Der Sultan von Karisi

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Die OP

Am nächsten Morgen waren alle sehr geschäftig unterwegs. Dr. Weck ging zum Sultan und brachte ihm den OP-Kittel und die Tablette. Nach der gestrigen Tablette hatte er die letzte Nacht gut geschlafen. Er tat alles, was die Ärzte sagten bzw. was sie ihm schon gesagt hatten. War etwas anders, fragte er sofort nach. Dr. Weck brachte ihn dann auch später in den Operationsaal, so wie Dr. Evans gesagt hatte. Eva sah er nirgends. Dr. Weck bat ihn, sich auf den OP-Tisch zu legen. Dann legte er ihm ein Tuch auf den Bauch und hängte ihm am Arm die Narkose an. Dann bat er ihn, von 100 an rückwärts zu zählen. Er fing auf Arabisch zu zählen an. Das war ihm egal. Denn nach ein paar Sekunden war er sowieso im Traumland.

Dr. Meier holte Dr. Evans aus dem Nebenraum. Die Tür war zugesperrt und so konnte sie keiner mehr stören. Die Operation verlief komplikationslos. Sie brachten ihn dann in den Nebenraum und Dr. Evans überwachte alles ganz genau. Sie wusste oder hoffte, er würde bald aufwachen und dann sollte er sie als erstes sehen. Dr. Weck putzte und räumte schon den OP-Saal auf. Er verabschiedete sich und ging. Eva sperrte sofort zu. Sie brauchte und wollte keinen hier haben. Nicht mal im Aufwachraum. Die Wache blieb vor der Tür. Die passte draußen auf, sie drinnen. In fünf Stunden würde Dr. Meier sie ablösen. Eva hoffte, er würde in der Zwischenzeit die Augen öffnen. Und wirklich - nach drei Stunden wurde er kurz wach. Er sah sich zuerst verwirrt um und hatte Durst. Sie benetzte ihm seine Lippen mit Wasser. Dann erst erkannte er Eva.

„Meine Blume.“

Er wollte sich aufsetzen, doch sie hielt ihn zurück.

„Nein, noch nicht.“

Dazu musste sie sich etwas über ihn beugen.

„Meine Blume. Ich habe so schön von dir geträumt.“

Sie lächelte ihn an.

„Wir müssen für dich einen Namen finden. Ich kann doch nicht immer ‚meine Blume‘ zu dir sagen.“

„Ich heiße doch Eva.“

„Nein, hier brauchst du einen anderen Namen. Wir werden einen finden, der zu dir passt.“

Eva glaubte schon, dass er wieder eingeschlafen war als er noch sagte: „Du musst noch reiten lernen, bevor du meine Frau wirst.“

Dann schlief er wieder ein. Sie konnte nur mit dem Kopf schütteln. Was er nur alles wollte? Das hatte er ihr ja schon am Vorabend gesagt. Vor dem Schichtwechsel wachte er dann noch mal kurz auf. Eva war auch eingenickt, hatte den Kopf auf seiner Decke und hielt seine Hand, damit sie merkte, wenn er wieder wach war. Sie spürte auf einmal jemandem über ihren Kopf streicheln. Sie war sofort wieder wach.

„Wie geht es Ihnen?“

Sie wollte ihn schon mit du anreden, aber das unterließ sie. Nicht dass er sich noch aufregte. Er lächelte.

„Danke gut.“

„Haben Sie Schmerzen?“

„Danke es geht.“

„Sie müssen nicht leiden. Wir haben Schmerzmittel hier, damit die Genesung leichter voranschreitet.“

„Ich will nur wieder auf mein Pferd und zur Oase. Dann werde ich schneller gesund.“

Sie verstand das nicht. Würde es aber später erfahren. Sie dachte nur, dass er sich wieder als Mann fühlen wolle.

„Dr. Meier wird mich gleich ablösen kommen. Ich freue mich, dass es Ihnen schon besser geht und ich noch in Ihre Augen blicken konnte.“

Das konnte sie ihm sagen, denn sie waren noch alleine.

„Warum Dr. Meier und nicht du?“

„Weil ich mich auch erholen muss. Und Sie auch. Versuchen Sie noch zu schlafen, dann genesen Sie schneller.“

„Ich werde für dich schnell gesund, damit ich dich bald in meinen Armen halten kann“, sagte er mit zarter Stimme, nahm ihre Hand und küsste sie.

Sie stand auf und wusste schon, dass das eine große Ehre war. Eva griff noch an seine Stirn, um zu sehen ob er Fieber hatte, aber die Stirn fühlte sich normal an. Er nahm wieder ihre Hand und küsste sie. Sie beugte sich zu ihm und gab ihm einen Kuss auf die Stirn.

„Warum küsst du mich nicht auf den Mund?“

„Weil es noch nicht so weit ist. Und das nur der Sultan machen darf und ich noch nicht die Erlaubnis dazu habe.“

„Und wenn ich sie dir gebe?“

„Nein, noch nicht“, sagte sie, „später, jetzt wäre es nicht gut.“

„Und wenn es dir der Sultan befiehlt, weil er es selber nicht machen kann?“

„Das wäre etwas anderes.“

„Dann befehle ich dir, dass du mir einen Kuss gibst.“

Eva beugte sich über ihn und gab ihm einen Kuss. Nicht nur einen Einfachen. Er hielt sie sofort mit der anderen Hand fest und küsste sie wie ein Ertrinkender. Eva wurde es sofort ganz anders. Dann ließ er sie auch rasch wieder los.

„Danke. Jetzt kann ich wieder gut träumen“, sagte er zufrieden und schloss seine Augen.

Dr. Evans ging und holte Dr. Meier ab. Sie ging in ihr Quartier und fiel müde in ihr Bett. Sie merkte gar nicht, dass Dr. Meier nach sechs Stunden zurückkam.

***

Der Sultan war hocherfreut, als er erwachte. Er lebte noch. Zuerst war er noch etwas verwirrt, aber dann sah er in das lächelnde Gesicht seiner Blume. Sein Mund war trocken und sie benetzte ihm seine Lippen. Ihn ärgerte es, dass er noch keinen passenden Namen für sie hatte. Und sie musste unbedingt reiten lernen, damit sie mit ihm in die Oase des Herzens reiten konnte. Dann schlief er wieder ein. Als er wieder erwachte, spürte er eine Hand, dann sah er sich um und sah seine Blume auf dem Bett schlafen. Jetzt konnte er ihr über ihre Haare streicheln. Sie war sofort wach. Er hätte sie am liebsten sofort geküsst. Und sie? Sie küsste ihn auf die Stirn. Sie hatte Charakter! Wusste, damit hätte sie ihn zornig gemacht, wenn sie sich das erlaubt hätte. Aber wenn er ihr es befahl, musste sie es tun. Und sie tat es anscheinend gerne. Ohne zu murren. Man sah ihr an, dass sie schon sehr müde war. Und jetzt kam dieser andere Arzt. Er versuchte zu schlafen. Es gelang ihm schlecht. Er unterhielt sich mit Dr. Maier, der ihm dann erklärte, dass die OP zur vollen Zufriedenheit aller und er hoffte, auch zu seiner, verlaufen war. Man sei doppelt vorsichtig mit allem, da man ja nicht in einem normalen Krankenhaus war. Das verstand auch der Sultan. Man werde jeden Tag den Verband wechseln.

„Wer macht das?“

„Dr. Evans wird das machen. Sie hat auch operiert und will sicher ihre Fortschritte sehen.“

„Nein, bitte, machen sie das. Ich möchte das nicht.“

Zuerst sah er ihn verwirrt an. Dann verstand er. Es war schon eine große Überwindung, dass ihn eine Frau operieren durfte, aber dass sie ihn jeden Tag in die Hand nahm, würde sicher über seine Grenzen gehen.

„Ich werde es ihr sagen. Sie wird sicher enttäuscht sein.“

„Sie wird es verstehen“, sagte der Sultan.

Und damit war das Thema für ihn abgeschlossen. Sie sprachen dann noch über einige andere Themen. Als er wieder ins Quartier ging, schlief sie noch. Sie durften sich schon etwas freier bewegen. Es war nicht mehr immer eine Wache oder ein Diener dabei. Zwischen OP und Quartier war es kein Problem. Woanders hin, um sich die Beine zu vertreten, wurden sie wieder begleitet.

Dr. Evans wachte erst am nächsten Morgen auf. Dr. Meier und Dr. Weck wechselten sich mit der Überwachung ab. Vormittags wollte der Sultan schon wieder in seine Gemächer. Man ließ ihn nicht. Dr. Meier machte noch die Verbandskontrolle. Dann kam Dr. Evans wieder. Sie war mittlerweile auch schon wach und ausgeruht. Dr. Weck hatte es ihr am Morgen gleich sagen müssen, als sie Dr. Meier ablösen wollte, um den Verband zu wechseln.

„Das macht Dr. Meier. Der Sultan hat ihn darum gebeten.“

Er dachte, sie würde böse sein, doch sie nahm es gelassen hin. Um neun Uhr war ausgemacht, dürfe sie wieder in den Aufwachraum. Sie freute sich ihn wohlauf zu sehen.

„Dr. Evans, können Sie dem alten Arzt sagen, dass er mich in meine Gemächer lassen soll! Hier werde ich nicht gesund.“

„Wie sieht alles aus? Verband schon gewechselt? Konnte der Patient schon zur Toilette?“

„Ja, alles zur besten Zufriedenheit. Ich würde aber doch raten, ihn noch einen Tag hierzubehalten. Aus Vorsicht.“

Der Sultan war gar nicht zufrieden.

„Herr Sultan, würden Sie hierbleiben, wenn ich Ihnen Gesellschaft leiste?“

Dr. Meier sah sie überrascht an.

„Ja, da könnte ich es mir überlegen, diesen einen Tag noch hierzubleiben. Ich bräuchte dann noch kurz Omar, damit er mir Bericht erstattet.“

„Gut, dann machen wir das so. Dr. Meier, Sie können gehen. Ihre Arbeit ist getan. Sie können Omar sagen, er darf kommen, aber nicht zu lange. Ich lasse die Tür offen.“

Dr. Maier war sehr überrascht und dachte Dr. Evans würde wütend sein, dass sie den Verband nicht wechseln darf. Und auch wütend, weil der Sultan schon in seine Gemächer wollte und dann machte sie ihm noch dieses Angebot. Da war irgendetwas im Gange und er wusste nicht was. Die beiden hatten sich sehr in der Gewalt vor den anderen. Als er verschwunden war, sagte der Sultan: „Danke. Alleine hätte ich nicht hier sein wollen. Und mit den beiden mies gelaunten Männern schon gar nicht.“

„Warten sie erst ab, wie mies die erst drauf sind, wenn die von unserem Deal hören.“

„Das will ich gar nicht erst wissen. Ich hoffe du stehst zu deinem Wort.“

„Ja sicher! Ich darf Sie operieren und …“

Da kam gerade Omar herein und sie mussten ihr Gespräch beenden. Omar berichtete dem Sultan in Anwesenheit von Dr. Evans widerwillig, was sich alles getan hatte. Am liebsten hätte der Sultan die ganze Zeit Evas Hand gehalten, aber das ging ja nicht.

„Und das andere ist alles im Laufen?“

„Ja, Sultan“

„Omar, du hast die Ehre Dr. Evans das Reiten auf Ari6 beizubringen.“

Er starrte ihn an.

 

„Reiten ja, aber auf Ari?“

„Ja, auf Ari. Und keine Widerrede.“

Das war dann alles und er durfte gehen.

„Würden Sie bitte die Türe abschließen, damit uns keiner stört. Sie können sie später wieder aufschließen.“

Eva ging zur Tür und sperrte sie zu.

„So, jetzt können wir unser unterbrochenes Gespräch weiterführen.“

„Ja, ich stehe weiterhin zu meinem Wort. Ich habe Sie operiert und ich werde Ihre Frau, damit die anderen nicht alles gleich mitbekommen. Aber ich hoffe, Sie stehen auch zu ihrem Wort.“

„Ja, werde ich müssen. Aber ich werde die Zeit mit dir genießen, damit ich danach davon zehren kann.“

Er nahm ihre Hand und hielt sie.

„Du hast ja gar nicht mit der Wimper gezuckt als ich sagte, dass du reiten lernen musst.“

„Das haben Sie mir schon gesagt, als Sie von der Narkose aufgewacht sind und vorgestern auch schon.“

Jetzt starrte er sie an.

„Ach! Wirklich?“

„Ja, können Sie sich nicht mehr daran erinnern? Auch dass Sie mir einen neuen Namen suchen?“

„Nein, daran kann ich mich nicht erinnern. Aber einen Namen müssen wir dir suchen. Ich habe leider noch keinen gefunden. Darf ich dir ein paar sagen, um deine Reaktion darauf zu sehen?“

„Wenn Sie wollen? Wir haben ja Zeit. Darf ich aber vorher wieder die Türe öffnen, damit meine Kollegen hereinkönnen oder Omar, wenn er kommt?“

„Ungern, aber wenn es sein muss.“

Sie setzte sich zu ihm an das Bett.

„Aabidah“

Eva sah ihm ruhig in seine Augen. Und so ging es eine geraume Zeit weiter. Einmal störte Omar, später brachte ein Diener das Essen. Danach wurde der Sultan müde und schlief ein. Auch Evas Kopf fiel auf seine Bettdecke. Er wachte zuerst auf und betrachtete sie in Ruhe. Seine Gedanken kreisten um das große Fest, das anstand. Die Vorbereitungen liefen schon. Er traute sich diesmal nicht, sie zu streicheln. Denn sonst würde sie wieder wach werden und er wollte sie in Ruhe betrachten. Seine Gedanken gingen schon voraus, aber das tat seinem besten Stück nicht gut, denn der regte sich sogleich und das war noch nicht gut. Er unterdrückte einen Schmerzlaut, aber Eva wurde trotzdem sofort wach.

„Geht es dir nicht gut? Brauchst du ein Schmerzmittel?“

Sie hatte sich so erschrocken, dass sie ihn unbewusst duzte.

„Nein, meine Blume, alles in Ordnung. Ich müsste nur mal zur Toilette.“

„Ich helfe Ihnen“, bot sie an und kam wieder auf das ‚Sie‘ zurück.

„Nein, bitte hole Dr. Meier.“

Sie verstand. Er wollte sie nicht dabeihaben. Und wie aufs Stichwort kam Dr. Meier gerade rein.

„Der Sultan möchte bitte auf die Toilette.“

Sie ging anstandslos hinaus. Auch sie musste mal wohin. Auch auf die Toilette und sich etwas erfrischen. Nach einer Stunde kam sie wieder zurück.

„Alles wieder Ordnung mit Ihnen?“

„Ja bestens. Wo warst du so lange?“

„Ich musste auch wohin und mir etwas die Beine vertreten.“

Das sah er ein.

„Wo waren wir vorhin stehengeblieben?“, fragte er sie.

„Bei C.“

„Carima.“

„Canan.“

„Was ist das für ein Name?“

„Das heißt übersetzt bei euch so ähnlich wie Geliebte.“

„Wäre ich Ihre Geliebte?“, fragte sie dagegen.

„Nein, also doch gestrichen.“

„Kann man Kasim auch übersetzen?“

Er überlegte.

„Es heißt übersetzt: Der Wohltätige.“

„Sind Sie wohltätig?“

„Ich weiß nicht, das müssen andere sagen.“

„Gibt es auch Frauennamen mit K?“

„Ja sicher, Kabira, Kaderin, Kadidja, Kadira, Kadra, Kaela.“

„Nein, hören Sie auf. Alles zu hart.“

Er lachte. Das gefiel ihm.

„Welche Namen gibt es bei euch für Frauen und welche würden dir gefallen?“

„Die sind nichts für hier. Theresa, Rosa, Maria, Karina, Eva, Julia, Anna, Katharina und so weiter.”

„Und welche würden dir gefallen? Rosa oder Viola wären möglich, sind zwei Blumen.“

„Nein, wenn dann Jasmin. Wenn ich mal eine Tochter bekomme, würde ich sie Jasmin nennen.“

„Und sie müsste dir ähnlich sehen. Das kann ich mir jetzt schon vorstellen.“

Sie errötete etwas. Sie mussten wieder aufhören über Namen zu philosophieren, denn Omar störte erneut. Dr. Evans ging diesmal hinaus, damit sie ungestört reden konnten. Sie sah, dass Omar etwas auf der Zunge brannte.

„Ihren Frauen gefällt das ganz und gar nicht, dass Sie eine Ungläubige zur Frau nehmen wollen. Und das noch, bevor Sie die anderen Frauen offiziell zu Ihrer Frau machen.“

„Mich stört es aber nicht. Und das ist mir egal. Ich bin der Sultan und mache es so, wie ich es will!“, sagte er etwas lauter. „Ist sonst noch etwas?“

„Nein, das wäre alles.“

„Omar“, sagte er schon wieder etwas milder.

„Wenn du ihr das Reiten beibringst, musst du sie immer mit einem wechselnden Vornamen anreden. Ich bin bis C gekommen, es war aber keiner dabei. Und K kannst du auch vergessen genauso wie V. Du musst mit D weitermachen.“

Er sah ihn verwirrt an.

„Wir müssen für sie einen arabischen Namen finden. Oder willst du sie mit Eva oder Evans anreden?“

„Nein Sultan. Aber wird sie es wollen?“

„Sie hatte gerade nichts dagegen, als wir anfingen nach einem Namen zu suchen.“

Omar zog die Brauen hoch. Das hatte er nicht erwartet. Das würde des Sultans Frauen und die anderen Sultane milder stimmen.

„Würde sie auch zum Islam übertreten?“

„Omar, fordere nicht das Schicksal zu sehr heraus. Alles kann man nicht haben.“

Damit ging er wieder. Dr. Evans kam zurück. Sie hatte draußen schon gewartet, als er den Raum verließ. Die anderen Ärzte warteten mit ihr. Sie wollten sich beraten, ob er die Nacht schon in seinem Quartier verbringen konnte. Der Sultan wollte das unbedingt.

„Sie müssen aber ein paar Anweisungen befolgen, nicht dass eine Naht aufreißt.“

„Ich werde alles tun, was Sie sagen.“

Die beiden Ärzte begleiteten den Sultan langsam zu seinem Quartier. Omar freute es auch sehr. Das Essen nahm der Sultan dann alleine ein und die Ärzte speisten in ihrem Quartier. Sie hörten in der Nacht nichts von Omar, denn der sollte sie holen, wenn es dem Sultan nicht gut ginge.

Am nächsten Morgen in der Früh kam Omar mit einigen Dienern und bat Dr. Evans, ihre Sachen zu packen. Alle sahen sie verwirrt an.

„Der Sultan hat das angeordnet, dass sie ihr eigenes Quartier bekommt und nicht mit anderen Männern zusammen ist. Dr. Evans verstand warum. Die anderen rätselten immer noch.

Aazar Laaleh

Noch etwas ereignete sich in den nächsten Tagen. Yasminda7, seine jüngste Frau, erwartete ein Kind. Sie war erst 18 Jahre alt. Und sie tat sich schwer. Es war ihr Erstes. Seine Frauen und Dienerinnen konnten ihr nicht helfen. Doch sie wussten ja um die Ärztin. Amal8 ging zum Sultan und bat um Hilfe, bevor Mutter und Kind starben. Miriam9, seine erste Frau, wollte das zwar nicht, weil sie gegen diese Ungläubige war und sie die erste Frau an seiner Seite bleiben wollte. Er hatte sie zuerst geheiratet, doch war sie dadurch nicht unbedingt dauerhaft seine erste, oberste Frau.

„Sultan Kasim, ich komme mit einer großen Bitte zu Ihnen.“

„Was ist denn meine Liebe?“, fragte er überrascht.

„Yasminda geht es nicht gut. Sie kann nicht gebären und hat große Schmerzen. Könnten sie bitte die Ärztin fragen, ob sie ihr helfen kann?“

Der Sultan bekam einen großen Schreck. Gerade sie, die er zuletzt noch schwängern konnte, sollte sein Kind nicht auf die Welt bringen können?

„Was sagen Miriam und Aischa10 dazu?“

„Miriam ist dagegen die Ungläubige zu holen. Aischa wäre dafür die Ärztin wenigstens zu fragen.“

„Gut, ich werde sie holen lassen. Geh und sage es den anderen.“

Er ging selber zu Dr. Evans und klopfte an ihre Gemächer. Das wollte er keinem überlassen, sonst würde es zu viel Zeit kosten.“

„Dr. Evans, entschuldigen Sie, wenn ich störe.“

„Haben Sie Schmerzen Sultan? Brauchen Sie etwas?“

„Nein mir fehlt nichts, aber Yasminda, meine vierte Frau, bekommt ihr Kind und sie hat große Schmerzen. Könnten Sie ihr vielleicht helfen?“

„Haben Sie die anderen schon geweckt?“

„Nein, denn es darf kein Mann in die Nähe meiner Frauen.“

„Nicht einmal jetzt, wenn Not ist? Ich bitte Sie, falls etwas ist, brauche ich Hilfe. Wenigstens Dr. Meier, bitte?“

Er ließ sich von ihr breitschlagen und ließ auch Dr. Meier wecken und dazu holen. Eva packte ihre wichtigsten Sachen ein und folgte dem Sultan in die Gemächer seiner Frauen. Dr. Meier wurden die Augen verbunden, dann durfte er ebenfalls hinein. Seine Tasche trug er bei sich. Dr. Evans hatte sich schon einen ersten Überblick verschafft.

„Ich denke die Plazenta hat sich gelöst und blockiert den Geburtskanal. Ich müsste es mit der Hand holen.“

„Können wir sie nicht in den OP-Raum bringen?“

„Nein, keine Zeit. Zu gefährlich!“

Die Frauen sahen ihr neugierig zu. Auch die anderen, die herumstanden. Der Sultan war ebenso noch anwesend.

„Herr Sultan, ich habe eine Bitte. Könnten Sie alle rausschicken. Ich kann sonst nicht arbeiten. Es stört, wenn alle zusehen und wir keine Luft mehr zum Atmen haben.“

Der Sultan schickte alle Frauen raus. Auch Miriam. Die wollte zwar bleiben, doch sie musste sich fügen. Einzig der Sultan blieb. Einer musste trotzdem ein Auge darauf haben.

„Dr. Meier, würden sie bitte Yasminda halten?“

Doch er konnte mit der Augenbinde nicht sehen wo sie war.

„Sultan, darf er die Binde abnehmen, sonst kann er mir nicht helfen. Wir erzählen es keinem und nachher bindet er sie wieder um.“

Er machte es ungerne, aber da er am Kopfende blieb, ließ er es gelten. Dr. Meier riss sich die Binde herunter. Er setzte sich zu Yasminda ans Kopfende und gab ihr ein Holzstück, das schon bereit lag, in den Mund. Er lächelte sie an und sagte: „Wir schaffen das schon“, und nickte ihr zu.

Sie verstand zwar nichts, aber das freundliche Gesicht gefiel ihr.

„Ich werde bei der nächsten Wehe versuchen die Plazenta zu holen“, sagte Dr. Evans und zum Sultan gewandt: „Sagen Sie ihr bitte, sie soll ruhig liegen bleiben und sich nicht zu sehr verkrampfen, egal was passiert. Ich weiß, es wird schwer sein.“

Er übersetzte es und sie nickte. Sie sagte etwas, dass der Sultan ihr übersetzte.

„Sie vertraut Ihnen voll und ganz.“

„Danke“, sagte Eva und schenkte Yasminda ein Lächeln.

Dr. Meier hielt ihre Hände und sie biss auf das Holz. Dr. Evans desinfizierte ordentlich ihre Hand mit dem Handschuh und griff in die weiche Scheide. Bei der nächsten Wehe war sie vor der Gebärmutter und spürte wirklich die Plazenta, die den Ausgang versperrte. Sie hoffte, dass es noch nicht zu spät war für das Kind. Sie versuchte, sie zu nehmen und herauszuziehen. Yasminda war wirklich tapfer. Der Sultan übersetzte alles. Man merkte es ihm an, dass er Angst hatte. Dann zog sie die Plazenta, so schnell sie konnte heraus. Alles war sofort nass und rot. Dem Sultan wurde es fast übel dabei. Aber Dr. Evans blieb ruhig. Auch der andere Arzt, also musste das normal sein. Dann fühlte sie Yasmindas Bauch.

„Das Baby liegt auch noch falsch herum! Ich muss es drehen.“

„Drehen? Im Mutterleib?“, fragte der Sultan erschrocken.

„Ja, dass es wieder richtig herum liegt.“

„Sie müssen noch mal hineingreifen?“, fragte er total erschrocken.

„Nein, das geht jetzt von außen“, beruhigte sie ihn.

Dann suchte sie eine passende Stelle und versuchte das Kind zu drehen. Nach dem dritten Ruck sagte sie: „Bei der nächsten Wehe mitpressen!“

Sie hoffte, das Kind würde in den Geburtskanal rutschen und dann herauskommen. Mehr konnte sie jetzt auch nicht tun. Als Yasminda presste, half ihr Dr. Meier in dem er ihren Rücken hielt. Bei der zweiten Presswehe sagte Dr. Evans: „Ich kann das Köpfchen schon sehen.“

Bei der dritten Wehe kam das Kind dann heraus. Es war schon sehr blau. Sie hoffte, dass sie es noch retten konnte. Mangels einer Absaugung, die man im Krankenhaus hatte, musste es auf die altbewährte Art gehen. Ein ordentlicher Klaps auf den Po. Ein zweiter. Es tat sich noch nichts. Sie musste dem Kind Leben einhauchen. Ganz vorsichtig machte sie Mund-zu-Mund-Beatmung und eine Herzmassage. Dem Sultan war es ganz anders geworden, als er das Kind leblos und blau daliegen gesehen hatte. Er sah es schon tot. Und wie durch ein Wunder fing das Kind nach dem dritten Atemzug, den ihm Dr. Evans gegeben hatte, wie wild an zu schreien. Sie band die Nabelschnur ab und dann schnitt sie diese durch. Dann legte Eva das Kind der Mutter auf den Bauch.

 

„Herzlichen Glückwunsch. Es ist eine Tochter.“

Dem Sultan kamen die Tränen. Es lebte! Aber es war wieder einmal eine Tochter. Aber sie lebte und die Mutter auch. Dr. Meier war es auch ganz anders geworden dabei. Was hätte der Sultan gemacht, wenn es tot gewesen wäre? Und wenn es ein Junge gewesen wäre, ein toter Junge. Er wollte gar nicht daran denken.

„Fukran Sahiba.“

„Was hat sie gesagt?“, fragte Dr. Evans den Sultan.

„Danke Herrin.“

„Und wie will sie ihre Tochter nennen?“

Der Sultan fragte sie.

„Aazar11“, antwortete Yasminda mit schwacher Stimme.

Yasminda bat den Sultan nach Dr. Evans Vornamen zu fragen, um ihn als zweiten Namen zu tragen. Sie sah ihn an.

„Aazar bedeutet übersetzt Licht, Feuer. Und sie will eigentlich wissen wie Sie mit Vornamen heißen, aber diesen Namen kann sie ja nicht nehmen. Darum lässt sie fragen, welche Ihre Lieblingsblume ist.

„Eine Tulpe.“

Der Sultan übersetzte.

„Aazar Laaleh12.“

„Sie soll zu Ihren Ehren den Namen Ihrer Lieblingsblume tragen.“

Dr. Evans lächelte Yasminda noch mal an und sagte dann zum Sultan: „Jetzt können Sie die anderen Frauen wieder hereinlassen. Den Rest können diese erledigen und Sie setzen sofort wieder das Tuch auf“, sagte sie zu Dr. Meier gewandt.

Der lächelte nochmal Yasminda an und legte ihr kurz die Hand auf die Stirn. Dann zog er sofort wieder das Tuch über den Kopf. Dr. Evans half ihm auf und führte ihn aus dem Raum. Jetzt wusste sie auch, wieso sie immer bei den schweren Geburten dabei war und die anderen hatten die einfachen. Damit sie nämlich Erfahrung sammeln konnte für diesen Notfall hier. Die Frauen gingen sofort alle hinein. Eine Frau blieb vor Dr. Evans stehen und starrte sie nur an. Ein Beutel lugte unter ihrem Schal hervor. Eva dachte, das wäre die Ärztin, Abiba. Das hatte sie schon gelernt.

Der Sultan lud Eva am Abend noch kurz zu sich ein.

„Dr. Evans, Sie haben ein Wunder vollbracht. Sie werden von vielen meiner Frauen und Dienerinnen bewundert. Und sie bringen Ihnen Ehrfurcht entgegen. Nur meine erste Frau nicht, denn sie ist, man nennt es bei euch glaube ich Wunderheilerin oder Schamanin.“

„Und hier heißt es wohl Abiba.“

„Sie kennen das Wort?“

„Ich habe auf der Reise hierher etwas Arabisch studiert.“

„Meine Bewunderung haben Sie in allen Dingen. Yasminda geht es wieder gut und ich soll mich noch einmal bei Ihnen bedanken. Was ich hiermit auch gemacht habe. Ich habe dich auch bewundert. Du warst so ruhig und gelassen.“

„Dabei war ich gar nicht ruhig und gelassen. Ich musste es sein. Und leider haben sie wieder ein Mädchen bekommen.“

„Das bin ich schon gewohnt, aber ich hoffe es wird sich bald ändern.“

„Und wenn es ein Sohn gewesen und tot geboren wäre, weil wir zu spät gekommen wären.“

„Ich wäre untröstlich gewesen, aber dann wäre es Allahs Wille gewesen. Aber dem war nicht so.“

„Vielleicht sollten Sie sich überlegen hier eine Krankenstation zu bauen, damit die Leute immer Hilfe bekommen und einen Arzt kommen lassen können, wenn ein ähnliches Problem auftritt.“

„Das ist hier nicht nötig. Sie helfen sich selber oder es ist Allahs Wille.“

Sie sah, dass er trotzdem traurig war und verabschiedete sich.