Seewölfe - Piraten der Weltmeere 428

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 428
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Impressum

© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-836-2

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Fred McMason

Ratten an Bord

Die Karavelle wimmelte von Biestern – und die ganze Crew ging auf die Jagd

Schneller als erwartet konnten die Seewölfe und Jean Ribaults Mannen wieder ein Schiff übernehmen, eine Karavelle mit dem vielversprechenden Namen „Esperanza“, was soviel wie „Hoffnung“ bedeutet. Ohne Hieb und Stich gelangten sie in den Besitz der „Esperanza“. Philip Hasard Killigrew und Jean Ribault hatten dem feisten Hafenkommandanten von Panama, Don Alfonso de Roja, nur ein bißchen „zuzureden“ brauchen, und schon war die Übernahme der Karavelle perfekt gewesen. Allerdings hatte Don Alfonso einsehen müssen, daß es seiner Gesundheit zuträglicher war, sich den Wünschen der beiden ehrenwerten Señores zu beugen. Und auch seine Hamsterschätze in dem geheimen Kellerversteck der verödeten Plantage würden unangetastet bleiben …

Die Hauptpersonen des Romans:

Edwin Carberry – der Profos entdeckt etwas in der Proviantlast, was bei ihm einen Wutausbruch auslöst.

Smoky – der Decksälteste der Seewölfe hat einen unheimlichen Respekt vor Geistern.

Dan O’Flynn – findet ein Geheimfach, dessen Inhalt die Neugier der Seewölfe erregt.

Philip Hasard Killigrew – entschließt sich zu einem Abstecher zur Isla de Puná im Golf von Guayaquil, wo ein Geheimnis verborgen zu sein scheint.

Mac Pellew – tritt in eine Rattenfalle und braucht für den Spott nicht zu sorgen.

Inhalt

Kapitel 1.

Kapitel 2.

Kapitel 3.

Kapitel 4.

Kapitel 5.

Kapitel 6.

Kapitel 7.

Kapitel 8.

1.

17. Oktober 1594.

„Feines Schiffchen“, sagte der Profos Edwin Carberry zum Decksältesten Smoky. „Läuft gute Höhe, ist prachtvoll ausgetrimmt und hat eine Pinnensteuerung, die ein einzelner Mann bedienen kann. Da muß ich wahrhaftig die Dons loben, auch wenn sie Rübenschweine sind. Aber da haben sie sich was Gutes einfallen lassen.“

Das Schiffchen, auf das der Profos gerade eine Lobrede hielt, war die „Esperanza“, was soviel wie Hoffnung bedeutet. Es war eine Dreimastkaravelle, lateinergetakelt und gut in Schuß. Daß sie Lateinersegel hatte, war ein nicht zu verachtender Vorteil, denn an diesem späten Nachmittag wehte der Wind aus Südsüdwest, und sie mußten immer wieder aufkreuzen.

Die Karavelle hatten die Arwenacks und die Männer aus Ribaults Crew dem goldgierigen Hafenmeister Don Alfonso de Roja abgeluchst, einem alten Bekannten, dessen Schatzkeller sie zufällig in einer verfallenen Plantage entdeckt hatten. De Roja hatte sich wieder mal an den Schätzen der spanischen Krone vergriffen, und so war es den Seewölfen nicht schwergefallen, ihn zu „überreden“ und ihm die Karavelle abzuschwatzen. Der Dicke hatte sich schließlich mit einem lachenden und einem weinenden Auge von der „Esperanza“ getrennt, obwohl sie ihm nicht gehörte. Aber ihr Kapitän hatte das Zeitliche gesegnet, und seitdem lag sie verwaist herum.

Jetzt war sie frisch verproviantiert und mit allem ausgerüstet worden und lief auf Südkurs – mit dem Ziel Arica. Von dort aus sollte es über Land nach Potosi weitergehen.

Smoky nickte zu Eds Worten.

„Ja, wirklich hervorragend“, lobte auch er. „Ist nur noch ein wenig ungewohnt, aber das haben wir bald im Griff. Ferris und Shane haben ja alles überprüft. Das Tantchen läuft wie geschmiert, das Holz ist in Ordnung und unterm Röckchen hat sie auch keinen Bewuchs angesetzt.“

„Das sind ja merkwürdige Vergleiche“, brummte Ed. „Na ja, soweit ist alles klar. Nur …“

Der Profos schwieg, denn auf das Wörtchen „nur“ mußte Smoky ja gleich anspringen, und so fragte er auch prompt: „Nur – was ist?“

„Ha, du findest also alles in Ordnung, was, wie? Sonst fiel dir wohl nichts an dem geschmierten Tantchen auf?“

„Allenfalls die Ruderpinne“, meinte Smoky. „Sie läuft nach beiden Seiten über Taljen, die eine Menge Kraft ersparen, so daß wirklich ein Mann allein sie bedienen kann.“

„Sonst nichts?“ fragte Ed lauernd.

„Nee, eigentlich nicht. Ich hab’ nichts auszusetzen.“

„Aber ich“, sagte der Profos. „Und zwar riechen die Räume nicht gut, weil sie schon seit mehr als zwei Wochen nicht bewohnt waren. Da ist alles muffig, da muß gelüftet und gescheuert werden, und damit werden wir auch so schnell wie möglich anfangen. Ich mag nicht auf einem stinkenden Kahn fahren, und euch Affenärschen werde ich schon beibringen, daß ihr auch nicht auf einem stinkenden Kahn fahren mögt. Wir knöpfen uns einen Raum nach dem anderen vor, mit Essigwasser, versteht sich. Das Deck kann auch ruhig noch mal geschrubbt werden. Mit Holystones, versteht sich.“

„Versteht sich von selbst“, sagte Smoky. „Aber es wird bald dunkel. Das langt doch morgen früh auch noch, oder?“

Der Profos war damit einverstanden und nickte großzügig.

„Außerdem brauchst du die Holystones doch heute noch für dich“, sagte Smoky und grinste hinterhältig.

„Was sollte ich denn damit?“

„Na, du rasierst dich doch immer mit den Dingern, oder sollte ich mich da getäuscht haben?“

„Vielleicht täusche ich mich auch“, knurrte Ed, „und du bist gar kein Decksältester, sondern ein Affe. Und deshalb werde ich dir wieder mal die Haut in Streifen von deinem verdammten Affenarsch abziehen. Also geht das morgen klar, was, wie?“

Der Profos war guter Laune, blickte über die See und nickte zufrieden vor sich hin. War doch mal ganz gut, wieder aus der Karibik zu segeln und sich anderen Wind um die Ohren blasen zu lassen. Die Sache mit Potosi versprach höchst interessant zu werden.

Etwas später war seine gute Laune allerdings restlos dahin, und die Arwenacks lernten ihren Profos von seiner üblen Seite kennen, denn da war gar nichts mehr in Ordnung.

Es begann damit, daß Carberry zu Hasard und Philip junior sagte: „Es wird gleich finster, Leute. Ihr könnt Plymmie schon mal ins vordere Logis bringen, damit sie ihr Schläfchen halten kann. Und ihr könnt dann auch bald eure Schnarchnasen in Betrieb nehmen.“

Hasards Söhne waren von der Aussicht, jetzt schon in die Kojen zu müssen, nicht gerade begeistert, aber das Wort des Profos galt etwas, und so fügten sie sich, schnappten sich die Wolfshündin und brachten sie nach vorn ins Logis, wo die beiden ebenfalls ihre Kojen hatten.

Der Profos war’s zufrieden und unterhielt sich weiter mit Smoky über das große Reinschiff. Auch der Kutscher und Mac Pellew gesellten sich hinzu.

Augenblicke später drang aus dem Vorschiff lautes drohendes Knurren, dann ein Gewinsel, ein heftiges Jaulen und schließlich wütendes Gebell, das kein Ende mehr nahm.

„Was ist denn da vorn los, Ed?“ rief Hasard vom Achterdeck, wo er zusammen mit Ribault, Dan O’Flynn und Ben Brighton stand.

„Ich sehe mal nach, Sir!“

Smoky ging gleich mit nach vorn. Das Gebell war noch wütender geworden, noch lauter und drohender.

„Was, bei allen verdammten Seeschlangen, ist da nur los?“ fluchte der Profos. „Die spinnen wohl, die Bürschchen?“

Als sie ins Logis stürzten; bot sich ihnen ein seltsames Bild. Die Bordhündin Plymmie benahm sich wie verrückt. Schnüffelnd raste sie über die Decksplanken, voraus, wieder zurück, kratzte wie wild an den Planken und bellte laut. Sie ließ sich überhaupt nicht mehr beruhigen.

Dann wieder knurrte sie mit gefletschten Zähnen die Planken an. Die Hündin hatte die Nackenhaare aufgerichtet, als wolle sie angreifen.

Hasard und Philip standen daneben und hoben entschuldigend die Schultern hoch.

Erst wollte der Profos losbrüllen, dann besann er sich anders und sah die wildgewordene Hündin nachdenklich an. Eine Szene fiel ihm ein, die erst ein paar Tage zurücklag. Da hatte Plymmie sich genauso benommen, als sie den Keller der verlassenen Plantage entdeckt hatten. Auch da waren ihre Nackenhaare aufgerichtet gewesen, und ihr heiseres Knurren hatte kein Ende genommen. Sie hatte Ratten gewittert und verrückt gespielt.

Der Profos schluckte hart. Er rief Plymmie etwas zu, doch sie hörte nicht auf, zu knurren. Immer noch hatte sie den Kopf vorgeschoben und die Zähne gefletscht. Ganz tief aus ihrer Brust drang das wilde gefährliche Knurren.

„Verflucht noch mal!“ schrie Ed. „Die wird wieder eine Ratte erschnüffelt haben! Als ob davon die Welt untergeht! Schließlich gibt es auf jedem Kahn ein paar Ratten. Halt jetzt endlich deine Schnauze!“ schrie er die Hündin an.

Plymmie sah den Profos fast vorwurfsvoll an. Dann drehte sie den Kopf zur Seite und knurrte weiter. Danach begann sie erneut laut zu bellen und zu winseln.

„Das ist ja nicht zum Aushalten!“ rief Ed. „Wenn die mal etwas gewittert hat, dann gibt sie nicht auf, dann läßt sie nicht mehr locker. Das Gekläffe wird die ganze Nacht dauern, und die Freiwächter werden sich freuen, wenn es mit ihrer Ruhe und dem Schlaf vorbei ist. Und das alles wegen ein oder zwei verlauster Ratten!“

 

„Auf diesem Schiff können jedenfalls keine Ratten mehr sein“, behauptete Smoky fest. „Darauf würde ich wetten.“

„Und woher willst du das so genau wissen?“

„Die ‚Esperanza‘ lag seit über zwei Wochen auf Reede, und an Bord gab es nichts Freßbares, überhaupt nichts. Wenn da noch ein paar Ratten waren, dann haben die sich gegenseitig aufgefressen.“

„Dann muß ja logischerweise eine übriggeblieben sein“, erklärte Ed.

„Und wegen einer Ratte willst du jetzt das ganze Schiff umkrempeln?“

„Es geht um die Nachtruhe der Freiwachen, du Hirsch, weil der Köter ja doch keine Ruhe gibt. Außerdem will ich jetzt, verdammt noch mal, wissen, was unter den Planken ist. Bring mir mal die Laterne her, Philip!“

Philip nahm die Laterne vom Haken und reichte sie dem Profos. Die Wolfshündin benahm sich immer noch wie rasend. Wieder fegte sie schnüffelnd über die Planken, raste zurück, dann wieder nach vorn, sprang vor Wut in wilden Sätzen hoch und kratzte wie wild an den Planken des vorderen Quartiers.

Es gab da ein Schott im Vorschiff, wo ein Niedergang zu den unteren Schiffsräumen führte und sich auch die Proviantlast befand, die reichlich bestückt war. Auf dieses Schott steuerte der Profos jetzt zu, dicht gefolgt von Smoky. Plymmie tigerte zähnefletschend hinterher.

Der Profos fluchte immer noch laut, als die Hündin ihr Geknurre fortsetzte und an ihm hochsprang.

Carberry schlug voller Zorn den Riegel des Schotts hoch, stieß es auf und trat in die Proviantlast. Gleichzeitig hob er die Laterne höher, um in dem milchigen Schein besser sehen zu können.

Der Profos zuckte zusammen, als hätte ihn ein Schlag getroffen. Er wurde ganz grau im Gesicht. Smoky, der hinter ihm stand, sah, daß die Hand mit der Laterne wie ein Lämmerschwanz zitterte und Carberry die Laterne fast hätte fallen lassen.

Was der Profos in diesem Augenblick sah, würde er nie mehr vergessen. Er war vorerst nicht in der Lage, auch nur einen Ton hervorzubringen. Schweigend und entsetzt starrte er auf das ekelerregende Bild.

Ratten!

Es waren so viele Ratten, daß er ihre Zahl nicht einmal schätzen konnte. Hunderte mußten es sein. Da war ein Gewimmel von Leibern, bei dessen Anblick es ihn nur so schüttelte. Die Ratten benahmen sich wie irre.

Die durcheinanderhuschenden Tiere mit den langen Schwänzen waren bei einer wilden Freßorgie. Ganze Knäuel von Ratten hatten sich in die Mehlsäcke gebohrt und fraßen sich die Bäuche voll. Die Ratten, die im Mehl hockten, waren ganz weiß. Wo sie Löcher in die Mehlsäcke gefressen hatten, da stäubte es leicht heraus. Ein weißgepuderte Ratte huschte gerade aus einem Sack und flitzte zum Decksbalken, wo Speck und Schinken an Haken unter dem Balken hingen.

Müller sind das, dachte Carberry wie betäubt. Jedenfalls war das die Bezeichnung der englischen Seeleute für Ratten, weil sie mit Vorliebe Mehl fraßen.

Sie hingen in Trauben und Rudeln an Speck und Hartwürsten und ließen sich in ihrer unheimlichen Freßorgie nicht stören.

Smoky hatte die Augen weit aufgerissen und stierte ebenso ungläubig und entsetzt in die Proviantlast. Das hatte er noch nie in seinem Leben gesehen.

In der Proviantlast waren Kisten mit Bohnen, Erbsen, Schiffszwieback und Käse gestaut, ebenso einige Fässer mit Pökelfleisch und Öl. Tausend scharfe Zähne nagten unerbittlich und gierig an den Kisten und Fässern. Ein ganzer Schwarm dunkelbrauner Ratten hatte es bereits geschafft, die Seitenwände der Kisten zu zernagen. Bohnen und Erbsen rieselten daraus hervor, und in den durchnagten Löchern tummelten sich ganze Trauben von Ratten. Sie fraßen, was sie gerade erwischten, und fielen auch über die Pökelfässer her. Nicht mehr lange, und die Dauben dieser schweren Fässer würden ebenfalls restlos zernagt sein.

Es war ein abscheuliches Gewimmel. Die Vierbeiner huschten von einer Delikatesse zur anderen. Andere wühlten verbissen im Mehl, der Rest hing an den Speckseiten, dem Schinken oder den Hartwürsten und pendelte bei jeder Bewegung des Schiffes in einer dichten Traube von einer Seite zur anderen. Mit den Füßen hielten sie sich fest und fraßen, fraßen, bis es dem Profos den Magen umdrehte.

Er hob die Laterne noch etwas höher. Als der Lichtschein weiter nach achtern in die Proviantlast fiel, begannen die Ratten empört zu pfeifen. Das Licht störte sie bei ihrer Freßorgie.

Das war der Augenblick, in dem Plymmie sich nicht mehr halten ließ. Aber es wollte sie auch keiner halten.

„Pfui Deibel“, würgte Smoky heiser hervor. „Da kann man ja das große Kotzen kriegen.“

„Ich hab schon innerlich gekotzt!“ brüllte der Profos mit erstickt klingender Stimme. Sein Gesicht mit den vielen Narben war immer noch grau, und in ihm hatte sich eine unbeschreibliche Wut angestaut. Er explodierte, der Profos, und begann wie ein Hirsch zu röhren. Hinter Plymmie stürmte er mit einem Wutschrei in die Last und hängte die Laterne an einen Haken.

Dann ging es los.

Als die Hündin mit heiserem Geknurre in die Proviantlast flitzte, begannen die Biester erbärmlich zu pfeifen und stießen Laute aus, die an das Geschrei kleiner Kinder erinnerten.

Plymmie stieß mitten in das erstbeste Rudel Ratten. Dort schnappte sie zu, wütend, alles reißend, was ihr in die scharfen Fänge geriet. Jede Ratte, die sie totgebissen hatte, schlenkerte sie noch einmal wie einen alten Lappen, ehe sie zur Seite flog. Zähnefletschend schnappte sie schon wieder nach der nächsten, um sie zu zerreißen.

Die Wolfshündin entfesselte ein Massaker unter den Ratten. Quietschende, pfeifende und kreischende Ratten suchten ihr Heil in der Flucht, fielen wie faule Äpfel von den Speckseiten oder wurden von der Hündin erbarmungslos aus den Mehlsäcken gezerrt. Das Gewimmel der Leiber war unbeschreiblich. Braune, weiße und schwarze Ratten stoben nach allen Seiten auseinander.

Der Profos war so zorngeladen, wie Smoky ihn nur ganz selten erlebt hatte, aber auch dem Decksältesten ging es angesichts dieser grenzenlosen Schweinerei nicht anders.

Carberry lief brüllend auf einen Kuhfuß zu, mit dem die Proviantkisten aufgehebelt wurden, schnappte sich das eiserne Ding und begann tobend und brüllend wie ein Berserker unter dem Rattenvolk zu wüten.

„Schnapp dir den Schiffshauer!“ schrie Ed. „Und hau das verdammte Schott zu, damit sie nicht entwischen! Und dann nichts wie drauf auf die Mistviecher!“

Er schlug mit dem Kuhfuß zu, wirbelte herum, schlug mitten in die Traube aus flüchtenden Leibern hinein und raste zur nächsten Kiste, um auch dort mit aller Wucht hineinzuschlagen. Ein Schlag, und eine Ratte wurde zermatscht, aber da konnte der Profos in seiner grenzenlosen Wut hundertmal zuschlagen, so viele waren das.

Smoky drosch mit dem Schiffshauer drauf. Innerhalb kürzester Zeit hatte er zwei Dutzend Ratten erschlagen. Eine sprang ihn in ihrer Angst geifernd an. Smoky schlug angeekelt zu und hätte fast noch den Profos erwischt.

Jetzt begann er auch zu brüllen und nach allen Seiten um sich zu schlagen. In der Proviantlast entstand ein unglaublicher Krach. Da war der Profos zu hören, bei dem fast der Verstand aussetzte, dann die knurrende, bellende und geifernde Wolfshündin, dann Smoky mit seinem irren Geschrei und schließlich die quietschenden oder halbtoten Ratten, die ihre Angst hinausschrien.

„Drauf!“ schrie Ed. „Immer drauf! Und wenn ich das ganze Schiff in Fetzen schlage.“

Wieder fielen die Ratten unter seinen Streichen. In der Proviantlast sah es bald darauf aus wie in einem Schlachthaus. Dort war die Hölle los, und es hörte sich tatsächlich so an, als würde da alles kurz und klein geschlagen.

Vom Achterdeck aus sah Hasard befremdet nach vorn. Auch Jean Ribault vernahm das Gebrüll eines unwahrscheinlichen Amoklaufes. Das Schiff erzitterte unter Schlägen, die bis nach achtern dröhnten und überlaut zu hören waren. So konnte nur eine Horde total entfesselter Berserker gegeneinander kämpfen.

Auf dem Achterdeck hatte jedoch niemand eine Erklärung für diesen entsetzlichen Lärm.

„Mein Gott, was ist da nur passiert?“ fragte der Franzose entsetzt. „Hört sich ja an, als würden der Profos, Smoky, der Hund und deine Söhne übereinander herfallen.“

Durch den nervenzerfetzenden Lärm waren jetzt auch die anderen aufmerksam geworden und blickten entgeistert zum Vorschiff. Aber da war nichts zu sehen. Das Toben, Brüllen, Kreischen und Knurren war nur noch lauter geworden.

„Komm mit, Jean“, sagte Hasard tonlos. „Da stimmt etwas nicht. Ben, du übernimmst solange das Kommando.“

„Der Profos und Smoky spielen verrückt“, sagte Ben verstört. „Die sind sich wohl in die Haare geraten.“

Er konnte sich das zwar nicht vorstellen, doch eine andere Erklärung hatte er nicht.

Hasard und Jean stürmten nach vorn. Auf der Kuhl standen der Kutscher, Mac Pellew und ein paar andere, die den beiden Männern ebenso verstört nachsahen wie Ben Brighton. Keiner wußte, warum aus dem Vorschiff plötzlich ein Tollhaus geworden war.

Als die beiden Männer am Vorschiff waren, wurden das Lärmen und Wüten noch lauter, wilder und brüllender. Da schienen tausend Hämmer die Planken zu zerkleinern, da donnerte es an den Rumpf, da erklangen laute Wutschreie und dazwischen das scharfe Knurren der wildgewordenen Wolfshündin.

„Bei diesem Profos wachsen mir noch mal graue Haare“, stöhnte Ribault, „der muß verrückt geworden sein.“

Hasard gab keine Antwort darauf, weil er keine wußte. Er stieß das Schott auf, unter dessen unterster Ritze milchiger Schein zu sehen war, und blieb wie gelähmt stehen. Ribault erstarrte zur Unbeweglichkeit. Nur seine Augen waren weit aufgerissen.

Das Bild, das sich ihnen bot, konnte nur ein fürchterlicher Alptraum sein, dazu noch der Alptraum eines Verrückten.

Im flackernden Schein der Laterne sahen die beiden entsetzten Männer überall tote Ratten herumliegen. Die Planken waren mit Blut besudelt, und in diesem wüsten Haufen tobten schreiend und brüllend zwei Männer herum, die um sich hieben, als wollten sie alles in Stücke zerschlagen.

Smoky köpfte gerade eine Ratte mit dem Schiffshauer, während der Profos auf eins der ekligen Dinger so kräftig einhieb, daß die Planken dröhnten und die Ratte flach wie Pergamentpapier wurde. Immer wieder aber fuhr knurrend und reißend die Hündin dazwischen, die jeder Ratte sofort nachjagte und sich in einen wahren Blutrausch gesteigert hatte.

Den Seewolf schüttelte es, als er das Bild des Grauens sah. Der Franzose stand immer noch wie versteinert da und sah ungläubig auf das blutige Chaos.

„Das ist keine Schweinerei mehr, das ist eine Sauerei!“ brüllte der Profos. „Und zwar die größte, die ich je erlebt habe!“

Er warf voller rasender Wut den Kuhfuß einer Ratte nach, die den Decksbalken hinaufkroch und flüchten wollte. Die Ratte quietschte laut, der Kuhfuß polterte auf die Planken, und auch die Ratte folgte. Sie war noch nicht ganz tot, aber Plymmie schnappte sie, um sie wie einen nassen Lappen zu beuteln.

Durch das Gebrüll waren immer mehr Arwenacks oder Männer aus Ribaults Crew angelockt worden. Sie alle fragten sich beklommen, warum der Profos und Smoky das Schiff zu Kleinholz schlugen. Mulligan verfiel sogar auf die Idee, im Vorschiff hätten sich noch ein paar Dons versteckt, die man erst jetzt bemerkt habe.

Hasard erwachte wie aus einem bösen Alptraum. Er konnte immer noch nicht fassen, was er mit eigenen Augen sah. Woher kamen diese Unmassen von Ratten? fragte er sich immer wieder. Sie hatten doch vorher von den Viechern nichts bemerkt.

Etlichen Ratten war es jetzt gelungen, in die unterste Bilge zu entwischen, wo sie vorerst unerreichbar waren. Immer mehr verschwanden durch zahlreiche Löcher, bis nur noch ein paar herumhuschten, die sich die Wolfshündin schnappte.

Der Profos drehte sich um, den blutigen Kuhfuß in der Hand. In seinen Augen loderte blanke Mordlust, von seinem Gesicht troff der Schweiß, und er schnappte ein paarmal nach Luft.

Smoky sah auch nicht besser aus. Seine Klamotten waren blutbesudelt, der Schiffshauer in seiner Faust blutrot, und auch aus seinem Gesicht troff Wasser. Um sie her lagen tote Ratten auf den Planken, hingemäht von den mörderischen Hieben wie ein Schwarm ekliger Fliegen. Manche zuckten noch oder hatten die Schnauzen aufgerissen. Die anderen waren jetzt alle geflüchtet.

 

„Mein Gott“, sagte Hasard, „ich träume wohl. Was ist denn hier nur passiert?“

Der Profos schnaufte immer noch und ließ den Kuhfuß fast resignierend fallen. Smoky warf den Schiffshauer angewidert auf die blutigen Planken. Alles war voller Matsch und Dreck. Es stank entsetzlich nach Blut und Rattenurin.

„Plymmie fing an zu toben wie im Schatzkeller vor ein paar Tagen“, berichtete Ed. „Na ja, wir sahen nach und entdeckten die Sauerei dann in der Proviantlast. Die Ratten hingen traubenweise an unserem Proviant und fraßen sich voll. Da ist bei mir was ausgerastet, Sir, als ich diese stinkenden Mistviecher sah.“

Hasards Blick war immer noch fassungslos. Die Zwillinge brachten inzwischen zwei weitere Laternen, um die Proviantlast besser ausleuchten zu können.

„Das sind ja ein paar hundert Ratten“, sagte Ribault entsetzt.

Plymmie schoß aus einer dunklen Ecke hervor, wo sie ein Loch im Holz angekläfft hatte. Jetzt raste sie auf einen der staubigen Mehlsäcke zu, streckte die Schnauze in das Loch und, biß zu. Mit einem wilden Ruck schleuderte sie einen Müller auf die Planken und durchbiß der weißlichen Ratte das Genick.

Ribault zuckte ein bißchen zusammen, als er das Knirschen hörte. Aus dem Mehlsack staubte es. Es sah aus, als wehe Pulverrauch davon.

Unterdessen waren auch der Kutscher und Mac Pellew erschienen, die der fürchterliche Krach angelockt hatte. Als der Kutscher die heillose Unordnung sah, schlug er die Hände über dem Kopf zusammen und warf dem blutverschmierten Profos einen erschreckten Blick zu. Himmel, der sieht ja heute aus wie ein Blutsäufer, dachte er.

„Hier stinkt’s nach Rattenpisse“, sagte Mac mit angewidert verzogenem Gesicht. „Wo stammen die Biester her, Ed? Habt ihr die etwa allein totgeschlagen?“

„Ich habe sie heimlich an Bord gebracht“, bölkte der Profos, „weil ich die Tiere so gern habe, du Torfkopp, und weil sie Hunger hatten. Und totgeschlagen haben sie sich gegenseitig, weil sie uns noch etwas übrig lassen wollten.“

„Oh, mit dem ist aber heute nicht gut Salz lecken“, sagte Mac grämlich. „Der Rattenkönig ist in Braßfahrt.“

Mit dem Profos war heute wirklich nicht zu spaßen, der vertrug kaum noch die leiseste Andeutung. Er hatte sich noch lange nicht beruhigt und spie angewidert auf die matschigen Planken.

„Jedenfalls verschwindet diese Sauerei noch heute!“ brüllte er. „Und wenn der gesamte Schlaf dabei draufgeht!“

„Streitet euch jetzt nicht“, sagte Hasard, „das ist ein sehr ernstes Problem. Ratten sind keine harmlosen Tiere, und sehr appetitlich sieht das auch nicht mehr aus, was sie angefressen haben. An der Hartwurst oder dem Schinken da drüben müssen ja ganze Trauben gehangen haben. Widerlich ist das! Wir sind aber auf die Nahrungsmittel angewiesen. Wir stauen den Proviant um. Alles, was von dem Viehzeug angefressen oder angerissen wurde, geht sofort über Bord. Auch der Schinken und die Wurst da. Du wirst entscheiden, Kutscher, was wir noch brauchen können, ich verlasse mich auf dich und Mac. Sortiert den Kram aus, und dann …“

„Wird hier aufgeräumt“, sagte der Profos, „geschrubbt und gewaschen – bis in die allerletzte Ritze. Und danach wird der Rest von dem Rattenvolk ausgerottet, und wenn ich das Schiff umkrempeln muß.“

„Ja, wir müssen auch die letzte noch erwischen“, sagte der Seewolf, „damit wir nicht wieder so eine höllische Überraschung erleben. Seht auch nach den Fässern mit Trinkwasser, ob da nicht welche angenagt sind.“

Mac Pellew ging mit traurigen Blicken von einer Ecke zur anderen. Dabei schüttelte er immer wieder vor Entsetzen den Kopf.

„Ohgottchen“, murmelte er, „die haben hier ja wahre Freßorgien abgehalten, so ein verdammter Schweinkram. Haben schlimmer gehaust als die Knechte im alten Rom.“

„Was haben die abgehalten?“ fragte Ed mißtrauisch.

Mac Pellew zog es vor, zu schweigen und einen großen Bogen um den Profos zu schlagen. Der kriegte womöglich wieder ein Wort in den falschen Hals und ging dann hoch wie Schießpulver.

„Nur gut, daß du es gleich gemerkt hast“, sagte er dann doch versöhnlich zum Profos. Aber selbst so lobende Worte zogen bei dem erbitterten Profos heute nicht, denn er blaffte gleich zurück: „Klar! Du hättest das ja erst gemerkt, wenn die Ratten dich gefressen hätten. Und dann hättest du noch geglaubt, deine Jungfer aus Gotland – oder wo die Ziege her war – hätte dich gekitzelt.“

„Hört jetzt mit eurer Motzerei auf“, sagte Hasard scharf. „Ich will davon kein Wort mehr hören. Holt die anderen und beginnt mit dem Umstauen, damit diese Schweinerei endlich ein Ende findet.“

Plymmie war schon wieder in einer Ecke verschwunden, schob die Nase durch eine Ritze und sog die Luft scharf ein. Unter den Planken quietschte es leise.

„Verdammte Satansbrut!“ schimpfte Ribault. „Ich werde gleich ein paar von meinen Männern mit nach vorn schicken.“

„Und ich gieße mir erst mal eine Pütz Wasser über den Schädel“, sagte der Profos. „Muß mir die Sauerei abwischen.“

Das taten er und Smoky dann lange und gründlich. Inzwischen wurde der Proviant umgestaut und alles das, was von den Ratten angefressen war, kurzerhand über Bord geworfen. Der dickliche Paddy Rogers sah dem entschwindenden Schinken, den Hartwürsten und dem anderen ungenießbaren Proviant fast weinerlich nach.

„Da hätte man doch noch ’ne schöne Suppe draus kochen können“, nörgelte er. „Dann sieht man ja nicht mehr, was die Ratten angefressen haben und was nicht.“

„Kannst dir ja von den Ratten ’ne schöne Rattenbrühe kochen“, sagte Mac, „dann sieht man auch nicht mehr, was es vorher mal war.“

„Aber der schöne fette Speck!“ jammerte Paddy.

„Ist weg – hinterm Heck, das sagt dir Mac. Und jetzt hau ab nach unten, du Freßbeutel!“

Etwas später ging unten die „Große Sauerei“ los, wie der Profos das Aufräumen nannte. Die Ratten flogen pützweise über Bord, dann wurde Wasser auf die Planken gegossen, bis die „Esperanza“ fast kopflastig wurde. Danach bestand der Profos darauf, sämtliche Planken noch in der Nacht mit den Holys zu bearbeiten. Dazu wurde auf die gewässerten Planken Sand gestreut, und als das alles nach Stunden beendet war, wurde die Last mit Essigwasser noch einmal ausgewaschen. Ein paar andere scheuchte der Profos an die Pumpen, damit die Bilge gelenzt wurde.

„Und daß mir ja kein Sand liegenbleibt“, kündigte er noch an. „Wir segeln ja schließlich nicht auf einer Wanderdüne.“

Spät in der Nacht war alles wieder in Ordnung. Ferris Tucker und Mulligan durchsuchten jeden Winkel im Proviantraum nach Löchern und Durchschlüpfen, und sie fanden eine ganze Menge. Jedes entdeckte Loch wurde sorgfältig mit Holzpropfen dichtgekeilt. Danach wurde der Proviant wieder umgestaut, wobei das Thema eins an Bord die Rattenplage war und wie man ihrer Herr werden könne, denn etliche Ratten waren ja entwischt. Die würden allerdings schon bald wieder zu nagen anfangen, sobald sie Hunger verspürten.

Unterdessen gingen Ferris Tucker und Shane daran, ein paar Rattenfallen zu bauen, solide Schnappfallen, die den Viechern gleich die Köpfe zu Brei schlugen, sobald sie an den Köder gingen. Davon wurden noch ein paar aufgestellt – für den Fall – daß sich doch noch Ratten unbemerkt durchfressen sollten.

Zusätzlich ließ der Profos noch einen „Ratten-Posten“ aufziehen, der mit einer Handspake bewaffnet war. Den Ratten-Posten übernahm Bill für den Rest der Nacht.

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