Jugendsprache

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Zit. n. DeppermannDeppermann, Arnulf/Schmidt, Axel/Schmidt 2001, S. 84

 Frotzeln:FrotzeleienFrotzelei, frotzeln finden in Gegenwart des Frotzelobjekts statt und beinhalten eine spielerische ProvokationProvokation eines Gruppenmitglieds vor dem Gruppenpublikum. Ein Beispiel „Teenager“ findet sich im vorliegenden Band im Kapitel IV.3.1.3.1, S. 186.

 ErzählenErzählen:Im folgenden Beispiel von Steckbauer/Bahlo/DittmarDittmar, Norbert/Pompino-Marshall (2014) erzählt Dustin eine „krasse Geschichte“ von einem Jungen, der mit seinem Motorrad von der Schule losfahren will. Mit der sprachlichen Performanz, insbesondere der Rhythmisierung, wird auf die emotionale Einbindung der Zuhörer besonderer Wert gelegt.


N: hm-
MAR: we::r- f=hh auf der schule NUR;
DUS: ja isch- w=wie bei
uns in der schule .hh ein Junge? (-) er=er is isch glaub DEUTscha;=er hat so orange haare, .h e:r er=er ist ungefä:hr ich weiß nicht ACHTzehn oder so, (.) is jetzt die letze KLASse, .h und der fährt ein MOTOrad;
(--)
N: ´`hm
DUS: er WILL=er will von der sch´=er will von der schule
losfahren, er hat sein helm auf, (.) also=aber nu:r so AUFgesetzt; nicht jetzt so ZUgemacht; .h will grad mit dem rad rausrolln aus der schule, (.) .h da komm zwei TÜRkn, (.) der eine nimmt ihn den helm ab, .h der andere gibt ihm ne KLATsche, .h plötzlich holt der andre sein gürtel raus und schlägt richtig mit der gürtelschnalle auf sein kopf .h diese KLEIne SCHNALLe da womit man [dis in die LOCH macht; .h IN sein kopf rein,=richtich so
N: [hm
DUS: rein? (-) .h und DENN so die sa:gn und denn mach nich noch einma: mein Vater an;=oder so; –
DEN: is der gestorben,
((N räuspert sich))
DUS: nein nur so ähm (-) kleines stück äh in: KOPF rein;
TIZ: ja: alter
voll BLUT am MOTOrad;

Beispiel: „Schlägerei“

(Zit. n. Steckbauer/Bahlo/Dittmar/Dittmar, NorbertPompino-Marshall 2014, S. 146)

 BricolagenBricolage:Zu den gemeinsamen Handlungsmustern in Jugendgruppen können auch die Bricolagen gerechnet werden. Dazu zählen Wort- und SprachspieleSprachspiele, die z.B. durch mediale Formate bekannt wurden und nun von den Jugendlichen in einem neuen Kontext verwendet werden. Könning präsentiert ein Beispiel jugendlicher Gymnasiasten, die ihre Bricolage dem TV-Format: Got to dance entlehnen:


M1 [ ((lachen)) ]
M2 [(xxx xxx xxx) wird_n RICHtiger angeber irgendwann; ]
F1 [ja der wird_n richtiger macho; ]
M3 [ja der wird (.) ich mein der; ]
<<in hoher verstellter stimme intoniert> ich kann auch breakdancen >
((lachen))
M3 <<lachend> toll>.
F1 schön für dich;
M4 wen juckt_s,
wo is der bus,
M2 = wo is die kette,
M5 wayne interessiert_s,
((allgemeines lachen))
M2 wayne interessiert_s
M3 wayne rooney;
M6 voll whack alles hier.

Beispiel: „Wayne interessiert`s“

(Zit. n. Könning 2015, S. 376)

Aus Gallikers Studie (2014) entnehmen wir folgendes Beispiel: Bei einem Open-Air-Festival werden die Jugendlichen aufgefordert, den in einer Glasflasche mitgebrachten Alkohol in PET-Flaschen umzufüllen. Nun wird der Deckel für die PET-Flasche gesucht. An dieser sprechstilistischen BricolageBricolage mit verschiedenen RessourcenRessource (unmarkierte Normallage, lokaler DialektDialekt, gruppenspezifischer Stil, ethnolektalesEthnolekt, ethnolektal Sprechen, bewusst fehlerhaftes Englisch) beteiligen sich alle anwesenden Gruppenmitglieder.

Personen: Sicherheitsbeamter (SIC), Marco (MAR), Andreas (AND), Martin (MAT) und weitere


SIC: isch das alles ( (=der gesamte Alkohol) )
hä?
MAT: ja!
SIC guèt!
AND: sori
MAR: hee=
wo isch daa de teckèl?
SIC: tschau zäme
?: merssi vilmal
AND: schöns wuchenänd ( (ironisch) )
MAR: adee ( . )
uf niämee=wider=gesee
hem=mer da?
( (pfeift) )
( (…) )

Ausschnitt 1

 

ÜbersetzungÜbersetzung:

SIC: Ist das alles? Hä? [Er kontrolliert, dass sie allen Alkohol aus den Glasflaschen in Petflaschen umgiessen]. MAT: ja! SIC: Gut! AND: Sorry [entschuldigt die Umstände]. MAR: Hey, wo ist der Deckel? SIC: Tschüss miteinander. ?:Danke vielmals. AND: Schönes Wochenende. MAR: Ade auf Nimmerwiedersehen. Haben wir da?


MAR: <<genervt> hör mal uuf!
Tue nid h↑ä!>
hEE=
ich ha scho ganz <imitiert Betrunkenen <s=nasses bÄi>
AND: gratuliere rächt härzlich ((ironisch))
MAR: hed Öpper
Hed öpper gfunde ddeggel?
ddeggel?
?: will=mer amgis au gisch
( (…) )

Ausschnitt 2

ÜbersetzungÜbersetzung:

MAR: Hör mal auf! Mach das nicht hier! Hey, ich hab schon ein ganz nasses Bein [einer verschüttet was beim Umgießen]. AND: Gratuliere recht herzlich [gratuliert ironisch für die nasse Hose]. Mar: Hat jemand, hat jemand gefunden Deckel? [sic] Deckel? ?: Weil du mir normalerweise auch gibst.


MAR: schmäiss (.)
hesch dui ä teckel?
MAT: ja wo wett dä anäggangä si?
( (… ) )

Ausschnitt 3

ÜbersetzungÜbersetzung:

MAR: Schmeiss [den Deckel]. Hast du einen Deckel? MAT: Ja, wo will der hingegangen sein?


MAR: hööfli! ((Andreas))
hööfli!
MAT: dui bisch gfraagt
MAR: allgemäine suche nach disem deggel?
duu iuu siin dis deggel?
( (Rülpser, Stimmen im Hintergrund) )
Mar: dä hend=er mit i brunne grüert
AND: näi=
mier hend dich nu gfraagt
MAR: schäiss=egaal

Ausschnitt 4

ÜbersetzungÜbersetzung:

MAR: Höfli [=Andreas]! Höfli! MAT: Du bist gefragt. MAR: Allgemeine Suche nach diesem Deckel? Do you seen this Deckel? [sic] MAR: Den habt ihr mit in den Brunnen geschmissen. AND: Nein, wir haben dich doch gefragt. MAR: Scheissegal.

Beispiel: "ddeggel?"

(Zit. n. Galliker 2013, S. 295f)

Diese Studien heben hervor, dass die von ihnen erarbeiteten MusterMuster nicht unbedingt jugendexklusiv, sondern vielmehr jugendpräferentiell gebraucht werden, wobei nicht nur FrequenzFrequenz-, sondern auch BedeutungsunterschiedeBedeutungsunterschied zum Gebrauch dieser Muster in anderen Generationen eine Rolle spielen. Gleichwohl mangelt es noch an solchen intergenerationellen Vergleichen (s. Kap. 4.2), z.B. zwischen dem LästernLästern von Jugendlichen und von Erwachsenen. Steckbauer u.a. deuten eine solche generationsvergleichende Perspektive von Erzählungen Erwachsener und Jugendlicher mit gebotener Vorsicht an: „Während Erwachsene Erfahrungen gegenseitig zugänglich und erfahrbar machen wollen (Austausch auf „Augenhöhe“), wollen Jugendliche oft vor allem beeindrucken und (emotionale) Effekte wirksam machen“ (2014, 154). Die Annahme von Jugendtypik für bestimmte kommunikative Muster ist aber für die Jugendsprachforschung und ihr Gegenstandsfeld von entscheidender Bedeutung, wenn sie nicht in der allgemeinen Sprachgebrauchsforschung aufgehen will3.

Bezieht man jugendsoziologische und sozialisationstheoretische Überlegungen ein, so kann verdeutlicht werden, warum HandlungsmusterHandlungsmuster wie BlödelnBlödeln, Frotzeln, LästernLästern oder DissenDissen gerade für Jugendliche im Prozess der sozialen IdentitätIdentitätsozialeskonstruktion sprachbiographisch so bedeutsam sind. Auch das sprachkreative Potential der SprachspieleSprachspiele und BricolagenBricolage, die vergemeinschaftende Funktion von Spaß, Witz und Scherz spielen in der Jugendphase eine besondere Rolle.

So betont Schubert in seiner Studie über das LästernLästern u.a. die bedeutsamen Funktionen der VerständigungVerständigung über soziale Werte in der präsenten Peergruppe, Walther demonstriert die BedeutungBedeutung des BlödelnsBlödeln wie des Frotzelns als Formen der ScherzkommunikationScherzkommunikation für die Jugendlichen, und in Gallikers Studie spielt das identifikatorische SprachspielSprachspiele mit einer Verwendung ortsdialektaler Merkmale eine entscheidende Rolle. Die meisten der oben genannten Handlungsmuster, die überdies noch alters- und geschlechtstypisch ausgeprägt sein können, werden gruppenintern und oft im Modus der Scherzkommunikation verwendet; gruppenexterne AbgrenzungsfunktionenAbgrenzungsfunktion können beim Lästern gegenüber Outgroup-Mitgliedern als Lästerobjekte oder auch beim DissenDissen im Ernstfallmodus auftreten. Solche Fälle sind für die Forschung allerdings schwer zugänglich, zumal die AbgrenzungenAbgrenzung von Frotzeln und Dissen im intragruppalen Scherzmodus nicht immer trennscharf vorgenommen werden können.

4 Schwerpunkte der Jugendsprachforschung

Mittlerweile verfügen wir über eine wenn auch kurze, so doch äußerst lebhafte und anregende Forschungsgeschichte. Eine Bibliographie zur Jugendsprachforschung ist 1999 erschienen und war bald darauf schon wieder veraltet; größere empirische Forschungsprojekte haben ihre Erkenntnisse präsentiert; auf internationalen Konferenzen findet ein reger Austausch mit Jugendsprachforschern aus anderen Ländern statt. Dabei werden eine Vielzahl von Fragestellungen verfolgt und Ergebnisse gewonnen, die verschiedene inhaltliche Schwerpunktsetzungen in Verbindung mit unterschiedlichen Forschungsrichtungen erkennen lassen. Einige davon seien im Folgenden genauer vorgestellt. Auch wenn sie mit unterschiedlicher Intensität bearbeitet werden, erschließen sie doch die Vielschichtigkeit des Forschungsfeldes.

4.1 Jugendsprache als historisches Phänomen

In der öffentlichen Meinung wird Jugendsprache oft als ein neuzeitliches Phänomen der Gegenwartssprache angesehen. Kaum bis gar nicht ist bekannt, dass Jugendliche auch zu früheren Zeiten einen eigenen Sprachstil ausgebildet haben, der sich von dem in der Gesellschaft vorherrschenden und von der älteren GenerationGeneration verwendeten in bedeutsamer Weise unterschied. Unser Wissen darüber verdanken wir der fast zweihundertjährigen Tradition von historischen WörterbüchernWörterbücher und Dokumentationen der historischen StudentenspracheStudentensprache als früheste bekannte Form einer Jugendsprache in Deutschland.1Henne, Helmut/Objartel, GeorgSolche Wörterbücher, Dokumentationen und Lebensbeschreibungen spiegeln den Sprachstil und Lebensstil der akademischen männlichen Jugend, ihre zentralen Erfahrungsbereiche und sozialen Wertungen. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der frühen deutschen Studentensprache hat nicht nur historischen Stellenwert; vielmehr erschließen sich vor dem Hintergrund eines früheren kultur- und zeitgeschichtlichen Kontexts bereits charakteristische Merkmale und Funktionen von Jugendsprachen im gesellschaftlichen Wandel.2Neuland, Eva

Ein solcher studentischer Sprachstil offenbart zugleich einen bestimmten, nämlich den freiheitlich-burschikosen Lebensstil, der sich sowohl von den bürgerlichen Konventionen der nicht-studentischen Bürger: der PhilisterPhilister sowie von den nicht-burschikosen Studenten: den Muckern, Stubenhockern und Trauerklößen abgrenzt. Wie wir aus der Sondersprachforschung wissen3, weist er einen besonderen Wortschatz in den zentralen Lebensbereichen, sozialen Handlungsräumen und spezifischen Wertsetzungen dieser studentischen GruppenGruppe auf, wie z.B.: fidel, honett, die in der damaligen Allgemeinsprache eine ganz andere Bedeutung trugen.

Ein herausragendes Kennzeichen der historischen StudentenspracheStudentensprache ist jene SprachmischungSprachmischung des „makkaronischen Latein“, in dem Deutsch und Latein (z.B.: gassatum gehen, Konkneipant), wie aber auch Deutsch und Griechisch (z.B.: burschikos) verbunden mit SprachspielSprachspiele und IronieIronie zu einem neuen gruppenspezifischen Sprachstil vermengt werden. Weiterhin aufschlussreich im Vergleich zu heutigen Jugendsprachen sind auch die zahlreichen Metaphern und AnspielungenAnspielung sowie die Vermischung von Stilschichten der Sprache des Bildungsbürgertums mit dem RotwelschRotwelsch der ehemaligen GaunerspracheGaunersprache (z.B.: pumpen, Moneten).

Die historische Perspektive auf jugendlichen Sprachgebrauch zu anderen Zeiten macht deutlich, dass die deutsche Sprache immer schon von den jüngeren GenerationenGeneration geprägte Ausdrucksweisen in ihren Wort- und Formenbestand aufgenommen hat.

Manche Phänomene, die für neuzeitliche Erscheinungen gehalten werden, haben Tradition in der Geschichte der Jugendsprachen, wie SprachmischungenSprachmischung, BedeutungswandelBedeutungswandel, AnspielungenAnspielung auf die dominante Kultur, wenn auch mit anderen kulturhistorischen Rahmenbedingungen. Dabei werden zugleich zeitübergreifende jugendtypische Charakteristika deutlich.

4.2 Jugendsprache als Entwicklungsphänomen in der SprachbiographieSprachbiographie

Eine weitere wissenschaftliche Fragestellung ist auf die Jugendsprache als eine Phase der sprachlichen Sozialisation gerichtet. Dabei geht es allerdings nicht um die Vorstellung eines festen Entwicklungsablaufs innerhalb biologischer Altersgrenzen, wie sie in der psychologischen Tradition der SprachentwicklungsforschungSprachentwicklungsforschung und der AltersstilforschungAltersstilforschung noch vorherrschte1 und wie sie der in der Öffentlichkeit oft gestellten Frage zugrunde liegt, wann Jugendsprache eigentlich anfinge und wann sie aufhöre.

Jugendsprache wird in der Entwicklungsperspektive vielmehr sprachbiographisch als Teil sozialer Lebensgeschichte angesehen, wobei die Bedeutung eines besonderen Sprachgebrauchs für die SozialisationsphaseSozialisationsphase der Jugend und die mit ihr verbundene Bildung sozialer IdentitätIdentitätsoziale, insbesondere der Gruppen- und Geschlechtsrollenidentität interessiert. Die Bedeutsamkeit dieses sprachlichen Rollenhandelns spiegelt sich z.B. in den typologisierenden Bezeichnungen für Vertreter des jeweils anderen Geschlechts (wie z.B. Tussi, Macker) sowie anderer Jugendlicher (wie z.B. Aso, Proll, Spasti). Jugendliche selbst scheinen ein besonderes Gespür für den zeit- sowie lebensgeschichtlichen Wandel von Ausdrucksweisen zu haben, wenn sie sich sprachlich mit einem entsprechenden Hinweis abgrenzen: Der Ausdruck irres feeling z.B. sei peinlich teeniehaft2Neuland, Eva und nicht mehr zu gebrauchen.

 

Die Beschäftigung mit der Jugendsprache als einer SozialisationsphaseSozialisationsphase kann insbesondere über die funktionalen Effekte der Jugendsprache, d.h. über die Gründe für deren Bildung und Verwendung im sozialen Lebenslauf Aufschluss geben. Unter sprachbiographischer Perspektive erweist sich damit auch, dass Jugendsprache eine Passage in der individuellen SprachbiographieSprachbiographie darstellt, die mit dem Übertritt in weitere Sozialisationsphasen und -rollen (z.B.: Berufstätigkeit, Familiengründung) verblassen und abnehmen wird. Inzwischen wurden erste vergleichende Beobachtungen zu verschiedenen Lebensaltern (Häcki BuhoferHäcki Buhofer, Annelies (Hrsg.) 2003 und Sprechaltern (OBST 62/2001) vorgelegt.

Die beiden bislang angeführten Aspekte von Zeit- und Lebensgeschichte lassen sich unter dem Generationsbegriff miteinander verbinden, indem z.B. Ausdrucksformen Jugendlicher in verschiedenen historischen GenerationenGeneration miteinander verglichen werden. Dabei lassen sich auch Prozesse kulturellen WandelsWandelkultureller erfassen.3Neuland, Eva Androutsopulos demonstriert solche Veränderungen am Beispiel von WertungsausdrückenWertungsausdrücke Jugendlicher in verschiedenen Lebensphasen (Von fett zu fabelhaft 2001). Ein solcher Wandel hat auch zeitgeschichtliche Parallelen: Was in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fabelhaft war, entspricht zur Wende des 21. Jahrhunderts dem Wertungsausdruck fett.