Buch lesen: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 416»
Impressum
© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-824-9
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de
Frank Moorfield
Die Nacht des Siegers
Die Black Queen triumphierte, aber noch war die Nacht nicht zu Ende …
Zwei Geiseln hat die Black Queen – Philip Hasard Killigrew, den Seewolf, und Siri-Tong, die Rote Korsarin. Mit Gold waren diese beiden Geiseln nicht aufzuwiegen, denn sie bedeuteten für die Negerin den Schlüssel, das Tor zur Beherrschung der Karibik aufzustoßen; denn das war ihr Ziel. Mit den beiden Geiseln konnte sie den Bund der Korsaren erpressen, der bisher ihre ehrgeizigen Pläne verhindert hatte. Lange hatte sie für dieses hochgesteckte Ziel gekämpft – und furchtbare Niederlagen hinnehmen müssen. Aber zäh wie eine Katze hatte sie nicht aufgegeben, der Erfolg gab ihr recht. Nur ahnte sie nicht, daß ihre Gegner noch zäher waren, vielleicht auch schlauer. Denn nun zahlte sich aus, daß die Seewölfe noch einen Trumpf hatten …
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Die Hauptpersonen des Romans:
Philip Hasard Killigrew – er ist wehrlos und an den Besanmast der „Caribian Queen“ gefesselt, aber das hindert ihn nicht, die Black Queen dennoch zu attackieren.
Big Old Shane – der ehemalige Waffenschmied von Arwenack plant ein Enterunternehmen, und dafür ist er genau der richtige Mann.
Black Queen – sie hat hoch gespielt und auch gewonnen, doch als die Nacht vorbei ist, sind Ihre Träume als Königin über die Karibik verflogen wie Seifenblasen.
Pablo – eine Rumflasche wurde dem Kreolen zum Verhängnis.
1.
Die Luft war warm und stickig. Den sechs Männern, die sich in dem Geheimgang aufhielten, der sich von den Achterdeckskammern der „Isabella IX.“ bis zu den Mannschaftsräumen unter der Back hinzog, stand der Schweiß auf der Stirn. Immer wieder lauschten sie den Geräuschen, die von draußen in ihr Versteck drangen.
„Hoffentlich fängt Plymmie nicht an zu bellen“, sagte Sam Roskill flüsternd.
„Tut sie nicht“, erwiderte Batuti, der riesige Gambia-Neger, und kraulte der Wolfshündin beruhigend das Fell.
Philip und Hasard junior, die Zwillingssöhne des Seewolfs, hatten das Tier noch rechtzeitig zu den Männern im Geheimgang gebracht, und das aus einem ganz bestimmten Grund. Außerdem hatten sie die Gelegenheit benutzt, den Männern von den Vorgängen an Bord zu berichten.
Noch schrieb man den 14. August 1594. Von Mitternacht trennten noch ungefähr drei Glasen. Nur war fraglich, ob überhaupt noch jemand die Schiffsglocke bedienen würde, denn die Nacht, die sich vor Stunden über die einsame Bucht von Mariel, die etwa zwanzig Meilen westlich von Havanna lag, gesenkt hatte, schien eine sogenannte „schwarze“ Nacht zu werden.
Die „Isabella IX.“, das Schiff der Seewölfe, schwoite zwar friedlich an der Ankertrosse, doch das Bild täuschte, denn tatsächlich war auf der ranken Dreimastgaleone ebenso der Teufel los wie auf ihrem Begleitschiff, der „Caribian Queen“. Nur handelte es sich bei dem Teufel, der hier sein Unwesen trieb, nicht um ein Fabelwesen mit Hörnern, Pferdefüßen und Schwanz, sondern um eine halbnackte Frau mit pechschwarzer Haut, üppigem Kraushaar und vollen, sinnlichen Lippen.
Der Black Queen war es zusammen mit dem Kreolen Pablo in einem dreisten Coup tatsächlich gelungen, die „Caribian Queen“ zurückzuerobern. Der kampfstarke Zweidecker, der der schwarzen Piratin einst gehört hatte, war dem Bund der Korsaren in die Hände gefallen und wurde seitdem von Siri-Tong, der mandeläugigen Eurasierin, befehligt.
Die Black Queen jedoch hatte es immer wieder verstanden, sich ein Schiff zu kapern, um samt ihrer üblen Bande von Schnapphähnen beweglich zu bleiben. Zuletzt war es die holländische Fleute „Zeehond“ gewesen. Dem Seewolf und Siri-Tong war es jedoch gelungen, das Schiff aus dem Hafen von Havanna zu locken, es den Klauen der schwarzen Piratin zu entreißen und seinem Kapitän, Wim de Bruijn, zurückzugeben.
Danach hatten sich die „Isabella IX.“ und die „Caribian Queen“ zu der versteckten Bucht an der kubanischen Nordküste verholt. Arne von Manteuffel in Havanna mußte noch über den Ausgang der Konfrontation informiert werden. Als der Seewolf zu diesem Zweck zusammen mit Jean Ribault, Don Juan de Alcazar, Dan O’Flynn und Edwin Carberry in einer Jolle nach Havanna aufgebrochen war, hatten sie noch nichts über das persönliche Schicksal der Black Queen gewußt. Es war anzunehmen, daß sie die Flucht zur Küste wegen der Haie nicht überlebt hatte.
Die Mannen vom Bund der Korsaren mußten sich jedoch bald vom Gegenteil überzeugen lassen. Sowohl die Black Queen als auch Pablo, einer ihrer Galgenvögel, hatten es geschafft, die Küste schwimmend zu erreichen, und dieser Umstand sollte zunächst einen dicken Strich durch die Pläne des Seewolfs machen.
Dem schwarzen Teufelsweib gelang es nämlich durch einen raffinierten Trick und mit Hilfe Pablos, die Jollenbesatzung in eine Falle zu locken und Philip Hasard Killigrew, ihren größten Feind, als Geisel zu nehmen. Während sie die anderen Männer gefesselt und in einer nahezu ausweglosen Lage zurückgelassen hatte, war sie mit der erbeuteten Jolle und mit dem an den Mast gebundenen Seewolf in die Bucht von Mariel gesegelt, um „ihr“ Schiff, die „Caribian Queen“, mit dem Mittel der Erpressung wieder in ihren Besitz zu bringen.
Den Besatzungen der „Isabella“ und der „Caribian Queen“ war gar nichts anderes übriggeblieben, als die Waffen vor der Piratin zu strecken. Niemand dachte auch nur im entferntesten daran, das Leben Hasards aufs Spiel zu setzen. Kein Wunder also, daß beide Crews schließlich als Gefangene im Laderaum der „Caribian Queen“ endeten. Siri-Tong jedoch war an den Hauptmast gebunden worden, und Hasard mußte den Mast der Jolle mit dem Besanmast des Zweideckers vertauschen. Mit diesen beiden Geiseln hoffte die schwarze Piratin, die Schiffsbesatzungen fest in der Hand zu haben und ihren gewagten Schachzug bis zum Ende durchzuführen. Ein teuflischer Coup fürwahr, der einer Frau, der lediglich ein einziger Helfer zur Verfügung stand, einiges an Kraft und Kaltblütigkeit abverlangte.
Die Rechnung der Black Queen schien sogar aufzugehen. Nur war ihr unbekannt, daß es auf der „Isabella“ einen Geheimgang gab, in den sich sechs Männer und ein Hund unbemerkt zurückgezogen hatten.
Dort saßen sie jetzt – Ferris Tucker, Big Old Shane, Matt Davies, Batuti, Sam Roskill und Stenmark – zähneknirschend und voller Wut auf die Black Queen, die offenbar durch nichts aufzuhalten war. Der Haß dieser Frau war grenzenlos und schien durch die letzten Rückschläge noch größer geworden zu sein.
„Ich könnte glatt aus der Haut fahren“, sagte Stenmark. „Dieses Weib kommandiert unsere Leute herum, und wir sitzen hier und können nichts tun.“
„Zumindest vorerst nicht“, sagte Ferris Tucker, der rothaarige Schiffszimmermann, mit gedämpfter Stimme. „Trotzdem haben wir uns nicht umsonst in den Geheimgang verholt.“
„So ist es“, sagte Big Old Shane. „Jetzt gilt es, den richtigen Zeitpunkt abzuwarten. Wenn wir bis dahin schon mal über unsere Möglichkeiten nachdenken würden, könnte das wohl nicht schaden. Wären wir an Deck geblieben, müßten wir uns jetzt wohl oder übel genauso von diesem Busenteufel in den Achtersteven treten lassen wie die anderen. Von hier aus aber haben wir zumindest eine Chance, etwas zu unternehmen.“
Plymmie begann leise zu winseln. Trotz der Dunkelheit war deutlich zu spüren, daß sie auf jedes Geräusch achtete.
„Mach bloß keinen Quatsch, Plymmie“, mahnte Sam Roskill, der der Wolfshündin nicht recht zu trauen schien.
Batuti kümmerte sich nach wie vor um das Tier.
„Plymmie ist ein guter Hund“, sagte er mit verhaltener Stimme. „Sie spürt die Gefahr, aber sie bellt nicht. Da mußt du nicht nervös werden, Mister Roskill.“
„Ich – nervös?“ Sam wollte aufbegehren, aber Big Old Shane, der einstige Waffenschmied der Feste Arwenack in Falmouth, legte ihm sofort die Hand auf die Schulter. Er brauchte dazu nicht einmal in der Finsternis herumzutasten, denn Sam hockte unmittelbar neben ihm.
„Schon gut“, fuhr der ehemalige Karibik-Pirat fort. „Aber ich bin nicht nervös. Nur finde ich es ein bißchen riskant, daß wir Plymmie bei uns haben. Sie ist ja ein lieber Kerl, aber ein Tier bleibt doch immer unberechenbar.“
Big Old Shane nickte.
„Grundsätzlich hast du nicht unrecht, Sam. Aber wie du weißt, hat es seinen guten Grund, daß Plymmie bei uns ist. Vergiß nicht, daß sie im Hafen von Havanna, während sie die Stelling der ‚Wappen von Kolberg‘ bewachte, der Black Queen beinahe an die Kehle gesprungen wäre. Die Sache hätte uns verdammt viel Ärger einbringen können, wenn Hein Ropers nicht so beherzt eingegriffen hätte. Vor allem für Arne wären die Folgen katastrophal gewesen. Auch jetzt ist es nur von Vorteil, wenn die Black Queen Plymmie nicht zu sehen kriegt, allein schon wegen Arne und seiner Männern.“
„Du hast recht“, pflichtete ihm Sam Roskill bei. „Da ist es schon besser, Plymmie ist bei uns.“
„Na also“, ließ sich Batuti vernehmen. „Jetzt bist du vernünftig, Mister Roskill, und nicht mehr nervös.“
Sam glaubte, das breite Grinsen des schwarzen Riesen und das Aufblitzen seiner perlweißen Zähne trotz der Dunkelheit zu sehen, aber er schluckte seine Erwiderung trotzdem hinunter.
Natürlich war keiner von ihnen wirklich nervös. Dazu hatten sie alle schon zuviel erlebt, und jeder von ihnen hatte dem Teufel auf allen Meeren der Welt bereits mehr als ein Ohr abgesegelt. Dennoch konnten sie nicht verleugnen, daß sie nach wie vor unter einer gewissen Anspannung standen, denn das Treiben da draußen ging an die Nieren, ob man das wahrhaben wollte oder nicht. Hätten sie aufspringen und zupacken können, wäre das noch akzeptabel für sie gewesen, so aber setzte ihnen die momentane Ungewißheit und Untätigkeit zu.
Bald stellten die Arwenacks fest, daß das Getrappel auf den Decksplanken merklich nachließ. Auch die polternden und schabenden Geräusche, die die an- und ablegenden Boote an der Bordwand verursachten, waren seit einiger Zeit nicht mehr zu hören. Schließlich setzte eine lähmende Stille ein.
Stenmark wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß aus dem Gesicht.
„Wahrscheinlich sind wir jetzt die einzigen an Bord“, sagte er leise. „Verdammt, was hat dieses Schnapphuhn nur vor?“
„Das läßt sich unschwer erraten“, erwiderte Ferris Tucker. „Wenn man sich in die Lage der Black Queen versetzt, scheint das, was sie tut, logisch zu sein. Sie hat nur diesen dicken Kreolen als Helfer, und das ist zu wenig, um zwei Schiffe samt Besatzungen zu bewachen. Also hat sie die ‚Isabella‘ abgeräumt und die Crew auf der ‚Caribian Queen‘, die sie wohl immer noch als ihr Eigentum betrachtet, unter Verschluß gesetzt.“
„Na, dann viel Spaß“, sagte Stenmark sarkastisch. „Hoffentlich flüstert ihr der Teufel nicht noch einige weitere Schandtaten ins Ohr, sonst verfällt sie womöglich auf die Idee, die ‚Isabella‘ zu versenken oder anzuzünden.“
„Zuzutrauen ist diesem Weibsbild alles“, sagte Ferris Tucker. „Dennoch ist ihr weiteres Handeln ganz von ihren Plänen abhängig, und die kennen wir noch nicht. Also müssen wir verdammt auf der Hut sein.“
Big Old Shane räusperte sich verhalten.
„Die Queen hat bestimmt nicht vor, einige neckische Spielchen mit uns zu treiben und sich dann zu verholen, o nein. Sie haßt uns vielmehr wie die Pest, und deshalb müssen wir mit allem rechnen. Meiner Meinung nach sollten wir sofort etwas unternehmen. Wer weiß, wie lange wir noch die Möglichkeit dazu haben.“
„Dafür bin ich auch“, sagte Matt Davies. „Aber was können wir tun? Hast du einen Vorschlag?“
„Ich habe einen“, erwiderte Old Shane.
„Dann laß ihn endlich hören.“ Die Stimme des grauhaarigen Mannes, dessen rechte Hand durch eine gefährliche Hakenprothese ersetzt wurde, klang ungeduldig.
„Na schön“, fuhr Big Old Shane fort. „Es ist natürlich klar, daß unsere Möglichkeiten beschränkt sind. Dennoch müssen wir das Beste aus unserer Situation herausholen, wenn wir nicht bis zum Jüngsten Tag tatenlos hier herumhocken wollen. Ich schlage deshalb folgendes vor: Drei Mann verlassen den Gang durch den Ausstieg im Mannschaftslogis und drei durch den geheimen Ausgang in meiner Achterdeckskammer …“
„Und zu was soll das alles gut sein?“ unterbrach ihn Sam Roskill voller Tatendrang.
„Nur langsam, Sam“, sagte Old Shane. „Ich bin noch nicht am Ende. Es könnte ja sein, daß sich der Kreole noch an Bord befindet. Wenn das der Fall wäre, könnten wir ihn von vorn und achtern in die Zange nehmen. Nur müßte das in einem sehr schnellen Handstreich geschehen – möglichst, bevor der Kerl die Black Queen alarmieren kann. Sind wir aber erst einmal an Deck, dürfte es nicht besonders schwierig sein, das Treiben auf der ‚Caribian Queen‘ zu beobachten, ohne selbst gesehen zu werden.“
„Das ist ein guter Vorschlag“, sagte Ferris. „Sobald wir von Deck aus die Lage gepeilt haben, können wir immer noch an Ort und Stelle entscheiden, was wir weiter unternehmen. An Waffen fehlt es uns nicht, wir haben genug davon hier im Versteck, zudem sind da noch die geheimen Waffenkammern vorn und achtern, die wir beide von diesem Gang aus erreichen können.“
„Das sind doch schon recht vielversprechende Aussichten“, meinte Sam Roskill, dem es gewaltig in den Händen juckte. „Ich verspüre nämlich nicht die geringste Lust, hier im Gang alt und grau zu werden.“
Auch die anderen Männern brachten ihre Zustimmung zum Ausdruck.
„Davonsegeln wird uns das Teufelsweib vermutlich nicht so rasch“, sagte Stenmark. „Allein mit dem Kreolen kann sie das unmöglich schaffen. Zudem dürften die beiden alle Hände voll zu tun haben, um ihre Gefangenen und die Geiseln im Auge zu behalten.“
„Das ist anzunehmen“, sagte Big Old Shane. „Zumindest jetzt, in der Nacht, wird sich da nichts tun. Und gerade darin liegt unsere Chance.“
Die Arwenacks verloren keine Zeit mehr. Das Unbehagen darüber, was wohl mit ihren Kameraden geschah, saß ihnen im Nacken. Sie gingen so vor, wie Big Old Shane vorgeschlagen hatte. Ferris Tucker, Batuti und Matt Davies krochen nach vorn zum Ausgang im Mannschaftslogis. Big Old Shane hingegen wandte sich zusammen mit Sam Roskill und Stenmark dem Ausgang in seiner Kammer zu.
Plymmie blieb den Männern dicht auf den Fersen und verhielt sich mucksmäuschenstill.
Es war schwül und warm, nur die leichte Brise aus Nordnordost brachte zeitweise ein wenig Abkühlung. Der Mond stand als Sichel am Himmel und verschwand zuweilen hinter vorbeiziehenden Wolkenfetzen.
Vom dschungelbewachsenen Ufer herüber drang das Geschrei der Nachtvögel, das Gebrüll von Affen und das schier pausenlose Zirpen der Zikaden.
Auf der „Isabella IX.“ jedoch herrschte Stille. Jetzt, kurz vor Mitternacht, erweckte die Galeone den Eindruck, ein Geisterschiff zu sein.
Schon nach kurzer Zeit trafen sich die beiden Gruppen oben auf der Kuhl wieder, nachdem sie festgestellt hatten, daß sich niemand mehr an Bord befand. Offensichtlich brauchte die Black Queen ihren Helfer drüben auf der „Caribian Queen“ nötiger als hier.
Teils in geduckter Haltung und teils auf dem Bauch robbend, bewegten sich die Arwenacks über die Planken. Plymmie kroch schnuppernd hinterher. Nachdem sie hinter dem Schanzkleid in Deckung gegangen waren, konnten sie ungehindert zu dem Zweidecker hinüberspähen.
Die „Caribian Queen“ lag außerhalb des Drehkreises beim Schwoien an Steuerbord der „Isabella“ vor Anker. Der Bug zeigte nach Nordnordost, in jene Richtung also, aus der der Wind wehte.
Die Arwenacks konnten erstaunlich gut erkennen, was auf dem Schiff vor sich ging, denn die Decks waren durch mehrere Bordlaternen hell beleuchtet.
„Dort am Besan“, flüsterte Stenmark, „das ist unser Kapitän. Und Siri-Tong haben sie an den Großmast gefesselt.“
„Dieses verdammte Luder!“ entfuhr es Ferris Tucker, und natürlich meinte er damit die Black Queen, die ebenfalls deutlich zu sehen und zu hören war.
Die Männer hielten zuweilen die Luft an bei dem, was die schwarze Piratin voller Triumph und Haß von sich gab. Da war unter anderem pausenlos die Rede vom „Seewolf-Tölpel“ und von der „Chinesenhure“, mit der zweifellos Siri-Tong gemeint war.
„Einen ausgeprägteren Wortschatz kann eine Hafenhure auch nicht haben“, flüsterte Sam Roskill.
Er hatte recht damit, denn die Black Queen stand in Siegerpose über der schweren, verzurrten Gräting, mit der die Ladeluke abgesichert worden war. Halbnackt, herausfordernd und obszöne Worte brüllend, triumphierte sie über ihre Gefangenen, die im Laderaum „unter Verschluß“ waren.
„Dieses Weib müßte matt wirklich an die Rah hängen“, sagte Matt Davies leise.
„Das wäre viel zu human“, entgegnete Sam Roskill. „Man müßte sie wie eine Katze in einen Sack stecken und ersäufen. Mit Hexen soll man so was schon gemacht haben.“
Big Old Shane mischte sich ein.
„Jetzt haltet aber eure Phantasie ein bißchen im Zaum“, sagte er. „An einer Rah wird dieses Weib ohne Zweifel einmal enden, aber eine Katze oder Hexe ist sie deshalb noch lange nicht. Oder glaubt ihr beiden etwa an Hexen, wie?“
Matt und Sam verneinten zwar, aber letzterer konnte sich eine Bemerkung nicht verkneifen: „Wenn man dieses Satansweib toben und rasen hört, könnte man aber langsam anfangen, daran zu glauben.“
„Pah“, sagte Batuti. „Die Black Queen ist keine Hexe. Sie hat nur viel Wut im Bauch und außerdem eine große Klappe. Hexen sehen ganz anders aus.“
„Du meinst wohl, die sei viel zu schön dazu, was?“ Ferris Tucker warf ihm einen belustigten Blick zu. „Recht hast du ja. Eine krumme Nase und einen Buckel hat sie nicht. Und ich bezweifle, ob sie auf einem Besen reiten kann. Dafür scheint sie für gewisse andere Dinge geeigneter zu sein.“
Das Grinsen, das über die Gesichter der Arwenacks huschte, verschwand sofort wieder, als Plymmie leise zu knurren begann. Offenbar hatte die Wolfshündin die schwarze Piratin wiedererkannt. Als Batuti ihr beruhigend zuredete und das Fell kraulte, gab sie noch ein unterdrücktes Winseln von sich und blieb dann ruhig.
Die sechs Seewölfe hielten jetzt den Atem an. Nicht wegen Plymmie, sondern wegen dem, was die Black Queen zu ihren Gefangenen hinunterbrüllte.
Ihrem Gekeife war deutlich zu entnehmen, daß sie nach Tagesanbruch zwölf Männer zwingen wollte, die „Caribian Queen“ nach Havanna zu segeln, und dort sollte die ganze „Bande“ dem Gouverneur als „Geschenk“ präsentiert werden. Der „Seewolf-Tölpel“ und die „Chinesenhure“ allerdings sollten als Geiseln benutzt werden, um die Freunde auf der Schlangen-Insel zu erpressen. Fürwahr ein teuflischer Plan, der für alle den Tod bedeuten würde, wenn er zur Ausführung gelangte.
„Die hat sich ja nicht gerade wenig vorgenommen“, stellte Ferris fest. „Hoffentlich schnappt sie nicht über und läßt sich noch weitere Gemeinheiten einfallen.“
Big Old Shane zuckte mit den Schultern.
„Wenigstens kennen wir jetzt ihre weiteren Pläne. Daß sie erst nach Tagesanbruch ankerauf gehen will, ist ein guter Zeitgewinn für uns. Es bedeutet aber auch, daß wir unsere Männer noch in dieser Nacht befreien müssen, wenn wir verhindern wollen, daß diese Teufelin ihre größenwahnsinnigen Pläne zur Ausführung bringt.“
„Offenbar will sie die ‚Isabella‘ zunächst in dieser Bucht zurücklassen und sie dann später abholen“, sagte Stenmark.
Big Old Shane strich sich durch den grauen Bart.
„Was immer sie auch vorhaben mag“, sagte er, „wir müssen alles daransetzen, die beiden da drüben zu überrumpeln, koste es, was es wolle. Es wird nicht leicht für uns werden, aber es ist ja nicht das erste Mal, daß wir harte Nüsse zu knacken haben, nicht wahr?“
Die Kameraden nickten zustimmend. Außerdem hatten sie längst begriffen, daß die Black Queen trotz ihrer triumphierenden und großtönenden Worte auch eine Gefangene ihrer eigenen Entschlüsse war: Sie konnte nicht mit beiden Schiffen gleichzeitig nach Havanna segeln, das wäre viel zu riskant für sie. Sie brauchte Pablo zur Bewachung während der Segelmanöver auf der „Caribian Queen“. Demnach konnte sie nicht ganz so, wie sie eigentlich wollte, und darin sahen die Arwenacks, die nach wie vor hinter dem Schanzkleid der „Isabella“ kauerten, ihre Chance.
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