Rettungskreuzer Ikarus 85: Duell mit dem Unbekannten

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Aus der Reihe: Rettungskreuzer Ikarus #85
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Rettungskreuzer Ikarus 85: Duell mit dem Unbekannten
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Impressum

Eine Veröffentlichung des

Atlantis-Verlages, Stolberg

April 2022


Alle Rechte vorbehalten.

© Dirk van den Boom & Thorsten Pankau


Druck: Schaltungsdienst Lange, Berlin


Titelbild und Umschlaggestaltung: Timo Kümmel

Endlektorat: André Piotrowski


ISBN der Paperback-Ausgabe: 978-3-86402-833-5

ISBN der E-Book-Ausgabe (EPUB): 978-3-86402-834-2


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Prolog

Der Rettungskreuzer Ikarus des Freien Raumcorps wird dafür eingesetzt, in der besiedelten Galaxis sowie jenseits ihrer Grenzen all jenen zu helfen, die sich zu weit vorgewagt haben, denen ein Unglück zugestoßen ist oder die anderweitig dringend der Hilfe bedürfen. Die Ikarus und ihre Schwesterschiffe sind dabei oft die letzte Hoffnung bei Havarien, Katastrophen oder gar planetenweiten Seuchen. Die Crew der Ikarus unter ihrem Kommandanten Roderick Sentenza wird dabei mit Situationen konfrontiert, bei denen Nervenstärke und Disziplin alleine nicht mehr ausreichen. Man muss schon ein wenig verrückt sein, um diesen Dienst machen zu können – denn es sind wilde Zeiten …

Nuncan Dux haute ein weiteres Mal mit dem Verzehrhammer dorthin, wo er den Hauptnervenknoten der Burungu-Gurke vermutete.

»Bleib endlich still liegen, verflixtes Ding!«, murmelte er.

Die Gurke tat ihm den Gefallen und öffnete jetzt auch ihren Schatzsack, sodass Nuncan an den süßen Kern der Frucht gelangen konnte. Zumindest hoffte er, dass er das war. Nicht nur, dass ihm das der Besitzer des Skizar Quaba so versprochen hatte.

Seit den Erlebnissen auf der Guter Glaube und dem mehr als knappen Überleben war Nuncans Lust darauf, gutes Essen aus allen Teilen des erforschten Weltraums zu probieren, zentraler Bestandteil seiner Gesamtgenesung geworden, nicht nur der körperlichen.

Nuncan legte den Hammer weg und griff nach dem in einer Schabspitze zulaufenden Burungu-Löffel. Vorsichtig setze er an und kratze einen ersten, kleinen Span vom Kern der Gurke ab. Er roch daran. Ein Aroma nach Früchten, nach allen Früchten, die er je gekostet hatte, stieg in seine Nase. Er streckte seine Zunge vor und tastete damit den Fruchtspan ab.

»Bei den Alten Völkern

Süße explodierte förmlich auf seiner Zunge. Sie war nicht einfach zuckerig oder wie Honig. Sie war …

»Die Essenz von Süße. Ein unvergleichlicher Geschmack«, sagte eine Stimme schräg hinter Nuncan.

Vor Schreck verschluckte er sich an dem Gurkenstück und hustete wild los.

»Na, na, na. Vorsicht, mein Freund«, sagte die Stimme und etwas Hartes schlug Nuncan auf den Rücken.

»Thorpa?«, stieß Nuncan zwischen zwei keuchenden Atemzügen hervor, ehe er wieder hustete. Thorpa trat in sein Sichtfeld und stellte eine Tasse Tee vor Nuncan ab.

»Trink das, Nuncan.«

Nuncan griff nach dem Gefäß und stürzte es gierig hinunter. Er hustete noch zweimal, dann war der Spuk vorbei.

Thorpa nickte ihm zu.

»Burunguweg. Ein Tee aus den Blättern der Gurke und das Einzige, was das Fruchtfleisch schnell genug auflösen kann. Du bist nicht der Erste, dem es buchstäblich schon einmal im Halse stecken geblieben ist, die Burungu-Gurke zu essen. Wer liest schon Warnhinweise?«

Nuncan blickte verwirrt zu Thorpa.

»Ja, mir auch. Ich dachte, ich bringe dir prophylaktisch einen Tee mit. Aber, bitte, lass dich nicht aufhalten. An der Luft wird die Frucht schnell schal und ungenießbar. Und das wäre bei ihrem Preis doch jammerschade«, sagte das Baumwesen.

Nuncan blickte ihn skeptisch an, nahm dann aber doch einen weiteren Bissen. Diesmal wusste er, was ihn erwartete, und der Eindruck war auch nicht mehr ganz so intensiv. Dennoch hatte er nie vorher so etwas gegessen. Es war, als wüsste die Frucht, wie sie nur für ihn am besten zu schmecken hatte. »Das ist außergewöhnlich«, sagte er schmatzend und machte sich weiter über die Gurke her.

Thorpa wartete, bis Nuncan den Löffel weglegte, sich in seinem Sessel zurücklehnte und glücklich lächelte. »Die Burungu-Gurke ist wahrscheinlich das ungewöhnlichste Gemüse der Galaxis«, kommentierte Thorpa.

»Obst, wolltest du sagen«, erwiderte Nuncan.

»Nein. Biologisch gesehen, ist es ein Gemüse. Zumindest der Teil, der nicht von Nerven durchzogen ist.«

Nuncan verzog das Gesicht. »Musstest du mich daran erinnern?«, fragte er.

»Die Nerven sind das Besondere. Durch sie, also durch die Zellen im Fruchtkern, entsteht erst dieses Geschmackserlebnis. Jeder schmeckt etwas anderes. Kohlenstoffbasierte Lebewesen Süße und Früchte, Methanatmer vielleicht Ammoniak und sonstige wiederum etwas ganz anderes.«

»Wie auch immer. Es war ein unvergesslicher Genuss.«

»Ja und nein. Warte, bis du sie verdaut hast.«

Nuncan runzelte die Stirn. »Wieso?«, fragte er lauernd.

Thorpa wedelte mit den an Zweige erinnernden Gliedmaßen. Eine Geste, die er sich von den Menschen abgeschaut hatte.

»Du wirst es feststellen. Und ich möchte dir die Überraschung nicht nehmen«, sagte er und fügte ein freundliches, leises Lachen hinzu.

»Na toll, jetzt werde ich mich tagelang fragen, was diese Andeutung sollte. Vielen Dank, mein Freund.«

Thorpa sah auf die Uhr, die über der Bar des Restaurants hing.

»Heute Abend. So in etwa fünfeinhalb Stunden. Du musst dich also nicht tagelang damit beschäftigen. Ich verspreche dir, es wird nichts Schlimmes, du wirst sehen. Oder riechen.«

»Jetzt hör doch mit diesen Andeutungen auf und erzähl mir, was passiert«, verlangte Nuncan, doch Thorpa schwieg zu dem Thema.

»Wie geht es dir heute?«, fragte er stattdessen.

Nuncan schmollte ein wenig, doch dann siegte sein freundliches Wesen.

»So weit ganz gut. Körperlich ist wieder alles topfit, sagt Dr. Anande. Er war gar nicht glücklich, als Wernö sich und mich selbst aus der Krankenstation entlassen hat.«

»Da verstehe ich ihn. Normalerweise gehen seine Gäste erst, wenn sie wieder vollständig gesund sind oder auf einen Hospitalplaneten verlegt werden müssen. Du scheinst auch nicht glücklich darüber zu sein. Hatte die Selbstentlassung mit eurem Glauben zu tun?«

Nuncan kannte die Eigenheiten des Pentakka mittlerweile und nahm ihm die persönliche Fragerei nicht übel.

Thorpa war Xenopsychologe und konnte nicht aus seiner Borke. Fremde Kulturen und Wesen faszinierten ihn, mehr noch als ihre Artefakte, die das Baumwesen mit Wonne sammelte und die auch Nuncan Bewunderung und Erstaunen abgerungen hatten, als er Thorpas Kollektion das erste Mal hatte sehen dürfen.

»Nein, hat es nicht. Wernö Tallandar lässt sich ungern in die Karten schauen, selbst von mir, der ich ja eigentlich sein Adept bin. Priester der Galaktischen Kirche müssen wohl so sein.«

»Ihr macht ein großes Geheimnis um eure internen Belange. Zumindest ist sein Verhalten für Fremde wie mich schwer einzuschätzen, obwohl ich Erfahrung mit der Galaktischen Kirche habe.«

Nuncan verschränkte die Arme vor der Brust. »Möchtest du mich aushorchen, Freund Thorpa?«, fragte er.

»Nein, natürlich nicht. Verzeih, wenn ich dich mit meinen Fragen bedrängt haben sollte. Es ist nur so, dass die Galaktische Kirche dem Anschein nach omnipräsent im bekannten Raum ist, aber man nur wenig über ihre Interna weiß. Und naturgemäß fasziniert mich alles, was fremd und geheimnisvoll ist.«

Nuncan nahm die Arme herunter.

»Die Kirche hat in der Tat ein paar Geheimnisse«, sagte er mit leiser Stimme und zwinkerte dabei verschwörerisch.

»Hast du etwas im Auge?«, fragte Thorpa.


Das Universelle ist um uns. Es ist um uns. Das Universelle verbindet uns. Es gibt uns Leben und nimmt uns nach unserem Tod zu sich. Es liebt nicht und es hasst nicht. Es richtet nicht und es belohnt nicht. Das Universelle ist alles.

Unablässig sagte Wernö Tallandar das Gebet im Geiste auf. Die stete Wiederholung ließ ihn langsam in einen Zustand der tiefen Meditation übergehen, die ihm die notwendige Ruhe verschaffte, um die Ereignisse auf der Guter Glaube zu verarbeiten. Immer wieder schreckte er nachts aus einem Albtraum hoch. Manchmal saß er auf der Brücke des Schiffes, schwitzend in seinem Strahlenschutzanzug, gepeinigt von den Schmerzen seiner Verletzungen und dem Verlangen nach einer weiteren Injektion des Aufputschmittels, das ihn bei Bewusstsein hielt.

Er starrte in das grelle Licht der Materiescheibe um das Schwarze Loch, das das Raumschiff und alle darin fast verschlungen hatte. Die Röntgenstrahlung, die von diesem Monster im All ausging, fraß sich in ihn hinein und er spürte, wie seine Zellen nach und nach abstarben.

 

Dann wieder träumte er, Nuncan wäre abgetrieben worden und unrettbar verloren. Und manchmal träumte er von Sonja DiMersi, die ihn und Nuncan unter Einsatz ihres Lebens gerettet hatte. In dem Moment, in dem Wernö klar wurde, dass sie die Frau des Kommandanten der Ikarus war, erwachte er.

Das waren die schlimmsten Träume.

»Offenbar sind Priester nicht gegen romantische Gefühle gewappnet«, sagte er leise und richtete sich auf.

Heute wollte sich die Entspannung nicht einstellen. Unruhe hatte ihn erfasst, weil er und Nuncan immer noch auf Vortex Outpost festsaßen, statt ihre Mission auf Eclair IV weiterzuverfolgen und die Lage der dortigen Gemeinde der Galaktischen Kirche zu sondieren und sie wieder der Kirche anzuschließen.

Bisher war Roderick Sentenza nicht auf seine Bitte eingegangen, sie nach Eclair zu bringen.

Wernö hatte um eine Hyperfunkaudienz bei seinem Prior auf St. Salusa nachgesucht; bisher hatte dieser sich nicht gemeldet.

Wernö stand auf und trank einen Schluck Wasser.

Sein Sprunggelenk schmerzte noch immer. Die medizinischen Kräfte von Vortex Outpost hatten ihr Bestes versucht. Wernö hatte die Behandlung abgebrochen, weil er schnellstmöglich nach Eclair IV wollte. Dass er keine Transportmöglichkeit fand, hatte seine Pläne vereitelt. Sich wieder in die Krankenstation begeben wollte er aber auch nicht.

Er trank noch einmal und nahm eine Schmerztablette.

Ein sanfter Signalton machte ihn auf den Komanschluss aufmerksam. Wernö nahm das Gespräch an.

»Guten Tag, Mr. Tallandar! Hier ist Erik Rack aus der Kommunikationszentrale. Ich habe ein Hyperfunkgespräch für Sie, von Ihrem Prior. Soll ich es durchstellen?«

»Ja, bitte. Unbedingt.«

Das Gesicht des Funktechnikers verschwand vom Bildschirm und wurde durch das asketische Gesicht des Priors ersetzt.

Wernö deutete eine Verbeugung zur Begrüßung an.

»Wernö, mein Sohn. Ich freue mich, dich unter den Lebenden zu sehen. Wie geht es dir?«, fragte sein Vorgesetzter mit einem freundlichen Lächeln.

»Den Umständen entsprechend, Prior. Ich bin voller Ungeduld, mit meiner Mission weitermachen zu können.«

Der Prior lächelte weiter und nickte. »Ganz der Mann, den ich kenne. Immer auf die Mission fixiert. Wie ich hörte, wurden dein Adept und du schwer verletzt und seid ihr nur knapp mit dem Leben davongekommen. Ihr solltet euch noch etwas ausruhen, bevor ihr wieder aufbrecht. Wartet so lange, bis wir euch ein Schiff der Kirche schicken können.«

Wernö schüttelte den Kopf. »Das geht nicht, Prior. Ihr wisst, dass das Multimperium seine gierige Hand nach Eclair IV ausgestreckt hat, wenn man unserer Aufklärung trauen darf. Und das tue ich. Wir haben keine Zeit zu verschenken, bevor sie zu viel Einfluss auf Eclair gewinnen. Ihr wisst, was auf dem Spiel steht!«

Übergangslos verschwand das Lächeln aus dem Gesicht seines Gesprächspartners. »Ist die Leitung sicher?«, fragte er.

»Natürlich. Ich habe eine verschlüsselte Übertragung angefordert und mit meinem eigenen Code autorisiert.«

Der Prior dachte einen Moment nach.

»Du bist dir sicher, dass Eclair IV eine der Trägerwelten ist?«

Wernö nickte langsam und nachdrücklich. »Die Aufzeichnungen sind eindeutig. Eclair IV ist eine der schützenswerten Welten. Es wäre nicht auszudenken, würde sie in die Hände des Multimperiums fallen. Der mögliche Schaden wäre katastrophal, sollte man dort das Geheimnis entdecken.«

Wieder dachte der Prior nach.

Wernö kannte ihn gut genug, um im Gesicht des alten Mannes den Widerstreit abzulesen, der in seinem Inneren vor sich ging.

»Wir dürfen«, sagte er deshalb, »kein Risiko eingehen. Nicht in dieser Zeit. Überall lauern Bedrohungen, bekannt oder unbekannt. Wir müssen Eclair für die Kirche sichern. Um der Alten Völker willen!«

Bei den letzten Worten hatte Wernö unbewusst die rechte Hand zur Faust geballt und auf die linke Handfläche sausen lassen.

Der Prior zuckte zusammen. »So emotional kenne ich dich gar nicht, Wernö. Das Unglück auf der Guter Glaube hat dich wohl mehr mitgenommen, als uns bewusst war. Bist du sicher, dass du einer solchen Mission schon wieder gewachsen bist?«

Wernö atmete tief durch, um seinen Herzschlag zu beruhigen.

»Ja, Prior, das bin ich«, antwortete er schlicht.

»Nun gut. Ich werde mit dem Erzprior sprechen, welche Möglichkeiten es gibt. Wenn du dir sicher bist, dass es ein Tor auf Eclair IV gibt, müssen wir es unter allen Umständen sichern.«

Der Prior nickte Wernö nochmal grüßend zu, dann unterbrach er die Verbindung.

Wernös Anspannung ließ nach. Er legte sich wieder aufs Bett und schloss seine Augen.

Jetzt heißt es erneut warten, dachte er und nahm eine möglichst bequeme Lage ein.

Das Universelle ist um uns. Es ist um uns. Das Universelle verbindet uns. Es gibt uns Leben und nimmt uns nach unserem Tod zu sich. Es liebt nicht und es hasst nicht. Es richtet nicht und es belohnt nicht. Das Universelle ist alles.

Hoffentlich war der Schlaf diesmal traumlos.


»Also«, sagte Thorpa, »Ihr glaubt an alte Völker und das Universum? Habe ich das richtig verstanden?«

Nuncan und er saßen immer noch im Restaurant.

Thorpa hatte sich mittlerweile seinen Spezialstuhl herangeholt und saß mit dem Adepten an einem Tisch, beide ein Getränk vor sich. Es waren nur wenige andere Gäste anwesend, trotzdem bedeutete Nuncan mit einem Zischen und einer entsprechenden Geste, Thorpa solle leiser sein.

»So in etwa, richtig«, flüsterte Nuncan.

»Die Galaktische Kirche sieht sich als Bewahrerin alter Traditionen und alter Geheimnisse. Die Kleriker, Priester, Priore und so weiter müssen schwören, die Geheimnisse zu wahren«, sagte er und machte ein Gesicht, von dem er hoffte, dass es mystisch wirkte.

»Ich bin nicht besonders gut im Lesen der Mimikdetails von Menschen, aber geht es dir nicht gut?«, fragte Thorpa und Nuncan seufzte.

»Alles in Ordnung«, sagte er und beherrschte sich, um nicht beleidigt zu klingen.

»Müsst ihr Adepten denn keinen Schwur leisten und die Geheimnisse der Kirche schützen?«

Nuncan grinste. »Nein. Allerdings sollten wir Adepten auch gar nichts von diesen Geheimnissen wissen.«

»Aha. Aber du weißt davon?«, fragte der Pentakka und raschelte mit seinen zweigähnlichen Extremitäten. Ob vor Verwunderung oder Neugier, konnte Nuncan nicht deuten.

»Doch, doch. Ein paar der Geheimnisse kenne ich schon.«

Nuncan sagte nichts weiter und beobachtete Thorpa. Er spürte, dass der Xenopsychologe vor Neugierde fast platzte. Ein wenig ließ er ihn noch zappeln. Als Thorpa zu unruhig wurde, brach Nuncan sein Schweigen. Er beugte sich über den Tisch und bedeutete seinem Gegenüber, sich zu ihm zu lehnen.

»Weißt du«, flüsterte er, »dass die Alten Völker Artefakte hinterlassen haben?«

Thorpa richtet sich auf. »Natürlich. Schließlich sammle ich so etwas. Ich dachte wirklich, du hättest etwas Spannenderes zu erzählen«, erwiderte er.

Nuncan hörte Enttäuschung mitschwingen. Er lächelte verschmitzt. »Du täuschst dich nicht, mein Freund. Ich habe tatsächlich etwas Spannendes zu berichten. Weißt du, warum wir nach Eclair IV wollten?«

»Nein. Um die dortige Gemeinde zu unterstützen?«

»Auch. Aber auch noch, weil …« Nuncan brach ab und sah einer Gruppe von Drupi zu, die das Restaurant betreten hatte und, sich laut unterhaltend, auf einen Tisch in der Nähe der beiden zusteuerte.

»Weil?«, erinnerte Thorpa ihn, mit der Geschichte fortzufahren.

Nuncan winkte ab und deutete auf die Gruppe.

»Ach, mach dir keine Sorgen. Die unterhalten sich so laut, die kriegen kein Wort mit, das wir hier sprechen«, sagte Thorpa, um Nuncan zu beruhigen.

Nuncan schüttelte den Kopf. »Nein, das Risiko ist zu groß. Ich dürfte dir eigentlich auch nichts verraten.«

»Das ist schade. Ich bin sehr an den Riten und Gewohnheiten anderer Zivilisationen interessiert. Wie sie … ticken. Und natürlich«, setzte er hinzu, »bin ich verschwiegen. Du kannst mir ruhig vertrauen.«

Nuncan konnte die Körpersprache eines Pentakka nicht lesen. Er war sich aber sicher, dass die Körperhaltung des Baumwesens, die es jetzt einnahm, das Äquivalent eines Zurücklehnens mit verschränkten Armen war. Eine Geste, mit der ein Mensch »Siehst du?« signalisiert hätte. Nuncan war mit sich im Widerstreit. Zum einen vertraute er Thorpa. Die beiden hatten sich hier im Restaurant kennengelernt und waren sich, nicht nur wegen der kulinarischen Experimentierfreudigkeit, sofort sympathisch gewesen. Thorpa war jung, ebenso wie Nuncan. Und ähnlich wie der Adept hatte er schon eine Menge erlebt, hatte genauso dem Tod ins Auge geblickt. Und wie Nuncan lebte er fern der Heimat. Noch dazu unter Wesen, die nicht von seiner Art waren. Nuncan wollte ihm nur zu gern erzählen, was er eigentlich nicht erzählen durfte. Andererseits war er auch seinem Priester Wernö Tallandar und der Galaktischen Kirche verpflichtet. Und die forderten Verschwiegenheit und Loyalität.

Nuncan griff nach dem Speisekartenpad. »Wollen wir noch etwas zu essen bestellen? Ich lade dich ein«, sagte er, um Zeit zu gewinnen und sich klar zu werden, wie er reagieren sollte. Er bereute jetzt, überhaupt von Eclair IV angefangen zu haben.

Thorpa ließ die Zweige ein wenig herabhängen. »Du vertraust mir nicht«, sagt er so leise, dass es im Lärm der Drupis fast unhörbar war.

Nuncans Lächeln verblasste. »Doch, natürlich«, beeilte er sich, Thorpa zu versichern. »Es ist nur so, dass einige Geheimnisse der Kirche richtig, richtig … geheimnisvoll sind. Lass mir bitte noch etwas Zeit zu überlegen, was ich dir anvertrauen kann. Ich schätze dich wirklich. Ich möchte dich auch nicht in Gefahr bringen.«

»In Gefahr? Wie das?«, fragte Thorpa erschrocken und Nuncan kannte ihn mittlerweile gut genug, um zu bemerken, dass er wirklich ängstlich war.

»Ich weiß nicht, wie die Galaktische Kirche einige ihrer Geheimnisse so lange vor so vielen Wesen bewahren konnte. Was wäre«, flüsterte er und beugte sich wieder zum Pentakka, »wenn einige Geheimnisse so wichtig wären, dass sie durch drastische Maßnahmen geschützt werden müssten?«

»Drastische Maßnahmen? Was meinst du?«, wollte Thorpa wissen.

Nuncan bewegte den Daumen entlang seiner Kehle und machte damit eine Geste, die der Pentakka kannte und deuten konnte.

Er raschelte wieder mit seinen Zweigen. Dann dachte er kurz nach.

»Du willst mich auf den Arm nehmen, oder?«, fragt er dann.

Nuncan schüttelte den Kopf.


»Erzprior! Wie schön, Sie mal wiederzusehen«, grüßte Sally McLennane und lächelte für ihre Verhältnisse tatsächlich fast echt.

»Direktorin«, antwortete der Drupi, den Sally als Erzprior angeredet hatte.

»Sie sehen blass aus, Exzellenz. Oder liegt das an der Hyperfunkübertragung?«, bemerkte Sally und lachte ein leises, künstliches Lachen. Sie arbeitete an ihrer Außenwirkung, und ein kleines Lächeln oder Lachen sollte auflockernd wirken, hatte man ihr geraten.

»Wie geht es Ihnen, Direktorin?«

»So weit einigermaßen, Exzellenz. Ich hoffe, Ihnen auch?«

Der Drupi nickte würdevoll. »Die Alten Völker behüten mich und das Universelle«, er schlug das Zeichen der liegenden Acht, »gibt mir Seelenfrieden. Was will man mehr?«

Offensichtlich etwas von mir, sonst hättest du mich nicht kontaktiert, dachte Sally mit einem sarkastischen Unterton. Sie hoffte, tatsächlich nur gedacht zu haben.

Der Drupi verzog keine Miene und blickte immer noch würdevoll in die Kamera.

»Ja, mehr kann man sich kaum wünschen«, bestätigte Sally, diesmal hörbar und lehnte sich in ihrem Bürostuhl zurück. Sie führte eine Hand ans Kinn, den Zeigefinger dabei auf die Wange gelegt, und sah abwartend in ihre Kamera.

Einige Sekunden vergingen und schließlich räusperte sich ihr Gesprächspartner.

Kurz bevor es peinlich wurde, verbuchte Sally das als kleinen Sieg für sich. Sie lächelte noch immer, jetzt jedoch, ohne dass ihre Muskeln dabei verkrampften.

 

»Nun, werte Direktorin, wie Sie wissen, hat die Kirche seit der Großen Stille enorme Anstrengungen unternommen, um die verschollenen Welten ausfindig zu machen und wieder an die galaktische Gemeinschaft heranzuführen.«

Und sich dabei gleich zahlreiche Privilegien zu sichern.

»Und dafür ist Ihnen die Gemeinschaft dankbar«, sagte sie mit einem wohlwollenden Unterton.

»Gewiss. Und durch unsere unermüdliche Arbeit und den Einsatz enormer Ressourcen konnten wir so etliche Welten vor dem Rückfall in Barbarei und Not bewahren.«

»Auch das ist richtig, Exzellenz.«

Worauf willst du fette Kröte hinaus?, dachte Sally und spürte, dass sich ein leichtes Sodbrennen ankündigte.

Der Drupi nickte, um die Aussage nochmals zu bestätigen. »Die Schiffe unserer Flotte sind dabei unermüdlich im Einsatz, wenn sie nicht gerade auf einer Werft überholt werden.«

»Auch das ist mir bekannt, Erzprior«, bemerkte Sally und es fiel ihr schwer, sich ihre Ungeduld nicht anmerken zu lassen. Offensichtlich drang doch davon etwas nach außen, denn das wohlwollende Lächeln ihres Gesprächspartners schwand ein wenig.

»Dabei kommt es vor, dass gelegentlich alle Schiffe im Einsatz oder auf einer Werft sind. Insbesondere dann, wenn eines durch ein Unglück beschädigt wurde.«

Und wir der Besatzung dann den Hintern retten müssen.

Sally wollte zu einer Erwiderung ansetzen, doch ihr virtuelles Gegenüber sprach unbeirrt weiter.

»Wie Sie vielleicht wissen, befindet sich einer unserer besten Erkundungspriester auf Vortex Outpost

»Ach ja?«

»Ja. Es handelt sich um Wernö Tallandar, der mit seinem Adepten unverschuldet in Raumnot geriet und von der vortrefflichen Besatzung der Ikarus gerettet wurde. Dieser Priester benötigt nun dringend eine Möglichkeit, sein ursprüngliches Ziel möglichst schnell zu erreichen.«

Sally legte die Hände zu einem Dach zusammen und sah darüber hinweg das Abbild des Erzpriors an. Sie hob eine Augenbraue, schwieg weiter und verkniff sich jeden Kommentar. Sie sah, dass ihr Gesprächspartner auf eine Erwiderung von ihr wartete. Sally behielt stoisch ihre Haltung bei.

Nun komm schon, Dicker. Sag, dass du von mir erwartest, dass wir Taxi für deine Kirche spielen.

Das Schweigen dehnte sich und Sally verstand genug von der Mimik eines Drupis, um das steigende Unbehagen des Erzpriors zu registrieren.

Ich habe viel Zeit, dachte sie. Eigentlich hatte sie die nicht, ihr Terminkalender war wie üblich vollgestopft. Doch die Situation bot die Gelegenheit, sich einen Gefallen der Galaktischen Kirche zu sichern. Gefallen waren zwar eine flüchtige Währung, sie waren trotzdem mit Materiellem nicht aufzuwiegen. Sie würde nicht nachgeben.

Der Drupi räusperte sich.

Ha!, machte Sally innerlich, nach außen zeigte sie keinerlei Reaktion. Sie sah, dass der Widerstand des Drupis schmolz wie Schnee unter der Sonne.

»Wir …«, setzte der Drupi an, hielt dann kurz inne.

Sallys Augenbraue wanderte noch ein paar Millimeter höher.

»Die Galaktische Kirche bittet das Raumcorps offiziell um Hilfe. Wir erbitten, unseren Priester und seinen Adepten zu dem wiederentdeckten Planeten Eclair IV zu bringen«, sprudelte es dann aus ihm heraus. Um diesen Gefallen bitten zu müssen, setzte ihm offensichtlich sehr zu.

Sally beschloss, ihn nicht länger zu quälen. Sie lächelte, diesmal echt. »Nun, unsere Schiffe, insbesondere der Rettungskreuzer Ikarus, sind nahezu ebenso beschäftigt wie die der Galaktischen Kirche. Trotzdem denke ich, wir können einen Transport ermöglichen. Die Entscheidung liegt«, kam sie dem Erzprior zuvor, der sich bereits bedanken wollte, »natürlich bei Kommandant Sentenza. Ich werde ihn kontaktieren und gebe Ihnen morgen Bescheid. Ich möchte Ihre kostbare Zeit nicht über Gebühr beanspruchen, Exzellenz. Ich wünsche Ihnen einen friedlichen Tag!«

Sally unterbrach die Verbindung, bevor der Drupi noch etwas sagen konnte.

Soll er noch ein wenig schmoren. Die Taxifahrt wird teuer, mein lieber Erzprior.


Nuncan saß in seiner Kabine und betete zu den Alten Völkern um Vergebung. Er hatte die Situation mit den lärmenden Drupis im Restaurant ausgenutzt, um sich abzusetzen. Nun fühlte er starke Reue beim Gedanken daran.

Ich hätte Thorpa nicht einfach so sitzen lassen sollen. Wie bin ich nur auf den Gedanken gekommen, ihm weiszumachen, die Galaktische Kirche würde unerwünschte Mitwisser umbringen? Oh, ihr Alten Völker.

Nuncan war fluchtartig aus dem Restaurant geeilt. Nicht ganz rennend, aber sehr dicht davor.

Mehr noch als die Tatsache, seinen Freund belogen zu haben, machte ihm zu schaffen, dass er ebendiesem Freund fast ein Geheimnis der Kirche anvertraut hatte, das er, der Adept Nuncan, in dieser Tiefe gar nicht kennen durfte.

Wieso habe ich damals nicht einfach weggehört, als Wernö mit dem Erzprior darüber gesprochen hat?

Diese Frage geisterte ihm permanent im Kopf herum und legte sich ständig über seine Gebete. Es gelang ihm nicht, sie lange genug aus dem Sinn zu bekommen, um Ruhe zu finden.

Er ging zum Kommunikator und rief das Teilnehmerverzeichnis auf, scrollte einen Moment, dann wählte er den Eintrag von Thorpa aus.

Kurz bevor er den Senden-Button berühren konnte, hielt er inne.

Was soll ich ihm sagen? Mich entschuldigen. Aber wie? Ich habe ihn einfach im Restaurant sitzen lassen.

Nuncan kaute an seiner Unterlippe.

Wenn er Thorpa anrief, musste er eine plausible Erklärung für sein Verhalten vorbringen, eine, die keine unangenehmen Fragen aufwarf. Zum Beispiel danach, ob die Kirche wirklich Killer losschickte, um unliebsame Mitwisser zu eliminieren.

Nuncan gab ein leises Winseln von sich. Selbst an Bord der Guter Glaube, im Angesicht des Todes durch Verstrahlung oder Verschlucktwerden durch ein Schwarzes Loch, hatte er sich nicht so hilflos gefühlt. Jetzt, da er gewissermaßen ein neues Leben gewonnen hatte, wollte er mit aller Macht alles vermeiden, was dieses Leben unangenehm machte.

Brinschweinmist!

Thorpas Kontakt war immer noch aufgerufen und ein Gespräch nur einen Klick entfernt.

Eigentlich habe ich mehr Angst davor, dass Wernö Wind davon bekommt, dass ich über die Tore Bescheid weiß. Er vertraut mir und glaubt an mich. Er wäre sehr enttäuscht.

Nuncan schaltete den Kommunikator aus und setzte sich aufs Bett.

Irgendwann würde er mit Wernö reden müssen.

Nuncan konnte nicht beurteilen, wie groß das Geheimnis wirklich war und ob es noch eine Schicht Geheimnisse darunter gab. Er hatte nur wenige Sätze aufgeschnappt, doch diese Sätze hatten gereicht, um ihm die Wichtigkeit der Tore begreiflich zu machen. Alleine der Name, Phasendimensionstore, klang nach Geheimnis und Gewichtigkeit.

Was auch immer diese Tore darstellten, die Galaktische Kirche bewahrte Stillschweigen darüber und nutzte gewaltige Ressourcen, um dieses Schweigen aufrechtzuerhalten.

Und je länger er darüber nachdachte, umso wahrscheinlicher erschien ihm, dass die Kirche vielleicht zu zu drastischen Maßnahmen der Geheimniswahrung griff.

Nuncans Gedanken kehrten schließlich wieder zu Thorpa zurück. Er und der Pentakka kannten sich erst seit einer Woche. Die sofort erkenntliche Sympathie füreinander war schnell in Freundschaft umgeschlagen.

Fast wie Liebe auf den ersten Blick. Nuncan kicherte kurz, dann machte er eine wegwischende Geste mit der Hand.

Nun brachte ihn die Freundschaft in einen heftigen Konflikt. Er musste sich entscheiden, wen er verraten sollte: die Galaktische Kirche und Wernö mit ihr oder seinen Freund Thorpa, den Pentakka.

Nuncan seufzte.

Auf so etwas bereitet einen niemand vor im Priesterseminar.

Nuncan hatte keine Freunde, hatte auch nie welche gehabt. Wernö Tallandar kam einem Freund noch am nächsten, spätestens seit dem Unglück im All.

Doch Wernö war auch sein Priester und damit sein Vorgesetzter, sein Beichtvater und sein geistiger Beistand.

Das Gefühl, einen Freund zu haben, der weder der Kirche nahestand noch anderweitig in einer Beziehung zu Nuncan, war neu und aufregend. Es machte ihn glücklich. Ein Glück, das nichts mit Glauben oder Ritus zu tun hatte. Es war ein schönes Gefühl.

Nuncan gestand sich ein, dass es etwas war, das er sein ganzes Leben vermisst hatte.

Die Aussicht, dieses Gefühl wieder zu verlieren, flößte ihm genau so viel Angst ein, wie Wernö zu gestehen, dass er eines der tiefsten Geheimnisse der Galaktischen Kirche kannte und sich ihm nicht anvertraut hatte.

Er legte sich auf sein Bett und schloss die Augen. Die überstandene Katastrophe und sein Aufbäumen gegen das sichere Schicksal, an einer Verstrahlung zu sterben, hatten seine mentalen Reserven ziemlich erschöpft. Die Ruhe auf der Station hatte das ein wenig zurückgedrängt, doch die Anspannung, in der er sich nun befand, hatte schnell erodiert, was er sich an Rückhalt wieder aufgebaut hatte. Er presste die Lider fest zusammen. Eine Träne quoll hervor.

Brinschweinmist!


»Auf gar keinen Fall!«, rief Roderick Sentenza und lief hinter seinem Schreibtisch hin und her.

Auf dem Bildschirm seines Kommunikators war Sally McLennane zu sehen, die geduldig darauf wartete, dass Roderick sich beruhigte.

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