Buch lesen: «Die Vampirschwestern 3 – Das Buch zum Film»

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Das Schwarze Schloss


Es war eine tiefschwarze Nacht – so dunkel und finster wie die Nächte nur in einem Land dieser Welt sein können. Ein Land, von dem seit Anbeginn der Zeit gruselige Geschichten erzählt werden. Wo die Wälder feucht und modrig sind. Die Tage kurz. Und die Nächte lang. Wo das fahle Mondlicht auf blasse Wesen scheint, die sich von Blut ernähren. Von frischem Blut. Menschenblut. Dieses Land heißt Transsilvanien und ist die Heimat der Vampire.

Über Jahrtausende hinweg kannte man hier nur einen Herrscher: Graf Dracula, Seine unverbesserliche Schrecklichkeit. Doch auch ein traditionsbewusstes Volk wie das der Vampire hat sich im Laufe der Jahrhunderte verjüngt. So folgten auf den alten Grafen viele andere Herrscher über Transsilvanien. Furchterregende und mächtige Herrscher. Zuletzt niemand Geringeres als Antanasia, Ihre unerhörte Schönheit. Tief verborgen im Wald stand ihr Schloss, das im Vampirmund nur Das Schwarze Schloss genannt wurde. Antanasia war ebenso mächtig, wie sie schön war, und ebenso stark, wie sie schlau war. Ihre Macht ging weit über die Grenzen Transsilvaniens hinaus bis in die entlegensten Zipfel der Erde. Sie wusste über jede noch so versteckt lebende Vampirfamilie Bescheid und eine davon hatte ihr ganz besonderes Interesse geweckt. Eine Familie, die in einem fernen Land lebte, das Deutschland hieß. Mit dieser Familie hatte Antanasia Großes vor und die Zeichen dafür standen günstig. Sehr günstig. Antanasia hob ihren langen weißen Finger und sogleich flatterte eine Fledermausbotin herbei und ließ sich darauf nieder. Die Fledermaus sah ihrer Herrscherin tief in die Augen. Antanasia beugte sich vor und flüsterte der Fledermaus etwas ins Ohr. Diese schloss kurz die Augen, breitete ihre Flügel aus und erhob sich geräuschlos. Sie flog eine Runde durch den prunkvollen Thronsaal des Schwarzen Schlosses und entschwand durch die verwinkelten Gänge in die Finsternis. Die Fledermaus flog in den dichten Wald Transsilvaniens und hinweg über raue Gebirge und rauschende Flüsse. Alles, was die Fledermaus sah – ein Wolfsrudel auf der Jagd, Vampire im Anflug auf ein einsam gelegenes Bauernhaus und das Licht des Mondes, das auf den Wellen der Flüsse tanzte –, konnte Antanasia durch ihr Monokel beobachten, welches sie stets an einer Kette um ihren Hals trug.

„Flieg weiter, flieg immer weiter!“, flüsterte Antanasia.

Und die Fledermaus flog immer weiter nach Westen. Der Morgen graute und die Fledermaus flog und flog, bis die Sonne hoch am Himmel stand. Über Wiesen und Täler, Wälder und Straßen. Erst als die Sonne schon fast wieder untergegangen war, flatterte die Fledermaus über ein paar Felder auf eine Stadt zu. Es war eine Stadt in Deutschland. Sie hieß Bindburg. Als die Fledermaus am Rande der Stadt auf ein Haus mit schiefen Fensterläden zusteuerte, richtete Antanasia sich gespannt auf. Das Haus stand im Lindenweg und hatte die Hausnummer 23. Es stand in einem romantisch verwilderten Garten und war über und über mit Efeu bewachsen. Die Fledermaus landete auf einem Fensterbrett im Erdgeschoss des alten Hauses und lugte neugierig hinein. Antanasia folgte dem Blick der Fledermaus und ihre Augen blitzten auf. Aus ihrem dunkelrot geschminkten Mund entfuhr ihr ein schreckliches Fauchen. Sie verzog ihre Lippen zu einem diabolischen Lächeln und entblößte ihre furchtbar spitzen Eckzähne …

Furzgranaten-Alarm


Dakaria und Silvania Tepes entblößten ebenfalls ihre Eckzähne. Aber nicht, weil sie wussten, dass sie beobachtet wurden, sondern weil ihre regelmäßige Dentiküre anstand. Die beiden Zwillinge standen vor dem großen Spiegel im Flur und feilten ihre Eckzähne. Dakaria, genannt Daka, musste sich dabei besonders anstrengen, denn ihr Spiegelbild war immer leicht verschwommen. Silvania strengte sich auch besonders an, aber vor allem deshalb, weil sie nicht wollte, dass jemand ihre langen spitzen Eckzähne bemerkte. Mit „jemand“ waren die Menschen gemeint. Daka und Silvania waren nämlich waschechte Vampire. Oder besser gesagt: Halbvampire. Ihr Vater war Mihai Tepes, seines Zeichens stolzer Vampir aus der Vampirmetropole Bistrien in Transsilvanien. Dort war er vor mehr als 13 Jahren einer wunderschönen Frau mit wilden Wuschellocken, verträumten Augen und zartrosa Lippen begegnet. Das Verführerischste an ihr war ihr Duft gewesen. Unwiderstehlich für einen Vampir im schwarzen Saft seines Lebens. Mihai flopste sich an die unbekannte Frau heran (flopsen heißt übrigens nicht „ranmachen“ im Sinne von „flirten“, sondern sich in geradezu übermenschlicher Schnelligkeit von einem Ort zum anderen bewegen). Mihai flopste sich also hinter die Frau und tat, was ein Vampir tun musste: Er biss zu. Doch anstelle von weicher Haut und warmem, süßem Blut schmeckte Mihai hartes, bitteres Plastik. Die Frau trug eine Halskrause, weil sie sich bei einem Sturz verletzt hatte. Sie blickte auf und sah dem Vampirmann in die Augen. Dunkle, verwegene Augen, die von einem Leben voller Gefahr erzählten. Mihai blickte in sanftmütige Augen, die von einem Leben voller Geborgenheit und Liebe erzählten. Er verliebte sich auf der Stelle in die Frau, die Elvira hieß. Und Elvira verliebte sich auf der Stelle in diesen Vampirmann, sodass sie bald Elvira Tepes hieß. Schon bald nach der Hochzeit bekamen Mihai und Elvira die Zwillinge Silvania und Dakaria. Die beiden Halbvampirinnen glichen ihren Eltern in vielerlei Hinsicht. Silvania hatte lange dunkelblonde Locken und kleidete sich gern verspielt mit Rüschen und Spitzenkleidern und sie war sehr menschlich, so wie ihre Mutter. Daka dagegen liebte schwarze Lederjacken, wild frisierte, kurze schwarze Haare und in ihr loderte viel wildes Vampirblut. Ganz wie in ihrem Vater. Obwohl sie so unterschiedlich waren, hielten die beiden Schwestern immer fest zusammen. Das war in Transsilvanien so und vor allem, seit sie vor einiger Zeit von Bistrien nach Bindburg gezogen waren. Die Eingewöhnung in Deutschland war nicht ganz leicht gewesen, weder für Daka noch für Silvania.

Silvania hatte sich riesig auf Deutschland gefreut, weil in ihr die menschliche Seite viel stärker war und sie diese hier voll ausleben wollte. Aber sie hatte feststellen müssen, dass sie eben auch ein halbes Vampirmädchen war und ein Neuanfang als volles Menschenmädchen nicht so einfach war.

Daka fand Deutschland von Anfang an langweilig. Alles war ihr zu ordentlich und niemand durfte wissen, dass sie Halbvampirin war. Sie durfte nicht fliegen, nicht flopsen und musste tagsüber in die Schule und nachts schlafen. Daka zog es immer wieder zurück nach Bistrien. Dennoch hatten die Vampirschwestern in Deutschland gute Freunde gewonnen. Allen voran Helene, das coolste Menschenmädchen aller Zeiten. Helene liebte Friedhöfe, Monstertattoos und hatte kein Problem mit Vampirfreundinnen. Na ja. Am Anfang war sie schon etwas erschrocken gewesen, aber da sie gerne flog, waren ihre Vorbehalte schnell verflogen (im wahrsten Sinne).

Und Helene hing gerne ab. Sie hatte nichts dagegen, dass die Vampirschwestern dies am liebsten kopfüber an einer Stange taten.

Außerdem liebte Helene Geheimnisse. Sie selbst trug ein Hörgerät, was niemand wissen durfte. Die Vampirschwestern waren Halbvampire, was auch niemand wissen durfte. Oder fast niemand. Und auch Ludo Schwarzer, der zu ihren Freunden gehörte, hütete ein Geheimnis. Er hatte die dunkle Gabe. Er konnte Dinge in der Zukunft sehen. Und sein Großvater war Ali Bin Schick, ein Zauberer. Geheimnisse verbinden.

Dagegen konnte Jacob Barton allerdings abstinken. An ihm war gar nichts Besonderes oder Geheimnisvolles, außer vielleicht, dass sein Vater Australier und seine Mutter, Franziska Barton, Autorin von Vampirromanen war. Und dass er Knoblauchbaguette mochte. Aber er hatte kein wirkliches Geheimnis. Außer vielleicht, dass er Silvania liebte. Das wussten aber alle. Und im Grunde war er damit doch etwas ganz Besonderes. Er war Silvanias Freund. Richtiger Freund. Mit Händchen halten und Küsschen geben.

Für Silvania war in Deutschland ein Traum wahr geworden, Knoblauchbaguette hin oder her. Sie hatte eine Menschenfreundin (Helene), einen Menschenfreund (Ludo) und einen Menschenfreundfreund (Jacob) gefunden.

Daka war mit den neuen Freunden in Deutschland zwar auch glücklich, aber sie sehnte sich nach wie vor mehr nach Vampiren. Sie war volle Blutwurstkanone verknallt in Murdo Dako-Apuseno, Sänger der obergrottenmuffencoolsten Band der Vampirwelt: Krypton Krax!

Vor Kurzem hatte sie Murdo sogar persönlich kennengelernt, als sie heimlich auf ein Konzert von Krypton Krax geflogen war. Krypton Krax hatte in Deutschland gespielt und Daka hatte vor der Bühne richtig abgerockt. Und dann war etwas passiert: Murdo hatte sie, Dakaria Tepes, auf die Bühne geholt! Nach dem Konzert durfte Daka dann sogar mit in den Backstagebereich und Murdo richtig kennenlernen. Murdo fand Daka auch obergrottenmuffencool. Er hatte einen Song für sie geschrieben und wollte sie sogar mit auf seine Welttournee nehmen. Im letzten Moment hatte sich Daka aber für ihre Freunde und ihre Familie und ihr Leben in Deutschland entschieden. Manchmal bereute sie das heimlich. Aber dann streichelte sie einfach Karlotta, Murdos Schleimtier. Karlotta hatte sich Herz über Schleim in Dakas Schleimtier, Karlheinz, verliebt. Und Murdo hatte Karlotta in Dakas Obhut gegeben, damit die beiden verliebten Schleimer zusammen sein konnten.

Nachdem die Vampirschwestern mit der Dentiküre fertig waren, gingen sie ins Wohnzimmer. Daka lief zum Schleimtier-Haus auf dem Fensterbrett und kraulte Karlheinz und Karlotta die glitschigen Bäuche, woraufhin diese genüsslich furzten. Das ist so eine Eigenart von Schleimtieren. Sie schleimen nicht nur, sie pupsen auch gern.

„Bin ich denn hier nur noch von Stinkern umgeben?“, beschwerte sich Silvania. Silvania hatte eine feine Nase, die nur bei Jacob eine Ausnahme machte, wenn er mal wieder Knoblauchbaguette gegessen hatte.

„Ist doch süß!“, meinte Daka und grinste.

„Ja, bei Franz ist das süß, aber nicht bei diesen Schleimbolzen da!“, motzte Silvania.

Franz war neu in der Familie Tepes. Er war die süßeste Furzgranate der Welt. Er war der Bruder von Daka und Silvania. Ein kleines Halbvampirbaby mit viel vampirischem Blut. Schon im Bauch hatte er die ersten Flugübungen gemacht und Mama Elvira war so während ihrer Schwangerschaft immer wieder durch plötzliche Flugmanöver aufgefallen. Und das, obwohl sie selbst das Fliegen in der Öffentlichkeit und bei Tageslicht verboten hatte. Aber wie erklärte man das einem ungeborenen Halbvampir-Baby im Bauch? Wenn es schon ihre zwei Teenie-Töchter nicht immer einsahen. Aber immerhin war Elvira die erste Schwangere, die sich nicht wie ein Walross, sondern wie eine schwebende Elfe gefühlt hatte. Na ja. Fast. Einmal hatte sie sich als Mastsau kurz vor dem Schlachtfest bezeichnet. Aber das war kurz vor der Geburt gewesen. Da sagen Frauen solche Sachen. Dann war der kleine Franz auf die Welt gekommen und alle verliebten sich heiß in ihn. Elvira sowieso.

Mihai hatte sich zwar ein Mädchen gewünscht, summte dem kleinen Franz aber liebend gerne seine transsilvanischen Heimatlieder ins Ohr.

Silvania hätte auch lieber eine Schwester gehabt, die so war wie sie, fütterte ihren kleinen Bruder aber hingebungsvoll mit Blutfläschchen und Blutwurstbrei.

Daka war begeistert von dem wilden Babybruder. Sie übte fleißig Flugrolle vor- und rückwärts mit ihm. Damit er sich nicht stoßen konnte, hatte sie ihm sogar einen Helm besorgt.

Franz war das Größte, was den Vampirschwestern in Deutschland passiert war. Sogar größer als Jacob und Murdo zusammen. Aber das flüsterten sie natürlich nur dem kleinen Babybruder ins Ohr. Geschwisterliebe war außerdem etwas ganz anderes, als in einen Jungen verknallt zu sein. Gleiches Blut verbindet. Vor allem Halbvampirblut!

„Komm, lass uns Fotos auf dem Vamplet sortieren!“, schlug Silvania vor.

Die beiden Schwestern bastelten an einem Babyalbum, das sie Franz zum ersten Geburtstag schenken wollten.

„Einverstanden“, meinte Daka und flopste sich auf das Sofa.

Silvania setzte sich dazu und schaltete das Vamplet ein. „Das nehmen wir jedenfalls als Deckblatt für unser Fotobuch“, entschied Silvania und zeigte auf ein Bild von ihnen und ihren Eltern. Elvira war darauf hochschwanger und stand ausnahmsweise mit beiden Füßen auf dem Boden.

„Boi.“ Daka nickte.

Silvania wischte über das Vamplet, überblätterte Bilder mit Franz, Helene und Ludo und blieb seufzend bei einem Bild hängen: „Guck mal. Jacob und Franz. Wie süüüß!“

Daka rollte mit den Augen, sagte aber nichts. Wenn Silvania nämlich einmal anfing, von Jacob zu schwärmen, hörte sie so schnell nicht wieder auf. Daka war da ganz anders. Sie gab gar nicht gern zu, dass sie in Murdo verknallt war.

Die Vampirschwestern vertieften sich weiter in die Bilder. Sie bemerkten die Fledermaus nicht, die schon vor einer Weile auf der Fensterbank gelandet war und ins Wohnzimmer der Familie Tepes schaute.

Nur Silvania sah einmal kurz auf, als die Fledermaus nach einer Mücke schnappte, die im Abendlicht ihr Tänzchen abhielt. Ihren letzten Tanz in diesem Fall.

Doch Silvania entdeckte die Fledermaus nicht.

„Haben wir auch ein Bild von Ursula? Die muss unbedingt mit rein“, sagte Daka.

„Na klar, mach weiter!“, meinte Silvania und sie betrachteten Bilder von der schwangeren Ursula. Ursula war Krankenschwester in dem gleichen Krankenhaus, in dem Mihai Tepes in der Gerichtsmedizin arbeitete. Auch sie arbeitete am liebsten nachts und hielt sich hin und wieder länger als erlaubt in dem Kühlraum mit den Blutkonserven auf. So hatten sich die beiden kennengelernt. Wie Mihai war Ursula ein versteckt lebender Vampir. Oder eine Vampirin. Eines Tages wurde der Nachbar von Familie Tepes, Dirk van Kombast, seines Zeichens Pharmavertreter und selbst ernannter Vampirjäger, verletzt in das Krankenhaus eingeliefert. Dort hatte er sich in die sanften Hände von Schwester Ursula ergeben und sich unsterblich in sie verliebt. Dass sie eine Vampirfrau war, wusste er nicht. Für ihn war Ursula ein wunderschöner blonder Engel! Und dass er ein Vampirjäger war, wusste Ursula zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht. Für sie war Dirk van Kombast ein unwiderstehlich duftender und sehr charmanter Mann.

Obwohl Ursula inzwischen sein Kind erwartete, mit Sicherheit einen kleinen Halbvampir oder eine kleine Halbvampirin, hatte Ursula ihm noch immer nichts verraten. Frauen haben eben Geheimnisse, sagte Ursula immer, wenn Silvania oder Daka sie drängten, Dirk van Kombast die Wahrheit zu sagen. Aber wie sagte man einem Vampirjäger, dass man ein Vampir war? Dirk van Kombast jagte nämlich Vampire, seit solche Kreaturen seine Mutter in den Wahnsinn (genau genommen in das Irrenhaus) getrieben hatten. Keiner hatte ihr geglaubt, dass sie Vampiren begegnet war. Herr van Kombast wollte der Menschheit beweisen, dass es Vampire wirklich gab und dass seine Mutter nicht verrückt war. Dass er diesen Beweis genau vor seiner Nase hatte und auch noch heiß verliebt in ihn war, ahnte er nicht.

Daka schaute auf ein Foto und kicherte: „Herr van Kombast kann echt so bescheuert gucken! Weiß er jetzt eigentlich, dass er ein Halbvampir-Baby bekommt?“

Silvania schüttelte den Kopf. „Nee, ich glaube, Ursula hat es ihm noch immer nicht gesagt.“

„Pff.“ Daka zuckte mit den Schultern. „Als ob das so schlimm wäre. Halbvampire sind doch megamuffencool. Oh, wie süß. Franz spielt mit Karlheinz und Karlotta.“

„Du meinst, er pupst mit ihnen um die Wette“, kommentierte Silvania die Fotos.

In diesem Moment pupste es im Flur und Elvira erschien im Bademantel mit dem kleinen Franz im Arm in der Tür.

„So, Zeit fürs Bett, ihr Fledermäuschen!“, rief sie.

Silvania und Daka sprangen sofort auf und überfielen ihren kleinen Bruder mit herzhaften Knutschern. Sie kneteten seine dicken Ärmchen und Beinchen und zwickten in seine herrlichen Bäckchen.

„Boi noap!“, riefen sie. Immer weiter küssten und kuschelten sie Franz, bis Elvira ihn lachend an sich zog.

Und noch jemand konnte sich gar nicht an dem Anblick des kleinen Franz sattsehen.

Antanasia starrte wie gebannt durch ihr Monokel auf den kleinen Halbvampir. Von ihren Eckzähnen tropfte etwas Speichel und sie leckte sich die Lippen.

Doch plötzlich erschien ein grünliches, schleimiges Etwas in ihrem Monokel.

„AAAAHHHH!“, angeekelt ließ Antanasia das Monokel fallen.

Karlheinz hatte die neugierige Fledermaus mit ihren verdächtig glühend roten Augen auf dem Fensterbrett entdeckt und ihr seine Schleimfratze entgegengestreckt. Karlheinz war nämlich mehr als nur ein Schleimtier. Er war auch mehr als ein Haustier. Er selbst bezeichnete sich als ein Wachtier. Klein, aber oho! Wütend starrte er die Fledermaus an, die sich sogleich umdrehte und die Fliege machte. Oder die Fledermaus. Karlheinz sah ihr misstrauisch nach und beschloss, wachsam zu sein. Noch wachsamer als sonst.

„Boi noap, ihr zwei Süßen!“ Daka beugte sich über Karlheinz’ und Karlottas Häuschen und schaltete das Licht aus.

Boi noap hieß Gute Nacht in der Vampirsprache Vampwanisch.

Karlheinz rutschte ganz nah an Karlotta, die ihm zwei schöne Schleimschmatzer verpasste. „Schwoi schwapp!“, wünschte sie. Das war die Schleimtiersprache Schleimisch und hieß auch Gute Nacht.

Daka tapste in ihr Bett. „Gute Nacht, Silvania!“, wünschte sie.

„Gute Nacht, Daka!“, flüsterte Silvania.

„Gute Nacht, Mama!“, rief Daka.

„Gute Nacht, Fledermäuschen!“, murmelte Elvira.

„Gute Nacht, Papa!“, rief Silvania.

„Boi noap, alle miteinander!“, brummte Mihai zurück.

„Gute Nacht, Franz!“, säuselte Silvania.

„Wäääh!“, machte Franz.

„Gute Nacht, Karlheinz!“, rief Daka.

„Schwoi schwapp!“, fiepte Karlheinz, aber das verstand leider keiner. Familie Tepes sprach kein Schleimisch.

„Karlheinz?“, hakte Daka nach.

PUPS!, machte Karlheinz.

Das verstand die Familie Tepes und lachte sich in den Schlaf. Niemand ahnte, dass schon bald nichts mehr sein sollte, wie es war … bis auf Karlheinz vielleicht. Der träumte wirres Zeug von Daka in einem schwarzen Schloss umgeben von dunklen Gestalten, die … Schleimgebadet wachte Karlheinz auf, pupste erschrocken und dachte darüber nach, was dieser Traum zu bedeuten hatte. Er hatte sich so echt angefühlt. Und diese neugierige Fledermaus vorhin war ihm noch immer nicht geheuer. Sie hatte so einen starren Blick gehabt. Karlheinz kam aus Transsilvanien, Daka hatte ihn dort liebevoll im Schleimtierunterricht gezüchtet und mit nach Deutschland gebracht. Und Karlheinz meinte, dass diese Fledermaus aus seiner alten Heimat kommen musste. Sie war schwärzer als die deutschen Fledermäuse. Und ihre roten Augen waren so stechend gewesen. Gierig. Vielleicht sollte er mal Dakas Freund Ludo Schwarzer fragen. Der kannte sich doch mit Ahnungen und Träumen aus. Aber wie sollte er Ludo fragen? Soweit Karlheinz wusste, sprach Ludo kein Schleimisch. Wie die meisten Menschen. Karlheinz seufzte. Nicht mal Daka konnte ihn verstehen. Wobei sie ein bisschen Zeichensprache konnte. Ihr Kraulen und Knutschen war ganz passabel. Zum Glück hatte Karlheinz seine Karlotta. An diese kuschelte sich Karlheinz dann auch und schlief schon bald ruhig ein.

Heiße Blicke


Der nächste Tag war für Silvania ein Albtraum, der sich leider nicht nur echt anfühlte, sondern auch echt war. Sport stand auf dem Stundenplan. Silvania hasste Sport. Das war noch viel schlimmer als Fliegen.

Frau Bönisch, die Sportlehrerin, war wie immer gnadenlos. Mit der Trillerpfeife im Mund rannte sie über den Platz und die Klasse hechelte hinterher. Also ein paar Schüler wie Jacob liefen locker hinter ihr her, auch Helene und Ludo hielten sich ganz gut, aber Silvania hechelte fürchterlich.

Daka lief sogar noch ein Stück hinter ihrer Schwester. Das lag aber nicht daran, dass sie unsportlich war, im Gegenteil, aber Daka fand Gehen, Rennen und Laufen generell völligen Gumox! Einfach Quatsch! Für sie gab es eben nur Flopsen und Fliegen. Aber als die Vampirschwestern nach Deutschland gekommen waren, hatte Elvira viele radikale Regeln für das Leben in Deutschland aufgestellt. Erste radikale Regel: Kein Fliegen bei Tageslicht. Zweite radikale Regel: Keine lebenden Mahlzeiten, auch keine Snacks wie freche Fliegen oder unvorsichtige Käfer (gegen diese Regeln verstieß Daka andauernd). Dritte radikale Regel: Keine pralle Sonne (hiergegen hatte Silvania einmal verstoßen und es bitter bereut. Tagelang war sie feuerrot im Gesicht gewesen. Dafür war sie am Ende aber mit Jacob zusammengekommen). Vierte radikale Regel: Keine Kreuze. Fünfte radikale Regel: Kein Knoblauch (hiergegen verstieß Baby Franz andauernd, die Gemüsehändlerin gab ihm statt Karotten oder Apfelschnitzen sogar Knoblauchzehen mit, seit er sich dort mal welche stibitzt und begeistert aufgelutscht hatte – was seine Schwestern einfach nur megaeklig fanden. Gemüse war ja schon uncool genug. Aber Knoblauch? Das war richtig schlimm und für Vampire normalerweise sogar gefährlich. Baby Franz schien aber immun zu sein). Sechste radikale Regel: Kein Einsatz übernatürlicher Kräfte, also keine Hypnose, keine heißen Blicke, kein Flopsen und keine Superkräfte (wenn Mihai ehrlich war, verstieß er ständig gegen diese Regel, welcher Vampir brauchte schon einen Hammer, um einen Nagel in die Wand zu schlagen?).

Silvania hielt sich meistens treu an die radikalen Regeln ihrer Mutter, hätte heute aber alles darum gegeben, sich aus dem Sportunterricht flopsen zu können. Stattdessen keuchte sie ihre Bahnen und ihr Atem setzte sogar einmal kurz aus. Das lag an Jacob, der sich nach einem Blick über die Schulter zurückfallen ließ. Er strahlte Silvania an. „Hey!“

„Hey“, schnaufte Silvania. Pumflex! Verdammt!, dachte Silvania. Ich seh doch total daneben aus. Silvania trug eine ihrer gemütlichen Pluderhosen, darüber einen Rock, ein pinkes T-Shirt und ein buntes Stirnband.

„Cooles Outfit“, meinte Jacob und grinste.

Silvania lächelte verlegen. Jabob war einfach ein Traumtyp, zensatoi futzi! Verschwitzt wie sie war, machte er ihr noch Komplimente.

„Steht dir echt gut, das, ähm T-Shirt. Passt gut zu deinen Augen. Echt schön“, sagte Jacob.

„Meine Augen?“, fragte Silvania.

Jacob schüttelte den Kopf. „Nein, das T-Shirt, aber, ich, äh … deine Augen sind natürlich auch …wunderschön.“

„Gumox“, murmelte Silvania verlegen, doch dann sah sie Jacob direkt in die Augen und strahlte. Jacob war einfach ihre große Miloba – die Liebe ihres Lebens. Silvanias Herz schlug wild und ihre Augen versanken fast in denen Jacobs, ihr wurde immer wärmer und plötzlich schoss eine heiße Feuerwelle aus ihren Augen. ZISCH!

„AAAHHH!“, schrie Jacob und hielt sich die Wange. „Hey, das tut weh!“

„Oh, Fumpfs, Mist, was, wie?“, stammelte Silvania unglücklich. Hatte sie gerade wirklich ihrem Freund, den sie über alles liebte, einen heißen Blick verpasst?

„Silvania, was machst du denn?“, rief Daka, die zu den beiden aufgeschlossen hatte.

Auch ein paar andere Schüler schauten neugierig zu Silvania und Jacob, liefen aber weiter, weil auch Frau Bönisch sich umgedreht hatte. „TRRRRR!“, pfiff sie wütend nach hinten. „Weiter geht’s! Nicht schlappmachen!“

„Oh, Mann, Jacob, Entschuldigung. Keine Ahnung, ich wollte nicht, ich hab gar nichts gemacht. Tut mir voll leid. Fumpfs. Tut es sehr weh? Zeig mal …“ Silvania sah Jacob voller Sorge an und wollte ihm gerade über die Wange streicheln, als ihr schon wieder ein heißer Blick entfuhr. ZUSCH! Diesmal hatte sie Jacobs Trainingsjacke am Ärmel erwischt.

Der schaute entsetzt auf die Flammen. „Was? WAH! Feuer!“, schrie Jacob und riss sich die Jacke vom Leib. „Scheiße, aua, verdammt! Die Jacke brennt!“

Sofort blieben ein paar Schüler stehen und liefen neugierig zu Jacob und Silvania. Darunter waren auch Helene und Ludo. Fassungslos betrachteten sie, wie Jacob auf seiner brennenden Jacke herumtrampelte. Frau Bönisch blickte genervt nach hinten. „Was ist denn da los, bitte schön?“

„Ogottogottogott! Was war das? Das ist … das wollte ich nicht. Ich hab doch gar nichts gemacht!“, murmelte Silvania und wandte sich mit Tränen in den Augen an ihre Schwester.

Daka stand lässig da und grinste. „Ich finde es voll boibine!“ Als sie Silvanias empörten Gesichtsausdruck sah, redete sie schnell weiter: „Also nicht, dass du Jacob verletzt hast, aber dass du endlich mal vampirisch bist. Einfach so, ganz offen. Das andauernde Verstellen und Verstecken geht mir nämlich so was von gegen den Strich! Ich finde, es reicht!“ Daka packte Silvania begeistert am Arm und schüttelte sie. „Komm, wir zeigen es allen! Jetzt!“

Noch bevor Silvania ihren Schock überwunden hatte (den dritten innerhalb kürzester Zeit, erst ihre zwei heißen Blicke und jetzt ihre heißen Mist erzählende Schwester), stand der vierte Schock vor ihr: Frau Bönisch! „Was ist hier los? Habt ihr Feuerwerkskörper mit in die Schule gebracht? Und lügt mich nicht an!“

Silvania starrte zu Boden. „Also, ich …“

„Sieh mich an!“, forderte Frau Bönisch sie streng auf.

Silvania hob langsam ihren Kopf, doch Daka antwortete an ihrer Stelle: „Also, Frau Bönisch, es ist so. Silvania und ich, wir sind anders als die anderen …“

Silvania trat Daka auf den Fuß. „Bist du noch ganz dicht?“, zischte sie.

„Es reicht!“, rief Frau Bönisch wütend. „Eure Ausreden könnt ihr euch sparen. Ich habe es schließlich aus den Augenwinkeln gesehen, wie ihr auf Jacob geschossen habt. Das geht einfach nicht, wo kommen wir denn dahin? Das wird ein Nachspiel haben.“ Damit drehte sich die Sportlehrerin um und lief wieder nach vorn. Ihr strenger Dutt wippte bei jedem Schritt.

„Du Memme!“, meinte Daka zu Silvania und warf ihr einen verächtlichen Blick zu.

Das war zu viel für die arme Silvania. Alle waren gegen sie. Jacob, Frau Bönisch und jetzt auch noch Daka. Wütend und verletzt starrte Silvania der Sportlehrerin hinterher, als ihr schon wieder ganz heiß wurde und eine Feuerwelle aus ihren Augen zischte. ZOSCH! Oh nein! Silvanias heißer Blick traf Frau Bönisch am Po! Erschrocken kreischte die Sportlehrerin auf, wälzte sich am Boden und rannte schließlich über den Platz wie vom Vampir gebissen. Was ja auch fast stimmte.

Die Schüler kicherten, während Jacob, Daka, Helene und Ludo Silvania ungläubig anstarrten. Silvania zuckte unglücklich mit den Schultern und begann zu weinen. Sportunterricht war doch auch so schon schrecklich genug. Aber jetzt konnte sie ihre Superkräfte nicht mehr kontrollieren und schoss auf ihren Freund und ihre Lehrerin heiße Blicke ab. Was war denn nur los mit ihr?

Zum Glück war nach dem Sport Schulschluss. Silvania und Daka trotteten nebeneinander nach Hause und sahen sich ausnahmsweise mal sehr ähnlich. Beide zogen finstere Gesichter.

„Jetzt kommt auch noch die Bönisch zu uns nach Hause“, jammerte Silvania.

Daka konnte schon wieder grinsen. „Das war echt boibine, wie du der Feuer unterm Hintern gemacht hast!“

„Das habe ich doch nicht … Daka, das ist nicht lustig!“, rief Silvania empört. „Ogottogottogott, hoffentlich merkt die Bönisch nicht, dass wir …“

„… Halbvampire sind? Na und?“, vollendete Daka Silvanias Satz.

Silvania schüttelte den Kopf. „Weil, weil … Das ist gefährlich. Das weißt du doch. Wir sind hier nicht in Transsilvanien. Und ich will nicht, dass alle wissen, dass wir anders sind!“

Daka ballte die Faust. „Ich schon!“

„Ursula hat Dirk van Kombast auch noch nicht gesagt, dass sie ein Vampir ist. Dabei leben die beiden zusammen und kriegen ein Kind!“, warf Silvania ein.

In diesem Moment kamen die Vampirschwestern an dem gepflegten Vorgarten von Herrn van Kombast vorbei. In Erwartung seines Nachwuchses hatte er überall Schilder in seinen getrimmten Rasen gesteckt wie: Baby im Haus oder Ruhe bitte.

Daka schickte frustriert einen heißen Blick in den Garten. ZISCH!

Ein liebevoll zurechtgestutzter Busch begann zu qualmen. Sofort ging im Hause Tepes das Küchenfenster auf und Elvira steckte ihren Wuschelkopf heraus. Aus ihren Augen funkelten mindestens so viele heiße Blicke, wie Silvania und Daka heute insgesamt schon abgeschossen hatten. „Daka! Hast du sie noch alle? Was tust du da? Kommt sofort rein! Aber rapedadi!“, schimpfte Elvira Tepes. Und wenn Elvira Tepes rapedadi sagte, dann meinte sie auch sofort.

„Fumpfs. Ich hasse Deutschland. Alles ist verboten hier“, maulte Daka, ging aber schnell mit ihrer Schwester ins Haus.

Elvira war damit beschäftigt, ihren berühmten Spinnenkuchen zu backen. Er war zwar nur in Form einer Spinne und nicht mit echten Spinnenbeinen gefüllt wie in Transsilvanien, aber Mihai liebte den Kuchen und sie wollte ihren Mann überraschen, der in letzter Zeit ungewöhnlich still war und sich ständig in seinem Keller verkroch. Das war zwar tagsüber für einen Vampirmann nichts Ungewöhnliches, aber Elvira spürte, dass etwas nicht stimmte.

Sie wusch sich den Teig von den Fingern, wischte sie an ihrer Schürze ab und betrachtete seufzend das übliche Chaos auf der Küchenanrichte. Mit drei Kindern, einem Job und ihrem ungewöhnlichen Mann blieb immer zu wenig Zeit zum Aufräumen. Na ja. Wenn sie ehrlich war, war Elvira noch nie besonders ordentlich gewesen. Auch ohne Vampirmann und Halbvampir-Kinder. Aber das gab sie natürlich nicht zu. Sie betrachtete die frisch lackierten Klobrillen, die sie zum Trocknen ausgebreitet hatte. Elvira Tepes führte sehr erfolgreich einen kleinen Klobrillen-Laden. Sie verkaufte nur Einzelstücke, die sie eigens auf Kundenwunsch anfertigte. Seit Franz auf die Welt gekommen war, arbeitete sie viel von zu Hause aus. Zum Glück schlief Franz viel – gerade friedlich in seinem Laufstall in der Ecke –, sodass Elvira Tepes ihren Laden weiterführen konnte, was sie sehr glücklich machte. Leider machte ihre Familie sie gerade eher unglücklich.

„Was ist denn in dich gefahren? Heiße Blicke am helllichten Tag? Und auch noch auf Herrn van Kombasts Büsche?“, meckerte sie Daka an, als diese in die Küche kam.

„Ha!“, gab Daka beleidigt zurück. „Du hättest mal Silvania vorhin in der Schule erleben sollen.“

Silvania sah Daka wütend an. Blöde Petze.

Elvira sah Daka ungläubig an. Meine Silvania?

Silvania sah Elvira unglücklich an. „Äh …“, murmelte sie.

Der kostenlose Auszug ist beendet.

Altersbeschränkung:
18+
Veröffentlichungsdatum auf Litres:
13 Juli 2020
Umfang:
124 S. 8 Illustrationen
ISBN:
9783732006175
Verleger:
Rechteinhaber:
Bookwire
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