Seewölfe - Piraten der Weltmeere 300

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 300
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Impressum

© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-697-9

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Eine Schiffstaufe in Plymouth war nun nicht gerade ungewöhnlich. Zumeist liefen auch nur kleinere Schiffe vom Stapel, und ein paar Neugierige fanden sich dann ein.

Heute war in Plymouth wieder Schiffstaufe, und das hatte sich überall herumgesprochen.

Heute lief auch kein Austernfischer vom Stapel, heute ging ein Neubau zu Wasser, der die Neugierigen scharenweise anlockte und auch die Honoratioren der Stadt nicht ausschloß, die sich in Rame Head, auf der Werft des Schiffsbaumeisters Hesekiel Ramsgate einfanden.

Obwohl der Wind unangenehm kühl durch den Plymouth Sound pfiff und kleine Wellenberge vor sich herschob, störte sich niemand daran. Zu dieser Dezemberzeit waren die Bürger von Plymouth ohnehin warm angezogen und eingepackt.

Unter den Neugierigen fiel ein Mann besonders auf, der sich heute zu Ehren des Stapellaufes schicklich angezogen hatte. Er trug schwarze Hosen, darunter schwarze Stiefel, dann ein dunkles Wams und einen ebenso dunklen Flattermantel. Eine dunkellockige Perücke krönte die Gestalt des Mannes.

Was unter der Perücke war, paßte nun wiederum absolut nicht zu der feierlichen Kleidung, denn da war ein breit aufgequollenes Säufergesicht mit wäßrigen Äuglein, die fast in den Fettpolstern der Wangen verschwanden, zu sehen.

Auf den ersten Blick drückte das feiste Gesicht Schlitzohrigkeit aus, auf den zweiten Blick wußte man, daß man einen Gauner vor sich hatte, und wer noch einen dritten Blick in das Gesicht riskierte, der merkte, daß hier ein Schnapphahn und Beutelschneider stand, den nicht nur die Neugier hertrieb. Ein wenig schon, aber es gab etwas zu spionieren, zu hören und zu sehen, und deshalb mußte man immer und überall dabei sein.

Nathaniel Plymson, der dicke Wirt der „Bloody Mary“ blickte also auf das, was sich in einiger Entfernung vor ihm tat, und sein Blick saugte sich an dem Schiff fest, das jetzt in sein feuchtes Element gleiten sollte, nämlich das Schiff des Seewolfs, Sir Philip Hasard Killigrew, und seiner rauhbeinigen Männern.

So ein Schiff war in Plymouth noch nie vom Stapel gelaufen. Es war sozusagen eine persönliche Sonderanfertigung, ein kleines Wunder, das nur einer konstruieren konnte, der viel moderner und weiter dachte als all die anderen, und das war Hesekiel Ramsgate, der nun ganz vorn am Bug des großen Schiffes stand neben den vielen anderen.

Die Leute drängten und schoben, sie stießen um sich, um einen besseren Platz zu ergattern, denn jeder wollte nicht nur das Schiff ansehen, sondern auch einen halb furchtsamen Blick auf jene Männer werfen, die schon längst in Plymouth und anderswo zur Legende geworden waren.

Die Namen dieser Männer waren zwar ständig in aller Munde, doch sie persönlich zu sehen, war eine andere Sache. Jetzt sahen sie sie, und so manch braves Eheweib verglich unwillkürlich ihren angetrauten Mikkerling mit dem schwarzhaarigen Riesen, dessen weiße Zähne blitzten, und der die meisten anderen um Haupteslänge überragte.

Da drang ein Seufzen über die Lippen der braven Eheweiber, und sie spürten erschauernd den Hauch der weiten Welt, das Odeur der Ferne, die Abenteuer und Lebenslust versprach.

Da seufzte vor Plymson schon wieder so eine Ärmste, deren mickriges Männchen tagaus tagein Bretter für Särge hobelte, und das jetzt an einen alten verdorrten Greis erinnerte, während es in Wirklichkeit noch drei Jahre jünger als dieser Killigrew war.

Hoch oben auf dem Bug des neuen Schiffes standen ein Dutzend Seewölfe an Deck. Unter ihnen drei wahre Riesen. Ein Rothaariger, ein Graubärtiger und ein Monstrum von Kerl mit ungewöhnlich breitem Kreuz und wüstem, zernarbten Gesicht. Das war der Profos und Zuchtmeister Edwin Carberry, der auf einen ebenso riesigen aber dunkelhäutigen Mann hinunterblickte und ihm etwas zurief.

Nathaniel Plymson drängte sich weiter durch die erwartungsvolle Menge, damit ihm ja nichts entging.

Die seltsamste Gestalt aber stand neben einem der vier riesigen Bierfässer, von denen jedes fünfzig englische Gallonen faßte. Dieses Bier, das später an alle Zuschauer ausgeschenkt werden sollte, hatten die Seewölfe bei Plymson gekauft, bei ihrem „Guten Freund Plymmie“, wie sie ihn nannten, und darüber war er direkt gerührt. Mochten diese rauhbeinigen Burschen seine Kneipe auch ständig in Trümmer legen, was das Bezahlen betraf, da waren sie jedenfalls nicht kleinlich, denn aus den Trümmern entstand jedesmal wie Phönix aus der Asche eine neue Kneipe, die immer so lange hielt, wie die Seewölfe nicht in England waren.

Der Mann neben dem Bierfaß zog die Blicke aller magisch an. Er war ebenfalls ein Riese mit rötlichgrauem Bart und graublauen Augen, deren Blicke ruhig über die Menge streiften. Thorfin Njal trug rauchgraue Felle und Riemensandalen. Sein massiger Schädel wurde durch einen Kupferhelm gekrönt, in dem sich hin und wieder die Strahlen der Sonne spiegelten, sobald die Wolken vorüberzogen.

Eins der Bierfässer, das war deutlich zu erkennen, war den Seewölfen und ihren Freunden vorbehalten und dementsprechend markiert. Oben im Faß steckte die mächtige Axt des Schiffszimmermannes Ferris Tucker, eben jenes Hünen, der da so gelassen an Bord des neuen Schiffes stand.

Auch der Degen des Seewolfs Philip Hasard Killigrew, steckte in dem Faß und bildete zusammen mit dem über einen Yard langen „Messerchen“ des Wikingers ein Kreuz.

Im Hintergrund standen die Werftarbeiter bereit. In den Fäusten hielten sie Äxte, Beile und Hämmer.

Während der Seewolf das Auflaufen der Flut beobachtete – denn es war wichtig, den richtigen Zeitpunkt abzuwarten –, begannen fünf Musikanten aufzuspielen.

Eine allerletzte Kontrolle wurde vorgenommen, veranlaßt durch den Schiffsbaumeister Hesekiel Ramsgate, der die Konstruktionspläne für die neue „Isabella IX.“ entworfen hatte. Die bereitstehenden Arbeiter überprüften noch einmal sorgfältig das Labyrinth aus Hölzern unter dem großen Rumpf des Schiffes, untersuchten die Pallen und Schlittenständer sowie die Stützbalken, die den Stapelschlitten sicherten und nachher losgeschlagen werden sollten.

Es war alles in Ordnung, dem Stapellauf stand nichts mehr im Wege.

Hesekiel Ramsgate hielt mit feierlichem Gesicht eine Ansprache, während die Menge die Hälse reckte und andächtig lauschte. Dann folgte der traditionelle Schlußsatz.

„Ich taufe das Schiff auf den Namen ‚Isabella neun‘. Gott segne es und alle, die auf ihm fahren!“

Der Schiffsbaumeister holte mit der Hand zum Wurf aus. Eine Flasche, gefüllt mit edlem Wein, krachte an den Bug des neuen Schiffes und zersplitterte berstend. Es hörte sich an wie ein Schuß.

Während die Menge applaudierte, gab der Seewolf den Werftarbeitern mit der Hand ein Zeichen.

Hämmer schwangen durch die Luft, kräftige Fäuste schlugen zu. Als die dicken Balken dumpf zu Boden polterten, nahte der kritische Augenblick.

Alles hielt den Atem an, ob sich das neue Schiff auch gehorsam in Bewegung setzen würde, denn es war auf anderen Werften schon oft passiert, daß es sich nicht von der Stelle rührte. Das hätte Unglück für das Schiff und seine Mannschaft bedeutet. Doch die „Isabella IX.“ schien vom Glück begünstigt zu sein.

Der Rumpf erzitterte leicht, ein Beben durchlief ihn. Dann begann er sich langsam in Bewegung zu setzen und glitt auf das Wasser zu.

Die eingefettete Holzrampe begann zu qualmen, als das Schiff, mit der Breitseite voran, darüberrutschte.

Unter großem Getöse, dem Hurrarufen der Menge, dem Beifall und der Musik rauschte der Neubau ins Wasser. Eine Welle türmte sich auf, das Schiff krängte leicht über, dann war Brodeln und Zischen zu hören. Die neue „Isabella“ schob sich weiter ins Wasser, bis Ben Brighton ein Zeichen gab.

Alles klappte hervorragend. Der Decksälteste Smoky, der Profos und der Schiffszimmermann Ferris Tukker setzten den Anker, der klatschend auf Grund ging und die „Isabella IX.“ an langgesteckter Trosse leicht schwoien ließ.

Die Seewölfe beglückwünschten sich gegenseitig und hieben sich krachend auf die Schultern, während die Zuschauer nun in Scharen auf die Bierfässer zustürmten. Vorsorglich hatte sich schon fast jeder mit einem riesigen Humpen bewaffnet, und so wurde das erste und gleich darauf auch das zweite Faß angesteckt.

„Ar-we-nack!“ schrie die Seewölfe ihren alten Kampf- und Schlachtruf in den Morgen hinaus. Die Menge erschauerte, als sich der brüllende Ruf ein zweites und dann ein drittes Mal wiederholte.

Hesekiel Ramsgate und der Seewolf gaben sich die Hand. Zwischen ihnen stand mit leuchtenden Augen Doc Abraham Freemont, der extra herbeigeeilt war, um der Schiffstaufe beizuwohnen.

 

„Ein herrliches Schiff“, sagte Doc Freemont begeistert. „Da steckt wahre Schiffsbaukunst drin, Mister Ramsgate. Eine wirklich hervorragend gelungene Konstruktion, um die Sie die englische Navy geradezu beneiden wird, denn in ganz England gibt es nicht ein solches Schiff. Was geschieht denn jetzt weiter?“

„Zunächst“, erklärte Ramsgate, „werden wir das Schiff verwarpen, das heißt, wir verholen es hinüber zum Ausrüstungskai. Dort wird es aufgeriggt und getakelt, dort erhält es seine Masten, sein laufendes und stehendes Gut, sozusagen den letzten Schliff. Dort werden auch die Kanonen eingesetzt. Kurzum, es wird ausgerüstet, Sir.“

„Phantastisch“, sagte der Doc begeistert. „Ich verstehe zwar nicht sehr viel davon, aber ich glaube zu erkennen, daß es sich hier um eine grundlegende Neuerung handelt. Das Längen- und Breitenverhältnis des Schiffes ist ja direkt elegant. Außerdem scheint es außerordentlich stabil zu sein. Wie haben Sie das nur fertig gebracht?“

„Wir haben sehr gutes Holz, Sir“, sagte Ramsgate bescheiden. „Aber den richtigen herzerfrischenden Anblick wird es erst bieten wenn es voll betakelt ist und unter Segeln steht, Sir. Das wird eine ganze Wolkenbank aus Segeln sein.“

Doc Freemonts Augen ruhten wohlgefällig auf dem Neubau, dann entdeckte er den Kutscher, der bei ihm jahrelang gedient und von seinem medizinischen Handwerk etliches abgeguckt hatte, und er entschuldigte sich freudestrahlend.

Die beiden Männer begrüßten sich freudig, ein Zeichen dafür, wie hoch der Kutscher in dem Ansehen des berühmten Arztes stand.

„Wir feiern ja nachher noch zusammen“, sagte er.

Inzwischen kehrte das kleine Beiboot mit den Männern, die an Bord den Anker gesetzt hatten, zur Werft zurück. Auf ihren Gesichtern lag Begeisterung. Ferris Tucker hatte einen direkt weltentrückten Blick.

„Ich kann es gar nicht erwarten, bis wir in See gehen“, sagte er. „Bisher hat alles vorzüglich geklappt, alles lief so, wie wir es uns gewünscht haben.“

„Ja, es ging alles gut“, sagte Hasard. „Möge uns das auch für später beschert bleiben. Wir werden das heutige Ereignis kräftig begießen. Morgen verholen wir dann zum Ausrüstungskai. Nun laßt euch nicht stören, langt kräftig zu und fangt endlich an.“

Das war ein Tag ganz nach ihrem Herzen. Der Wind blies zwar immer noch kühl durch den Sound, doch hin und wieder drang die Sonne durch und schickte ein paar warme Strahlen herab. Über der riesigen Biermenge vergaß ohnehin jeder den Wind.

Die Menge hatte sich weiter zurückgezogen und stand etwas abseits nach Freibier an, während die Seewölfe jetzt zum feuchten Teil des Stapellaufs übergingen. Um den Bug hatten sich der Wikinger und seine Mannen sowie der Franzose Jean Ribault versammelt. Nach und nach trafen fast alle dort ein, und das Besäufnis nahm seinen Anfang.

Es wurde über das Schiff geredet, und jeder war gespannt darauf, wie es sich wohl unter vollem Preß in seinem Element verhalten würde.

Ferris Tucker und der Profos hatten sich schon wieder am Haken, weil sie Vermutungen anstellten, die noch durch nichts bewiesen waren.

„Insgesamt fahren wir elf Segel“, sagte Ferris, „Blinde, Schiebblinde und Besan mitgerechnet. Und das an mehr als überlangen Masten. Folglich sind die Segel auch größer, und das wird später vielleicht einige Schwierigkeiten beim Navigieren bereiten.“

„Was hat das damit zu tun?“ polterte Ed los.

„Ach ja, dir muß man das ja wieder extra verklaren“, sagte Ferris. „Wenn wir also so extrem groß getakelt sind, dann bietet die Gesamtsegelfläche dem Wind mehr Angriff. Und das eben vergrößert die Abdrift, wenn wir unter vollem Preß segeln.“

„Glaube ich nicht“, sagte Ed abwehrend. „Dafür sind wir dann ja auch schneller.“

„Das hat doch, verdammt noch mal, nichts mit der Abdrift zu tun.“

„Wir driften nicht ab“, behauptete der Profos stur. „Und wenn, dann nur soviel wie mit den anderen Schiffen auch.“

„Wollen wir das nicht in aller Ruhe abwarten und bei der Jungfernfahrt genau berechnen?“ fragte Ben Brighton, der sich aus dem riesigen Faß genüßlich einen Humpen Bier abzapfte. „Oder wollt ihr euch jetzt schon darüber streiten?“

Hesekiel Ramsgate und Hasard erschienen und hörten gespannt zu. Der Wikinger hingegen kratzte wieder überlegend an seinem Kupferheim und dachte über das Problem mit der Abdrift nach.

„Keine Spekulationen, die wieder in Streit ausarten“, sagte Hasard. „Heute ist ein besonderer Tag, und Vermutungen stellen wir nicht an. Auf der Probefahrt werden wir das alles sehen und erleben.“

Statt einer Antwort grinste Edwin Carberry plötzlich über beide Ohren. Mit seinem breiten und wuchtigen Rammkinn deutete er auf die beiden O’Flynns, den alten und den jungen. Old O’Flynn stand auf seinem Holzbein neben den Balken, Planken und Stützen und blickte wohlwollend zu seinem Sohn Dan. Aber das schien nur so, denn genaugenommen blickte er haarscharf an ihm vorbei und schmunzelte.

Neben Dan stand ein verführerisches Geschöpf, ein hellblondeslangbeiniges und grünäugiges Mädchen, das ihn mit verliebtem Blick anhimmelte und immer wieder nach seinem Arm griff.

Dieses hübsche Mädchen hatte Dan vor ein paar Tagen in Plymouth kennengelernt, und von da an waren die beiden ein Herz und eine Seele.

Natürlich war das wieder ein willkommener Anlaß für Lästereien.

„Old O’Flynn lauert anscheinend auf eine Schwiegertochter“, sagte der Profos. „Seht nur sein Gesicht an! So heiter und fröhlich ist der doch sonst nie.“

„Er freut sich auf kleine Enkelchen“, meinte Smoky anzüglich. „Wenn das der Fall sein sollte, dann wird er seine Schauermärchen umstellen und nur noch von seinem Enkel faseln, was der wieder für ein Kerl ist, und daß er schon Brustschwimmen in den Windeln gelernt hat.“

„Und wenn das Enkelchen dann größer und rotziger ist“, sagte der blonde Schwede Stenmark, „dann wird Opa sein Holzbein abschnallen und dem Enkelchen den britischen Nationaltanz beibringen wie seinerzeit seinem lieben Söhnchen Dan.“

Gelächter erklang.

Dan O’Flynn, der genau wußte, daß sie ihn jetzt im Visier hatten, ließen diese Bemerkungen kalt. Zusammen mit dem Mädchen, das Linda Iving hieß und spontanen Anklang bei den Seewölfen gefunden hatte, kam er herüber und füllte zwei Humpen mit Bier. Old O’Flynn humpelte hinterher, aber auf seinem Granitgesicht lag jetzt wieder jener düstere Schatten, der. nichts Gutes verhieß. So ein Gesicht kriegte er immer, wenn er merkte, daß sie über ihn lästerten.

„Aus euch Kanalratten spricht doch nur der blanke Neid“, verkündete er. „Laß dich nur nicht so von diesen Kerlen begaffen, mein Engelchen“, sagte er zu der Blonden, die leicht errötete.

„Ich kenne sie doch alle“,sagte Linda leise. „Sie haben mich noch nie begafft, Mister O’Flynn.“

„Aber sie könnten dich begaffen“, sagte der Alte. „Diese Kerle sind zu allem fähig, mein Kind. Der einzig Vernünftige ist noch mein Sohn Dan. Da hast du dir genau den richtigen Mann ausgesucht.“

Wieder erklang Gelächter, weil Old O’Flynn sich so ereiferte.

Das Mädchen lächelte verlegen und hielt sich etwas scheu zurück. Dan gab ihr einen Becher Rotwein und trank dann den anderen zu.

Auch der Wikinger füllte seinen Humpen.

„Auf das neue Schiff!“ rief er mit Donnerstimme.

„Auf das neue Schiff. Ar-we-nack!“ brüllten sie begeistert.

So langsam tauten sie alle auf, als die ersten paar Humpen geleert waren. Dann erschien auch Nathaniel Plymson in Begleitung seines Schankknechtes, dem groben Johann, wie ihn die Arwenacks nannten. Der etwas bescheuerte Schankknecht rollte mit den Füßen ein weiteres, kleineres Faß über den Boden.

Das Schlitzohr Plymson räusperte sich lautstark. Er wurde von den Seewölfen wie ein Wundertier angestarrt, denn so feierlich hatte ihn noch niemand gesehen.

„Mann, Plymmie, wie siehst du denn aus!“ rief der Profos. „Willst du anschließend noch auf ’ne Beerdigung?“

Der feiste Plymson schwitzte unter seiner Perücke, trat von einem Bein aufs andere und knetete nervös seine dicken Wurstfinger.

„Ich hab mich wegen euch und der äh – Taufe hier so angezogen“, murmelte er. „Es sind die besten Sachen, die ich habe.“

„Und die Perücke ist auch neu?“ fragte der Profos erstaunt. „Die wievielte ist es denn?“

„Ich weiß nicht genau, Mister Profos, vielleicht die zehnte. Ihr nehmt sie mir ja immer ab, wenn ihr in meine ...“

In diesem Augenblick schloß Plymson entsetzt die Augen und duckte sich, denn der Aracanga-Papagei Sir John segelte von der neuen „Isabella“ herüber. Meist ließ er nach so einem aufregenden Ereignis etwas fallen, und diesmal geschah es wohl nur der vielen Leute wegen, die ihn beunruhigten. Daß es ausgerechnet Plymson erwischte, hatte der karmesinrote Papagei kaum beabsichtigt, aber es erwischte Plymson gerade in dem Moment, als er schreckerstarrt die Schweinsäuglein zukniff.

Ein leises „Platsch“ war zu hören, und auf Plymsons Perücke erschien ein heller größerer Fleck. Zu der Schande kam auch noch der Spott, ebenfalls unwissend vom Papagei nachgeplappert, wie er es oftmals an Bord gehört hatte.

„Anbrassen, ihr Affenärsche!“ kreischte er grell. „Rohr eins – Feuer!“

„... und ein sagenhafter Volltreffer“, fügte Carberry trocken hinzu.

„Genau auf Plymsons Pulverkammer“, sagte Smoky, „da ist es ja bekanntlich immer sehr trocken.“

Zum Glück hörte Plymson das nicht. Er wollte nach dem weißen Fleck greifen, unterließ es dann aber doch, weil er damit nur noch mehr Schaden angerichtet hätte. So verließ er sich auf den frischen Wind, der das Gebilde schon bald trocknen würde. Dennoch war sein Gesicht etwas beleidigt verzogen.

„Ich habe ein Faß Branntwein gestiftet“, sagte er kläglich. „Nur für euch, damit ihr ordentlich feiern könnt. Und was ist euer Dank? Da segelt dieser abgerichtete Höllenbastard heran und kackt mir auf die Birne.“

Carberry explodierte fast vor unterdrücktem Lachen, doch er beherrschte sich mühsam.

„Dafür kriegt er auch keinen einzigen Schluck ab, Plymmie“, versicherte Ed treuherzig. „Aber wenn du weiterhin so freigiebig bist, dann werden wir dich zum Ehrenmannschaftsmitglied der neuen ‚Isabella‘ ernennen.“

Plymson vergaß seinen Kummer und haute den Zapfen ins Faß. Und weil er sich für einen wichtigen Mann in Plymouth hielt, fühlte er sich verpflichtet auch eine Rede zu halten.

Diese Rede hatte es in sich, denn der dicke Plymson verzapfte einen Mist, wie ihn die Seewölfe noch nie gehört hatten.

Damit nahm das Fest seinen Anfang, und ein Sauftag begann, der wieder einmal in die Geschichte von Plymouth einging.

Es schien ein recht heiterer Tag zu werden, ein Glückstag, wie es so schön heißt.

Doch das Verhängnis nahte schon, es wußte nur noch niemand, und deshalb wurde ausgelassen weiter gefeiert.

2.

Noch am selben kühlen Dezembertag segelte ein Geschwader der britischen Navy unter dem Kommando des Marquess Henry of Battingham, in den Hafen von Plymouth.

Das Geschwader bestand aus vier spanischen Beutegaleonen, mehr Beutegalönchen, denn die Schiffe waren ziemlich klein, die man den Spaniern bei der Armada-Schlacht abgenommen hatte.

Dieser Verband hatte, von London kommend, die Aufgabe erhalten, im Kanal ein wenig spionierend herumzusegeln. Er sollte die Küste Frankreichs und auch die der Holländer im Auge behalten. Die weitere Order führte den Verband zwecks der gleichen Aufgabe bis nach Spanien.

Eine vaterländische Aufgabe also, bei der Plymouth lediglich als Zwischenstation diente, um hier vielleicht fehlendes Personal zu requirieren.

Der fast armselig anmutende Verband hatte nur einen kleinen Schönheitsfehler, und das war der Marquess Henry, eitler und übereifriger Sohn des alten Duke of Battingham. Marquess Henry, der sich diese Position als „Geschwaderführer“ durch Protektion und viel Gold erkauft hatte, fehlte nur noch ein letztes Quentchen zu seinem Glück. Den Titel eines Marquess führte er bereits, aber der Titel eines Duke war erblich, und so wartete Marquess Henry recht ungeduldig auf das Ableben seines alten Herrn, damit ihm als ältestem Sproß derer von Battingham endlich der machtverleihende Titel eines Duke zufiel.

Zu Henrys Leidwesen verblich der alte Herr jedoch nicht, im Gegenteil: Er erfreute sich allerbester Gesundheit und war auf seinen überehrgeizigen Ableger nicht sonderlich gut zu sprechen.

 

Jetzt stand dieser wichtigtuerische, eitle und aufgeblasene Schnösel auf dem Achterdeck der noch am besten herausgeputzten Galeone und sah recht übelwollend auf die Pieranlage, wo niemand zur Begrüßung erschienen war. Daß keiner von seinem stolzen Geschwader Kenntnis nahm, wurmte den Marquess mächtig.

„Ist dieses Kaff hier ausgestorben?“ fragte er ungnädig seinen Ersten Offizier. „Warum erscheint niemand, wenn ein Geschwader mit königlicher Order hier eintrifft?“

Darauf wußte auch der Erste keine Antwort, aber er konnte nicht einfach mit den Schultern zucken und es dabei bewenden lassen, denn wenn der Marquess etwas fragte, erwartete er auch eine Antwort.

„Es hat den Anschein, als findet hier ein städtisches Fest statt, ein Jahrmarkt vermutlich, denn man hört Musik.“

Marquess Henry fuhr mit der Hand über seine leicht nach oben gebogene Nase. In seinen wäßrigen Augen glomm es unmutig auf.

„Pöbel, Pack“, sagte er verächtlich. „Es sollte lieber arbeiten, dieses Gesindel, statt zu feiern.“

„Ganz recht, Marquess Henry“, sagte der Erste ergeben. Er sagte oft „ganz recht, Marquess Henry“, denn so kam er mit dem aufgeplusterten Junggockel noch am besten zurecht, der sich wer weiß was auf seine seemännischen Künste einbildete. Ohne die Hilfe seiner Offiziere hätte der Marquess jedoch noch nicht einmal den Weg über den Kanal von England bis nach Holland gefunden. Und bei schwerem Wetter wußte er bis heute noch nicht, welche Segel man zuerst wegnahm. Ebenso hielt er sich bei einer Wende oder Halse vornehm zurück, denn auch dabei brachte er alles durcheinander.

Verständlicherweise genoß der rechthaberische Marquess daher bei den Offizieren und erfahrenen Leuten kein rechtes Ansehen, zumal sie ihm noch insgeheim unterstellten, er könne Backbord von Steuerbord nicht unterscheiden.

Aber es war gut, zu allem Ja und Amen zu sagen, denn er übte nun einmal die Gewalt aus und ging auch sehr großzügig mit ihr um.

„Lassen Sie signalisieren, daß die drei anderen vor Anker gehen sollen!“ befahl er dem Ersten. „Wir selbst legen an der Pier an. Für die Mannschaften gibt es natürlich keinen Landgang.“

Diesmal sagte der Erste nur: „Aye, aye, Marquess Henry.“

„Überhaupt dieses Volksfest“, ereiferte sich der Marquess nach einer Weile wieder, „das ist ja eine direkte Mißachtung Ihrer Majestät. Da rennt der Pöbel herum und betrinkt sich gar noch, läßt sich von Musikanten aufspielen und ignoriert uns völlig. Ich glaube, es ist erforderlich, mit den Honoratioren dieser Stadt mal ein paar ernsthafte Worte zu wechseln.“

„Ganz recht, Marquess Henry“, sagte der Erste wieder. Er sah zwar keine Mißachtung Ihrer Majestät, aber Henry hatte da wohl andere Ansichten. Vielleicht war er auch nur gekränkt, daß niemand seine phantasievolle Uniform zur Kenntnis nahm und kein Hafenmeister oder Kommandant ehrfürchtig bei dem Anblick dieses glorreichen Geschwaders vor der Pier auf die Knie fiel.

Henrys leichenblasses Gesicht rötete sich um eine Schattierung, ein untrügliches Zeichen dafür, daß ihn etwas aufregte.

Als sein „Flaggschiff“ endlich an der Pier anlegte, standen da nur zwei kleine Rotznasen herum, die seine Uniform anstarrten, sich dann anstießen und laut kicherten.

„Lassen Sie diese Lümmel augenblicklich festnehmen und auf das Schiff bringen!“ befahl er ärgerlich. „Der Profos soll ihnen mit ein paar Kräftigen Maulschellen den erforderlichen Respekt beibringen.“

Der Erste gab den Befehl weiter an den Zweiten, der Zweite beauftragte, immer dem Rang nach, den Dritten, und der wiederum wandte sich an den Zuchtmeister und Profos, der nichts Eiligeres zu tun hatte, als den Befehl an den Decksältesten weiterzugeben.

Bis die Order alle Instanzen durchlaufen hatte, rochen die beiden Grinser den Braten, drehten Marquess Henry eine lange Nase und nahmen die Beine in die Hand.

Damit war seine Laune für den heutigen Tag restlos verdorben. Doch es kam noch viel schlimmer.

Der Pöbel und das Pack feierten immer noch drüben über dem Sound. Hin und wieder klangen Musikfetzen und Gebrüll herüber, und jedesmal durchzuckte Marquess Henry der bittere Schmerz von kühler Mißachtung.

Am Nachmittag beschloß er, das Volksvergnügen zu beenden, und sich im Boot zur anderen Seite pullen zu lassen.

Da passierte das, was schon mal auf hölzernen Schiffen vorkam, wenn die Vorschriften nicht rigoros eingehalten wurden.

Auf der kleinsten der Galeonen hantierte ein jüngerer Mann an den Lampen, die aufgefüllt werden sollten. Er schnitt die Dochte zurück, säuberte sie und entzündete dann zwei der Lampen, obwohl das beim Auffüllen von Öl grundsätzlich verboten war.

Ein wenig von dem Öl war auf die Planken gelaufen, und als er sich nun bückte, um das Öl aufzuwischen, stieß er eine der brennenden Lampen um.

Weiteres Öl lief aus und entzündete sich augenblicklich an dem brennenden Docht. Den Mann überfiel ein panikartiges Gefühl. Erst stand er wie erstarrt da, dann, als sich blitzschnell ein Flammenteppich vor ihm ausbreitete, rannte er schreiend aus der Kammer an Deck.

„Feuer an Bord!“ schrie er gellend.

Zunächst stand jeder wie erstarrt da und glaubte sich verhört zu haben.

Dann folgten gebrüllte Befehle und Kommandos, und als sich die Meute der Seesoldaten und Decksleute in Bewegung setzte, schlugen aus dem offenen Schott bereits die ersten Flammen.

Bei dem böartig einfallenden Wind krängte die kleine Galeone immer wieder leicht über, und so verteilte sich der Teppich nach jedem Roller weiter, und das brennende Öl lief in den schmalen Gang, der zur Pulverkammer führte.

Damit war auch schon das Schicksal des kleinen Schiffes besiegelt.

Die Männer, die eben noch voller Angst und Eifer löschen wollten, hatten plötzlich die Hosen voll, als sich das Feuer weiter zur Pulverkammer und dem Magazin fraß. Sie blieben wieder stehen in der Ungewißheit, ob sich das Feuer überhaupt noch löschen ließ oder die Pulverfässer erreichte. Denn dann würden sie alle mit einem großen Knall in den Himmel fliegen.

Es war eine scheußliche Situation.

Master Thompson, der das Unglücksschiff befehligte, trieb die zaudernden Männer zur Eile an und ließ Ketten bilden. Er selbst griff auch mit zu, denn jetzt ging es wirklich nur noch um Augenblicke. Pützen wurden weitergereicht und ausgeleert, doch das Wasser trieb das brennende Öl nur noch weiter auseinander und drückte es in Ritzen und Ecken, wo es bald darauf überall zu knistern begann.

Auf den anderen Schiffen wurde das Malheur ebenfalls bemerkt. Auch Marquess Henry sah es und glaubte seinen Augen nicht zu trauen.

Zunächst zeigte sich eiskalte Wut in seinem Blick, dann befahl er, man solle unverzüglich mit dem Boot hinüberpullen und beim Löschen helfen.

Von den anderen Schiffen lösten sich ebenfalls Boote. Die anderen Kapitäne hatten den gleichen Befehl gegeben.

„Den Übeltäter bringen Sie anschließend sofort zu mir an Bord!“ befahl er mit hektisch zuckendem Mund. „Der Mann wird seiner Verurteilung nicht entgehen. Außerdem verlange ich einen genauen Bericht.“

An den Bericht und den Übeltäter dachte jedoch zunächst keiner der Offiziere. Zuerst mußte einmal gelöscht werden, das war wichtiger als Marquess Henrys lächerlicher Kleinkram.

Gleich darauf legte das Boot mit etlichen Männern ab.

Während sie noch hinüberpullten, breitete sich das Feuer weiter aus. Der Wind fachte es an und blies immer kräftiger hinein. Die angsterfüllten Männer wichen zurück, und die paar Pützen, die sie noch hineingossen, verdampften in der Glut.

Da gab es auch für die heranpullenden Männer nichts mehr zu helfen. Das Holz der Galeone war uralt und knochentrocken, und beim nächsten Windstoß begann es zu prasseln und zu knacken. Hilflos standen sie vor einer Flammenwand, die jetzt auf die Masten und Segel übergriff und die Galeone in eine rote Hölle verwandelte.

„Alle Mann von Bord!“ erklang Master Thompsons rauhe Stimme. „Sofort das Schiff verlassen.“

Selbst hundert Männer hätten hier nichts mehr ausgerichtet. Es war aussichtslos, gegen die Feuersbrunst anzukämpfen. Jetzt lösten sich aus den brennenden Segeln bereits große Fetzen und flatterten glühend davon.

Die ersten Männer sprangen über Bord, immer das Gefühl im Nacken, die Pulverkammer würde jetzt explodieren. Die Männer in den Booten warteten darauf, die anderen aufzunehmen, denn noch näher konnten sie an das brennende Schiff nicht heran.

Als erst ein paar von ihnen in das eiskalte Wasser gesprungen waren und auf die Boote zuschwammen, erreichte die Glut das Pulvermagazin und damit die Fässer.

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