Über Sinn und Bedeutung

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Gottlob Frege

Über Sinn und Bedeutung

Herausgegeben von Uwe Voigt

Reclam

Hinweis zu dieser E-Book-Ausgabe: Die Originalpaginierung wird in größerem Schriftgrad in eckigen Klammern wiedergegeben, die Paginierung der UB-Ausgabe im kleineren Schriftgrad in eckigen Klammern.

2019 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2021

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-961495-3

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-019582-6

www.reclam.de

Inhalt

  Über Sinn und Bedeutung.

  Zu dieser Ausgabe

  Anmerkungen

  Literaturhinweise

  Kleines Glossar

  Tabelle grammatikalischer Fachbegriffe

  Nachwort

  Danksagung

  Über Gottlob Frege

[5]Über Sinn und Bedeutung.

Von G. Frege.

Die Gleichheit1 fordert das Nachdenken heraus durch Fragen, die sich daran knüpfen und nicht ganz leicht zu beantworten sind. Ist sie eine Beziehung? eine Beziehung zwischen Gegenständen? oder zwischen Namen oder Zeichen für Gegenstände? Das Letzte hatte ich in meiner Begriffsschrift angenommen. Die Gründe, die dafür zu sprechen scheinen, sind folgende: a = a und a = b sind offenbar Sätze von verschiedenem Erkenntniswerte: a = a gilt a priori und ist nach Kant analytisch zu nennen, während Sätze von der Form a = b oft sehr wertvolle Erweiterungen unserer Erkenntnis enthalten und a priori nicht immer zu begründen sind. Die Entdeckung, daß nicht jeden Morgen eine neue Sonne aufgeht, sondern immer dieselbe, ist wohl eine der folgenreichsten in der Astronomie gewesen. Noch jetzt ist die Wiedererkennung eines kleinen Planeten oder eines Kometen nicht immer etwas Selbst-[26]verständliches. Wenn wir nun in der Gleichheit eine Beziehung zwischen dem sehn wollten, was die Namen »a« und »b« bedeuten, so schiene a = b von a = a nicht verschieden sein zu können, falls nämlich a = b wahr ist. Es wäre hiermit eine Beziehung eines Dinges zu sich selbst ausgedrückt, und zwar eine solche, in der jedes Ding mit sich selbst, aber kein Ding mit einem andern steht. Was man mit a = b sagen will, scheint zu [6]sein, daß die Zeichen oder Namen »a« und »b« dasselbe bedeuten, und dann wäre eben von jenen Zeichen die Rede; es würde eine Beziehung zwischen ihnen behauptet. Aber diese Beziehung bestände zwischen den Namen oder Zeichen nur, insofern sie etwas benennen oder bezeichnen. Sie wäre eine vermittelte durch die Verknüpfung jedes der beiden Zeichen mit demselben Bezeichneten. Diese aber ist willkürlich. Man kann Keinem verbieten, irgendeinen willkürlich hervorzubringenden Vorgang oder Gegenstand zum Zeichen für irgend etwas anzunehmen. Damit würde dann ein Satz a = b nicht mehr die Sache selbst sondern nur noch unsere Bezeichnungsweise betreffen; wir würden keine eigentliche Erkenntnis darin ausdrücken. Das wollen wir aber doch grade in vielen Fällen. Wenn sich das Zeichen »a« von dem Zeichen »b« nur als Gegenstand (hier durch die Gestalt) unterscheidet, nicht als Zeichen; das soll heißen: nicht in der Weise, wie es etwas bezeichnet: so würde der Erkenntnißwerth von a = a wesentlich gleich dem von a = b sein, falls a = b wahr ist. Eine Verschiedenheit kann nur dadurch zu Stande kommen, daß der Unterschied des Zeichens einem Unterschiede in der Art des Gegebenseins des Bezeichneten entspricht. Es seien a, b, c die Geraden, welche die Ecken eines Dreiecks mit den Mitten der Gegenseiten verbinden. Der Schnittpunkt von a und b ist dann derselbe wie der Schnittpunkt von b und c. Wir haben also verschiedene Bezeichnungen für denselben Punkt, und diese Namen (»Schnittpunkt von a und b«, »Schnittpunkt von b und c«) deuten zugleich auf die Art des Gegebenseins, und daher ist in dem Satze eine wirkliche Erkenntnis enthalten.

Es liegt nun nahe, mit einem Zeichen (Namen, Wortverbindung, Schriftzeichen) außer dem Bezeichneten, was die [7]Bedeutung des Zeichens heißen möge, noch das verbunden zu denken, was ich den Sinn des Zeichens nennen möchte, worin die Art des Gegebenseins enthalten ist. Es würde danach in unserm Beispiele zwar die [27] Bedeutung der Ausdrücke »der Schnittpunkt von a und b« und »der Schnittpunkt von b und c« dieselbe sein, aber nicht ihr Sinn. Es würde die Bedeutung von »Abendstern« und »Morgenstern« dieselbe sein, aber nicht der Sinn.

Aus dem Zusammenhange geht hervor, daß ich hier unter »Zeichen« und »Namen« irgendeine Bezeichnung verstanden habe, die einen Eigennamen vertritt, deren Bedeutung also ein bestimmter Gegenstand ist (dies Wort im weitesten Umfange genommen), aber kein Begriff und keine Beziehung, auf die in einem anderen Aufsatze näher eingegangen werden soll. Die Bezeichnung eines einzelnen Gegenstandes kann auch aus mehreren Worten oder sonstigen Zeichen bestehn. Der Kürze wegen mag jede solche Bezeichnung Eigenname genannt werden.

Der Sinn eines Eigennamens wird von jedem erfaßt, der die Sprache oder das Ganze von Bezeichnungen hinreichend kennt, der er angehört2; damit ist die Bedeutung aber, [8]falls sie vorhanden ist, doch immer nur einseitig beleuchtet. Zu einer allseitigen Erkenntniß der Bedeutung würde gehören, daß wir von jedem gegebenen Sinne sogleich angeben könnten, ob er zu ihr gehöre. Dahin gelangen wir nie.

Die regelmäßige Verknüpfung zwischen dem Zeichen, dessen Sinne und dessen Bedeutung ist der Art, daß dem Zeichen ein bestimmter Sinn und diesem wieder eine bestimmte Bedeutung entspricht, während zu einer Bedeutung (einem Gegenstande) nicht nur ein Zeichen zugehört. Derselbe Sinn hat in verschiedenen Sprachen, ja auch in derselben verschiedene Ausdrücke. Freilich kommen Ausnahmen von diesem regelmäßigen Verhalten vor. Gewiß sollte in einem vollkommenen Ganzen von Zeichen jedem Ausdrucke ein bestimmter Sinn entsprechen; aber die Volkssprachen [28] erfüllen diese Forderung vielfach nicht, und man muß zufrieden sein, wenn nur in demselben Zusammenhange dasselbe Wort immer denselben Sinn hat. Vielleicht kann man zugeben, daß ein grammatisch richtig gebildeter Ausdruck, der für einen Eigennamen steht, immer einen Sinn habe. Aber ob dem Sinne nun auch eine Bedeutung entspreche, ist damit nicht gesagt. Die Worte »der von der Erde am weitesten entfernte Himmelskörper« haben einen Sinn; ob sie aber auch eine Bedeutung haben, ist sehr zweifelhaft. Der Ausdruck »die am wenigsten convergente Reihe« hat einen Sinn; aber man beweist, daß er keine Bedeutung hat, da man zu jeder convergenten Reihe eine weniger convergente, aber immer noch convergente finden kann. Dadurch also, daß man einen Sinn auffaßt, hat man noch nicht mit Sicherheit eine Bedeutung.

Wenn man in der gewöhnlichen Weise Worte gebraucht, so ist das, wovon man sprechen will, deren [9]Bedeutung. Es kann aber auch vorkommen, daß man von den Worten selbst oder von ihrem Sinne reden will. Jenes geschieht z. B., wenn man die Worte eines Andern in gerader Rede anführt. Die eigenen Worte bedeuten dann zunächst die Worte des Andern und erst diese haben die gewöhnliche Bedeutung. Wir haben dann Zeichen von Zeichen. In der Schrift schließt man in diesem Falle die Wortbilder in Anführungszeichen ein. Es darf also ein in Anführungszeichen stehendes Wortbild nicht in der gewöhnlichen Bedeutung genommen werden.

Wenn man von dem Sinne eines Ausdrucks ›A‹ reden will so kann man dies einfach durch die Wendung »der Sinn des Ausdrucks ›A‹«. In der ungeraden Rede spricht man von dem Sinne z. B. der Rede eines Andern. Es ist daraus klar, daß auch in dieser Redeweise die Worte nicht ihre gewöhnliche Bedeutung haben, sondern das bedeuten, was gewöhnlich ihr Sinn ist. Um einen kurzen Ausdruck zu haben, wollen wir sagen: die Wörter werden in der ungeraden Rede ungerade gebraucht, oder haben ihre ungerade Bedeutung. Wir unterscheiden demnach die gewöhnliche Bedeutung eines Wortes von seiner ungeraden und seinen gewöhnlichen Sinn von seinem ungeraden Sinne. Die ungerade Bedeutung eines Wortes ist also sein gewöhnlicher Sinn. Solche Ausnahmen muß man immer im Auge behalten, wenn man die Verknüpfungsweise von Zeichen, Sinn und Bedeutung im einzelnen Falle richtig auffassen will. [29]

Von der Bedeutung und dem Sinne eines Zeichens ist die mit ihm verknüpfte Vorstellung zu unterscheiden. Wenn die Bedeutung eines Zeichens ein sinnlich wahrnehmbarer Gegenstand ist, so ist meine Vorstellung davon ein aus [10]Erinnerungen von Sinneseindrücken, die ich gehabt habe, und von Thätigkeiten, innern sowohl wie äußern, die ich ausgeübt habe, entstandenes inneres Bild3. Dieses ist oft mit Gefühlen getränkt; die Deutlichkeit seiner einzelnen Theile ist verschieden und schwankend. Nicht immer ist, auch bei demselben Menschen, dieselbe Vorstellung mit demselben Sinne verbunden. Die Vorstellung ist subjectiv: die Vorstellung des Einen ist nicht die des Andern. Damit sind von selbst manigfache Unterschiede der mit demselben Sinne verknüpften Vorstellungen gegeben. Ein Maler, ein Reiter, ein Zoologe werden wahrscheinlich sehr verschiedene Vorstellungen mit dem Namen »Bucephalus« verbinden. Die Vorstellung unterscheidet sich dadurch wesentlich von dem Sinne eines Zeichens, welcher gemeinsames Eigenthum von Vielen sein kann und also nicht Theil oder Modus der Einzelseele ist; denn man wird wohl nicht leugnen können, daß die Menschheit einen gemeinsamen Schatz von Gedanken hat, den sie von einem Geschlechte auf das andere überträgt4.

 

Während es demnach keinem Bedenken unterliegt, von dem Sinne schlechtweg zu sprechen, muß man bei der [11]Vorstellung genau genommen hinzufügen, wem sie angehört und zu welcher Zeit. Man könnte vielleicht sagen; ebensogut, wie mit demselben Worte der Eine diese, der Andere jene Vorstellung verbindet, kann auch der Eine diesen, der Andere jenen Sinn damit verknüpfen. Doch besteht der Unterschied dann doch nur in der Weise dieser Verknüpfung. Das hindert nicht, daß beide denselben Sinn auffassen; [30] aber dieselbe Vorstellung können sie nicht haben. Si duo idem faciunt, non est idem. Wenn zwei sich dasselbe vorstellen so hat jeder doch seine eigene Vorstellung. Es ist zwar zuweilen möglich, Unterschiede der Vorstellungen, ja der Empfindungen verschiedener Menschen festzustellen; aber eine genaue Vergleichung ist nicht möglich, weil wir diese Vorstellungen nicht in demselben Bewußtsein zusammen haben können.

Die Bedeutung eines Eigennamens ist der Gegenstand selbst, den wir damit bezeichnen; die Vorstellung, welche wir dabei haben, ist ganz subjectiv; dazwischen liegt der Sinn, der zwar nicht mehr subjectiv wie die Vorstellung, aber doch auch nicht der Gegenstand selbst ist. Folgendes Gleichniß ist vielleicht geeignet, diese Verhältnisse zu verdeutlichen. Jemand betrachtet den Mond durch ein Fernrohr. Ich vergleiche den Mond selbst mit der Bedeutung; er ist der Gegenstand der Beobachtung, die vermittelt wird durch das reelle Bild, welches vom Objectivglase im Innern des Fernrohrs entworfen wird, und durch das Netzhautbild des Betrachtenden. Jenes vergleiche ich mit dem Sinne, dieses mit der Vorstellung oder Anschauung. Das Bild im Fernrohre ist zwar nur einseitig; es ist abhängig vom Standorte; aber es ist doch objectiv, insofern es mehreren Beobachtern dienen kann. Es ließe sich allenfalls einrichten, daß [12]gleichzeitig Mehrere es benutzten. Von den Netzhautbildern aber würde jeder doch sein eignes haben. Selbst eine geometrische Congruenz würde wegen der verschiedenen Bildung der Augen kaum zu erreichen sein, ein wirkliches Zusammenfallen aber wäre ausgeschlossen. Dies Gleichnis ließe sich vielleicht noch weiter ausführen, indem man annähme, das Netzhautbild des A könnte dem B sichtbar gemacht werden; oder auch A selbst könnte in einem Spiegel sein eignes Netzhautbild sehen. Hiermit wäre vielleicht zu zeigen, wie eine Vorstellung zwar selbst zum Gegenstande genommen werden kann, als solche aber doch dem Betrachter nicht das ist, was sie unmittelbar dem Vorstellenden ist. Doch würde, dies zu verfolgen, wohl zu weit abführen.

Wir können nun drei Stufen der Verschiedenheit von Wörtern, Ausdrücken und ganzen Sätzen erkennen. Entweder betrifft der Unterschied höchstens die Vorstellungen, oder den Sinn aber nicht die Bedeutung, oder endlich auch die Bedeutung. In Bezug auf [31] die erste Stufe ist zu bemerken, daß, wegen der unsichern Verbindung der Vorstellungen mit den Worten für den Einen eine Verschiedenheit bestehen kann, die der Andere nicht findet. Der Unterschied der Uebersetzung von der Urschrift soll eigentlich die erste Stufe nicht überschreiten. Zu den hier noch möglichen Unterschieden gehören die Färbungen und Beleuchtungen, welche Dichtkunst und Beredtsamkeit dem Sinne zu geben suchen. Diese Färbungen und Beleuchtungen sind nicht objectiv, sondern jeder Hörer und Leser muß sie sich selbst nach den Winken des Dichters oder Redners hinzuschaffen. Ohne eine Verwandtschaft des menschlichen Vorstellens wäre freilich die Kunst nicht [13]möglich; wieweit aber den Absichten des Dichters entsprochen wird, kann nie genau ermittelt werden.

Von den Vorstellungen und Anschauungen soll im Folgenden nicht mehr die Rede sein; sie sind hier nur erwähnt worden, damit die Vorstellung, die ein Wort bei einem Hörer erweckt, nicht mit dessen Sinne oder dessen Bedeutung verwechselt werde.

Um einen kurzen und genauen Ausdruck möglich zu machen, mögen folgende Redewendungen festgesetzt werden:

Ein Eigenname (Wort, Zeichen, Zeichenverbindung, Ausdruck) drückt aus seinen Sinn, bedeutet oder bezeichnet seine Bedeutung. Wir drücken mit einem Zeichen dessen Sinn aus und bezeichnen mit ihm dessen Bedeutung.

Von idealistischer und skeptischer Seite ist vielleicht schon längst eingewendet worden: »du sprichst hier ohne Weiteres von dem Monde als einem Gegenstande; aber woher weißt du, daß der Name ›der Mond‹ überhaupt eine Bedeutung hat, woher weißt du, daß überhaupt irgendetwas eine Bedeutung hat?« Ich antworte, daß es nicht unsere Absicht ist, von unserer Vorstellung des Mondes zu sprechen, und daß wir uns auch nicht mit dem Sinne begnügen, wenn wir ›der Mond‹ sagen; sondern wir setzen eine Bedeutung voraus. Es hieße, den Sinn geradezu verfehlen, wenn man annehmen wollte, in dem Satze »der Mond ist kleiner als die Erde« sei von einer Vorstellung des Mondes die Rede. Wollte der Sprechende dies, so würde er die Wendung »meine Vorstellung vom Monde« gebrauchen. Nun können wir uns in jener Voraussetzung freilich irren, und solche Irrthümer sind auch vorgekommen. Die Frage aber, ob wir uns vielleicht immer darin irren, kann [32] hier [14]unbeantwortet bleiben; es genügt zunächst, auf unsere Absicht beim Sprechen oder Denken hinzuweisen, um es zu rechtfertigen, von der Bedeutung eines Zeichens zu sprechen, wenn auch mit dem Vorbehalte: falls eine solche vorhanden ist.

Bisher sind Sinn und Bedeutung nur von solchen Ausdrücken, Wörtern, Zeichen betrachtet worden, welche wir Eigennamen genannt haben. Wir fragen nun nach Sinn und Bedeutung eines ganzen Behauptungssatzes. Ein solcher Satz enthält einen Gedanken5. Ist dieser Gedanke nun als dessen Sinn oder als dessen Bedeutung anzusehen? Nehmen wir einmal an, der Satz habe eine Bedeutung! Ersetzen wir nun in ihm ein Wort durch ein anderes von derselben Bedeutung, aber anderm Sinne, so kann dies auf die Bedeutung des Satzes keinen Einfluß haben. Nun sehen wir aber, daß der Gedanke sich in solchem Falle ändert; denn es ist z. B. der Gedanke des Satzes »der Morgenstern ist ein von der Sonne beleuchteter Körper« verschieden von dem des Satzes »der Abendstern ist ein von der Sonne beleuchteter Körper.« Jemand der nicht wüßte, daß der Abendstern der Morgenstern ist, könnte den einen Gedanken für wahr, den andern für falsch halten. Der Gedanke kann also nicht die Bedeutung des Satzes sein, vielmehr werden wir ihn als den Sinn aufzufassen haben. Wie ist es nun aber mit der Bedeutung? Dürfen wir überhaupt danach fragen? Hat vielleicht ein Satz als Ganzes nur einen Sinn, aber keine Bedeutung? Man wird jedenfalls erwarten [15]können, daß solche Sätze vorkommen, ebensogut, wie es Satzteile giebt, die wohl einen Sinn, aber keine Bedeutung haben. Und Sätze, welche Eigennamen ohne Bedeutung enthalten, werden von der Art sein. Der Satz »Odysseus wurde tief schlafend in Ithaka ans Land gesetzt« hat offenbar einen Sinn. Da es aber zweifelhaft ist, ob der darin vorkommende Name »Odysseus« eine Bedeutung habe, so ist es damit auch zweifelhaft, ob der ganze Satz eine habe. Aber sicher ist doch, daß jemand, der im Ernste den Satz für wahr oder für falsch hält, auch dem Namen »Odysseus« eine Bedeutung zuerkennt, nicht nur einen Sinn; denn der Bedeutung dieses [33] Namens wird ja das Prädicat zu- oder abgesprochen. Wer eine Bedeutung nicht anerkennt, der kann ihr ein Prädicat weder zu- noch absprechen. Nun wäre aber das Vordringen bis zur Bedeutung des Namens überflüssig; man könnte sich mit dem Sinne begnügen, wenn man beim Gedanken stehen bleiben wollte. Käme es nur auf den Sinn des Satzes, den Gedanken, an, so wäre es unnöthig, sich um die Bedeutung eines Satztheils zu kümmern; für den Sinn des Satzes kann ja nur der Sinn, nicht die Bedeutung dieses Theiles in Betracht kommen. Der Gedanke bleibt derselbe, ob der Name »Odysseus« eine Bedeutung hat oder nicht. Daß wir uns überhaupt um die Bedeutung eines Satztheils bemühen, ist ein Zeichen dafür, daß wir auch für den Satz selbst eine Bedeutung im Allgemeinen anerkennen und fordern. Der Gedanke verliert für uns an Werth, sobald wir erkennen, daß zu einem seiner Theile die Bedeutung fehlt. Wir sind also wohl berechtigt, uns nicht mit dem Sinne eines Satzes zu begnügen, sondern auch nach seiner Bedeutung zu fragen. Warum wollen wir denn aber, daß jeder Eigenname nicht nur einen Sinn, [16]sondern auch eine Bedeutung habe? Warum genügt uns der Gedanke nicht? Weil und soweit es uns auf seinen Wahrheitswerth ankommt. Nicht immer ist dies der Fall. Beim Anhören eines Epos z. B. fesseln uns neben dem Wohlklange der Sprache allein der Sinn der Sätze und die davon erweckten Vorstellungen und Gefühle. Mit der Frage nach der Wahrheit würden wir den Kunstgenuß verlassen und uns einer wissenschaftlichen Betrachtung zuwenden. Daher ist es uns auch gleichgiltig, ob der Name »Odysseus« z. B. eine Bedeutung habe, solange wir das Gedicht als Kunstwerk aufnehmen6. Das Streben nach Wahrheit also ist es, was uns überall vom Sinne zur Bedeutung vorzudringen treibt.

Wir haben gesehn, daß zu einem Satze immer dann eine Bedeutung zu suchen ist, wenn es auf die Bedeutung der Bestandtheile ankommt; und das ist immer dann und nur dann der Fall, wenn wir nach dem Wahrheitswerthe fragen. [34]

So werden wir dahin gedrängt, den Wahrheitswerth eines Satzes als seine Bedeutung anzuerkennen. Ich verstehe unter dem Wahrheitswerthe eines Satzes den Umstand, daß er wahr oder daß er falsch ist. Weitere Wahrheitswerthe giebt es nicht. Ich nenne der Kürze halber den einen das Wahre, den andern das Falsche. Jeder Behauptungssatz, in dem es auf die Bedeutung der Wörter ankommt, ist also als Eigenname aufzufassen, und zwar ist seine Bedeutung, falls sie vorhanden ist, entweder das [17]Wahre oder das Falsche. Diese beiden Gegenstände werden von Jedem, wenn auch nur stillschweigend, anerkannt, der überhaupt urtheilt, der etwas für wahr hält, also auch vom Skeptiker. Die Bezeichnung der Wahrheitswerthe als Gegenstände mag hier noch als willkürlicher Einfall und vielleicht als bloßes Spiel mit Worten erscheinen, aus dem man keine tiefgehende Folgerungen ziehen dürfe. Was ich einen Gegenstand nenne, kann genauer nur im Zusammenhange mit Begriff und Beziehung erörtert werden. Das will ich einem andern Aufsatze vorbehalten. Aber soviel möchte doch schon hier klar sein, daß in jedem Urtheile7 – und sei es noch so selbstverständlich – schon der Schritt von der Stufe der Gedanken zur Stufe der Bedeutungen (des Objectiven) geschehen ist.

Man könnte versucht sein, das Verhältniß des Gedankens zum Wahren nicht als das des Sinnes zur Bedeutung, sondern als das des Subjects zum Prädicate anzusehen. Man kann ja geradezu sagen: »der Gedanke, daß 5 eine Primzahl ist, ist wahr«. Wenn man aber genauer zusieht, so bemerkt man, daß damit eigentlich nichts mehr gesagt ist als in dem einfachen Satze »5 ist eine Primzahl«. Die Behauptung der Wahrheit liegt in beiden Fällen in der Form des Behauptungssatzes, und da, wo diese nicht ihre gewöhnliche Kraft hat, z. B. im Munde eines Schauspielers auf der Bühne, enthält der Satz »der Gedanke, daß 5 eine Primzahl ist, ist wahr« eben auch nur einen Gedanken, und zwar denselben Gedanken wie das einfache »5 ist eine Primzahl«. Daraus ist zu entnehmen, daß das Verhältniß [18]des Gedankens zum Wahren doch mit dem des Subjects zum Prädicate nicht verglichen werden darf. [35] Subject und Prädicat sind ja (im logischen Sinne verstanden) Gedankentheile; sie stehen auf derselben Stufe für das Erkennen. Man gelangt durch die Zusammenfügung von Subject und Prädicat immer nur zu einem Gedanken, nie von einem Sinne zu dessen Bedeutung, nie von einem Gedanken zu dessen Wahrheitswerthe. Man bewegt sich auf derselben Stufe, aber man schreitet nicht von einer Stufe zur nächsten vor. Ein Wahrheitswerth kann nicht Theil eines Gedankens sein, sowenig wie etwa die Sonne, weil er kein Sinn ist, sondern ein Gegenstand.

 

Wenn unsere Vermuthung richtig ist, daß die Bedeutung eines Satzes sein Wahrheitswerth ist, so muß dieser unverändert bleiben, wenn ein Satztheil durch einen Ausdruck von derselben Bedeutung, aber anderm Sinne ersetzt wird. Und das ist in der That der Fall. Leibnitz erklärt gradezu: »Eadem sunt, quae sibi mutuo substitui possunt, salva veritate«. Was sonst als der Wahrheitswerth könnte auch gefunden werden, das ganz allgemein zu jedem Satze gehört, bei dem überhaupt die Bedeutung der Bestandtheile in Betracht kommt, was bei einer Ersetzung der angegebenen Art unverändert bliebe?

Wenn nun der Wahrheitswerth eines Satzes dessen Bedeutung ist, so haben einerseits alle wahren Sätze dieselbe Bedeutung, andrerseits alle falschen. Wir sehn daraus, daß in der Bedeutung des Satzes alles Einzelne verwischt ist. Es kann uns also niemals auf die Bedeutung eines Satzes allein ankommen; aber auch der bloße Gedanke giebt keine Erkenntnis, sondern erst der Gedanke zusammen mit seiner Bedeutung, d. h. seinem Wahrheitswerthe. Urtheilen kann [19]als Fortschreiten von einem Gedanken zu seinem Wahrheitswerthe gefaßt werden. Freilich soll dies keine Definition sein. Das Urtheilen ist eben etwas ganz Eigenartiges und Unvergleichliches. Man könnte auch sagen Urtheilen sei Unterscheiden von Theilen innerhalb des Wahrheitswerthes. Diese Unterscheidung geschieht durch Rückgang zum Gedanken. Jeder Sinn, der zu einem Wahrheitswerthe gehört, würde einer eignen Weise der Zerlegung entsprechen. Das Wort »Theil« habe ich hier allerdings in besondrer Weise gebraucht. Ich habe nämlich das Verhältniß des Ganzen und des Theils vom Satze auf seine Bedeutung übertragen, indem ich die Bedeutung eines Wortes Theil der Bedeutung des Satzes genannt habe, wenn das Wort selbst [36] Theil dieses Satzes ist, eine Redeweise, die freilich anfechtbar ist, weil bei der Bedeutung durch das Ganze und einen Theil der andere nicht bestimmt ist, und weil man bei Körpern das Wort Theil schon in anderm Sinne gebraucht. Es müßte ein eigner Ausdruck hierfür geschaffen werden.

Es soll nun die Vermuthung, daß der Wahrheitswerth eines Satzes dessen Bedeutung ist, weiter geprüft werden. Wir haben gefunden, daß der Wahrheitswerth eines Satzes unberührt bleibt, wenn wir darin einen Ausdruck durch einen gleichbedeutenden ersetzen: wir haben aber dabei den Fall noch nicht betrachtet, daß der zu ersetzende Ausdruck selber ein Satz ist. Wenn nun unsere Ansicht richtig ist, so muß der Wahrheitswerth eines Satzes, der einen andern als Theil enthält, unverändert bleiben, wenn wir für den Theilsatz einen andern einsetzen, dessen Wahrheitswerth derselbe ist. Ausnahmen sind dann zu erwarten, wenn das Ganze oder der Theilsatz gerade oder ungerade Rede sind; [20]denn, wie wir gesehn haben, ist die Bedeutung der Worte dann nicht die gewöhnliche. Ein Satz bedeutet in der geraden Rede wieder einen Satz und in der ungeraden einen Gedanken.

Wir werden so auf die Betrachtung der Nebensätze hingelenkt. Diese treten ja als Theile eines Satzgefüges auf, das vom logischen Gesichtspunkte aus gleichfalls als Satz, und zwar als Hauptsatz, erscheint. Aber es tritt uns hier die Frage entgegen, ob denn von den Nebensätzen gleichfalls gilt, daß ihre Bedeutung ein Wahrheitswerth sei. Von der ungeraden Rede wissen wir ja schon das Gegentheil. Die Grammatiker sehen die Nebensätze als Vertreter von Satztheilen an und theilen sie danach ein in Nennsätze, Beisätze, Adverbsätze. Daraus könnte man die Vermuthung schöpfen, daß die Bedeutung eines Nebensatzes nicht ein Wahrheitswerth, sondern gleichartig sei der eines Nennworts oder Beiworts oder Adverbs, kurz eines Satztheils, der als Sinn keinen Gedanken, sondern nur einen Theil eines solchen hat. Nur eine eingehendere Untersuchung kann darüber Klarheit verschaffen. Wir werden uns dabei nicht streng an den grammatischen Leitfaden halten, sondern das zusammenfassen, was logisch gleichartig ist. Suchen wir zunächst solche Fälle auf, in denen der Sinn des Nebensatzes, wie wir eben vermutheten, kein selbständiger Gedanke ist. [37]

Zu den mit »daß« eingeleiteten abstracten Nennsätzen gehört auch die ungerade Rede, von der wir gesehen haben, daß in ihr die Wörter ihre ungerade Bedeutung haben, welche mit dem übereinstimmt, was gewöhnlich ihr Sinn ist. In diesem Falle hat also der Nebensatz als Bedeutung einen Gedanken, keinen Wahrheitswerth; als Sinn keinen Gedanken, sondern den Sinn der Worte »der Gedanke, [21]daß …..«, welcher nur Theil des Gedankens des ganzen Satzgefüges ist. Dies kommt vor nach »sagen«, »hören«, »meinen«, »überzeugt sein«, »schließen« und ähnlichen Wörtern.8 Anders, und zwar ziemlich verwickelt, liegt die Sache nach Wörtern wie »erkennen«, »wissen«, »wähnen«, was später zu betrachten sein wird.

Daß in unsern Fällen die Bedeutung des Nebensatzes in der That der Gedanke ist, sieht man auch daran, daß es für die Wahrheit des Ganzen gleichgültig ist, ob jener Gedanke wahr ist oder falsch. Man vergleiche z. B. die beiden Sätze: »Copernicus glaubte, daß die Bahnen der Planeten Kreise seien« und »Copernicus glaubte, daß der Schein der Sonnenbewegung durch die wirkliche Bewegung der Erde hervorgebracht werde«. Man kann hier unbeschadet der Wahrheit den einen Nebensatz für den andern einsetzen. Der Hauptsatz zusammen mit dem Nebensatze hat als Sinn nur einen einzigen Gedanken und die Wahrheit des Ganzen schließt weder die Wahrheit noch die Unwahrheit des Nebensatzes ein. In diesen Fällen ist es nicht erlaubt, in dem Nebensatze einen Ausdruck durch einen andern zu ersetzen, der dieselbe gewöhnliche Bedeutung hat, sondern nur durch einen solchen, welcher dieselbe ungerade Bedeutung, d. h. denselben gewöhnlichen Sinn hat. Wenn jemand schließen wollte: die Bedeutung eines Satzes ist nicht sein Wahrheitswerth, »denn dann dürfte man ihn überall durch einen andern von demselben Wahrheitswerthe ersetzen«, so würde er zuviel beweisen; ebenso gut [22]könnte man behaupten, daß die Bedeutung des Wortes »Morgenstern« sei nicht die Venus; denn man dürfe nicht überall für »Morgenstern« »Venus« sagen. Mit Recht kann man nur folgern, daß die Bedeutung des Satzes nicht immer sein Wahrheitswerth ist, und daß »Morgenstern« nicht [38] immer den Planeten Venus bedeutet, nämlich dann nicht, wenn dies Wort seine ungerade Bedeutung hat. Ein solcher Ausnahmefall liegt in den eben betrachteten Nebensätzen vor, deren Bedeutung ein Gedanke ist.

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