Seewölfe - Piraten der Weltmeere 558

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 558
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Impressum

© 1976/2019 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-965-9

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Fred McMason

Schwarzmeer-Piraten

Der Vorstoß ins Ungewisse beginnt – in das Meer ohne Ende …

„Kajiktschi“ wurden sie im Schwarzen Meer genannt. Der Ausdruck rührte von der Kaik her, einem dhauähnlichen Anderthalbmaster, der gerudert und auch gesegelt werden konnte.

Die Kaiks waren meist nur spärlich bewaffnet und erweckten einen harmlosen Eindruck. Das dachten auch Hasard und seine Mannen, als sie auf die Nordwestküste des Schwarzen Meeres stießen. Dort lag eine Kaik, und die Kerle begannen breit zu grinsen, als sie die Seewölfe sahen und ihnen beim Anlegen behilflich waren.

Etwas später wurden sie von den Kajiktschi eingeladen, und dann begann ein Gelage, das sogar dem Profos Edwin Carberry höchste Anerkennung abnötigte. „Mann, die vertragen ja mehr als wir“, sagte er mit schwerer Zunge.

Vor seinen Augen verschwamm alles, Nebel umtanzten ihn, und er hatte große Mühe, das Gleichgewicht zu halten. Undeutlich und verwischt sah er, daß ein paar Arwenacks zusammenbrachen. Da dämmerte ihm, daß mit dem Rotwein und Wodka einiges nicht stimmte, zumal die Kajiktschi noch stocknüchtern waren. Die grinsten jetzt auch nicht mehr. Dafür zogen sie ihre Blankwaffen …

Die Hauptpersonen des Romans:

Serge Ramiroff – Als dem Oberhäuptling einer Bande von russischen Küstenwölfen ein heransegelnder Zweimaster gemeldet wird, faßt er einen tückischen Plan.

Wassilij Iwanowitsch – Der dürre Kerl wird von den Arwenacks „Spargel“ getauft – „Hundesohn“ hätte jedoch besser gepaßt.

Philip Hasard Killigrew – Sein sonst so gesundes und waches Mißtrauen wird eingeschläfert, und dies im wahrsten Sinne des Wortes.

Edwin Carberry – Auch der Profos würde sich am liebsten schlafen legen, so dösig ist ihm zumute.

Mac Pellew – Der Zweitkoch allerdings schläft bereits, und im Traum passieren recht merkwürdige Dinge, die als lebensgefährlich zu bezeichnen sind.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

Ende September 1597 – Schwarzes Meer, Sotschi.

An der hölzernen Pier in Sotschi lagen kleine Kaiks und ein paar noch kleinere Fischerboote.

Hasard sah der Bazarkaik nach, einem großen Ruderboot, das gerade ablegte, nachdem es ihnen Lebensmittel gebracht hatte. Die Bazarkaik diente hauptsächlich an den Markttagen zur Beförderung von Personen oder zum Transport von Waren.

Sie selbst waren jetzt stolze „Besitzer“ einer Dubas, einer russischen Küstenschaluppe, die sie vor einigen Tagen geentert hatten. An das zweimastige Eichenschiff mußten sie sich auch erst noch gewöhnen, denn es ging doch verdammt eng zu an Bord, verglich man die Dubas mit der Galeone „Santa Barbara“, die jetzt irgendwo im Tigris als Wrack herumlag.

Der Seewolf wandte den Blick ab und sah auf die Berge von Lebensmitteln, die sich an Deck stapelten. Gleich tonnenweise hatten die freundlichen Russen das Zeug herangeschafft, und das noch zu einem erstaunlich geringen Preis. Auch frisches Trinkwasser war nicht vergessen worden.

Der Kutscher blickte wohlwollend und händereibend auf die Sachen, die sich da anhäuften. Mac Pellew stand daneben und kratzte sich mit verbiestertem Gesichtsausdruck den Kopf.

„Wo sollen wir das denn alles unterbringen?“ fragte er. „Wenn das verstaut ist, haben wir nicht mal mehr Platz zum Schlafen. Dann können wir uns außenbords hängen und festzurren, damit wir nicht in den Bach fallen.“

Der gute Mac übertrieb wieder mal gewaltig. Es ging zwar höllisch eng auf der Dubas zu, aber sie hatte einen verhältnismäßig großen Stauraum, der eine ganze Menge schluckte.

„Bei rund drei Dutzend Kerlen sehe ich da keine Probleme“, meinte der Kutscher. „Die mampfen den größten Teil davon in ein paar Tagen weg, und auch die Wässerchen werden sich nicht lange halten.“

Er deutete auf die Fässer an Deck, die der Profos Edwin Carberry bereits mit einem gottgefälligen Grinsen umschlich. Die „Wässerchen“ waren scharf gebrannter Wodka, armenischer Kognak, Bier und Wein von einer ganz besonders feinen Sorte, wie der Händler ihnen versichert hatte. Das alles stand neben dem Proviant in dunklen Eichenfässern an Deck.

Das ganze Zeug wurde jetzt ausgiebig begutachtet, und dabei lief den Arwenacks das Wasser im Munde zusammen, zumal der Händler sie auch mit einer riesigen Menge frischer Eier versorgt hatte – für den Profos ein Grund, noch gottgefälliger zu grinsen. Denn es gab auch noch ein paar riesige Speck- und Schinkenseiten. In Gedanken stellte Carberry sich den Berg vor, der entstehen würde, wenn man die Speckseiten zusammenschnippelte und die fünfhundert Eier dazu in die Pfanne schlug. Natürlich brauchte man dazu schon eine sehr große Pfanne.

„Sehr gute Qualität“, sagte Hasard anerkennend. „Der Händler hat wirklich nur vom Besten geliefert. Alles noch ganz frisch.“

Der Kutscher nickte und griff sich aus dem Stapel Paprika, Tomaten und Gurken heraus. Auch die Roten Rüben nahm er in die Hand. Sie waren keineswegs verschrumpelt. Auch die frühen Äpfel sahen frisch und knackig aus.

Aber das war kein Wunder bei diesem subtropischen Klima. Obwohl der September langsam seinem Ende zuging, war es immer noch mild und warm, und über dem Schwarzen Meer wölbte sich an diesem Tag ein wolkenloser blauer Himmel. Nach den Strapazen durch die eisige Bergwelt war das hier wie eine Erholung.

Nach und nach wurde alles verstaut und wanderte in den Laderaum der Dubas – Geräuchertes, Speck, Schinken, Wurst, Fässer mit Butter und Schmalz, riesige Laibe Schwarzbrot. An Deck blieb nur das zurück, was schnell verderben konnte wie Huhn in Aspik, Hammelfleisch, Krabben und Fisch sowie ein paar süße Kuchen, die sie als Zugabe erhalten hatten.

Der Rest wanderte in die Kombüse, einen winzigen Raum mit einem eisernen Herd. Auch hier ging es sehr eng zu, aber das mußten sie vorerst in Kauf nehmen.

Hasards Sorge war auch nicht das kleine Schiff, das sie hatten. Ihn bewegte jetzt etwas ganz anderes. Ihre lange Odyssee hatte einen kleinen Schönheitsfehler. Sie wußten nicht genau, wo sie waren.

Gut, man hatte ihnen gesagt, sie befänden sich im Schwarzen Meer, im Chernoye More, aber damit waren sie mit ihrer Weisheit auch bereits am Ende.

Immerhin hatten sie es geschafft, das „Große Meer“ zu erreichen, das tatsächlich existierte. Aber – war es ein riesiges Binnenmeer, das keine Verbindung zu anderen Meeren hatte, oder gab es doch irgendwo einen Durchlaß, der sie wieder ins Mittelmeer führte, wie es die Karten nur unzulänglich beschrieben, die sie auf einer der Seychelleninseln gefunden hatten?

Bisher hatte ihnen das niemand sagen können. Auch der Händler hatte nur freundlich gegrinst und beide Hände gehoben. Er wußte nicht einmal, wie groß das Meer war. Und ob es eine Verbindung zu einem anderen Meer gab, interessierte ihn persönlich überhaupt nicht, denn er hatte auch nicht vor, dieses Chernoye More zu verlassen.

Man war eben im Schwarzen Meer – basta, Feierabend. Was sollte man sich da große Sorgen machen? Hauptsache, es war genügend Wasser da, und daran herrschte wahrhaftig kein Mangel.

Der russische Händler hatte ihre Sorgen und ihre Neugier nicht begreifen können, für ihn war das unwichtig und belanglos.

„Laß das eine Fäßchen an Deck, Gary“, sagte Hasard zu Gary Andrews, der es gerade nach unten stauen wollte. „Wir werden einen Schluck probieren und dabei überlegen, wie es weitergeht.“

Gary ließ das Fäßchen mit dem Wodka stehen und öffnete es. Der Kutscher brachte ein paar Mucks an Deck, die er an die Männer verteilte. Mac schenkte ein.

Dann probierten sie und schnalzten mit den Zungen, Sie hatten schon einmal die Bekanntschaft mit Wodka geschlossen. Aber dieser hier war schärfer und besser.

„Ein wirklich feines Wässerchen“, sagte der Profos anerkennend. „Davon verstehe ich was. Ganz hervorragend. Das muß ich gleich noch einmal versuchen, war auch sowieso nicht viel drin in der Muck.“

„Da war genauso viel drin wie in den anderen“, widersprach Mac Pellew. „Aber du mußt ja gleich immer alles auf einmal saufen.“

Er goß dem Profos noch einmal nach, der mit Kennermiene an dem Wässerchen schnupperte.

„Darauf, daß wir einen Ausgang aus diesem Meer finden“, sagte Hasard, als er die Muck hob. „Im Augenblick sieht es noch nicht danach aus. Cheers!“

„Was nicht ist, kann noch werden“, tröstete der Profos. „Wir werden schon eine Furt finden.“

„Mit einer bloßen Furt ist uns nicht gedient, Ed. Wenn wir eine Furt finden, wie du das ausdrückst, dann war dieser ganze lausige Törn einschließlich aller Strapazen und der Verluste des Schiffes für die Katz. Dann geht es wieder über Land weiter.“

 

„Ich weiß, Sir, aber ich habe noch Hoffnung. Immerhin wissen wir, daß wir uns im Schwarzen Meer befinden.“

Hasard lachte stoßartig auf und trank die Muck leer. Dann drückte er sie Mac in die Hand.

„Schwarzes Meer ist gut, das sagt allerdings nicht mehr aus, als daß dieses Meer von der Farbe her schwarzgrau ist. Aber welchen Kurs segeln wir jetzt? Mit dieser Frage beschäftige ich mich seit den letzten Tagen.“

Dan O’Flynn lauschte den Worten seines Kapitäns. Dann grinste er und sah in die Runde.

„Ganz einfach. Nach Süden brauchen wir nicht zu segeln, da kommen wir ja gerade her. Der Nordkurs scheidet ebenfalls aus, denn direkt im Norden liegt Land, wie deutlich zu sehen ist. Bliebe also der Westen oder Nordwesten.“

„Oder der Südwesten“, bemerkte Ben Brighton trocken. „Den haben wir zum Glück auch noch zur Auswahl.“

„Den Karten nach müßten wir nordwärts segeln“, warf Jung Hasard ein. „Aber das geht eben nicht mehr.“

„Die Karten von den Seychellen kannst du vergessen“, meinte Dan, „die haben ihre Schuldigkeit getan und uns ans große Meer geführt. Weitere Informationen enthalten sie leider nicht, und Kartenmaterial konnten wir hier auch nicht auftreiben, weil es so was in der Umgebung nicht gibt.“

Hasard rieb sich das Kinn und lächelte. Aber es war ein eher verlegenes Lächeln, das die ganze vertrackte Lage zeigte.

„Ich gebe zu, daß ich nicht weiß, wie es weitergeht. Von den Küstenbewohnern in dieser Ecke haben wir keine Hilfe zu erwarten. Die kennen nur ihre Orte und die Umgebung. Die Fischer wissen auch nicht mehr. Sie fahren zwei, drei Meilen hinaus und sehen dort immer noch Wasser. Aber sie interessieren sich nur für die Fische und nicht dafür, wie es hinter dem Wasser aussieht. Fazit: Wir sind auf uns allein gestellt, und das einzige, was wir an nautischen Hilfsmitteln haben, ist ein Kompaß. Hat jemand Vorschläge zu unterbreiten?“

Don Juan konnte sich das Grinsen ebenfalls nicht verkneifen, als er sagte: „Wir müssen wie Anfänger dem Küstenverlauf folgen, bis wir einen Überblick haben.“

„Das kann Monate oder unter Umständen sogar Jahre dauern, bis wir diesen Punkt wieder erreicht haben“, sagte Hasard.

„Aber unterwegs könnten wir etwas entdecken, daß es nämlich doch eine Verbindung zu einem anderen Meer gibt. Kolumbus hat sich immerhin auch auf eine Reise begeben, deren Ausgang ungewiß war.“

Diesmal grinsten sie ausnahmslos alle, denn die Situation war irgendwie tragischkomisch. Sie hatten einfach die Orientierung verloren, und dennoch belustigte die meisten das.

„Irgendwie ist das trotzdem zum Heulen“, fand Mac Pellew, und er sah auch so aus, als würde er gleich losheulen. „Da schippert man nun um die ganze Welt, durchquert die größten Meere, und jetzt, in irgend so einem lausigen Ententeich, da finden wir uns nicht mehr zurecht. Ich könnte über mich selbst lachen.“

„Dann tu das doch“, riet der Profos. „Aber du kriegst ja vom Lachen bekanntlich immer Zahnschmerzen. Und ob das hier ein lausiger Ententeich ist, wird sich erst noch herausstellen.“

„Dann stimmen wir doch einfach über den Kurs ab, den wir segeln wollen“, schlug Hasard vor. „Unternehmen wir einen Vorstoß.“

Bei einer weiteren Muck Wodka wurde dann abgestimmt.

Nach der Devise: Nur nichts überstürzen! wurde in der Frühe des nächsten Morgens weitergesegelt.

Sie hatten sich darauf geeinigt, zunächst dem Küstenverlauf in nordwestlicher Richtung zu folgen, um einmal „nachzusehen“, wie weit es dort ginge. Bei dem Wörtchen „nachsehen“ hatte der Seewolf sich wiederum das Grinsen nicht verkneifen können.

Da der Kurs jetzt feststand, herrschte wieder Unbekümmertheit an Bord. Irgend etwas würde sich schon ergeben, wenn nicht, nun, dann ging man eben auf den anderen Kurs.

Das Frühstück, das Mac und der Kutscher dann bereiteten, hob die gute Stimmung noch weiter an, denn auf etwas Kräftiges am Morgen hatten die Arwenacks schon immer großen Wert gelegt.

Die beiden Köche hatten eine Soljanka bereitet, eine Suppe mit Geräuchertem, Schinken und Wurst. Dazu gab es Schwarzbrot mit Schmalz und zum Abschluß Kuchen. Natürlich fehlte auch das morgendliche Bier nicht, was den Profos zu der Bemerkung veranlaßte, im Schwarzen Meer ließe es sich ganz gut leben, und von ihm aus könnten sie noch recht lange weiter herumklüsen.

Mit dem Segeln gab es ebenfalls keine Probleme. Die Dubas hatte eine kleine Fock und zwei Schratsegel. Die Bedienung war denkbar einfach, ebenso wie die Handhabung der Ruderpinne, die jetzt wieder mal Pete Ballie in seinen mächtigen Pranken hielt.

Hasards Blick folgte dem Verlauf der Küste. Alle Augenblicke griff er zum Spektiv und warf einen langen Blick hindurch. Man sah es ihm an, daß ihm diese „Küstenklüserei“ langsam, aber sicher auf die Nerven ging und er ungeduldig wurde. Für den Seewolf war es ungewohnt, nicht zu wissen, wo er sich befand. Doch das erging den anderen ähnlich.

An der Küstenvegetation änderte sich kaum etwas. Die Strände waren dunkel und steinig. Hier und dort gab es mal einen hellen Fleck, eine kleine Landzunge aus hellem Sand mit Steinen. Weiter zum Landesinnern hin stiegen Berge an, die mitunter so hoch waren, daß ihre Grate sich im Nebel verloren.

Aber hier wuchsen auch kleine Palmen und Bäumchen, die grünlichgelbe Früchte trugen. Hin und wieder waren dichte Wälder zu sehen.

Es war immer noch warm, ein angenehmes Klima, obwohl der Jahreszeit nach jetzt bald der Herbst beginnen mußte.

Auch Don Juan sah aufmerksam zum Land hinüber.

„Der Vegetation nach zu urteilen, müßten wir uns auf einem Breitengrad befinden, der etwa der Höhe Spaniens entspricht“, sagte er schließlich. „Das ist zwar nur ein schwacher Anhaltspunkt, aber es dürfte ungefähr stimmen.“

„Leider ist uns damit nicht gedient“, erwiderte Hasard. „Das mag stimmen, aber wenn wir nach Westen segeln, erreichen wir deshalb noch lange nicht Spanien. Ich werde das Gefühl nicht los, daß wir uns in einem riesigen Kessel befinden, aus dem es keinen Ausweg gibt.“

„Eine Art riesiger Binnensee also“, meinte Dan O’Flynn.

„So ähnlich.“

Dan O’Flynn krauste die Stirn. Nachdenklich blickte er auf die dunklen eichenen Planken.

„Meinst du, von dort geht eine Erleuchtung aus?“ fragte der Seewolf ironisch.

„Wovon, Sir?“

„Na, von den Planken, die du so intensiv anstarrst.“

„Vielleicht von unterhalb der Planken, Sir. Wenn dies ein in sich geschlossenes Meer ist, das keinen Zufluß oder Abfluß zu einem anderen Meer hat, ist es wahrscheinlich, daß wir in Süßwasser segeln. Wenn das der Fall ist, brauchen wir unseren Törn nicht bis in alle Ewigkeit auszudehnen.“

„Dann hätten uns die Russen wohl kaum mit Trinkwasser versorgt. Es gäbe dann ja genug davon.“

„Trotzdem kann das ein Anhaltspunkt sein.“

Hasard wollte erst widersprechen, doch Dan O’Flynn fackelte nicht lange. Er schnappte sich eine Pütz, hievte Wasser an Bord und starrte in die Pütz.

„Hm, gar nicht mehr so dunkel, die Brühe“, sagte der Profos nach einem intensiven Blick. „Sieht aus wie ganz normales Wasser.“

„Ist auch ganz normales Wasser. Es wirkt nur schwarzgrau, weil der Untergrund dieselbe Farbe hat. Willst du nicht mal einen kleinen Schluck probieren, Ed?“

Carberry blickte in die Pütz, als sei da soeben der Mond hineingefallen. Dann sah er Dan an.

„Also, Mister O’Flynn“, brummte er. „Hast du schon mal gehört, daß ein Seemann das Element säuft, auf dem er fährt? Wenn das jeder tun würde, gäbe es bald keine Ozeane mehr. Ein Bauer frißt doch auch nicht die Scholle, auf er ackert.“

„Sonst gäbe es eines Tages keine Erde mehr“, sagte Dan grinsend.

„Richtig. Solltest du auf die verwegene Idee verfallen, mir ein kleines Schlückchen Wodka anzubieten, würde ich mich natürlich nicht lange zieren. Aber Wasser – da sei Gott vor.“

Hasard, Ben und Don Juan hörten lächelnd zu.

„Wodka bringt auch keine neuen Erkenntnisse“, meinte Dan. „Außer, daß man nach einer bestimmten Menge besoffen ist.“

„Das vergeht wieder“, murmelte der Profos. „Was willst du denn mit der Brühe?“

„Einen Schluck probieren.“

„Mann, sauf bloß nicht soviel davon“, brummte Carberry besorgt, „sonst laufen wir noch auf Grund.“

Dan schöpfte mit den Händen Wasser, hielt es an den Mund, roch ein bißchen daran und trank einen winzigen Schluck.

Die anderen Kerle, die nicht wußten, um was es ging, standen da und stierten verblüfft.

„Man könnte meinen, wir hätten nichts anderes“, sagte Matt Davies erstaunt.

Dan O’Flynn ließ sich jedoch nicht beirren. Nach einigem Herumkosten spie er das Zeug wieder aus.

„Sind wir jetzt schlauer?“ erkundigte sich Hasard anzüglich.

„Es schmeckt salzig“, urteilte Dan, „aber der Salzgehalt ist nicht so hoch wie in den anderen Meeren, lange nicht so hoch.“

„Und was schließt du daraus?“

Dan O’Flynn drückte dem verdutzten Profos die Pütz in die Hand und sagte grinsend: „Der Rest ist für dich. Ich gebe ’ne Runde Schwarzes Meer aus.“ Dann ging er die paar Schritte nach achtern zurück.

Hasard sah ihn erwartungsvoll und skeptisch zugleich an.

„Ich bin zu der Überzeugung gelangt“, sagte Dan, „daß dieses Meer eine Verbindung zum Mittelmeer hat. Der Salzgeschmack im Wasser ist nicht zu leugnen, folglich ist es kein Binnensee mit einem in sich geschlossenen Kreislauf. Irgendwo findet ein schwacher Wasseraustausch statt, da bin ich ganz sicher.“

„Und das ist der Weisheit letzter Schluß?“

„Meiner Ansicht nach – ja.“

„Schon mal was vom Toten Meer gehört?“ fragte Hasard.

„Ist mir nur aus der Bibel bekannt, Sir.“

„Da gelangt man mit einem Schiff weder hinein noch hinaus. Es wird nur vom heiligen Jordan gespeist, der bekanntlich Süßwasser führt. Und trotzdem ist das Meer so salzig wie kein anderes. Nicht einmal ein Fisch kann darin leben.“

Dan O’Flynn blickte entsagungsvoll zum Land hin.

„Dann ist meine Annahme eine haltlose Theorie?“

„Genau das ist es – eine bloße Vermutung, die wie eine Seifenblase platzen kann.“

„Mist, verdammter“, knurrte Dan. „Nicht mal ein Besteck können wir hier nehmen, weil wir nicht einmal die einfachsten Mittel haben. Wir verfügen nur über ein paar Karten.“

„Den Jakobsstab haben wir von der ‚Santa Barbara‘ mitgenommen“, erwiderte Hasard. „Er ist nur noch nicht ausgepackt. Ich weiß genau, daß wir ihn mitgenommen haben. Aber er nutzt uns vorerst nichts. Wir können lediglich unseren Standort bestimmen, und den kennen wir so ungefähr.“

„Ja, wir sind im Schwarzen Meer“, sagte Dan sarkastisch, „eine direkt umwerfende Neuigkeit.“

„Du sagst es.“

Gegen Mittag gab es georgischen Schaschlik. Die Scheiben aus Hammelfleisch wurden normalerweise am Spieß geröstet, aber da sie keine Spieße für die Spezialität hatten, wandelte der Kutscher die Köstlichkeit ein wenig ab und spießte sie auf Säbeln auf, was aber auch sehr originell aussah und phantastisch mundete. Die Säbel gingen reihum, und jeder konnte sich etwas abschnippeln. Sinnigerweise nannte der Kutscher es „Piratendinner“ und „Korsarenspieß“.

Am späten Nachmittag tauchte ein kleines Dorf auf. Es lag etwa eine Meile querab an Steuerbord.

Zwei Fischerboote waren draußen. In dem einen Nachen hockten zwei Männer und angelten. In dem anderen zogen zwei weitere Männer gerade ein Netz an Bord, in dem es blinkte und zappelte.

„Die preien wir an“, schlug Ben Brighton vor. „Wir erkundigen uns ganz freundlich, wie es weiter im Norden aussieht.“

Wieder konnte sich Hasard das Grinsen nicht verkneifen.

„Na schön, versuchen wir es.“

Er ließ die Dubas näher zur Küste hin abfallen. Die russische Küstenschaluppe lief jetzt im spitzen Winkel auf die Fischerboote zu.

Am steinigen Strand waren mittlerweile ein paar Gestalten erschienen. Sie hielten die Hände über die Augen und blickten der Dubas entgegen. Die Fischer, längst aufmerksam geworden, gaben Handzeichen zum Land hin. Dann packten sie in aller Eile ihr Angelzeug ein, warfen das Netz in den Nachen und pullten zur Küste.

Hasard sah ihnen mit zusammengekniffenen Augen nach.

„Die scheinen von unserem Besuch nicht gerade erbaut zu sein. Sieht so aus, als wollten sie verschwinden.“

 

„Küstenschaluppen sind offenbar nicht sehr beliebt“, murmelte Ben enttäuscht. „Offenbar haben sie nicht gerade die besten Erfahrungen damit.“

An Land standen ein paar hölzerne Hütten. Frauen und Kinder waren zu sehen. Ein Hund bellte laut, drei Schweine rannten zwischen den Hütten herum, Federvieh war ebenfalls zu erkennen.

Die Fischer pullten die letzte Strecke zum steinigen Strand, als säße ihnen der Leibhaftige im Genick.

Hasard und seine Mannen verfolgten staunend und verblüfft, wie die Fischer ihre Nachen auf Grund setzten, aus den Booten sprangen und die Beine in die Hand nahmen.

Ein paar Arwenacks begannen zu winken, um die aufgescheuchten Leutchen zu beruhigen. Aber niemand kümmerte sich darum.

Die Leute – insgesamt etwa drei Dutzend – setzten sich in Trab, kaum daß die Fischer das Land erreicht hatten. Unter Zurücklassung ihrer Habe rannten sie in einen Laubwald und waren innerhalb weniger Augenblicke darin verschwunden. Nur den Köter hörten sie noch einige Zeit kläffen.

Die Arwenacks sahen sich ratlos an. Am Strand war keine Menschenseele mehr zu entdecken. Alle waren geflüchtet.

„Ein seltsames Völkchen“, meinte Ben. „Was haben sie nur?“

„Das, was du vorhin schon angedeutet hast“, sagte Hasard. „Sie haben mit Schaluppen offenbar schlechte Erfahrungen gemacht. Vermutlich gibt es an dieser Küste ein paar Schnapphähne, die hin und wieder die Ortschaften plündern. Daher bringen sich die Leute immer gleich rechtzeitig in Sicherheit. Wer will es ihnen verdenken?“

„Wir könnten trotzdem vor Anker gehen, um den Leuten unseren guten Willen zu demonstrieren“, sagte Ben. „Wenn sie sehen, daß wir absolut harmlos sind, denken sie darüber anders.“

Hasard schüttelte nach kurzer Überlegung den Kopf.

„Wir segeln weiter, Ben. Es hat keinen Zweck, die Leute von unserer Friedfertigkeit überzeugen zu wollen. Sie würden sich nicht blicken lassen. Und selbst wenn sie Zutrauen faßten, wäre das nicht gut für sie. Wir sind harmlos, und sobald sie ihre Meinung geändert haben, tauchen die wahren Schnapphähne auf und überfallen sie. Ich denke, wir lassen es so, wie es ist. Später wird sich schon noch die Möglichkeit ergeben, etwas in Erfahrung zu bringen.“

„Wahrscheinlich hast du recht, Sir.“

„Wieder auf den alten Kurs zurück, Pete!“

„Auf den alten Kurs zurück, Sir“, bestätigte Pete.

Der Bug der Dubas schwang langsam herum und zeigte wieder auf das Meer. Hasard beobachtete den Wald, als sie auf gleicher Höhe waren, doch da regte sich nichts. Auch das Hundegebell war verstummt.

Erst als die das Heck zeigten und der Seewolf sich langsam umdrehte, gewahrte er ein paar hastige Bewegungen. Nach und nach erschienen die ersten Gestalten und spähten ihnen neugierig nach. Als sie etwa eine halbe Meile entfernt waren, stand das gesamte Völkchen am Strand und konnte es offenbar nicht fassen, daß die Kerle von der Küstenschaluppe ihren kleinen Ort nicht geplündert hatten.

„Sie scheinen sehr überrascht zu sein“, sagte Big Old Shane. „Hoffentlich sind die Leute beim nächsten Besuch einer Schaluppe nicht allzu sorglos.“

„Sie scheinen über ein gesundes Mißtrauen zu verfügen, ähnlich wie wir“, meinte Hasard.

Später sollte er über diesen Satz noch einmal nachdenken, aber das ahnte zu diesem Zeitpunkt noch niemand.

Achteraus verschwand die kleine Ansiedlung mit ihren furchtsamen Menschen. Wieder tauchten langgestreckte Wälder auf. Der Küstenstrich war auf viele Meilen unbewohnt.

Hin und wieder waren Vögel zu sehen. In den Wäldern tummelten sich Tiere, die sich nur durch laute Geräusche verrieten. Zu sehen waren sie nicht, als die Schaluppe dichter unter Land segelte.

Ein paar Tage ging das so. Sie klüsten an der Nordküste eines Meeres entlang, das wahrhaftig von riesigen Ausmaßen war. Dabei hatten sie erst einen kleinen Teil dieses Meeres kennengelernt.

Dann tauchte ganz überraschend eine größere Ortschaft auf.

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