Französisch im Berliner Jargon

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Französisch im Berliner Jargon
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Was man »Berliner Schnauze« nennt,

Enthält manch fremdes Element.

Es hat uns Eigenart verliehn

Und macht Berlin erst zu Berlin.

Ewald Harndt

Französisch

im Berliner Jargon

Jaron Verlag

3. Auflage dieser Ausgabe 2011

© 2005 Jaron Verlag GmbH, Berlin

Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwertung des Werkes und aller seiner Teile ist nur mit Zustimmung des Verlages erlaubt. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Medien.

www.jaron-verlag.de

Umschlaggestaltung: LVD GmbH, Berlin

Satz und Repro: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin, nach einem Entwurf von Rudolf Fläming

ISBN 9783955521929

Das Werk erschien erstmals 1977 im

Stapp Verlag Wolfgang Stapp, Berlin.

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

Berlinerisch

Französisch als Sprache des Berliner Hofes

Französische Hugenotten und Revolutionsemigranten in Berlin

Die Franzosenzeit in Berlin

Berliner Pleonasmus

Berlinerisches Französisch

Berolinismen

Etymologische Fehldeutungen

Frankophiles Berlinerisch

Berlinerisch von morgen

Aus einem Flugblatt der März-Revolution 1848

Anmerkungen

Vorwort

Die hier vorliegenden Ausführungen wurden z. T. bereits in den »Berlinischen Notizen«, einer »Zeitschrift des Vereins der Freunde und Förderer des Berlin Museums«, veröffentlicht. Das dort abgehandelte Thema fand so reges Interesse, dass die verkäuflichen Hefte sehr schnell vergriffen waren und eine stetige Nachfrage einen Neudruck zu rechtfertigen scheint. Überdies hatte der besondere Stil und der Umfang der Vereinszeitung gewisse Rücksichten erfordert. So erscheint die Niederschrift hier erweitert, mit den erforderlichen Literaturhinweisen und mit erläuternden Bemerkungen versehen. Auch werden durch die Beigabe einiger zeitgebundener Abbildungen die Erörterungen ergänzt, um die chronologische Einordnung der verschiedenen sprachlichen Einwirkungen zu erleichtern.

Juli 1977

Die überraschend gleichmäßig anhaltende Nachfrage nach den vorangegangenen acht Auflagen bzw. die nach Verkauf von zehn Jahren immer noch anwachsende Leserschar begründen eine weitere, 9. Auflage des Büchleins, zumal das Jubiläumsjahr unserer Stadt einen weiteren Anlass für sein Erscheinen gibt. Zur Stadtgeschichte gehört auch die Geschichte der Sprache der Stadtbevölkerung. Immerhin war von den 750 Jahren Berlins mehr als drei Jahrhunderte lang französisches Sprachgut im täglichen Umlauf. In bedeutsamen Abschnitten unserer Geschichte haben Franzosen bei uns gelebt und gewirkt: Hugenotten, französische Revolutionsemigranten, wiederholt auch Besatzungssoldaten. Sie alle haben nachhaltig Spuren hinterlassen, die, zuweilen verborgen, in typischen Redewendungen und in schlagfertigen, spezifisch berlinerischen Aussprüchen auch immer Zeitdokumente sind.

Der Nachdruck gibt zugleich Gelegenheit, einige zusätzliche Ausführungen und Berichtigungen vorzunehmen.

So mag die neue Ausgabe auch als ein Beitrag zum Jubiläumsjahr gelten von einem Autor, der es versucht, sich als wirklicher Kenner seiner Vaterstadt auszuweisen.

Sommer 1987

Berlinerisch

Wenn hier einiges über die Umgangssprache der Berliner mitgeteilt wird, so glaube ich, das Original-Berlinerische durch lebenslange Bindungen an meine Vaterstadt so zu beherrschen, dass ich auch über einige ihrer Besonderheiten zu urteilen vermag. Man lernt die Sprechweise nicht in der Schule, kaum im Elternhaus, vielmehr nimmt man sie auf der Straße im Umgang mit den Spielgefährten und im öffentlichen Verkehr beiläufig auf. In allen Teilen unseres Landes entwickelt sich auch heute noch die Jugend unter dem Einfluss einer ortsgebundenen Mundart, der sie sich nicht entziehen kann, auch wenn ungestüme Schulmeister die Schriftsprache zur Umgangssprache erheben wollen. Selbst in der unsteten Berliner Bevölkerung erbt sich der Heimatdialekt, wenn auch beständig abgewandelt, noch immer fort. Dabei bin ich mir durchaus bewusst, dass »berlinan«1 im Allgemeinen verpönt ist; es gilt als die Sprache der Gosse; man wird sozial abgewertet und als ungebildet abgestempelt, wenn man es, gewollt oder unbewusst, als Mundart gebraucht. Auch Lortzing, ein geborener Berliner, bezeichnet seine Muttersprache als »einen ekelhaften Dialekt«.2 Immerhin wurde er doch auch von anerkannten Persönlichkeiten gesprochen, wie z. B. von Gottfried Schadow, Friedrich Zelter, Carl Fürstenberg, Max Liebermann, Paul Lincke, Heinrich Zille. Zugestanden, er mag grobschlächtig klingen, aber er ist, so meine ich, durchaus nicht schlechter als andere deutsche Idiome: Bayerisch, Sächsisch, Schwäbisch oder Kölnisch und Hamburgisch erscheinen mir keineswegs wohlklingender und leichter verständlich. Mir jedenfalls gibt kein Geringerer als Goethe den Mut zu meinen Ausführungen, da er dem Dialekt als Umgangssprache viel Sympathie entgegenbrachte3 und unter anderem auch feststellte: »Die Berliner Sprachverderber sind eben doch auch zugleich diejenigen, in denen noch eine nationelle Sprachentwicklung bemerkbar ist.«4

Berlin hat im Laufe seiner mehr als siebenhundertjährigen Geschichte eine durchaus eigenständige Mundart entwickelt. Sie ist keine reguläre, charakteristische Abwandlung des Hochdeutschen, sondern hat in ihrem niederdeutschen Kern, dem märkischen Platt, ein gut Teil fremdländischer Wörter und Redewendungen in sich aufgenommen: so z. B. aus dem Polnischen Großkotz, Kabache, Pachulke, Pennunze, Pomade, dalli; aus dem Jiddischen stammen Ausdrücke wie Daffke, Dalles, Geseires, Jontef, Kaschemme, mauscheln, Massel, meschugge, Mischpoche, Ramsch, Schmu, Zores, ausbaldowern, beseibern, beschickern, schnorren, schofel u. v. a.; aus dem Lateinischen Animus, Lokus, Moneten, Palaver, Pelle, Pulle, Tempo, famos, fatal, intus, kapieren, kolossal, simulieren usw. Weit mehr aber noch wurden Entlehnungen aus der französischen Sprache zum festen Bestandteil des Berlinerischen. Weist man den Ortsfremden auf diesen Sachverhalt hin, lächelt er zweifelnd. Und doch enthält die Feststellung keineswegs eine anmaßende Übertreibung, wenn man auch natürlich nicht das elegante Französisch in der zwanglos-drastischen Berliner Mundart wiederfinden wird.

So entwickelte sich aus einem Gemisch von örtlicher Mundart mit fremdländischen Wörtern und Floskeln, vorwiegend zu Anfang des 19. Jahrhunderts, eine bodenständige, natürlich gewachsene Volkssprache mit einem Gepräge, das gerade durch die Auswahl, Aufnahme und Anwendung fremder Begriffe charakterisiert ist und darin auch ganz bestimmte geschichtliche Abschnitte der Stadt erkennen lässt.

Man mag darüber streiten, ob das Berlinerische als Dialekt5 bzw. als lokale mundartliche Volkssprache, als »Weltstadt-Idiom«6, als Slang, Patois oder als Jargon, d. h. als verdorbene, fehlerhafte Sonder-, Verkehrs- und Mischsprache7 eines milieugebundenen Kreises, einzuordnen ist. Für den Nichtberliner gilt es missfällig als Jargon, dann aber ist es zumindest ein Jargon mit einem volkskundlichen Herkommen. Eine Umgangssprache übernimmt gar leicht fremde Wörter und unterliegt damit den regellosen Eigenheiten des Jargons. Ich habe mich, wenn auch sprachwissenschaftlich anfechtbar, im Titel bewusst für Jargon entschieden, wegen des französischen Ursprungs dieses Ausdrucks und damit auch wegen seiner Beziehung zum abzuhandelnden Thema. Schließlich spricht auch Fontane vom »Jargon unserer Hauptstadt«8, und Willibald Alexis bezeichnet die Berliner Sprache als »Jargon aus verdorbenem Plattdeutsch und allem Kehricht der höheren Gesellschaftssprache«.9

Französisch als Sprache des
Berliner Hofes

Der auffallend häufige Gebrauch französischer Wendungen in dem Berliner Stadtidiom hat seinen Grund zunächst in der Tatsache, dass im 17. und 18. Jahrhundert an den deutschen Fürstenhöfen, entsprechend der politischen und kulturellen Vorherrschaft Frankreichs, vorwiegend, zuweilen sogar ausschließlich Französisch gesprochen wurde; es war für Europa die Sprache der internationalen Verständigung.

 

Vom Großen Kurfürsten bis hin zu Friedrich Wilhelm III.10, d. h. zweihundert Jahre lang, war es am Berliner Hof führend. Der erste preußische König, Friedrich I., und seine Gemahlin, Sophie Charlotte, sprachen ausschließlich Französisch. Auch ihre Nachfolger, der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. und sein Sohn, Friedrich der Große, beherrschten die deutsche Schriftsprache bzw. deren Grammatik und Orthographie kaum. Wenn sie sich nicht des Französischen bedienten, benutzten sie allenfalls ein gewisses Berlinerisch. Jedenfalls war Nieder-, später Hochdeutsch lediglich Kanzleisprache, und auch diese war dann immer noch vielfach mit französischen Wörtern durchsetzt. Als Beispiel soll ein »Decret« Friedrichs I. dienen: »Auff der frantzösischen Refugyrten wittib Conte allerdemütigstes Supplicatum … hiermit concediret, ihre hierein Specificierte Limonade und andere liqueurs, zur refraichirung der daselbst promenierenden Personen öffentlich feil zu haben.«11 Als weiteres Beispiel in gleicher Weise eine Anweisung Friedrich Wilhelms I.: »Die Regularität der Straßen sollte von der Militärbehörde streng observieret werden« und aus bekannten Erlassen Friedrichs des Großen: »Die Religionen Müsen alle Tolleriret werden, und Mus der Fiscal nuhr das Auge darauf haben, das keine der anderen abrug Tuhe, den hier mus ein jeder nach seiner Fasson Selich werden«12 oder »Die Gazetten soll man nicht geniren.« Friedrich selbst stellte fest: »Je ne suis pas fort en allemand« 13, und auch seine Gemahlin, Elisabeth Christine von Braunschweig-Bevern, »konnte kein deutsches Wort orthographisch richtig schreiben«.14 Selbst die von den Berlinern so sehr verehrte Königin Luise bediente sich der französischen Sprache weit besser als der ihres Landes. Französisch war demzufolge auch die Sprache der Gebildeten. Friedrich II. umgab sich in Sanssouci mit so vielen Franzosen, dass sein Gast Voltaire einmal boshaft feststellte: »Majestät sind der einzige Fremde unter uns«, und seiner Nichte Denise schreibt er über den König von Preußen: »Er ist ein französischer Autor, der in Berlin geboren wurde.«

Aus der von Leibniz inaugurierten »Königlichen Societät der Wissenschaften« wird unter Friedrich die »Académie Royale des Sciences et Belles Lettres«. Sie wird mit ihren Mitgliedern (ein Drittel waren Refugiés) französisch ausgerichtet und veröffentlichte ihre Arbeiten ausschließlich in französischer Sprache. Die Berliner Freimaurerloge heißt »Royale Yorck de l’Amiteé«, die städtische Krankenanstalt wird »Maison Royale de Charité«, kurz »Charité« genannt, das militärärztliche Internat wird »Pépinière«, die Kadettenanstalt die »Ecole militaire«. Aus den Berliner Gasthöfen werden Hotels: »Hôtel au Soleil d’Or«15, »Hôtel de Brandebourg«, »Hôtel de Rome«, »Hôtel de Prusse«. Man baut keine Paläste, sondern Palais, so das »Palais Ephraim«, »Palais Redern«, »Palais du Prince Royal de Prusse« (Kronprinzenpalais). Die Schlösser nennen sich Bellevue, Monbijou, Sanssouci. Der Pariser Platz am Brandenburger Tor heißt das Quarré, der Belle-Alliance-Platz (jetziger Mehringplatz) Rondell und der Alexanderplatz Contre Escarpe (Konterskarpe). Es werden auch keine Steuern, sondern Accisen erhoben. Eingebürgerte Umgangswörter wie Bataillon, Chaussee, Domäne, Domestike, Epauletten, Equipage, Etikette, Gendarm, Livree, Manöver, Mätresse, Negligé, Perücke, Pompadour, Portepee, Promenade, Pour le Mérite entstammen jener Zeit.

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