Buch lesen: «Berauschende Bienen»
Berauschende Bienen
Mythologie, Folklore und psychoaktiver Honig
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Fabian Kalis
E-Book-Ausgabe
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Herstellung: Bookwire GmbH Kaiserstraße 56 60329 Frankfurt am Main Deutschland
Verlag: Nachtschatten Verlag AG Kronengasse 11 4500 Solothurn Schweiz
Nachtschatten Verlag
Kronengasse 11
CH-4500 Solothurn
© 2020 Nachtschatten Verlag
© 2020 Fabian Kalis
Der Nachtschatten Verlag wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2016–2020 unterstützt.
Lektorat und Bildredaktion: Nina Seiler
Fachlektorat: Markus Berger
Korrektorat: Inga Streblow
Layout: Tobias Strebel, Nina Seiler
Umschlaggestaltung: Nina Seiler
Umschlagfoto: Ivar Leidus
ISBN 978-3-03788-597-0
eISBN 978-3-03788-485-0
Alle Rechte der Verbreitung durch Funk, Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger jeder Art, elektronische Medien und auszugsweiser Nachdruck sind vorbehalten.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Einleitung
Bienen in Geschichte und Kultur
Bienen in der Mythologie
Bienenfolklore
Die Symbolik der Bienen
Honig aus psychoaktivem Nektar und Honigtau
Alkoholische Getränke aus und mit Honig
Honig als Trägerstoff psychoaktiver und heilsamer Substanzen
Honig als Aphrodisiakum
Räuchern mit Bienenprodukten
Nachwort und Dank
Quellen und weiterführende Literatur
Bildquellen
Über den Autor
Vorwort
Angeheitert – high sein – von Honig? Gibt’s das? Na klar, ich hab’s erlebt! In den rund drei Jahren, die ich bei dem Maya-Stamm der Lakandonen im südlichen mexikanischen Regenwald (Chiapas) gelebt und geforscht habe. In dieser Zeit konnte ich viel über den tropischen Regenwald und das heidnische Stammesleben lernen. Aber das Lernen hört nicht auf. Jedes Mal, wenn ich »meinen« Stamm besuche, erfahre ich Neues, oft Ungeahntes.
Als ich einmal eine etwas abgelegen siedelnde Lakandonfamilie besucht habe, erlebte ich eine Überraschung. »Wir haben gerade einen Honig geerntet, der berauscht; möchtest du ihn probieren?« Na klar, das wollte ich sehr gerne. Die Frau des Hauses reichte mir eine Baumkürbisschale (etwa 700 Milliliter) mit einem Getränk aus angegorenem, aber alkoholfreiem Maisteig. Darin hatte sie etwa drei Esslöffel vom besagten Honig aufgelöst. Der gesüßte Trank mundete hervorragend. Mir wurde empfohlen, die Schale schnell auszutrinken. Nach rund zehn Minuten merkte ich, wie sich mein Geist lüftete. Ich war wirklich high! – Extrem angenehm. Ich wurde euphorisch und köstlich berauscht. Die anwesenden Lakandonen hatten auch davon genascht. Wir verbrachten einen sehr lustigen Nachmittag; die Lakandonen lieben es, sich zu amüsieren, zu lachen und eine gute Zeit miteinander zu verbringen – und möglichst witzigen Klatsch auszutauschen.
Ich wollte natürlich mehr über diesen Rauschhonig herausfinden. Er stammt von den kleinen endemischen, schwarzen und stachellosen Bienen. In einem genau bekannten Zeitraum sammeln sie den Nektar von bestimmten Blüten und produzieren Rauschhonig. Leider konnte ich nicht herausfinden, welche Blüten von welchen Pflanzen die Bienen anfliegen mussten. Ich weiß leider nicht, ob es nur eine Pflanzenart ist oder ob es mehrere Arten sind und in welchem Verhältnis sie zueinander sein müssen.
Als ich an meiner Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen arbeitete, stieß ich auf einige Hinweise zu berauschenden Honigsorten, zum Beispiel dem Tollhonig, der von Tollkirschenblüten gesammelt wird, oder dem Pontischen Honig, der laut Literatur stark berauschen soll und der schon in der Antike bekannt und berüchtigt war. Ich habe immer gedacht, dass der Rauschhonig ein ideales Forschungsthema für eine Doktorarbeit wäre. Mir ist aber bisher keine Dissertation dieser Art bekannt geworden. Schade!
Dann lernte ich vor ein paar Jahren bei einem Seminar den Imker Fabian Kalis kennen. Er erzählte mir, dass er an einem Buch über Rauschhonige arbeiten würde. Ich war begeistert und bat ihn darum, ein Vorwort schreiben zu dürfen, wenn das Manuskript dann fertig sei. Und tatsächlich erscheint jetzt dieses Buch im geliebten Nachtschatten Verlag – mit meinem Vorwort.
Ich hoffe sehr, dass Fabian eine große und interessierte Leserschaft finden wird. Auf jeden Fall ist dieses Buch das erste zum Rauschhonig, eine Pionierarbeit.
Möge allen der berauschende Honig wohl bekommen!
Hamburg, in der Corona-Zeit Christian Rätsch
Einleitung
Die Honigbiene ist wohlbekannt für ihren leckeren Honig. Auch die heilenden Eigenschaften von Propolis und Gelée Royale sind immer mehr in aller Munde. Und spätestens seit das große Bienensterben in den Medien Thema ist, denkt man auch an die Wichtigkeit der Bienen in Ökologie und Umweltschutz. Doch die Bienen haben noch eine ganz andere interessante Geschichte: Es geht um Mythen, Kulte, Folklore und das Mysterium des psychoaktiven Honigs. Und um genau diese unbekannten und fast vergessenen Aspekte geht es in diesem Buch.
Wer hätte gedacht, dass eine der ältesten Dichtungen in deutscher Sprache eigentlich ein alter Bienenzauberspruch ist? Oder dass Bienen alten Kulturen als Orakel dienten? In Äthiopien waren es Bienenschwärme, die ein neues Stammesoberhaupt bestimmen durften. In einigen Gegenden Nordeuropas ist es bis heute Brauch, die Bienen bei Trauerfällen in schwarze Tücher zu hüllen. In unserer modernen Zeit sind es Bienen, die an Flughäfen, der Technik weit überlegen, zum Aufspüren von illegalen Drogen genutzt werden.
Der Honig, den viele heute nur noch als klebrigen, süßen Brotaufstrich kennen, hat seit jeher eine tiefe Verbindung mit der Kultur des Menschen. Für Völker auf der ganzen Erde war und ist der Honig ein Geschenk ihrer Götter. Er war in weiten Teilen der Welt lange Zeit das einzige Süßungsmittel. Sein Wohlgeschmack und seine Seltenheit vor der organisierten Bienenzucht machten ihn wahrlich zu etwas Besonderem.
Aber Honig war nicht immer nur ein Genussmittel. Die Menschen wussten schon sehr früh um die heilenden Eigenschaften des Honigs bei verschiedenen Krankheiten; in Krisenzeiten, in denen das Geld als Währung versagt, ist Honig ein beliebter Zahlungsmittelersatz, und gerade in seiner vergorenen Form als berauschender Met erfreut er sich auch heute noch großer Beliebtheit. Rausch ist seit jeher ein Grundbedürfnis des Menschen, und in vielen ursprünglichen Kulturen wurden daher schon immer psychoaktive Stoffe konsumiert, um zu heilen, Visionen zu erlangen oder die Götter um Rat zu fragen. Die Menschen bedienen sich dazu verschiedener Stoffe, meist sind es Pflanzen oder Pilze. Aber auch Honig kann als bewusstseinsverändernde Substanz eingenommen werden. Und dafür ist nicht immer seine vergorene Form vonnöten. Natürlich eignet sich nicht jeder Honig, aber ein paar seltene Honigsorten, die Kennern als Heiligtum und Entheogen dienen, vermögen eine ungeahnte Wirkung auf den Geist auszuüben. In der Antike machte solch ein Honig ein komplettes Heer kampfunfähig. Heutzutage ist das Wissen um solch besondere Honige in Vergessenheit geraten. Lediglich Meldungen über giftigen Honig in Nachrichten und Presse lassen eine Ahnung in diese Richtung zu, denn eine berauschende Wirkung – egal ob durch Pilz, Pflanze oder in diesem Fall Honig – wird von Menschen, die mit Psychoaktiva nichts zu tun haben, oft fälschlicherweise als Vergiftungserscheinung interpretiert.
Doch Bienenprodukte können unseren Geist noch in einer ganz anderen Weise verzaubern. Als Aphrodisiakum genutzt werden sie zu einem Lust- und Liebesmittel. Dies ist überhaupt nicht verwunderlich, ist die Biene doch auch ein Symbol für Fruchtbarkeit. Und ebenso sind insbesondere Honig, aber auch andere Bienenprodukte Bestandteil von Räuchermischungen, die mit ihrem Wohlgeruch auf unsere Psyche einwirken. Auch diese Themen werden im vorliegenden Buch behandelt.
Steinzeitliche Höhlenzeichnung mit Honigsammler (Bicorp, Valencia, Spanien, etwa 10 000 – 6000 v. Chr.)
Bienen in Geschichte und Kultur
Einstein und die Bienen
»Wenn die Biene stirbt, hat der Mensch nur noch vier Jahre zu leben.« Diese Aussage wird oft als Zitat von Albert Einstein angegeben und sorgte schon in zahlreichen Berichten und Vorträgen rund um das Bienensterben für einen eindrucksvollen Aufhänger. Verständlich, dass dieser Satz gerne genutzt wird, um die ökologische Wichtigkeit der Biene und ihre Bedeutung für uns Menschen zu verdeutlichen. Es ist eine alarmierende Aussage, und ihre Richtigkeit wird durch den Namen eines so bedeutenden und herausragenden Wissenschaftlers untermauert. Mit diesem Zitat gibt es nur leider ein kleines Problem: Einstein hat das nie gesagt.
Doch woher kommt es dann? Und warum wird Einstein als Urheber dieser Aussage erdichtet? Wenn man ein wenig recherchiert, lässt sich zurückverfolgen, wann und wo dieses Zitat in Schriften und Berichten verwendet wurde, und man stellt fest: Die Formulierung variiert gerade in früheren Erwähnungen stark. So lautet sie an manchen Stellen nur kurz: »Stirbt die Biene, stirbt der Mensch«, andere hingegen schreiben, dass Einstein die exakte Zeitspanne vom Verschwinden der Bienen bis zum Tod aller Menschen sogar mit einer bestimmten Formel berechnet habe. Gelegentlich fehlt sogar der berühmte Name unter dem Zitat.
Die Kernaussage über die enorme Wichtigkeit der Bienen in unseren Ökosystemen und für unser Überleben als Spezies Mensch bleibt jedoch auch in anderen Formulierungen und ohne Einsteins Genie erhalten. Die Biene spielt in der Tat eine entscheidende Rolle in unserer Welt. Man geht davon aus, dass circa 80 Prozent der Pflanzen auf die Bestäubung von Bienen angewiesen sind. Da kann sich jeder selbst eine Vorstellung davon machen, wie es aussähe, wenn diese Bestäubungsleistung der Bienen plötzlich wegfiele und vier Fünftel der uns bekannten Pflanzen langsam von der Erde verschwinden würden. Eine Zukunft, die weder für uns Menschen noch für viele andere Lebewesen erstrebenswert klingt. Eine Vorahnung solcher Zustände findet sich bereits in der chinesischen Provinz Sichuan, in der man erfolgreich sämtliche Bienen (und auch die meisten anderen Insekten) ausgerottet hat. Hier übernehmen nun Tausende fleißiger Menschen mit Pinselchen und einer Tüte voll Pollen die Arbeit der Bienen auf den Obstplantagen und bestäuben in endloser Arbeit Blüte für Blüte einzeln per Hand.
Doch wie hat es nun Einsteins Name unter dieses Zitat geschafft? Liegt es vielleicht daran, dass wir den Inhalt dieser Aussage so erschreckend finden, dass wir erst daran glauben, wenn ein so hochkarätiger Wissenschaftler sie aufgestellt hat? Würden wir sonst sagen, dass es sich um eine falsche These handeln muss? Vermutlich ja.
Haben wir uns bereits so weit von der Natur entfernt, dass wir die Wichtigkeit der Bienen nur über eine logische Herangehensweise verstehen? Brauchen wir tatsächlich falsche Zitate, damit uns klar wird, welchen Schatz und Segen wir an den Bienen haben? Können wir uns nicht selber vorstellen, wie wichtig die Bienen sind? Braucht es erst wissenschaftliche Untersuchungen von namhaften Forschern, damit wir glauben können, dass etwas sein kann?
Die in diesem Buch aufgezeigten Mythen, Mysterien und Kulte, das Verständnis und die Bräuche fremder und alter Kulturen zeigen, wie tief Menschen und Bienen eigentlich verbunden sind. Ich hoffe, dass dieser Ausflug in fast vergessene Welten und faszinierende Fakten rund um die Bienen dazu beitragen kann, dass wir die kleinen Tiere wieder mehr mit dem Herzen verstehen und ihnen die Beachtung und den Respekt zukommen lassen, den sie verdienen – nicht nur, weil es aus logischen Umweltschutzaspekten sinnvoll erscheint, sondern weil sie ein Teil der menschlichen Kultur sind, uns in Mythen und Geschichten begleiten, uns mit wohlschmeckenden und heilsamen Köstlichkeiten verwöhnen, uns Einblicke in andere Wirklichkeiten schenken können und wir durch dieses ganzheitliche Herangehen eine tiefe und emotionale Verbindung mit ihnen eingehen können.
Kurze Geschichte der Bienenhaltung
Honig wird seit mindestens 9000 Jahren nachweislich von den Menschen genutzt. Dies beweist eine Höhlenmalerei, die in der Nähe von Valencia entdeckt wurde und die Szene einer Honigjagd darstellt (siehe Abb. 1, S. 12). Es ist aber davon auszugehen, dass die Menschen den süßen Stoff der Bienen schon wesentlich früher kannten. Immerhin sind auch zahlreiche Tiere vom süßen Leckerbissen der Bienen angetan. Die Menschen haben sehr wahrscheinlich schon vor dem Auftauchen des Homo sapiens den Honig gekannt und genossen. Die meisten Bienen leben hoch in den Bäumen, und unsere Vorfahren waren kleine, auf Bäumen lebende Primaten. So ist es naheliegend, anzunehmen, dass ihnen der Honiggenuss nicht fremd war. Auch heute lebende Primatenarten sind sehr interessiert an den süßen Verlockungen, die die Bienen in den Bäumen gut bewachen.
Als der Mensch mit der Beherrschung des Feuers neue Welten erschloss, ergab sich im Hinblick auf die Honigernte ein enormer Vorteil. Die Honigbienen waren durch Rauch weniger stichbereit, und der Honig ließ sich nun mit viel weniger Schmerz und Gefahren ernten. Die Behandlung der Bienen mit Rauch, um sie vom Stechen abzuhalten, ist ein uraltes Ritual, das bis heute fast unverändert von Imkern, Bienenhaltern und Honigjägern auf der ganzen Welt praktiziert wird. Was sich bewährt hat, bleibt eben bestehen.
Lange Zeit haben die Menschen den Honig ausschließlich von wildlebenden Bienenvölkern und nur für den eigenen Bedarf gesammelt. Diese Art nennt sich Honigjagd und wird noch heute von einigen indigenen Völkern praktiziert. So eine Honigjagd ist immer ein gefährliches Unterfangen; tödliche Stürze sind keine Seltenheit. Die zu erbeutende Honigmenge ist bei dieser Form aber eher gering. Es ist also kein Wunder, dass dieses kostbare Gut in den frühen Kulturen so einen hohen Wert hatte. Auch die fast unerreichbare Höhe, in der wild lebende Bienen ihr Wabenwerk errichten, lässt die Verbindung der Bienen mit den Welten der Götter erahnen. Honig musste wahrlich eine Götterspeise sein. Die Honigjagd war also ein Risiko, das sich lohnte.
Mittelalterliche Imker mit Körben, Federzeichnung von Pieter Bruegel dem Älteren (um 1568)
Aus der Honigjagd entwickelte sich dann in einigen Teilen der Welt langsam die Waldbienenzucht. Man begann künstliche Nistplätze für die Bienen zu schaffen, indem man Bäume aushöhlte. In diese künstlichen Bienennistplätze zogen dann wilde Schwärme. Dadurch wurde die Anzahl der in einem Gebiet lebenden Bienenvölker vermehrt. In Europa entwickelte sich im frühen Mittelalter aus der Waldbienenzucht langsam die Zeidlerei. Das Wort Zeidler kommt vom altdeutschen Wort zeideln («Honig schneiden»). Die Zeidler begannen als Erste, Honig und das Bienenwachs wildlebender Völker gewerbsmäßig zu sammeln. Der hohe Bedarf der Kirche an Bienenwachs trieb die Entwicklung der Zeidlerei stark voran, bis sich aus ihr die heutige Imkerei entwickelte: das Halten von Bienen in künstlichen Behausungen am häuslichen Stand und damit auch die Zucht der modernen Honigbiene. Die ersten Imkereien waren daher nicht selten in den Gärten der Klöster und Kirchen zu finden und wurden von den Mönchen selbst bewirtschaftet. Die Bezeichnung Imker kommt dabei vom niederdeutschen Imme (»Biene«) und dem mittelniederdeutschen Kar (»Korb«), bedeutet also eigentlich »Bienenkorb«.
War Honig in den meisten Teilen der Welt zunächst noch das einzige Süßungsmittel, wurde er später immer mehr durch das Aufkommen des industriell raffinierten Kristallzuckers – zunächst aus Zuckerrohr, später auch aus der Zuckerrübe – verdrängt. Der Honig verlor seine Bedeutung als Süßungsmittel aufgrund seines im Vergleich zum raffinierten Zucker hohen Preises. Durch die Industrialisierung der Landwirtschaft, von der auch die konventionelle Imkerei nicht verschont blieb, sank der Honigpreis immer mehr. So wurde aus der einst kostbaren Speise der Götter nach und nach ein alltäglicher Brotaufstrich. Heute kennen daher nur noch sehr wenige die Bedeutung und den Wert des Honigs in früheren Kulturen.
Martin Luther und der Untergang der Zeidlerei
Wie erwähnt hatte insbesondere der hohe Bedarf der Kirche an Bienenwachs einen starken Einfluss auf die Entwicklung der Zeidlerei. Die Zeidler genossen bald ein hohes Ansehen und gehörten zu den Ersten, die Bürgerrechte und eine eigene Gerichtsbarkeit zugesprochen bekamen. Ihnen war es erlaubt, eine Waffe zu tragen, über die ihnen anvertrauten Wälder zu wachen und Urteile über Honigdiebe direkt an Ort und Stelle zu fällen und vollstrecken. Für die Zeidlerei war dies eine goldene Zeit. Zeidler lebten ein gutes Leben mit vielen Rechten und Privilegien. Die Kirche hatte einen unendlichen Bedarf an Bienenwachs, dessen einzige Quelle zu jener Zeit die Zeidlerei war. Natürlich war es mühselig und brachte geringe Ausbeute, als Zeidler ein wildlebendes Bienenvolk um Bienenwachs und Honig zu bringen, und obendrein war es gefährlich. Bienenwachs und Honig waren daher Luxuswaren. Doch die Kirche verfügte dank des blühenden Ablasshandels über genügend finanzielle Mittel, um sich dies leisten zu können.
Doch dann sollte ein Mönch mit dem Namen Martin Luther alles verändern. Sein Wirken ist samt den weitreichenden Folgen für die Kirche heute noch wohlbekannt. Doch mit der Reformation der Kirche durch Luther verlor die katholische Kirche mehr und mehr ihre unantastbare Stellung, die Menschen begannen sie zu hinterfragen und zu widersprechen. Das Geschäft mit dem Sündenerlass florierte nicht mehr. So fehlte immer mehr das Geld für den verschwenderischen Verbrauch an Bienenwachskerzen in der Kirche. Sparmaßnahmen mussten her. Wo vorher hunderte Kerzen die dunklen Klöster erhellt hatten, mussten nun einsame kleine Lichtlein die Nachtwache übernehmen. Das Bienenwachs der Zeidler war einfach zu teuer geworden.
So wurde die Wandlung des Zeidlertums zur Imkerei, einer moderneren Form der Bienenwirtschaft, beschleunigt; in den Imkereien war es möglich, Bienenwachs und Honig mit viel geringerem Aufwand und mit einer größeren Ausbeute zu ernten. Ebenso waren es nun meist die Mönche selbst, die die Bienen in ihren Klostergärten hielten. Martin Luther hat also nicht nur die Kirche reformiert, sondern auch indirekt für den Untergang der Zeidlerei gesorgt.
Bienen als Wegweiser
Es ist nach wie vor ein ungelöstes Rätsel, wie genau die frühen Menschen die schier unendliche Fülle an Pflanzen und Pilzen so exakt als essbar, giftig oder heilsam eingestuft haben. Die bloße Anwendung des Prinzips von Versuch und Irrtum scheint bei der Menge an Pflanzen und Pilzarten nicht haltbar. Vielmehr ist es denkbar, dass die Menschen sich den Gebrauch der Pflanzen bei den Tieren abgeschaut haben. Je nach Lebensraum wurden dabei verschiedene Tiere beobachtet, doch nicht jedes Tier eignet sich hierfür gleichermaßen, da es durchaus Tierarten gibt, bei denen Stoffe auf dem Speiseplan stehen, die für Menschen giftig sind.
Der amerikanische Ethnobotaniker Jonathan Ott hat die Hypothese aufgestellt, dass es die Bienen waren, die den Menschen dieses Wissen brachten. Insbesondere psychoaktive Pflanzen, die einen berauschenden Honig produzieren, wurden über den Umweg des Honigs ausfindig gemacht.
Das Honigernten selbst haben sich die Menschen wahrscheinlich ebenfalls schon sehr früh von den Tieren abgeschaut. Wenn ein Honig aus dem Nektar bestimmter Pflanzen nun eine besondere Wirkung hatte, brauchte man nicht lange nachzudenken, um auf die Idee zu kommen, den Bienen zum Ursprung dieses Nektars zu folgen. Schon kannte man die Stammpflanze zu der Wirkung und konnte die Pflanze entsprechend anwenden.
Auch die heilsamen Eigenschaften verschiedener Pflanzen gelangen über den Nektar in den Honig. So sind bestimmte Honigsorten besonders gut zur Behandlung bestimmter Krankheiten geeignet. Lindenhonig hilft beispielsweise ebenso wie die Lindenblüten selbst hervorragend bei Erkältungskrankheiten. Es ist daher anzunehmen, dass auch medizinisch nutzbare Pflanzen so über die Bienen von den Menschen entdeckt wurden. Man kann also davon ausgehen, dass die Bienen den Menschen zumindest ein Wegweiser auf dem Weg bei der Entdeckung der unzähligen Heil- und Zauberpflanzen waren.