Seewölfe - Piraten der Weltmeere 206

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 206
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Impressum

© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-542-2

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Von der Java-See bis zur Straße von Malakka hatte es sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen, was anfangs wie ein Gerücht geklungen hatte:

El Lobo del Mar, der Seewolf mit seiner „Isabella VIII.“, und seiner überaus gefürchteten Crew war unterwegs!

Die „Isabella“ war, von Java kommend, durch die Sunda-Straße gesegelt und lief an der Südwestküste Sumatras entlang mit Kurs Nordwest in Richtung Andamanensee.

Wer die Meldung verbreitet hatte, war nicht mehr festzustellen. Aber vorauseilende spanische Galeonen hatten die Meldung bestätigt, und jetzt gab es keinen Zweifel mehr daran.

Ein Pulk von achtundzwanzig schwerarmierten spanischen Galeonen lag auf der Lauer und wartete auf El Lobo del Mar.

Der Generalkapitän des spanischen Pulks, der sich auf der Fahrt nach Südamerika befand, ließ den Großteil der Kapitäne zu sich auf das Flaggschiff „San Raphaelo“ bitten. Da die große Kapitänskammer zu klein war, fand die Lagebesprechung auf dem sonnendurchglühten Achterdeck statt. Ein Sonnensegel war gespannt worden, das Schutz vor der sengenden Hitze bot.

Der Generalkapitän war ein großer hagerer Mann mit dunklen Augen, einer kühn gebogenen Nase und einem Knebelbart. Sein Haar war an den Schläfen leicht ergraut.

„Seine Allerkatholischste Majestät, der König von Spanien“, begann er mit leidenschaftsloser Stimme, „hat auf den Kopf dieses Engländers eine hohe Summe ausgesetzt. Das allein ist aber nicht der Grund, warum wir diese günstige Gelegenheit nutzen werden. Denken Sie an die vielen Niederlagen, meine Herren, die wir einstecken mußten, und denken Sie vor allem an die unbesiegliche Armada, an deren Untergang El Lobo del Mar einen nicht unbeträchtlichen Anteil hatte. Einige unter Ihnen wissen das aus eigener Erfahrung. Dieser Sir Killigrew hat uns erbarmungslos gejagt und zusammengeschossen. Er hat der spanischen Krone unermeßlichen Schaden zugefügt.“

Der Generalkapitän drehte den Kopf nach links und musterte Kapitän Manuel de Diaz, der mit ernstem Gesicht an der Schmuckbalustrade stand. Dessen abwesender Blick verriet eindeutig, daß er nicht ganz bei der Sache war.

Sein Blick war in weite Fernen gekehrt, und es schien ihm, als tauche das Gesicht des Seewolfs am Horizont aus dem Meer und lächelte spöttisch. Er sah die eisblauen Augen überdeutlich vor sich, die lächelnden schmalen Lippen des Mannes, und er glaubte auch seine Stimme zu hören. Kühl rann es ihm über den Rücken, wenn er an diesen gefürchteten Lobo del Mar dachte.

Die Stimme des Generalkapitäns riß ihn aus seiner Versunkenheit.

„Sie sollten jetzt nicht schlafen, Kapitän Diaz“, rügte ihn die harte Stimme. „Oder haben Sie nicht vernommen, um was es geht?“

„Entschuldigung, Senor Generalkapitän“, sagte Diaz. „Ich wollte keinesfalls die Regeln des Anstandes verletzen. Aber hat dieser Lobo del Mar den havarierten und zerschossenen Galeonen nicht auch geholfen und sich sogar gegen den Admiral Francis Drake erhoben?“

Sekundenlang hing diese Frage wie Blei in der Luft, bis der Generalkapitän rot anlief.

„Heißt das?“ fragte er süffisant, „daß Sie irgendwelche Sympathien gegen einen Feind der spanischen Krone hegen?“

„Ich betrachte lediglich das Verhältnis. Achtundzwanzig schwer armierte Galeonen gegen ein einziges Schiff. Wir sind mehr als dreitausend Mann, einschließlich aller Seesoldaten. Auf der ‚Isabella‘ dieses Killigrew befinden sich höchstens zwei Dutzend Leute, allerdings sehr gute und harte Männer, das muß ich fairerweise hinzufügen. Sie haben keine Chance, nicht die geringste.“

De Diaz schwieg und blickte auf die Planken.

„Auf den Galeonen seiner Majestät pflegt man Kollaborateure und Sympathisanten an den Rahen hochzuziehen, Senor de Diaz. Leute, die sich besonders schimpflich benehmen, werden durch die Garotte vom Leben zum Tod befördert. Einige setzt man auch auf kahlen, unwirtlichen Inseln aus. Das nur zur Erinnerung, Senor Diaz.“

Die meisten der Männer blickten de Diaz jetzt offen und abschätzend an, aber der Kapitän stand ganz ruhig und gelassen da und hielt den Blicken stand. Die harte Drohung schien ihn nicht im geringsten eingeschüchtert zu haben.

„Es sind übrigens, das nur nebenbei, hunderttausend Reales für seine Ergreifung ausgesetzt, tot oder lebendig.“

Ein Raunen ging durch die Gruppe, denn diese Summe war einfach unvorstellbar für die meisten.

„Bisher ist es uns nicht gelungen, ihn zu fassen“, fuhr der Generalkapitän fort. „Diesmal gibt es für ihn kein Entkommen. Wir sind es dem König von Spanien schuldig, daß wir diesen Mann zur Strecke bringen. Ich wünsche, ihn lebend bei Hofe vorführen zu können.“

„Das werden wir nicht schaffen“, prophezeite de Diaz unverfroren. „Einen Seewolf fängt man nicht mit der Hand, den kriegt man entweder tot oder gar nicht.“

Der Generalkapitän lächelte spöttisch.

„Ich habe Ihre Worte soeben überhört, Kapitän de Diaz“, sagte er. „Aber Ihnen wird die Hauptaufgabe zufallen. Ihre ‚San Angel‘ verfügt über sechzig Kanonen, und ich werde Sie so postieren, daß El Lobo del Mar genau vor Ihre Rohre läuft. Dann werden Sie seine Galeone Stück für Stück zusammenschießen. Wir verfahren diesmal nach seinem eigenen Muster. Bisher hat er uns immer überlistet, diesmal wird es umgekehrt sein. Zuerst werden Fühlungshalter ausgeschickt, die als Fischer getarnt werden. Die Boote besorgen wir uns von den Eingeborenen. Eine weitere Galeone wird als Köder präpariert.“

De Diaz lachte lautlos, wobei sich seine Lippen nur unmerklich verzogen. Komisch, daß der Generalkapitän das Fell des Bären schon verkaufte, dachte er. Dabei war der Bär noch nicht einmal zu sehen, man wußte nur, daß er sich in dieser Ecke herumtrieb.

„… Lobo del Mar öffentlich am Galgen enden und zur Abschreckung dort hängen bleiben wird, bis ihm auch das letzte Fleisch von den Knochen gefallen ist.“

Das alles plätscherte an Diaz Ohren vorbei, ohne daß er es wirklich wahrnahm. Er fühlte sich in seiner Rolle nicht mehr wohl. Am liebsten hätte er das Kommando über die „San Angel“ abgegeben, obwohl das natürlich ausgeschlossen war.

Der Generalkapitän erläuterte seinen Plan noch einmal in allen Einzelheiten und schätzte, daß die Vorbereitungen dafür etwa zwei Tage in Anspruch nehmen würden.

Anschließend kehrten die Kapitäne an Bord ihrer Galeonen zurück, um die erforderlichen Maßnahmen zu treffen.

Manuel de Diaz saß auf der Ducht des Bootes, das ihn zurückbrachte, und blickte aus klaren Augen über das fast stille Wasser.

Vor seinem geistigen Auge tauchte ein Bild auf, ein Bild das schon lange zurücklag …

Die Armada war versenkt, zerschossen, verbrannt und in alle Winde verstreut worden, und der restliche angeschlagene Verband befand sich auf dem schmählichen Rückzug. Der Generalkapitän der Ozeanischen Meere, Don Alonso de Guzman el Bueno, Herzog von Medina Sidonia, hatte die gewaltige Schlacht verloren, seit die Nacht des achten August 1588 angebrochen war.

Die Engländer, unter Admiral Sir Francis Drake, verfolgten den traurigen Haufen, und der Admiral ließ auch die hilflosen Schiffe noch zusammenschießen, wenn nicht dieser Seewolf gewesen wäre.

Wieder sah de Diaz ihn vor sich, hart, braungebrannt, ein verwegener Mann, der die einzigartige Frechheit aufbrachte, sich gegen den Admiral zu stellen und den hilflosen Spanier zu helfen, wo er nur konnte.

Auch die Galeone „El Cid“ war dabei zusammengeschossen worden, die er vor knapp zwei Jahren befehligte. Sie trieb hilflos in der See, mit Verwundeten und Toten an Bord, ein halbes Wrack, dem der sichere Untergang und die totale Vernichtung durch Drake bevorstand.

Da erschienen Philip Hasard Killigrew und ein Franzose, an dessen Namen er sich ebenfalls noch erinnerte. Ribault hieß der Mann. Kurzentschlossen setzten sie die zerschossene ‚El Cid! wieder instand, verarzteten die Verwundeten, ließen Proviant, Wasser und Medikamente zurück und spannten ihre gesamte Crew zu den Arbeiten ein. Für den Seewolf zählte von da ab nicht mehr der Feind, sondern nur noch der hilflose Mensch als Kamerad zur See.

Und dieser Seewolf gab ihm noch einen guten Rat, eine Empfehlung, die er dankbar annahm.

De Diaz sollte in Richtung Norwegen weitersegeln, um den Engländern nicht erneut in die Hände zu fallen.

Ein letzter Händedruck. Engländer und Spanier trennten sich, und de Diaz war es mit einem weiteren kleinen Verband gelungen, unbeschadet die spanische Küste zu erreichen.

Immer noch sah er im Geist die harten Kerle vor sich, hörte ihre Stimmen und wunderte sich über die Lässigkeit, mit der das alles geschah. Ein derartiges Risiko wäre kein anderer eingegangen, überlegte de Diaz, es sei denn, er hätte Sehnsucht danach gehabt, an einer Rah zu baumeln. Aber danach sahen diese Seewölfe ganz und gar nicht aus.

 

Das Fazit dieser zwei Jahre zurückliegenden Geschichte war klar und eindeutig: Der Seewolf und seine Crew hatten einigen hundert Spaniern das Leben gerettet und dadurch ihre menschliche Größe bewiesen.

Jetzt hatte er ausdrücklichen Befehl, seinen Lebensretter gnadenlos zusammenzuschießen, sobald er ihn vor den Rohren seiner Kanonen hatte.

Capitan Manuel de Diaz fand die ganze Welt zum Kotzen. Weshalb, per Diablo, war er nicht auf der Finca seines Vaters ein kleiner Landarbeiter geblieben! Da hätte er nur zu entscheiden gehabt, ob heute Oliven oder Apfelsinen gepflückt werden mußten.

Sein Gesicht wirkte wie aus Stein gehauen, als er an Bord ging.

2.

Auf der „Isabella VIII.“ war man völlig arglos. Niemand dachte auch nur im Traum daran, daß ihnen Spanier auflauerten und ihr Kurs längst bekannt war.

Der ranke Dreimaster schickte sich an, in sein Verderben zu laufen.

Selbst der alte O’Flynn, der mitunter übersinnliche und vom Verstand her unfaßbare Vorahnungen hatte, spürte nichts. Er sah keine Bedrohung, keinen Schatten, für ihn war die Welt heil und in Ordnung. Wäre das nicht der Fall gewesen, dann hätte er die Seewölfe längst mit seinen dunklen Vorahnungen genervt.

Der größte Teil der Crew war damit beschäftigt, das Logis und die Messe mit Essigwasser auszuwaschen. Das hatte den Vorteil, daß es besser duftete und außerdem Krankheitserreger abgetötet wurden. So ganz nebenbei flitzten auch die Kakerlaken in heller Panik davon und suchten sich ein neues Domizil, wo sie sich in aller Ruhe weiter vermehren konnten.

Ganz ausrotten ließen sie sich nicht, auf jedem Schiff gab es Winkel und Ritzen, in die sie sich verkriechen konnten, und die Mannschaft hatte sich längst an sie gewöhnt. Sie gehörten zum lebenden Inventar eines jeden Schiffes, und solange sie nicht als unerwünschte Einlage in der Suppe schwammen, hatte niemand etwas gegen sie.

Der Kutscher brachte gerade einen Holzzuber Essig an Deck und verteilte die Brühe.

„Geht sparsam damit um“, warnte er. „Viel haben wir nicht, und ich muß das Zeug mühsam wieder aus kostbarem Obst herstellen.“

Der Moses Bill schüttete den Essig in eine Pütz und verschwand wieder in der Messe, wo die Männer eifrig damit beschäftigt waren, Wände und Böden abzureiben.

Der Geruch drang bis aufs Achterdeck, wo der Seewolf, Ben Brighton, Dan O’Flynn und Pete Ballie standen.

Über der See spannte sich azurblauer Himmel, eine leichte Bagstagbrise schob die „Isabella“ durch das blaugrüne Meer.

Steuerbord achteraus verschwand die Insel Simeulue. Backbord voraus lagen noch zwei winzige Inseln, die niemand kannte. Die Küste Sumatras war ebenfalls an Steuerbord als kaum sichtbarer Strich zu erkennen.

„Die Inseln lassen wir an Backbord, Pete“, sagte Philip Hasard Killigrew. „Wir segeln in Sichtweite der Küste weiter.“

„Aye, Sir“, sagte Pete und warf einen Blick nach den Flögeln.

Alles sah ruhig, freundlich und friedlich aus. Bis auf ein paar kleine Fischerboote in Küstennähe war kein anderes Schiff zu sehen.

Die Fischerboote trugen winzige, dreieckige Segel und hatten sich weit in die See hinausgewagt. Auf der Dünung schwankten die kleinen Boote bedrohlich.

Dan O’Flynn lehnte am Schanzkleid und blickte auf ein kleines zerbrechlich wirkendes Boot, das wie ein Kork in der See hüpfte, und an dem sie jetzt in einem Abstand von knapp zwei Kabellängen vorbeisegelten.

Ben Brighton war seinem Blick gefolgt und sah ebenfalls auf die Nußschale mit dem Fischer darin.

„Ein schweres Brot“, sagte er und dachte dabei an seine eigene Kindheit. Er war als vierter von sechs Söhnen in Gravesand geboren worden. Auch sein Vater war Fischer gewesen, ehe er für immer auf See blieb, und Ben Brighton, der eigentlich Benjamin hieß, hatte damals alle Höhen und Tiefen eines Fischerlebens kennengelernt. Die Fischerei war wirklich ein schweres und hartes Brot.

„Ja“, sagte Dan nachdenklich und blickte immer noch auf das kleine Boot. Gedankenverloren nahm er Ben das Spektiv aus der Hand, zog es auseinander und warf einen Blick hindurch.

Nach einer Weile setzte er es ab und schob es wieder zusammen. Dann, einer plötzlichen Eingebung folgend, blickte er noch einmal hindurch, und auf sein Gesicht trat ein Zug, als grübele er über irgend etwas nach.

„Was ist los?“ erkundigte sich Hasards Stellvertreter. „Du siehst aus, als hättest du gerade einen Geist gesehen.“

Dan schüttelte den Kopf.

„Nein, keinen Geist, Ben. Der Mann in dem Boot erschien mir nur so merkwürdig.“

„Wieso merkwürdig?“

„Weiß ich nicht. Jedenfalls wirkte er nicht wie ein Insulaner. Die sehen anders aus. Er – er wirkte fast wie ein Europäer.“

Diesmal lächelte Ben und schüttelte den Kopf. Auch er warf nun einen Blick durch das Spektiv und holte mit Hilfe der Optik das kleine Boot näher heran.

Doch von dem Mann sah er nur noch den Rücken, und auch den verbarg gleich darauf das dreieckige Segel. Dann begann die Entfernung größer zu werden, und das kleine Boot änderte seinen Kurs. Zweimal holte es sein Segel ein, als sei der Fischer unschlüssig, ob er noch auf See bleiben oder an Land segeln sollte.

„Eigenartig“, nahm Dan den Faden wieder auf, „daß der Kerl nicht gewinkt hat. Sonst hüpfen sie doch immer im Boot herum, schreien und winken, wenn eine Galeone vorbeisegelt. Aber dieser Bursche tat so, als hätte er uns überhaupt nicht gesehen.“

Dieses angeborene und gesunde Mißtrauen, dieses Achten auf winzige Kleinigkeiten war einer der Faktoren, die entscheidend dazu beitrugen, daß die Seewölfe noch am Leben waren, wenn sie auch harte Blessuren abgekriegt hatten. Doch sie waren immer auf der Hut, nahmen jede geringfügige Veränderung wahr und vermochten sich immer auf die neue Situation einzustellen.

Ein anderer hätte dem Boot nicht die geringste Aufmerksamkeit geschenkt.

Das, was Dan da sagte, stimmte nun auch Ben nachdenklich, und er warf erneut einen Blick achteraus.

Der Fischer segelte jetzt zur Küste, als hätte er jede Lust zum Fischen verloren. Er segelte schnell, und bald darauf war er nur noch ein winziger kleiner Punkt, der in der See verschwand.

Als die Glocke vom Achterdeck glaste und die Sanduhr abgelaufen war, wurde das zweite Fischerboot gesichtet. Eine halbe Stunde war vergangen, da tauchte es in der See als heller Punkt auf.

Ben Brighton wandte sich an den Seewolf. Aus den Augenwinkeln sah er, daß die Männer mit dem Reinschiff fertig waren und der Profos Edwin Garberry sich breitbeinig an Deck stellte, tief die Luft in seine Lungen sog und die mächtigen Arme in die Seiten stemmte.

„Können wir den Kurs um zwei Strich nach Backbord ändern?“ fragte Ben Brighton.

„Kein Problem. Weshalb?“

Ben sagte dem Seewolf, daß er sich den Fischer gern mal aus der Nähe ansehen würde, und erzählte dann das, was Dan soeben erklärt hatte.

„Ich glaube, ihr seht Gespenster“, sagte Hasard lachend. „Kann doch ohne weiteres sein, daß sich ein englischer, spanischer oder holländischer Deserteur auf einer der vielen Inseln niedergelassen hat und sich jetzt als Fischer versucht. Das ist doch nicht ausgeschlossen. Und daß der uns nicht zuwinkt, kann ich durchaus verstehen. Ich würde es auch nicht tun und möglichst rasch davonsegeln, wenn ich ein schlechtes Gewissen hätte.“

„Na klar, du hast recht, Sir“, sagte Ben. „Aber das Mißtrauen hast du uns immer wieder eingeschärft.“

„Ist ja auch richtig so. Zwei Strich Backbord, Pete“, sagte er im selben Atemzug zu Pete Ballie, der die Kursänderung umgehend bestätigte.

Die „Isabella“ hielt jetzt auf den noch weit entfernten Fischer zu, der offenbar ziellos in der See herumkrebste.

Hasard selbst empfand nicht das geringste Mißtrauen, denn den Fischern begegneten sie immer wieder. Manche trieben sich in Küstennähe herum, andere waren ziemlich weit draußen. Jeder fischte dort, wo er glaubte, am meisten zu fangen.

Dieser Fischer jedoch benahm sich merkwürdig. Als ihn noch eine halbe Seemeile von der „Isabella“ trennte, änderte er den Kurs und segelte ebenfalls zur Küste zurück. Sein Gesicht konnten sie nicht erkennen, es war unter einem dichten weißen Turban verborgen und wirkte nur wie ein Schatten, so weit hing der ausgefranste Turban hinunter.

Da das Boot klein und wendig war, konnte die „Isabella“ auch nicht folgen. Noch bevor der Seewolf erneut den Kurs ändern ließ, tanzte es schon weit entfernt in der Dünung und entschwand langsam den Blicken.

„Auch das muß nicht unbedingt etwas heißen“, sagte der Seewolf. „Er hat wohl Angst vor uns, und als wir den Kurs änderten, nahm er an, wir wollten etwas von ihm.“

Dan O’Flynn wollte zuerst wiedersprechen, doch dann unterließ er es. Vielleicht hatte Hasard recht, und das allgemeine Mißtrauen war ihnen allen leicht zu Kopf gestiegen.

Dennoch verschwand sein besorgter Blick nicht, und er fragte sich, was das erneute Segelsetzen des Fischers, ebenfalls zweimal hintereinander, wohl bedeuten mochte. Das sah verdammt nach einem Signal aus, fand er.

Inzwischen waren auch der rothaarige Schiffszimmermann Ferris Tucker und Blacky an Deck erschienen.

Trotz ihrer Verletzungen, die sie beim letzten Kampf davongetragen hatten, arbeiteten sie längst wieder. Ferris hatte immerhin eine Musketenkugel in der Brust gehabt, und bei Blacky hatte eine in der rechten Schulter gesessen. Der spanische Brustpanzer, den Ferris bei dem Kampf getragen hatte, hatte allerdings die Kraft der Kugel stark abgeschwächt.

Der Rest war Sache des Kutschers und Feldschers der „Isabella“ gewesen. Seiner Kunst war die Genesung der beiden Männer wieder einmal zu verdanken.

Jetzt schien für die beiden alles vergessen, und die immer noch leicht besorgten Vorhaltungen des Kutschers wurden höflich, aber bestimmt ignoriert.

„Du hast so gut gearbeitet, daß wirklich keine Sorge mehr besteht“, sagte Ferris Tucker gerade zum Kutscher und öffnete das Hemd über seiner stark behaarten Brust. Eine kahle Stelle und eine längliche rote Narbe waren noch zu sehen.

„Trotzdem muß man sich schonen“, sagte der Kutscher beschwörend. „Das gilt auch für deinen Arm, Blakky.“

„Welcher war es eigentlich?“ fragte Blacky grübelnd.

„Der rechte, Mann, die rechte Schulter.“

„War’s nicht die linke?“

„Ihr wollt mich wieder einmal hochnehmen, ihr Stinte“, sagte der Kutscher. „Aber so seid ihr eben: Immer mit dem Schädel durch die Wand, nie unterzukriegen. Und wenn was passiert, muß ich alles wieder kurieren. Aber auf mich hört ja keiner von euch Burschen.“

„Jedenfalls bist du der beste Wunderheiler, den ich kenne“, sagte Ferris. „Außer Sir Freemont vielleicht, und das meine ich verdammt ehrlich, Kutscher. Sir Freemont hätte seine helle Freude an dir.“

Der Kutscher wurde rot und verlegen, und schließlich grinste er.

„Na ja“, sagte er. „Aber gebt nur gut acht auf eure Knochen und klotzt nicht gleich wieder so hart ran!“

Danach verzog er sich erfreut in seine Kombüse. So ein kleines Lob tut doch immer ungemein wohl, dachte er.

Auf dem Achterdeck studierte Hasard wieder die Seekarten, und griff dabei auf jene zurück, die er und Dan auf ihrer letzten Reise einmal selbst unter großer Mühe angefertigt hatte.

Da begann Dan plötzlich zu lachen.

„Mann, Ed!“ rief er zum Profos hinunter auf die Kuhl. „Weißt du eigentlich, wo wir hier sind?“

„So ungefähr“, erwiderte Carberry.

„Wir sind ganz in der Nähe von Profos Island“, sagte Dan grinsend und sah, wie Carberry zusammenzuckte.

Dann aber brandete doch Gelächter auf, und die Seewölfe blickten alle nach Backbord, obwohl es da nichts als die blaue See zu sehen gab. Aber jeder wußte plötzlich Bescheid.

Richtig, hier hatten sie auf ihrer ersten Fahrt die kleinen, namenlosen Inseln entdeckt, und Dan O’Flynn hatte den Vorschlag unterbreitet, die Inseln zu benennen.

Diese Namen waren immer noch in den Karten eingetragen, und jeder erinnerte sich nur allzu deutlich an sie.

Die erste Insel hatte man zu Ehren des Seewolfs Seewolf-Island genannt. Dann folgte Ben-Brighton-Island, Big-Shane-Land und Ferris-Tucker-Island.

Nur dem Profos hatte seine kleine Insel nicht behagt, und er hatte von einem lausigen Misthaufen gesprochen, der unter seiner Würde sei. Ihm stand rangmäßig eine größere zu, und so wurde die Insel kurzerhand Bill-Moses-Island genannt, und Bill war nun der Große Chan von Bill-Moses-Island.

 

Dann gab es das Kutscher-Atoll, die Jeff-Bowie-Lagune, die Insel des Segelmachers, die Sam-Roskill-Bucht, den Batuti-Felsen und das Gary-Andrews-Riff.

Schließlich hatte auch der Profos seine Insel gefunden, die etwas später auch angelaufen wurde. Und wie es sich für den Profos Edwin Carberry gehörte, war jene Insel die schönste von allen mit einem malerischen Wasserfall und einem verborgenen Schatz.

„Wie lange liegt das schon zurück?“ fragte der Profos, der nun ebenfalls das Achterdeck enterte und Ausschau hielt.

„Die Inseln entdeckten wir im Jahre fünfzehnhundertfünfundachtzig“, sagte der Seewolf. „Jetzt haben wir fünfzehnhundertneunzig.“

„Himmel, fünf Jahre“, ließ sich Ben Brighton vernehmen. „Wie schnell doch die Zeit vergeht.“

„Und was alles inzwischen passiert ist“, setzte Dan hinzu.

Auch sein Vater, Donegal Daniel O’Flynn, sah gerührt aus, wenn er an diese so lange zurückliegende Reise dachte.

„Fünfundachtzig habe ich die ‚Empreß of Sea‘ gefunden, mein schönes altes Schiff“, sagte er wehmütig. „Und das war gar nicht mal so weit von hier weg.“

„Du meinst wohl den alten vergammelten Kasten, der irgendwo auf den Atollen gestrandet war“, sagte der Profos.

„Was – vergammelter Kasten?“ rief der rauhbeinige O’Flynn. „Das war eins der besten Schiffe überhaupt, das je die Meere …“

„Schon gut“, sagte Hasard lächelnd. „Immerhin hat Donegal noch das Stück Holz aus dem Kielschwein mit dem eingebrannten Namen.“

Dann blickte er durch das Spektiv nach Backbord.

„Die Inseln, denen wir damals die Namen gegeben haben, liegen noch weiter nordwestlich, und ich bin mir nicht einmal sicher, ob wir sie überhaupt wiederfinden. Aber sie sind ja auch nicht unser Ziel. Wir werden vorerst auf nördlichem Kurs bleiben. Alles weitere wird sich finden.“

Der Profos hätte „seiner“ Insel gar zu gern mal einen Besuch abgestattet, aber er konnte von Hasard schlecht verlangen, hier womöglich tage- oder wochenlang herumzukreuzen und die Inseln zu suchen. Sie waren nur winzige Punkte in einem großen Meer, und bei allem Respekt vor der Navigation würden sie sich nicht auf Anhieb finden lassen.

Vielleicht führte sie der Zufall einmal hin, überlegte Ed.

„Verdammt, das ist doch schon der dritte oder vierte Fischer jetzt, den wir sichten“, sagte Dan und deutete weit voraus auf einen kleinen hellen Fleck in der See.

Das winzige Boot hatte kein Segel gesetzt. Das tat der Fischer erst jetzt und änderte auch sofort den Kurs.

„Weshalb verschwinden die Burschen denn ständig, sobald wir aufkreuzen“, wunderte er sich. „Die können doch nicht alle Angst vor einer fremden Galeone haben. Wir klauen denen doch bestimmt keine Fische.“

Niemand wußte darauf eine Antwort, aber jetzt blickte auch der Seewolf dem davonsegelnden kleinen Fischerboot lange und nachdenklich hinterher.

Wie er feststellte, fischten die Eingeborenen in einer mehr als zwanzig Meilen langen Kette. Einige waren so weit draußen, daß sie kein Land mehr sahen.

Etwas später passierte einem weiteren Fischer ein Mißgeschick.

Als Hasard auf ihn zusegelte, zog er seinen dreieckigen Fetzen hoch, wendete und strebte der Küste zu. Doch eine kaum merkliche Bö fuhr in das Segel und ließ das kleine Boot schlagartig kentern.

„Wir helfen ihm“, sagte der Seewolf spontan. „Dann können wir uns den Burschen auch gleich einmal genauer ansehen.“

Die „Isabella“ änderte leicht den Kurs zur Küste hin. Hasard befahl dem Profos die Segel zu zwei Dritteln aufzugeien.

„Merkwürdiger Fischer, dem schon bei einer kleinen Bö das Boot baden geht“, meinte Dan. „Die Kerle lernen das Segeln doch von klein auf, und ihr erstes Segel ist die Windel.“

Deutlich war zu sehen, wie der Fischer sich bemühte, sein Boot wieder aufzurichten. Er paddelte im Wasser, schob und zerrte, hängte sich mal an die eine, dann wieder an die andere Seite, und dann hatte er es endlich geschafft.

Das Boot schwamm wieder in Normallage, gerade als sich die „Isabella“ noch knapp fünfzig Yards entfernt befand.

„He, du Sonntagssegler!“ brüllte Carberry zu dem Fischer hinüber, „wir wollen dir doch nur helfen!“

Der Fischer drehte sich um. In seinem Gesicht stand das nackte Entsezten, und panische Furcht war in seinen dunklen Augen.

„Wenn das ein Eingeborener ist“, sagte der bärtige Big Old Shane kopfschüttelnd, „dann bin ich die Königin von England! Seht euch doch mal das Gesicht an!“

Der Fischer wandte sich schnell ab und brachte sein Boot auf Kurs. Sein Oberkörper war nackt, auf dem rechten Oberarm trug er eine Tätowierung, wie Hasard deutlich durch das Spektiv sah. Seine Haare waren schwarz und das Gesicht von dunklen Bartschatten umrahmt. Er trug eine Leinenhose, die an den Knien zerschlissen endete.

Aber sein Gesicht konnte einem Engländer, Spanier oder Franzosen gehören. Jedenfalls stammte er nicht von dieser Küste, das sahen die Seewölfe sofort.

Wieder konnte die „Isabella“ nicht mithalten, denn der Kerl segelte jetzt wie ein Wilder, und der Wind blies seine Nußschale atemberaubend schnell über die See.

Hasard wollte sich diesen merkwürdigen Mann zu gern einmal aus der Nähe ansehen, diesen seltsamen Vogel, der sich so gänzlich anders benahm, und der ganz sicher kein Fischer war.

„Al!“ rief er laut nach dem Waffen- und Stückmeister. „Wenn du eine Culverine klar hast, setze dem Burschen einen Schuß in die Nähe seines Bootes. Vielleicht stoppt er!“

„Aye, aye, Sir!“ rief Al Conroy und lief nach vorn, um beim Kutscher in der Kombüse eine Lunte zu entzünden.

Inzwischen hatten Carberry und Smoky eine der Culverinen überprüft, die Stückpforte hochgezogen und den Siebzehn-Pfünder ausgerannt.

Doch das kleine Boot entfernte sich zu schnell, und als die „Isabella“ herumschwang, da hatte es schon einen Vorsprung von mehr als einer Kabellänge.

Bis Al Conroy dann feuern konnte, war das Boot zwei Kabellängen weiter, und das waren, über den Daumen gepeilt, vierhundert Yards.

Da war mit einem Siebzehn-Pfünder kaum noch hinzulangen.

Al Conroy versuchte es trotzdem. Immerhin bestand die Möglichkeit, daß der donnernde Abschuß den Kerl stoppte oder er vor lauter Angst beidrehte.

Die kopfgroße Eisenkugel jagte zugleich mit einer grellen Feuersäule aus dem Rohr und ging auf die Reise. Der Knall war gewaltig und rollte weit über die See.

Ein ganzes Stück hinter dem Boot landete die Kugel aufgischtend im Wasser und warf eine Säule hoch, die wie ein Platzregen anschließend niederging.

Der Mann im Boot hatte sich umgedreht und fuhr erschreckt zusammen. Doch als er sah, daß die Kugel weit hinter ihm ins Wasser klatschte, drehte er den Seewölfen eine lange Nase, riß die Arme hoch und zeigte ihnen demonstrativ seine Kehrseite.

„Sei froh, daß ich dich nicht an Bord habe“, knurrte der Profos. „Dann würdest du an deinem Achtersteven keine Freude mehr haben, du matschige Seegurke.“

„Das bedeutet also“, sagte Ferris Tucker zu seinem Freund Carberry, „daß dieser Kerl genau weiß, daß wir ihn mit den Culverinen nicht mehr kriegen können. Er weiß, wie weit die Kanonen feuern. Ein eingeborener Fischer dürfte das ganz sicher nicht wissen.“

„Da hast du recht, Ferris“, sagte Ed und blickte dem davonsegelnden Boot grimmig nach. „Aber, na schön, wenn es jetzt wirklich ein Europäer ist, was soll das alles bezwecken?“

Der riesige Schiffszimmermann hob seine breiten Schultern.

„Keine Ahnung, ich weiß es nicht.“

„Irgendeine ausgekochte Teufelei steckt dahinter“, ereiferte sich der Profos.

„Schon möglich, dann müssen wir eben ganz besonders scharf aufpassen.“

Auch Hasard und die anderen Männer, die sich auf dem Achterdeck der „Isabella“ aufhielten, rätselten daran herum, aber es kam kein brauchbares Ergebnis zustande, und als nach einer Weile kein Fischer mehr gesichtet wurde, beruhigten sich die Gemüter wieder.

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