Lernendenorientierung

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Tobias Zimmermann, Franziska Zellweger (Hrsg.)

Lernendenorientierung

Studierende im Fokus

Forum Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung, Band 3

Eine Publikation des ZHE – Zentrum für Hochschuldidaktik

und Erwachsenenbildung, Pädagogische Hochschule Zürich

ISBN Print: 978-3-03905-783-2

ISBN E-Book: 978-3-03905-908-9

eBook-Herstellung und Auslieferung:

Brockhaus Commission, Kornwestheim

www.brocom.de

1. Auflage 2012

Alle Rechte vorbehalten

© 2012 hep verlag ag, Bern

hep verlag ag

Gutenbergstrasse 31

CH-3011 Bern

www.hep-verlag.ch

Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur Reihe Forum Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung

Tobias Zimmermann, Franziska Zellweger

Einführung und Übersicht

Urs Kiener

Wer sind die Studierenden an Fachhochschulen? Hinweise auf eine zunehmende Vielfalt

Einführung von Vera Luginbühl

Porträt: Patrizia Rohner

Franziska Zellweger

«Das Studium war schon immer anspruchsvoll»

Ein Interview mit Frau Dr. Johanna Margrethe Ammitzböll

Porträt: Benjamin Spenger

Franziska Zellweger, Tobias Zimmermann

Gute Fachhochschullehre aus Sicht von Studierenden

Einführung von Andreas Henrici

Porträt: Edin Fazlić

Tobias Jenert, Alexander Fust

Studierende (als) Kunden?! Zum Umgang mit einer herausfordernden Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden

Einführung von Frank Brückel

Porträt: Jürg Rohrer

Renate Grau

Studierende in der Weiterbildung – Herausforderungen und Gestaltungsmöglichkeiten für die Lehre

Einführung von Olaf Stern

Porträt: Sabrina Elia

Heike Kröpke, Melanie Szabo-Batancs, Silke Bock

Investition in die Qualität der Lehre. Einsatz studentischer Tutorinnen und Tutoren am Beispiel zweier Fachhochschulen in Deutschland

Einführung von Cécile Ledergerber

Vorwort zur Reihe Forum Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung

Dozierende an Hochschulen lehren, prüfen, beraten, forschen, organisieren Wissens- und Technologietransfer durch Weiterbildung und Dienstleistungen, betreiben Projektmanagement und engagieren sich in der Qualitätsentwicklung der eigenen Hochschule.

Lehre und Unterricht an Hochschulen und die Hochschulentwicklung sind zudem durch die Umsetzung der Bologna-Deklaration besonders herausgefordert: Dozierende gestalten gemeinsam Curricula oder einzelne Module, planen Leistungsnachweise, integrieren Phasen von selbstorganisiertem Lernen oder implementieren Konzepte wie Problem-based Learning in ihren Lehrveranstaltungen.

Das ZHE – Zentrum für Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung wurde 2009 an der Pädagogischen Hochschule Zürich gegründet und unterstützt Hochschulen und ihre Dozierenden bei den oben beschriebenen Herausforderungen durch Weiterbildung und Beratung.

Themenschwerpunkte des ZHE sind u. a. die Rollenvielfalt bei Dozierenden, kompetenzorientierte Lehre, die Lernendenorientierung, erwachsenenbildnerisches Handeln in der Lehre an Hochschulen und Hochschulentwicklung.

Mit der Reihe Forum Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung haben wir uns zum Ziel gesetzt, Diskussionen und Auseinandersetzungen um aktuelle und praxisrelevante hochschuldidaktische Fragen anzuregen sowie Dozierenden an Fachhochschulen sowie Aus- und Weiterbildungsverantwortlichen in weiteren Institutionen der Erwachsenenbildung nützliche Reflexions- und Handlungsinstrumente zur Verfügung zu stellen.

Jeweils eine Person oder ein Team aus dem ZHE oder dessen Umfeld verantwortet als Herausgeber einen Band; wir planen in der Regel eine bis zwei Publikationen pro Jahr.

Wir fokussieren im dritten Band auf die Perspektive der wichtigsten Personengruppe an Hochschulen, der Studierenden. Herausgegeben wird er von Franziska Zellweger und Tobias Zimmermann. Beide arbeiten am ZHE.

Geplant sind weiter folgende Bände:

 Hochschullehre variantenreich gestalten (Herbst 2013)

 Lateral führen (Frühling 2014)

 Lerntheorien und ihre Bedeutung für die Hochschullehre (Herbst 2014)

Bitte kontaktieren Sie uns für Rückmeldungen oder Ideen in Bezug auf Themen.

Wir wünschen Ihnen viele Anregungen.

Prof. Dr. Geri Thomann,

Leiter ZHE Zentrum für Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung

geri.thomann@phzh.ch

http://hochschuldidaktik.phzh.ch/

Tobias Zimmermann, Franziska Zellweger

Einführung und Übersicht

Fachhochschulstudierende im Fokus

Wer sind die heutigen Lernenden an Fachhochschulen und Pädagogischen Hochschulen, und welche Erwartungen haben sie an ihre Aus- oder Weiterbildung? Dürfen Studierende als Kunden bezeichnet werden? Und welche Bedeutung hat das Thema «Lernendenorientierung» für Dozierende? Der vorliegende dritte Band der Reihe «Forum Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung» bietet Antworten auf diese Fragen aus unterschiedlicher Perspektive an. Wir lassen dazu Studierende, Dozierende, Expertinnen und Experten zu Wort kommen.

Vorab möchten wir die groben Linien skizzieren, die eine Beschäftigung mit Fragen der Lernendenorientierung nicht nur aktuell, sondern auch lohnenswert erscheinen lassen:

 Im Zusammenhang mit verschiedenen Bildungsreformen hat sich die Schweizer Hochschullandschaft in den letzten Jahren erheblich gewandelt. Es sind neue Hochschulen entstanden, und so studieren seit einigen Jahren auch angehende Lehrpersonen, Physiotherapeutinnen, Designer oder Kunstvermittlerinnen an Hochschulen (vgl. Weber et al. 2010). Damit stellt sich die Frage, welches Bild von Studierenden an den verschiedenen Fachhochschulen herrscht und welche Vorstellungen von Studium und guter Lehre ihre Studierenden mitbringen.

 Zugleich haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten auch die hochschuldidaktischen Erkenntnisse weiterentwickelt. So gibt es unter dem Motto «Shift from Teaching to Learning» (Barr & Tagg 1995; Welbers & Gaus 2005) einen hochschuldidaktischen Trend, Hochschullehre stärker aus Sicht der Lernenden zu denken. Im Vordergrund soll weniger die Vermittlung von (Wissens-)Inhalten stehen, sondern stärker die aktive Konstruktion bzw. das «Entdecken» von Wissen, etwa durch das Lösen authentischer Problemstellungen oder forschendes Lernen (Reinmann 2005). Die Lernenden übernehmen dabei eine aktive Rolle bei der Erarbeitung des Wissens und tragen damit auch eine grössere Verantwortung für den Lernprozess.

 Die Bologna-Reform ist an den Schweizer Hochschulen inzwischen landesweit umgesetzt. Dabei ist die hochschulpolitische Rhetorik geprägt von Begriffen wie Arbeitsmarktfähigkeit (employability), also dem Anspruch, dass Studierende selbstständig und praxisorientiert arbeiten können, oder dem lebenslangen Lernen, also dem Ziel, dass sich die Studierenden auch über ihr Studium hinaus selbstständig fachlich weiterentwickeln. Diese Betonung studentischer Selbstständigkeit steht in einem gewissen Widerspruch zur Tatsache, dass die Bologna-Reform von den Schweizer Fachhochschulen ohne systematischen Einbezug der Studierendenperspektive umgesetzt wurde, wie von Matt (2010, S. 86) in seinem Bologna-Report feststellte. In einer stärkeren Berücksichtigung der Sichtweisen und Anliegen von Studierenden bei der Gestaltung von Lehre im Allgemeinen oder auch ganzen Studiengängen würde eine Chance für gegenseitiges Lernen liegen (vgl. ebd.).

 Die eher diffusen internationalen Studierendenproteste an diversen europäischen Universitäten Ende 2009 haben die Öffentlichkeit für einen Moment aufhorchen lassen und rückten die Befindlichkeit der Studierenden ins Zentrum der Aufmerksamkeit (vgl. auch Wagner 2011, S. I). Interessant für unseren Zusammenhang ist der Umstand, dass zumindest in der Schweiz diese Proteste Fachhochschulen und Pädagogische Hochschulen kaum betrafen, sondern ein universitäres Phänomen blieben.

 

Gerade der letzte Punkt legt nahe, dass die Situation der Studierenden an Fachhochschulen und Pädagogischen Hochschulen eine andere ist als jene von Universitätsstudierenden. Insgesamt scheint allerdings noch kaum systematisch aufgearbeitet, wer die Studierenden an Fachhochschulen und Pädagogischen Hochschulen sind, welche Bedürfnisse sie haben, welche Anforderungen gegenüber der Hochschule und ihren Dozierenden sie äussern – und was das alles für den Umgang von Dozierenden mit Studierenden bedeutet. Diese Fragen sind es, zu deren Klärung wir unter dem Stichwort «Lernendenorientierung» mit unserem Band einen Beitrag leisten möchten.

Vielfältige Perspektiven

Im ersten Beitrag «Wer sind die Studierenden an Fachhochschulen?» verdeutlicht Urs Kiener mittels statistischer Daten, dass die Heterogenität der Studierenden an Fachhochschulen und Pädagogischen Hochschulen in den letzten Jahren zugenommen hat. Dies zeigt sich anhand verschiedener Dimensionen, welche die Unterschiede vor dem Studium (z. B. Bildungslaufbahnen, soziale Herkunft) oder während des Studiums (z. B. Erwerbstätigkeit, familiäre Situation) sichtbar machen. Am Ende des Beitrags wagt der Autor zudem eine interessante Prognose darüber, wie das Hochschulsystem auf die Diversität der Studierenden reagieren könnte.


Abbildung 1 Themenübersicht «Lernendenorientierung – Studierende im Fokus»

Dieser quantitativ orientierte Beitrag wird ergänzt durch ein Interview mit der langjährigen Studierendenberaterin Johanna Margrethe Ammitzböll. Ihre Schilderungen geben spannende Hinweise darauf, wie einzelne Studierende ihr Studium erleben, aber auch auf Veränderungen im Bildungssystem. Obschon nach Einschätzung der Studierendenberaterin das Studium schon immer anspruchsvoll war, liefert das Interview viele Hinweise auf den erlebten Leistungsdruck als zentrale Herausforderung für heutige Studierende.

Bereits aus den ersten beiden Beiträgen wird klar, dass man eigentlich kaum von «den» Studierenden sprechen kann – zu gross ist die Heterogenität ihrer Bildungslaufbahnen, Lebensumstände und mit dem Studium verfolgten Ziele. Dies illustrieren exemplarisch auch die fünf Studierendenporträts zwischen den Beiträgen. Verfasst wurden diese Schilderungen von Isabelle Rüedi, selbst Studentin an der Universität Zürich und studentische Mitarbeiterin am ZHE – Zentrum für Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung der PH Zürich.

In unserem eigenen Beitrag zu diesem Band «Gute Fachhochschullehre aus Sicht von Studierenden» analysieren wir eine Diskussion über gute Lehre mit einer heterogen zusammengesetzten Gruppe von Fachhochschulstudierenden. Wir wollen dadurch exemplarisch herausarbeiten, welche gemeinsamen und unterschiedlichen Vorstellungen von guter Lehre und welche Erwartungen an die Beteiligten bestehen. Zusätzlich möchten wir anhand unserer Diskussionsanalyse auch aufzeigen, welches Potenzial in einem solchen Austausch liegt – nicht nur für einzelne Dozierende, sondern auch für Studiengangsleitende und ganze Hochschulen.

Studierende als Kunden zu bezeichnen, weckt bei vielen Dozierenden Widerstand. Tobias Jenert und Alexander Fust (Universität St. Gallen) versuchen, die Diskussion unter Bezug auf Erkenntnisse aus der Betriebswirtschaft zu versachlichen. Sie zeigen in ihrem Beitrag «Studierende (als) Kunden?!» auf, dass sich Kundenzufriedenheit nicht automatisch durch ein unhinterfragtes Eingehen auf Kundenwünsche erreichen lässt. Vielmehr müssen auch in privatwirtschaftlichen Kontexten Kunden häufig nicht nur dazu bewegt werden, ihre Bedürfnisse zu artikulieren, sondern auch darin unterstützt werden, angebotene Leistungen effektiv zu nutzen. Die Autoren geben einen Ausblick darauf, wie diese Aktivierung auch im Umgang mit Studierenden an Hochschulen gelingen kann.

Mit einer besonderen «Kundengruppe», den Weiterbildungsteilnehmenden, befasst sich der Beitrag «Studierende in der Weiterbildung» von Renate Grau. Ausgehend von reicher Weiterbildungserfahrung, zeigt die Autorin in Form von vier Thesen Besonderheiten des Lehr-Lern-Settings im Weiterbildungskontext an Hochschulen auf und gibt Hinweise und Anregungen zur Gestaltung von Weiterbildungsveranstaltungen.

Abgerundet wird unser Band durch den Beitrag «Investition in die Qualität der Lehre» von Heike Kröpke, Melanie Szabo und Silke Bock. Die Autorinnen illustrieren am Beispiel zweier deutscher Fachhochschulen, wie studentische Tutorinnen und Tutoren die Hochschullehre unterstützen können. Sie zeigen neben den Chancen eines Tutoreneinsatzes auch einige Risiken auf und geben darüber hinaus konkrete Hinweise, wie Tutorinnen und Tutoren für ihre Aufgaben geschult, gewinnbringend eingesetzt und bei ihrer Tätigkeit angemessen begleitet werden können. Ein breiterer Einsatz studentischer Tutorinnen und Tutoren an Fachhochschulen und Pädagogischen Hochschulen in der Schweiz wäre aus unserer Sicht im Sinne einer verstärkten Lernendenorientierung, aber auch als Beitrag zu einer effizienten und vielseitigen Lehre zu begrüssen.

Dank

An diesem Band haben viele Personen mitgearbeitet. Wir möchten allen Autorinnen und Autoren des Bandes herzlich danken; sie haben dazu beigetragen, die Situation der Studierenden an Fachhochschulen und Pädagogischen Hochschulen näher zu beleuchten. Insbesondere danken wir auch den Dozierenden, die je einen der Beiträge unseres Bandes gelesen und kommentiert haben, sowie den Studierenden, die sich für ein Porträt zur Verfügung stellten. Sie haben viel dazu beigetragen, diesen Band an den Alltag der beiden zentralen Gruppen von Beteiligten am Hochschulbetrieb – Studierende und Dozierende – anzuschliessen. Wir danken zudem Geri Thomann für seine Unterstützung in einigen inhaltlichen Fragen und für die Möglichkeit, das Thema der Lernendenorientierung theoretisch wie praktisch zu erkunden.

Literatur

Barr, R. B. & Tagg, J. (1995). From Teaching to Learning – A New Paradigm for Undergraduate Education. Change, 27 (6), pp. 13–25. Online: http://ilte.ius.edu/pdf/BarrTagg.pdf (1.7.2012).

Reinmann, G. (2005). Blended Learning in der Lehrerbildung: Grundlagen für die Konzeption innovativer Lernumgebungen. Lengerich: Pabst.

Von Matt, H.-K. (2010). Bologna-Report Fachhochschulen 2010. Stand der Umsetzung der Bologna-Reform an den Fachhochschulen. Luzern: hvm-consulting. Online: www.kfh.ch/uploads/dobo/doku/101217__Bologna__Report_D.pdf?CFID=24454805&CFTOKEN=15437665 (1.7.2012).

Wagner, E. (2011). Editorial: Wer sind «die Studierenden» in der «Bologna-Ära»? Zeitschrift für Hochschulentwicklung 6 (2), S. I–V. Online: www.zfhe.at/index.php/zfhe/article/view/365/370 (1.7.2012).

Weber, K., Balthasar, A., Tremel, P. & Fässler, S. (2010). Gleichwertig, aber andersartig? Zur Entwicklung der Fachhochschulen in der Schweiz. Basel/Bern: Gebert-Rüf-Stiftung, Zentrum für universitäre Weiterbildung.

Welbers, U. & Gaus, O. (Hrsg.) (2005). The Shift from Teaching to Learning. Konstruktionsbedingungen eines Ideals. Festschrift zum 60. Geburtstag von Johannes Wildt. Bielefeld: Bertelsmann.

Urs Kiener

Wer sind die Studierenden an Fachhochschulen? Hinweise auf eine zunehmende Vielfalt

Einführung von Vera Luginbühl

Die Frage nach der Bildungsherkunft und -laufbahn der eigenen Studierenden ist für alle Dozierenden zentral. Die Vorkenntnisse, die Lernkultur, das Interesse und die Motivation der Studierenden ergeben praktische Konsequenzen für den eigenen Unterricht. Urs Kiener fasst im nachfolgenden Artikel in kompakter Art und Weise die wichtigsten statistischen Kennzahlen und Fakten in Bezug auf die Fachhochschulstudierenden zusammen und gibt spannende Einblicke und Interpretationen, was die Zahlen bedeuten könnten.

Im naturwissenschaftlich geprägten Studiengang Biotechnologie, in dem ich selbst unterrichte, zeigt sich eine ähnliche Tendenz, wie von Urs Kiener beschrieben: So nimmt die Zahl der Studierenden mit einer klassischen Laborausbildung eher ab, dafür haben wir mehr Studierende aus technischen Berufen, aus Gesundheitsberufen oder mit gymnasialer Matur. Was aber sagen die Durchschnittswerte über die eigenen Studierenden aus? Wie kann ich dieser zunehmenden Vielfalt im Unterricht begegnen und gerecht werden? Neue Lehr- und Lernformen sind gefragt, die in verschiedenen Lernarrangements multidisziplinäres und individuelles Lernen ermöglichen. Erstaunt haben mich die Daten zu den hohen Erwerbstätigkeitsquoten. Studium und gleichzeitige Erwerbstätigkeit können eine wertvolle Bereicherung sein. Übersteigt aber das zeitliche und emotionale Engagement für berufliche Tätigkeiten gewisse Grenzen, können sich die Studierenden nicht mehr auf ihr Studium fokussieren, und das Leistungspotenzial wird nicht ausgeschöpft. Wenn immer möglich, versuchen wir deshalb, Studierende für anfallende Arbeiten in unsere institutionellen Arbeitsbereiche einzubinden. Nicht nur die Arbeitswelt ist vernetzter und komplexer geworden, sondern auch die Bildungswelt. Als Lehrpersonen müssen wir uns diesen Herausforderungen stellen, aber auch die Chancen nutzen, die sich ergeben.

Vera Luginbühl, Prof. Dr. sc. nat., dipl. pharm. ETH, arbeitet an der ZHAW als Dozentin und Forschungsleiterin im Institut für Biotechnologie in Wädenswil. Arbeitsschwerpunkte: Formulierung von innovativen Arzneiformen, Mikroverkapselung und nanopartikuläre Drug-Delivery-Systeme, wirkstoffbeladene Implantate zur Knochenregeneration, zellbasierte fotodynamische Therapie bei Hirntumoren.

Einleitung

«Der Eintritt in die Fachhochschule führt über die Berufsmatur.» Das ist verbreiteter common sense (und war politisches Programm) – entspricht es auch der Wirklichkeit? Und: Spielt es eine Rolle, ob die Aussage zutrifft oder nicht? Spielt es eine Rolle, ob es Personen wie Dragana sind, die mit fünf Jahren in die Schweiz immigriert ist und unmittelbar nach Berufslehre und Berufsmatur den Studiengang X belegt, um eine ins Auge gefasste berufliche Position zu erreichen? Oder ob es Personen wie Florian sind, der nach einer gymnasialen Matur, einem Jahr Zwischenlösungen, einem Semester an einer Universität und dann nach einer obligatorischen einjährigen beruflichen Praxis in den Studiengang X eintritt?

Traditionell ging das Bildungssystem davon aus, dass die gemeinsamen (oder als «äquivalent» eingeschätzten) Erfahrungen im Bildungssystem für die Bildungslaufbahn relevanter sind als alle Unterschiede zwischen den Lernenden/Studierenden. Dabei war es hilfreich, sich auf stille bzw. implizite Annahmen über Lernende und Studierende zu verlassen (und verlassen zu können). In den letzten Jahrzehnten aber haben zwei Entwicklungen diese Sichtweise zunehmend infrage gestellt:

1. Eine wachsende Diversität der Studierenden: Die Expansion des Bildungssystems und die gestiegene Durchlässigkeit, die Modularisierung und damit die Lockerung fixer zeitlicher Abfolgen von Bildungsbausteinen haben dazu geführt, dass die Individuen immer weniger vorgegebene Programme durchlaufen können und wollen, sondern sich individuelle Laufbahnen und Biografien schaffen müssen und dürfen.

2. Eine Sichtweise auf das Lernen, welche informellen Prozessen eine grosse Bedeutung zumisst: Gemäss dieser Sichtweise ist es für die Steuerung des Lernens wichtig, in den Studierenden mehr zu sehen als bloss aktuell studierende Personen, weil nämlich ihre Lebensgeschichte sowie parallele Tätigkeiten und Rollen ihr Lernen beeinflussen.

Dieser Beitrag thematisiert weder die Diskussion um das informelle Lernen noch die Entwicklung der Studierendendiversität. Er versucht stattdessen, einige ausgewählte Antworten auf die Frage zu geben, wer bzw. wie die Studierenden an Fachhochschulen heute sind.1 Und er versucht am Schluss, einige Aspekte der zukünftigen Entwicklung zu skizzieren und zu diskutieren.

 

Die Fachbereiche

Bevor man über die Studierenden der Fachhochschulen spricht, muss man die Heterogenität der Fachhochschulen beachten. Die angebotenen Fachbereiche unterscheiden sich in zentralen Punkten.

Die Gruppe der sogenannten «alten» Fachbereiche Technik, Wirtschaft, Design (TWD) ist stark mit der dualen Berufsbildung verbunden: Diese Fachbereiche bauen traditionellerweise auf Berufslehren auf und werden durch die Instanzen der Berufsbildung (BBT) gesteuert. Die sogenannten «neuen» Fachbereiche Gesundheit, Soziales, Kunst (GSK) hingegen gehören zu einem traditionell alternativ strukturierten berufsvorbereitenden Bildungsbereich: einem Bereich von allgemeinbildenden Schulen der Sekundarstufe II (Diplom- bzw. Fachmittelschulen, Gymnasien) und höheren Fachschulen, der von den Instanzen der Allgemeinbildung (Kantone, EDK) gesteuert wurde. In diesen Bereichen gibt es keine Tradition der Berufslehren – diese wurden erst in den 1990er-Jahren eingeführt. Ein weiterer Unterschied betrifft die Beziehung zwischen Ausbildung und Person der Studierenden. In den TWD-Bereichen genügt meist der formelle Zulassungsausweis, um in Studiengänge aufgenommen zu werden, in den GSK-Bereichen spielen zusätzlich Eignungs- und Motivationsaspekte, die oft in elaborierten Aufnahmeverfahren überprüft werden, eine grosse Rolle. Hier genügt der formelle Zulassungsausweis nicht. Die Fachhochschulstudiengänge, die professionsspezifische Aspekte aufweisen, enthalten alle auch inhaltliche Elemente (Reflexionsphasen, Supervision usw.), welche die Beziehung zwischen Person der Studierenden und späterer Tätigkeit thematisieren. Sehr oft besteht hier zudem ein klar beschränktes Studienplatzangebot.

Die Lehrkräfteausbildung (Pädagogische Hochschulen PH) – in einigen Klassifikationen den Fachhochschulen zugeschlagen, in anderen als selbstständiger Hochschultyp geführt – bilden einen dritten Bereich, der kaum etwas mit der Berufsbildung zu tun hat.

Die folgende Abbildung zeigt die Grössenverhältnisse der Fachbereiche und die jeweiligen Anteile von weiblichen und ausländischen Studierenden (im Anhang auf S. 28 findet sich die Tabelle mit den Werten zur Grafik).


Abbildung 1 Studierende im Diplom-, Bachelor- und Masterstudium an Fachhochschulen und Pädagogischen Hochschulen nach Fachbereich (Anzahl absolut), Frauen- und Ausländer/innen-Anteil, 2010/11. Quelle: BFS 2011b, S.16

Deutlich ist die unterschiedliche geschlechterspezifische Prägung der Fachbereiche: Der TWD-Bereich wird überwiegend von Männern belegt, der GSK-Bereich und die Lehrkräfteausbildung überwiegend von Frauen.

Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit sind stark im Fachbereich Musik, Theater und andere Künste vertreten.

Das Durchschnittsalter beim Eintritt in die Bachelorstufe liegt bei 23,2 Jahren. Mit Ausnahme zweier Fachbereiche streut das Durchschnittsalter nach Fachbereich wenig (22,1 Jahre in der Lehrkräfteausbildung bis 23,8 Jahre im Fachbereich Sport), in den beiden Ausnahmen jedoch beträgt es 30,9 (Angewandte Psychologie) respektive 25,3 Jahre (Soziale Arbeit) (BFS 2010a, S. 16 f.).

Exkurs: Zu den Studierenden auf Weiterbildungsstufe

In den Bildungsstatistiken über die Studierenden an den FH/PH (BFS 2011b) meint «Weiterbildungsstufe» Master of Advanced Studies MAS und Executive Master of Business Administration EMBA, also Studiengänge mit mindestens 60 ECTS-Punkten. Studierende aller anderen Weiterbildungsformen sind nicht erfasst. 98 % der Studierenden in MAS- und EMBA-Studiengängen besuchen einen berufsbegleitenden Studiengang. Der Frauenanteil beträgt 34 % und ist damit wesentlich geringer als auf der Bachelorstufe (52 %). 16 % sind ausländische Staatsangehörige.

Es ist problematisch, die Weiterbildungs- mit den Bachelor- und Masterstudierenden zu vergleichen, weil die MAS- und EMBA-Angebote nicht gleichmässig auf die Fachbereiche verteilt sind. Wegen der grossen Heterogenität der Lebenssituation dieser Studierenden werden sie in der Sozialerhebung (BFS 2010a) nicht berücksichtigt.

Vor dem Studium

Bildungslaufbahnen vor Studienbeginn

Abbildung 2 auf Seite 19 zeigt die sehr unterschiedliche Bedeutung der Zulassungsausweise je Fachbereichsgruppe.

Den jeweils grössten Anteil haben im TWD-Bereich die Berufsmatur mit 58 %, im GSK-Bereich und in den PH die gymnasiale Matur mit 30 % respektive 62 %. Die Fachmatur spielt für den GSK- und den PH-Bereich mit je ca. 10 % eine gewisse Rolle. Die ausländischen Ausweise (vgl. dazu unten mehr) liegen für alle drei Fachbereichsgruppen in einer ähnlichen Grössenordnung (9 bis 13 %). Interessant sind die Anteile der sogenannten «anderen schweizerischen Ausweise», zu denen Diplome wie eidgenössische Berufsprüfungen und höhere Fachprüfungen und Diplome höherer Fachschulen u. a. gehören, aber auch die Zulassung durch die FH auf der Basis eines Dossiers und die vollständige Aufnahmeprüfung durch die FH. Diese Restkategorie der «anderen schweizerischen Ausweise» beträgt je nach Fachbereich immerhin 11 % bis 25 %.


Abbildung 2 Eintritte in die Fachhochschulen nach Typ der Fachhochschule und Zulassungsausweis, 2010/11. Quelle: BFS 2011a, S. 33

Man kann diese Daten aus unterschiedlicher Perspektive unterschiedlich interpretieren: zum Beispiel als Beleg dafür, dass die Berufsmatur tatsächlich den Normalzugang zu den quantitativ bedeutsamsten Fachbereichen bildet, oder umgekehrt als Beleg dafür, dass sogar im TWD-Bereich nur drei von fünf Studierenden eine Berufsmatur mitbringen.

Bei diesen gesamtschweizerischen Daten ist übrigens die unterschiedliche Verteilung der Lernenden auf der Sekundarstufe II nach Sprachregion zu berücksichtigen. Im Tessin und in der Westschweiz ist der Anteil der gymnasialen Matur an einem Altersjahrgang seit Langem wesentlich höher als in der Deutschschweiz.

Von bildungspolitischem Interesse ist vor allem das Verhältnis von Berufsmatur zu gymnasialer Matur. Offensichtlich handelt es sich dabei um weit mehr als um den Unterschied zweier Maturtypen. Die Berufsmatur als Studierbefähigung erwirbt man parallel zum Erwerb der Berufsbefähigung in einer Berufslehre. Mit anderen Worten: Seit dem Alter von 16 Jahren bewegt man sich in einem eingegrenzten Tätigkeitsgebiet (Beruf/Berufsfeld) und übt die entsprechende Denkweise ein, seit diesem Alter arbeitet man unter Erwachsenen in einem Betrieb in einer ganz anderen Rolle als der Rolle «Schülerin/ Schüler» – und besucht daneben die allgemeinbildende Berufsmittelschule. Allerdings: Dieses Modell des gleichzeitigen Erwerbs von Berufs- und Studierfähigkeit ist durchaus nicht das einzige. Beinahe die Hälfte der Berufsmaturitäten (43 % im Jahr 2009; BFS 2010c, S. 35) wird als «Berufsmatur 2» erworben, d. h. nach der Lehrabschlussprüfung, meist in einem Vollzeitjahr für die entsprechende Allgemeinbildung.

Der Erwerb der gymnasialen Matur hingegen ist ausschliesslich mit der Rolle «Schülerin/Schüler» verbunden und geht mit dem Anspruch einher, bis zum Alter von 19 Jahren eine breite Allgemeinbildung vermittelt zu bekommen. An der ZHAW war ca. ein Drittel der Studienbeginnenden des Jahres 2008 mit einer gymnasialen Matur vor ihrem FH-Eintritt an einer universitären Hochschule eingeschrieben. Wieweit Umorientierung und Misserfolg dabei eine Rolle spielten, ist nicht bekannt (Kiener 2010, S.13 f.).

Herkunft der Studierenden

In- und Ausland

17 % aller FH/PH-Studierenden (alle Stufen) sind ausländische Staatsangehörige (Bachelorstufe: 15 %, Masterstufe 31 %; BFS 2011b, S. 7).

Diese 17 % teilen sich auf in 6 % sogenannte «Bildungsinländer» und 11 % sogenannte «Bildungsausländer». Mit «Bildungsinländern» werden Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit, aber schweizerischem Bildungsabschluss bezeichnet. «Bildungsausländer» hingegen sind Personen ausländischer Staatsangehörigkeit, die mit einem ausländischen Berechtigungsausweis in die FH/PH eintreten.

Die Unterscheidung «Inland vs. Ausland» kann nicht nur an der Staatsangehörigkeit und am Bildungsabschluss festgemacht werden, sondern zusätzlich auch noch am Wohnort vor Studienbeginn: 12 % der Studierenden (Diplom-, Bachelor- und Masterstudium) hatten vor Studienbeginn ihren Wohnsitz im Ausland (BFS 2011b, S. 19).

Die berühmte (und unpräzise) Frage nach dem «Migrationshintergrund» der Studierenden lässt sich mit diesen Variablen nicht beantworten. Denn Einbürgerungen machen Bildungsinländer zu Schweizern – und nicht alle Bildungsinländer wollen in der Schweiz Wohnsitz nehmen. Auch die folgenden Daten klären die Frage nicht, geben aber einige zusätzliche Hinweise (Kiener 2010, S. 6 f.): An der ZHAW geben 13 % der Neustudierenden an, Doppelbürgerinnen oder -bürger zu sein, also sowohl schweizerischer als auch anderer Nationalität. Und 86 % bezeichnen als ihre Muttersprache Schweizerdeutsch, 4 % Hochdeutsch oder deutsche Dialekte, 10 % eine andere Sprache.

Soziale Herkunft

In der Sozialerhebung des Bundesamtes für Statistik wird die soziale Herkunft in erster Linie durch den höchsten Bildungsabschluss der Eltern bestimmt (BFS 2010a, S. 22 ff.). 30 % der FH/PH-Studierenden (Bachelor-, Master- oder Diplomstudium) haben mindestens einen Elternteil mit einem (Fach-)Hochschulabschluss (Vollzeitstudierende: 32 %, Teilzeitstudierende: 22 %), während dieser Anteil bei den Studierenden der universitären Hochschulen 46 % beträgt. Man kann somit deutliche Unterschiede der Hochschultypen nach der sozialen Herkunft ihrer Studierenden feststellen. Interessant sind auch die Unterschiede der sozialen Herkunft nach der Bildungsherkunft der Studierenden: Mindestens einen Elternteil mit einem (Fach-)Hochschulabschluss haben 28 % der Schweizer/innen, 30 % der Bildungsinländer, 45 % der Bildungsausländer.


Abbildung 3 Höchster Bildungsabschluss der Eltern: Hochschule, Fachhochschule. Quelle: BFS 2010a, S. 22

Auch bei den Fachbereichen der FH/PH sind teilweise starke Unterschiede in der Zusammensetzung ihrer Studierenden festzustellen: Im Fachbereich Musik, Theater und andere Künste haben 50 % der Studierenden einen Elternteil mit Hochschulabschluss (hier studieren auch überdurchschnittlich viele Ausländer, vgl. Tabelle 1), im Fachbereich Design sind es 45 %, während die Anteile sich in den anderen Fachbereichen zwischen 29 % und 23 % bewegen (BFS 2010a, S. 25).