Sagen und Legenden aus Steyr und Umgebung

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Sagen und Legenden aus Steyr und Umgebung
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Dem Gedenken meiner lieben Mutter

Maria Harrer, geborene Reisinger

Franz Harrer

Sagen und

Legenden aus Steyr

und Umgebung

ENNSTHALER VERLAG STEYR

www.ennsthaler.at

ISBN 978-3-7095-0139-9

Franz Harrer · Sagen und Legenden aus Steyr und Umgebung

Alle Rechte vorbehalten

Copyright © 1965 by Ennsthaler Verlag, Steyr

Ennsthaler Gesellschaft m.b.H. & Co KG, 4400 Steyr, Österreich

Umschlaggestaltung: Thomas Traxl

Umschlagbilder: Kupferstich von Steyr, Wolfgang Hauser 1584,

fotolia.de / Olga Rutko, fotolia.de / Ig0rZh

E-Book Herstellung: Zeilenwert GmbH

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

Sagen aus der Stadt Steyr

Der Ursprung der Burg Steyr

Der Raub der schönen Künhilde

Die Gründungssage der Burg Steyr

Der Ritter Heinz Scheck von Steyr

Die Michaelerkirche in Steyr

Die Ägidius-Glocke

Ein Wettlauf mit dem Tod

Der seltsame steinerne Kopf

Die Kapuzinerkirche in Steyr

Der abergläubische Müller

Das »Blut-Gassl«

Das Pestkreuz aus dem Jahre 1786

Der Goldschatz im Teufelsbach

Der Schmied beim Föhrenschacherl

Der rotbartete Wildschütz

Sagen aus dem Ramingtal

Damberg

Die zerstörte Burg

Die Laurenzi-Kapelle

Das »Windloch«

Der Hörndlrichter-Jogi

Unterwald

Die Heiligdreikönig-Sänger und der Teufel

Seebauer, der Klingenschmied

Der Goldschatz im Kesslboden

Der Teufelsspuk im Reitnergraben

Die Pest in Unterwald

Der »Sauhammer«

Die Räuber im »Moos«

Kleinraming

Der Lindenwirt in der Steinwänd

Der eingemauerte Silberschatz

Des Teufels Mühlsteine

Die lustige Dirn und der Teufel

Das »Mühlberger Geldloch«

Die Burg des »Grün-Königs«

Der »Höllstein«

Der unsichtbare Holzspalter

Kollergraben

Das angebannte Fuhrwerk

Ebersegg

Der Wildschütz

Spadenberg

Die Spadenberg-Kapelle

Maria Neustift

Die Kirche in Maria Neustift

Arthofberg

Die drei heiligen Jungfrauen

Konradsheim

Die feindlichen Brüder

Die Donatus-Kapelle

Lindauberg

Das Kind in der Schatzhöhle

Die feurigen Hunde im Lindauberg

Sagen aus dem Ennstal

St. Ulrich

Die Kirche von St. Ulrich

Der Fluch des Verurteilten

Der Ring des Schlossherrn

Die Schnecken-Kapelle

Die Krähen als Vorspann

Das unheimliche Fuhrwerk

Der Teufel als Fuhrmann

Dambach

Der scheltend’ Fleischhacker

Die Auerkapelle

Die Wildalm-Kapelle

Das feurige Manderl

Das Kreuz auf dem »Zwecker-Böndl«

Garsten

Abt Berthold von Garsten

Die Ketzer-Muttergottes

Der Mann mit dem schwarzen Mantel

Die Bertholdi-Glocke in Garsten

Lahrndorf

Der Tod als Fahrgast

Der Spuk im Wächterhaus

Der Hexenbeschwörer

Die zwei Liachtln

Dürnbach

Der Mann mit dem Sack

Wendbach

Die wilde Jagd im Waldgraben

Schoberstein

Das Geldloch im Schoberstein

 

Das Waldweiblein vom Schoberstein

Trattenbach

Die Pest im Trattenbachtal

Ternberg

Der reiche Bauer

Losenstein

Die Entstehung der Burg Losenstein

Der Blasibrunn am Scherrerbichl

Die drei lustigen Wanderburschen

Die Volkssage vom Ofen

Pfennigstein

Der Pfennigstein bei Losenstein

Die Eva-Kuchl

Schieferstein

Der steinerne Jäger

Der Jägersprung

Laussa

Der Spuk im »Geißberger-Moos«

Wie der Teufel den Stodermüller austränken wollte

Die versunkene Sichelschmiede

Das Blendwerk des Teufels

Die Pest im Geißbergerhaus

Der »goldene Hansenstein«

Die Hexe in der Loahmbichler-Woad

Der »Manderlmaler-Maurer«

Das nackte Weib unter dem Vieh

Höllleiten-Nöstltal

Die Kapelle in Höllleiten-Nöstltal

Reichraming

Die Begegnung mit dem Tod

Der Räuberhauptmann Stern

Die Goldluke

Großraming

Das »Kogler-Kreuz« in Großraming

Der Teufel jagt einen Fensterlbuben

Die Geisterschlucht

Die teuflischen Schmiedgesellen

Die Hüttal-Hexn

Sagen aus dem Steyrtal

Christkindl

Die Gründung von Christkindl

Der Goldschatz des Bergmännleins

Aschach

Die Kirche von Aschach

Waldneukirchen

Der »Teufelsturm« bei Waldneukirchen

Adlwang

Der heilige Brunnen in Adlwang

Maria im Ameisenhaufen

Das Geschenk der hl. Maria

Die heilige Maria im Bade

St. Blasien

Die Kirche in St. Blasien

Leonstein

Das gefangene Bergmandl

Pernzell

Die »Zwergen-Höhle« in Pernzell

Die Laußberg-Höhle

Molln

Der Schatz im Berge

Die unheimliche Begegnung

Klaus

Der Teufel baut eine Brücke

Windischgarsten

Das Marktwappen von Windischgarsten

Der Totenwagen

Sagen aus dem Alm- und Kremstal

Grünau

Die Bergmännlein und Bergfräulein von Grünau

Schlierbach

Der unauffindbare Schatz

Schellenstein

Die Rose von Schellenstein

Alt-Pernstein

Der Fenstersturz

Kremsmünster

Die Gründung des Klosters Kremsmünster

Die verwunschene Schlossfrau

Der Feuerbaum

Eberstallzell

Ein Weib überlistet den Teufel

Der Wagen des Teufels

Heiligenkreuz

Die Kirche Heiligenkreuz

Pfarrkirchen

Die Glocke von Pfarrkirchen

Feyregg

Das Schloss Feyregg

Achleiten

Der Teufel von Achleiten

Kematen

Der fremde Spieler

Neuhofen

Die Pest in Neuhofen

Julianaberg

Der Heilbrunnen auf dem Julianaberg

Rechberg

Die feindlichen Brüder von Rechberg

Sagen aus der Umgebung der zwei Ipfbäche und der Enns

Thanstetten

Der Schmied von Thanstetten

Weichstetten

Die Pest in Weichstetten

St. Marien

Das Totenkreuz

Losensteinleiten

Der Meisterschütze von Losensteinleiten

Wolfern

Die Kirche von Wolfern

Das »Weiße Kreuz« bei Wolfern

Gleink

Das Wappen des Klosters Gleink

Spitzenburg

Der »heilige Brunnen« in Spitzenburg

Thann

Der Schmied zu Thann rauft mit dem Teufel

Dietach

Die Kirche in Dietach

Stadelkirchen

Das Fluchtkreuz am Fluchtberg

Die Satanstanzstatt

Hargelsberg

Pudel, scher’ dich!

Steinerkirchen

Der geprellte Teufel

St. Florian

Das »Weiße Kreuz« bei St. Florian

Tillysburg

Die Tillysburg

Kronstorf

Das Siebenrasten-Kreuz

Pühring

Die »Ketzergruabn«

 

Maria Winkling

Die Kapelle Maria Winkling

Am Fletzerweg

Die Kapelle des hl. Nikolaus

Unterburg

Der Ritt durch die Enns

Vorwort

Es war schon lange mein Wunsch, dass die von mir seit vielen Jahren erforschten und in verschiedenen Zeitungen und Kalendern veröffentlichten sowie noch nicht veröffentlichten Sagen und Legenden gesammelt in Buchform erscheinen, damit sie auf diese Weise ins Volk zurückkehren, von dem sie gekommen sind. Die hier gesammelten Sagen stammen aus Steyr, der schönen, alten, wasserumrauschten Stadt im Tale, aus den Bergen und Tälern der Voralpen und aus dem schönen, malerischen, von klaren Bächen und Bächlein durchflossenen, fruchtbaren Hügellande, so weit die ausgedehnte, schöne Umgebung reicht. Im Laufe vieler Jahrzehnte habe ich mich bemüht, aus dem lebensfrohen, arbeitsamen, gastfreundlichen und sagenfreudigen Volke, das diesen herrlichen und entzückend schönen Landstrich bewohnt, Volkssagen und Legenden herauszuhorchen. Das Forschen nach Sagen, den einfachen Naturpoesien des Volkes, ist mir zur Lieblingsbeschäftigung in meiner freien Zeit geworden. Das Gemüt des friedvollen Volkes ist noch empfänglich für Sagen, die in geruhsamen Feierstunden daheim erzählt werden. Wie oft bin ich im Kreise von lieben Menschen in der traulichen Stube eines Voralpenbauers gesessen und habe ihren seltsamen Sagen, die sie »Geschichten« nennen, gelauscht.

Sowohl die Stadt Steyr als auch die Umgebung sind reich an köstlichen Sagen, die uns viel aus längst verklungenen Tagen erzählen.

Auffallend sind die vielen uralten Sagen und Legenden, die die Stadt Steyr besitzt, deren Begebenheiten durch den Nebelschleier der Vorzeit schimmern. Wie weit die Menschensiedlung Steyr in die Vorzeit zurückreicht, ist nicht genau bekannt, aber wo die Historie schweigt, redet die Sage. Hier gilt, was Peter Rosegger in einer seiner Schriften sagt: »Die Historie schläft – und ihr Traum ist die Sage.« Bis heute hat es noch keine umfassende Darstellung von Sagen und Legenden aus der Stadt Steyr und ihrer Umgebung gegeben. Dieses Buch schließt daher eine Lücke der heimatlichen Sagenforschung. Wer die Heimat kennenlernen will, muss auch ihre Sagen kennen und darf an ihnen nicht achtlos vorübergehen.

Franz Harrer

Sagen aus der Stadt Steyr
Der Ursprung der Burg Steyr

In der mittelalterlichen Heldensage von Biterolf und Dietleib wird die Erbauung der Burg Steyr mit Etzel, genannt Attila, dem Hunnenkönig, in Verbindung gebracht.

Historisch betrachtet war Attila ein Schrecken der Völker, ein Verächter von Gesetz und Recht. Er hat seinen Bruder Bledel ermordet, um Alleinherrscher der Hunnen sein zu können. Jordanes, der Geschichtsschreiber der Goten, schildert ihn als klein von Gestalt, breitschultrig, dickköpfig mit kleinen Augen, mit spärlichem, grau untermischtem Barthaar, mit platter Nase und dunkler Hautfarbe.

Er hatte, wie es bei diesem Volke Sitte war, viele Weiber, daher auch viele Söhne und Töchter; die Töchter zählten nicht, denn sie waren keine Krieger. Er hatte ein Heer von 500.000 Kriegern, die aber nach dem Bericht des Jordanes schier mehr Tiere als Menschen waren. Seine Hauptfrau war Helche, die Königin der Hunnen. In den Niederungen zwischen Donau und Theiß war, wie der oströmische Geschichtsschreiber Priskus berichtet, die große, volkreiche, aus Holz gebaute Hunnenstadt, wo Attila in einem großen Palast mit Säulenhallen sein Hoflager hielt und eine Pracht entfaltete, die selbst Römer und Griechen in Erstaunen setzte. Hier lagerten unermessliche Schätze, die Beute der eroberten Länder. Gesandtschaften aus allen damals bekannten Teilen der Erde trafen sich hier, wie auch Attila Gesandte in allen Ländern hatte. Viele germanische Fürsten weilten an seinem Hofe und leisteten Attila auf seinen Kriegszügen Heerfolge. Ein Mann mit mächtiger Kraft und unerschütterlichem Willen stand Attila, ein Völkerkönig, da. Er nannte sich selbst die »Gottesgeißel« und meinte, er sei zum Herrn der Welt bestimmt.

Erscheint Attila geschichtlich als unersättlicher Land- und Sachräuber, so tritt er in den alten Heldensagen als idealer König, freundlicher und leutseliger Herr in Erscheinung. So in der alten Heldensage von Biterolf und Dietleib.

Der Westgote Biterolf, Fürst von Toledo in Spanien, verließ eines Tages seine Frau Dietlinde, seine beiden Kinder Dietleib und Künhilde und zog an den Hof Attilas, der in Heldensagen Etzel genannt wird, um ihn, von dem er schon so viel Merkwürdiges gehört hatte, kennenzulernen. Er blieb dort viele Jahre unerkannt, machte Attilas Kriegszüge mit, zeichnete sich durch Tapferkeit aus und stand hoch in der Gunst des Königs Etzel. Inzwischen waren Dietleib und Künhilde herangewachsen. Dietleib, ein schöner und kräftiger Jüngling geworden, wollte durch die Lande ziehen und seinen Vater suchen, was ihm aber seine Mutter verwehrte. Doch er täuschte seine Mutter, indem er sagte, er gehe auf die Jagd, welches Vergnügen sie ihm gönnte. Auf diese Art entfloh er seiner Mutter.

Mit dreien gleich ihm tatenlustigen Jünglingen ritt er nach Norden an den Hof des Königs Günther zu Worms am Rhein, weil er glaubte, dort seinen Vater zu finden. Doch dort war er nicht. Nun ritten die viere nach Osten zu König Attilas Hof, wo sie gut aufgenommen wurden. Markgraf Rüdiger von Pechlarn begrüßte sie herzlich. Biterolf, der am Hofe Attilas war, kannte seinen Sohn Dietleib nicht und der Sohn den Vater nicht. Auf einer Heerfahrt gegen den Polenkönig, der Attila den Krieg angesagt hatte, zogen auch die beiden mit Dietrich von Bern, Wolfhart, Wittich und anderen Helden und kämpften als die Tapfersten. Nach dem Ende des Kampfes vermittelte Rüdiger von Pechlarn das Erkennen zwischen Vater und Sohn; denn er hatte in ihnen den Fürsten Biterolf von Toledo und seinen Sohn Dietleib erkannt.

Als der Krieg einen für Etzel (Attila) günstigen Verlauf genommen hatte, zog das Heer zurück zur Stadt der Hunnen. Alle Helden im Hunnenpalast wurden freundlich empfangen und belohnt. Dem Fürsten Biterolf schenkte Attila das Steyerland, das vorher Nurdung, Attilas Sohn, besessen hatte. Es war eines der schönsten Länder, das unter der Herrschaft Attilas war, reich an Getreide, Weiden und Wald, mit vielen jagdbaren Tieren, Salz und Wein, selbst Gold und Silber in seinem Inneren bergend. Biterolf und Dietleib bauten sich auf der Felsenhöhe am Zusammenfluss der Enns und Steyr die prächtige Steyrburg und nannten das Land Steiermark. Nach Vollendung der Burg ritten Biterolf und Dietleib nach Spanien und holten die Fürstin Dietlinde und die junge Künhilde ab und kehrten mit vielen Rittern zur Steyrburg zurück, in der nun Fürst Biterolf regierte.

Der Raub der schönen Künhilde

Fürst Biterolf, seine Frau, die Fürstin Dietlinde, Dietleib und seine junge Schwester Künhilde lebten und wirkten mit ihrem Ingesinde auf der schönen Burg zu Steyr, die Biterolf und sein Sohn Dietleib nach der Heimkehr aus der Residenzstadt des Königs Etzel auf der hohen Felsterrasse am Zusammenfluss der Steyr und der Enns haben erbauen lassen, wie eine uralte Sage uns erzählt. Am Morgen eines schönen Frühlingstages ging Künhilde, die schöne Tochter Biterolfs, mit ihren Gespielinnen aus der Burg zu Spiel und Tanz unter die grünen und blühenden Linden. Es fehlten auch die jungen Ritter nicht. Spielleute waren auf dem grünen Plan und spielten schöne Tanzweisen, nach denen sich das junge Volk drehte. Unter den Fröhlichen waren auch Fürst Biterolf, etliche Grafen mit ihren Frauen, die den heiteren Spielen mit Wohlgefallen zusahen.

Da kam auf seinem Pferde Laurin, der König der Zwerge, zur Burg Steyr geritten. Auch er sah dem fröhlichen Treiben der Mädchen interessiert zu. Unter den schönen Mädchen sah er Künhilde, welche die Schönste und Lieblichste von allen war. Sogleich entbrannte er in Liebe zu der schönen Maid. Vermöge seiner Zauberkraft und seiner Nebelkappe, die ihn unsichtbar machte, holte er Künhilde, indem er eine Tarnkappe über sie stülpte, aus der Hut ihres Bruders und einiger Grafen heraus, setzte sie auf sein Pferd und ritt mit ihr nach Tirol; er brachte sie in den fürstlich eingerichteten hohlen Berg, wo König Laurin sie als Königin über sein Zwergenvolk setzte. Niemand hatte den Raub der Fürstentochter bemerkt.

Auf der Suche nach seiner Schwester Künhilde, die auf so geheimnisvolle Art verschwunden war, kam ihr Bruder Dietleib auch zum Rosengarten des Zwergenkönigs Laurin in Tirol. Dort traf er mit den vier Fürsten Dietrich von Bern, Hildebrand, Wittich und Wolfhart zusammen, die er kannte und die seine Freunde waren. Dietrich stand zur selben Stund im ungleichen Zweikampf mit dem Zwergenkönig Laurin, der durch seinen Zaubergürtel Zwölfmännerstärke besaß und sich außerdem mit seiner Tarnkappe unsichtbar machen konnte. Erst als ihm Dietrich von Bern den roten Zaubergürtel zerbrach, war der Zwerg machtlos, gab sich besiegt und bat um sein Leben.

Laurin versprach den vier Fürsten Freundschaft und Treue, lud sie ein, mit ihm in den hohlen Berg zu gehen. Wohl warnten Wittich und Wolfhart vor der Tücke und der Hinterlist König Laurins, des Zwerges; um nicht feige zu erscheinen, gingen sie alle hinein in den Berg. Darinnen war einzigartige Pracht und Herrlichkeit; überall funkelte es von Gold und Edelsteinen. Laurin, der Zwerg, ließ den Fürsten ein Mahl bereiten. Bei Wein und Met, bei Harfenklang und Geigenspiel, Gesang und mancherlei Spielen, vom Volk der Zwerge dargebracht, war große Lust und Fröhlichkeit im Berge. Da kam herein die schöne Künhilde, reich gekleidet, das Haupt geschmückt mit einem goldenen Diadem. Sie grüßte die Fürsten als ihre lieben Gäste. Groß war die Freude, als sie ihren lieben Bruder Dietleib sah, den sie herzlich begrüßte. Sie sagte ihm, dass sie alles im Überflusse hätte, sich aber nach der lieben Heimat sehne. Dietleib sprach, er sei gekommen, sie von hier fort und heim zu bringen. Laurin, der Zwergenkönig, ging zu Künhilde, seiner lieben Herrin und klagte ihr sein Leid. Die Recken hätten ihm seine schönen Rosen verwüstet, Dietrich habe ihm den Gürtel zerbrochen, dadurch habe er seine Stärke verloren und könne sich nicht rächen. Sie möge ihm raten, was er tun solle. Sie steckte ihm unter der Bedingung, dass er den Fürsten nicht ans Leben gehe, was er ihr versprach, ein Ringlein an den Finger, mit dem er seine Zwölfmännerstärke wieder hatte.

Laurin ließ sich Dietleib kommen, nannte ihn seinen lieben Schwager und sagte, er wolle seine vielen Schätze mit ihm teilen, wenn er sich nicht der Fürsten annehme. »Nein«, sagte Dietleib, »das tue ich nicht, meinen Freunden werde ich nicht untreu.« Da sperrte der ränkesüchtige Zwerg Dietleib in das Felsgemach ein. Dann eilte Laurin in den Felsensaal, wo die vier Fürsten beim Mahle saßen, tat ihnen betäubenden Kräutersaft in Wein und Met, dass sie nach einer Weile wie tot auf den Bänken lagen. Dann warf er alle viere in ein tiefes Felsenverlies.

Künhilde, die alles beobachtet hatte, erkannte die Gefahr, in der ihr Bruder und die vier Fürsten schwebten. Sogleich eilte sie heimlich zu ihrem Bruder, gab ihm ein Ringlein, damit er die Zwerge sehen konnte, die er, durch Zauber verursacht, nicht hätte sehen können. Künhilde half dem Bruder sich rüsten, sie setzte ihm den Helm auf das Haupt, gab ihm Schwert und Schild. Dann führte sie Dietleib zu dem tiefen Felsverlies, darinnen die vier Fürsten gefangen waren. Er brachte ihnen ihre Rüstungen und die Waffen. Als Laurin das bemerkte, blies er in das Horn, dass es durch den Berg schallte, auf welchen Ruf dreitausend Zwerge kamen, denen er zurief: »Dass ihr mir von den fünf Recken keinen am Leben lasst!« Während sich die vier Fürsten in Eile rüsteten, kämpfte Dietleib einen harten Kampf mit den Zwergen, von denen viele tot dahinsanken, aber auch er drohte bald zu erliegen. Zur rechten Zeit noch kamen die Recken und griffen, nachdem auch sie von Künhilde Ringlein bekommen hatten, die sie befähigten, die Tausende von Zwergen zu sehen, in den Kampf ein, der vielen Zwergen das Leben kostete. Und als dem Zwergenkönig der Finger, an dem sein Ring stak, abgehauen wurde, verlor er abermals seine Zwölfmännerkraft. Da stieß der Zwerg in sein Hifthorn; auf diesen Notruf kamen fünf Riesen, die dem Zwergenkönig dienten, vom Walde herein in den Berg und griffen mit langen Eisenspießen in den mörderischen Kampf ein. Viele der Zwerge und mit ihnen auch die fünf Riesen wurden erschlagen.

Da sank der Zwergenkönig auf die Knie und bat nicht nur um sein Leben, sondern auch um das Leben seines übrig gebliebenen Zwergenvolkes. Erst als die schöne Künhilde um das Leben Laurins und seines Volkes bat und auch Dietleib sich der Bitte seiner Schwester anschloss, ließen die Fürsten von dem wilden Streite ab. Sintram, ein treuer Zwerg, wurde von den Recken als König der Zwerge eingesetzt. Der Zwergenkönig Laurin aber wurde gefangen und von den Fürsten nach Bern mitgenommen. Künhilde bat Dietrich von Bern um Milde für Laurin, den Zwergenkönig. Als sie sich von Laurin verabschiedete, weinte er bitterlich und schrie auf vor Schmerz über den Verlust der jungen, schönen Fürstentochter Künhilde. Künhilde aber kehrte mit ihrem Bruder Dietleib heim zur Burg Steyr, wo die auf so rätselhafte Weise verschwundene Fürstentochter von ihrem Vater Biterolf und ihrer Mutter Dietlinde mit Freuden empfangen wurde. So die altdeutsche Sage von der Künhilde, dem Zwergenkönig Laurin, dem Fürsten Biterolf und der Burg zu Steyr.