Red Angel

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Frank Wendland

Red Angel

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Alte Wunden

Marta

Ewiger Kampf

Larisza

Frau Thomacz Geheimnis

Impressum neobooks

Alte Wunden
Alte Wunden

Es war ein mehr als beklemmendes Gefühl gewesen, vor ihr zu stehen und sich an das zu erinnern,

was vor sechs Jahren geschehen war.

Damals waren Tanja Thomacz und er spinnefeind gewesen. Nun hatten ihre Wege sich erneut

gekreuzt. Und ebenso wie er hatte sie nichts vergeben und vergessen. Er las es in ihrem Blick, als er

die Tür zu ihrem Büro geöffnet hatte, um einzutreten.

Sie erkannte ihn erst auf den zweiten Blick, ihn jedoch hatte schon der Name an alles erinnert, was

gewesen war. Aber war sie noch dieselbe Frau ?

„Guten Tag, Herr Ronis“, sagte sie, als er ihr Büro betreten hatte. Sie stand auf, ging auf ihn zu und

reichte ihm die Hand. Professionell und business- like. Ihm, Robert, waren im Laufe der letzten Jahre

sicherlich nicht weniger Menschen begegnet, wie ihr. Seit er gemeinsam mit Tanja vor sechs Jahren

die Abschlussprüfung an der IHK zu Köln bestanden hatte, hatte er sich hochgearbeitet und

repräsentierte nun seinen Arbeitgeber – auch ihr gegenüber.

So schob er die dunklen Gedanken beiseite, erwiderte den Händedruck und hielt sich an die Regeln,

die im Kaufmannsberuf eben keinen Unterschied zwischen Freund und Feind zuließen.

„Guten Tag, Frau Thomacz. Ich freue mich, dass Sie so schnell Zeit gefunden haben, sich unseres

Anliegens anzunehmen.“

„Die Firma Heklon ist stets an guten Angeboten interessiert.“

„Und wir sind stets bemüht, unseren Partnern solche zu präsentieren.“

„Nehmen Sie doch Platz und befriedigen Sie meine Neugier.“

Sie lächelte charmant und wandte sich um, um sich wieder an ihren Schreibtisch zu setzen. Robert

ließ seinen Blick durch das Büro schweifen und entdeckte den schwarzen Helm und die

Lederkombination, die auf dem Aktenschrank lagen.

„Bitte“, sagte sie und machte eine einladende Geste, indem sie auf den Ledersessel deutete, der vor

ihrem Schreibtisch stand. Er widerstand dem Drang, sie zu fragen, ob sie sich nicht endlich vertragen

sollten ? Aber machte das Sinn ? Hatte sie nicht alles längst vergessen ? Er nicht. Und es war auch

nicht an der Zeit, darüber nachzudenken.

Er setzte sich in den Sessel und öffnete seinen Aktenkoffer. Währenddessen schaute sie auf den

Monitor und suchte offensichtlich nach der Offerte, die er an die Firma Heklon gesandt hatte und

aufgrund der er nun hier war. „Zum Teufel mit dem, was vergangen ist. Sie macht ihren Job, und du

machst deinen – nicht mehr und nicht weniger“, dachte er schließlich. Er würde ihr, der

Abteilungsleiterin, den Respekt zollen, der ihr gebührte und er würde das private und persönliche

wie immer zurückstellen, wenn er seinen Job machte… .

„Du hast dich kaum verändert.“

Ihre Worte lösten eine Mischung aus Wut und Reue aus, doch er verbarg sie.

„Ich denke, dass die Zeit jeden formt, Frau Thomacz – Tanja.“

Er hatte es getan. Und als ihr Blick ihn traf, war alles wieder so, wie damals, als ihre Wege sich

getrennt hatten. Ein Jahr lang hatten sie nicht miteinander gesprochen, waren sich aus dem Weg

gegangen.

„Du bist weit gekommen“, sagte sie. Und er las etwas in ihren graublauen Augen, dass er in den

Tagen, als sie Schulfreunde gewesen waren, nur selten gesehen hatte. Angst.

„Dank dir. Es war damals überhaupt nicht fair, was du getan hast, aber es war eine nützliche

Erfahrung. Ohne Respekt und eine gehörige Portion Vorsicht im Umgang mit Kollegen und

Vorgesetzten kommt man nicht weit.“

„Das hast du gut erkannt.“

„Aber mich hättest Du nicht zu fürchten brauchen. Und ich bin dir nicht aus dem Weg gegangen, weil

Du mich wegen Nachstellung angezeigt und dich bei der Schulleitung beschwert hast, sondern weil

ich dich verstanden und eben respektiert habe.“

„Du hast nie verstanden, wie ich mich gefühlte habe.“

„Ich habe dich gemocht. Ducati ?.“ Er deutete auf den Helm und die Lederkombination.

„Ist es dir peinlich ?“

„Ich habe es ewig bereut, ich denke, das weißt du.“

„Intruder.“

Die hat dir schon damals gefallen.

„Es tut mir leid. Ich war ein Miststück.“

„Schwamm drüber.“

„Hast du diesen alten, klapprigen Roller noch ?“

„Für eine 1000er Fazer hat es mittlerweile gereicht.“

„Wow, gratuliere“.

„Alles hart erarbeitet. Aber genug davon. Wir sind wohl beide dort angekommen, wohin wir gewollt

haben.“

„Bist du verheiratet ?“

„Seit drei Jahren.“

„Ich nicht mehr. Aber du hast Recht – genug davon.“

„Du hast dich verändert.“

„Das Leben ändert uns alle“, sagte sie bitter und schaute auf das Foto auf ihrem Schreibtisch.

„Sie war schon damals dein Ein- und Alles. Sympathisches Lächeln. Wie geht es ihr ?“, rutschte es

Robert heraus, als er das Foto betrachtete, dass Tanja Thomacz gemeinsam mit einer jungen Frau im

Teenageralter zeigte. Ihre Tochter Mareen, die schon damals allzu oft genau das Gegenteil von dem

tat, was ihre Mutter für richtig hielt.

„Kommen wir zur Sache Herr Ronis, wir sind neugierig auf Ihr Angebot.“

Die Besprechung zog sich über mehr als eine Stunde und Robert erkannte, dass Tanja Thomacz sich

nicht in den Grundzügen ihres Charakters verändert hatte. Als Verhandlungspartnerin war sie zäh,

wenig kompromissbereit und ließ sich schwer überzeugen. Aber wenn es jemanden gab, der ein

Stück von ihr kannte, das sie gern verbarg, war es Robert. Tanja Thomacz hatte Angst. Sie war schon

vor Jahren ein Angst-Mensch gewesen, wie er es ausdrücken würde.

Ihm selbst hatte diese Eigenschaft zu damaliger Zeit eine gehörige Portion Ärger eingebracht.

Dennoch empfand er ihr gegenüber jetzt dasselbe, was er schon vor sechs Jahren empfunden hatte –

Mitleid.

Als er sie verließ, war der Vertrag abgeschlossen und der Job war erledigt. Seine Vorgesetzten

konnten zufrieden sein. Tanja Thomacz ebenso, denn er hatte den Spielraum, den man ihm zur

Verfügung gestellt hatte, voll ausgereizt – im Sinne der Firma Heklon.

Er würde zu seinem Wagen gehen und in den wohlverdienten Feierabend starten, denn es war

bereits nach 16:00 Uhr.

Als er in den Audi einstieg, schlug ihm die Hitze entgegen, die sich im Innenraum entwickelt hatte,

während er mit Tanja Thomacz verhandelt hatte. Er öffnete die Fenster aller Türen und rief seine

Frau an, nachdem er seine Krawatte und sein Sakko auf dem Beifahrersitz gelegt hatte. Sandra würde

auch heute mit dem Essen auf ihn warten, denn der Feierabendverkehr in Köln war wie immer – eine

Geduldsprobe für jeden Autofahrer.

Während er mit seiner Frau sprach, sah er auch Tanja Thomacz, die in ihrer Lederkombination nun

das Firmengebäude verließ. Sie sah ihn kurz an und folgte dann dem Fußweg, der um das

Firmengelände herumführte.

„Schatz, ich fahre in einer Viertelstunde los. Jetzt im Moment startet jeder in den Feierabend, da hat

es keinen Sinn. Bis später.“

Die Viertelstunde machte praktisch wenig aus, der Feierabendverkehr würde erst in fast einer Stunde

wieder nachlassen. Hier und jetzt aber wollte Robert ein altes Kapitel in seinem Leben endgültig

beenden, dass ihn nie ganz losgelassen hatte. Sie hatten sich nie vertragen, sich nie vergeben. Er ging

ihr nach – folgte dem Fußweg, passierte eine recht hohe Hecke und hinter dieser stand Tanjas Suzuki

Intruder.

Eine Augenweide für jeden Motorradfan. Tanja hatte sich an den Fahrersitz gelehnt, hielt den

Motorradhelm in der linken Hand und die rechte vor ihr Gesicht. Robert hatte vor sechs Jahren oft

Wut auf sie empfunden, wenn sie gemeinsam mit anderen Umschülern über ihn hergezogen hatte.

Nun aber bot sich ihm ein Anblick, den selbst ein grausamer Mensch nicht als Genugtuung hätte

empfinden können. Tanja Thomacz, die zielstrebige Karrierefrau, weinte hemmungslos.

Er überlegte, ob er sich zum Gehen wenden sollte. Was verband sie noch nach all den Jahren, außer

einer Erinnerung an Vergangenes, dass im Grunde längst keine Bedeutung mehr hatte. Sie war doch

 

diejenige gewesen, die sich damals gegen seine Versuche gesträubt hatte, sie unterstütze zu wollen.

Sie war diejenige, die mit einer Beschwerde reagiert hatte, weil er die Absicht hatte, sie bei ihren

damals noch schlechten Fähigkeiten in Handelsenglisch und dem formulieren von Geschäftsbriefen in

deutscher Sprache zu unterstützen.

Aber er würde ihr zeigen, dass er sich in diesem Punkt nicht geändert hatte – nicht, wenn es um sie

ging. Noch bevor sie ihn bemerkte, bevor ihr wütender Blick sie traf und bevor sie ihn anfuhr, was er

von ihr wolle, hatte er eine Visitenkarte aus der Brusttasche seines Hemdes gezogen. Er trat an sie

heran, legte die Karte wortlos auf den Sitz der Intruder neben sie und ging.

„Musst du nicht heim zu Deiner Frau ?“, rief sie ihm nach.

„Bei dem Verkehr spielt es keine Rolle, ob ich jetzt fahre, oder erst in einer halben Stunde. Aber keine

Sorge, ich werde dich nicht belästigen.“

Erst jetzt wurde Robert bewusst, dass die Fenster des Audi noch immer geöffnet waren. Doch der

Moment, in dem er abwesend gewesen war, hatte kein Risiko dargestellt. Bei der Firma Heklon

wurde bis 16:30 Uhr gearbeitet. Bis zu diesem Zeitpunkt würde er Tanja Thomacz und alles, was

damals gewesen war, hinter sich gelassen haben. Jedenfalls hatte er diesen Gedanken gefasst, als er

den Motor des Audi startete und den Heimweg antrat.

Marta
Es wirkte von außen wie eine gewöhnliche Eckkneipe, die an einer Straßenbiegung mitten in der City

lag.

Und als Ronja die schwere Holztür geöffnet hatte und den Schankraum betrat, erhielt sie keinen

anderen Eindruck. Der recht lange Tresen erstreckte sich über gut sechs Meter entlang der

Längswand und die hübsche Brünette, die sie begrüßte, war sicherlich eine Studentin oder Hausfrau,

die etwas dazuverdienen wollte. Sie begrüßte sie mit einem freundlichen Lächeln und wandte sich

sogleich wieder dem Grund zu, warum Ronja sich hier wohl fühlte. Das „RedCloud“ war eines der

saubersten und aufgeräumtesten Lokale, das sie je betreten hatte. Vielleicht war Marta auch als

Putzfrau engagiert und würde gleich gehen.

Auf jeden Fall war Ronja der einzige Gast und sie vermutete, dass dies auch so bleiben würde. Wer

ging schon um 15 Uhr in eine Kneipe ?

„Einen Kaffee ? Du siehst nicht so aus, als ob Du Bier am Nachmittag trinkst.“

„Gern“, antwortete Ronja, während sie sich auf einen der Barhocker setzte. Sie war erstaunt. Martas

Stimme wirkte noch weniger passend zu dem, was Ronja über das „RedCloud“ gehört hatte. Sie

schätzte die ihr Gegenüber auf höchstes 25 Jahre und dem Akzent nach stammte sie von

irgendwoher aus Osteuropa. Aber das wiederum war ein Indiz dafür, dass die Spur, die sie verfolgte,

eben keine Sackgasse war, denn „Red Angel“ stammte ebenfalls aus Osteuropa.

„Verrätst du mir deinen Namen ?“ fragte Ronja jetzt, um einen „icebreaker“ zu finden.

„Ich bin Marta. Milch und Zucker zum Kaffee ?“

„Ja bitte“, antwortete Ronja höflich, während sie sich im Gastraum umschaute. Dort drüben, vor der

Fensterreihe waren Musikinstrumente, Verstärker und ein Mischpult aufgebaut. Es hatte den

Anschein, dass es im „RedCloud“ Livemusik gab.

„Singst du ?“

Marta schüttelte den Kopf und verzog die Lippen zu einem schüchtern wirkenden Lächeln. „Wenn ich

singe, fliehen die Mäuse aus dem Bierkeller. Die Jungs machen den Job besser. Wenn du Bock hast,

kannst du um 20 Uhr wiederkommen, dann ist hier viel mehr los.“

„Ich suche einen Job. Darum fragte ich.“

„Bist du Sängerin ?“ Marta stellte ihr diese Frage in einer Art, die von aufrichtiger Neugier zeugte.

Ronja hatte vor Jahren in einer Band gesungen, allerdings eher Popsongs und mehr just forfun.

Dennoch überlegte sie, ob Martas Interesse bedeuten konnte, dass sie auf ihrer Suche nach Red

Angel einen Schritt würde weiterkommen können.

„Ich kann es ja einmal versuchen. Sag´ mal, kennst du noch andere Möglichkeiten, Geld zu verdienen

? Nicht unbedingt mit dem, was du machst…. .“

Für den Bruchteil einer Sekunde nahm Ronja in Martas Augen einen seltsamen Glanz wahr. Dann

verzog sie ihren Mund abermals zu einem schüchternen Lächeln.

„Ich kann mal fragen. Sei einfach um 20 Uhr wieder hier, dann sind Rick und die Jungs auch da.“

Während sie diese Worte sprach, wandte Marta sich um und begann, die Gläser zu sortieren, die

hinter ihr in einem Regal standen. Ronja wertete diese Geste als Indiz dafür, dass Marta sich aus

etwas heraushielt, und den Grund dafür sehr gut kannte. Sie gab einen Schuss Milch in ihren Kaffee

und während sie ihn umrührte, glitt ihr Blick an Marta herab. Sie war beneidenswert schlank und

könnte, so Ronjas Einschätzung, wesentlich mehr Geld verdienen, wenn sie als Model arbeiten

würde. Aber das kam sicher für Marta ebenso wenig in Frage, wie für sie selbst.

„Lass einfach mal was von dir hören“, sagte Marta. Dann ging sie zu den Instrumenten, ergriff den EBass

und begann zu spielen. Ronja erkannte die Melodie sofort. Und die Klänge reizten sie – Black

Velvet.

Allanah hatte damals ihr One-hit-wonder mit diesem Song gehabt – war danach in ihrer Heimat ein

Star geworden. Ronja verzichtete auf das Mikrofon und sang den Text. Ohne Drums und die übrige

Begleitung machte es wenig Sinn, sich viel Mühe zu geben, aber Martas Lächeln spornte sie an.

„Black Velvet and a little boy smiles….. “ sie sangen den Refrain gemeinsam.

„Du singst nicht übel. Hast nicht das Rauchige von ihr in der Stimme, aber du triffst die Töne.“

„Danke“, antwortete Ronja knapp und trank einen aus ihrer Kaffeetasse.

„Was hast du bisher beruflich gemacht ?“, fragte Marta sie nun.

„Dies und das“, wich Ronja der Frage aus. Sie hatte Martas Blick auf ihre Handtasche bemerkt. Und

nun lag ein anderer Glanz in Martas Augen, während sie vor Ronja stand und sie misstraurisch ansah.

Martas nackte Füße steckten in flachen Schuhen und sie schlüpfte nun aus dem Rechten und trat

neben Ronja an den Tresen. Sie versuchte, den Blickkontakt zu Ronja aufrecht zu erhalten, doch die

bemerkte, dass Marta mit ihrer Fußsohle Ronjas Handtasche abtastete.

„Schönheit braucht Vorsicht – ich denke, du kennst das Problem“, sagte Ronja, als Marta den

kurzläufigen Revolver ertastet hatte.

„Bist du ´n Bulle ?“

„Einfach nur vorsichtig.“

„OK. Der Kaffee geht auf´s Haus.“

Ronja verstand. Sie sollte verschwinden. Aber das stellte kein Problem für sie dar. Sie hatte erfahren,

was sie erfahren wollte. Ronny hatte Recht gehabt – hier geschah etwas, dass nicht jeder wissen

sollte und durfte. Und Marta war im Bilde.

„Wenn du heute Abend wiederkommst, lass das Ding zu Hause. Das brauchst du hier nicht.“

„OK. Bis dann.“

Ronja trank den letzten Schluck Kaffee aus der Tasse, nahm ihre Handtasche auf und ging.

Sie ging die Straße hinab, vorbei an einem Second-hand-Laden und einem Imbiss, dann blieb sie vor

dem Schaufenster einer Parfümerie stehen und beobachtete durch die Spiegelung im Glas, was sich

hinter ihr abspielte. Es schien ihr niemand zu folgen. Das Telefonat mit ihrer Auftraggeberin würde

sie dennoch nicht in der Öffentlichkeit führen. Ein harmlos wirkender Gang zum Bankautomaten war

im Moment angebrachter. Hier würde sie Ronny kontaktieren und Weiteres mit ihm absprechen. In

die Nähe von Überwachungskameras würde sich niemand trauen, der etwas zu verbergen hatte.

„Ronny ?“

„Oh, hi Baby. Hattest du Erfolg im Cloud ?“

„So la la.“

„Probleme ?“

„Hast du schon etwas von einer Marta gehört ?“

„Ah, die kleine Ungarin. Bei der musst du vorsichtig sein. Die ist raffiniert.“

„Das habe ich bemerkt. Sie hat meine 38.er in meiner Handtasche lokalisiert. Mit den Zehenspitzen.“

Ronnys Lachen ärgerte Ronja. Aber es half nichts. Mareens Leben hing mehr oder weniger von ihrem

Erfolg ab. Und für den, das war Ronja bewusst geworden, würde sie wieder einmal alle Register

ziehen müssen. Sie erinnerte sich an ihre Jagd auf die Diebin Larisza, die sie bis nach Ungarn

verschlagen hatte und von der sie mit leeren Händen zurückgekehrt war. Das sollte ihr nicht noch

einmal passieren.

„Du sagst, sie stammt aus Ungarn.“

„Yes, Madam.“

„Was weißt du über sie ?“

„Genug, um dich vor ihr zu warnen. Sie ist zwar jung und zierlich, aber sie ist schlau, berechnend und

mit allen Wassern gewaschen. Und ziemlich heißblütig.“

„Wow, dann hat sie ihre Rolle gut gespielt.“

„Gefällt sie dir ?“

Ronja empfand diese Frage als unangenehm. Schon oft hatte sie, seit sie sich für ein Leben als

Privatdetektivin entschieden hatte, ihre Reize ausgespielt, um sich Zutritt zu Clubs zu verschaffen

oder Männer dazu zu bringen, ihr gefällig zu sein. Ihre bisexuelle Neigung aber verbarg sie gern, denn

trotz der unvergesslichen Momente, die sie mit Stella erlebt hatte, empfand sie noch immer eine

gewisse Scham, wenn es darum ging, zu ihrer Leidenschaft für Frauen zu stehen. Ronny jedoch war

dies natürlich egal. Er war die Sorte Mann, mit dem sie ohne Bedenken ein Campingwochenende in

der Wildnis verbringen konnte, ohne fürchten zu müssen, dass er Hand an sie legte. Denn Ronnys

Herz schlug für einen Mann und es mochte sein Wissen über Ronjas Neigung sein, das ein Band

zwischen ihnen geflochten hatte, dass schon seit Jahren hielt – komme was da wolle.

„Denkst du, dass sie empfänglich wäre ?“

Ronnys amüsiertes Lachen sprach Bände. Und Ronja gestand sich ein, dass sie ein gewisses Kribbeln

empfunden hatte, als Marta hinter dem Tresen hervorgekommen war und sich den Bass umgehängt

hatte.

„Ich werde heute um 20 Uhr wieder dorthin gehen. Vielleicht wäre es gut, wenn auch du dorthin

kämest. Im Moment hält mich Marta für eine verdeckte Ermittlerin der Kripo.“

„Das ist kein Ort für mich. Die mögen dort keine Schwulen.“

„Das brauchst du denen doch nicht zu zeigen.“

„Das funktioniert nicht. Außerdem kann mir dort sehr leicht jemand begegnen, der mich erkennt.“

„Hm. Also wie sonst ?“

„Überlege einmal. Was würde Stella tun ?“

Stella. Ronny traf sie wieder einmal an ihrem wundesten Punkt. Ronja vermisste sie noch immer,

obwohl Stella seit mittlerweile drei Jahren in Australien lebte, ihre Leidenschaft, das Tauchen zum

Beruf gemacht hatte, geheiratet hatte und Mutter einen kleinen Mädchens war. Ohne Stella wäre

Ronja nicht die Frau, die sie jetzt ist – nein, sie wäre nicht einmal mehr am Leben.

„Du schweigst sehr lange. Hast du noch etwas von ihr gehört ?“

„Wir skypen ab und zu. Aber unsere gemeinsamen Jahre sind vorbei. Sie ist glücklich und das ist die

Hauptsache.“

„Was hast du entschieden ?“

„Ich bin unsicher. Bisher hatte ich mit Rockern nie zu tun.“

„Einmal ist keinmal – zweimal ist einmal zuviel.“

„Ich denke, ich habe den ersten Fehler schon gemacht.“

„Mach dir keine Sorgen. Marta fürchtet sich nicht vor Schusswaffen – im Gegenteil. Sie jagt selbst

gern ein paar Bohnen durchs Dickicht, wie man im Cloud sagen würde.“

„Sie schießt?“

Zumindest hat man sie schon auf dem Schießstand in Düren gesehen. Mit einer P226. Die Sig Sauer

P226 ist schließlich auch in ihrer Lieblingsserie zu sehen – Navy CIS.

„Jetzt wo du es sagst – sie erinnert mich ein wenig an die Jüdin aus dieser Fernsehserie. Sie hatte ihr

Haar so getragen, wie sie.“

„Das hast du gut erkannt. Ich denke, ihr werdet euch gut verstehen.“

„Danke für die Infos. Grüß Stefan von mir. Ciao“.

Ronja beendete das Telefonat ohne Ronny nochmals zu Wort kommen zu lassen. Dort draußen vor

 

der Bank, in der sie sich aufhielt, stand ein Mann und schien sie zu beobachten. Er sag keineswegs

wie ein Motorradfahrer aus, aber seine Körperhaltung verriet einiges an Anspannung und er

betrachtete sie aufmerksam.

Sie holte ihre Kontokarte wieder hervor und trat an den Kontoauszugdrucker. Sie war keine Kundin

dieser Bank und so konnte sie lediglich die Karte zurückerhalten mit dem Hinweis, dass diese

institutsfremd sei. Der Anschein jedoch war gewahrt und der Mann schlenderte weiter. Ob sie ihn am

Abend wiedersehen würde, wusste sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Wohl aber war ihr klar

geworden, dass ihr eine schwierige Aufgabe bevorstand. Sie verfluchte den Tag, als sie das Angebot

ihrer jetzigen Auftraggeberin angenommen hatte. Aber was war ihr übrig geblieben ? Sie war restlos

pleite gewesen und die missglückte Jagd auf Larisza kratzte an ihrem Selbstwertgefühl. So hatte sie

sich keine Gedanken darüber gemacht, dass ihre Auftraggeberin vielleicht schon 10 andere

Privatdetektive kontaktiert, und diese den Auftrag abgelehnt hatten, weil er schlicht zu riskant war.

Tanja Thomacz hatte eine Tochter Mareen, die kaum jünger war, als Ronja selbst.

Und die war, ebenso wie ihr Vater der Leidenschaft für das Motorradfahren erlegen. Der Club, in

dem ihr Vater Präsident war, hieß Liegedeeler – was auch immer das Bedeuten mochte. Und

aufgrund irgendwelcher Rivalitäten waren die Liegedeeler mit den Jaws verfeindet. Red Angel hatte

ein Wettrennen gegen den Präsidenten der Jaws verloren und ihr Wetteinsatz war es, dass sie nun

einen Auftrag auszuführen hatte, ohne ihn ablehnen und ohne die Hintergründe hinterfragen zu

dürfen. Und wie ein anonymer Anruf an Frau Thomacz belegte, bestand dieser Auftrag darin, ihre

Tochter umzubringen.

Natürlich hatte ihr Ex-Mann, von dem Frau Thomacz seit Jahren nichts mehr hielt, sich bemüht, seine

Tochter zu schützen. Dennoch lag Mareen jetzt nach einem Motorradunfall im Krankenhaus. Und

eine Untersuchung ihres Motorrades hatte ergeben, dass die Bremsanlage manipuliert worden war.

Und Frau Thomacz war überzeugt davon, dass eben diese mysteriöse Person, die Red Angel genannt

wurde, dafür verantwortlich war. Anfangs hatte Ronja den Job für eine einfache Observation

gehalten. Illegale Straßenrennen gab es in Köln immer wieder. Aber seit sie über Ronny von denen

erfahren hatte, die an der Sache beteiligt waren, schien ihr Auftrag täglich komplizierter und

brisanter zu werden.

Was würde Stella tun, hatte Ronny sie gefragt. Ronja kannte die Antwort ebenso gut, wie Ronny sie

kannte – Stella würde sich verwegen in dieses Abenteuer stürzen – zur Not ein Wurfmesser unter

dem Lederminirock im Strumpfband tragen und alles als eine Art herausforderndes Spiel empfinden.

Zumindest hätte sie diese Einstellung vor drei Jahren gehabt. Aber auch Stella war reifer und

besonnener geworden und nun, da sie ihr Baby hatte, würde sie Ronja wahrscheinlich davon

abraten, den Auftrag zu verfolgen.

Aber ein Zurück gab es nicht – sie hatte die Verantwortung für das Leben eines Menschen

übernommen und würde sich nicht vor ihr drücken – komme was da wolle. Es war an der Zeit, diesen

Menschen einmal kennenzulernen.

„Mich hat´s schon mal so weggehauen, damals in Daytona. Hatte meine Freundin besucht. Du kennst

vielleicht das Biker-Event, das dort jedes Jahr stattfindet. Meine eigene Maschine konnte ich

natürlich nicht mitnehmen, also hab´ ich mir da drüben so eine Krücke geliehen. Die hatte gerade

mal 400 Kubik.“

„Was ist passiert, wenn ich mir die Frage erlauben darf ?“

Mareen schüttelte die langen, schwarzen Locken und schmunzelte. Sie hatte sich in ihrem

Krankenbett aufgesetzt um sich mit Ronja zu unterhalten. Für eine Frau, die einen schweren Sturz

hinter sich hatte, war sie in bemerkenswert guter Verfassung. Ronja bewunderte sie dafür.

„Brauchst die Förmlichkeiten bei mir nicht. Ich bin nicht meine Mutter. Also ich fuhr mit der

Leihmühle und plötzlich platzte in einer Linkskurve der hintere Reifen. Keine Ahnung ob der

beschädigt oder einfach Billigplunder aus China war. Jedenfalls konnte ich mich nicht rechtzeitig

abstoßen und das Bike ist auf mich draufgefallen. Hat mir zwei Rippen gebrochen und meine

Wirbelsäule wurde verletzt. Hab damals einige Zeit im Rollstuhl verbracht.“

„Wow. Und du fährst noch immer gern Motorrad ?“

„Ich bin damit aufgewachsen. Musst meinem Daddy die Schuld geben.“

„Und der Unfall, den du jetzt hattest ändert sicher auch nichts daran ?“

„Wenn du eine angesägte Bremsleitung als Unfall darstellen willst….. .“

Nein, das wollte Ronja nicht. Sie mochte Mareen, aber diese junge Frau strahlte auch etwas aus, das

sie nervös machte, wenn sie daran dachte, dass es ihr Job war, sie zu schützen. Mareen war das, was

man einen kaltblütigen Draufgänger nennen musste. Sie war, so wie Ronja sie empfand, der

personifizierte Trotz und der selbsternannte Gegenpol zu Regeln und Zwängen. So wie Stella, als sie

sich kennengelernt hatten.

„Deine Mutter macht sich Sorgen um dich.“

„Na sicher“, stieß Mareen verächtlich hervor, bevor sie das Gesicht verzog. Die angebrochenen

Rippen hinderten sie daran, ihr Temperament zu entfalten, von dem sie zweifellos einiges besaß.

„Warum bezweifelst du das ?“

„Weil es immer nur einen Menschen in ihrem Leben gegeben hat, der ihr wichtig war und an dessen

Glück ihr etwas liegt – sie selbst ! Wenn sie dir den Auftrag gab, den Wachhund für mich zu spielen,

dann nur, um ihr Gewissen zu beruhigen und die Verantwortung wieder mal jemand anderem zu

geben.“

„Bist du da nicht zu hart ?“

Mareens stahlblaue Augen wurden feucht und für einen kurzen Moment glaubte Ronja, eine bitter

enttäuschte 15-jährige vor sich zu haben. Nun neigte sie den Kopf nach vorn und verbarg so ihr

Gesicht vor Ronja.

„Alles o.k. ?“

„Schon gut. Wird noch ein paar Tage dauern, bis die Rippen wieder ganz sind.“

„Ich lasse dich mal allein. Ruh´ dich aus. Danke für das Gespräch.“

„Ja – ciao. Und pass auf dich auf wenn du ins Cloud gehst – mit den Jaws ist nicht gut Kirschen

essen.“

Ronja verließ das Krankenzimmer und schloss mit ernster Miene die Tür hinter sich. Sie war erst

gegen 15 Uhr zum ersten Mal überhaupt im „RedCloud“ gewesen, das war vor knapp drei Stunden.

Aber Mareen schien davon zu wissen, jedenfalls gut genug, um eine Warnung für angebracht zu

halten. Vielleicht war es auch einfach nur das Erlebte, dassMareen so beeindruckte. Sie atmete tief

durch. Nein – allein würde sie diesen Auftrag niemals bewältigen, dafür fehlte ihr die Erfahrung. In

der Welt der kaltblütigen Draufgänger hatte sie bisher immer nur die zweite Geige gespielt, ob an

Stellas Seite, gegen Larisza, oder jetzt mit der toughenMareen als Schutzperson und ihrer Mutter als

Auftraggeberin.

Aber in derselben Sekunde wurde ihr auch bewusst, dass sie im Laufe der Zeit immer weiter

gegangen war, immer mehr Hemmungen und Dogmen hinter sich gelassen hatte. Vielleicht war jetzt,

genau jetzt, der Zeitpunkt gekommen, an dem sie sich zu dem bekennen würde, was sie in Wahrheit

war – nicht mehr und nicht weniger. Schön und harmlos, ein bisschen dämlich und ein bisschen

schüchtern würde sie sich geben. Und sie würde hoffen, dass ihre Sangeskünste noch nicht völlig

eingerostet waren. Sie ertastete in ihrer Handtasche die 38.er, die sie selbst hierher mitgenommen

hatte. Sie würde auf sie verzichten müssen. Und auf einiges mehr…. .

Es war kurz nach 20 Uhr, als Ronja zum zweiten Male an diesem Tag vor der Eingangstür des

„RedCloud“ stand. Der Sommertag neigte sich seinem Ende entgegen und es wurde langsam kühler,

auch wenn es noch taghell war. Sie atmete tief durch, denn der Lärm, der ihr durch das dicke

Eichenholz der Tür entgegendrang, löste eine gewisse Nervosität in ihr aus.

Und als sie den Schankraum betrat und die Blicke der meist männlichen Gäste sie trafen und an ihr

herabglitten, brauchte es den Blickkontakt zu Marta und eine anerkennende Geste von ihr, die ihr

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