde sagen, man stände vor dem Rachen der Hölle, wenn man unserer Infanterie gegenüberstände. Gilt es, nur mit dem Bajonett anzugreifen: welche Infanterie rückt besser als sie, mit festerem Schritt und ohne Schwanken dem Feinde zu Leibe? Wo findet man mehr Haltung in den größten Gefahren? Muß man schwenken, um dem Feind in die Flanke zu fallen, es ist im Augenblick geschehen und ohne die geringste Mühe zustande gebracht.

In einem Lande, wo der Militärstand der vornehmste ist, wo die Blüte des Adels in der Armee dient, wo alle Offiziere Leute von Stand und die Landeskinder, nämlich Söhne von Bürgern und Bauern, Soldaten sind, muß unter den Truppen auch Ehrgefühl herrschen. Und es herrscht in hohem Maße. Ich habe selbst gesehen, daß Offiziere lieber fallen als zurückweichen wollten. Offiziere wie Soldaten dulden unter sich keine Leute, die Schwachheit gezeigt haben, was man in anderen Armeen gewiß nicht gerügt hätte. Ich habe schwer verwundete Offiziere und Soldaten gesehen, die ihren Posten nicht verlassen und sich nicht zurückziehen wollten, um sich verbinden zu lassen.

Mit solchen Truppen könnte man die ganze Welt bezwingen, wären die Siege ihnen nicht ebenso verderblich wie ihren Feinden. Denn man kann mit ihnen alles unternehmen, wenn man nur Lebensmittel genug hat. Marschiert Ihr, so kommt Ihr den Feinden durch Schnelligkeit zuvor. Greift Ihr einen Wald an, so werft Ihr den Gegner hinaus. Stürmt Ihr gegen einen Berg an, so verjagt Ihr die Verteidiger von den Höhen. Laßt Ihr feuern, so richtet Ihr ein Blutbad an. Laßt Ihr die Kavallerie angreifen, so gibt es ein Gemetzel, bis der Feind vernichtet ist.

Da aber die Güte der Truppen allein nicht genügt und ein ungeschickter Heerführer alle diese großen Vorzüge zunichte machen könnte, so will ich im folgenden von den Eigenschaften eines Feldherrn reden und die Regeln vorschreiben, die ich teils auf eigene Kosten lernte oder die großen Feldherren uns hinterließen.

Feldzugspläne

Sobald man einen Krieg vorhat, werden Feldzugspläne entworfen. Da die Nachbarn eines Fürsten gewöhnlich seine Feinde sind, so wollen wir als solche die Russen, die Sachsen und vor allem die Österreicher ansehen. Politik und Kriegskunst müssen sich beim Entwerfen der Feldzugspläne die Hand reichen. Man muß die Stärke des Herrschers kennen, mit dem man Krieg führt, dessen Bundesgenossen und das Land, das den Schauplatz Eures Ruhmes oder Eurer Schande bilden wird. Was die Truppenzahl betrifft, so muß es Euch genügen, wenn Ihr 75 000 Mann gegen 100 000 ins Feld stellen könnt. Was die Bundesgenossen des Feindes angeht, so schont man entweder die Mächte, die er um Hilfe angeht, oder man erdrückt sie, bevor sie ihre Kräfte mit den anderen vereinen können. Das Land, wohin man den Krieg tragen will, muß Euch so genau bekannt sein, wie einem Schachspieler das Schachbrett.

Im allgemeinen taugen alle Kriege nichts, bei denen wir uns zu weit von unseren Grenzen entfernen. Hat man doch alle Kriege, die andere Völker in dieser Weise geführt haben, unglücklich enden sehen! Karls XII. Ruhm ging in den Einöden von Pultawa unter. Kaiser Karl VI. vermochte sich in Spanien nicht zu behaupten, ebensowenig die Franzosen in Böhmen (1742). Alle Feldzugspläne, die auf weite Vorstöße angelegt sind, müssen also als schlecht verworfen werden.

Zur Verteidigung entwirft man andere Pläne als zum Angriff.

Ein Plan, der ausschließlich auf Verteidigung hinausläuft, taugt nichts. Er zwingt Euch zum Beziehen von festen Lagern; der Feind umgeht Euch, und da Ihr nicht zu kämpfen wagt, zieht Ihr Euch zurück. Der Feind umgeht Euch wieder, und beim Schluß der Rechnung findet sich, daß Ihr durch Euren Rückzug mehr Gelände einbüßt als durch eine verlorene Schlacht. Auch schmilzt Eure Armee durch Desertion mehr zusammen als durch den blutigsten Kampf. Eine so ausschließliche Defensive, wie ich sie hier meine, ist wertlos; denn bei ihr ist alles zu verlieren und nichts zu gewinnen. Einem solchen Verhalten ziehe ich also die Kühnheit des Heerführers vor, der lieber zur rechten Zeit eine Schlacht wagt; dann hat er alles zu hoffen, und selbst im Unglücksfall bleibt ihm immer noch das Mittel der Defensive.

Ein offensiver Feldzugsplan erfordert genaue Prüfung der feindlichen Grenzen. Nach gründlicher Erwägung, wo man den Angriff beginnen will, bestimmt man entsprechend den Versammlungsort der Armee und sorgt endlich für die Lebensmittel.

1. Offensivpläne

Der größeren Klarheit halber will ich meine Grundsätze an Beispielen erläutern und Angriffspläne gegen Sachsen, Böhmen und Mähren entwerfen.

Gilt es Sachsen anzugreifen, so muß man sich der Elbe bemächtigen. Für den Anfang des Unternehmens wäre Halle der bequemste Versammlungsort der Armee. Das Hauptdepot müßte in Halle sein, das Hauptmagazin in Magdeburg. Ein Feldherr, der sich nicht mit genug Lebensmitteln versieht, würde bald aufhören, ein Held zu sein, auch wenn er sonst größer als Cäsar wäre. Die Versorgung der Magazine muß man einem redlichen, verschwiegenen und geschickten Manne anvertrauen. Man versieht sich mit Mehl für ein ganzes Kriegsjahr, und die Armee selbst führt für drei bis vier Wochen Mehl mit sich. Ihr laßt eine Besatzung in Halle und achtet darauf wohl, daß der Feind Euer Magazin nicht durch Verräterei beschädigt. Hält der Feind stand, so müßt Ihr ihm eine Schlacht liefern, damit Ihr Eure Operationen weiter vortreiben könnt. Siegt Ihr, so schreitet Ihr zur Belagerung von Wittenberg. Damit macht Ihr Euch zum Herrn der Elbe, die Euch Eure Lebensmittel zuführen soll, rückt an ihr entlang bis Dresden vor und bemächtigt Euch dieser Hauptstadt. Zugleich muß man sich folgende Fragen stellen: Setzt sich der Feind bei Meißen fest, wie kann ich ihn dann umgehen? Oder besetzt er die Kesselsdorfer Höhen, mit welchem Manöver kann ich ihn von da vertreiben? Ihr werdet dann auf den Gedanken kommen, entweder rechterhand zu marschieren und ihn zu umgehen, oder ein Detachement über die Elbe zu werfen und die Altstadt von Dresden anzugreifen. Dadurch kann der Gegner zum Rückzug gezwungen werden, oder man muß sich zum Angriff entschließen, wie der Fürst von Anhalt.

Habe ich Absichten auf Böhmen, so untersuche ich die ganze schlesische Grenze und finde dort vier Pässe, die wichtiger sind als die anderen.

Der erste liegt nach der Lausitz zu, der zweite bei Schatzlar, der dritte bei Braunau, und der vierte führt aus der Grafschaft Glatz über Rückers und Reinerz stracks nach Königgrätz. Der bei Friedland, also der Lausitzer, taugt nichts; denn in der dortigen Gegend ist kein einziger haltbarer Platz in Schlesien, wo man Magazine errichten könnte. Auch führt dieser Paß nur in einen Winkel von Böhmen, und schließlich ist das Land dort gebirgig, zu Belästigungen geeignet und arm an Lebensmitteln. Der Paß bei Schatzlar hat fast die gleichen Nachteile, und wenn der Feind auf den Höhen hinter der Stadt lagert, so gibt es kein Mittel, ihn anzugreifen oder zu umgehen; denn die Straße nach Goldenöls ist ein schlimmer Engpaß und daher nur benutzbar, wenn kein Feind da ist. Da man ferner beim Heraustreten aus dieser Mördergrube noch am Silvawalde vorbei muß, so würde ich die Straße über Braunau vorziehen. Sie ist von allen, die von Schlesien nach Böhmen fuhren, die bequemste; denn Ihr habt Eure Magazine in Schweidnitz, d. h. in der Nähe, und wenn Ihr von dieser Seite in Böhmen eindringt, deckt Ihr zugleich ganz Niederschlesien, wogegen auf dem Wege von Glatz nach Böhmen nichts gedeckt wird. Außerdem ist die Straße über Braunau auch deshalb besser, weil bei allen Kriegen, die in Schlesien geführt werden, die Oder als Nährmutter der Armee zu betrachten ist. Die Oder fließt aber näher bei Schweidnitz als bei Glatz. Auch sind für unser Proviantfuhrwerk die Wege von Schweidnitz besser als die von Glatz. Da also der Weg über Braunau in jeder Hinsicht der zweckmäßigste ist, muß man ihn zum Angriffspunkt wählen.

Nachdem dies entschieden ist, errichte ich mein Magazin in Schweidnitz unter einer Bedeckung von 2000 bis 3000 Mann. Zugleich bestimme ich ein Korps von 7000 Mann zur Deckung von Oberschlesien nach der Seite von Neustadt und ein anderes von 3000 Mann zur Deckung des oberen Oderlaufes zwischen Kosel und Brieg. Beide Korps sind unerläßlich. Sie decken die linke Flanke von Niederschlesien gegen die Einfälle der Ungarn, die sonst bald Eure Proviantzüge hemmen und alle Maßregeln für die Verpflegung stören würden, die man im Rücken der Armee treffen muß. Beide Korps sind um so weniger gefährdet, als sich das eine nach Neiße, das andere nach Kosel oder Brieg zurückziehen kann.

Es ist schwer, die Art der Operationen in Böhmen zu bestimmen, ohne vorher festgestellt zu haben, worauf es abgesehen ist. Meine Erfahrung hat mir gezeigt, daß Böhmen leicht zu erobern, aber schwer zu behaupten ist. Wer Böhmen unterwerfen will, wird sich allemal täuschen, so oft er den Krieg dorthin trägt. Um es zu erobern, muß man Österreich von der Donau und von Mähren angreifen. Dann fällt dies große Königreich von selbst, und man hat nur Besatzungen hinzuschicken.

Führen wir allein Krieg gegen die Königin von Ungarn, so werden unsere Feldzüge defensiv sein unter der Maske und den äußeren Formen des Offensivkrieges. Ich stütze meine Meinung auf folgendes: Böhmen hat weder verteidigungsfähige Städte noch schiffbare Flüsse. Wir müssen also alle unsere Zufuhren aus Schlesien kommen lassen. Eine Bergkette, die zu Belästigungen wie geschaffen ist, trennt beide Staaten. Man schlage also den Feind, nehme ihm Städte weg – mit alledem hat man noch nichts gewonnen; denn die Städte sind nicht zu halten. Ihr dürft Eure Magazine darin nicht gefährden, und dringt Ihr tiefer in Feindesland ein, so schneiden die Bergpässe Euch von Euren Lebensmitteln, der Feind Euch von Euren rückwärtigen Verbindungen ab, und Ihr lauft Gefahr, daß Eure Armee verhungert. Wie kann man den Winter in einem solchen Lande verbringen? Wie seine Quartiere sichern? Wie den Truppen Ruhe geben, damit sie sich von den Strapazen erholen? Man wird vielleicht sagen: Haben wir nicht den Winter von 1741 auf 1742 in Böhmen verbracht? Zugegeben! Aber wir waren nicht allein dort. Die Franzosen beschäftigten die Österreicher derart, daß diese nicht an uns denken konnten.

 

Alle diese Umstände müssen also den Heerführer bestimmen, sich nach seinen Mitteln zu richten und einen ausführbaren Plan einem glänzenden vorzuziehen. Bei dem ganzen Unternehmen wird aber nichts Großes herauskommen, wofern wir nicht ein bedeutendes Übergewicht über die Österreicher haben. Bei gleichen Kräften jedoch dürfte sich der Feldzug darauf beschränken, daß man auf Kosten des Feindes lebt, solange man kampiert. Währenddessen muß man die ganze schlesische Grenze rein ausfouragieren, um zu verhindern, daß der Feind dort viele Truppen hält, und am Ende des Feldzuges muß man durch die Grafschaft Glatz, wo die Rückzugsstraßen noch am leidlichsten sind, nach Schlesien zurückkehren. Der ganze Landstrich an der schlesischen Grenze, den Ihr im Sommer ausfouragiert habt, wird Euch die Winterruhe sichern.

Will man Mähren angreifen, so sind ganz andere Pläne zu fassen. Drei Straßen führen dorthin: erstens von Glatz über Littau nach Olmütz, zweitens von Troppau über Sternberg, und drittens über Hultschin und Prerau. Ich wähle die über Jägerndorf, Zuckmantel und Sternberg, da sie Neiße am nächsten liegt. Sind meine Streitkräfte den feindlichen gleich, so detachiere ich 7000 bis 8000 Mann gegen Braunau und Schatzlar, um von dorther Niederschlesien zu decken. Diese Truppen leben auf Kosten Böhmens. Tritt der Feind in zu großer Überzahl auf, so finden sie allemal nahe und sichere Zuflucht in Schweidnitz. Ein zweites, noch stärkeres Detachement unter Führung des geschicktesten Offiziers im ganzen Heere schicke ich nach der Jablunka zur Deckung meiner linken Flanke gegen die Ungarn und zur Sicherung meiner Zufuhr und der übrigen Maßregeln, die ich in Oberschlesien für die Verpflegung der gegen Mähren bestimmten Armee treffen muß. Da meine Armee von ihren Lebensmitteln abhängt und diese lediglich von dem an der Jablunka stehenden Korps gedeckt werden, so liegt der Erfolg meiner Pläne in den Händen des Generals, der jenes Korps befehligt.

Nach diesem Plane muß mein Hauptmagazin in Neiße und mein Depot in Troppau sein, und zwar, weil Troppau sich zur Verteidigung einrichten läßt, Jägerndorf aber durchaus nicht. Auch kann Troppau eine ziemlich starke Besatzung fassen, Jägerndorf aber kaum ein Bataillon. In Troppau errichte ich also ein Depot für drei Monate, außer den Lebensmitteln für einen Monat, die ich bei der Armee mitführe. In Sternberg lasse ich Erdwerke auswerfen und Palisaden errichten; denn es ist auf der ganzen Straße der einzige Ort, der meinen Proviantzügen eine Art von Schutz bieten kann. Sind alle diese Vorkehrungen getroffen, so marschiert meine Armee auf Olmütz, und ich nehme 12 Mörser und 24 Feldgeschütze zur Belagerung mit. Alle Überschwemmungen, die der Feind rings um die Festung machen kann, lassen sich ableiten. Außerdem ist das Bett der March nicht tief. Wird also der Feind aus der Nachbarschaft verjagt, so kann sich Olmütz höchstens acht bis zehn Tage nach Eröffnung der Laufgräben halten. Der Angriff findet von Littau her statt.

Ist Olmütz erobert, so werden die Laufgräben zugeschüttet und die Breschen ausgefüllt. Zugleich wird das Magazin von Troppau unter guter Bedeckung nach Olmütz geschafft und durch das Magazin von Neiße wieder aufgefrischt. Alsdann geht man gegen den Feind vor, der sich wahrscheinlich bei Pohrlitz oder Wischau gelagert und dort seine Verluste ersetzt, vielleicht auch Verstärkung erhalten hat. Ihn in den Stellungen, die er einnehmen kann, zu umgehen, ist schwer; denn man muß sich den Rükken nach Olmütz freihalten, um dieses zu decken. Daher muß man den Feind, um Terrain zu gewinnen, womöglich zu einer Schlacht zwingen. Dann wird er sich nach Brunn zurückziehen und dort den letzten Widerstand zu leisten versuchen. Allem Anschein nach wird er dann auf den Höhen hinter dem Spielberg lagern. Das ist der kritischste Punkt des ganzen Feldzuges. Solange sich der Feind in der Nachbarschaft aufhält, wäre die Belagerung von Brunn zu schwierig, und ihn zu vertreiben, wäre auch schwer. Um aber dennoch zum Ziel zu gelangen, bietet sich folgendes Mittel. Man schickt starke Streifkorps nach Österreich, damit das Angstgeschrei der Wiener den feindlichen Heerführer zwingt, ihnen zu Hilfe zu eilen. Räumt der Feind seine Stellung, so muß man ihm auf den Leib rücken, um ihn zu schlagen, und nach errungenem Siege die Belagerung von Brunn vornehmen. Dazu läßt man die Belagerungsartillerie und Lebensmittel für drei Wochen aus Olmütz kommen. Brunn hat wenig zu bedeuten. Die Stadt kann sich acht Tage nach Eröffnung der Laufgräben halten und das Schloß höchstens zwölf Tage.

Ist Brunn genommen, so schiebt man sein Magazin von Olmütz dahin vor, verproviantiert die Stadt wieder und marschiert gegen Znaim und Nikolsburg. Dadurch zwingt man den Feind zum Rückzuge nach Österreich. Obgleich die Österreicher Mähren mit ihrer Armee räumen, werden sie doch ihre leichten Truppen dorthin schicken. Die Anhänglichkeit des Volkes und die Geländebeschaffenheit werden sie durchaus begünstigen. Diese leichten Truppen werden sich zu Eurer Rechten in den Bergen von Kloster Saar bis nach Trebitsch und Eurein und zu Eurer Linken bei Hradschin und Napagedl einnisten. Um sie völlig aus ihren Schlupfwinkeln zu verscheuchen, muß man die Zeit der Winterquartiere abwarten, und da bei Euren guten Erfolgen anzunehmen ist, daß die ungarischen Truppen ihre Absicht auf Oberschlesien aufgegeben haben, so kann man einen Teil des Korps, das ihnen an der Jablunka entgegengestellt war, dann in Mähren verwenden.

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