Eucharistie und Exerzitienweg

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Aus der Reihe: Ignatianische Impulse #69
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Eucharistie und Exerzitienweg
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Franziskus Eisenbach

Eucharistie und Exerzitienweg

Das Leben feiern und gestalten

Ignatianische Impulse

Herausgegeben von Stefan Kiechle SJ, Willi Lambert SJ und Martin Müller SJ

Band 69

Ignatianische Impulse gründen in der Spiritualität des Ignatius von Loyola. Diese wird heute von vielen Menschen neu entdeckt.

Ignatianische Impulse greifen aktuelle und existentielle Fragen wie auch umstrittene Themen auf. Weltoffen und konkret, lebensnah und nach vorne gerichtet, gut lesbar und persönlich anregend sprechen sie suchende Menschen an und helfen ihnen, das alltägliche Leben spirituell zu deuten und zu gestalten.

Ignatianische Impulse werden begleitet durch den Jesuitenorden, der von Ignatius gegründet wurde. Ihre Themen orientieren sich an dem, was Jesuiten heute als ihre Leitlinien gewählt haben: Christlicher Glaube – soziale Gerechtigkeit – interreligiöser Dialog – moderne Kultur.

Franziskus Eisenbach

Eucharistie
und Exerzitienweg
Das Leben feiern und gestalten


Inhalt

Einführung

A. Vorüberlegungen

1. »Gipfel und Quelle«

2. Bewegende Sehnsucht

3. Das Herz der Welt

4. Bedeutung der Liturgie und speziell der Eucharistiefeier

5. Eucharistisch leben

B. Die Eucharistiefeier als geistlicher Übungsweg

I. Bereitung der »Bühne« – Prinzip und Fundament

1. Vorbereitungen

2. Eröffnung der Eucharistiefeier

3. Beginn der Exerzitien

II. Die Bereitung der Mitwirkenden – Erste Exerzitienwoche

1. Bußritus und Lobpreis in der Eucharistiefeier

2. Der Reinigungsweg der geistlichen Übungen

III. Nachfolge Christi als Weg der Erleuchtung – Zweite Exerzitienwoche

1. Die Liturgie des Wortes in der Eucharistiefeier

2. Ruf und Antwort im geistlichen Übungsweg: Der Ruf des Königs

IV. Erwählung und Wahl – Zweite Exerzitienwoche

1. Bereitung der Gaben zur Eucharistie

2. Die »Wahl« im geistlichen Übungsweg

V. Eins werden mit dem leidenden Christus – Dritte Exerzitienwoche

1. Das eucharistische Hochgebet

2. Gemeinschaft mit dem leidenden Christus im geistlichen Übungsweg

VI. Österliche Begegnung und Sendung – Vierte Exerzitienwoche

1. Eucharistische Kommunion

2. Eins werden mit dem auferstandenen Christus im geistlichen Übungsweg

C. Eucharistisch leben

1. Die Messe ist zu Ende – die Sendung beginnt

2. Die Exerzitien sind zu Ende – das Leben aus der Kraft dieser Übungen beginnt

3. Die Feier der Eucharistie als geistlicher Übungsweg

Einführung

In einer Zeit vielfältiger Bemühungen um die rechte Weise, den christlichen Glauben in der Welt von heute zu leben und zu bezeugen, kommt mir häufig das Wort von Eugen Roth in den Sinn: »Ein Mensch nimmt, guten Glaubens, an, er hab’ das Äußerste getan. Doch leider Gott’s versäumt er nun, auch noch das Innerste zu tun.« Die Konzentration auf »das Innerste«, die Mitte des christlichen Glaubens und Lebens, ermöglicht es, Orientierung zu finden und Prioritäten zu setzen, Wichtiges wichtig zu nehmen und weniger Wichtiges zurückzustellen.

Dieses »Innerste« finde ich in der Feier der Eucharistie, dem zentralen »Geheimnis des Glaubens«. Bei der Bemühung um Orientierung und Konzentration helfen mir »Geistliche Übungen«, Zeiten des Gebetes und der Besinnung auf das Wort Gottes in der Heiligen Schrift und auf die Führung des Geistes in meinem Leben. Dabei sind mir die Exerzitien des heiligen Ignatius von Loyola als eine typische Form solcher geistlichen Übungen besonders hilfreich geworden.

Ich möchte deshalb versuchen, die Feier der Eucharistie im Licht der geistlichen Übungen in den Blick zu nehmen, um sie tiefer zu verstehen. Und ich möchte den Weg der geistlichen Übungen aus der Erfahrung der Eucharistiefeier erhellen und deuten.

Für manche mag die Zusammenschau und Komposition von Eucharistie und Exerzitienweg überraschend sein. Daher sei einleitend und kurz auf das Zusammenspiel von dem im Ritus der Messe gefeierten und auf dem Exerzitienweg geistlich durchlebten Prozess hingewiesen. Zu Leben und Frömmigkeit von Ignatius gehörte zunächst ganz natürlich und der Tradition entsprechend die Feier der Messe an den Sonntagen. Es gibt kein Zeugnis dafür, dass sie in früher Zeit eine sehr große Rolle für ihn gespielt hat. Wohl aber nach seiner Umkehr. Er berichtet davon, dass er in einer Kirche »täglich das Hochamt, die Vesper und die Komplet, die dort jeweils gesungen wurden, hörte. Und er verspürte dabei großen Trost. Gewöhnlich las er bei der Messe die Leidensgeschichte. Und seine innere Ausgeglichenheit dauerte an« (Bericht des Pilgers Nr. 20). In späteren Aufzeichnungen in seinem Tagebuch berichtet er immer wieder von großen inneren Berührungen bei der Messe und wenn ihm nicht mehrmals Tränen kamen, war es für ihn eine »trockene Messe«. So gesehen ist es nicht verwunderlich, dass Ignatius, wenn er die Abendmahlszene betrachten lässt, schreibt: »Er setzte das heiligste Opfer der Eucharistie ein als größtes Zeichen seiner Liebe, indem er sagte: ‚Nehmt und esst!« (Exerzitienbuch Nr. 289). Er hat auch durch seine Mitbrüder zum oftmaligen Besuch der Messe und – was nicht üblich war – zur häufigen Kommunion und zur vorbereitenden Beichte eingeladen. Nicht verwunderlich, dass Ignatius auf nicht wenigen Bildern auch im Messgewand dargestellt wird.

Wie sehr er in die Messe sein Leben einbrachte, zeigt die Tatsache, dass er immer wieder schriftliche Unterlagen, die Überlegungen bezüglich einer zu treffenden Entscheidung enthielten, auf den Altartisch legte. Dadurch sollte sich ihm zeigen, ob sie dem gefeierten Geschehen standhielten oder sich unter dessen Einfluss gleichsam wandelten und in ein neues Licht gerückt wurden. Eine seiner größten Gnaden, so schreibt Ignatius, habe er mit 53 Jahren (!) während eines etwa dreiwöchigen intensiven Prozesses erfahren. Bei Messfeiern begann sich ihm schrittweise sein ureigenster geistlicher Weg immer deutlicher zu zeigen, der Weg der »ehrfürchtigen Liebe« (amor reverencial): »Endlich habe ich den Weg gefunden, der sich mir zeigen wollte. Und es schien mir, dass es nicht von mir, sondern vom Herrn sei.« Diesen Weg der ehrfürchtigen Liebe ist er dann von der Eucharistiefeier her abgeschritten über »alle Dinge«, d.h. den Kosmos, die ganze Schöpfung, die Menschen. – Kann die Feier der Eucharistie und der Exerzitienweg mehr schenken, als zur »Messe des Lebens« hinzuführen?

A. Vorüberlegungen
1. »Gipfel und Quelle«

Wer nach der Mitte des christlichen Glaubens fragt und nach dem zentralen Vollzug dieses Glaubens, wird auf die Liturgie und speziell auf die Feier der Eucharistie hingewiesen. Das II. Vatikanische Konzil hat sie als Gipfel und Quelle des gesamten christlichen Lebens bezeichnet (vgl. Liturgiekonstitution Nr. 10), das, worauf alles Übrige abzielt und woraus alles Andere lebt. Diesen Stellenwert hat die Liturgie nicht aus sich selbst, schon gar nicht aus unserem Bemühen um eine stilvolle und angemessene Feier der Liturgie, sondern sie hat ihn, weil darin Jesus Christus selbst zugegen ist und handelt. »Infolgedessen ist jede liturgische Feier als Werk Christi, des Priesters, und seines Leibes, der die Kirche ist, in vorzüglichem Sinn heilige Handlung, deren Wirksamkeit kein anderes Tun der Kirche an Rang und Maß erreicht« (Liturgiekonstitution Nr. 7). Wenn das so ist, muss alles übrige Wirken und Leben der Kirche einen Bezug zu dieser Mitte haben und von ihr her Deutung und Gestalt finden. Dabei hat die Eucharistie nicht nur als zentrales Glaubensgeheimnis diese deutende Kraft, sondern auch ihr gemeinsam gefeierter Vollzug erklärt und verdeutlicht alles übrige kirchliche Leben. Die Eucharistiefeier ist die dynamische und dramatische Vergegenwärtigung des Heilshandelns Jesu Christi durch die Kirche und in ihrer Mitte.

 

Der Glaubensweg des einzelnen Christen besteht darin, dass er sich einbeziehen lässt und hineinwächst in dieses zentrale Geschehen, in welchem sich Erlösung vollzieht. In den Feiern der Sakramente, die diesen Weg ermöglichen, begleiten und deuten, kommt der glaubende Mensch mit Jesus Christus in Berührung und empfängt inmitten der Glaubensgemeinschaft der Kirche in sinnenfälligen Zeichen Orientierung, Heilung und Leben.

Was in den liturgischen Feiern geschieht, muss freilich persönlich angenommen und angeeignet werden, damit es seine Fruchtbarkeit entfaltet. Die Umwandlung des Denkens, Sinnens und Trachtens in die Gestalt des Herrn, mit dem wir eines Sinnes werden sollen (vgl. Phil 2,5), geschieht durch Übung, durch geistliche Übungswege. Sie dienen dazu, das »Leben zu ordnen« (vgl. Ignatius von Loyola, Geistliche Übungen, [Exerzitienbuch = EB, hier zitiert nach der von Peter Knauer übersetzten Ausgabe, Leipzig 1978], Nr. 21) und die Gleichgestaltung mit Jesus Christus, dem Urbild des Menschen, geschehen zu lassen.

Solche Übungswege menschlichen Reifens folgen einer im Lauf der Glaubensgeschichte herausgebildeten Dynamik, die sich in vielen Religionen wiederfinden lässt. Im christlichen Raum sind sie gekennzeichnet durch die Stichworte: Reinigung – Erleuchtung – Einung. Die großen Lehrerinnen und Lehrer geistlichen Lebens haben daraus Anleitungen geformt, die dem einzelnen Christen Hilfe und Orientierung auf diesem Weg anbieten.

Infolge der zentralen Bedeutung der Eucharistiefeier als dynamisches Geschehen der Vereinigung des Christen mit Jesus Christus liegt die Vermutung nahe, dass die Struktur geistlicher Übungswege mit dem Vollzug der Eucharistiefeier korrespondiert. Solche Korrespondenz ist mir zum Beispiel bei dem Kleinen Glaubenskurs, dem Cursillo, aufgefallen, bei dem »Leben-im-Geist-Seminar« der charismatischen Erneuerung und vor allem bei den Exerzitien des hl. Ignatius von Loyola. Deshalb möchte ich versuchen, den Ablauf der Eucharistiefeier als geistlichen Übungsweg im Sinne der ignatianischen Exerzitien nachzuzeichnen und umgekehrt diese Exerzitien als Entfaltung der Eucharistiefeier zu verstehen.

Ich verbinde damit die Hoffnung, dass die persönliche Christusbegegnung in den geistlichen Übungen hilft, in der Eucharistiefeier Jesus Christus tiefer zu erkennen, und dass die Mitfeier der Eucharistie hilft, die persönlichen Erfahrungen in den geistlichen Übungen besser zu verstehen.

2. Bewegende Sehnsucht

Die Urkraft, die den Menschen in Bewegung bringt, ist die Sehnsucht. Wir ahnen und spüren, dass es mehr gibt als das, was auf der Hand liegt, was zählbar und messbar ist. Wir suchen nach Sinn und Deutung für unser Leben, nach Antwort auf die Fragen nach dem Woher und Wohin über die Grenzen unserer bewussten Erfahrung hinaus. In den Symbolen vieler Märchen und Legenden kommt diese Sehnsucht nach dem »springenden Punkt«, der »Weltformel«, dem »archimedischen Punkt« zur Sprache: Gesucht wird das innerste Prinzip, das alles erklärt, bewegt und erfüllt. Da ist die »blaue Blume« der Romantik als Sinnbild erfüllter Sehnsucht, der »Heilige Gral«, der Erlösung und Heilung gewährt, der »Name«, dessen Kenntnis Macht über den Genannten verleiht wie im Märchen vom Rumpelstilzchen. Es gibt das »Schlaraffenland« und den »Goldesel« und manche andere Symbole, die unsere Träume vom sorglosen, heilen und erfüllten Leben ausdrücken.

Ob sich wohl auch daher die Faszination erklärt, die von den phantastischen Geschichten von Harry Potter ausgeht? Offenbar ist es der Autorin, Joanne K. Rowling, gelungen, Urbilder von Angst und Hoffnung, von Sehnsucht nach heilem Leben in ihren Romanen zum Sprechen zu bringen. Das »Lebenselixier«, der »Stein der Weisen«, dessen Berührung alles zu Gold macht, die Tarnkappe und die Macht der Zauberworte und schließlich der scheinbar aussichtslose Kampf gegen das Böse und der abschließende Sieg des Guten gehören dahin.

Nach christlicher Überzeugung sind solche Bilder der Sehnsucht nicht unerfüllbare Wunschträume, die über die unerbittliche Härte der Realität von Schuld und Scheitern, von Not und Tod hinwegtäuschen, sondern sie sind gewissermaßen Reflexe der noch verborgenen Wirklichkeit, Andeutungen dessen, »was kein Auge gesehen, kein Ohr gehört, was Gott denen bereitet, die ihn lieben« (vgl. 1 Kor 2,9).

3. Das Herz der Welt

Sucht man nun in der christlichen Glaubenswelt nach der alles erklärenden »Weltformel«, so findet man sie in der Eucharistie. Sie ist das wahre »Lebenselixier«, dessen Genuss ewiges Leben gewährt: Das wahre »Brot des Lebens«, der »Kelch des Heiles« stillt allen Hunger und erfüllt alle Sehnsucht. Sie ist die schöpferische Kraft, durch deren Berührung alles verwandelt wird, nicht in Gold, sondern in bleibendes Leben. Sie ist die endgültige Offenbarung des Namens und Wesens Gottes, der sich zunächst als der »Ich bin da«, dann als der Immanuel, »Gott mit uns«, und schließlich als der »Ich für Euch«, der in Leib und Blut Christi für uns verschenkte Gott geoffenbart hat. In diesem Namen, vor dem jedes Knie sich beugt (vgl. Phil 2,10), erfährt der glaubende Mensch die alles verwandelnde Macht, im Glauben die Möglichkeit, das eigene Leben und die ganze Welt sinnvoll deuten zu können. Damit erweist sich das zentrale Wort des Glaubens, »Das ist mein Leib«, lateinisch »hoc est corpus meum«, eben nicht als unbegreiflicher »Hokuspokus«, sondern als das wahre Zauberwort der Liebe, das die Welt von innen her verwandelt und heilt.

Dieses Wort ist nicht in der unvorstellbaren Höhe des Himmels, nicht in unerreichbarer Ferne jenseits des Meeres, sondern ganz nah, in deinem Herzen und in deinem Mund (vgl. Röm 10,8): Christus in und unter uns – die Hoffnung auf Herrlichkeit (vgl. Kol 1,27). Wie das Herz als Lebensmitte des menschlichen Organismus im Inneren des Menschen verborgen bleibt, so ist auch dieses Mysterium des Glaubens, Christus in uns, verborgen gegenwärtig. Aber es sucht sich seinen Ausdruck in Wort und Zeichen, im Sakrament, um so erkennbar und offenbar zu werden für alle, die mit den »Augen des Herzens« (vgl. Eph 1,18) sehen und mit den Ohren des Glaubens hören.

4. Bedeutung der Liturgie und speziell der Eucharistiefeier

In seinem ersten Dokument, der »Konstitution über die Heilige Liturgie« (1964), hat das II. Vatikanische Konzil die zentrale Bedeutung der Liturgie und speziell der Eucharistiefeier herausgestellt. Die Liturgiekonstitution ist die Frucht einer theologischen Rückbesinnung auf eine Sakramentenlehre, die sich aus der biblischen Botschaft und dem Denken der Kirchenväter speist. Sie hat nicht so sehr die formale Außenseite des Gottesdienstes mit ihren Gesetzen und Normen im Blick, sondern vielmehr die Liturgie als eine Feier, in welcher das Ereignis unserer Erlösung durch Jesus Christus zur gegenwärtigen Wirklichkeit wird und der heilssuchende Mensch mit dem Erlöser in Berührung kommt. Wichtige Vorarbeiten zu einer solchen Sicht hat der Benediktinertheologe Odo Casel geleistet, dessen »Mysterienlehre« im Konzilsdokument ihre Spuren hinterlassen hat. Einen Meilenstein in der Zusammenführung theologischer Arbeit und kirchenamtlicher Lehre hat Papst Pius XII. in seiner Enzyklika »Mediator Dei« (1947) gesetzt. Die »liturgische Bewegung« in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat dazu beigetragen, dass die Konzilsväter einen verbindlichen Text beschließen konnten, dessen Sichtweise auch für die folgenden Konzilsdokumente wirksam wurde.

Mit diesen Andeutungen will ich es hier genug sein lassen und lediglich auf einige Grundsätze hinweisen, die für den Mitvollzug der Eucharistiefeier und für die geistlichen Übungswege zur Nachfolge Christi gleichermaßen bedeutend sind.

Priorität des göttlichen Wirkens und Raum für das menschliche Mitwirken – in jedem Heilsgeschehen ist Gott der zuerst und vor allem Wirkende. Er wirkt das Heil des Menschen aber nicht ohne das Mitwirken des Menschen. Gott hat dem Menschen die Freiheit gegeben, auf das göttliche Wirken in seinem Leben einzugehen oder es zurückzuweisen. Das gibt dem Menschen die Würde, das ihm von Gott anvertraute Leben in Verantwortung und Freiheit zu gestalten. Gottes unumkehrbarer Heilswille für jeden Menschen findet die Grenze seiner Wirkmächtigkeit in der gottgegebenen Freiheit des Menschen. So ist Erlösung und Heil die Frucht des Zusammenwirkens zweier Freiheiten: der göttlichen Freiheit, die in ihrer Liebe das Heil jedes Menschen will, und der menschlichen Freiheit, die dieses Geschenk annehmen oder ablehnen kann.

Heil in Begegnung – Der gegenwärtige Gott wirkt an dem ihm zugewandten Menschen. In der gegenseitigen Zuwendung geschieht heilswirksame Begegnung. Gott ist immer gegenwärtig, immer zugewandt. Der Mensch dagegen ist nicht immer gegenwärtig; er kann zwar physisch anwesend sein, aber dennoch persönlich unbeteiligt bleiben. Und er kann sich abwenden und dem gegenwärtigen Gott den Rücken kehren. So verhindert er eine Begegnung zum Heil.

Heilswirksamer Dialog – Die Begegnung zwischen Gott und Mensch geschieht in den menschlichen Formen der Kommunikation. Sie sind ihm von Gott gegeben, und ohne sie oder außerhalb ihrer vermag der Mensch nicht in Beziehung zu treten. Er kann nur sehen, wenn sich ihm etwas zeigt, nur hören, wenn einer zu ihm spricht, nur berührt sein, wenn jemand ihn berührt. Die physischen Sinne des Menschen können gestört oder gar zerstört sein. Dann wird Kommunikation erschwert oder sogar unmöglich. Entsprechend kann auch die innere Wahrnehmungsfähigkeit des Menschen gestört oder gar zerstört sein. Dann sieht er nicht mehr, was doch offensichtlich ist, und hört nicht mehr, was doch offenkundig ist. Der Mensch kann angesprochen sein und die Antwort verweigern. Er kann angeschaut sein und den Blick nicht erwidern. Er kann angerührt sein und sich der Berührung entziehen. Heil kann er nur erfahren, wenn er in Wort und Blick und Geste auf das Gehörte, Geschaute und Erspürte antwortet.

Geistgewirkter Dialog – Wie aber kann ein echter Dialog zwischen dem unendlichen und unbegreiflichen Gott und dem endlichen, begrenzten Menschen gelingen? Können zwei so ungleiche Partner wirklich miteinander kommunizieren? Es braucht, wie bei jeder Kommunikation, ein Medium, wodurch das Wort verständlich, der Blick bedeutsam, die Geste begreiflich wird. Das »Medium« des Dialoges zwischen Gott und Mensch ist der Heilige Geist. Er wirkt, dass Gottes Wort im Menschenwort der Verkündigung als Gotteswort vernehmbar wird (vgl. 1 Thess 2,13). Und er wirkt im Menschen die Hörfähigkeit, so dass er im Menschenwort Gottes Wort vernehmen kann. Der Heilige Geist ist es, der die Wirklichkeit in göttlichem Licht erkennbar macht und der dem Menschen die Augen öffnet, so dass er im Licht das Licht sehen kann (vgl. Ps 36,10). Der Heilige Geist erfüllt menschliche Zeichen und Gesten mit göttlicher Wirklichkeit und Wirksamkeit und schenkt dem Menschen die Wahrnehmungsfähigkeit, in solchen Zeichen und Gesten den darin wirkenden Gott wahrzunehmen.

In diesem Dialog ist freilich Gott grundsätzlich und immer der Erste; von ihm geht die Initiative aus, das Beziehungsangebot »für uns Menschen und zu unserem Heil« (Glaubensbekenntnis). Die heilbringende Kraft kommt uns gewissermaßen »von oben«, unverdient und ungefordert entgegen. Sie ermöglicht und erfordert unsere menschliche Antwort in Dank, Lobpreis und Anbetung, die »kultische« Antwort »von unten«.

 

Begegnung im Raum der Kirche – Gott begegnet dem Menschen wann immer und wo immer er will. Er hat aber in der Menschwerdung seines Sohnes einen auf unerwartbare Weise ausgezeichneten Raum der Begegnung geschaffen. In den menschlichen Worten, Blicken und Gesten Jesu tritt Gott selbst mit den Menschen in Beziehung. Und in der Begegnung mit dem Menschen Jesus begegnet der Mensch dem verborgenen Gott selbst. Dieser hervorgehobene »Ort« der Begegnung, der menschgewordene Gottessohn, ist dies nicht nur für die kurze Zeit seines Erdenlebens, sondern für alle Zeit. Er bleibt mit seiner ganzen Person als Gott und Mensch in seiner Kirche gegenwärtig, die somit als sein Leib ebenfalls immer und überall der ausgezeichnete Ort der Begegnung zwischen Gott und Mensch ist. Im Raum der Kirche als der Gemeinschaft der durch Glauben und Taufe mit Jesus Christus verbundenen Menschen wird vorzugsweise Gottes Wort gesprochen und gehört, Gottes Wirken vollzogen und empfangen. Und wiederum ist es der Heilige Geist, der diesen Raum der Begegnung schafft und mit seinem Leben erfüllt, so dass die Kirche in aller menschlichen Begrenztheit und trotz aller menschlichen Schuld der hervorgehobene Ort heilshafter Begegnung ist.

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