Jugendsprache

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2.3 Sprachpflegerische Traditionen in der Nachkriegszeit

In gewisser Weise können die Beiträge zur deutschen SchülerspracheSchülersprache in den 60er Jahren (v.a. von KüpperKüpper, Heinz 1961) als Weiterentwicklung der sondersprachlichen Erforschung der Schüler- und PennälersprachePennälersprache vom Beginn des 20. Jahrhunderts gelten. Küpper war auch derjenige, der zum ersten Mal von einem „JugenddeutschJugenddeutsch“ sprach und diesem einen Band seines sechsbändigen Wörterbuchs der deutschen UmgangsspracheUmgangssprache widmete (1970).

Von einem sprachkritisch-sprachpflegerischen Standpunkt aus wurde seit dem Ende der 50er Jahre das Spannungsverhältnis zwischen „Jugend, Sprache und Gesellschaft“ (so StaveStave, Joachim 1960) betrachtet. Als Chronist von „15 Jahre[n] Deutsch in der Bundesrepublik“ verzeichnete Stave jugendsprachliche Auffälligkeiten wie den frühen AnglizismusAnglizismus/Anglizismen hotten und Metaphern wie Tastenhengst (für Pianist), die das Missfallen der Nachkriegsgesellschaft erregten. Sprachkritisch wertend bescheinigte Stave den damaligen Jugendlichen mangelndes SprachgefühlSprachgefühl und fürchtete um den negativen Einfluss auf die Standardsprache.

[…] vor allem die Jugend ist völlig unbedenklich darin, nur noch so zu sprechen und zu schreieben, wie ihr ‚der Schnabel gewachsen ist‘. Das wird auf die Umgangssprache der nächsten Generation nicht ohne Folgen bleiben. Gewisse Schrumpfungserscheinungen sind in der Grammatik jetzt schon erkennbar, z.B. die die Abneigung gegen den Gebrauch des Konjunktivs, des Genitivs, des Perfekts und der reicher gegliederten Formen des Satzes. Schließlich wird diese Entwicklung noch dadurch gefördert, daß die Jugend kein Verständnis mehr für die Auffassung von Sprache als dem ‚heiligsten Gut der Nation‘ hat. Verantwortung vor der Sprache ist ihr fremd. Für sie ist die Sprache kein Kulturwert mehr, sondern ein Konsumgut, dessen man sich unbefangen bedient.

(StaveStave, Joachim 1960, S. 12)

Die Erscheinungsformen des sog. „Halbstarkendeutsch“ und des „Teenager-Jargons“„Teenager-Jargon“ werden als Ausdruck der Eigenständigkeit einer selbstbewussten, gegen die gesellschaftlichen Konventionen der älteren GenerationGeneration gerichteten Jugend interpretiert und von einem sprachpflegerischen Standpunkt aus als die GemeinspracheGemeinsprache bedrohende Entwicklungen heftig kritisiert.1 Die methodologisch problematischen Versuche, demgegenüber ein einheitliches „JugenddeutschJugenddeutsch“ lexikographischlexikographisch zu präsentieren, sind allerdings nicht sehr überzeugend. Die sprachpflegerische Tradition der Nachkriegszeit erscheint aus heutiger Sicht eher den Positionen einer öffentlichen, vorwissenschaftlichten SprachkritikSprachkritik und SprachpflegeSprachpflege nahezukommen.

3 Richtungen der linguistischen Jugendsprachforschung

Die wissenschaftliche Etablierung des Forschungsgegenstands Jugendsprache in der germanistischen Linguistik wurde durch jenen bereits erwähnten Vortrag von Helmut Henne auf der Jahrestagung des Instituts für deutsche Sprache in Mannheim 1980 eingeleitet.1 Dazu trugen zweifellos auch die 1982 gestellte Preisfrage der Deutschen Akademie für Sprache und DichtungDeutsche Akademie für Sprache und Dichtung: „Spricht die Jugend eine andere Sprache?“ und die veröffentlichten Preisschriften2Pörksen, Uwe/Weber, HeinzWeber, Heinz bei. In der sich entwickelnden Jugendsprachforschung wurden in den folgenden Jahrzehnten in Deutschland verschiedene Forschungsrichtungen eingeschlagen, die sich zum Teil überlappen und nicht immer trennscharf voneinander unterscheiden lassen. Im Folgenden seien sie chronologisch kurz charakterisiert und exemplarisch veranschaulicht.

3.1 Frühe PragmatikPragmatik (der Jugendsprache)Pragmatik der Jugendsprache

Zu Beginn der linguistischen Jugendsprachforschung wurden, der damaligen kommunikativen Wende und Entwicklung der linguistischen PragmatikPragmatik (der Jugendsprache)Pragmatik entsprechend, besonders pragmatische Aspekte jugendlichen Sprachgebrauchs betont: Dazu gehörten Begrüßungs- und AnredeformenAnredeformen, GesprächspartikelGesprächspartikel, Laut- und VerstärkungswörterVerstärkungswörter, wie sie vor allem von HenneHenne, Helmut in einer ersten DFG-Studie: „Jugend und ihre Sprache“ (1986) analysiert wurden. Die von Henne erprobten Fragebogen- und Beobachtungsverfahren sowie der Allgemeinheitsanspruch seiner Ergebnisse fanden überwiegend kritische Würdigung. So offenbart ein Abschnitt: „InterviewsInterview – zögernde Annäherungen“ das klassische BeobachterparadoxonBeobachterparadoxon1 und die Schwierigkeit einer Gesprächssituation, in der die in einem Universitätsseminar von Henne interviewten Primaner über ihr „PartnervokabularPartnervokabular“ Auskunft geben sollten:

„H: „Wie werden Freundinnen und Freunde angeredet? ähm Das ist natürlich jetzt etwas schwierig … äh […] Sie sagen: mein Macker?“. Und etwas später: H: „Die Koseworte haben wir ja noch nicht gehört, irgendwelche … Mausi … Liebling […] na ja, ich mein’ das geht jetzt natürlich in Bereiche rein, die kann man praktisch nicht mehr generalisieren, nicht wahr […].“

(HenneHenne, Helmut 1986, S. 131ff.)

3.2 Frühe LexikographieLexikographie (der Jugendsprache) der Jugendsprache

Auch die lexikographischenlexikographisch Traditionen wurden mit verschiedenen Befragungsmethoden fortgesetzt. Dies führte zur Erstellung von WörterbüchernWörterbücher (v.a. HeinemannHeinemann, Margot 1989) und zu Wort- und Sprüchesammlungen und -analysen (z.B. JanuschekJanuschek, Franz 1986, KopperschmidtKopperschmidt, Josef 1987), wobei ebenfalls zumeist von einer Allgemeingültigkeit und HomogenitätHomogenität jugendsprachlichen Gebrauchs ausgegangen wurde. Die anfänglich schlichten, wörterbuchartig aufgelisteten Bedeutungserklärungen und die Datengrundlagen geringer Reichweite ermöglichten oft nur eine begrenzte Aussagekraft der Befunde. So finden sich in Heinemanns: Kleines Wörterbuch der Jugendsprache, noch zu DDR-Zeiten erschienen, viele Beispiele, die weiterer Kommentare und vor allem Kontextuierungen bedürfen, um solche einzelnen Äußerungen verstehen und einordnen zu können, z.B.:

Jugendliche reden über Vieles […], sie reden über Personen, die sie nicht mögen, z.B. Emanze: „Mädchen, das mit Jungs nichts zu tun haben will: Die blöde Emanze will nicht tanzen“.

Anscheißer: „Verräter, Petzer: So ein Anscheißer, der war schon wieder beim Lagerleiter.“

(HeinemannHeinemann, Margot 1990, S. 43)

Gleichwohl verdankt die spätere Forschungsentwicklung den frühen Beiträgen der 80er Jahre wichtige Impulse. Spätere Studien, die auch mit FragebogenmethodenFragebogenmethoden arbeiten, verwenden differenziertere Modelle der Konstruktion von Fragen und Auswahlantworten mit Skalierungen, die zwischen Kenntnis und Gebrauch unterscheiden und sprachliche Kontexte einbeziehen1.

3.3 EthnographieEthnographie (von Jugendsprache) von Jugendsprache

Dies gilt auch für die ethnographischen Einzelfallstudien der 80er Jahre. Vor allem im Rahmen des von KallmeyerKallmeyer, Werner geleiteten Mannheimer Stadtsprachenprojekts (1994) wurden Detailkenntnisse über Ausdrucks- und Funktionsweisen gruppenspezifischer Kommunikation von Jugendlichen im Rahmen ethnographischer Einzelfall-Beschreibungen mittels teilnehmender Beobachtungteilnehmende Beobachtung erarbeitet (v.a. SchwitallaSchwitalla, Johannes 1986/1988, Nothdurft/ Schwitalla 1995). Wichtige Forschungsergebnisse betrafen Identifikations-IdentifikationsstrategienIdentifikationsfunktion und AbgrenzungsstrategienAbgrenzungsstrategien, z.B. „Quasi-ZitateQuasi-Zitate“ und die sozialsymbolische Verwendung von InterjektionenInterjektionen. Die Ergebnisse bleiben allerdings stark auf die Einzelfälle bezogen und sind nur begrenzt verallgemeinerbar. Als Beispiel sei der Kommentar einer Gruppe von Gymnasiasten beim „Hetzen“ über Passanten angeführt:

So äußerte ein Jugendlicher, als eine junge Frau in schwarzer Lederkleidung vor beikam:

‚Uäh! Ach Gott … die Asozial … e e Keggl – n Kinderwaache schiewe un daß so e alte Schlamp noch e Kipp debei raacht … so rischtisch uäh! Ajo! Isch geh uff sämtlische Hardrock-Konzerte, verstehsch? Do geht der Fisch ab!‘ (rülpst)

((‚Keggl‘ = dialektaler Ausdruck für ‚Kind‘))

Über einen älteren, nach Handwerker aussehenden Mann:

‚Ha jo, schaff isch bei Benz Fahrzeugmacher Vogelstang ne … bei Benz geht der Fisch ab! Verstehsch … und dann n halbe Kaschde Bier un a Wiener Schnitzel, alles klar, oder?‘

Über einen Jugendlichen:

‚Verstehsch … Kumpels fahr ins Neggazentrum, mach die Leut õ, alles klar!‘

‚Ha jo, verstehsch, geh un guck noch Schnalln, geht der Fisch ab ne?!‘

Beispiel: „Hetzen über Passanten“ (Zit. n. SchwitallaSchwitalla, Johannes 1986, S. 250)1

3.4 Sprechstilanalysen

Seit dem Ende der 80er Jahre treten Beiträge der Sprechstilanalysen hinzu (SchlobinskiSchlobinski, Peter 1989). Auch sie gehen von einer konkreten Gruppenkommunikationssituation aus und beziehen den Erfahrungshintergrund der jeweiligen Jugendgruppe (z.B. einer katholischen Kirchengemeinde) zur Erklärung der Besonderheiten gruppentypischer SprechstileSprechstileSprechstilanalysen ein. Für die Stilbildung spielen besonders die gruppentypischen kulturellen Ressourcen eine Rolle, z.B. dient in der katholischen Jugendgruppe das MusterMuster der kirchlichen Fürbitte als eine Quelle ihres Sprachstils. Kreative SprachspieleSprachspiele und mimetischer und verfremdender Umgang mit Zitaten (v.a. Schlobinski 1993, 1996), z.B. aus der Werbung, werden mit dem Konzept der Sprachstil-BasteleiSprachstil-Bastelei („BricolageBricolage“) erfasst, wie bei der Veränderung eines Handlungsmusters aus dem ZDF-Fernsehquiz: „Der große Preis“ und der Ersetzung der „Risikofrage“ durch Wörter aus dem Sexualwortschatz:

 

C: Ficken einhundert

E: Ficken einhundert (.)

X: Risiko

Q: Nee

J: Glücksspiel

C: Was denn was war denn daran Risiko (.) Rita Süßmuth oder was?

E: Ficken einhundert

C: Rita Süßmuth

X: Risiko

((Lachen))

C: Frau Meyer hat Aids (.) Herr Herr Tropfmann hat Herpes (.) was möchten SIE einsetzten (..) öhöh (..) Syphilis. ((Lachen))

C: Also hier die Frage (.) also hier die Frage

E: Welche Frage

((Lachen))

S: Sein

R: Das ist hier die Frage

S: Sein oder nicht sein

R: Schwein oder nicht Schwein

((Lachen))

C: Schwein (..) oder nicht Schwein

Q: Dein?

Beispiel: „Der große Preis“

(Zit. n. SchlobinskiSchlobinski, Peter/Kohl, Gaby/Ludewigt, Irmgard/Kohl/Ludewigt 1993, S. 51ff.)

Ethnographische und sprechstilanalytische Jugendsprachforschungen lassen sich aktuell auch dem Oberbegriff der InteraktionsforschungInteraktionsforschung zuordnen, deren neuere Entwicklung in Kap. 3.8 angesprochen werden.

3.5 Kulturanalytische Jugendsprachforschung

Die kulturanalytischekulturanalytisch Richtung der Jugendsprachforschung unterscheidet sich von den bislang angeführten vor allem durch den stärkeren Einbezug sozialer und (sub)kultureller Aspekte in die mikroanalytischen Sprachbeobachtungen.

Erscheinungs- und Funktionsweisen von Jugendsprachen werden hier unter weiterem Einbezug der sprach- und kulturgeschichtlichen Verhältnisse in historischer sowie zeitgenössischer Perspektive soziolinguistisch analysiert und gedeutet (v.a. NeulandNeuland, Eva 1987ff.)1Neuland, Eva/Martin, Stephan/Watzlawik, Sonja. Die internationale Jugendsprachkonferenz von 2001 in Wuppertal: „Jugendsprachen – Spiegel der Zeit“ gab diese Richtung programmatisch vor. Dabei spielen die funktionalen Aspekte der generationsspezifischen Abgrenzungen gegenüber den gesellschaftlichen Konventionen der „Außenwelt“ ebenso eine Rolle wie die der sozialen Identitätsbildung in den Binnenräumen soziokultureller Jugendstile, wie sie u.a. in Personenklassifikationen (Proll: „der Typ Leute, der wie ’n Generaldirektor tut und Postbote ist“)2Neuland, EvaSpreckels, Janet oder beim LästernLästern in einer Jugendgruppe über eine Mitschülerin ausgedrückt werden:

A: Jetzt isse eben die coole Katrin, die immer kifft. ((Lachen))

C: Naja, jetzt will se sich einfach nur behaupten. ((zustimmendes Raunen))

Früher war’s ihr scheißegal, was andere von ihr gehalten haben und jetzt muss sie die Beste sein.

Beispiel: „Die coole Katrin“

(Zit. n. MartinMartin, Stephan/Schubert, Daniel/Watzlawik, Sonja/Schubert/Watzlawik 2003, S. 123)

Zur Bestimmung des Verhältnisses zur StandardspracheStandardsprache werden Methodenkombinationen aus Fragebogenerhebungen, BeobachtungenBeobachtung und KorpusanalysenKorpusanalysen bevorzugt. Dabei werden auch Einstellungen von Jugendlichen zur Jugendsprache erhoben, z.B. zu Gebrauchsbegründungen. So formuliert ein Jugendlicher: „weil Jugendsprache fetter ist als das Gelaber von Erwachsenen“. Der Einbezug des SprachbewusstseinsSprachbewusstsein, die Verarbeitung von Spracherfahrungen und die SprachreflexionenSprachreflexionen von Jugendlichen sind kulturanalytischkulturanalytisch höchst aufschlussreich.

3.6 Kontrastive Jugendsprachforschung

Seit den 90er Jahren ist die linguistische Jugendsprachforschung in Deutschland in einen internationalen Forschungskontext eingebettet. Sammelbände zur internationalen Jugendsprachforschung, insbesondere die Dokumentationen der internationalen Jugendsprachkonferenzen (Herausgeber: AndroutsopoulosAndroutsopoulos, Jannis/Scholz, Arnim/Scholz 1998, NeulandNeuland, Eva 2003b, DürscheidDürscheid, Christa/Spitzmüller, JürgenDürscheid, Christa/SpitzmüllerSpitzmüller, Jürgen 2006, Neuland 2007, Jørgensen 2010, KotthoffKotthoff, Helga/Mertzlufft 2014, Spiegel/Gysin 2016, ZieglerZiegler, Evelyn i.E.) präsentieren Einzelbeiträge aus verschiedenen europäischen und außereuropäischen Regionen. Aufschlussreiche Erkenntnisse vermittelt der Einbezug einer vergleichenden Perspektive von Jugendsprachen in verschiedenen europäischen Ländern (so ZimmermannZimmermann, Klaus 2003 zur spanischen, französischen, portugiesischen und deutschen Jugendsprache), z.B. im Hinblick auf lexikalische Verfahren wie EntlehnungenEntlehnungen, v.a. cool, sowie morphologische Verfahren wie die SuffigierungSuffigierung, z. B. dt. Realo, frz. punkette, span. bocata (von Bocadillo), port. letreiro (Student der Fac. de letras)1Zimmermann, Klaus, EhrhardtEhrhardt, Claus (2007) zu Phraseologismen im Deutschen und Italienischen. Als besonderes Anliegen erschien zunächst die Erarbeitung zweisprachiger Jugendsprache-Wörterbücher.2Lacarescu, Ioan Mit dem abnehmenden Interesse an lexikologischenlexikologisch und lexikographischenlexikographisch Aspekten traten pragmatische und stilistische Vergleiche und damit textuelle Kategorien in den Vordergrund. So analysierte ChovanChovan, Miloš (2006) verschiedene Stile sozialer AbgrenzungAbgrenzung in Jugendgruppen, z.B. durch Distanz anzeigende karikierende und verfremdende Nachahmung der Artikulationsweise unbeliebter Erwachsener, hyperbolischeHyperbolik, hyperbolisch Kommentierungen und Diffamierungen von Institutionsvertretern u.a.m.

Über Reichweiten und Grenzen kontrastiver Analysen wurden noch jüngst kritische Stimmen laut (vgl. NeulandNeuland, Eva 2007). Die Suche nach vergleichbaren sprachlichen Charakteristika zeigt, dass sich diese – abgesehen von sprachtypologischen Spezifika – oft nur mit den unterschiedlichen kulturspezifischen Sozialisations- und Lebensformen in den verschiedenen Gesellschaftsformen hinreichend erklären lassen. Dies dokumentieren z.B. die Wahl von AnredeformenAnredeformen in so unterschiedlichen Gesellschaften wie den westeuropäischen und den ostasiatischen, aber auch die unterschiedlichen Definitionen von Jugend in europäischen und afrikanischen Gesellschaften.3Neuland, Eva/Lie, Kwang-Sook/Watanabe, Manabu/Zhu, Jianhua

3.7 Medienanalytische Forschung

Schon seit Beginn der Jugendsprachforschung in Deutschland beschäftigte sich die Forschung mit dem Einfluss der MedienMedien auf den Sprachgebrauch Jugendlicher (RoggeRogge, Klaus I. 1985, HenneHenne, Helmut 1986, Schlobinski u.a. 1993). MedienanalytischeMedienanalysen Forschungsbeiträge wurden zum Gebrauch von Printmedien (z.B. Hess-LüttichHess-Lüttich, Ernest W.B. 1983, 2003 über Alternativpresse in Jugendsubkulturen), Hörfunk (z.B. BernsBerns, Jan 2003 über Radiosendungen für Hip Hop-Anhänger) und Fernsehen vorgelegt. Jugendliche werden dabei nicht als nur passive Nutzer, sondern als aktive Gestalter von neuen Medienformaten angesehen. Analysen des Sprachgebrauchs in sog. FanzinesFanzines, Fan-Magazinen für jugendliche SubkulturenSubkultur, gingen vor allem in die systematische der Beschreibung: Deutsche Jugendsprache von AndroutsopoulosAndroutsopoulos, Jannis/Scholz, Arnim (1998) ein. Dies demonstriert auch das folgende Beispiel einer Plattenkritik in einem Fanzine:

Was iss’n das???!! auweia – gitarren rock oder besser pop mit geigen und gesofte, irgendwie so schmusebaladen würd ich denken, was für schwer verliebte … also ihr verliebten dieser erde greift zu … (zur cd ihr säue!!!) und … so weiter und sofort, nee im ernst das ist nix für mich selbst zum einschlafen zu öde. Schnell weg damit, aber vielleicht hört ihr ja selber mal rein und bildet euch eure meinung – not me!

(Zit. n. AndroutsopoulosAndroutsopoulos, Jannis 1997, S. 16)

Der Medienentwicklung folgend haben in den letzten Jahrzehnten die Analysen des Umgangs Jugendlicher mit Neuen MedienNeue Medien zugenommen: Jugendliche als Internetnutzer bilden mittlerweile einen viel beachteten Forschungsschwerpunkt (u.a. AndroutsopoulosAndroutsopoulos, Jannis sowie ReinkeReinke, Marlies 2003, KleinbergerKleinberger Günther, Ulla/Spiegel, Carmen Günther/Spiegel sowie DürscheidDürscheid, Christa 2006, KotthoffKotthoff, Helga/Mertzlufft (Hrsg.) (2014) sowie Spiegel/Gysin (Hrsg.) (2016)). Die Analysen beziehen dabei medientypische Charakteristika neuer Formen von SchriftlichkeitSchriftlichkeit ein, z.B. WortbildungWortbildung in Form von Akronymen (z.B. lol, hdl), InflektivkonstruktionenInflektivkonstruktion (grins, heul, freu), Verwendung graphostilistischer Mittel (z.B. IterationIteration von Graphemen und Satzzeichen für besondere Hervorhebungen und Betonungen) sowie der Einsatz von Symbolen wie EmoticonsEmoticons.

Analysiert werden Kommunikationen in sozialen NetzwerkenNetzwerkesoziale Jugendlicher wie schülerVZ (Hellberg sowie Gysin 2014) und WhatsApp-ChatsChat (Wyss/Hug 2016), aber auch virtuelle Inszenierungen (Voigt 2014) und SelbstinszenierungenSelbstinszenierung und sprachbezogene Reflexionen zu Schreiben und Grammatik (Wagner/KleinbergerKleinberger Günther, Ulla/Spiegel, Carmen sowie Bahlo/Becker/Steckbauer 2016).

Für die medienanalytische Jugendsprachforschung stellt sich in besonderer Weise die Frage, inwieweit nicht nur allgemeine, sondern jugendtypische Charakteristika in der digitalen Kommunikation zu identifizieren sind1.

3.8 InteraktionsforschungInteraktionsforschung

Viele Beiträge der jüngeren linguistischen Jugendsprachforschung lassen sich unter den Oberbegriff der InteraktionsforschungInteraktionsforschung Interaktionsanalysensubsummieren. Dabei steht der mündliche Sprachgebrauch, oftmals von GruppenGruppe Jugendlicher in bestimmten Kommunikationssituationen im Mittelpunkt. Es wird mit übersatz- bzw. überäußerungsmäßigen Analysekriterien v.a. der linguistischen PragmatikPragmatik (der Jugendsprache)Pragmatik gearbeitet, um kommunikative MusterMuster herauszufinden, nach denen die Interaktion der Jugendlichen untereinander funktioniert.1Neuland, Eva

Zahlreiche neuere Studien zu ausgewählten kommunikativen Handlungsmustern und -praktiken sind hier zu erwähnen, in denen strukturelle wie funktionale Aspekte des gemeinsamen sprachlichen Handelns eine Rolle spielen, u.a.:

 BlödelnBlödelnBlödelnBlödeln und Frotzeln sind Formen gruppeninterner ScherzkommunikationScherzkommunikation, die interaktiv praktiziert werden und die Gruppenkohärenz gerade auch durch das gemeinsame Gelächter stärken. Das folgende Beispiel einer Blödelei von Siebtklässlern stammt aus der Studie von Walther (Walther 2015, S. 317):


[…]
01 Ru das spray ich dann ganz groß an die Wand*Streber
02 La musste aber Lautschrift machen
03 Ru oh krass
04 Lu Lautschrift ↑ drunter musste dann die Lautschrift machen
05 Ru nein ich schreib [buchstabiert] s t r a i b e r
06 Lu straiber
07 Ru ey das klingt geil
08 Lu strawberry kannste glei noch dran schreiben
09 Ru [singend] strawberry fields forever
10 [singend] fields forever [lacht]
[Mädchen schauen sich verwundert an]
11 Ru [lacht und zeigt auf die Mädchen] die Gesichter ↑ * egal
12 13 Lu [lauter und belehrend] ihr kennt wohl nicht * Erdbeerfelder für immer oder was ↑
14 Ru ey haste dir das jetz ma angekuckt das Musical↑
15 Lu ne habsch ni
16 Ru ey das is so krass
[…]

Beispiel: „Streber“

 

(Zit. n. Walther 2014, S. 317)

 LästernLästern:Beim LästernLästern tauschen sich die Interaktanten über (vermeintliche) Schwächen und kritikwürdige Verhaltensweisen nicht anwesender Personen aus, wobei die VerständigungVerständigung über Verstöße gegen Normen und Werte sozialen Handelns sozial abgrenzend und zugleich gruppenverstärkend wirkt. Lästereien finden sowohl über Personen außerhalb der Gruppe (Erwachsene, Lehrkräfte2) wie über andere Jugendliche statt, wie das folgende Beispiel von SchubertSchubert, Daniel (2009, 205) zeigt:


Sa: die hat sooo***die hat so billige
((gedehnt))
Ve: ohh
Bx: nee
((schmunzelnd))
Si: du hast die noch nie gesehen, ne
Sa: /**also, wir ham ja Auch so stiefel, ne, *aber die hat
Ve: (geil, eh)
Sa: so richtig bIllige, weisste, du kanns_ja so stiefel/, *weisse,
Sa: man kann ja sowas Anziehen, sowas was eher so_n*
Si: so_n leichten tIffentouch
((schmunzelt))
Sa: leichten**n_touch hat, ne, aber nich dann so aus*so scheiss
Si: ja
(.(Sa zustimmend) )
Sa: materiAl is, weisse, wir ham ja Auch so stiefel, aber
Sa: die sind ja aus lEder und die hat die so aus*plAstik und
Sa: so**und dann hatt die noch diese komische***strEtchhose
((holt Luft)) ((gedehnt))
Ve: ((schmunzelt))

Beispiel: "Tiffentouch"

Zit. nach SchubertSchubert, Daniel 2009, S. 205

 DissenDissen:Das HandlungsmusterHandlungsmuster des Dissens kann als eine Form verbaler Duellierung mit gesichtsbedrohenden Akten und entscheidender ModalitätModalität zwischen Spiel und Ernst angesehen werden, wobei Mitgliedschaft und Status in der Gruppe verhandelt werden. DeppermannDeppermann, Arnulf/HartungHartung, Martin (2001, 84) rechnen das folgende Beispiel zum DissenDissen:


Dennis: <<atmet Rauch aus> schw::> (-)
Markus: toll; mach doch ma geschEIte ringe, (-)
Wuddi : <<ff> a:::ch komm-> (.)
Markus: aja das is doch schEI[ße-]
Wuddi : [dr]uffes stück schEIße-
Fabian: <<schrill, ff, kreischend> =ahahaha↑A:::?>
((klatscht in die Hände))
<<kreischend, ff, japsend> HA↑U?> (-)

Beispiel: "Rauchringe"