Buch lesen: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 608»

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© 1976/2020 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-96688-022-0

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Fred McMason

Aufbruch in die Neue Welt

Sie wollen über den Atlantik – doch der zeigt seine Krallen

Mai 1598.

Als die drei Pilgerschiffe aufbrachen, um den Atlantik zu überqueren, herrschte auf den Galeonen noch fröhliche Stimmung.

Sie wollten in die Neue Welt, jenen vielversprechenden Kontinent, auf dem Sir Walter Raleigh bereits die Kolonie Virginia gegründet hatte.

Es waren ein paar hundert Leute, die mit Kind und Kegel ihre Heimat England für immer zu verlassen gedachten.

„Drüben“ sollte alles besser sein, schöner, herrlicher, sorgloser, ein Land in dem Milch und Honig flossen, in dem jeder ein riesiges Stück Land erhielt, um sich eine neue Existenz aufbauen zu können.

Aber auf diesen drei Auswandererschiffen, das stand schon jetzt fest, würden bald Tränen fließen, Tränen des Kummers, der Sorge und der Verzweiflung, Tränen des Heimwehs und der Angst. Und da war noch etwas: Eine Karavelle folgte dem Konvoi, besetzt mit waghalsigen Abenteurern …

Die Hauptpersonen des Romans:

Robert Granville – der Kapitän der Auswanderer-Galeone „Discoverer“ entpuppt sich schon bei Beginn der Reise als korrupter Hundesohn.

Harris – sein Erster Offizier vertritt eigene Ansichten und fliegt daher in einer dunklen Nacht über Bord.

Kelvin Bascott – der feiste Glatzkopf ist Koch auf der „Discoverer“ und bar jeder Skrupel, wenn er einen Mordauftrag erhält.

Alec Morris – das adelige Bürschchen fühlt sich in seiner Ehre gekränkt und will sich duellieren.

Philip Hasard Killigrew – der Auftrag der Königin, Auswanderer in die Neue Welt zu bringen, schmeckt ihm gar nicht und steht von Anfang an unter einem ungünstigen Stern.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

Philip Hasard Killigrew stand fast unbeweglich auf dem Achterdeck der Schebecke und sah den drei Galeonen nach, die mit dem ablaufenden Ebbstrom themseabwärts segelten. Der kleine Konvoi bewegte sich noch sehr langsam.

Dieser Maimorgen versetzte fast alles in fröhliche Stimmung. Die Bäume an den Themseufern zeigten ihr erstes prächtiges Grün. Die Sonne war vor einer halben Stunde aufgegangen, und der Himmel glänzte in einem kühlen Blau.

Alles in allem war es ein herrlicher Morgen, wie er prachtvoller kaum sein konnte, ein Stimmungsbild, trotz der morgendlichen Frische.

Hasard hatte das Kommando über diesen Konvoi, der in die Neue Welt segeln sollte, um Siedler und Auswanderer hinüberzubringen. Die Königin selbst hatte ihn darum gebeten.

Der Seewolf lauschte wie gebannt einer hellen Stimme, die glockenhell und rein durch den glasklaren Morgen klang. Es war eine Frau, die da sang, aber er konnte sie unter der Vielzahl der Menschen nicht entdecken.

Er wußte nur, daß der Gesang von der „Explorer“ kam, einer Galeone unter Kapitän Amos Toolan, einem dicklichen frömmelnden Gemütsmenschen, den Edwin Carberry als freundliches puritanisches Rübenschwein bezeichnet hatte, als er ihn das erste Mal sah.

Freundliches puritanisches Rübenschwein, dachte Hasard belustigt. Carberry hatte die drei Kapitäne genau richtig eingeschätzt, und zwar auf den ersten Blick. Sie waren auch recht unterschiedlich.

James Drinkwater von der „Pilgrim“ war ein beherrschter, hochgewachsener und gradlinig denkender Mann.

Robert Granville von der „Discoverer“ hingegen war ein undurchsichtiger Kerl, herrschsüchtig, hemmungslos und wahrscheinlich ein korrupter Hundesohn, wenn Hasard ihn richtig taxiert hatte.

Aber das mußte erst die Zukunft ergeben. Er traute Granville jedenfalls nicht über den Weg. Zudem hatte es schon den ersten Ärger gegeben.

„Sie singen das Auswandererlied der Iren“, sagte Ben Brighton. „Es ist eine etwas schwermütige Melodie, aber ein fröhlicher Text. Ich kenne dieses Lied, hab’s schon oft gehört. Aber es klang nie so rein wie von dieser Frauenstimme.“

Hasard nickte ausdruckslos.

„Stimmt. Sie singt wunderbar.“

„Zieh in die Welt, die Welt ist groß und wunderbar“, sang die Frau, „zieh in die Welt und suche dort dein Glück. Ein froher Mut begleiten soll dich immerdar, dann bringt die Sehnsucht dich zur Heimat auch zurück.“

Auf der „Explorer“ wurde laut geklatscht, nachdem das Lied beendet war.

„Hört sich wirklich gut an“, sagte Hasard mit einem leisen Seufzen. „Aber was wissen diese armen Leute schon von der großen Welt? Sie sind nie über London hinausgelangt. Sie sehen nur das gelobte Land vor sich und haben keine Ahnung, was ihnen mit der Überfahrt in ihrer qualvollen Enge noch bevorsteht.“

„Du scheinst heute ganz besonders pessimistisch zu sein, Sir“, sagte Don Juan de Alcazar, der sich ebenfalls auf dem Achterdeck aufhielt. „Das ist doch sonst nicht deine Art.“

„Mir gefällt der Auftrag nicht, aber ich konnte ihn schlecht ablehnen“, erwiderte Hasard. „Pessimismus mag auch dabei im Spiel sein. Ich sehe mehr als dreihundert Menschen, zusammengepfercht wie Vieh auf drei kleinen Galeonen. Männer, Frauen, Kinder, Heranwachsende. Alle sind voller Optimismus, sie freuen sich auf das neue Fleckchen Erde, wo sie hoffen, in Ruhe und Beschaulichkeit leben zu können. Jetzt sieht alles noch rosig aus, erscheint abenteuerlich und neu. Wie aber wird es in etwa drei Wochen aussehen? Oder nur in vierzehn Tagen? Ich soll diese Schäfchen zusammenhalten und darauf achten, daß sie die Neue Welt gesund und munter erreichen. Das ist wahrhaftig keine leichte Aufgabe.“

„Das ist richtig. Noch sind wir auf der Themse“, gab Don Juan zu. „Im Channel sieht es schon wieder ganz anders aus, und wenn wir in den Atlantik segeln, geht es erst richtig los.“

„Und der Atlantik ist nur der Anfang. Wenn er seine Krallen zeigt, sieht es für die Leute schlecht aus.“

Dan O’Flynn unterbrach ihr Gespräch und zeigte mit dem Daumen über die Schulter achteraus.

„Wollte eure Unterhaltung nicht stören, aber wir haben offenbar noch ein weiteres Schiff dazugekriegt. Uns folgt seit dem Ablegen beharrlich eine kleine Karavelle.“

Der Seewolf drehte sich nicht einmal um.

„Das ist mir nicht entgangen. Sie ist eben ausgelaufen wie wir auch, zufällig zur selben Zeit. Sie haben den Ebbstrom genutzt, die günstigste Zeit, um themseabwärts zu segeln. So haben wir es auch getan.“

„Irgend etwas ist merkwürdig an dem Schiff“, beharrte Dan. „Die Kerle darauf sehen recht abenteuerlich aus, gar nicht so wie Seeleute im allgemeinen. Außerdem beobachten sie uns dauernd durch den Kieker.“

„Sollen sie“, sagte der Seewolf achselzuckend. „Möglicherweise sind es Angehörige der Pilger, die Freunde und Bekannte ein Stück auf der Themse begleiten. Um Piraten dürfte es sich wohl kaum handeln, denn die haben nicht viel zu erwarten von den armen Leuten.“

Old O’Flynn starrte etwas finster und mit zusammengekniffenen Augen zu den drei voraussegelnden Galeonen, deren Decks von vorn bis achtern mit Menschen überfüllt waren. Sie standen zusammengedrängt da und blickten abschiednehmend auf ihre Heimat, die sie vermutlich nie wiedersehen würden.

„Diese Reise steht unter keinem guten Stern“, sagte Donegal mehr wie zu sich selbst. „Das soll keine Unkerei sein, aber ich fühle es überdeutlich. Wir werden noch eine Menge Ärger kriegen.“

„Hör auf“, sagte Hasard scharf. „Kaum beginnt eine Reise, da tritt der alte Geisterseher auf den Plan und sieht schwarz. Ich will das nicht mehr hören, verdammt noch mal!“

„Man hört’s an deiner Stimme, daß deine Laune nicht gerade die beste ist“, entgegnete Old O’Flynn. „Du wirkst schon vor Antritt der Reise gereizt und nervös, wenn ich das bemerken darf.“

„Wir haben auch keine leichte Aufgabe vor uns“, sagte der Seewolf mit einem Grollen in der Stimme. „Und dann mußt du zu allem Überfluß noch düster daherreden.“

„Das war nicht dahergeredet, das liegt in der Luft. Ich bin ganz besonders empfänglich dafür.“

Hasard winkte verärgert ab. Er verfluchte sich selbst, daß er heute einen so ausgesprochen lausigen Tag hatte. Er konnte nicht einmal genau sagen, woran das lag, es gab eben solche Tage, da lief einem unerklärlicherweise eine Laus über die Leber. Vielleicht lag es daran, daß ihm die ganze Sache nicht gefiel.

Er hätte sich wohler gefühlt, wie ein Wolf in ein Rudel spanischer Galeonen einzubrechen und Beute zu reißen, als hier auf puritanische Pilger aufzupassen, die mit den allergrößten Erwartungen einem ungewissen Schicksal entgegenfuhren. Es war trotz des schönen Wetters und der allgemein guten Laune eben etwas bedrückend.

„Schon gut, Donegal“, sagte er und versuchte, seiner Stimme einen freundlichen Klang zu geben. „Es war nicht so gemeint. Meine Stimmung wird sich im Laufe des Tages schon bessern, hoffe ich.“

Seine Stimmung besserte sich jedoch nicht, denn in diesem Augenblick erschien einer der drei adligen Narren auf dem Achterdeck, ein etwa fünfundzwanzigjähriger Schnösel, den Hasard nicht ausstehen konnte.

Drei dieser erlauchten Gentlemen hatten sie an Bord. Sie waren auf den besonderen Wunsch der Königin an Bord der Schebecke untergebracht worden, und es hatte gleich zu Anfang mit ihnen Ärger gegeben. Die Gents waren sich natürlich zu fein, um auf den „verwanzten“ Pilgerschiffen zu fahren. Man konnte ihnen auch nicht zumuten, sich mitten unter dem Pöbel und dem gemeinen Decksvolk zu bewegen.

So hatten sie an Bord Quartier gefunden, und ihr Benehmen war nicht gerade das, was man mit gentlemen-like zu bezeichnen pflegte. Die ersten Zusammenstöße mit den Arwenacks hatte es bereits gegeben.

Der Schnösel hieß Alec Morris. Er trug blaue Kniehosen, weiße Strümpfe und eine himmelblaue, bis zur Hüfte reichende Jacke, unter der ein Rüschenhemd hervorlugte. An den Füßen hatte er dunkle Schuhe mit silbernen Schnallen. Sein Gesicht war etwas rundlich, die Augen von einem wässerigen Blau. Sein Gehabe wirkte geziert und überheblich.

Da er auf den Morgengruß verzichtete, nahm Hasard ihn vorerst nicht zur Kenntnis und sah durch ihn hindurch. Offenbar erwartete dieser Affe einen Bückling von der gesamten Mannschaft.

Vielleicht hatte er mal gehört, daß Sir Francis Drake mit auf dem Rücken verschränkten Armen auf dem Achterdeck seines Schiffes hin und her zu gehen pflegte. Anscheinend hielt er das für eine sehr wirkungsvolle oder beeindruckende Pose, denn genau die gleiche Haltung nahm er jetzt ebenfalls ein. Mit etwas verkniffenem Mund marschierte er wie ein Admiral von einer Seite zur anderen. Wer ihn auf den ersten Blick so sah, mußte ihn zweifelsohne für den Kapitän der Schebecke halten.

Old O’Flynn sah ihm mißtrauisch zu und verfolgte argwöhnisch jede seiner Bewegungen. Don Juan runzelte unwillig die Stirn, während Ben Brighton und Dan etwas spöttisch grinsten.

Sie alle taten jedoch vorerst so, als sei er nicht vorhanden.

Von den beiden anderen Gimpeln war nichts zu sehen. Frank Davenport, ein hochverschuldeter Kerl aus adligen Kreisen, ruhte anscheinend noch. Auch Sir William Godfrey, ein älterer Mensch, ebenfalls aus Adelskreisen mit einer rötlichen Säufernase und leicht aufgedunsenem Gesicht, war noch nicht an Deck. Kein Wunder, sie hatten gestern abend noch kräftig einen gezecht.

Der schmächtige Geck marschierte auf und ab und blieb dann plötzlich vor Hasard stehen.

„Die Reise hat also begonnen“, stellte er inhaltsschwer fest. „Nun bleibt natürlich die Frage offen, wie sie ausgeht. Wir befinden uns auf der Themse.“

Das war eine sehr logische und sehr scharfsinnige Feststellung, wie der Seewolf vor sich selbst zugeben mußte. Die Reise hatte begonnen, und sie befanden sich auf der Themse. Sehr klug war das.

Hasard gab keine Antwort. Er drehte sich nur einmal kurz um und warf einen Blick über die Schulter zurück. Die Karavelle folgte ihnen immer noch etwa schräg versetzt im Kielwasser.

„Ich bemerkte soeben, daß die Reise begonnen hat“, sagte der Dandy etwas schärfer. „Und es bleibt noch die Frage offen, wie sich der Verlauf dieser Reise gestalten mag.“

„Die Frage bleibt immer offen“, sagte Hasard kühl, nachdem er sich jetzt doch zu einer Antwort entschlossen hatte. „Und daß die Reise begonnen hat und wir uns auf der Themse befinden, beruht auf der simplen Tatsache, daß wir die Leinen gelöst und die Segel gesetzt haben. Da uns kein anderer Fluß im Augenblick zur Verfügung steht, befinden wir uns logischerweise auf der Themse. Es ist stark zu vermuten, daß die anderen das ebenfalls bemerkt haben.“

Morris sah das unverhüllte Grinsen in den Gesichtern der Männer auf dem Achterdeck und lief rot an. Er ärgerte sich über die Antwort. Er hatte auf seine Feststellung freudige Zustimmung erwartet, doch statt dessen ließ man ihn kühl abfahren.

Er nahm seine Wanderung wieder auf und musterte die Männer mit rotem Kopf. Aber die gaben seine Blicke nur kühl zurück oder sahen ihn gar nicht an.

„Wie lange wird die Überfahrt dauern?“ fragte er nach einer Weile.

„Auch diese Frage wird vorerst noch offen bleiben“, erwiderte der Seewolf. „Der Atlantik ist unberechenbar. Hinzu kommen einige andere Faktoren, die ebenfalls unberechenbar sind.“

„Alles ist berechenbar“, sagte Alec Morris herablassend und mit überheblich klingender Stimme. „Alles, sage ich, auch der Atlantik. Es gibt da gewisse Gesetze, nach denen sich alles berechnen läßt.“

„Dann sollten Sie es doch eigentlich genau wissen, wenn Sie die gewissen Gesetze kennen“, sagte Hasard. „Das Prinzip ist sehr einfach. Sie nehmen die Strecke, die wir vor uns haben und ziehen davon die Strecke ab, die wir jeweils zurückgelegt haben. Nach den gewissen Gesetzen gibt es dann ein logisches und klares Ergebnis.“

Der Dandy winkte geziert ab.

„Das ist das Grundgesetz der Navigation“, erklärte er. „Ich habe mit einem Astronomen gesprochen. Es ist alles sehr einfach. Sie richten den Bug des Schiffes nach Karte und Kompaß aus, visieren gewissermaßen das Ziel an und segeln los. Selbstverständlich erreichen wir dann jeden Punkt, den wir wollen. Ich verstehe gar nicht, daß man soviel Aufhebens um die lächerliche Navigation macht.“

Hasard ließ sich nicht anmerken, daß er sich über die Einfalt dieses lächerlichen Kerls ärgerte. Die anderen hörten inzwischen gespannt zu, warum Navigation so einfach war. Bisher hatte das noch keiner von ihnen gewußt. Aber dieses unausgegorene Bürschchen schien ja eine Menge davon zu verstehen – wenigstens nahm er selbst das an.

Was er dann alles von der Navigation zu berichten wußte, war so haarsträubend, daß sie ihr Grinsen nur mühsam verbargen. Zudem brachte er das in klugscheißerischer und überheblicher Manier vor.

„Sie haben es ja zu erstaunlichen Kenntnissen gebracht“, höhnte Hasard. „Haben Sie studiert?“

„Ein Mann von meiner Intelligenz hat kein Studium nötig“, erklärte Morris von oben herab. „Zu was soll ich studieren, wenn die Gelehrten mir nicht einmal das Wasser reichen können! Das wäre doch sinnlos. Ich handle nur nach den Gesetzen der Logik, weiter nichts. Aber die muß man natürlich erst verstehen.“

„Da sprechen Sie mir aus der Seele. Ihre anfänglichen Äußerungen waren schon absolut logisch.“

„Das ist nun mal meine Art. Äh – da wäre noch etwas: Wie sieht es auf der Reise mit Piraten aus? Ich meine, man hört doch so allerlei.“

„Möchten Sie gern welche kennenlernen, Mister Morris?“

„Ich bin ein wagemutiger Mensch, ein Mann, der das Abenteuer geradezu sucht und natürlich auch immer findet.“

„Weil Sie nach logischen Gesichtspunkten vorgehen“, sagte Hasard mit ernstem Gesicht, worauf der Stiesel nachdrücklich nickte. „Ja, also die Piraten im nördlichen Atlantik, die legen so eine Art Winterschlaf ein und erwachen erst kurz vor Beginn des Sommers. Dann spinnen sie sich in langes Seemannsgarn ein und verbringen die kalten Monate im Ruhezustand. Möglicherweise sind schon ein paar erwacht. Aber das werden wir ganz sicher herausfinden.“

„Ich werde diese Brut mit Stumpf und Stiel ausrotten“, versprach der Jüngling.

Nach dieser heroischen Ankündigung verließ er erst einmal das Achterdeck, um nach den beiden anderen „Gentlemen“ zu sehen.

2.

„Da haben wir uns aber was aufgeladen“, sagte Hasard mit einem entsagungsvollen Blick auf die Themse. „Dieses Würstchen ist nicht nur überheblich und eingebildet. Der Kerl hat auch noch eine große Klappe und versteht von der Welt absolut nichts. Wie stellt der sich wohl eine Überfahrt über den Atlantik vor?“

„Ganz einfach“, sagte Dan O’Flynn feixend. „Er legt den Bug nach Karte und Kompaß aus und segelt los. Und wenn er von der Neuen Welt wieder zurück will, geht es umgekehrt. Wir sollten die Seekarten über Bord werfen und uns diesem hervorragenden Navigator anvertrauen.“

„Das Bürschchen kann nicht mal durch eine Pißrinne segeln, ohne anzuecken oder den richtigen Kurs zu finden“, sagte Old O’Flynn grollend. „Mit dem kriegen wir noch Kummer, und mit den beiden anderen auch. Das sind die gleichen Bastarde wie der Kapitän der ‚Discoverer‘, mit dem wir bereits Ärger hatten.“

„Sieht ganz so aus“, meinte der Seewolf nachdenklich. „Fast muß ich dir recht geben.“

Aus der Kombüse zog ein lieblicher Duft herauf. Es roch nach kroß gebratenem Speck und Eiern. Genauso verführerisch war der Duft nach frisch gebackenem Brot. Sie hatten in London sehr viel eingekauft, um für die lange Reise gerüstet zu sein, denn ein Aufenthalt unterwegs war nicht vorgesehen. Außerdem boten sich nur die Azoren an, und die lagen zu weit südlich. Es hätte eines langen und zeitraubenden Umwegs bedurft.

Hasards Blick fiel auf Mac Pellew, der mir grämlicher Miene über das Deck latschte. Richtig finster sah er heute aus.

Vor der Kombüse blieb er stehen und blaffte hinein: „Zwei Eier, gefälligst bienenwachsweich, eins etwas härter. Dazu Salz und Pfeffer und viel Butter aufs Brot. Die Hafersuppe mit Sirup gesüßt, das Brot nicht zu hart.“

„Und die Affenärsche mit Kabelgarn aus Seide kalfatert, was, wie?“ donnerte der Profos dazwischen. „Was soll der Stuß?“ Er blieb vor Mac stehen und sah ihn drohend an.

Mac Pellew winkelte den Daumen ab und zeigte nach achtern, wo die „Gents“ ihr Quartier hatten.

„Die Overlords wünschen zu frühstücken“, sagte er zornig. „Und mich behandeln sie wie den letzten Arsch. Bring mir das und bring mir jenes! Und nicht zu scharf und nicht zu weich! Bin ich vielleicht der Hoflakai? Die können mich mal, diese Windmacher.“

„Die Obergroßhochlords haben überhaupt nichts zu melden!“ böllerte der Profos weiter. „Und Extrawünsche stehen hier nicht zur Debatte. Wann und was es zu essen gibt, das bestimmst du und der Kutscher, auch, ob die Eier hart oder weich sind. Ist das klar?“

„Mir schon, aber denen nicht. Die nehmen an, ich würde sie von morgens bis abends bedienen.“

Der Profos grinste tückisch.

„Gar nichts wirst du. Wenn es etwas zu essen gibt, dann erscheinen die Kerle gefälligst dort, wo auch die anderen essen. Und wenn ihnen das nicht paßt, dann …“

„Was dann?“

„Dann holt sie der Teufel, und der heißt Carberry. Ich hoffe, richtig gehandelt zu haben, Sir“, sagte er dann zu Hasard.

Der Seewolf nickte. Seine Mundwinkel zuckten ein wenig.

„Sehr richtig, Ed. Jeder hält sich an die üblichen Spielregeln und an die Schiffsordnung. Das gilt für ausnahmslos alle. Wer auf Sonderwünsche besteht, kann jetzt noch aussteigen. Unterwegs dürfte das mit einigen Schwierigkeiten verbunden sein.“

„Du hast es gehört, Mac“, sagte der Profos. „Extrawürste werden nicht gebraten. Wenn die ehrenwerten Gents wieder irgendwelche Wünsche haben, kannst du sie getrost an mich verweisen. Ich bin hier auch für Beschwerden aller Art zuständig, weil ich ein so trostreiches Wesen habe.“

Mac Pellew tat das, was er nur selten einmal tat. Er grinste, und er grinste sogar ein bißchen hinterhältig. Aber weil er beim Grinsen immer wie ein Clown aussah, der in eine Zitrone beißt, fragte Carberry ihn auch gleich besorgt, ob er etwa Zahnschmerzen habe.

„Nein, nein“, versicherte Mac hastig. „Ich mußte nur lachen. Soll ich den ehrenwerten Gents dann eine freundliche Einladung übermitteln?“

„Ja“, sagte der Profos nickend. „Tu das, wenigstens beim ersten Mal, damit sie auch gleich die Spielregeln kennenlernen. Bis jetzt haben die Kerlchen noch rein gar nichts begriffen.“

Mac wollte gerade nach achtern gehen, doch der Gang wurde ihm abgenommen. Sir William Godfrey erschien und steuerte auf Mac und den Profos los.

Godfrey war ein Mann unbestimmbaren Alters mit grauen Haaren und einer dicklichen roten Säufernase. In seinen Kreisen galt er als Spinner und Rappelkopf, der schon immer in die Neue Welt wollte. Unter dem Vorwand, beim Aufbau der neuen Kolonie tatkräftig mitzuhelfen, war er losgezogen, aber auch er hatte nichts anderes im Kopf, als auf der anderen Seite des Atlantiks nach Gold zu suchen, das er dort in großen Mengen zu finden hoffte. Dann würde er einst als reicher Mann nach England zurückkehren, genau wie Frank Davenport und Alec Morris, die alle das gleiche Ziel verfolgten.

Dicht vor den beiden blieb er schnaufend stehen und sah sie an.

„Ich bin ungehalten“, erklärte er anstelle einer Begrüßung. „Und ich muß mich sehr wundern, um das gleich zu sagen. Wir geruhen um diese Zeit ausgiebig zu frühstücken, aber es ist niemand da, der uns bedient, obwohl ich diesen Mann ausdrücklich darauf hingewiesen habe. Offensichtlich sind Sie hier der Schiffsmann, oder wie man das nennt. Stauchen Sie diesen Kerl tüchtig zusammen, mein Lieber, damit er weiß, was er uns in Zukunft schuldig ist.“

„Ich bin zwar nicht der Schiffsmann“, sagte Carberry freundlich, „sondern der Profos, was soviel wie Zuchtmeister bedeutet.“

„Nun, nun“, sagte Sir Williams gnädig, „dann habe ich mich ja an den richtigen Mann gewandt. Züchtigen Sie diesen Kerl also wegen seiner groben Vernachlässigung. Peitschen Sie ihn aus, wie das üblich ist, damit er künftig weiß, welchen Respekt er uns zu erweisen hat.“

Carberry blieb immer noch freundlich. Er nahm den Kerl einfach nicht ernst.

„Bei uns wird niemand ausgepeitscht“, erklärte er. „Und schon gar nicht aus dem läppischen Grund, den Sie eben angeführt haben. Und wie Sie zu frühstücken geruhen, interessiert mich einen Dreck. Hier hält sich jeder an eine bestimmte Ordnung. Das gilt auch für Sie und Ihre ehrenwerten Freunde. Wer sich aber nicht daran hält“, sagte er drohend, „den werde ich mir dann in meiner Eigenschaft als Zuchtmeister vorknöpfen. Sie werden also die unendliche Güte haben, mit Ihren Freunden dort zu speisen, wo es an Bord üblich ist. Dafür haben wir extra einen Raum, eine sogenannte Messe. Wann ist es soweit?“ wandte er sich fragend an Mac Pellew.

„In einer knappen halben Stunde.“

„Empörend!“ rief Sir William aus. „Das muß ich mir nicht gefallen lassen. Wir genießen Vorzugsbehandlung, denn wir entstammen adligen Kreisen. Es ist eine Zumutung für uns, mit dem gemeinen Schiffsvolk an einem Tisch sitzen zu müssen.“

„Für uns ist das eine ebensolche Zumutung“, sagte der Profos grob, „uns das Gewäsch und Gelaber einiger unwissender Kerle anhören zu müssen, die von der Seefahrt keine Ahnung haben und sich einbilden, der Nabel der Welt zu sein.“

Auf Sir Williams Stirn schwoll eine Zornesader. Er blickte den Profos fassungslos und entgeistert an.

„Ich werde mich an den Kapitän wenden!“ keifte er.

„Das ist nicht erforderlich“, erklang Hasards kühle Stimme, der alles mitangehört hatte. „Was mein Profos sagt, das gilt – auch für Sie. Wenn Sie mit meinen Leuten nicht an einem Tisch sitzen wollen, dann essen Sie anschließend in der Messe. Damit ist das dann ein für allemal klargestellt. Sie sind Gäste auf diesem Schiff, und als solche haben Sie sich zu verhalten. Ich war nicht scharf darauf, Sie mitzunehmen. Ich habe es nur aus Gefälligkeit getan.“

„Ich werde mich an eine höhere Instanz wenden!“ rief Sir Williams erbost.

„Der liebe Gott ist da oben“, sagte der Profos trocken. „Aber Sie sollten ihn nicht wegen solcher Lappalien belästigen.“

Sir William platzte fast vor Wut. Er war eine solche „Behandlung“ nicht gewohnt und hatte angenommen, sein bisheriges Leben in Saus und Braus auch hier an Bord, ungehindert fortsetzen zu können – mit der erforderlichen Bedienung selbstverständlich. Diese Kerle dachten jedoch ganz anders darüber.

„Ich werde mich bei Hofe beschweren“, verkündete er laut.

„Tun Sie das“, riet Hasard. „Solange wir uns auf der Themse befinden, können Sie jederzeit aussteigen. Sie können aber auch gern auf den Pilgerschiffen mitfahren, wo man Ihrer Bequemlichkeit ganz sicher Rechnung tragen wird.“

Sir William Godfrey verschwand voller Empörung nach achtern.

„Dem hast du es aber gegeben“, sagte Mac anerkennend. „Der ist ganz käsig im Gesicht geworden.“

„Soll er“, sagte Carberry verächtlich. „Auf Kerle wie die sind wir nicht angewiesen. Ich kann solche Gockel auf den Tod nicht ausstehen, die auf Kosten anderer schmarotzen und sie dann noch geringschätzig betrachten. Die Kerle waren sich ja zu fein, auf den angeblich verlausten und verwanzten Pilgerschiffen zu fahren.“

Der Kutscher, der alles mitgehört hatte, nickte nur zustimmend. Dabei lag ein feines undeutbares Lächeln auf seinem Gesicht.

Auf den Pilgerschiffen hatte der Gesang mittlerweile aufgehört. Dafür wurde auf der „Explorer“ jetzt laut gebetet. Kapitän Amos Toolan war der Initiator des Gebetes. Der frömmelnde Puritaner hielt die Leute bei jeder sich bietenden Gelegenheit dazu an. Im Anschluß an das Gebet hielt Toolan noch eine Ansprache, doch die Worte verstanden sie auf der Schebecke nicht. Der Wind zerfetzte sie zu einem undeutlichen Gemurmel.

Als es Frühstück gab, ließen die drei Gents sich nicht blicken. Der Kutscher rang sich lediglich zu einem müden Schulterzucken durch.

„Wer nicht will, der hat schon“, murmelte er. „Der Hunger wird die Burschen schon in die Messe treiben.“

Die Arwenacks hauten kräftig ein. Der Duft nach gebratenem Speck und Eiern durchzog noch immer das ganze Schiff.

Kurz vor dem Abräumen, die meisten hatten ausgiebig gegessen und waren fertig, erschienen die Gents wie auf ein geheimes Kommando. Sir William war offensichtlich ausgesprochen schlechter Laune und ließ sich mit mürrischem Gesicht an der Back nieder. Alec Morris nahm ebenfalls Platz und tat so, als sei es eine Gnade, daß er in der Messe erschienen war.

Der dritte Mann, Frank Davenport, sah noch reichlich verkatert aus. Er konnte es kaum erwarten, England hinter sich zu lassen. Offenbar waren ihm ein paar Gläubiger auf den Fersen, denn es war ein offenes Geheimnis, daß er hochverschuldet war.

Bei Hofe, wo er herumschmarotzt hatte, war man heilfroh, daß Davenport auf die Idee verfallen war, auszuwandern. Damit war man ihn auf elegante Art und Weise endlich losgeworden. Auch er hoffte sehnlichst, drüben viel Gold zu finden und war nur auf seine eigenen Vorteile bedacht.

Die drei aßen schweigend und mit verbissenen Gesichtern. Als sie fertig waren, erhoben sie sich und gingen nach achtern. Den Kutscher und Mac Pellew würdigten sie dabei keines Blickes, als die beiden die Back abräumten und die Messe aufklarten.

„Eingebildete Lackaffen“, knurrte Mac. „So was wie die will in der Neuen Welt eine Kolonie aufbauen, ein Land kolonisieren und besiedeln, wo knochenharte Arbeit verlangt wird und jeder auf jeden angewiesen ist. Dabei haben die Gents so zarte Händchen wie die höfischen Schreiberlinge. Von denen hat noch keiner gearbeitet.“

„Das haben sie auch nicht“, sagte der Kutscher. „Sie umgeben sich nur mit dem Anschein des Wohlwollens. Wenn wir die Neue Welt erreicht haben, gehen die Gents ihre eigenen Wege und werden sich den Teufel um die Siedler kümmern. Sie faseln nur von Gold, und daß dort drüben ungeahnte Schätze ruhen sollen.“

„Woher wollen die das denn wissen?“

„Gerüchte, wie sie eben immer wieder auftauchen und sich hartnäckig halten. Genaueres wissen sie natürlich nicht. Vielleicht liegt gerade darin der Reiz für sie – Ferne, Abenteuer, Reichwerden. Es sind eben Glücksritter oder meinetwegen Hasardeure.“

„Was beweist, daß sie keine Ahnung von der Wirklichkeit haben. Aber drüben sind sie auf sich allein gestellt, und da wird ihnen ihre Überheblichkeit schon vergehen.“

„Du sagst es, Mac. Jeder muß erst ein gewisses Maß an Erfahrungen hinter sich bringen. Die haben es noch vor sich.“

Als der Kutscher an Deck ging, sah er gerade noch, wie die Gents achtern in ihrer Kammer verschwanden. Sie schienen eingeschnappt zu sein.

Bis zum Mittag ließen sie sich auch nicht mehr blicken. Sie erschienen erst dann wieder, als die Arwenacks bereits gegessen hatten.

Es hatte ganz den Anschein, als würden sie nicht viel Freude miteinander haben.

Einen Tag später sollte sich das bewahrheiten. Und das war erst der Anfang.

Zunächst einmal wunderte sich der Seewolf, daß die kleine Karavelle ihnen immer noch beharrlich fast im Kielwasser folgte. Sie hockte ihnen sozusagen wie eine Laus im Pelz. Von einem abschiednehmenden Geleit konnte also keine Rede mehr sein. Blieb also nur noch die Möglichkeit, daß die Karavelle zufällig denselben Kurs hatte wie der Verband der Pilgerschiffe.

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110 S. 1 Illustration
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