Seewölfe - Piraten der Weltmeere 596

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 596
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Impressum

© 1976/2020 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-96688-010-7

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Frank Moorfield

Lügner, Lords und Lumpenpack

Der Graf von Essex treibt ein teuflisches Intrigenspiel

Eine Schar hungriger Möwen kreiste mit lautem Geschrei über der silbrig schimmernden Wasserfläche der Themse. Die Aprilsonne des Jahres 1598 meinte es gut mit den Armen und Reichen von London.

McNeil, der seit mehr als einer Stunde scheinbar dösend auf einem lecken Weinfaß hockte, interessierte sich jedoch nicht im geringsten für den aufkeimenden Frühling.

Dafür waren seine kleinen, geröteten Augen unentwegt auf die am Ufer vertäute Schebecke gerichtet. Seine lauernden Blicke verfolgten nahezu jede Bewegung des Seewolfs und seiner Männer …

Die Hauptpersonen des Romans:

Robert Devereux – der Graf von Essex, ein Höfling, der seine Stellung eifersüchtig verteidigt und sich als hinterhältiger Intrigant erweist.

Elisabeth I. – die englische Königin. Sie kennt ihre „Pappenheimer“ und versteht es, richtig mit ihnen umzugehen.

Bill McNeil – ein kleiner Spitzel, der im Intrigen-Karussell des Grafen für die Seewölfe zur Schlüsselfigur wird.

Jenny-Rose – eine resolute „Lady“ aus dem Hafenmilieu. Sie wird als Lockvogel mißbraucht.

Philip Hasard Killigrew – der Seewolf ist das Hauptziel der Intrigen des Grafen und gerät in eine schwierige Situation.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Normalerweise war Bill McNeil die Ruhe in Person, und an der Kimm mußten schon ziemlich dunkle Wolken heraufziehen, wenn er nervös werden sollte.

Die rothaarige Jenny-Rose schaffte es jedoch spielend, ihm auf den Geist zu gehen. Ja, sie ging regelrecht auf seinem Gemüt spazieren – exakt dreißig Schritte hin und dreißig Schritte zurück. Und das seit geraumer Zeit.

Bereits zum dritten Mal blieb sie vor McNeil stehen und versuchte ihr Glück mit einem verführerischen Augenzwinkern.

„Nun, mein Süßer, bist du wirklich so müde, oder tust du nur so?“ Sie beugte sich ein Stück zu ihm hinunter und fügte wispernd hinzu: „Dein Mittagsschläfchen wirst du hinterher doppelt genießen, das verspreche ich dir.“

Offenbar hatte die nicht mehr ganz taufrische Lady gewaltigen Durst auf Dünnbier und Brandy, aber in der mittäglichen „Saure-Gurken-Zeit“ noch keinen spendablen Freier gefunden.

Auch McNeil ließ sich nicht locken.

„Laß mich in Ruhe!“ zischte er mit gedämpfter Stimme. „Mit mir kannst du nicht ins Geschäft kommen. Zumindest nicht heute. Verschwinde endlich.“

Solche unfreundlichen Worte schüchterten Jenny-Rose jedoch keineswegs ein. Sie baute sich mit wogendem Busen vor McNeil auf und stemmte die Hände auf die breiten Hüften. Ihre Augen signalisierten Verteidigungsbereitschaft, während das handgearbeitete blaue Veilchen über der linken Augenbraue erkennen ließ, daß sie Schwierigkeiten nicht aus dem Weg ging.

„Hast du was dagegen, wenn eine Lady in der ersten Frühlingssonne am Themseufer spazierengeht, du Schlafmütze?“ Ihre Stimme klang jetzt herausfordernd.

McNeil vollführte eine unwirsche Geste.

„Du gehst nicht spazieren, sondern suchst einen Freier“, sagte er sachlich. „Und was die ‚Lady‘ betrifft – darüber kann ich nur lachen. Versuche doch mal woanders und hör endlich auf, mir ständig vor der Nase herumzutanzen.“

Jenny-Rose bedachte den schmächtigen Mann mit einem giftigen Blick.

„Was kann ich dafür, daß du das Zipperlein hast, Opa?“ erwiderte sie. „Wenn du den Anblick einer Lady nicht ertragen kannst, solltest du in dein Wasserfaß kriechen und die Holzwürmer zählen. Ich kann dann wenigstens in Ruhe auf den Landgang der Jungs dort drüben warten. Wie man hört, sind die Burschen gut betucht, außerdem sehen sie verdammt gut aus. Das sind nicht so duftende Knoblauchfresser, wie du einer bist …“

Jetzt reichte es McNeil. Er schoß in die Höhe, schniefte laut und ballte die Hände zu Fäusten. Schließlich hatte man ihm für seine Beobachtungen eine gute Bezahlung in Aussicht gestellt. Er dachte nicht daran, sich das Geschäft von einer Hafenhure wie Jenny-Rose verderben zu lassen.

„Zum letztenmal“, drohte er. „Verschwinde jetzt, oder ich halte dich kopfüber in die Themse, damit du mal den Unterschied zwischen Wasser und Brandy kennenlernst.“

Jenny-Rose atmete tief ein, und selbst dem erbosten McNeil entging nicht, daß ihr mächtiger Busen dadurch an Umfang zunahm.

„Solltest du Läuseknacker wagen, mit deinen Spinnenfingern auch nur den Saum meines Kleides zu berühren“, versprach sie, „schreie ich wie eine tugendhafte Jungfrau um Hilfe. Ich bin sicher, daß es die Männer auf dem Schiff als eine Ehre betrachten, eine Lady vor einem üblen Sittenstrolch zu beschützen. Wollen wir das mal ausprobieren, Kleiner?“

McNeil kochte vor Wut. Seine geröteten Schweinsäuglein glänzten tückisch.

„So was wie dich sollte man als Hexe verbrennen“, schnaubte er. „Und wenn es sein muß, finde ich jederzeit ein paar Freunde, die bezeugen werden, daß du auf einem Besen über den Tower geritten bist. Dir wird’s ganz schön warm werden, wenn erst das Feuerchen unter deinem drallen Hintern knistert.“

Das wiederum war zuviel für Jenny-Rose.

„Was sagst du da? Ich – eine Hexe? Das wirst du bereuen, Freundchen. Kerlen wie dir muß man immer gleich was auf die Nase geben, das sagte schon meine selige Großmutter.“

Die füllige Jenny-Rose setzte ihre ererbte Lebensphilosophie sofort in die Tat um. Ihre rechte Hand ballte sich zu einer beachtlichen Faust, schnellte vor und fegte McNeil neben sein Wasserfaß.

Das brüllende Gelächter, das vom Deck der ranken Dreimast-Schebecke herüberdröhnte, ließ erkennen, daß man dort längst auf das sich anbahnende Schauspiel aufmerksam geworden war. Gleichzeitig aktivierte es die Kampfeslust an beiden Fronten.

Während Jenny-Rose den Seewölfen mit siegerhaftem Lächeln zuwinkte, schnellte McNeil flink auf die Beine. Jetzt wurde sehr deutlich, daß er einen ganzen Kopf kleiner war als Jenny-Rose. Diese Feststellung konnte seine unbändige Wut jedoch nicht bremsen – im Gegenteil.

„Jetzt fliegst du in die Themse, du rothaarige Hexe“, zischte er, „aber ohne Besen und Zauberspruch.“

Er schnellte vor, um die stämmige Lady zu packen. Das brachte jedoch ungeahnte Schwierigkeiten mit sich. Zu spät fiel ihm ein, daß so ein Frauenzimmer in bezug auf Männerhände zahlreiche Tabu-Zonen hatte und dadurch weit weniger Angriffsfläche bot als ein Männerkörper.

McNeil zögerte einen Augenblick, und das war ein Fehler, denn Jenny-Rose teilte seine Berührungsängste in keiner Weise.

„Das ist für die Hexe“, verkündete sie und verpaßte dem schmächtigen Burschen eine schallende Ohrfeige, die ihn beinahe von den Beinen fegte. „Schade, daß ich keinen Besen zur Hand habe, du Strolch“, fügte sie keifend hinzu, „sonst hätte ich dir gezeigt, wie man damit umgeht.“

„Verdammtes Luder!“ schrie McNeil, während er mühsam danach trachtete, das Gleichgewicht zu bewahren.

Eine Sekunde später klatschte die zweite Ohrfeige in sein Gesicht und brannte wie Feuer.

Von Bord der Schebecke ertönte erneut Gelächter. Ein bulliger Kerl mit einem gewaltigen Rammkinn war an das Schanzkleid getreten und hatte die muskelbepackten Arme über der Brust verschränkt.

„Nur zu, Lady!“ rief er. „Bring dem Rübenschwein ruhig einige christliche Tugenden bei. Wenn du Hilfe brauchst, laß es mich wissen.“

Die Hilfe wurde nicht nötig, denn als sich McNeil der Aufmerksamkeit der Schebeckenbesatzung bewußt wurde, hatte er es plötzlich sehr eilig, vom Schauplatz zu verschwinden.

„Wir sprechen uns noch, du Miststück!“ rief er drohend, dann wandte er sich um und eilte mit langen Schritten davon – begleitet von einigen deftigen Abschiedsworten der strahlenden Siegerin.

„Vielen Dank für die angebotene Hilfe, Mister!“ rief sie zu der Schebecke hinüber. „Aber wie du siehst, ist der Strolch bereits versorgt.“

„Alle Achtung, Lady“, sagte der gewaltige Edwin Carberry. „Du erinnerst mich an meine Großmutter, die war auch so eine wehrhafte Jungfrau …“

„Aber Ed“, unterbrach ihn der Seewolf, „man vergleicht eine junge Lady doch nicht mit seiner Großmutter!“

Carberry zuckte zusammen.

„Oh, verdammt, Sir“, sagte er mit gedämpfter Stimme. „Da habe ich mal wieder zu schnell die Wahrheit gesagt. Aber schau sie dir genau an, und dann sag mir, ob ich nicht doch recht hatte.“

 

Hasard grinste sich eins. Jetzt sollte Ed nur sehen, wie er die holde Blume wieder los wurde.

Jenny-Rose hingegen näherte sich der Schebecke mit betont langsamen Schritten und bemühte sich dabei um ein aufreizendes Wiegen ihrer runden Hüften.

„Ich heiße Jenny-Rose!“ rief sie. „Und ich sage nicht nein, wenn mich echte Gentlemen zu einem Umtrunk einladen!“

Während einer der Arwenacks im Hintergrund leise „Ogottogott“, murmelte, kratzte sich der Profos verlegen am Hinterkopf.

„Gegen einen Umtrunk haben wir ebenfalls nichts einzuwenden, Lady“, erwiderte er. „Nur haben wir leider noch keinen Landgang. So leid es uns tut – wir müssen das auf später verschieben.“

Das sah Jenny-Rose – wenn auch mit großem Bedauern – ein und wies graziös darauf hin, daß ihr Angebot auch am Abend noch seine Gültigkeit habe. Außerdem, so betonte sie, sei es ihr ein besonderes Vergnügen, mit solch „kernigen Mannsleuten“ den einen oder anderen Humpen Brandy oder Dünnbier zu leeren. Danach warf sie einige Handküsse zu den Seewölfen hinüber, und entschwebte hüftwippend stadteinwärts.

„Nun, Ed, hoffentlich hast du nicht zu große Erwartungen in dieser zarten Jungfrau geweckt“, sagte der Seewolf grinsend. „Ich wette, daß sie irgendwo dort drüben auf Station geht und sehnsüchtig auf deinen Landgang wartet.“

Der Profos erschrak.

„Jage mir bloß keine Angst ein, Sir.“

2.

Gegen Abend erinnerte nichts mehr an die wärmende Sonne des frühen Nachmittags. Es war merklich kühler geworden, und über der Themse hing ein dunstiger Schleier.

Auf dem Kopfsteinpflaster einer schmalen Gasse in Ufernähe waren Schritte zu hören. Eine kleine Gruppe von Seewölfen näherte sich „Huntly’s Corner“, einer Eckkneipe, durch deren Fensteröffnungen der süßliche Duft von Brandy und der verführerische Geruch von gebratenem Fleisch nach draußen drang.

„Da könnte man sich direkt mal von der eigenen Kombüse erholen“, meinte der blonde, etwas hagere Kutscher. „Vielleicht ist das die richtige Adresse für uns.“

In diesem Moment wurde die Tür der Schenke aufgestoßen. Eine menschliche Gestalt flog wie ein Bündel Lumpen nach draußen und landete ungefähr drei Yards vom Eingang entfernt auf dem Pflaster. Eine zweite Gestalt segelte auf dem gleichen Kurs und gesellte sich unsanft zu seinem Vorgänger.

Dann schlug die Tür krachend zu.

„Du hast recht, Kutscher“, sagte Edwin Carberry, „da kann man getrost einkehren.“

Der Kutscher bedachte den Profos mit einem mißtrauischen Blick.

„Dich juckt’s wohl schon wieder in den Pranken, he?“

Carberrys Gesicht verwandelte sich in ein Spiegelbild reinster Unschuld.

„Ein solches Gefühl ist mir völlig unbekannt“, erwiderte er mit scheinbarer Entrüstung. „Doch hast du nicht bemerkt, daß in der Kneipe soeben ein paar Plätze frei geworden sind?“

„Das ist natürlich ein unwiderlegbares Argument“, sagte der Kutscher und hob schnuppernd die Nase in den Wind. „Ich tippe auf Lammfleisch mit Knoblauch“, fuhr er fort. „Du hast recht, Ed, man sollte nicht warten, bis die frei gewordenen Plätze wieder besetzt sind.“

Während sich die beiden verludert aussehenden Kerle, die man an die frische Abendluft befördert hatte, laut fluchend aus der Gosse hochstemmten, riß Edwin Carberry die schwere Tür auf und vollführte eine einladende Geste.

„Immer hereinspaziert, Gentlemen“, sagte er, „das Schott ist offen. Nur Rübenschweine und plattfüßige Heringe müssen draußenbleiben.“

Sam Roskill, Luke Morgan, Nils Larsen, Bill und der Kutscher ließen sich nicht zweimal bitten. Sie alle hatten am Nachmittag auf der Schebecke kräftig zugepackt, als es galt, noch anstehende Reparaturarbeiten ein Stück voranzutreiben. Jetzt wollten sie die Freiwache so richtig in heimatlicher Atmosphäre genießen.

„Huntly’s Corner“ schien dazu in der Tat alle Voraussetzungen zu bieten. Die langgestreckte, saalartige Schankstube war gut besetzt. Die Gehilfen des Wirts drängten sich mit ihren Krügen und Kannen durch die Bank- und Tischreihen, um die Becher nachzufüllen. Lautes Stimmengewirr und Gegröle erfüllte den Raum. Tranlampen, die an der Decke baumelten oder in Wandnischen aufgestellt waren, verbreiteten schummriges Licht.

Ein Durchgang hinter dem wuchtigen Schanktisch führte direkt in die Küche, in der die Wirtin Fett über einen Spieß mit riesigen Fleischstücken goß und ihn langsam über dem Feuer drehte.

Der Wirt, ein hochgewachsener, kräftiger Mann namens Cyrus Huntly, sorgte dafür, daß das Geschäft florierte und niemand hungrig oder gar durstig seine Kneipe verlassen mußte. Er griff gerade nach einem wuchtigen Holzhammer und trieb den Zapfhahn in ein Dünnbierfaß, als die neuen Gäste ihre Blicke durch die Schankstube wandern ließen.

„Willkommen in meinem bescheidenen Gemäuer“, sagte er grinsend. „Freut mich, daß mich auch mal einige Männer Sir Hasards beehren.“

Die Arwenacks sammelten wieder einmal die Erfahrung, daß sie seit dem Besuch der Königin bei ihnen und der spektakulären Übergabe der „Geschenk-Galeone“ sowie der Wettfahrt gegen die „Arrow“ in weiten Teilen Londons so bekannt waren wie bunte Hunde. Dabei legten sie nicht einmal besonderen Wert darauf, weil sie aus Erfahrung wußten, daß es nicht nur Bewunderer, sondern auch eine ganze Menge Neider gab.

„Man könnte wirklich meinen, wir seien quergestreift oder blaukariert“, murmelte der Profos. „Oder an was erkennen die uns sonst, was, wie?“

Die Arwenacks fanden einen passenden Tisch und ließen sich auf den klobigen Holzbänken nieder. Cyrus Huntly sorgte dafür, daß sie mit gebührender Aufmerksamkeit bewirtet wurden.

„Mit Dünnbier allein kriegt man das Sägemehl gar nicht so richtig aus der Kehle“, sagte der blonde Nils Larsen. „Da bleibt einem gar nichts anderes übrig, als einen Humpen Brandy als Rachenputzer zu benutzen.“

Damit fand er allgemein Zustimmung.

Der Kutscher interessierte sich naturgemäß für die Vorgänge in der Küche. Er hob immer wieder genüßlich schnuppernd die Nase.

Edwin Carberry begann zu grinsen.

„Weißt du, an wen du mich erinnerst, Kutscherlein?“ fragte er und setzte seinen Humpen ab.

Der Koch und Feldscher der Arwenacks kniff die Augen zusammen.

„Nein“, erwiderte er, „aber du wirst es mir sicher gleich sagen.“

„Klar, mein Guter. Du erinnerst mich mit deinem Geschnüffel nämlich an Plymmie. Es fehlt nur noch das Schwanzwedeln.“

Der Kutscher lächelte dünn, während allgemeines Gelächter aufklang.

„So etwas Ähnliches habe ich erwartet“, entgegnete er. „Verführerische Düfte veranlassen in der Tat auch kultivierte Menschen, wie Hunde zu schnuppern. Andererseits habe ich aber auch schon Kerle kennengelernt, die wie unsere gute Plymmie knurren, wenn’s ihnen stinkt. Da gibt es zum Beispiel an Bord einer gewissen Schebecke einen Mister …“

„Schon gut!“ unterbrach der Profos. „Ich weiß bereits, wie das weitergeht, Kutscher. Gegen deine gelehrsamen Erklärungen kommt ein demütiger Christenmensch sowieso nicht an. Aber wenn du’s genau wissen willst: Ich habe mächtigen Kohldampf. Und da es in diesem ehrbaren Haus im Gegensatz zu gewissen Schebeckenkombüsen gar lieblich duftet, werde ich dich ausnahmsweise beim Schnuppern unterstützen. Nur sollten wir es dabei nicht bewenden lassen. Der Wirt soll uns den gebratenen Ochsen, oder was es sonst auch ist, ruhig auf die Tischplatte wuchten.“

Auch dagegen hatte keiner der Arwenacks etwas einzuwenden.

So saßen sie denn auch bald tief über ihre vollbeladenen Kummen gebeugt und langten ordentlich zu.

„Köstlich, wirklich köstlich“, lobte der Kutscher. „Besser als dieses zarte Lammfleisch kann selbst ein Truthahn aus Norfolk oder eine der berühmten Enten aus Aylesbury nicht schmecken. Wenn man ein solches Mahl zum Dessert noch mit einem echten Stiltonkäse abrundet, dann dürfte man den Gipfel der Genüsse erreicht haben.“

Die Mannen begannen zu grinsen, obwohl sie dem Kutscher innerlich durchaus recht gaben.

„Man merkt, daß du neuerdings am Königshof ein und aus gehst“, warf Luke Morgan ein. „Kaum hat dir unsere alte Lissy ein Küßchen geschenkt, schmeckt dir nur noch Stilton zum Dessert.“

„Und statt Erbsen gibt es demnächst Perlen und kleingehackte Kronjuwelen in die Suppe“, fügte Edwin Carberry kauend hinzu.

Die Stimmung unter den Arwenacks war hervorragend. Dennoch blieb ihnen einen Augenblick später beinahe der Bissen im Halse stecken.

Die Eingangstür von „Huntly’s Corner“ flog auf, und eine illustre Gestalt, die sofort alle Blicke auf sich zog, betrat den Schankraum.

Cyrus Huntly eilte hinter dem Tresen hervor, um den neuen Gast samt den hinter ihm auftauchenden Begleitern mit einigen Verbeugungen zu begrüßen.

Der Mann war etwa um die dreißig. Er hatte ein schmales Gesicht mit angenehmem Profil, einen dünnen Oberlippenbart und langes, kastanienbraunes Haar. Man sah auf den ersten Blick, daß er zu den Reichen und Vornehmen des Landes gehörte.

Auf den zweiten Blick fiel auf, daß er wie ein Höfling gekleidet war – mit Federhut, Rüschenkragen, kostbarem, reichverziertem Wams und enganliegenden Beinkleidern. Der Degen baumelte an seiner linken Hüfte.

„Seht ihr auch, was ich sehe?“ fragte Sam Roskill mit gedämpfter Stimme. „Oder träume ich?“ Um es auszuprobieren kniff er die Augen zusammen und riß sie dann weit auf.

„Du bist genauso wach wie wir“, entgegnete der Kutscher und legte das butterzarte Stück Lammbraten auf die Kumme zurück. „Das ist er tatsächlich – Robert Devereux, der Graf von Essex.“

„Jetzt sag nur noch, daß dieser eingebildete Affe hier, mitten unter dem gemeinen Volk, einen Humpen Dünnbier trinken will“, stieß Bill verblüfft hervor.

Der Kutscher lächelte vielsagend.

„Mit einem einzigen Humpen wird es wohl nicht abgetan sein“, entgegnete er. „Wenn er seine Kratzfüße bei der Königin hinter sich gebracht hat, pflegt er – meist zusammen mit recht zwielichtigen Saufkumpanen – sogar die übelsten Kneipen heimzusuchen.“

Die Seewölfe hatten den Earl of Essex im Zusammenhang mit jenem höllischen Wettsegeln auf der Themse bereits ausgiebig kennengelernt. Und sie wußten, daß er trotz des Wirbels, für den er ständig sorgte, in der Gunst der Königin stand. Diese Gunst aber wollte er um keinen Preis verlieren. Deshalb wachte er immer wieder eifersüchtig darüber, daß ihm kein Rivale den Rang ablief.

Alles in allem war Robert Devereux, der von seinem edlen Stammbaum her mit den Plantagenets, Tudors und den Stuarts eng verwandt war, ein Mann, den man mit größter Vorsicht genießen mußte. Daran gab es bei den Seewölfen nicht den geringsten Zweifel.

„Da sind wir ja genau in die richtige Spelunke geraten“, sagte Carberry nüchtern und griff sich ein neues Stück Spießbraten. „Aber was soll’s! Den Appetit darf man sich auch von einem herausgeputzten Pfingstochsen nicht verderben lassen.“

Mit dieser Meinung fand er die Zustimmung seiner Kameraden, und keiner von ihnen dachte im Ernst daran, das köstliche Mahl zu unterbrechen.

Grinsend registrierten sie noch, auf welche einfache, aber praktische Art der Wirt einen freien Tisch für seinen hohen Gast besorgte. Er ließ einfach einige Zecher, die ohnehin schon zu tief in den Becher geschaut hatten, durch seine Schankknechte hinausbefördern. Und schon konnte sich der Earl of Essex samt seinem mehr oder minder erlauchten Anhang an dem freien Tisch niederlassen.

Der Wirt und seine Helfer überboten sich gegenseitig mit Ehrbezeigungen und einer kriecherischen Dienstbereitschaft.

Wer jedoch auf seiten der neuen Gäste einen distinguierten Umgangston oder gar höfisches Gehabe erwartete, wurde enttäuscht, denn Seine Lordschaft und die kleine Schar der Zechgenossen fraßen, soffen und grölten wie ein Haufen Radaubrüder aus dem Hafenviertel.

Die Arwenacks kümmerten sich nicht darum, und Edwin Carberry ließ sich einen weiteren Krug Brandy bringen, als die Fleischplatte leergefegt war.

„Ich fühle mich so satt und rund wie ein wohlgenährter Säugling“, erklärte er. „Du hattest recht, Kutscher. Das Mahl war köstlich. Du solltest dir das Rezept hinter die Ohren schreiben. Mit einem solchen Braten lassen wir uns auch gern draußen auf See mal verwöhnen.“

Bill nickte zustimmend. „Das ist was anderes als Speckpfannkuchen.“

 

Bevor der Kutscher etwas darauf erwidern konnte, betrat ein weiterer Gast die Schankstube, der den Seewölfen sehr bekannt war.

„Na so was“, ließ sich Carberry vernehmen. „Ist das nicht das Rübenschwein, das den halben Nachmittag an der Towerpier hockte, um unsere Schebecke zu belauern, was, wie?“

Die anderen nickten.

„Vielleicht will er uns hier auch bespitzeln“, meinte Sam Roskill. „Es würde mich interessieren, für wen der Kerl arbeitet.“

Der Profos grinste unternehmungslustig.

„Soll ich ihn ein bißchen unter der Zunge kitzeln, damit er’s uns verrät?“

Der Kutscher bedachte den Profos mit einem strafenden Blick.

„Fang bloß keinen Stunk an. Ed. Wir sollten nicht mehr Aufsehen erregen, als nötig ist.“

„Ist ja schon gut, Kutscherlein. Ich übe mich in christlicher Demut und Selbstbeherrschung.“

Die Frage, die die Arwenacks beschäftigte, beantwortete sich indes von selbst. McNeil sah sich nämlich kurz in „Huntly’s Corner“ um, ohne die Seewölfe zu bemerken, dann steuerte er zielstrebig auf den Tisch des Grafen von Essex zu. Dort verbeugte er sich so tief, daß er beinahe mit der Stirn die Tischplatte berührte und blickte den Höfling fragend an.

Seine Lordschaft lieh ihm huldvoll das rechte Ohr.

Nachdem McNeil einige Sätze hineingeflüstert hatte, kassierte er einige Münzen, die er sofort in der Hosentasche verschwinden ließ. Dann verbeugte er sich abermals und verließ das Lokal mit raschen Schritten.

„Da haut’s doch die stärkste Jungfrau um!“ entfuhr es dem Profos. „Dieser tiefäugige Hering wird von dem durchlauchten Pfingstochsen als Zuträger benutzt. Zum Kuckuck – von jetzt an müssen wir in der Tat die Ohren steifhalten. Wenn ich den Burschen noch mal in der Nähe unseres Schiffes sehe, werde ich mich wohl doch ein bißchen um ihn kümmern müssen.“

Der Kutscher grinste. „Wie wär’s, wenn du die rothaarige Jenny-Rose mit dieser Aufgabe betrauen würdest? Die Lady wird uns den Spitzel bestimmt vom Hals halten, wenn du ein bißchen nett zu ihr bist.“

Carberry zog eine säuerliche Grimasse. „Mit dieser lieblichen Walküre könnte man zur Not eine ganze Schar Schnapphähne in die Flucht schlagen.“

Nachdem die Arwenacks ihre Kehlen mit einem weiteren Krug Brandy angefeuchtet hatten, bemühten sie sich, „Huntly’s Corner“ möglichst unauffällig zu verlassen.

Daß der Graf von Essex ihnen mit zusammengekniffenen Augen nachstarrte, und – nachdem sich die schwere Eichentür hinter ihnen geschlossen hatte – sofort den Wirt herbeiwinkte, bemerkten sie nicht.

„Bier, Wein oder Brandy? Womit darf ich Ihrer Lordschaft dienen?“ fragte Cyrus Huntly dienstbeflissen.

Der Graf schüttelte unwillig den Kopf.

„Mein Becher ist noch gefüllt“, erwiderte er. „Aber sage mir eins, Wirt – gehören die Männer, die eben die Schenke verließen, nicht zur Mannschaft des Kapitäns Killigrew?“

Huntly nickte eifrig. „Jawohl, Mylord, sie gehören alle dazu.“

„Interessant.“ Über das Gesicht des Grafen huschte ein nichtssagendes Lächeln. „Und sind diese – diese Seewölfe, wie man die Gentlemen zu nennen pflegt, des öfteren zu Gast in deiner Schenke?“

„Bisher leider nicht, Mylord“, erwiderte Huntly. „Es war heute das erste Mal, daß ich die Ehre hatte.“

„Aha.“ Der Graf betrachtete das Gespräch als beendet und gab dem Wirt mit einer entsprechenden Geste zu verstehen, daß er verschwinden möge. Sir Geoffrey Danton, einer seiner Tischgenossen, hob ihm seinen Becher entgegen.

„Cheerio!“ rief er. „Trinken wir auf das Wohl der Königin.“

„Und auf den Mißerfolg aller Verräter“, fügte der Graf hinzu.

Nachdem die Becher geleert waren, sah Sir Geoffry den Grafen augenzwinkernd an.

„Dachten Sie bei Ihrem Trinkspruch an eine ganz bestimmte Person, Mylord?“

„Ich pflege immer erst zu denken, bevor ich rede“, erwiderte Devereux schnippisch. „Und da Ihnen die Neugierde buchstäblich ins Gesicht geschrieben ist, Sir Geoffrey, möchte ich das Kind ganz offen beim Namen nennen. Ja, ich dachte an diesen Killigrew. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, daß er kein ehrliches Spiel mit Ihrer Majestät treibt. Dieser Mann ist ein Blender. Er blendet die Augen der Königin mit einem Teil der Schätze, die er den Spaniern abgejagt hat. In Wirklichkeit aber verfolgt er ganz andere Ziele – Ziele, die England zum Schaden gereichen werden.“

„Das sind harte Worte, Mylord“, sagte Sir Geoffrey, „vor allem in bezug auf einen Mann, der bei Ihrer Majestät hoch in Gunst steht.“

Der noch recht jugendlich wirkende Sir Geoffrey Danton gehörte zu jenen Hitzköpfen, die der Graf im Juni des Jahres 1596 nach dem Sieg der englischen Flotte über Cadiz zu Rittern geschlagen hatte, und zwar ohne Wissen und Einwilligung der Königin. Seitdem gehörte er zum engeren Freundeskreis des Höflings und war diesem bis hin zur Kumpanei ergeben.

Der Graf leerte den inzwischen nachgefüllten Becher in einem Zuge.

„Meine Worte mögen sich zwar hart anhören“, sagte er mit finsterem Gesicht, „aber ich werde ihre Berechtigung zu gegebener Zeit beweisen. Falls nötig, werdet ihr mir dabei behilflich sein, Freunde.“

„Das ist Ehrensache, Mylord“, versicherte Sir Geoffry, und auch die anderen Kumpane am Tisch brachten sofort ihre Zustimmung zum Ausdruck – teilweise von einem hämischen Grinsen begleitet.

Im stillen waren sich alle darüber im klaren, daß der Graf wieder einmal von seiner Eifersucht geplagt wurde. Er sah in Sir Philip Hasard Killigrew, der vor Jahren von der Königin persönlich zum Ritter geschlagen worden war, einen gefährlichen Nebenbuhler. Bisher hatte er es noch immer verstanden, vermeintliche Konkurrenzen auszustechen. An geeigneten Mitteln hatte es ihm noch nie gefehlt.

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