Seewölfe - Piraten der Weltmeere 424

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 424
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Impressum

© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-832-4

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Fred McMason

Der Admiral

Den Rang gab er sich selbst – aber sonst war er ein Hundesohn

Der heimtückische Plan der adeligen Dunkelmänner ans England war nicht aufgegangen. Er hatte sich ins Gegenteil verkehrt und war zu einem Fiasko geworden. Philip Hasard Killigrew lebte, die Kunst des Kutschers hatte ihn gerettet. Denn der Feldscher der Seewölfe hatte den Eingriff gewagt und die Kugel herausoperiert, die in Hasards Rücken steckte – dicht vor dem Herzen. Die Schurken hatten für ihre Untaten büßen müssen. Das war eine Entscheidung des Kriegsgerichtes gewesen, das Kapitän Tottenham anberaumt hatte. Sir John Killigrew, der Duke of Battingham und Charles Stewart waren zum Tode verurteilt worden und hatten ihr Leben vor den Musketenläufen eines Pelotons von Seesoldaten beendet. Aber da waren noch die Goldbarren, die etwas auslösen sollten …

Die Hauptpersonen des Romans:

Jean Ribault – entwickelt einen tollkühnen Plan, um den Spaniern eins auszuwischen.

Philip Hasard Killigrew – ist ziemlich skeptisch, wird aber durch einen Losentscheid überstimmt.

Edwin Carberry – der Profos gewinnt eine Wette und sorgt in der „Schildkröte“ für Abwechslung.

Luis Campos – ein portugiesischer Schnapphahn, der sich Admiral nennen läßt und meint, ein großer Frauenbetörer zu sein.

Siri-Tong – erteilt dem Admiral eine Abfuhr und muß sich dafür mit drei Schaluppen herumärgern.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Schlangen-Insel, 29. September 1594.

Es war ein Bilderbuchsonntag mit strahlendem Sonnenschein, wohliger Wärme und leisem Rauschen der See, die an die Felsen der Insel schlug.

Auf der Werft des alten Ramsgate wurde heute nicht gearbeitet. Die Männer hatten ihren freien Tag und vertrieben sich die Zeit mit Angeln in der Bucht, Streifzügen über die Insel oder Faulenzen. Ein paar, Unentwegte hockten oben in den Felsen in „Old Donegals Rutsche“, tranken kaltes Bier und palaverten.

Es gab kaum etwas zu tun.

Hasard war von der Schußwunde in den Rücken, die er von Sir Andrew Clifford heimtückischerweise erhalten hatte, wieder genesen und fühlte sich wohl.

Don Juan de Alcazar war mit seiner Crew und der Schebecke nach Spanien aufgebrochen. Dort wollte er über befreundete Mittelsmänner bei Hofe Anklage gegen den Gouverneur von Kuba, Don Antonio de Quintanilla, erheben und ihn auf diese Weise zur Strecke bringen.

Ein neues Schiff hatte der Bund der Korsaren ebenfalls dazugewonnen.

Es war die „Lady Anne“, die Karavelle des alten Schnapphahns Sir John Killigrew, der sein ruchloses Leben ebenso ausgehaucht hatte wie Sir Henry, Duke of Battingham, und Charles Stewart, der ehemalige Kommandant der „Dragon“. Ihr Leben hatte vor den Musketenläufen eines Pelotons englischer Seesoldaten ein Ende gefunden.

Auch die Goldladung der „Santa Cruz“, die sich Sir John unter den Nagel gerissen hatte, aber von Jean Ribault und seinen Mannen mit der „Lady Anne“ sicher zur Schlangen-Insel gebracht worden war, ruhte bereits in den unterirdischen Schatzhöhlen der Insel. So war alles wieder im Lot, und es herrschte prächtige Stimmung.

Auf der „Isabella“ hockten ein paar Seewölfe unter dem Sonnensegel auf der Kuhl und lauschten grinsend den Worten des Profos’ Edwin Carberry, der heute ganz besonders gute Laune hatte und groß an Deck herumtönte und haarsträubende Geschichten erzählte.

Der Kutscher blickte andächtig und mit starren Blicken pausenlos in den azurblauen Himmel, bis es dem Profos auffiel.

„Was stierst du so?“ fragte er. „Siehst du etwa quergestreifte Affenärsche am Himmel hängen?“

„Nein“, sagte der Kutscher ernst. „Ich sehe nur nach, ob der Himmel auch weiterhin so blau bleibt.“

„Klar bleibt er das. Warum auch nicht?“

„Nun, es gibt Leute, die lügen einfach das Blaue vom Himmel herunter, und dann wird er schwarz.“

„Du willst mir doch nicht den schönen Sonntag verderben, was, wie?“ fragte der Profos sanft. „Stell dir mal vor, wir müßten heute noch zur Beerdigung eines gewissen Kutschers. Das wäre doch ein recht betrüblicher Tag, vor allem für den gewissen Kutscher, der dann seinen letzten Knödel gebacken hätte.“

„Noch ist der Himmel ja blau“, sagte der Kutscher vorsichtig.

„Na, siehst du!“ entgegnete der Profos mit seiner durchschlagenden Logik. „Ein Zeichen, daß ich nichts als die Wahrheit sage und alles stimmt.“

„Auch, daß du Kakerlaken gejagt hast, die dreimal größer als Ratten waren?“

„Na klar!“

„Und die Art, wie du grüne Affen gefangen hast, stimmt auch?“

„Selbstverständlich. Ich habe mich in den Urwald gestellt und immer wieder die Stiefel an- und ausgezogen. Die Affen wurden schon ganz neugierig, und sie heißen ja auch deshalb Affen, weil sie alles nachäffen. Dann habe ich Kleister in die Stiefel gefüllt und sie einfach stehenlassen. Schwupp, war der erste Affe da, zog sich die Stiefel an und klebte fest. Ich brauchte ihn nur noch aus den Latschen zu pflücken.“

„Beachtlich“, murmelte der Kutscher, „sehr beachtlich. Und wie hast du den Kleister wieder aus den Stiefeln entfernt?“ fragte er hinterhältig.

„Ja, wie war das doch gleich? Ach ja, einer der Affen ist mit den Stiefeln einfach abgehauen. Wie er den Kleister wieder herausgekriegt hat, war ja nicht mein Problem, oder?“

„Ganz recht. Das war ein Affenproblem. Sicher latscht er heute noch in den Stiefeln herum.“

„Genau. Solltest du mal einem gestiefelten Affen begegnen, dann weißt du sofort, was los ist.“

Die anderen grinsten bis an die Ohren und lauerten darauf, daß der Profos-Kutscher-Dialog ernsthaftere Formen annahm. Doch der Dialog wurde plötzlich unterbrochen, denn Jean Ribault näherte sich der „Isabella“. Auch er schien ausnehmend gute Laune zu haben – wie all die anderen. Er trug eine zusammengedrehte Rolle unter dem Arm. In der Hand hatte er etwas, das im Sonnenlicht immer wieder grell aufblitzte. Es schien ziemlich schwer zu sein.

„Ist es gestattet und so weiter?“ fragte er grinsend.

„Aber gewiß doch, mein lieber Jean“, sagte der Profos ebenfalls grinsend. „Bringst du jetzt schon dein Zehrgeld mit, oder ist das etwa kein Goldbarren, den du uns großzügig als Geschenk anbietest, damit wir ihn umgehend versaufen können?“

Ribault setzte sich auf die Kuhlgräting und legte den Goldbarren auf die Planken.

„Ein schöner Barren! Oder nicht?“ fragte er.

„Doch“, bestätigte der Profos, „sehr schön. Was meint ihr?“

Die anderen fanden den Barren auch sehr schön, aber auch gleichzeitig etwas langweilig, denn sie hatten schon einige dieser Barren gesehen, gleich tonnenweise, wie sie versicherten.

Smoky nahm ihn schließlich der Höflichkeit halber in die Hand, drehte ihn um und legte ihn wieder hin.

„Richtig goldig“, sagte er grinsend. „Und schwer ist er auch.“

„Sonst fällt dir nichts auf?“ fragte der Franzose.

Keinem fiel etwas auf. Ein Goldbarren – na und? Die gab es in den unterirdischen Höhlen der Insel wie Sand am Meer.

„Doch – er glänzt so schön“, sagte Paddy Rogers. „Aber ein Pfannkuchen von diesem Gewicht wäre mir lieber.“

„Na, ihr glänzt heute nicht gerade“, sagte Jean seufzend. „Erzählt nur weiter euren Stuß. Ist euer Kapitän an Bord?“

Carberrys mächtiger Daumen wies nach achtern. Daraufhin setzte sich der Franzose in Bewegung.

„Käse“, sagte Ed, womit er den Goldbarren meinte. „Habe ich euch schon mal erzählt, wie mir damals die Großrah auf den Schädel fiel und glatt zersplitterte?“

„Nee, noch nicht“, sagte Jeff Bowie, „du hast nur erzählt, wie du den abgefeuerten Siebzehnpfünder mit den Händen gefangen hast. Und dabei sind dir nur die Flossen ein bißchen warm geworden.“

Inzwischen trat Ribault bei Hasard ein. Er fand den Seewolf bei bester Laune vor und begrüßte ihn freudig.

„Noch Beschwerden, Sir?“ fragte er, auf Hasards Rücken deutend.

„Nein, mir geht es wieder prächtig, Jean. Setz dich.“

Ribault nahm lächelnd Platz. Den Goldbarren legte er wie provozierend auf den schweren Tisch, die gerollte Karte direkt daneben.

„Aha“, sagte Hasard, auf den Goldbarren deutend, „soll das dein Sonntagsgeschenk sein?“

„Er stammt aus der Beute der ‚Santa Cruz‘. Sei bitte so gut und sieh ihn dir etwas genauer an. Deinen Arwenacks ist nichts aufgefallen, aber vielleicht fällt dir etwas auf.“

Hasard nahm den Barren verwundert zur Hand und betrachtete ihn. Er wußte zwar nicht, was an dem Barren dran sein sollte, aber er drehte ihn um und prüfte ihn.

 

Als er den Barren umgedreht hatte, fiel ihm ein Prägestempel auf. Jetzt blickte er mit zusammengekniffenen Augen genauer hin. Der Stempel war rund und um den Rand herum beschriftet.

Halblaut las er die Worte vor und übersetzte sie gleich aus dem Lateinischen: „Philipp der Zweite, König von Spanien und Westindien.“

„Richtig“, sagte Jean. „Quer über die Mitte ist aber noch ein anderes Wort eingeprägt.“

„Potosi steht da“, sagte Hasard. „Na und? Was ist das Besondere daran?“

Ribault verdrehte die Augen, blickte an die getäfelte Decke und ließ sich gleichzeitig ein wenig zurücksinken. Dann sah er wieder Hasard an, wobei er tief Luft holte.

„Weißt du nicht, wer oder was Potosi ist?“ fragte er verwundert. „Oder hast du heute deinen schlechten Tag, Sir?“

„Im Gegenteil“, versicherte Hasard freundlich. „Ich fühle mich ausgesprochen wohl. Das verpflichtet mich jedoch nicht, zu wissen, wer oder was Potosi ist. Ich habe es nie gehört.“

„Hm, wenn das so ist … Ich habe mich mit diesem Problem bereits beschäftigt, als ich mit Sir Johns ‚Lady Anne‘ zurückkehrte.“

„Demnach ist Potosi also ein Problem.“

„So kann man es sehen.“ Ribault hatte jetzt wieder sein verwegenes Grinsen drauf, ein Grinsen, das Hasard nur allzugut kannte. Der Kerl heckt wieder einmal etwas aus, dachte er.

„Ich habe mich sogar eingehend damit beschäftigt“, gab Ribault zu. „Dabei stieß ich auf etwas ganz Erstaunliches: Sobald die Spanier in der Neuen Welt irgendwo Gold- oder Silbervorkommen entdeckten, errichteten sie gleich an Ort und Stelle Münz- oder Scheideanstalten.“

„Ganz richtig, Jean, das ist mir bekannt.“

„Nun, da wurden also gleich Gold- und Silbermünzen geschlagen oder geprägt, aber es wurden auch die Barren gegossen und mit dem königlichen Stempel versehen, um auf diese Weise kundzutun, daß sie durch den Stempel Eigentum Seiner Allerkatholischsten Majestät seien.“

„Stimmt auch“, sagte Hasard lächelnd, „nur nehmen die ehrenwerten Señores in den Münzanstalten die Sache mit dem königlichen Eigentum nicht so genau. Sie stopfen sich gleich an der Quelle die Taschen voll.“

„Sehr richtig. Und weil wir gerade bei diesen ehrenwerten Señores sind – jene, die das edle Metall in dieser oder jener Form transportieren, langen auch noch einmal kräftig zu. Und auch die Kapitäne der nach Spanien zurücksegelnden Galeonen rupfen noch ein bißchen an dem Gold und Silber herum. Den letzten Aderlaß gibt es dann in Sevilla, wenn die kostbare Ladung endlich an Ort und Stelle ist. Die Beamten der Casa wollen natürlich auch nicht leer ausgehen, und so greifen auch sie noch einmal zu. Der Rest des Edelmetalls fällt dann, ziemlich gefleddert, Seiner Allerkatholischsten Majestät zu.“

Hasard lächelte, genau wie Ribault auch. Er goß seinem alten Kampfgefährten funkelnden Rotwein in ein Kristallglas und schob es zu ihm hinüber. Beide Männer tranken sich grinsend zu.

„Und wo liegt jetzt das Problem?“ fragte der Seewolf.

„In Potosi. Das ist nämlich jener Ort, wo die Dons das Gold in Barren gegossen haben, und genau diese Barren sollte die Galeone ‚Santa Cruz‘ nach Spanien bringen. Was da auf dem Tisch liegt, ist also ein Goldbarren aus Potosi. Die Ladung hatte sich Sir John unter den Nagel gerissen, und jetzt haben wir sie.“

„Also gut, wir haben Gold aus Potosi. Und weiter?“

Ribaults Grinsen wurde noch breiter und verwegener.

„Daraus folgert doch, daß an einem Ort, wo man Barren gießt und Münzen prägt, noch mehr von dem Zeug vorhanden sein muß. Oder sehe ich das falsch?“

Ribault griff scheinbar in die Luft, rieb die Finger gegeneinander und hielt eine Goldmünze in der Hand, die er Hasard von beiden Seiten zeigte.

„Hier, auf der einen Seite, zeigt die Prägung die Säulen des Herkules mit Atlantikwellen und der Aufschrift Potosi. Auf der anderen Seite befindet sich ein Kreuz, dazu die Türme von Kastilien und der Löwe von Léon, das königliche Wappen. Das ist doch eine Prachtmünze, mein lieber Sir. Und sie hat noch eine Unmenge Brüder, davon bin ich überzeugt.“

In Hasards Blick lag jetzt eine gespannte Aufmerksamkeit, als er Barren und Münze nochmals genauer betrachtete. Dann blickte er sehr nachdenklich Jean Ribault an.

„Wo liegt dieses Potosi? Tut mir leid, aber ich habe wirklich noch nie davon gehört.“

Ribault griff lächelnd zu der mitgebrachten Rolle, entfaltete sie und beschwerte sie demonstrativ mit dem Brocken aus Potosi. Auf den anderen Rand legte er die Goldmünze.

„Auch damit kann ich dienen“, sagte er eifrig, „die Sache hat mir nämlich keine Ruhe mehr gelassen. Das ist eine Karte von der Westküste Südamerikas bis hinauf nach Mittelamerika. Hier!“ Er tippte mit dem Finger auf einen kleinen Punkt. „Das ist die Hafenstadt Arica, und hier, etwas weiter in östlicher Richtung, liegt Potosi. Genau da, wo ich das Kreuz eingezeichnet habe. Potosi ist eine Stadt, die bereits vor zwanzig Jahren mehr als einhundertzwanzigtausend Einwohner hatte. Da staunst du, was?“

Hasard staunte wirklich, dann stieß er pfeifend die Luft aus und sah Ribault stirnrunzelnd an.

„Mein lieber, guter Jean“, sagte er, „hast du – gelinde gefragt – eigentlich noch alle Mucks im Schapp? Potosi – das sind, über den Daumen gepeilt, mindestens dreitausend Meilen von der Schlangen-Insel bis nach Arica. Weiter dürften es etwa dreihundert Meilen Landweg von Arica nach Potosi sein, und das im Hochland, ganz abgesehen von der Überquerung des Isthmus von Panama. Oder gedachtest du etwa, den riesigen Umweg um das Kap Hoorn zu nehmen, lieber Freund?“

„Aber, aber, Gevatter“, sagte Jean mit süffisantem Grinsen. „Natürlich habe ich solche Argumente erwartet, aber ich lasse sie in aller Ruhe an mich heran. Wir sind doch zwei weitblickende Männer, und der Weg um die Hoorn ist sicher ein bißchen zu weit.“

„Ein bißchen?“ schnaubte Hasard. „Ein bißchen ist gut.“

Ribault ließ sich wirklich nicht aus der Ruhe bringen. Dickfellig und impertinent grinsend saß er da. Seinem Gesicht war anzusehen, daß er sich regelrecht auf Potosi verbissen hatte. Er mußte nur noch den Seewolf überzeugen.

„Klammern wir die Hoorn aus“, sagte er. „Ich empfehle eine andere, wesentlich kürzere Route, und zwar südwestwärts über die Karibik nach Porto Bello oder Nombre de Dios, von dort über Land nach Panama und von dort wiederum längs der Küste immer südwärts über Callao nach Arica. Das ist eine kurze und handfeste Route. Der Rest ist auch nicht mehr als ein Klacks“, fügte er lässig hinzu.

„Natürlich, Gevatter Jean“, sagte Hasard höhnisch. „Und auf der Route Panama über Callao nach Arica immer lustig gegen den meist aus Süden wehenden Wind anknüppeln. Und ab Punta de Aguja auch noch kräftig gegen den Peru-Strom, nicht wahr?“

„Sehr richtig, Sir. Aber das hat auch seine guten Seiten“, sagte Jean grinsend, „denn auf der Rückfahrt werden wir dann wieder von Wind und Strom geschoben.“

„Wir?“ fragte Hasard mit hochgezogenen Brauen. „Was, mein lieber Gevatter, verstehst du bitte sehr unter wir?“

„Ach, das ist doch ganz einfach“, erklärte Jean seelenruhig. „Unter wir verstehe ich euch, die Arwenacks, selbstverständlich und dazu noch meine Schwefelbande. Das reicht doch wohl.“

Hasard lehnte sich ebenfalls zurück, blickte auf die Karte, auf den Goldbarren und auf Ribault, der genüßlich grinsend an dem Rotwein nippte und dabei auf Antwort wartete. Die erhielt er auch, aber anders, als er sich das gedacht hatte, denn der Seewolf schien längst nicht so begeistert von Potosi zu sein wie er selbst.

„Du bist verrückt, Jean, glatt verrückt.“

Ribault blieb kaltschnäuzig bis in die Knochen. Er nahm die Worte auch nicht übel, er grinste immer noch.

„Schade“, murmelte er, „wirklich bedauerlich. Da muß ich mit meinen Männern wohl allein lossegeln.“

„Bist du sicher?“ fragte Hasard ironisch.

„Klar, ich segle allein, wenn ihr nicht wollt.“

„Du kannst nicht einfach allein lossegeln, Jean. Denn da haben die anderen Kapitäne und Mannschaften wohl auch noch ein Wörtchen mitzureden. Das entscheidet die Mehrheit im Bund der Korsaren.“

„Richtig, Sir. Aber diese Mehrheit wird mir schon zustimmen, denn ich habe gute Argumente zur Hand.“

„Den Goldbarren und die Münze?“

Ribault grinste immer noch unerschütterlich.

„Berufen wir ein Palaver für heute abend ein?“ fragte er.

„Genehmigt“, entschied der Seewolf. „Aber es wird nicht viel mehr als ein Plauderstündchen sein.“

„Warten wir’s ab. Ich habe noch ein paar Trümpfe in der Hand.“

2.

Der Einfachheit halber fand das Palaver in der Bucht am Strand statt. Ein paar Fackeln waren entzündet worden. Das restliche Licht spendete der Mond, der groß und gewaltig über der Karibik hing und aus narbigem Gesicht auf die Versammlung blickte.

Mannschaften und Kapitäne waren erschienen, auch Arkana, Araua und Karl von Hutten.

Ribault ließ ein paar Barren und Münzen zur allgemeinen Besichtigung verteilen und erklärte dann genau, wo Potosi zu finden sei und was man darunter zu verstehen habe.

„Wir alle kämpfen gegen die Dons“, sagte er, „und wir haben auch viele und gute Erfolge errungen. Aber das ist noch lange nicht genug. Wir müssen die Dons immer dort packen, wo sie sich selbst am sichersten fühlen und keinen Angriff erwarten. In Potosi fühlen sie sich völlig sicher. Und dort in den Minen und Bergwerken schuften Sklaven und unschuldige Farbige für sie, weil die Dons den Hals nie voll genug kriegen. Diese Leute wurden zusammengetrieben und in die Bergwerke gesteckt, wo sie unter unmenschlichen Bedingungen schlimmste Sklavenarbeit leisten – so lange, bis sie elend verrecken und krepieren. Wenn wir ihnen diese Quellen zuschütten, erleiden sie eine empfindliche Schlappe, und wir retten dadurch Tausenden von armen geknechteten Menschen das Leben.“

Ein paar Männer murmelten Worte der Zustimmung, doch Potosi war für die meisten noch ein ferner Begriff, unter dem sie sich nicht viel vorstellen konnten.

„Diese Menschen sind für mich der eigentliche Grund, warum ich diesen Plan für einen Überfall auf die Minen gefaßt habe. Der zweite ist die Schwächung der Dons, die dadurch wiederum weniger Kriegsgüter herstellen können, um andere Länder zu unterjochen und das ganze grausame Spiel von vorn zu beginnen. Wir haben selbst erlebt, wie die Dons mit unschuldigen Menschen verfahren. Sie sind für sie nur billige Arbeitskräfte, Material, das gnadenlos verheizt wird. Menschenleben spielen ja keine Rolle.“

Das Murmeln wurde lauter. Der Wikinger Thorfin Njal nickte eifrig. Auch die anderen Kapitäne – Oliver O’Brien und Jerry Reeves – gaben Ribault recht. Selbst die Rote Korsarin nickte zustimmend.

„Wie hast du dir das vorgestellt, Jean?“ fragte der Wikinger mit seiner Donnerstimme dazwischen.

„Ich habe gründlich darüber nachgedacht“, erwiderte Jean, „und auch alles reiflich überlegt. Der Plan ist durchaus durchführbar, wenn er ernsthaft in Angriff genommen wird. Wir bilden zwei Mannschaften, die von einem unserer Schiffe auf der Ostseite des Isthmus von Panama abgesetzt werden, die Landbrücke überqueren und nach Panama einsickern. Dort müßten wir uns zwei gute Schiffe besorgen, entweder unter der Hand kaufen oder notfalls kapern; aber das Kaufen zweier Schiffe ziehe ich vor, weil man sie ja auch noch ausrüsten muß.“

„Bravo!“ brüllte Old O’Flynn begeistert. „Das nenne ich ein Wort, Jean! Das wird ein Feldzug ganz nach meinem Geschmack. Wir laufen Potosi an und kloppen den Dons kräftig eins auf die Finger.“

„Wie willst du denn Potosi anlaufen, wenn das über viertausend Yards hoch in den Bergen liegt?“ fragte Hasard den kampflustigen Alten.

Daraufhin schwieg Old O’Flynn erst einmal verdattert und hörte eine ganze Weile gespannt zu.

„Wir müßten dann südwärts bis in die Nähe von Arica segeln“, führte Ribault weiter aus. „Dort werden beide Schiffe gut versteckt. Für den Weg zu den Potosi-Minen brauchen wir dann allerdings einen Indio, den aufzutreiben kein Problem sein dürfte.“

„Und wie hast du dir das Vorgehen bei den Minen und die anschließende Rückkehr vorgestellt?“ fragte Hasard.

„Das muß die jeweilige Situation ergeben, das läßt sich vorerst noch nicht planen, weil wir nicht wissen, welche Verhältnisse wir dort vorfinden. Den Rückweg stelle ich mir so wie damals vor. Erinnere dich bitte an die Geschehnisse vor fünfzehn Jahren, Sir. Da sind wir von Baudo aus auf dem Landweg zum Rio Atrato marschiert und von dort flußabwärts mit Booten zum Golf von Uraba, der südlichsten Spitze des Golfes von Darién, vorgestoßen. Dort haben wir dann ein Schiff geentert. Das müßte jedem noch gut in Erinnerung sein.“

 

Es war ihnen auch noch in Erinnerung, besonders einem war es verflucht gut in Erinnerung und würde das auch bis an sein Lebensende bleiben.

Dieser Mann war Jeff Bowie, der jetzt gedankenvoll seinen linken Arm hob und den spitzen Eisenhaken betrachtete, der ihm Hand und Faust ersetzte.

Er sah die Szene wieder vor sich, überdeutlich, die sich ihm für alle Zeiten unauslöschlich eingebrannt hatte. Er war vom Floß gefallen und in den Fluß gestürzt, der von gefräßigen Piranhas verseucht war.

Smoky, Stenmark und Karl von Hutten hatten ihn zwar schnell wieder herausgezogen, doch es war schon zu spät. An seiner Hand zappelte noch einer der Raubfische, aber die Hand war zerrissen, Sehnen und Knochen lagen frei, und das Blut spritzte heraus.

Amputation, da half nichts anderes mehr. Sie flößten ihm scharfen Schnaps ein, bis er zu singen begann. Der Kutscher nahm die Axt, schlug zu und trennte ihm die Hand vom Unterarm. Dann schütteten sie ihm Schießpulver über die Wunde und zündeten es an.

Zum Glück hatte er nicht mehr viel davon verspürt, denn er war bewußtlos geworden. Drei Tage und drei Nächte hatte er danach im Fieber gelegen, aber die Wunde hatte nicht geeitert und war dank des Kutschers Kunst wieder verheilt. Seitdem trug Jeff Bowie diese Hakenprothese.

Wie zufällig wanderten die Blicke der Arwenacks zu Jeff Bowie, aber der grinste nur und hob stolz seinen Haken hoch.

Auch Ribault warf dem Hakenmann einen lächelnden Blick zu.

„Wir können auch bis in die Nähe von Panama segeln“, schlug er weiter vor, „und denselben Weg nehmen, auf dem wir nach Panama gelangt sind, also über den Isthmus nach Nombre de Dios oder Porto Bello, das können wir immer noch entscheiden. Wer nicht mitwill, der läßt es eben bleiben, aber von einem Mann weiß ich mit Sicherheit, daß er an dem Unternehmen teilhaben wird, nämlich Karl von Hutten. Und Karl ist bei einem derartigen Unternehmen von unschätzbarem Vorteil, weil er sich mit den Indios verständigen kann.“

Von Hutten nickte Ribault lächelnd zu.

„Ich bin dabei, Jean“, sagte er, „darauf kannst du dich verlassen.“

Hasard musterte die beiden grinsenden Kerle gespannt. Ein feiner Schachzug von Ribault, dachte er.

„Habt ihr das vorher untereinander abgesprochen?“ fragte er scharf.

„Nein“, sagte Karl von Hutten, „ganz sicher nicht. Ich hatte von dem Plan keine Ahnung und höre jetzt zum ersten Male davon.“

„Und du bist gleich hellauf begeistert?“

„Allerdings, die Sache gefällt mir, sie riecht nach Abenteuer und Abwechslung, und sie dürfte den Dons bei Gelingen eine gehörige Schlappe bescheren.“

Hasard beobachtete die Reaktion der anderen. Die waren alle ziemlich durcheinander, und einige hatten schon das begehrliche Funkeln in den Augen. Er nahm Thorfin Njal genauer aufs Korn. Der Wikinger war ganz kribbelig und befummelte schon wieder ständig seinen verdammten Kupferhelm, an dem er kratzte und rieb, als würde es ihn mächtig darunter jucken. Die meisten tuschelten erregt untereinander. Ribaults Äußerung, die Spanier dort zu packen, wo sie es am wenigsten erwarteten, war auf fruchtbaren Boden gefallen. Das war also einer der Trümpfe, die Ribault noch im Ärmel hatte.

Siri-Tong sah die beiden Männer an.

„Zwei Helden sind also wieder einmal zum Aufbruch ins Ungewisse bereit“, sagte sie spitz. „Wer außer euch sollte bei dem Unternehmen denn noch dabeisein?“

Die Männer hielten den Atem an und blickten zu Ribault, der gelassen die Arme über der Brust gekreuzt hielt und in die Runde sah.

„Ich dachte eigentlich an Hasard und seine Arwenacks – und dann natürlich an meine eigene Mannschaft.“

Mit der Ruhe war es schlagartig vorbei, denn nun setzte genau das Palaver ein, das Hasard vorausgesehen hatte. Alle brüllten lautstark durcheinander, und fast alle waren plötzlich Feuer und Flamme für den abenteuerlichen Plan. Das reizte die Kerle jetzt ganz gewaltig. Ihnen juckte wieder das Fell.

Der Seewolf schüttelte den Kopf und sah einen nach dem anderen an.

Der Profos war ständig am Grinsen und rieb sich die Pranken in der Vorfreude auf künftige Abenteuer. Pete Ballie und Stenmark nickten sich begeistert zu, während Matt Davies und Jeff Bowie ihre Eisenhaken hart zusammenknallten. Smoky hatte einen merkwürdigen Glanz in den Augen, und der alte O’Flynn reckte mal wieder den Hals vor, als entgehe ihm etwas.

Na schön, er verstand die Begeisterung ja auch, aber das war eine Reise von dreitausend Meilen, hin und zurück das Doppelte, und das würde Monate dauern, Monate voller Unwägbarkeiten, Entbehrungen und Strapazen, doch daran schien keiner der Kerle zu denken. Sie sahen sich nur unterwegs, alles andere störte sie vorerst nicht.

Er drehte etwas den Kopf nach links und blickte zu seinen beiden Söhnen hinüber.

„Auch das noch“, murmelte er betroffen.

Die Blicke der beiden Kerle hingen wie Kletten an ihm, ihre Augen leuchteten noch heller als die von Smoky, und ihre Gesichter waren so erwartungsvoll, wie er es schon lange nicht mehr gesehen hatte. Die Burschen barsten vor Tatendrang. Denen juckte das Fell noch mehr als den anderen. Aber noch war gar nichts entschieden.

„Ich bitte um Ruhe“, sagte Hasard, während er sich erhob.

Das Palaver verstummte sofort. Alle Blicke richteten sich auf Hasard. Sie wußten, daß er jetzt etwas vorbringen würde, was das geplante Unternehmen in einem anderen Licht zeigte, daß es auch Schattenseiten hatte und nicht nur strahlender Sonnenschein war. Hasard wog das Für und Wider immer sorgfältig ab und ließ sich auf keine Spekulationen ein.

„Noch haben wir Jeans Plan nicht in Erwägung gezogen“, sagte er, „es war nur ein Vorschlag von ihm. Aber bevor wir den Plan überhaupt erwägen, haben wir noch ein anderes Problem zu lösen. Jean hat von zwei Schiffsmannschaften gesprochen, die das Unternehmen durchführen sollen. Zwei Schiffsmannschaften sind aber immerhin fünf Dutzend bewährte Kämpfer, also etwa sechzig Mann. Die fallen zum ersten schon bei den ständigen Patrouillenfahrten um die Insel und nach Coral Island aus. Das ist das eine Problem. Das andere ist, daß diese Männer auch fehlen würden, falls die Spanier einen erneuten Versuch unternehmen, die Schlangen-Insel anzugreifen.“

„Das halte ich für ziemlich ausgeschlossen“, sagte der Wikinger.

„Das ist überhaupt nicht auszuschließen, Thorfin. Denn einem Mann ist die Position der Schlangen-Insel immerhin sehr genau bekannt, und das ist der Gouverneur von Kuba, der feiste Don Antonio de Quintanilla. Der Kerl ist nach wie vor gefährlich und wird bald wieder etwas unternehmen. Hast du das Problem schon erwogen, Jean, oder weißt du eine Lösung dafür?“

Ribault hustete unterdrückt. Nein, verdammt, er hatte keine Lösung, er hatte gar nicht daran gedacht. Er wollte gerade den Mund auftun, um das verlegen zuzugeben, als die Schlangen-Priesterin Arkana einen Schritt vortrat und Hasard gelassen ansah.

„Bereite dir darum keine Sorgen“, sagte sie mit ihrer samtig klingenden Stimme. „Auch in Abwesenheit von sechzig Kämpfern ist die Insel zu verteidigen, sollte es den Spaniern nochmals einfallen, anzugreifen. Die Schwachpunkte der Insel sind uns nach dem letzten Kampf bekannt. Wir werden die Insel entsprechend ausbauen und zusätzlich sichern und verstärken.“

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