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Frühlings Erwachen

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Sechste Szene

Bergmanns Garten im Morgensonnenglanz

Wendla

Warum hast du dich aus der Stube geschlichen? – Veilchen suchen! – Weil mich Mutter lächeln sieht. – Warum bringst du auch die Lippen nicht mehr zusammen? – Ich weiß nicht. – Ich weiß es ja nicht, ich finde nicht Worte …

Der Weg ist wie ein Pelücheteppich – kein Steinchen, kein Dorn. – Meine Füße berühren den Boden nicht … O, wie ich die Nacht geschlummert habe!

Hier standen sie. – Mir wird ernsthaft wie einer Nonne beim Abendmahl. – Süße Veilchen! – Ruhig, Mütterchen. Ich will mein Bußgewand anziehn. – Ach Gott, wenn jemand käme, dem ich um den Hals fallen und erzählen könnte!

Siebente Szene

Abenddämmerung. Der Himmel ist leicht bewölkt. Der Weg schlängelt sich durch niedres Gebüsch und Riedgras. In einiger Entfernung hört man den Fluß rauschen.

Moritz

Besser ist besser. – Ich passe nicht hinein. Mögen sie einander auf die Köpfe steigen. – Ich ziehe die Tür hinter mir zu und trete ins Freie. – Ich gebe nicht so viel darum, mich herumdrücken zu lassen.

Ich habe mich nicht aufgedrängt. Was soll ich mich jetzt aufdrängen! – Ich habe keinen Vertrag mit dem lieben Gott. Mag man die Sache drehen, wie man sie drehen will. Man hat mich gepreßt. – Meine Eltern mache ich nicht verantwortlich. Immerhin mußten sie auf das Schlimmste gefaßt sein. Sie waren alt genug, um zu wissen, was sie taten. Ich war ein Säugling, als ich zur Welt kam – sonst wär′ ich wohl auch noch so schlau gewesen, ein anderer zu werden. – Was soll ich dafür büßen, daß alle andern schon da waren!

Ich müßte ja auf den Kopf gefallen sein … macht mir jemand einen tollen Hund zum Geschenk, dann gebe ich ihm seinen tollen Hund zurück. Und will er seinen tollen Hund nicht zurücknehmen, dann bin ich menschlich und …

Ich müßte ja auf den Kopf gefallen sein!

Man wird ganz per Zufall geboren und sollte nicht nach reiflichster Überlegung – — – es ist zum Totschießen!

– Das Wetter zeigt sich wenigstens rücksichtsvoll. Den ganzen Tag sah es nach Regen aus und nun hat es sich doch gehalten. – Es herrscht eine seltene Ruhe in der Natur. Nirgends etwas Grelles, Aufreizendes. Himmel und Erde sind wie durchsichtiges Spinnewebe. Und dabei scheint sich alles so wohl zu fühlen. Die Landschaft ist lieblich wie eine Schlummermelodie – „schlafe, mein Prinzchen, schlaf ein“, wie Fräulein Snandulia sang. Schade, daß sie die Ellbogen ungraziös hält! – Am Cäcilienfest habe ich zum letzten Male getanzt. Snandulia tanzt nur mit Partien. Ihre Seidenrobe war hinten und vorn ausgeschnitten. Hinten bis auf den Taillengürtel und vorne bis zur Bewußtlosigkeit. – Ein Hemd kann sie nicht angehabt haben … – — – — – — – — – — – — —

– das wäre etwas, was mich noch fesseln könnte. – Mehr der Kuriosität halber. – Es muß ein sonderbares Empfinden sein – — ein Gefühl, als würde man über Stromschnellen gerissen – — – Ich werde es niemandem sagen, daß ich unverrichteter Sache wiederkehre. Ich werde so tun, als hätte ich alles das mitgemacht … Es hat etwas Beschämendes, Mensch gewesen zu sein, ohne das Menschlichste kennen gelernt zu haben. – Sie kommen aus Ägypten, verehrter Herr, und haben die Pyramiden nicht gesehn?!

Ich will heute nicht wieder weinen. Ich will nicht wieder an mein Begräbnis denken – — Melchior wird mir einen Kranz auf den Sarg legen. Pastor Kahlbauch wird meine Eltern trösten. Rektor Sonnenstich wird Beispiele aus der Geschichte zitieren. – Einen Grabstein werd′ ich ja wahrscheinlich nicht bekommen. Ich hätte mir eine schneeweiße Marmorurne auf schwarzem Syenitsockel gewünscht – ich werde sie ja gottlob nicht vermissen. Die Denkmäler sind für die Lebenden, nicht für die Toten.

Ich brauchte wohl ein Jahr, um in Gedanken von allem Abschied zu nehmen. Ich will nicht wieder weinen. Ich bin so froh, ohne Bitterkeit zurückblicken zu dürfen. Wie manchen schönen Abend ich mit Melchior verlebt habe! – unter den Uferweiden; beim Forsthaus; am Heerweg draußen, wo die fünf Linden stehen; auf dem Schloßberg, zwischen den lauschigen Trümmern der Runenburg – — – Wenn die Stunde gekommen, will ich aus Leibeskräften an Schlagsahne denken. Schlagsahne hält nicht auf. Sie stopft und hinterläßt dabei doch einen angenehmen Nachgeschmack … Auch die Menschen hatte ich mir unendlich schlimmer gedacht. Ich habe keinen gefunden, der nicht sein Bestes gewollt hätte. Ich habe manchen bemitleidet um meinetwillen.

Ich wandle zum Altar wie der Jüngling im alten Etrurien, dessen letztes Röcheln der Brüder Wohlergehen für das kommende Jahr erkauft. – Ich durchkoste Zug für Zug die geheimnisvollen Schauer der Loslösung. Ich schluchze vor Wehmut über mein Los. – — Das Leben hat mir die kalte Schulter gezeigt. Von drüben her sehe ich ernste freundliche Blicke winken: die kopflose Königin, die kopflose Königin – Mitgefühl, mich mit weichen Armen erwartend … Eure Gebote gelten für Unmündige; ich trage mein Freibillett in mir. Sinkt die Schale, dann flattert der Falter davon; das Trugbild geniert nicht mehr. – Ihr solltet kein tolles Spiel mit dem Schwindel treiben! Der Nebel zerrinnt; das Leben ist Geschmacksache.

Ilse

(in abgerissenen Kleidern, ein buntes Tuch um den Kopf, faßt ihn von rückwärts an der Schulter)

Was hast du verloren?

Moritz

Ilse?!

Ilse

Was suchst du hier?

Moritz

Was erschreckst du mich so?

Ilse

Was suchst du? – Was hast du verloren?

Moritz

Was erschreckst du mich denn so entsetzlich?

Ilse

Ich komme aus der Stadt. – Ich gehe nach Hause.

Moritz

Ich weiß nicht, was ich verloren habe.

Ilse

Dann hilft auch dein Suchen nichts.

Moritz

Sakerment, Sakerment!!

Ilse

Seit vier Tagen bin ich nicht zu Hause gewesen.

Moritz

– Lautlos wie eine Katze!

Ilse

Weil ich meine Ballschuhe anhabe. – Mutter wird Augen machen! – Komm bis an unser Haus mit!

Moritz

Wo hast du wieder herumgestrolcht?

Ilse

In der Priapia!

Moritz

Priapia?

Ilse

Bei Nohl, bei Fehrendorf, bei Padinsky, bei Lenz, Rank, Spühler – bei allen möglichen! – Kling, kling – die wird springen!

Moritz

Malen sie dich?

Ilse

Fehrendorf malt mich als Säulenheilige. Ich stehe auf einem korinthischen Kapitäl. Fehrendorf, sag′ ich dir, ist eine verhauene Nudel. Das letzte Mal zertrat ich ihm eine Tube. Er wischt mir die Pinsel ins Haar. Ich versetze ihm eine Ohrfeige. Er wirft mir die Palette an den Kopf. Ich werfe die Staffelei um. Er mit dem Malstock hinter mir drein über Divan, Tische, Stühle, ringsum durchs Atelier. Hinterm Ofen lag eine Skizze: – Brav sein, oder ich zerreiße sie! – Er schwor Amnestie und hat mich dann schließlich noch schrecklich – schrecklich, sag′ ich dir – abgeküßt.

Moritz

Wo übernachtest du, wenn du in der Stadt bleibst?

Ilse

Gestern waren wir bei Nohl – vorgestern bei Bojokewitsch – am Sonntag bei Oikonomopulos. Bei Padinsky gab′s Sekt. Valabregez hatte seinen Pestkranken verkauft. Adolar trank aus dem Aschenbecher. Lenz sang die Kindsmörderin, und Adolar schlug die Guitarre krumm. Ich war so betrunken, daß sie mich zu Bett bringen mußten. – — Du gehst immer noch zur Schule, Moritz?

Moritz

Nein, nein … dieses Quartal nehme ich meine Entlassung.

Ilse

Du hast Recht. Ach, wie die Zeit vergeht, wenn man Geld verdient! – Weißt du noch, wie wir Räuber spielten? – Wendla Bergmann und du und ich und die Andern, wenn ihr abends herauskamt und kuhwarme Ziegenmilch bei uns trankt? – Was macht Wendla? Ich sah sie noch bei der Überschwemmung. – Was macht Melchi Gabor? – Schaut er noch so tiefsinnig drein? – In der Singstunde standen wir einander gegenüber.

Moritz

Er philosophiert.

Ilse

Wendla war derweil bei uns und hat der Mutter Eingemachtes gebracht. Ich saß den Tag bei Isidor Landauer. Er braucht mich zur heiligen Maria, Mutter Gottes, mit dem Christuskind. Er ist ein Tropf und widerlich. Hu, wie ein Wetterhahn! – Hast du Katzenjammer?

Moritz

Von gestern Abend! – Wir haben wie Nilpferde gezecht. Um fünf Uhr wankt′ ich nach Hause.

Ilse

Man braucht dich nur anzusehn. – Waren Mädchen dabei?

Moritz

Arabella, die Biernymphe, Andalusierin! – Der Wirt ließ uns Alle die ganze Nacht durch mit ihr allein.

Ilse

Man braucht dich nur anzusehen, Moritz! – Ich kenne keinen Katzenjammer. Vergangenen Karneval kam ich drei Tage und drei Nächte in kein Bett und nicht aus den Kleidern. Von der Redoute ins Café, Mittags in Bellavista, Abends Tingl-Tangl, Nachts zur Redoute. Lena war dabei und die dicke Viola. – In der dritten Nacht fand mich Heinrich.

Moritz

Hatte er dich denn gesucht?

Ilse

Er war über meinen Arm gestolpert. Ich lag bewußtlos im Straßenschnee. – Darauf kam ich zu ihm hin. Vierzehn Tage verließ ich seine Behausung nicht – eine gräuliche Zeit! – Morgens mußte ich seinen persischen Schlafrock überwerfen und abends in schwarzem Pagenkostüm durchs Zimmer gehn; an Hals, an Knien und Ärmeln weiße Spitzenaufschläge. Täglich photographierte er mich in anderem Arrangement – einmal auf der Sofalehne als Ariadne, einmal als Leda, einmal als Ganymed, einmal auf allen Vieren als weiblichen Nebuchod-Nosor. Dabei schwärmte er von Umbringen, von Erschießen, Selbstmord und Kohlendampf. Frühmorgens nahm er eine Pistole ins Bett, lud sie voll Spitzkugeln und setzte sie mir auf die Brust: Ein Zwinkern, so drück′ ich! – O, er hätte gedrückt, Moritz; er hätte gedrückt! – Dann nahm er das Dings in den Mund wie ein Pusterohr. Das wecke den Selbsterhaltungstrieb. Und dann – Brrrr – die Kugel wäre mir durchs Rückgrat gegangen.

 
Moritz

Lebt Heinrich noch?

Ilse

Was weiß ich! – Über dem Bett war ein Deckenspiegel im Plafond eingelassen. Das Kabinet schien turmhoch und hell wie ein Opernhaus. Man sah sich leibhaftig vom Himmel herunterhängen. Grauenvoll habe ich die Nächte geträumt. – Gott, o Gott, wenn es erst wieder Tag würde! – Gute Nacht, Ilse. Wenn du schläfst, bist du zum Morden schön!

Moritz

Lebt dieser Heinrich noch?

Ilse

So Gott will, nicht! – Wie er eines Tages Absynth holt, werfe ich den Mantel um und schleiche mich auf die Straße. Der Fasching war aus; die Polizei fängt mich ab; was ich in Mannskleidern wolle? – Sie brachten mich zur Hauptwache. Da kamen Nohl, Fehrendorf, Padinsky, Spühler, Oikonomopulos, die ganze Priapia, und bürgten für mich. Im Fiaker transportierten sie mich auf Adolars Atelier. Seither bin ich der Horde treu. Fehrendorf ist ein Affe, Nohl ist ein Schwein, Bojokewitsch ein Uhu, Loison eine Hyäne, Oikonomopulos ein Kameel – darum lieb′ ich sie doch Einen wie den Andern und möchte mich an sonst niemand hängen, und wenn die Welt voll Erzengel und Millionäre wär′!

Moritz

– Ich muß zurück, Ilse.

Ilse

Komm bis an unser Haus mit!

Moritz

– Wozu? – Wozu? —

Ilse

Kuhwarme Ziegenmilch trinken! – Ich will dir Locken brennen und dir ein Glöcklein um den Hals hängen. – Wir haben auch noch ein Hü-Pferdchen, mit dem du spielen kannst.

Moritz

Ich muß zurück. – Ich habe noch die Sassaniden, die Bergpredigt und das Parallelepipedon auf dem Gewissen. – Gute Nacht, Ilse!

Ilse

Schlummre süß! … Geht ihr wohl noch zum Wigwam hinunter, wo Melchi Gabor mein Tomahawk begrub? – Brrr! Bis es an euch kommt, lieg′ ich im Kehricht. (Eilt davon.)

Moritz (allein)

– — – Ein Wort hätte es gekostet. – (Er ruft) – Ilse! – Ilse! – — Gottlob sie hört nicht mehr.

– Ich bin in der Stimmung nicht. – Dazu bedarf es eines freien Kopfes und eines fröhlichen Herzens. – Schade, schade um die Gelegenheit!

… ich werde sagen, ich hätte mächtige Kristallspiegel über meinen Betten gehabt – hätte mir ein unbändiges Füllen gezogen – hätte es in langen schwarzseidenen Strümpfen und schwarzen Lackstiefeln und schwarzen, langen Glacé-Handschuhen, schwarzen Samt um den Hals, über den Teppich an mir vorbeistolzieren lassen – hätte es in einem Wahnsinnsanfall in meinen Kissen erwürgt … ich werde lächeln wenn von Wollust die Rede ist … ich werde —

Aufschreien! – Aufschreien! – Du sein, Ilse! – Priapia! – Besinnungslosigkeit! – Das nimmt die Kraft mir! – Dieses Glückskind, dieses Sonnenkind – dieses Freudenmädchen auf meinem Jammerweg! – — O! – O!

– — – — – — – — – — – — —
– — – — – — – — – — – — —

(Im Ufergebüsch)

Hab′ ich sie doch unwillkürlich wiedergefunden – die Rasenbank. Die Königskerzen scheinen gewachsen seit gestern. Der Ausblick zwischen den Weiden durch ist derselbe noch. – Der Fluß zieht schwer wie geschmolzenes Blei. Daß ich nicht vergesse … (er zieht Frau Gabors Brief aus der Tasche und verbrennt ihn) – Wie die Funken irren – hin und her, kreuz und quer – Seelen! – Sternschnuppen! —

Eh′ ich angezündet, sah man die Gräser noch und einen Streifen am Horizont. – Jetzt ist es dunkel geworden. Jetzt gehe ich nicht mehr nach Hause.

Dritter Akt

Erste Szene

Konferenzzimmer. – An den Wänden die Bildnisse von Pestalozzi und J. J. Rousseau. Um einen grünen Tisch, über dem mehrere Gasflammen brennen, sitzen die Professoren Affenschmalz, Knüppeldick, Hungergurt, Knochenbruch, Zungenschlag und Fliegentod. Am oberen Ende auf erhöhtem Sessel Rektor Sonnenstich. Pedell Habebald kauert neben der Tür.

Sonnenstich

....Sollte einer der Herren noch etwas zu bemerken haben? – — Meine Herren! – Wenn wir nicht umhin können, bei einem hohen Kultusministerium die Relegation unseres schuldbeladenen Schülers zu beantragen, so können wir das aus den schwerwiegendsten Gründen nicht. Wir können es nicht, um das bereits hereingebrochene Unglück zu sühnen, wir können es eben so wenig, um unsere Anstalt für die Zukunft vor ähnlichen Schlägen sicher zu stellen. Wir können es nicht, um unseren schuldbeladenen Schüler für den demoralisirenden Einfluß, den er auf seinen Klassengenossen ausgeübt, zu züchtigen; wir können es zu allerletzt, um ihn zu verhindern, den nämlichen Einfluß auf seine übrigen Klassengenossen auszuüben. Wir können es – und der, meine Herren, möchte der schwerwiegendste sein – aus dem jeden Einwand niederschlagenden Grunde nicht, weil wir unsere Anstalt vor den Verheerungen einer Selbstmord-Epidemie zu schützen haben, wie sie bereits an verschiedenen Gymnasien zum Ausbruch gelangt und bis heute allen Mitteln, den Gymnasiasten an seine durch seine Heranbildung zum Gebildeten gebildeten Existenzbedingungen zu fesseln, gespottet hat. – — Sollte einer der Herren noch etwas zu bemerken haben?

Knüppeldick

Ich kann mich nicht länger der Überzeugung verschließen, daß es endlich an der Zeit wäre, irgendwo ein Fenster zu öffnen.

Zungenschlag

Es he-herrscht hier eine A-A-Atmosphäre wie in unterirdischen Kata-Katakomben, wie in den A-Aktensälen des weiland Wetzlarer Ka-Ka-Ka-Ka-Kammergerichtes.

Sonnenstich

Habebald!

Habebald

Befehlen, Herr Rektor!

Sonnenstich

Öffnen Sie ein Fenster! Wir haben Gott sei Dank Atmosphäre genug draußen. – Sollte einer der Herren noch etwas zu bemerken haben?

Fliegentod

Wenn meine Herren Kollegen ein Fenster öffnen lassen wollen, so habe ich meinerseits nichts dagegen einzuwenden. Nur möchte ich bitten, das Fenster nicht gerade hinter meinem Rücken öffnen lassen zu wollen!

Sonnenstich

Habebald!

Habebald

Befehlen, Herr Rektor!

Sonnenstich

Öffnen Sie das andere Fenster! – — Sollte einer der Herren noch etwas zu bemerken haben?

Hungergurt

Ohne die Kontroverse meinerseits belasten zu wollen, möchte ich an die Tatsache erinnern, daß das andere Fenster seit den Herbstferien zugemauert ist.

Sonnenstich

Habebald!

Habebald

Befehlen, Herr Rektor!

Sonnenstich

Lassen Sie das andere Fenster geschlossen! – Ich sehe mich genötigt, meine Herren, den Antrag zur Abstimmung zu bringen. Ich ersuche diejenigen Herren Kollegen, die dafür sind, daß das einzig in Frage kommen könnende Fenster geöffnet werde, sich von ihren Sitzen zu erheben. (Er zählt) – Eins, zwei, drei. – Eins, zwei drei. – Habebald!

Habebald

Befehlen, Herr Rektor!

Sonnenstich

Lassen Sie das eine Fenster gleichfalls geschlossen! – Ich meinerseits hege die Überzeugung, daß die Atmosphäre nichts zu wünschen übrig läßt! – — Sollte einer der Herren noch etwas zu bemerken haben? – — Meine Herren! – Setzen wir den Fall, daß wir die Relegation unseres schuldbeladenen Schülers bei einem hohen Kultusministerium zu beantragen unterlassen, so wird uns ein hohes Kultusministerium für das hereingebrochene Unglück verantwortlich machen. Von den verschiedenen von der Selbstmord-Epidemie heimgesuchten Gymnasien sind diejenigen, in denen fünfundzwanzig Prozent den Verheerungen der Selbstmord-Epidemie zum Opfer gefallen, von einem hohen Kultusministerium suspendiert worden. Vor diesem erschütterndsten Schlage unsere Anstalt zu wahren, ist unsere Pflicht als Hüter und Bewahrer unserer Anstalt. Es schmerzt uns tief, meine Herren Kollegen, daß wir die sonstige Qualifikation unseres schuldbeladenen Schülers als mildernden Umstand gelten zu lassen nicht in der Lage sind. Ein nachsichtiges Verfahren, das sich unserem schuldbeladenen Schüler gegenüber rechtfertigen ließe, ließe sich der zur Zeit in denkbar bedenklichster Weise gefährdeten Existenz unserer Anstalt gegenüber nicht rechtfertigen. Wir sehen uns in die Notwendigkeit versetzt, den Schuldbeladenen zu richten, um nicht als die Schuldlosen gerichtet zu werden. – Habebald!

Habebald

Befehlen, Herr Rektor!

Sonnenstich

Führen Sie ihn herauf!

(Habebald ab.)

Zungenschlag

Wenn die he-herrschende A-A-Atmosphäre maßgebenderseits wenig oder nichts zu wünschen übrig läßt, so möchte ich den Antrag stellen, während der So-Sommerferien auch noch das andere Fenster zu-zu-zu-zu-zu-zu-zu-zu-zuzumauern!

Fliegentod

Wenn unserem lieben Kollega Zungenschlag unser Lokal nicht genügend ventiliert erscheint, so möchte ich den Auftrag stellen, unserm lieben Herrn Kollega Zungenschlag einen Ventilator in die Stirnhöhle applizieren zu lassen.

Zungenschlag

Da-da-das brauche ich mir nicht gefallen zu lassen! – Gro-Grobheiten brauche ich mir nicht gefallen zu lassen! – Ich bin meiner fü-fü-fü-fü-fünf Sinne mächtig …!

Sonnenstich

Ich muß unsere Herren Kollegen Fliegentod und Zungenschlag um einigen Anstand ersuchen. Unser schuldbeladener Schüler scheint mir bereits auf der Treppe zu sein.

(Habebald öffnet die Türe, worauf Melchior, bleich aber gefaßt, vor die Versammlung tritt.)

Sonnenstich

Treten Sie näher an den Tisch heran! – Nachdem Herr Rentier Stiefel von dem ruchlosen Frevel seines Sohnes Kenntnis erhalten, durchsuchte der fassungslose Vater, in der Hoffnung, auf diesem Wege möglicherweise dem Anlaß der verabscheuungswürdigen Untat auf die Spur zu kommen, die hinterlassenen Effekten seines Sohnes Moritz und stieß dabei an einem nicht zur Sache gehörigen Orte auf ein Schriftstück, welches uns ohne noch die verabscheuungswürdige Untat an sich verständlich zu machen, für die dabei maßgebend gewesene moralische Zerrüttung des Untäters eine leider nur allzu ausreichende Erklärung liefert. Es handelt sich um eine in Gesprächsform abgefaßte, „Der Beischlaf“ betitelte, mit lebensgroßen Abbildungen versehene, von den schamlosesten Unfläthereien strotzende, zwanzig Seiten lange Abhandlung, die den geschraubtesten Anforderungen, die ein verworfener Lüstling an eine unzüchtige Lektüre zu stellen vermöchte, entsprechen dürfte. —

Melchior

Ich habe …

Sonnenstich

Sie haben sich ruhig zu verhalten! – Nachdem Herr Rentier Stiefel uns fragliches Schriftstück ausgehändigt und wir dem fassungslosen Vater das Versprechen erteilt, um jeden Preis den Autor zu ermitteln, wurde die uns vorliegende Handschrift mit den Handschriften sämtlicher Mitschüler des weiland Ruchlosen verglichen und ergab nach dem einstimmigen Urteil der gesamten Lehrerschaft, sowie in vollkommenem Einklang mit dem Spezial-Gutachten unseres geschätzten Herrn Kollegen für Kalligraphie die denkbar bedenklichste Ähnlichkeit mit der Ihrigen. —

Melchior

Ich habe …

Sonnenstich

Sie haben sich ruhig zu verhalten! – Ungeachtet der erdrückenden Tatsache der von Seiten unantastbarer Autoritäten anerkannten Ähnlichkeit glauben wir uns vorderhand noch jeder weiteren Maßnahmen enthalten zu dürfen, um in erster Linie den Schuldigen über das ihm demgemäß zur Last fallende Vergehen wider die Sittlichkeit in Verbindung mit daraus resultierender Veranlassung zur Selbstentleibung ausführlich zu vernehmen. —

 
Melchior

Ich habe …

Sonnenstich

Sie haben die genau präzisierten Fragen, die ich Ihnen der Reihe nach vorlege, eine um die andere, mit einem schlichten und bescheidenen „Ja“ oder „Nein“ zu beantworten. – Habebald!

Habebald

Befehlen, Herr Rektor!

Sonnenstich

Die Akten! – — Ich ersuche unseren Schriftführer, Herrn Kollega Fliegentod, von nun an möglichst wortgetreu zu protokollieren. – (Zu Melchior) Kennen Sie dieses Schriftstück?

Melchior

Ja.

Sonnenstich

Wissen Sie, was dieses Schriftstück enthält?

Melchior

Ja.

Sonnenstich

Ist die Schrift dieses Schriftstücks die Ihrige?

Melchior

Ja.

Sonnenstich

Verdankt dieses unflätige Schriftstück Ihnen seine Abfassung?

Melchior

Ja. – Ich ersuche Sie, Herr Rektor, mir eine Unflätigkeit darin nachzuweisen.

Sonnenstich

Sie haben die genau präzisierten Fragen, die ich Ihnen vorlege, mit einem schlichten und bescheidenen „Ja“ oder „Nein“ zu beantworten!

Melchior

Ich habe nicht mehr und nicht weniger geschrieben, als was eine Ihnen sehr wohlbekannte Tatsache ist!

Sonnenstich

Dieser Schandbube!!

Melchior

Ich ersuche Sie, mir einen Verstoß gegen die Sittlichkeit in der Schrift zu zeigen!

Sonnenstich

Bilden Sie sich ein, ich hätte Lust, zu Ihrem Hanswurst an Ihnen zu werden?! – Habebald …!

Melchior

Ich habe …

Sonnenstich

Sie haben so wenig Ehrerbietung vor der Würde Ihrer versammelten Lehrerschaft, wie Sie Anstandsgefühl für das dem Menschen eingewurzelte Empfinden für die Diskretion der Verschämtheit einer sittlichen Weltordnung haben! – Habebald!!

Habebald

Befehlen, Herr Rektor!

Sonnenstich

Es ist ja der Langenscheidt zur dreistündigen Erlernung des aggluttierenden Volapük!

Melchior

Ich habe …

Sonnenstich

Ich ersuche unseren Schriftführer, Herrn Kollega Fliegentod, das Protokoll zu schließen!

Melchior

Ich habe …

Sonnenstich

Sie haben sich ruhig zu verhalten!! – Habebald!

Habebald

Befehlen, Herr Rektor!

Sonnenstich

Führen Sie Ihn hinunter!