Seewölfe - Piraten der Weltmeere 479

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 479
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Impressum

© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-887-4

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Frank Moorfield

Feuer frei!

Dem Capitán blieb keine Wahl – er ließ auf die eigenen Landsleute schießen

Viele Dinge haben ihre eigene Gesetzlichkeit, wenn sie einmal ins Rollen geraten sind. In der Bucht von Batabanó waren es fünf mörderische Kerle, die den Anfang machten und etwas auslösten, was niemand mehr aufhalten konnte. Sie desertierten von Bord der „Trinidad“, und der erste Tote war der Ankerposten, den sie mit einem Messerstich erledigten, um von Bord verschwinden zu können. Ungesehen schwammen sie an Land und stiegen zum Ziel ihrer gierigen Wünsche hoch – zu dem Wasserfall, hinter dem sich der Eingang zu den Schatzhöhlen des Don Antonio de Quintanilla befand. Ja, dort konnten sie in Gold baden und sich als Millionäre fühlen. Doch dieser Traum verblaßte, als an Bord der „Trinidad“ der Tote gefunden wurde …

Die Hauptpersonen des Romans:

Don Gaspar de Mello – der Kommandant der „San Sebastian“ stellt erstaunliche Tatsachen fest.

Don Alonzo de Escobedo – fühlt sich betrogen und verrennt sich in Widersprüche.

Diego Machado – der Kapitän der „Trinidad“ desertiert von seinem eigenen Schiff.

Felipe Gutierrez – der Zweite der „Trinidad“ verklart seinem Kapitän, wer das Sagen hat.

Philip Hasard Killigrew – muß mit seinen Männern lauern und viel Geduld aufbringen.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Noch während sein höhnisches Gelächter durch die Bucht dröhnte, verwandelte sich das Gesicht Diego Machados in eine teuflische Grimasse. Seine hinterhältigen Augen blitzten triumphierend, und auf seinen Zügen lag beißender Spott. Seiner Meinung nach war das Gelächter die einzig richtige Antwort auf die Warnung Don Gaspar de Mellos, der damit gedroht hatte, das Feuer auf die „Trinidad“ eröffnen zu lassen.

Von leeren Drohungen aber ließ sich Machado nicht beeindrucken, denn seinem Empfinden nach war er als profitierender Dritter aus den Auseinandersetzungen der letzten Stunden hervorgegangen. Er war jetzt „am Drücker“, und er dachte nicht im geringsten daran, klein beizugeben.

Um seinem überlegenen Lachen Nachdruck zu verleihen, vollführte der verschlagen aussehende Kapitän der „Trinidad“ eine verächtliche Geste in Richtung der „San Sebastian“. Dann wandte er sich wieder seinen verluderten Kerlen zu. „Weitermachen!“ befahl er. „Der Anker wird gehievt. Wir lassen uns durch die Lackaffen da drüben nicht aufhalten.“

Die Schnapphähne quittierten den Befehl ihres Kapitäns mit beifälligem Grinsen. Kaum einer von ihnen war jetzt noch in der Lage, klaren Gedankengängen zu folgen. Sie alle waren nur noch besessen von der Gier nach den erbeuteten Schätzen, die sich unter Deck in den Laderäumen befanden.

Diego Machado nahm die Warnung des Kapitäns der „San Sebastian“ in der Tat nicht ernst. Mochte Don Gaspar sich ruhig darüber entrüsten, daß man „den König von Spanien bestohlen“ hatte – er würde sich dennoch hüten, die „Trinidad“ beschießen zu lassen. Als Offizier durfte er auf keinen Fall ein Schiff von Landsleuten angreifen, o nein, an so etwas durfte ein so linientreuer Mann wie de Mello noch nicht einmal denken.

Zudem gab es noch einen weiteren Umstand, der Don Gaspars Drohungen in den Augen Machados als Bluff erscheinen ließ: Die „Trinidad“ hatte – wie der Kommandant der Kriegsgaleone immer noch glaubte – Schatzgüter für den König an Bord, und niemand durfte wagen, das Eigentum Seiner Allerkatholischsten Majestät durch einen Angriff zu gefährden – selbst, wenn es durch einen hinterhältigen Schachzug erbeutet worden war.

Diego Machado kalkulierte kaltblütig und berechnend, wie er es als Kapitän einer Handelsgaleone gewohnt war. Daß es sich bei den vermeintlichen königlichen Schätzen im Bauch des Schiffes in Wirklichkeit um Reichtümer Don Antonio de Quintanillas, des früheren Gouverneurs von Kuba, handelte, die der feiste Halunke im Laufe seiner Amtszeit zusammengerafft und in der westlich von Batabanó gelegenen Bucht hinter einem Wasserfall versteckt hatte – das wußten nur er und der geldgierige neue Gouverneur, Alonzo de Escobedo. Doch Machado und seine Horde zeigten an irgendwelchen Eigentumsrechten ohnehin herzlich wenig Interesse. Ihnen kam es jetzt nur noch darauf an, mit dem Teil, den man bereits an Bord geschafft hatte, zu verschwinden.

Diego Machado ließ den Anker weiterhieven, bis er kurzstag stand und aus dem Grund brach.

„Adios, Freunde!“ rief er voller Hohn zur „San Sebastian“ hinüber, und einer seiner Schnapphähne fügte hinzu: „Ein Hoch den Klunkerchen des Königs!“

Der Wind aus Nordosten setzte den wuchtigen Rumpf in Bewegung.

Die „San Sebastian“ ankerte nur fünfzig Yards entfernt an Backbord der „Trinidad“. Capitán de Mello und seine Seesoldaten registrierten mit ohnmächtiger Wut, daß Machados Schiff mit Ruderlage Backbord und backgestellter Fock achteraus sackte. Gleichzeitig drehte es den Bug nach Steuerbord und beschrieb dabei einen Halbkreis, bis es vor dem Wind lag und mit zunehmender Fahrt dem Ausgang der an der Südküste Kubas gelegenen Bucht zustrebte.

Don Gaspar de Mello, ein schlanker, drahtiger Mann mit scharfen Zügen, stand am achteren Steuerbordschanzkleid und ballte die Hände zu Fäusten.

„Dieser Mensch kennt keine Skrupel!“ stieß er wütend hervor. „Aber mit uns kann er das nicht machen. Nein, zum Teufel, mit uns nicht!“ Don Gaspar war bei seinen Seesoldaten sehr beliebt und galt als ein gradliniger und korrekter Mann, der auch vor der Obrigkeit nicht kuschte. So achtete er auch jetzt nicht auf das Gezeter des aufgeputzten Gouverneurs von Kuba, der sich an Bord befand. Alonzo de Escobedo, ein früherer Hafenkapitän von Havanna, starrte zähneknirschend zur „Trinidad“ hinüber.

„Schweine sind das! Schweine, die der Teufel holen soll!“ jammerte er händeringend. „Man sollte sie alle aufhängen und zwar jeden einzeln.“

„Anders ist das auch kaum möglich“, gab de Mello knurrend zurück. Dann wandte er sich an seine Leute, die längst die schweren Culverinen der Steuerbordseite besetzt hatten.

„Feuer frei!“ lautete sein Befehl.

Don Gaspar war kein Mann leerer Versprechungen. Die Warnung, die er dem Kapitän der „Trinidad“ zugerufen hatte, war durchaus ernst gemeint, und wenn Machado an einen Bluff glaubte, dann hatte er die Rechnung eben ohne den Wirt gemacht.

Die Seesoldaten, die grimmig entschlossene Gesichter zeigten, reagierten sofort auf den Befehl ihres Kommandanten. Sie fieberten förmlich danach, diesen Schurken von der „Trinidad“ was auf den Pelz zu brennen.

Rasch drückten sie die flackernden Luntenstöcke auf die Zündkanäle der schweren Geschütze, und das Feuer fand blitzschnell seinen Weg. Die gußeisernen Rohre waren auf Anweisung des Kommandanten schon vorher auf das Rigg der Handelsgaleone ausgerichtet worden, und das sollte sich als äußerst nützlich erweisen.

Innerhalb weniger Augenblicke brach in der idyllischen Bucht, in deren Wasser sich an jenem Morgen des 25. Mai 1595 die Sonne spiegelte, die Hölle los.

Ein gewaltiger Ruck erschütterte die Verbände der „San Sebastian“. Im selben Moment spien die Kanonen mit ungeheurer Wucht ihre zerstörerische Ladung hervor. Rollender Donner überlagerte die Bucht, als die Kettenkugeln, mit denen man die Rohre geladen hatte, in einem höllischen Wirbel durch die Luft rasten.

Die Geschütze rumpelten schwerfällig in ihren Holzlafetten zurück, während die Geschosse fauchend und zischend in das Rigg der „Trinidad“ schlugen. Die Richtkanoniere hatten in der Tat sauber gezielt, denn auch in ihnen kochte die Wut über die Strolche, die mit den königlichen Schatzgütern verschwinden wollten – und über den Tod ihrer sechs Kameraden, die beim Wasserfall Wache gehalten hatten und aller Wahrscheinlichkeit nach von den Deserteuren, die sich jetzt dort oben im zerklüfteten Gestein verschanzt hatten, ermordet worden waren.

Die Kettenkugeln, die man speziell zur Zerstörung des Riggs einzusetzen pflegte, zeigten eine ungeheure Wirkung. Im Handumdrehen wurde die „Trinidad“ im wahrsten Sinne des Wortes abgetakelt.

Das hämische Grinsen Machados und seiner verlotterten Kerle verwandelte sich in jähes Entsetzen, als urplötzlich die Rahen nach unten krachten und das Deck verwüsteten. Ein Hagel von zertrümmerten Holzteilen wirbelte zusammen mit Segeltuchfetzen durch die Luft.

Am schlimmsten aber erwischte es den Fockmast. Er zerbarst mit einem häßlichen Krachen und Splittern und kippte dann über Bord. Dabei hieb er eine Schneise in das Steuerbordschanzkleid und riß zwei Männer außenbords, die nun brüllend und fluchend im Wasser herumhampelten.

 

Einige weitere Kerle waren von den niederstürzenden Spieren erheblich verletzt worden und krümmten sich stöhnend auf den Planken. Innerhalb von wenigen Augenblicken glich die „Trinidad“ mit ihren zerfetzten Segeln und dem weitgehend verwüsteten Rigg einem Schiff, das durch einen schweren Sturm zum Wrack geworden war.

In der Tat – das Verschwinden der Handelsgaleone war erfolgreich verhindert worden, denn in ihrem jetzigen Zustand war an ein Weitersegeln nicht mehr zu denken.

Diego Machado schäumte vor Wut. Das Lachen war ihm längst vergangen, und er mußte wohl oder übel einsehen, daß er sich gründlich in de Mello getäuscht hatte. Der Kommandant der „San Sebastian“ hatte keine leeren Drohungen ausgestoßen, wie er zunächst angenommen hatte.

Diese bittere Erkenntnis untermauerte er mit einigen wilden Flüchen. Seine Augen blitzten haßvoll zu der Kriegsgaleone hinüber, und angesichts der schlanken Gestalt de Mellos, die dort noch immer am achteren Steuerbordschanzkleid verharrte, hob er mit einer üblen Verwünschung die Fäuste. Dann erst wandte er sich dem Chaos zu, das an Deck seines Schiffes herrschte.

„Hört mit dem Gebrüll auf!“ schrie er die Verletzten an, und den Kerlen, die mit ratlosen Gesichtern über die Trümmer stiegen, warf er böse Blicke zu. „Was steht ihr tatenlos herum?“ herrschte er sie an. „Packt lieber zu und setzt den Anker wieder. So können wir unmöglich weitersegeln.“

Das leuchtete selbst dem Dümmsten an Bord ein. Die „Trinidad“ war zwar nicht am Sinken, denn ihr Rumpf war unversehrt geblieben, aber an Deck glich sie einem riesigen Trümmerhaufen. So hatte sich das keiner von ihnen vorgestellt, und sie alle hatten sich voll auf den Spürsinn ihres Kapitäns verlassen, der de Mellos Warnung für Bluff gehalten hatte. Nun aber waren sie alle eines Besseren belehrt worden, als ihnen die Fetzen um die Ohren geflogen waren.

Notgedrungen befolgten sie den Befehl Machados und warfen erneut den Anker. Um die Verletzten oder die Kerle, die im Wasser schwammen, kümmerte sich niemand. Jeder an Bord der „Trinidad“ war sich selbst der Nächste, und die einzige Sorge Machados und seiner Männer galt jetzt der eigenen Haut und den Reichtümern im Bauch der Galeone. Nur davon wurde das Denken dieser Beutegeier beherrscht, als der Anker noch vor dem Ausgang der Bucht faßte und das Hinaustreiben des Schiffes verhinderte.

Schon in den frühen Morgenstunden breitete sich flirrende Hitze über Kuba aus. Über den tropischen Wäldern und Palmenhainen der südlichen Küstenregion bildete sich eine Dunstglocke, die wenig von der schwachen Brise aus Nordosten beeinflußt wurde. Schon jetzt war abzusehen, daß der noch junge Tag einen beachtlichen Tribut an Schweiß fordern würde.

Edwin Carberry, der Profos der „Isabella IX.“, wischte sich mit dem Handrücken über die zernarbte Stirn.

„Das hat einen ganz schönen Haufen Kleinholz gegeben“, sagte er sachlich, nachdem unten in der Bucht die Geschütze der „San Sebastian“ auf gebrüllt hatten.

„Deshalb brauchst du aber nicht zu schwitzen“, erwiderte Dan O’Flynn grinsend. „Schließlich hast du nichts dazu beigetragen.“

„Was willst du blaukarierter Zackenbarsch damit sagen, he?“ Reflexartig schob Ed das mächtige Rammkinn vor.

„Daß du dir schon wieder den Schweiß aus dem zarten Engelsgesicht wischst, obwohl du seit Stunden faul auf dem Bauch herumliegst.“ Dan lächelte hintergründig. „Wie wir übrigens auch“, fügte er dann hinzu.

Der kritische Blick Edwin Carberrys, dem das stundenlange untätige Ausharren auf dem Beobachterposten mächtig auf den Geist ging, entspannte sich wieder.

„Ich dachte schon, du seist wild auf einen niedlichen klitzekleinen Stunk, um die verflixte Langeweile zu verscheuchen“, sagte er. „Aber da du deinen eigenen dürren Bauch mit eingeschlossen hast, werde ich in echt christlicher Langmut deine hinterfurzigen Reden ertragen.“ Seufzend schaute er zur Bucht hinunter.

Dan O’Flynn verbiß sich ein Lachen.

„Es ist schon verdammt hart, dich so in christlicher Ergebenheit leiden zu sehen“, sagte er schließlich. „Aber die Aufgaben von Beobachtern erfordern nun mal eine gehörige Portion Geduld. Im Moment könnten wir höchstens einige Steinchen in die Bucht kullern lassen, um die verrückten Dons da unten zu erschrecken. Sonst gibt es nichts für uns zu tun.“

„Wenn die trüben Tassen wenigstens zurückschießen würden“, sagte Edwin Carberry. „Aber die hüpfen ja nur wie Flöhe herum und brüllen sich gegenseitig an.“

„Zurückschießen geht nicht“, sagte Dan. „Das Schiff ist in seinem jetzigen Zustand völlig manövrierunfähig. An einen Einsatz der Geschütze ist da nicht zu denken.“

„So ist es“, entgegnete der Profos nickend. „Kaum ist mal was los, da ist es auch schon wieder vorbei. Und unsereiner hockt hier in den Felsen herum und zupft an seinem eigenen Geduldsfaden.“

Die beiden Männer und Batuti hatten sich, als die Suchtrupps der Spanier losgezogen waren, ein Stück von Philip Hasard Killigrew sowie von Siri-Tong und Edmond Bayeux zurückgezogen, die ebenfalls auf der Lauer lagen und die Ereignisse beobachteten. Die Seewölfe hatten sich hinter mächtigen Felsen verschanzt, von wo aus sie alles überblicken konnten, ohne Gefahr zu laufen, selbst entdeckt zu werden.

„Dem Koch der ‚Trinidad‘ wird es in nächster Zeit nicht an Brennholz mangeln“, bemerkte Batuti, der am Boden kauerte und den breiten Rücken gegen einen Felsbrocken lehnte. Auch dem muskulösen Schwarzen war anzusehen, daß es ihn einige Geduld kostete, untätig auf dem Beobachterposten auszuharren. Er begann leise durch die Zähne zu pfeifen.

Edwin Carberry warf ihm einen schrägen Blick zu.

„Soll das vielleicht die Ballade von der rothaarigen Mary sein?“

Batuti grinste und entblößte dabei eine Reihe perlweißer Zähne.

„Nein. Das Lied handelt von der schwarzen Kissi – dem schönsten Mädchen der Mandingos.“

„Egal“, erklärte Carberry. „Es wird auch nichts von Weibern gepfiffen – weder in Rot noch in Schwarz. Außerdem kriege ich davon Zahnschmerzen.“

„Aha“, sagte Batuti, während er von einem Ohr bis zum anderen grinste.

„Zum Teufel, gebt jetzt Ruhe!“ sagte Dan O’Flynn. „Da unten tut sich wieder was.“

„Endlich!“ Ed atmete auf. „Und was?“

„Der Hundesohn Machado gibt nicht auf“, berichtete Dan, der das Spektiv auf die „Trinidad“ gerichtet hatte. „Jetzt will er wohl die Jolle abfieren lassen, sofern sie noch heilgeblieben ist. Ich bin wirklich gespannt, was er vorhat. Vielleicht will er die Ladung im Boot verstauen und sich damit verdrücken.“

„Dann wäre er echt verrückt“, sagte Edwin Carberry. „Die plattfüßigen Heringe auf dem Kriegsschiff würden bestimmt nicht lange zusehen.“

Dan zuckte mit den Schultern.

„Nun“, sagte er, „wir werden ja sehen, was der saubere Kapitän der ‚Trinidad‘ unternehmen wird. Eins steht fest: Wenn er auf dem schwer angeschlagenen Schiff bleibt, sitzt er in der Falle. Und so, wie es aussieht, wird er einiges riskieren.“

Die Aufmerksamkeit der drei Seewölfe konzentrierte sich voll auf das Geschehen in der Bucht.

2.

„Bewegt euch!“ brüllte Diego Machado den Männern zu, die damit begonnen hatten, Trümmerstücke von der einzigen Jolle zu räumen, die sich noch an Bord der Handelsgaleone befand. Er hoffte, daß das Boot noch zu gebrauchen war. Die beiden anderen großen Jollen befanden sich an Land. Mit ihnen waren jene Kerle zum Strand gepullt, die den Transport der Schatzgüter fortsetzen sollten, doch sie waren dabei in das Massaker geraten, das die Deserteure sorgfältig vorbereitet hatten.

An Bord der „Trinidad“ herrschte hektische Eile. Den Männern glänzte der Schweiß auf den sonnengebräunten Gesichtern. Und in all die emsige Betriebsamkeit mischte sich die Frage, ob Don Gaspar de Mello den Beschuß fortsetzen würde.

„Die werden uns versenken, ohne daß wir was dagegen tun können!“ rief ein junger, schmalbrüstiger Bursche mit ängstlichem Gesicht.

„Das werden sie nicht tun“, fauchte Machado und schleuderte ein Holzstück, über das er beinahe gestolpert wäre, über Bord.

„Wir sollten die Hundesöhne nicht mehr unterschätzen, Capitán“, fuhr der junge Decksmann fort. „Wir haben es schon einmal getan und gesehen, wohin es führte. Die können uns jederzeit einige Löcher in den Rumpf pusten, wenn wir …“

„Willst du wohl das Maul halten und mit zupacken?“ schrie ihn Machado an. Sein Gesicht war rot vor Wut. Er sprang auf den Mann zu und holte zu einem gewaltigen Tritt aus.

Es gelang dem schmalbrüstigen Kerl nicht mehr, voll auszuweichen. Die Stiefelspitze Diego Machados erwischte ihn noch am Achtersteven. Eine Sekunde später fand er sich mit ausgebreiteten Armen inmitten der zertrümmerten Holzteile wieder.

„Für dummes Geschwätz ist keine Zeit!“ rief Machado. „Wer nicht zupackt, kriegt Ärger.“ Er hob drohend eine Faust. „Manuel, sorge dafür, daß alle verfügbaren Schußwaffen sowie genug Pulver an Bord geschafft und in der Jolle verstaut werden.“

Mit einem Aufatmen hatte er festgestellt, daß das Boot so gut wie unbeschädigt war. Er würde also seinen riskanten Plan weiterverfolgen können.

Manuel, ein stiernackiger Kerl mit nacktem, muskulösem Oberkörper, wirbelte herum.

„Jawohl, Capitán!“ rief er. Dann winkte er einige Männer herbei und verschwand mit ihnen unter Deck. In fieberhafter Eile wurden die Musketen, Tromblons und Pistolen nach oben geschafft. Auch Hieb- und Stichwaffen wurden nicht vergessen.

Nachdem man die Jolle an der Steuerbordseite zu Wasser gelassen hatte, bemannte Diego Machado sie mit sechzehn ausgesuchten Kerlen. Die langen Gesichter, die es auf der Seite jener gab, die nicht mehr in das Boot paßten, hatte er einkalkuliert. Entsprechende Fragen sowie die Bitten der Verletzten, um die sich nach wie vor niemand kümmerte, beantwortete er mit einem Schulterzucken.

„Haut ab, wenn ihr Lust habt“, sagte er höhnisch. „Ihr werdet nicht mehr gebraucht.“

Einen Augenblick sahen sich die Kerle betroffen an, dann kapierten sie.

„Das ist eine elende Schweinerei!“ brüllte ein älterer Mann wütend. „Ihr könnt doch nicht einfach abhauen und uns auf diesem Wrack zurücklassen. Der Gouverneur wird uns hängen lassen.“

„Sollen wir vielleicht ans Ufer schwimmen und riskieren, daß uns die Haie fressen?“ fragte ein anderer erregt.

„Macht, was ihr wollt“, erwiderte Machado unwirsch. „Ihr seht selber, daß auf der Jolle kein Platz mehr ist.“

Die Männer begannen zu fluchen und zu drohen, auch einige der Verletzten stießen üble Verwünschungen aus.

„Ihr Hunde wollt euch alles alleine unter den Nagel reißen!“ schrie Rodrigo, ein kleiner, dicklicher Kerl mit einem dünnen Oberlippenbart.

Machados Gesicht war immer noch zu einem höhnischen Grinsen verzogen.

„Irrtum“, erwiderte er, „ich lasse euch als reiche Leute zurück. Ihr könnt das ganze Zeug, das sich an Bord befindet, haben, ich nehme es nicht mit. Ich begnüge mich mit dem, was noch drüben an Land ist.“ Er lachte gemein.

Für Rodrigo war das zuviel, der kleine, dickliche Kerl drehte durch. Er bückte sich blitzschnell und griff nach einer Holzlatte. Aber Diego Machado hatte mit einer solchen Reaktion gerechnet. Er kannte die Kerle nur zu gut. Er sprang mit einer Gewandtheit, die man ihm bei seiner Körperfülle nicht zugetraut hätte, vor und hieb Rodrigo die Faust unters Kinn, noch bevor dieser mit der Latte zum Schlag ausholen konnte.

Aus dem Mund Rodrigos drang ein dumpfes Röcheln, während sein Körper durch die Wucht des Hiebes zurückgeschleudert wurde und gegen das Backbordschanzkleid der Kuhl krachte.

Mit einer raschen Bewegung zog Machado eine Pistole aus dem Gürtel. Das hämische Lachen in seinem Gesicht war verschwunden, seine Augen zogen sich zu schmalen Schlitzen zusammen.

„Der Nächste empfängt eine Kugel in den Bauch“, sagte er mit schneidender Stimme. „Auch wenn ihr das nicht kapieren wollt – ich bin fair zu euch. Ich überlasse euch das Schiff und die wertvolle Ladung. Auch einige Blankwaffen werdet ihr noch vorfinden. Daß nur noch eine Jolle zur Verfügung steht, kann ich nicht ändern.“

„Dann kommt zurück und holt uns!“ forderte einer der Verletzten, der die blutverschmierten Hände auf seinen linken Oberschenkel preßte.

Jetzt begann Machado wieder zu grinsen.

 

„Wer weiß, vielleicht tue ich das sogar“, erwiderte er. „Das wird ganz von der Lage der Dinge abhängen.“ Natürlich dachte er nicht im entferntesten daran, sich auf ein solches Risiko einzulassen, denn er konnte bereits von Glück sagen, wenn es ihm überhaupt gelang, unbehelligt den Strand zu erreichen.

Diego Machado verlor keine weitere Zeit. Nachdem die Männer in der Jolle vorsichtshalber ihre Musketen in Richtung Steuerbordschanzkleid in Anschlag gebracht hatten, verließ er sein Schiff. Augenblicke später legte die Jolle ab.

Die unflätigen Flüche und Drohungen, die den Schnapphähnen von ihren zurückgebliebenen Kameraden und von den Verletzten nachgebrüllt wurden, quittierten sie mit einem schadenfrohen Lachen.

Machado ging eiskalt aufs Ganze. Er dachte nicht daran, auf der „Trinidad“ zu bleiben und auf seine Gefangennahme durch die Seesoldaten der „San Sebastian“ zu warten. O nein, ein Mann wie er gab nicht so schnell auf. Wenn er schon auf die Schatzgüter in den Laderäumen seines Schiffes – notgedrungen – verzichtete, dann wollte er sich zumindest an dem, was noch an Land vorhanden war, gütlich tun. Die Höhlen waren ja noch immer voll von den Reichtümern, die Don Antonio de Quintanilla zusammengerafft hatte. Er würde es schon schaffen, sich mit den Deserteuren an Land zu verbünden, wenn er bereit war, deren Schlagkraft zu verstärken.

Diego Machado wußte, daß die Höhlen kaum zu stürmen waren. Wenn es Don Gaspar de Mello trotzdem versuchte, dann mußte er sich zwangsläufig die Zähne ausbeißen, denn insgesamt würden dann vierzig bewaffnete Kerle zur Verfügung stehen, die die Höhlen verteidigten. Wenn er es so betrachtete, standen seine Chancen gar nicht schlecht, noch ein besonders großes Stück von dem heißbegehrten „Kuchen“ zu ergattern.

Auf der „San Sebastian“, deren Steuerbordgeschütze inzwischen nachgeladen worden waren, wurde die Flucht Machados erst bemerkt, als die Jolle bereits am Strand landete. Die nahezu abgetakelte „Trinidad“ lag so in der Bucht, daß sie die Sicht nach Südosten versperrte.

Während Don Gaspar de Mello die Meldung des Ausgucks zunächst schweigend zur Kenntnis nahm, begann der hagere Alonzo de Escobedo zu fluchen wie ein Fuhrknecht. Ja, Seine Exzellenz, der Gouverneur von Kuba, der von seinem Vorgänger, dem beleibten Don Antonio de Quintanilla, ins Amt berufen worden war, benahm sich wie das, was er früher einmal gewesen war: ein kleiner devoter Hafenkapitän, der nur durch die Gunst seines Vorgängers zunächst Hafen-, dann Stadtkommandant und schließlich Gouverneur geworden war.

Aber an Qualitäten für dieses hohe Amt mangelte es de Escobedo ganz offensichtlich, denn das, was über die erlauchten Lippen sprudelte, paßte ganz und gar nicht zu dem blütenweißen Rüschenhemd, der eleganten Kürbishose und den kostbaren Schuhen mit Silberschnallen. Von dem mit Brokat besetzten Wams und dem Federhut gar nicht zu reden.

„Verdammte Höllenbrut!“ keifte de Escobedo. „Scheißkerle! Lumpenpack! Räudige Hunde!“ Der Erlauchte war außer sich vor Wut und ballte sogar die mit kostbaren Ringen besetzten Finger zur Faust, um damit angriffslustig in die Luft zu schlagen.

„Machado, dieser elende Hurensohn, erdreistet sich, mich übers Ohr zu hauen!“ brüllte der Gouverneur. „Dafür wird das Schwein hängen und wenn ich ihn eigenhändig hochziehen muß. Der Kerl gibt sich nicht einmal mit den Schätzen zufrieden, die bereits an Bord sind, er will noch mehr holen. Verdammt, das soll er büßen.“

Don Gaspar de Mello kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Nicht nur, daß er sich über die wenig vornehme Ausdrucksweise de Escobedos wunderte – es war vielmehr das, was der Gouverneur ausdrückte, was ihn aufmerksam werden ließ und das Mißtrauen, das er schon seit geraumer Zeit gegenüber diesem Mann hegte, wieder wachrief.

„Ich glaube nicht, daß er noch mehr von den Schatzgütern auf die ‚Trinidad‘ holen will“, sagte Don Gaspar ruhig.

„Natürlich will er das!“ keifte Alonzo de Escobedo und stampfte dabei wie ein trotziger Junge mit dem Bein auf die Planken. „Der Mistkerl will alles haben. Alles – verstehen Sie?“

„Offen gesagt – nein“, erwiderte de Mello ungerührt. „Was hätte er denn davon, wenn er noch weitere Schätze auf sein Schiff bringen würde? Die Galeone ist ein halbes Wrack und uns völlig ausgeliefert. Er könnte unmöglich mit seiner Beute davonsegeln, wie er das ursprünglich vorgehabt hat.“

„Was wollen Sie damit sagen, Don Gaspar?“ Auf der Stirn des Erlauchten standen dicke Schweißperlen.

„Ich will damit sagen, daß gerade die derzeitige Nutzlosigkeit der ‚Trinidad‘ der Grund für seine Flucht ist. Er ließ alles im Stich, suchte sich so viele Leute aus, wie er brauchte, und wird sich höchstwahrscheinlich an Land mit den Deserteuren verbünden. Offenbar hat er sich große Chancen ausgerechnet, auf diese Weise doch noch an das große Geld zu gelangen.“

Das schien auch dem aufgebrachten Gouverneur einzuleuchten, aber es verhinderte nicht, daß er einen neuen Tobsuchtsanfall erlitt. Und wieder sprach er davon, daß ihn das „Schwein Machado übers Ohr hauen“ wollte.

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