Seewölfe - Piraten der Weltmeere 396

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 396
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Impressum

© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-804-1

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Fred McMason

Hexenjagd

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Die Nacht vom 12. auf den 13. Juli 1594 blieb manchen Leuten sehr unangenehm in Erinnerung, denn in dieser Nacht war in Havanna der Teufel los, und alle spielten verrückt.

Begonnen hatte dieser Irrsinn mit der Jagd auf den Generalkapitän der spanischen Krone Don Juan de Alcazar, dem der Gouverneur von Havanna einen Mord an einer Frau in die Schuhe geschoben hatte, um ihn loszuwerden.

Don Juan befand sich zu dieser Zeit allerdings in Sicherheit auf einer kleinen Insel in der Bucht von Marimelena.

Die anderen Bürger, Zecher, Seeleute und Hasardeure wurden immer wieder aufgescheucht, durchsucht, gefilzt, herumgestoßen und fanden keine Ruhe.

In der Faktorei des Deutschen Arne von Manteuffel war das nicht anders. Auch hier gelangte man nicht zur Ruhe. Das Gebäude war bereits zweimal durchsucht worden, was den blonden Deutschen langsam in Rage brachte.

Vom Fenster der Faktorei aus beobachteten Arne, der Türke Jussuf und Jörgen Bruhn das Treiben der Soldaten, die von Haus zu Haus und Kneipe zu Kneipe hetzten, um alles auf den Kopf zu stellen.

„Das wird eine heiße Nacht“, sagte Jörgen, „in der so mancher Unschuldige verdächtigt und verprügelt wird. Dieser Stadtkommandant geht mit unglaublicher Härte vor. Fast erinnert mich diese Szene an die marodierenden Horden, die erst kürzlich Havanna überfallen haben. Das waren Schnapphähne, diesmal sind es Soldaten, aber einen großen Unterschied kann ich nicht feststellen.“

Arne blickte durch das Fenster auf die Straße, wo wieder ein Trupp Soldaten vorbeizog. Diesmal trieben sie mit den Musketen in der Faust einen Mann vor sich her, der alle Augenblicke harte Püffe erhielt und ein paar Male stolpernd zusammenbrach. Hin und wieder schrie der Mann voller Angst gequält auf.

Die Horde zog weiter in die nächste Gasse. Das Gebrüll und Geschrei war jedoch noch eine ganze Weile zu hören.

„Der ehrenwerte Señor de Retortilla spielt total verrückt“, sagte Arne. „Ich nehme an, daß ihn der ehrenwerte Gouverneur bedenkenlos über die Klinge springen lassen wird, wenn er Don Juan nicht findet, denn was der eine verpatzt hat, muß der andere auslöffeln, in diesem Fall der Stadtkommandant Verdammte korrupte und hinterhältige Bande“, setzte er verächtlich hinzu.

Der Türke Jussuf strich mit Daumen und Zeigefinger über seinen sichelförmigen Schnauzbart und wandte sich vom Fenster ab.

„Uns wird man für heute nacht in Ruhe lassen“, meinte er, „die Kerle können ja nicht alle Stunde lang die Faktorei durchsuchen.“

„Die können noch viel mehr“, sagte Jörgen Bruhn. „Gerade aus dem Grund, weil Don Juan oft hier war.“

Ja, Don Juan war oft hier gewesen, und ihn und Arne verband schon fast so etwas wie Freundschaft. Jetzt wurde er natürlich verdächtigt, den geflüchteten Generalkapitän versteckt zu haben. Da die zweimaligen Hausdurchsuchungen jedoch ergebnislos verlaufen waren, nahm Arne ebenfalls an, man würde sie für den Rest der Nacht nicht weiter behelligen.

Diese Annahme erwies sich jedoch als falsch, denn kurz nach Mitternacht waren die Tritte von genagelten Stiefeln deutlich auf der Pier zu hören.

Arne, der im milchigen Schein einer Öllampe gerade etwas in eine Kladde übertrug, hob lauschend den Kopf, als die Tritte übergangslos verstummten. Ein leises Kommando war zu hören.

Jörgen Bruhn war schon beim Fenster und warf einen Blick auf die Pier. Arne sah ihn hart schlucken.

„Schon wieder dieser verdammte Stadtkommandant“, murmelte er betroffen. „Er hat ein halbes Dutzend Kerle dabei. Der Besuch gilt offenbar noch einmal uns.“

Über der Nasenwurzel des Deutschen erschien eine steile Falte, ein deutliches Zeichen seines Ärgers. Er stand auf und trat ebenfalls ans Fenster.

Auf der Pier standen sechs Soldaten mit Kupferhelmen und Kürbishosen. Sie hatten Musketen geschultert und standen jetzt stramm.

Vor ihnen stand Don Ruiz de Retortilla, hakennasig, gelbgesichtig und mit verkniffenen Lippen. Er schritt auf das Tor der Faktorei zu und klopfte mit den Knöcheln dagegen, hartnäckig, fordernd.

Aus der Falte über Arnes Nasenwurzel war jetzt eine harte Kerbe geworden, als er den penetranten Kerl klopfen sah.

Die letzten beiden Male hatte er den Stadtkommandanten noch mit ausgesuchter Höflichkeit behandelt. Weitere Höflichkeit war jetzt nicht mehr angebracht.

„Soll ich öffnen?“ fragte Jörgen leise.

„Ja, ich gehe selbst mit.“

Während Jussuf zurückblieb, gingen Arne und Jörgen Bruhn nach unten ans Tor, an das immer heftiger und fordernder gepocht wurde.

Jörgen entriegelte und öffnete das Tor.

Don Ruiz räusperte sich, als er Arnes harte Züge sah. Er wurde kalt und abweisend aus eisblauen Augen fast verächtlich gemustert.

„Was wollen Sie?“ fragte Arne barsch.

Klein und häßlich stand der Stadtkommandant da. Seine sechs Soldaten musterten aus neugierigen Augen den einsehbaren Teil des Innenhofs und verrenkten sich dabei fast die Hälse.

Der Mann mit der ungesunden gelben Gesichtsfarbe, die jetzt im Schein der Lampe fahl wirkte, sah verkniffen aus. Seine Nase stach scharf aus dem Geiergesicht hervor. Über dem spitzen Kinn waren die Lippen wie zwei kaum sichtbare Striche.

„Ich sehe mich gezwungen, nochmals Ihr Haus und die Faktorei zu durchsuchen“, erklärte er herrisch. „Es besteht der Verdacht, daß sich der Frauenmörder doch bei Ihnen versteckt hält.“

„Richtig“, sagte Arne höhnisch, „Sie suchen ja immer noch diesen unheimlichen Frauenmörder, diese grausame Bestie in Menschengestalt, diesen raubenden und mordenden Don Juan, der durch Havanna schleicht und unschuldige Frauen hinterrücks mordet. Wie oft waren Sie denn heute schon hier und haben Haus und Faktorei durchsucht?“

„Äh – das …“

„Wie oft?“ brüllte Arne den zusammenzuckenden Mann an.

„Heute nachmittag, dann …“

„Heute nachmittag“, sagte Arne eisig, „dann zweimal in der Nacht. Sind insgesamt drei Durchsuchungen, bei denen Sie nichts fanden, ehrenwerter Señor. Ist das richtig?“

„Das ist richtig“, sagte Don Ruiz unruhig. Seit seinem ersten Auftritt war er merklich kleiner geworden. „Aber ich habe meine Befehle, und der Verdacht besteht weiterhin. Ich muß Sie ersuchen, das Tor freizugeben, damit die Soldaten …“

Arne ließ ihn wieder nicht ausreden. Ihm platzte fast der Kragen, und das ließ er den korrupten Stadtkommandanten auch spüren.

„Es reicht jetzt“, sagte Arne, „es reicht jetzt wirklich. Ich verbitte mir ausdrücklich alle weiteren Belästigungen. Mir zu unterstellen, ich würde einen gesuchten Frauenmörder in meinem Anwesen verbergen, fasse ich als persönliche Beleidigung auf, Señor, als Beleidigung meiner Ehre. Sollten Sie dennoch wagen, die Faktorei ein viertes Mal durchsuchen zu lassen, dann fordere ich Genugtuung.“

Don Ruiz zuckte wieder unmerklich zusammen. Dieser Deutsche war ein harter Brocken, mit dem war nicht gut Kirschen essen, der würde sich wirklich nicht scheuen, Genugtuung zu verlangen.

„Ich – ich tue nur meine Pflicht“, sagte der Kommandant.

„Dann lassen Sie sich nicht aufhalten. Tun Sie Ihre Pflicht. Sollten Sie aber wiederum nichts finden, dann fordere ich Sie anschließend zum Duell. Meine Ehre gebietet mir, so zu handeln. Sie dürfen die Waffen wählen.“

Die Nase wurde noch spitzer, die Augen traten etwas aus ihren Höhlen, und der ehrenwerte Don Ruiz begann am ganzen Körper zu zittern.

„Das – das kann nicht Ihr Ernst sein, Señor de Manteuffel“, murmelte er bestürzt.

„Es ist mein voller Ernst. Ich habe es unter Zeugen gesagt. Ich lasse mir nicht unterstellen, einen Frauenmörder zu verbergen, zumal Sie sich bereits dreimal erfolglos davon überzeugen konnten. Ein viertes Mal lasse ich nicht ungestraft durchgehen. Und nun wählen Sie! Durchsuchen Sie weiter, und sagen Sie mir, für welche Blankwaffe Sie sich entschieden haben.“

Im Grunde war Don Ruiz de Retortilla ein feiger Mann, der seinen Mangel an Mut hinter herrischem Gehabe und forschem Auftreten verbarg. Im Schutz seiner Soldaten fühlte er sich sicher, aber aus einem Ehrenhändel würden sie sich heraushalten, der ging sie nichts an und war Sache der beiden Kontrahenten.

Sekundenlang sah er Arne an, musterte die riesige kraftvolle Gestalt, die nur aus Muskeln und Sehnen bestand, und verglich sie insgeheim mit seiner Statur.

Da blieb nicht mehr viel übrig. Gegen den Deutschen war er ein kümmerliches Männchen, ein Zwerg ohne jede Chance. Das war etwa so, als wollte eine lahme Hauskatze gegen einen wilden Löwen kämpfen.

 

Nein, ein Duell würde er nicht überleben. Fast fühlte er, wie sich die Degenspitze in seinen Körper bohrte.

„Nun, haben Sie sich entschieden?“ fragte Arne. Er trat höflich zur Seite und wies mit der Hand einladend in den Innenhof. Auch Jörgen Bruhn trat lächelnd zur Seite.

Die Soldaten standen immer noch wie Marionetten herum. Sie warteten auf Befehle ihres entschlußlosen Vorgesetzten, aber der gab keine. Er hatte Angst und wollte sich jetzt wenigstens noch einen Abgang verschaffen, bei dem er nicht das Gesicht verlor.

„Ich würde dem Duell selbstverständlich nicht ausweichen“, sagte er mit gespielter Lässigkeit, „andererseits muß ich zugeben, daß Sie mir nicht der Mann zu sein scheinen, der feige Frauenmörder verbirgt. Da Sie hier gut angesehen sind, werde ich auf die vierte Durchsuchung ausnahmsweise verzichten. Ich verstehe, daß Sie sich gekränkt fühlen. Wir wollen es ja schließlich auch nicht mit dem Gouverneur verderben. Sie entschuldigen dann wohl die Störung, Señor de Manteuffel.“

Arne ließ ihm diesen Abgang. Er kannte die Gedanken, die hinter der Stirn des Geiergesichtigen abliefen. In dem verkniffenen Gesicht war nackte Angst zu lesen, erbärmliche Angst, daß er gefordert worden war.

„Richten Sie ihm meinen verbindlichen Gruß aus“, sagte Arne. „Ich verstehe Ihre Probleme, Señor de Retortilla, und ich bin sicher, daß Sie den feigen Mörder bald fangen werden.“

In dem fahl wirkenden Gesicht zuckte es wieder. Die Augen flackerten, der Mund öffnete sich etwas.

„Gute Nacht“, sagte der Kommandant beherrscht. Das kaum merkliche Zittern in seiner Stimme hörte nur Arne heraus.

„Gute Nacht, Señores“, sagte Arne.

Das Tor schloß sich, und jetzt hatte de Retortilla wieder sein starkes Hemd an, denn er stauchte seine sechs Soldaten zusammen und scheuchte sie mit harten Worten weiter.

Arne und Jörgen sahen sich grinsend an.

„Er hatte fast die Hosen voll“, sagte Jörgen schadenfroh. „Die Sache mit dem Duell hat ihm die Stiefel ausgezogen. Der Mann hatte furchtbare Angst.“

„Hatte er auch, denn er ist von Natur aus ein Feigling. Er wollte nur noch einen guten Abgang, mehr nicht.“

„Den hatte er nur scheinbar, denn das haben ihm selbst die Soldaten nicht abgenommen. Und daß Don Juan eine Frau ermordet hat, wird in ganz Havanna kaum ein Mensch glauben.“

Als sie wieder zurückkehrten, grinste auch der Türke, denn er hatte vom Fenster aus alles beobachtet und auch gehört.

„Sehr gut“, sagte er zufrieden. „Der ehrenwerte Señor hat einem der Soldaten mit dem Stiefel in den Hintern getreten, weil der nicht stramm stand. Er mußte wohl seine Wut loswerden.“

„Das ist typisch für ihn“, sagte Arne lachend. „Aber jetzt werden wir eine Nachricht an die Schlangen-Insel abfassen und sie losschicken, damit der Bund der Korsaren über alles informiert ist. Kannst du nachher noch eine Taube auflassen, Jussuf?“

„Einen Täuberich“, sagte der Türke strahlend. „Diesmal ist Omar an der Reihe. Seine Gattin Suleika wird sich freuen, wenn er einfliegt.“

„Wann wird Omar ungefähr dort sein?“

„Morgen vormittag etwa.“

„Sehr gut, dann fassen wir die Nachricht ab. Ich werde sie dir diktieren, Jörgen. Es ist äußerst wichtig, daß der Bund der Korsaren informiert wird, denn seit der letzten Nachricht hat sich einiges in und um Havanna getan.“

Arne faßte die Mitteilung kurz und bündig, aber doch so informativ ab, daß der Bund der Korsaren über alles unterrichtet wurde. Es waren nur die wichtigsten Mitteilungen über die Black Queen, Caligula, Don Juan und den bevorstehenden Angriff auf die Schlangen-Insel.

Als Jörgen mit dem Schreiben fertig war, gingen sie hinüber in den Taubenverschlag, wo Jussufs Lieblinge eng beieinanderhockten.

Dann wurde die Brieftaube Omar mit der Nachricht versehen, nochmals überprüft und aufgelassen.

Der Täuberich stieg schnell auf, zog eine Orientierungsschleife über der Faktorei und „ging auf Kurs“. Gleich darauf war er ihren Blicken entschwunden.

Arne von Manteuffel sah dem Täuberich nach und lächelte.

„Der versteht von Navigation mehr als alle Seeleute zusammen“, sagte er. „Schnell und absolut zielsicher, ohne sich zu verirren.“

„Es ist die Sehnsucht nach seiner Geliebten, die ihn treibt“, sagte der Türke versonnen. „Er denkt nur an seine Suleika. Das ist noch die wahre Liebe“, fügte er seufzend hinzu.

Arne und Jörgen grinsten verständnisvoll. Jussuf war in seine Täubchen regelrecht vernarrt. Er umhegte und versorgte sie wie ein zärtlicher Vater seine Kinder.

Und doch war sein Steckenpferd unersetzlich geworden. Ohne Jussufs Brieftauben hätte es für den Bund der Korsaren schlecht ausgesehen. Sie waren lebenswichtig.

2.

De Retortilla war in dieser Nacht wütend und enttäuscht. Er hatte durch den Deutschen eine Demütigung erfahren, die er hinnehmen mußte, ohne sich dagegen wehren zu können. Zudem saß er jetzt zwischen zwei Stühlen, denn mit dem Gouverneur war erst recht nicht mehr zu spaßen. Der hatte eiskalt angedroht, ihn über die Klinge springen zu lassen, wenn es ihm nicht gelänge, Don Juan lebend oder tot beizubringen.

Das Gaunerstückchen, das sich der feiste Gouverneur ausgedacht hatte, nämlich die Frau umzubringen, um Don Juan die Schuld in die Schuhe zu schieben, hatte de Retortilla verpatzt, als Don Juan überraschend die Flucht gelungen war. Das hatte sein Ansehen beim Gouverneur erheblich gemindert.

Es ging also darum, Don Juan so schnell wie möglich einzufangen. Alles andere war zweitrangig geworden. Dazu war de Retortilla jedes Mittel recht.

Die Hitze, die in dieser Nacht über Havanna lag, drückte ihn außerdem und ließ ihm den Schweiß über das Gesicht rinnen. Diese Schwüle trug ebenfalls nicht zu seiner Stimmung bei, und so ließ er seinen Ärger an den Soldaten aus, die er immer wieder anschnauzte und herumkommandierte.

Der Trupp bog jetzt in die Calle habañero ein, ein schmutziges Gäßchen mit zahlreichen Pinten, in denen sich die Seeleute vergnügten. Aus den Kneipen klang Musik, das Grölen Betrunkener und das Gekicher der liederlichen Frauenzimmer, die sich bei Wein und Rum vergnügten.

Auch diese Kneipen waren bereits ein paarmal durchsucht worden, und die Zecher hatten nicht gerade gute Laune, wenn sie die Soldaten sahen, die rüde, hart und rücksichtslos vorgingen. Das lag hauptsächlich an der Belohnung von hundert Goldtalern, die der Gouverneur auf den Kopf Don Juans ausgesetzt hatte – tot oder lebendig. Verständlicherweise wollte sich jetzt jeder eine goldene Nase verdienen, und da taten sich die Soldaten ganz besonders hervor.

Das Ziel des Stadtkommandanten war gleich die erste Kneipe in der Calle habañero. Es war eine verwitterte Bude, vor deren halboffener Tür ein Schild baumelte, dessen Inschrift niemand mehr entziffern konnte.

„Hier hinein!“ befahl de Retortilla mit harter Stimme. „Zwei Mann bleiben in der Gasse und passen auf, daß keiner flüchtet. Wer bei Anruf nicht stehenbleibt, auf den wird sofort geschossen.“

„Auch wenn es nicht Don Juan ist?“ fragte einer einfältig.

„Dummkopf“, sagte Don Ruiz verächtlich.

Als die vier Soldaten mit dem Stadtkommandanten eintraten, war es mit der Gemütlichkeit in der Kneipe schlagartig vorbei. Das Grölen verstummte, der Gesang brach ab, und etliche Augenpaare starrten feindselig auf die Soldaten.

Der Wirt, ein hagerer Mann mit Blatternarben im Gesicht, der schlimmer aussah, als er war, kniff verärgert die Augen zusammen.

„Wir sind schon mehrmals durchsucht worden“, beschwerte er sich, „das geht zu weit. Meine Gäste …“

„Halt dein Maul!“

Zwei Soldaten rempelten ihn hart an, stießen ihn in die Ecke und blickten unter die Theke. Inzwischen musterte der geiergesichtige Kommandant die übrigen Gäste. Einen nach dem anderen nahm er aufs Korn. Er blickte in haßerfüllte Gesichter. Manche wandten den Blick ab oder stierten in ihr Glas. Andere gaben sich gleichgültig und unbeteiligt, ein paar andere wiederum schimpften laut und regten sich auf.

„Die hinteren Räume durchsuchen!“ befahl Don Ruiz mit scharfer Stimme. „Vergeßt auch die Hühnerställe nicht.“

Drei Soldaten nahmen sich die hinteren Räume vor. Eine Frau schrie laut und gellend, danach folgte das ängstliche Gegacker von aufgescheuchten Hühnern, die im Stall herumflogen. Einmal war das harte Lachen eines Soldaten zu hören. Offenbar hatte er eine Frau betätschelt, denn die darauffolgende Ohrfeige war laut und deutlich zu hören.

Don Ruiz ging durch die Reihen, stieß diesen und jenen Zecher an und zwang ihn, den Kopf zu heben und ihn anzublicken. Ein paar Gäste begannen laut zu murren.

„Lassen Sie die Leute in Ruhe“, sagte der Wirt. „Ich verstecke keine Mörder in meiner Herberge.“

„Ein renitenter und obstinater Kerl“, sagte Don Ruiz. „Das Wort des Gouverneurs ist ihm offenbar nicht heilig. Hier treibt sich ein ruchloser Mörder herum, aber statt sich darüber zu empören, wird er frech und aufmüpfig.“

Das spitze Kinn stach vor und zeigte auf den Wirt. Der Soldat, der ihm am nächsten stand, verstand die Aufforderung. Er drehte die Muskete um und drosch sie dem Blatternarbigen in die Seite.

Als er ein zweites Mal zuschlagen wollte, wich der Wirt fluchend aus, griff unter seine Theke und holte einen Bambusknüppel hervor, mit dem er auf den Soldaten losgehen wollte.

Wirt und Gäste hielten eisern zusammen, das zeigte sich jetzt, denn die Zecher wurden zornig. Sie hatten schon zuviel Schikane über sich ergehen lassen müssen, und bei den meisten war das Maß jetzt voll.

Ein paar Kerle sprangen wild fluchend auf. Zwei liederliche Frauenzimmer flüchteten kreischend in die hinteren Räume, aus denen die Soldaten erschienen.

„Schlagt die Bastarde tot!“ brüllte ein muskulöser Mann. „Hängt sie an dem nächsten Kranbalken auf! Auf sie!“

Eine Woge von Leibern stürzte sich auf Don Ruiz und die Soldaten.

Der Wirt sah eine günstige Gelegenheit, seinen Zorn abzulassen. Er schwang seinen dicken Bambusknüppel und drosch ihn mit aller Kraft einem Soldaten auf den Helm. Als der ächzend in die Knie ging und seine Muskete verlor, brandete begeistertes Gebrüll in der Kneipe auf.

Eine Phalanx aus Betrunkenen, Seeleuten und Rauhbeinen schlug und drosch auf die Soldaten ein. Einer der Kerle kriegte Don Ruiz zu fassen und zerrte bereits an seinem Rüschenhemd.

Der Stadtkommandant sah unversehens eine riesige Faust auf sich zufliegen und stieß einen spitzen Schrei aus. Seine sechs Mann drohten in dem Getümmel hoffnungslos unterzugehen.

Da erschien für den ehrenwerten Don Ruiz unverhofft die Rettung in Gestalt weiterer Soldaten, die das Viertel durchkämmten.

Der Lärm hatte sie offenbar angelockt, das Geschrei, Gekreische und Gebrüll.

Die halboffene Tür wurde von kraftvollen Tritten aus den Angeln gesprengt und flog krachend nach innen. Fünf Soldaten unter einem Sargento stürmten herein.

Don Ruiz brüllte wie am Spieß, denn der Muskelmann drehte immer noch sein Rüschenhemd zusammen, und die riesige Faust schien jeden Augenblick seinen Schädel einzuschlagen.

Da krachte ein Schuß, abgefeuert aus einer Muskete, der die ganze Kneipe erbeben ließ. Von der Decke fiel ein kleiner ausgestopfter Hai, der dort gebaumelt hatte und nun regelrecht explodierte. Staub und Dreck wallten in einer übelriechenden Wolke auf.

Schlagartig verging den Zechern die Lust auf jede weitere Prügelei, denn die Soldaten stürmten vor, drehten die Musketen um und hieben rücksichtslos in alles hinein, was sich ihnen in den Weg stellte.

Als drei Männer reglos am Boden lagen, herrschte Ruhe. Nur der Wirt hielt noch seinen Knüppel in der Hand und war unschlüssig. Ein Pistolenlauf war auf ihn gerichtet.

„Festnehmen!“ kreischte de Retortilla mit puterrotem Schädel. „Den da, den – und den auch!“

Die entsprechenden Handbewegungen folgten.

Der Muskelmann, der ein paar Fetzen vom Rüschenhemd in der Hand hielt und sie wütend anstarrte, wurde gefesselt. Ein weiterer Kerl, der sich dem Kommandanten „bedrohlich“ genähert hatte, mußte ebenfalls dran glauben und kriegte Fesseln verpaßt. Ein paar andere Kerle verdrückten sich in dem allgemeinen Wuhling unauffällig und verschwanden nach draußen, wo die Nacht sie schluckte.

 

„Den Wirt noch!“ schrie Don Ruiz. „Er hat den Gouverneur beleidigt! Bringt die Halunken in die Residenz zum Verhör und schließt sie in Eisen. Die Kneipe wird geschlossen.“

Der blatternarbige Wirt protestierte vergebens.

„Ich habe den Gouverneur nicht beleidigt!“ rief er. „Und ich habe auch keinen Mörder versteckt! Ich verlange mein Recht, ich bin ein ehrbarer Bürger.“

„Ein ehrbarer Bürger mit einem Knüppel in der Hand“, höhnte Don Ruiz. „Den schlug er nämlich einem Soldaten über den Schädel. Sehr ehrbar war das.“

„Ich habe mich nur verteidigt.“

Dem Wirt krachte übergangslos der Kolben einer Muskete ins Kreuz. Mit einem Stöhnen brach er neben der Theke zusammen. Die Soldaten fesselten ihn und schleiften ihn nach draußen. Ein paar Schläge mit den Musketen fegten Krüge, Gläser und Flaschen vom Tisch. Weitere Hiebe zerstörten das Regal und ein riesiges Bierfaß, das auseinanderbarst und seinen Inhalt über den Boden verspritzte.

Als die beiden anderen Gefangenen brutal nach draußen geschleift wurden, flüchteten auch die restlichen Männer, denn auch ihnen drohten Festnahmen durch die Soldaten. Was das bedeutete, das wußte jeder von ihnen zur Genüge. Die Soldateska war nicht zart besaitet, es störte sie nicht, wenn einer bei der Folter sein Leben aushauchte oder in den Verliesen hungernd vergammelte.

Überall in den Straßen und Gassen rannten Gardisten, Soldaten und andere Kerle herum, die sich unbedingt die ausgelobte Belohnung in Höhe von hundert Goldtalern verdienen wollten. Havanna glich in dieser Nacht einem Tollhaus.

Don Ruiz ließ hinter sich einen Trümmerhaufen zurück. Die Kneipe war verwüstet, der Wirt verhaftet, und die Zecher waren geflüchtet. Auf den Straßen rottete sich der Mob zusammen und brachte Schmährufe auf die Soldaten aus. In den Kneipen war der Teufel los. Der Stadtkommandant übersah großzügig ein paar Soldaten, die ausgiebig eine zerschlagene Kneipe plünderten.

„Weiter“, befahl er, „weiter! In diesem Chaos kann sich ein Mann vorzüglich verbergen. Denkt an die Belohnung. Da hinein!“

Von der Calle habañero stürmte der Trupp in den Camino de los Rojas, ein Gäßchen, das direkt an den Hafen anschloß. Dort ging es etwas ruhiger zu. Das nächste Ziel des Kommandanten war die Kneipe „Los Molinos“, ein Etablissement, das einen besseren Ruf genoß als die anderen Spelunken.

Auf dem Holzschild über der Tür waren zwei Mühlen eingebrannt. Welchen Bezug das zu der Kneipe hatte, wußte allerdings in Havanna kein Mensch.

In das „Los Molinos“ verirrten sich nur selten Seeleute. Die Spelunke war zu hausbacken. Aber hier verkehrten Macheteros, Händler, Kaufleute aller Schattierungen und das Volk von Havanna.

De Retortilla trat ein, gefolgt von seinen Soldaten.

„Sitzenbleiben!“ befahl er, „niemand rührt sich von seinem Platz.“

Ein paar Leute aßen, andere tranken und unterhielten sich. Die Unterhaltung verstummte jedoch beim Anblick des Kommandanten schlagartig. Lähmende Stille breitete sich aus. In einigen Gesichtern stand nackte Angst.

Sie alle kannten diesen hinterhältigen, brutalen Kerl, der rücksichtslos gegen alle vorging, deren Nasen ihm nicht paßten. Sie wußten auch, daß er Leute oft zu Unrecht verdächtigte. Seinetwegen hatten schon viele Leute nicht sehr angenehme Nächte im Kerker zugebracht.

Die Soldaten schwärmten aus, während de Retortilla es beliebte, den Leuten in die Gesichter zu blicken und sie erschauern zu sehen. Blieb sein harter Blick mal länger auf einem haften, dann hatte er etwas zu beanstanden, und der Betroffene fühlte sich unangenehm berührt.

„Haben Sie einen Mann versteckt, Wirt?“ fragte der Kommandant. „Geben Sie es lieber gleich zu, das erspart Ihnen viel Ärger. Es handelt sich um einen Frauenmörder, der geflohen ist.“

„Nein, ich habe niemanden versteckt“, jammerte der Wirt. „Die Soldaten waren schon viermal hier und haben alles durchsucht. Sie hatten sogar Bluthunde dabei. Ich werde mich beschweren, denn die Soldaten haben eine Menge Schaden angerichtet. Wer ersetzt mir das alles?“

„Beschwerden nehme ich entgegen. Aber Sie haben sich nicht zu beschweren, denn Sie stehen in dem Verdacht, einem Frauenmörder Unterschlupf gewährt zu haben.“

„Das ist nicht wahr, ich verstecke keine Mörder.“

„Trotzdem sind Sie verdächtig, gerade Sie, denn Don Juan de Alcazar verkehrte auch in Ihrer Kneipe.“

„Er war noch nie hier, mein Ehrenwort darauf.“

„Ich weiß es besser.“

Aus der Küche war das Klirren von Geschirr zu hören. Eine Frau begann laut zu kreischen. Gepolter erklang, dann klirrte es wieder.

Einer der Kaufleute an dem hinteren Tisch erhob sich. Es war ein hagerer sehniger Mann mit kantigem Gesicht. Seine Lippen umspielte ein etwas spöttisches Lächeln.

„Ich kenne Don Juan“, sagte er, „aber ich glaube nicht, daß er ein Mörder ist. Das bezweifle nicht nur ich, sondern auch andere ehrbare Bürger von Havanna.“

„Wie können Sie wagen, so zu reden?“ schrie de Retortilla. „Sie bezweifeln die Worte des Gouverneurs! Es gibt Augenzeugen, die den Mord gesehen haben!“

„Trotzdem zweifle ich das an“, sagte der hagere Kaufmann gelassen. „Don Juan ist ein ehrbarer Mann und über jeden Zweifel erhaben. War er es nicht, der den Widerstand gegen die Bande Catalinas organisiert hatte? Wir erinnern uns noch sehr gut daran, Señor. Die Bürger vergessen so etwas nicht. Dieser Mann hat gekämpft, als die Bande mordend und plündernd durch die Stadt zog. Er und der deutsche Kaufherr sind es, denen die Bürger ihre Rettung zu verdanken haben.“

De Retortilla lächelte, obwohl in seinen Augen ein eiskaltes Licht schimmerte.

„Sie reden sich um Kopf und Kragen“, sagte er fast freundlich.

„Ich sage nur meine Meinung, und das werde ich wohl noch ungestraft tun dürfen.“

„Dann reden Sie nur weiter“, empfahl der Kommandant höhnisch.

„Setz dich wieder hin, Alberto“, sagte ein anderer, „reg dich nicht auf, es bringt dir nichts ein.“

Der Kaufmann hörte nicht auf die warnenden Worte. Er redete sich in Eifer. Einmal muß man dieser korrupten Bande die Wahrheit sagen, dachte er. Daß das für de Retortilla ein gefundenes Fressen war, kam ihm nicht in den Sinn.

„Soso“, sagte der Kommandant, „Don Juan hat also die Stadt gerettet. Sehr interessant. Und die anderen haben geschlafen, das wollten Sie doch sagen, oder?“

„Genau das meine ich. Als nämlich die Mordbande durch die Stadt zog, haben sich der Gouverneur und seine Günstlinge feige in die Residenz zurückgezogen und verbarrikadiert. Für die Stadt haben sie jedenfalls nichts getan.“

Die Soldaten kehrten zurück und meldeten, sie hätten nichts gefunden.

Don Ruiz de Retortilla nickte. Dann zog er seine Pistole und richtete sie auf den hageren Kaufmann.

„Nehmt ihn fest. Er ist ein Verschwörer. Er hat den Gouverneur als Feigling bezeichnet. Er hält zu Don Juan. Wir werden alles aus ihm herausholen, was wir wissen wollen. Feststellen, wo er wohnt. Sein Eigentum wird beschlagnahmt, sein Haus durchsucht.“

„Nur weil ich die Wahrheit sagte?“ fragte der Kaufmann empört.

„Weil Sie ein Verschwörer sind und mit schändlichen Frauenmördern paktieren“, erklärte der Kommandant kalt.

Bei dem Kaufmann rastete etwas aus. Seine Augen funkelten wild.

„Ihr korruptes, vollgefressenes Pack!“ schrie er. „Ihr habt Don Juan den Mord in die Schuhe geschoben. Ihr verdammten Intriganten! Da steckt eine grenzenlose Schweinerei dahinter.“

Er holte tief Luft, um sich weiter seine Wut von der Seele zu reden, doch Don Ruiz nickte einem der Soldaten schnell zu.

Der Spanier holte mit der Muskete aus und schlug sie seinem Landsmann hart über den Schädel. Wie vom Blitz getroffen, brach der Kaufmann zusammen.

Zwei Soldaten ergriffen seine Beine und schleppten ihn wie ein Stück Vieh aus der Kneipe. Die anderen blieben betroffen und von ohnmächtigem Zorn erfüllt zurück.

„Bringt ihn in den Kerker“, befahl Don Ruiz, „ich werde mich später persönlich um ihn kümmern. Ihr drei bleibt bei mir, wir suchen weiter, und wir werden diesen Kerl auch finden.“

Die anderen zogen ab. Sie trugen den Kaufmann nicht, das fiel ihnen gar nicht ein. Sie schleppten ihn einfach hinter sich her und rissen dabei gemeine Witze.

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