Seewölfe - Piraten der Weltmeere 362

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Seewölfe - Piraten der Weltmeere 362
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Impressum

© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-759-4

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Frank Moorfield

Die Galeone der Frauen

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Auf Tortuga bahnte sich an jenem Novembertag im Jahre des Herrn 1593, an dem die Sonne wie ein alles versengender Feuerball am tiefblauen Himmel stand, ziemlicher Ärger an.

Doch davon ahnte Diego, der dicke Wirt der Felsenkneipe „Zur Schildkröte“, vorerst nichts. Er war noch voll damit beschäftigt, einem betrunkenen Kerl zu beweisen, daß er sein Handwerk in jeder Beziehung verstand. Dieser verluderte Bursche hatte doch tatsächlich gewagt, ihm die Faust vor die Brust zu donnern, weil er sich geweigert hatte, ihm noch mehr Wein auf Pump zu kredenzen.

Der kleine, etwas bullige Mann geiferte vor Wut.

„Dir werde ich’s zeigen, du verdammter Geizkragen!“ schrie er. „Erst haue ich dich in Stücke, dann nehme ich mir dieses stinkende Rattenloch vor! Du wirst noch darum winseln, mir einen Humpen Wein spendieren zu dürfen!“

Diegos Schweinsäuglein verengten sich.

„Eins sage ich dir, du mickrige Saufeule: Diegos Kneipe mag – gemessen an ihren Gästen – eine Räuberhöhle sein. Aber sie ist kein stinkendes Rattenloch, das solltest du dir merken!“

Bevor der Betrunkene den Kopf senken konnte, um ihn dem Wirt in den mächtigen Bauch zu rammen, riß dieser die Arme hoch und trieb ihn mit raschen und wuchtigen Hieben vor sich her. Schließlich packte er ihn am Kragen seines dreckigen Hemdes und verpaßte ihm einen gewaltigen Fausthieb unter das Kinn.

Der Radaubruder ächzte wie ein vom Sturm gebeuteltes Schiff, taumelte zurück und stieß gegen den Tisch, an dem er noch vor wenigen Minuten gesessen hatte. Das grobgezimmerte Möbelstück stürzte um, und der wütende Zecher ging mit ihm zu Boden. Die wenigen Schlucke Rotwein, die sich noch in seinem Humpen befunden hatten, flossen über den kühlen Steinboden.

Diegos feistes Gesicht verzog sich zu einem schadenfrohen Grinsen.

„Gleich wirst du sehen, wo Schnorrer und Ratten hingehören“, versprach er. „Und wenn du dich noch mal hier blicken läßt, stopfe ich dich kopfüber in ein Essigfaß. Da kannst du umsonst saufen, soviel du willst.“

Der Wirt der „Schildkröte“, wußte, wie man eine Kneipe so richtig „ausmistete“, schließlich gehörte das zu seiner täglichen Arbeit. Außerdem mochte er es nicht, wenn man seine inniggeliebte Goldgrube als „stinkendes Rattenloch“ bezeichnete, auch wenn es sich nur um eine tief in den Felsen reichende Höhle handelte, in der es zahlreiche Räume, Gänge und Nischen gab.

Unter dem lauten Gegröle der anderen Zecher stapfte er auf den Kerl zu, der benommen am Boden lag, packte ihn kurzerhand am Gürtel und schleifte ihn zur Tür hinaus. Dort warf er ihn schwungvoll in die Gosse.

Nachdem Diego die Hände an seiner speckigen Schürze abgewischt hatte, wollte er in die „Schildkröte“ zurückkehren. Doch da fielen seine Blicke hinunter zur Hafenbucht. Was er dort sah, ließ das Grinsen in seinem Gesicht augenblicklich verschwinden.

„Por Dios!“ entfuhr es ihm, dann schlug er hastig das Kreuzzeichen.

Ähnlich erging es vielen anderen Bewohnern Tortugas, die teils fluchend, teils mit kalten Schauern auf dem Rücken zu den vier Schiffen starrten, die in die Hafenbucht einliefen.

Drei davon waren ihnen zwar unbekannt, aber das andere genügte, um reichlich gemischte Gefühle hervorzurufen – jener düster wirkende Zweidecker nämlich, der den anderen vorausgesegelt war und gerade vor Anker ging.

„Die Black Queen ist wieder da!“ Diese Nachricht verbreitete sich in Windeseile über die Insel. Und jeder, der sie hörte, wußte, was sie zu bedeuten hatte.

In der Karibik war seit Wochen der Teufel los, und zwar in Gestalt einer Frau, deren Haut so schwarz war wie ihre Augen und ihr dichtes Kraushaar. Seit sie mit ihrem rahgetakelten Zweidecker See und Küsten verunsicherte, gab es ständig neuen Ärger. Davon hatte man auf Tortuga ohnehin schon genug.

Die Insel, die Hispaniola im Norden vorgelagert ist, galt bereits seit Jahrzehnten als berüchtigtes Piratennest, in dem sich lichtscheues Gesindel aller Rassen und Sprachen herumtrieb. Obwohl von zahlreichen Machtkämpfen heimgesucht, hatte es doch keiner geschafft, das „Schildkröteneiland“ auf Dauer zu beherrschen. Nach blutigen Gefechten waren immer wieder Zeiten der Ruhe eingekehrt.

Doch seit die Black Queen mit ihrem Zweidecker namens „Caribian Queen“ vor Tortuga aufzukreuzen pflegte, konnte selbst der friedlichste Schnapphahn nicht mehr in Frieden leben.

Wo immer die herrschsüchtige Negerin vor Anker ging, da krachten bald die Kanonen – nicht zuletzt deshalb, weil das Teufelsweib, das sich mit Vorliebe Black Queen nennen ließ, dem „Bund der Korsaren“ den Krieg erklärt hatte.

Die unermeßlichen Schätze, die auf der geheimnisvollen Schlangen-Insel lagern sollten, gingen der Piratin seit Wochen nicht mehr aus dem Kopf. Und so blieb es nicht aus, daß sie immer wieder heftig mit Jean Ribault, der Roten Korsarin, dem behelmten Wikinger und zuletzt auch mit den Seewölfen aneinandergeriet. Die Kämpfe zwischen den Schiffen von der Schlangen-Insel und der Black Queen hatten Tortuga schon bis in die Grundfesten erschüttert.

Diego kratzte sich ausgiebig am Hinterkopf.

„O heiliger Santiago!“ seufzte er und wölbte den Bauch vor, daß die Schürze zu zerreißen drohte. „Was hat das nun wieder zu bedeuten?“

Der plötzliche Aufmarsch eines ganzen Verbandes gab ihm zu denken, denn ohne Zweifel gehörten die drei sehr spanisch aussehenden Galeonen zum Gefolge der Black Queen, auch wenn er sie noch nie im Hafen von Tortuga gesehen hatte.

Ihre Namen konnte er bald entziffern. Es handelte sich um die „Aguila“, die „Vascongadas“ und die „Buena Estrella“. Die Galeonen sahen demnach nicht nur spanisch aus, sondern hatten auch spanische Namen. Außerdem befanden sich, wie er deutlich sehen konnte, jede Menge Leute an Bord. Was hatte die Black Queen diesmal vor? Er wurde das verdammte Gefühl nicht los, daß es mit dieser Flotte eine besondere Bewandtnis haben mußte.

Diego verharrte noch einen Moment auf seinem Platz, denn in der Kneipe würden sich schon die Schankknechte darum kümmern, daß die Humpen rechtzeitig nachgefüllt wurden und das Geld dafür den Besitzer wechselte.

Doch plötzlich fiel dem dicken Diego ein, daß er ja der einzige Wirt auf Tortuga war. Sein ausgeprägter Geschäftssinn erwachte blitzartig und ließ ihn rasch das böse Omen, das die Anwesenheit der Black Queen für die Insel darstellte, vergessen. Vier Schiffe – dem Herrn sei Dank! –, das bedeutete, daß seine Felsenkneipe in kurzer Zeit von durstigen Männern überschwemmt sein würde.

Das feiste Gesicht des Wirts verzog sich zu einem zufriedenen Grinsen. Viele Zecher – das brachte Zuwachs für seine Lederbeutel, die er an einem sicheren Ort tief in der Grotte auf bewahrte, die würden von Stunde zu Stunde praller werden.

Diego rieb sich die Hände. Geld stank ja bekanntlich nicht, auch nicht, wenn es von der Black Queen und ihren Schnapphähnen stammte. Außerdem – was konnte ihm schon passieren? Er war ein neutraler und friedfertiger Mensch, der es bisher immer verstanden hatte, sich aus brenzligen Situationen herauszuhalten. Er schlängelte sich gewissermaßen in der Mitte hindurch und verstand es, auf allen Schultern zu tragen. Nur so konnte man auf Tortuga überleben, das hatte er schnell herausgekriegt.

Diego hatte es jetzt sehr eilig. So schnell ihn die Beine trugen, eilte er in die „Schildkröte“ zurück. Dort trat er noch einem Betrunkenen, der auf allen vieren am Boden herumkroch, in den Hintern und verscheuchte eine allzu aufdringliche Hafenhure. Dann verzog er sich hinter seinen Schanktisch.

Nachdem er seine Gehilfen mit zahlreichen Kruken in den Weinkeller geschickt hatte, ließ er jene Tische räumen, an denen Betrunkene ihren Rausch ausschliefen. Gleich wurde jede Menge Platz gebraucht, und den verschaffte sich Diego, ohne dabei zimperlich zu sein. Schließlich mußte die „Schildkröte“ auf den großen Ansturm vorbereitet sein.

Der Hafen von Tortuga, in dem meist ein buntes Leben und Treiben herrschte, wirkte innerhalb kurzer Zeit wie ausgestorben.

Die Piers und Stege, auf denen sonst Faulenzer, Neugierige und Abstauber herumlungerten, waren plötzlich wie leergefegt. Die Schnapphähne und Händler, die in der Nähe Beutegut verhökerten, packten ihren Kram zusammen und verschwanden. Einige Fischer versuchten hastig, ihre Boote zu einem abgelegeneren Teil der Hafenbucht zu bringen – für den Fall, daß es hier wieder einmal Kleinholz geben sollte.

 

Die Black Queen ging zusammen mit Caligula, Jaime Cerrana, Willem Tomdijk und Emile Boussac an Land. Sie bemerkte sehr wohl die überstürzten Sicherheitsvorkehrungen, aber sie bedachte das Ganze nur mit einem zynischen Lächeln. Schließlich zeigte diese Verhaltensweise, daß man einen höllischen Respekt vor ihr hatte. Das konnte ihr bei all ihren Zukunftsplänen nur recht sein.

Vorsichtshalber hatte die schwarze Piratin nur einem Drittel aller Männer Landgang gewährt, damit die Gefechtsbereitschaft aller vier Schiffe gewährleistet blieb. Sie hatte auf Tortuga bereits ihre Erfahrungen gesammelt, und die Niederlagen, die ihr der Franzose Jean Ribault und der Wikinger mit seinem schwarzen Schiff bereitet hatten, wollte sie auf keinen Fall noch einmal erleben.

Ja, sie bot ein beeindruckendes Bild, die Black Queen, wie sie da im Gefolge übler Halunken und Halsabschneider auf die „Schildkröte“ zuhielt.

Normalerweise hätte das Gesindel, das sonst den Hafen bevölkerte, Stielaugen gekriegt und gierig mit der Zunge geschnalzt, wenn sich eine Frau wie die Black Queen gezeigt hätte – halbnackt, nur mit einem Lendenschurz bekleidet, der von einem handbreiten Ledergürtel festgehalten wurde.

So aber hielt man sich zurück und ging dieser selbsternannten Königin mit dem geradezu athletischen Körperbau tunlichst aus dem Weg, denn sie war nicht nur mit weiblichen Reizen, goldenen Ohrringen und einer kostbaren, ineinander verschlungenen Halskette ausgestattet, sondern auch mit Waffen, die an ihren eigentlichen Charakter erinnerten. In ihrem Gürtel trug sie eine wertvolle doppelläufige Pistole und ein ungewöhnlich geformtes Entermesser.

Ihr Begleiter, Partner und Liebhaber namens Caligula, Sohn des berüchtigten Oberschnapphahns Caligu, der in der Windward-Passage sein Leben ausgehaucht hatte, war nicht weniger beeindruckend. Auch er war pechschwarz und von muskulöser Gestalt. Im Gürtel, der seine weiße Pumphose festhielt, trug er die gleichen Waffen wie die Black Queen, und was Skrupellosigkeit, Verschlagenheit, Brutalität und Intelligenz betraf, stand er ihr ebenfalls in nichts nach.

Caligula war es, der sein Gesicht zu einem spöttischen Grinsen verzog.

„Das Gelichter hier scheint uns aus dem Weg zu gehen“, bemerkte er. „Das sind gute Vorzeichen für die Zukunft, denn wir werden den Bewohnern von Tortuga künftig einigen Respekt abverlangen, nicht wahr?“

Die Queen lächelte.

„Laß die Köter nur kuschen, Caligula. Was sie bereits können, brauchen wir ihnen nicht beizubringen.“

Jaime Cerrana, der neue Anführer und Kapitän der Meuterer auf der „Aguila“, lachte dröhnend.

„Das ist ein wahres Wort, Queen“, sagte er. „Eines Tages wird die ganze Karibik vor uns kuschen, einschließlich der verdammten Kerle von der Schlangen-Insel.“

Das Gesicht der Queen wurde ernst und verbissen.

„Erinnere mich nicht an diese Bastarde, Jaime! Wenn ich nur an sie denke, könnte ich rasend werden. Das wird sich erst ändern, wenn mir diese Hunde winselnd aus der Hand fressen. Und das wird bald der Fall sein, das schwöre ich euch.“

Niemand sagte etwas darauf, selbst der geschwätzige Emile Boussac nicht. Sie wußten alle, was es für Folgen haben konnte, wenn die Black Queen innerlich kochte. Da genügte mitunter ein verkehrtes Wort oder ein schräger Blick, und sie riß ihr Entermesser aus dem Gürtel und stieß zu. Das aber wollte keiner riskieren, denn die Aussicht, halbtot oder tot über die berüchtigte Totenrutsche von Tortuga ins Wasser zu gleiten, wo eine Schar gefräßiger Haie ständig auf Nachschub lauerte, war alles andere als verlockend.

Bald war die Felsenkneipe „Zur Schildkröte“ erreicht. In der Grotte herrschte buchstäblich dicke Luft, es roch nach Bier, Wein, Rum und Schweiß. An den Tischen im Schankraum und in den zahlreichen Felsnischen verstummten sofort alle Gespräche, als die Black Queen mit ihrem Gefolge eintrat und sich mit prüfenden Blicken umsah. Es fiel den Zechern sehr wohl auf, daß sie dabei stets die Hand am Griff ihrer silberbeschlagenen Pistole hatte.

Lediglich Diego glaubte es dem Ruf seiner Kneipe schuldig zu sein – und wohl auch ein bißchen dem eigenen Hals –, die neuen „Gäste“ überschwenglich zu begrüßen. Er ahnte zwar instinktiv, daß es irgendwann Ärger geben würde, aber Geschäft war eben Geschäft.

„Welch eine Überraschung, dich in meiner bescheidenen Schenke zu sehen, Black Queen“, sagte er dienernd. „Wo möchtest du dich mit deinen Leuten niederlassen? Wenn euch der Trubel stört, lasse ich natürlich einige Trunkenbolde rauswerfen.“

Diego deutete eine leichte Verbeugung an, nicht ohne einen flüchtigen Blick auf die festen, nackten Brüste der Piratin zu werfen.

„Nicht nötig“, erwiderte die Queen. „Wenn mir eine Visage nicht paßt, werfe ich den dazugehörigen Kerl schon selber raus. Doch vielleicht hast du eine ruhige Ecke für uns, von der aus man die Grotte überblicken kann.“

„Natürlich!“

Diego eilte dienstbeflissen zu einer Felsennische, um einen hageren Kerl, der dort mit glasigem Blick hockte und wie hypnotisiert auf die halbnackte Black Queen starrte, zu verscheuchen.

„Verschwinde, Pedro!“ sagte er mit gedämpfter Stimme. „Dieser Platz wird gebraucht.“

Doch der hagere Mann, dem man den Schnapphahn auf den ersten Blick ansah, zeigte keine Anstalten, sich zu erheben. Seine gierigen Blicke hatten sich an der Negerin, die mit ihren Begleitern langsam auf die Nische zuging, festgesaugt.

„Du sollst verschwinden, Pedro!“ drängte Diego und packte den Hageren an der Schulter.

Doch der schüttelte die Hand des dicken Wirts ab.

„Ich – ich denke nicht daran!“ stieß er mit schwerer Zunge hervor. „We-wegen einer hergelaufenen Hafenhure stehe ich nicht auf. Bring mir noch einen Humpen Bier, Diego!“ Auf dem zernarbten Gesicht des Mannes erschien ein anzügliches Grinsen. Er schien nicht zu begreifen, mit wem er es zu tun hatte. Lallend fuhr er fort: „Die geht aber ran, he? Ist schon fast nackt. Teufel, was für ein Weib! We-wenn sie Platz braucht, soll sie sich doch zu mir setzen! Meine Knie sind noch frei.“

Diego erbleichte, und plötzlich war es in der Grotte so still, als befände man sich auf einem Friedhof.

Die Black Queen verhielt ihre Schritte, ihre pechschwarzen Augen funkelten böse.

„Du scheinst mich mit jemandem zu verwechseln, du Mistkerl“, sagte sie mit gefährlich leiser Stimme. „Deshalb wird es Zeit, daß du mich kennenlernst. Ich mag es nämlich nicht, wenn mich ein stinkender Ziegenbock als Hafenhure bezeichnet.“

Wie durch Zauberei lag plötzlich die doppelläufige Pistole in ihrer Hand. Ein Schuß krachte, und aus einem der beiden Läufe stach eine grelle Mündungsflamme hervor. Ohne noch einen Laut von sich zu geben, kippte der hagere Kerl von der Holzbank. Auf seiner Stirn klaffte ein Loch.

Die Queen drehte sich mit steinernem Gesicht um, immer noch die Pistole in der Hand haltend.

„Möchte noch jemand ein anzügliches Kompliment loswerden?“ fragte sie, und ihre Stimme klang unsagbar kalt und böse. „Ich habe noch eine Kugel im zweiten Lauf, und die Haie, die unter der Totenrutsche warten, vertragen bestimmt noch einen zweiten Happen.“

Es herrschte noch immer Totenstille. Niemand rührte sich. Selbst diejenigen, die nach ihren Humpen gegriffen hatten, führten sie nicht zum Mund.

Die Black Queen selber löste die allgemeine Verkrampfung.

„Laß den Toten wegschaffen, Diego“, sagte sie und schob die Pistole in den Gürtel zurück.

Noch während der Wirt dafür sorgte, daß die Schankknechte die Leiche hinaustrugen, ließ sich die schwarze Piratin, als sei nicht das geringste vorgefallen, mit Caligula, Willem Tomdijk, Jaime Cerrana und Emile Boussac in der „frei gewordenen“ Nische nieder.

„Bring uns Wein, Diego“, sagte Caligula, „aber den besten Tropfen, den du im Keller hast.“

Diego, der heftig schwitzte, eilte zum Schanktisch und griff sich einige der bereitstehenden Kruken. Einen Helfer beauftragte er damit, die Humpen zu tragen.

Inzwischen wanderten die Blicke der Queen und ihrer Begleiter durch die Grotte. Eine ganze Reihe von Zechern hatte es plötzlich eilig mit dem Verlassen der „Schildkröte“, viele aber wagten nicht einmal, sich von ihren Plätzen zu erheben.

Den dicken Diego störte es nicht, wenn zahlreiche Holzbänke frei wurden, denn er erwartete noch jede Menge Gäste von den vier Schiffen.

Nachdem die Humpen mit funkelndem Rotwein gefüllt waren, trank die Black Queen einen Schluck und stellte den Humpen auf den Tisch.

„Setz dich, Dicker“, erklärte sie. „Ich habe dir einiges zu sagen.“

Diego verspürte ein flaues Gefühl in der Magengegend. Was hatte diese Aufforderung zu bedeuten? Was wollte die Black Queen von ihm? Hatte sie gar etwas an seinem Wein auszusetzen? Du lieber Himmel, er hatte wirklich den besten Tropfen aus dem Keller holen lassen!

Der dicke Wirt setzte sich.

„Was – was gibt es?“ fragte er. Er konnte seine Erregung kaum verbergen. Sein Blick wirkte unruhig, und auf seiner Stirn glänzten dicke Schweißtropfen.

„Du kennst doch eine Menge Leute“, begann die Piratin. „Und du hast einige Bedienstete, nicht wahr?“

„Ja-ja, natürlich“, erwiderte Diego und nickte eifrig. „Ich habe einige. Schankknechte – faule Kerle übrigens, denen man öfter mal in den Hintern treten muß.“

„Das ist deine Sache“, fuhr die Queen lächelnd fort. „Jedenfalls könntest du einige davon losschicken, damit sie eine Nachricht über die Insel verbreiten.“ Die Frau lächelte immer noch. Nach einer kurzen Pause, in der sie in langen Zügen von dem guten spanischen Rotwein trank, von dem niemand so recht wußte, wie Diego ihn beschaffte, fuhr sie fort: „Ich werde nämlich ab sofort die Herrschaft über Tortuga antreten, damit dem regierungslosen Zustand auf der Insel ein Ende bereitet wird. Ab sofort bestimme ich, was hier geschieht, ich bin sozusagen das Gesetz. Hast du mich verstanden, Diego?“

Der Wirt war bestürzt, aber er verstand es, diesen Zustand weitgehend zu verbergen.

„Ich – ich habe dich verstanden“, sagte er Hastig. „Du – du wirst die Königin von Tortuga …“

„Irrtum“, sagte die Schwarze. „Ich werde es nicht, ich bin es schon, damit das klar ist!“

„Ganz klar“, bestätigte Diego. „Ich werde dafür sorgen, daß jeder auf Tortuga es erfährt.“

„Das hoffe ich“, sagte die Queen, „denn du bist ab sofort mein Vertrauensmann auf dieser Insel. Deshalb hast du auch als erster von meiner Machtübernahme erfahren.“

„Oh, das ist mir eine Ehre“, beteuerte Diego, obwohl ihm fast speiübel wurde. Nachdem er sich wieder etwas in der Gewalt hatte, fragte er listig: „Da wird sich auf Tortuga wohl einiges verändern, wie?“

Jetzt lachte Caligula dröhnend.

„Und ob, Dickerchen! Hier wird sich eine ganze Menge verändern. Wem das nicht paßt, der kann die Insel ja über die Totenrutsche verlassen.“

Über Diegos Rücken kroch eine Gänsehaut. Er wußte nur zu gut, daß Caligula keine leeren Versprechungen von sich gab. Die Piraten hatten ja gerade erst gezeigt, daß sie nicht lange fackelten, wenn jemand nicht nach ihrer Pfeife tanzte. Der Wirt konnte nicht verhindern, daß er reichlich blaß um die Nase wurde, und er war froh darüber, daß im Schein der blakenden Öllampen, die über den Nischen und Gängen baumelten, sein Gesicht nicht allzu deutlich zu sehen war.

„Außerdem“, fuhr die Black Queen fort, „habe ich an Bord der drei Galeonen etwa dreihundert französische und englische Siedler. Sie werden sich jedoch nur vorübergehend auf Tortuga aufhalten. Die Insel soll nur eine Zwischenstation für sie sein.“

Das klang nicht schlecht für Diegos Geschäft, dennoch wünschte er die mordgierige Piratin samt ihrem Anhang zum Teufel. Er war sich darüber klar, daß während der bevorstehenden Schreckensherrschaft viel Blut fließen würde, denn Caligula hatte ganz bestimmt nicht gescherzt, als er auf die Totenrutsche verwiesen hatte – auf jene westlich des Hafens gelegene Steilklippe, in der sich eine glattgeschliffene, körperbreite Rille befand, die fast senkrecht zum Meer abfiel. Über diese Rille oder Rutsche trat man auf Tortuga seine letzte Reise an.

Diego wischte sich den Schweiß von der Stirn. Wo, zum Teufel, steckte eigentlich der Seewolf? Und wo waren Ribault, der Wikinger und die Rote Korsarin? Wenn es überhaupt jemand schaffte, dem Treiben der Black Queen einen Riegel vorzuschieben, dann war das der Seewolf mit seinen Freunden. Doch sie alle schienen weit von Tortuga entfernt zu sein.

Der dicke Diego fühlte sich trotz der blühenden Geschäfte nicht mehr wohl in seiner Haut. Daß die Queen ihn zu ihrem Vertrauensmann ernannt hatte, paßte ihm überhaupt nicht, denn es bedeutete nichts anderes, als daß er Spitzeldienste leisten und der Piratin als „Mädchen für alles“ dienen sollte.

 

Aber was konnte er tun? Sich gegen die Black Queen und Caligula auflehnen? Nein, das wagte auch ein Schlitzohr wie Diego nicht.

Der funkelnde Rotwein schien der Black Queen und ihren Begleitern zu munden, wie Diego mit Erleichterung feststellte. Er mußte die Kruken und Humpen immer wieder neu auffüllen.

Bei Willem Tomdijk und Emile Boussac löste der edle Tropfen schon die Zungen. Die beiden Männer aus El Triunfo, die bisher schweigend und offensichtlich sehr interessiert die Kneipe gemustert hatten, tauten plötzlich auf.

„Der Wein ist wirklich sehr gut“, lobte Willem Tomdijk, der frühere Bürgermeister von El Triunfo. „Wird hier eigentlich auch Bier ausgeschenkt?“

„Natürlich, Señor“, erwiderte Diego, „aber nur in ganz geringem Umfang, denn es ist sehr schwierig, Bier einzukaufen. Deshalb nehmen die Leute eben das, was es gibt, nämlich Wein und Rum.“

Der füllige Niederländer mit dem rosigen Jungengesicht und dem blonden, widerborstigen Haar war über diese Auskunft begeistert.

„Also wird hier doch eine Brauerei gebraucht!“ rief er und strahlte die schwarze Piratin an. „Du hast mir nicht zuviel versprochen. Mit den bierlosen Zeiten auf Tortuga wird es bald vorbei sein. Einige Teile meiner Brauereiausrüstung habe ich ja – Gott sei’s gedankt – noch retten können. Wenn es mir gelingt, auch die noch fehlenden Teile zu beschaffen, dann wird Tortuga in kürzester Zeit zum Zentrum des karibischen Brauwesens ausgebaut. Ist das nichts?“

Die Queen lächelte gönnerhaft.

„Dann gibt es in der Karibik bald mehr Bier als Wasser, nicht wahr?“

„So ist es“, sagte Tomdijk. „Und es wird ein erstklassiges Bier sein, mindestens so gut und kräftig wie das, was ich in El Triunfo gebraut habe.“

Das Gesicht des Niederländers rötete sich vor Eifer. Er erweckte ganz den Eindruck, als wolle er sofort mit dem Bierbrauen beginnen. Die Braukunst hatte er daheim, in Leeuwarden, von der Pike auf gelernt. Als ihn die Abenteuerlust nach El Triunfo, eine französisch-englische Ansiedlung an der Golfküste von Honduras, verschlug, setzte er seine Kenntnisse in klingende Münze um.

Damals war für Willem Tomdijk von Vorteil, daß El Triunfo nur von Männern bewohnt wurde. Und so ein halbes Tausend durstiger Kehlen, die hatten ganz schön was weggeschluckt. Das Geschäft lief jedenfalls bestens – bis zu jenem schwarzen Tag, an dem die Spanier, denen die Siedlung längst ein Dorn im Auge gewesen war, mit einem Flottenverband von zwanzig Galeonen heransegelten und El Triunfo samt seiner beliebten Brauerei in Schutt und Asche legten. Dabei verloren rund zweihundert Siedler ihr Leben.

Die Black Queen, die schon vor dem Überfall angeboten hatte, die Engländer und Franzosen nach Tortuga und später nach Hispaniola umzusiedeln, um sie unter ihre Herrschaft zu bringen, hatte Willem Tomdijk den Aufbau einer neuen Brauerei versprochen. Schließlich mußte sie ihn wegen seines Einflusses auf die Siedler bei Laune halten, wenn ihre Zukunftspläne gelingen sollten.

Der dicke Diego allerdings konnte sich für die Pläne der Queen und ihrer Freunde absolut nicht begeistern. Er hörte den enthusiastischen Reden Tomdijks mit gemischten Gefühlen zu, denn das, was der Niederländer vorbrachte, roch gewaltig nach Konkurrenz. Darauf aber war Diego gar nicht scharf.

Trotzdem – wer garantierte ihm, daß diese Kerle nicht auch noch einige Kneipen eröffneten? In einer eigenen Kneipe konnten sie ihr Bier mit größerem Gewinn verkaufen als in der „Schildkröte“, wo der Wirt auch noch daran verdienen wollte. Diego zog beinahe ein essigsaures Gesicht bei diesem Gedanken.

Doch Tomdijks Pläne waren noch lange nicht alles, was an Veränderungen Tortuga zugedacht war. Da würde unter der Schirmherrschaft der Black Queen noch viel mehr „für das Wohl der Insel und ihrer Bewohner“ getan werden. Denn da war noch einer, der für sich einen geschäftlichen Aufschwung erwartete: Emile Boussac, ein kleiner, wieselflinker Franzose aus Rouen. Die Knopfaugen in seinem schmalen und spitzen Gesicht waren ständig in Bewegung und ließen ein hohes Maß an innerer Unruhe erkennen. Auch ihm spukten bereits eigene Pläne im Kopf herum.

Im früheren El Triunfo war Emile Boussac der Besitzer der Kneipe „La Mouche Espagnole“ gewesen. Aber die lag ebenso in Trümmer wie Tomdijks Bierbrauerei. Dabei hatte er sie um ein gewinnträchtiges Etablissement erweitern wollen. Der spanische Überfall jedoch hatte auch ihm einen dicken Strich durch die Rechnung gezogen.

Während der Niederländer Zukunftspläne spann, huschten Boussacs Blicke flink hin und her.

„Die Brauerei wird ein Riesengeschäft, Willem“, sagte er. „Du kannst von hier aus alle Kneipen der Karibik mit erstklassigem Bier beliefern. Außerdem lernen auch die Bewohner Tortugas endlich dieses herrliche Gesöff kennen. Wo es aber was zu schlucken gibt, da lassen sich die Leute nieder und geben ihr Geld aus. Das ist genau die richtige Atmosphäre für meine Mädchen aus Paris.“

Jaime Cerrana, ein ziemlich ungehobelter Klotz, der Unmengen von Wein in sich hineinsoff, stieß einen leisen Pfiff aus und begann anzüglich zu grinsen.

Diego aber horchte auf.

„Mädchen aus Paris?“ fragte er verständnislos.

Emile Boussac lachte meckernd.

„O ja, Monsieur“, sagte er. „Ich erwarte ein Schiff mit fünfzig erstklassigen Straßenmädchen aus Paris.“

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?