Herr Gars soll heiraten

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Herr Gars soll heiraten
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Eva-Maria Landwehr

Herr Gars soll heiraten

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Dresden, 9. Dezember 1610

Jagdschloss zum Grünen Wald, 23. Mai 1611

Im schwedischen Militärlager, Ende Juli 1614

Stockholm, 12. September 1614

Im Brandenburgischen bei Küstrin, Juli 1615

Stockholm, Anfang April 1616

Berlin, 9. Oktober 1617

Berlin, 26. November 1619

Nahe der Feste Spandau, 24. Mai 1620

Berlin, 26. Mai 1620

Berlin, 28. Mai 1620

Durlach, 15. Juni 1620

Heidelberg, Ende Juni 1620

Berlin, 28. Juni 1620

Berlin, 28. Juni 1620

Berlin, 29. Juni 1620

Berlin, 30. Juni 1620

Berlin, 6. Juli 1620

Ragnit, 16. Juli 1620

Berlin, 30. Juli 1620

Stockholm, 12. August 1620

Königsberg, 4. September 1620

Wolfenbüttel, 6. September 1620

Jägerndorf, 8. September 1620

Berlin, 15. September 1620

Berlin, 16. September 1620

Berlin, 13. Oktober 1620

Kalmar, Mitte August 1624

Stockholm, 16. November 1633

Impressum neobooks

Inhaltsverzeichnis

Prolog

1615. Gustav, der erst zweite dieses Namens in der nicht sonderlich langen Reihe von schwedischen Königen aus dem Hause Wasa, Gustav, der den Beinamen Adolf trug, ein Erbe seines holsteinischen Großvaters, dieser Gustav Wasa also lebte trotz allem weiter. Trotz allem, das hieß ohne Ebba Brahe, die Liebe seines Lebens, aber neben seiner Mutter, die dem jungen Glück ihre Zustimmung verweigert hatte.

Er lebte weiter, obwohl der bohrende Schmerz, der ungemildert in seinem Inneren wühlte, die schwärmerische Maßlosigkeit der ersten wahren Verliebtheit rücksichtslos verdrängt hatte. Das Ende dieses Höhenfluges fühlte er so grausam, wie er sich in seiner Kindheit die Qualen der unerlösten Seelen stets vorgestellt hatte, die auf den großformatigen Altarbildern papistischer Kirchen in die Hölle gestürzt wurden. Sogar an lichteren Tagen und in heitereren Momenten brauchte es nur wenig, und sein überempfindsames Wesen erkannte den Verlust so frisch und unmittelbar wie in der ersten Stunde.

Das Verhalten des Königs seiner Mutter Christine gegenüber, eine befremdliche Mischung aus unversöhnlicher Sturheit und kindischem Trotz, sorgte für lebhaften, nicht versiegenden Gesprächsstoff in den Zimmernischen und Treppenabsätzen des Stockholmer Schlosses an den Ufern des Mälar, wo man, teils mitfühlend, teils schadenfroh, über Anlass und Ausgang der familiären Krise spekulierte.

Hatten die Ahnen des Königs nicht schon weniger standesgemäße Bräute gewählt, Königinnen aus dem Volk, rotwangige Mädchen aus uralten großbäuerlichen Geschlechtern, die erlegtes Wild häuten und Pferde zureiten konnten? Lag es daran, dass die Königinwitwe als junge Frau dem polnischen König versprochen gewesen war und dieser dann eine andere geheiratet hatte? Eine verschmähte Verlobte hatte womöglich kein Einsehen mit verzweifelt Liebenden.

Zur Unzeit schossen dem jungen Mann von zwanzig Jahren die Tränen in die Augen, worauf er, zornig auf seine vermeintliche Schwäche, Gespräche abbrach und zur Seite sah, als wäre er desinteressiert, unhöflich oder einfach nur hochmütig.

Aber der König, aufrecht erhalten durch die Kraft der Jugend, lebte, wie man sagte, sein Leben weiter, ließ sich seinen blonden Bart stutzen und fror aus Gründen der körperlichen Ertüchtigung bei winterlichen Militärübungen. Er ging so energisch, wie er dachte, dass man es von ihm erwartete, durch die Hallen des Stockholmer Schlosses und ließ sein Gefolge das männliche Staccato seiner metallbeschlagenen Reitstiefelsohlen auf den steinernen Fußböden hören. Er nahm regelmäßig Dampfbäder, drückte sich allerdings so manches Mal vor den eisigen Tauchgängen. Auf der Jagd erlegte er das Wild mit Lust, um wenig später den Blick in dessen gebrochene Augen schuldbewusst zu scheuen. Er schlief tagsüber beim Aktenstudium ein und verschlang nachts wenig erheiternde Gedichte, die von der Vergänglichkeit und der Sinnlosigkeit alles Irdischen handelten. Er war in einem Augenblick todtraurig und wenig später ausgelassen und vergnügt. Er gewährte Audienz in nobler, untadeliger Haltung und war kurz danach der launige Mittelpunkt einer grölenden Runde trinkfester Gesellen. Je nach Tagesform ließ er sich in einer Sache schlecht beraten und wies anschließend einen klugen Rat schroff zurück. Er machte sich bei den Schlauen beliebt, weil er zu Unrecht Gefordertes befürwortete und brachte die Anständigen gegen sich auf, weil er sinnvolle Gesuche ablehnte.

Doch die unverwüstliche menschliche Natur machte auch bei Königen keine Unterschiede und bereitete der Tristesse seines Daseins ein unerwartetes Ende: Zuerst entzog sich Gustav Adolf für Monate dem gesellschaftlichen Leben – um schließlich während eines Feldzugs ein uneheliches Kind zu zeugen.

Es dauerte nicht lange und die Spatzen pfiffen es von den Dächern: Der König von Schweden war ein Ehebrecher. Dass der junge Monarch nicht sein eigenes Ehegelübde, sondern dasjenige einer Frau namens Margarethe Sersanders verletzt hatte, machte die Sache nicht besser. Auch wenn Mätressen an vielen europäischen Höfen zum guten Ton gehörten, hielt man im sittenstrengen protestantischen Schweden wenig bis gar nichts von einer solchermaßen verfeinerten Lebensart. Ehebruch galt dort als schweres Delikt, das die Todesstrafe nach sich ziehen konnte.

Für den zwanzigjährigen Gustav Adolf hatte diese Liebschaft keine Konsequenzen. Dennoch blieb ihm öffentliche Kritik aus seinem engsten Umfeld nicht erspart. Gesetz und Ordnung, wetterte sein Hofgeistlicher Johannes Rudbeckius an die Adresse des königlichen Sünders, glichen einem Spinnennetz, in dem kleine Fliegen gefangen würden, während die großen einfach hindurchflögen.

Der einzige mildernde Umstand, der geltend gemacht werden konnte, war, dass diese große Fliege ihrer verlorenen Jugendliebe nachtrauerte und nach Ablenkungen ganz besonderer Art hungerte.

Die illegitime Frucht der Liaison mit Madame Sersanders, der kleine Gustav Gustavson, war also ganz offensichtlich ein Kind königlicher Frustration.

Gustav Adolfs missglückte Brautwerbung um Gräfin Ebba Brahe blieb am schwedischen Hof ein delikates Thema. Es musste mit äußerstem Fingerspitzengefühl behandelt werden. Die bezaubernde Ebba, Tochter eines hohen Hofbeamten, war mit dem nur knapp ein Jahr älteren Kronprinzen aufgewachsen. Aus kindlicher Vertrautheit war irgendwann schwärmerische Liebe geworden, eine Entwicklung, die Königin Christine mit großem Argwohn verfolgt hatte. Das reizvolle Fräulein war ihr nicht gut genug. Aber weil der junge König die treibende Kraft dieser verbotenen Liebe war, fest entschlossen, seine Gefühle über alle Kritik und auch über die Staatsräson zu stellen, musste diese Affäre ein durch die Kunst der Intrige herbeigeführtes Ende finden.

Christine, die lebenskluge Witwe und Mutter, hatte zu dieser Zeit scheinbar eingelenkt und der Heirat zugestimmt. Vorausgehen sollte ihrem Wunsch gemäß aber eine mehrjährige Wartezeit, in der sich die Verlässlichkeit dieser Verbindung zu bewähren hatte. Ebba, die trotz ihrer märchenhaften Schönheit nicht unter mädchenhafter Naivität litt, verstand und gab sich keinen Illusionen mehr hin. Während der Abwesenheit ihres Liebsten wehte ihr in den distanzierten Höflichkeiten aus dem Mund ihrer potentiellen Schwiegermutter der eisige Hauch der Unversöhnlichkeit entgegen. Und was die so genannte Wartezeit betraf: die Ablehnung dieser zu allem entschlossenen Frau kannte kein Verfallsdatum. Als unerwünschte Schwiegertochter würde Ebba einen Machtkampf zweifellos verlieren. Wozu also warten, bis die eigene Blüte vergangen und ein anderer Bewerber in weite Ferne gerückt war.

 

Mit ehrlichem Bedauern, aber gewiss nicht am Boden zerstört, begann sich die junge Frau von Gustav Adolf zu lösen, machte sich rar, beantwortete seine drängenden Briefe nur unregelmäßig und stimmte schließlich übereilt einer Verlobung mit Hauptmann Jacob de la Gardie zu.

Die Mutter des Königs hatte also den Sieg davongetragen, aber dieser Triumph war teuer erkauft. Gustav war tief enttäuscht und verbittert. Er fühlte sich verraten von den Personen, die ihm am nächsten standen und bereute das Herzblut, das er für diese Verbindung vergossen hatte. Theatralisch, soweit dies seine schwere, zur Fleischigkeit neigende Statur zuließ, gab er seiner Mutter zu verstehen, dass er in diesem Leben überhaupt nicht mehr zu heiraten gedachte. Sollte sich doch sein Bruder Karl Philipp nützlich machen und für einen Thronfolger sorgen. Was hatte es ihn zu interessieren, dass Karl erst zarte fünfzehn Jahre zählte!

Sprach‘s und machte sich, am Schauplatz seiner persönlichen Tragödie sprichwörtlich eine große Staubwolke hinterlassend, mit großem Gefolge und noch größerem Getöse auf in die Fortsetzung seines Feldzugs gegen Russland.

Ebba Brahe verschwand in der Provinz, ihr Name wurde nur noch hinter vorgehaltener Hand genannt. Der junge König hingegen durfte eine angemessene Zeit lang die Wunden lecken, die ihm geschlagen worden waren. Wunden, die von besagter Margarethe Sersanders – deren Ehemann im Übrigen ein niederländischer Offizier in schwedischen Diensten war, der gegen seinen prominenten Brotherrn keine nennenswerte Gegenwehr aufzubringen vermochte – mit Hingabe verarztet wurden.

Wie ein Berserker hatte Gustav Adolf also aufbegehrt gegen den Zwang, ein Leben als Sklave seines Amtes zu führen, hatte sich ohne nachzudenken hineingestürzt in diese Sache mit Margarethe. Als er aus seinem Rausch erwachte, war er tief beschämt darüber, dass ihm die junge Frau herzlich gleichgültig war. Aber da war es bereits zu spät.

Ängstlich, mit einem unschuldigen Augenaufschlag, hatte sie ihm eröffnet, dass sie ein Kind erwartete. Sein spontanes Entsetzen war wenig später in eine unbeholfene Reserviertheit umgeschlagen, die Margarethe zurückweichen ließ. Keine Klagen, keine Forderungen kamen über ihre Lippen. In der darauffolgenden Nacht hatte er von Ebba geträumt. Sie hatte ihn angefleht, über schwarzes, knisterndes Eis, das sich zwischen ihnen ausdehnte, zu ihr zu kommen. Aber das Eis war dünn, das Wasser rauschte und gluckerte in der Tiefe. Auf allen Vieren war er vorwärts gekrochen, und bevor er den scharfen Riss hörte, war er bereits mit einem dumpfen Krachen eingebrochen. Die eisigen Wellen schlugen über seinem Kopf zusammen, erst durch wildes Armrudern war er wieder herausgeschossen wie ein Korken, die gefühllosen Finger blutig von den vergeblichen Versuchen, die Bruchkanten des Eises zu fassen. Da war über ihm Margarethes regungsloses Gesicht erschienen, sie hatte seinen Kopf mühelos unter Wasser gedrückt, nur mit der Spitze ihres Zeigefingers, und diesen dann hastig, mit einem Ausdruck des Ekels, zurückgezogen.

Als dann noch seine Mutter wie aus dem Nichts neben Margarethe getreten war und ihn mit einem tadelnden Kopfschütteln bedacht hatte, war er schweißgebadet und frierend aufgewacht.

Denn Gustav Adolf war sehr wohl bewusst, dass einem Mann in seiner Position dauerhaft kein Recht auf private Empfindlichkeiten zustand. Schließlich musste der Fortbestand der schwedischen Wasa gesichert werden.

Seine Mutter hatte damals natürlich schon längst ihr diplomatisches Netz ausgeworfen. Gut protestantisch und von Geblüt musste sie sein, die zukünftige Braut des schwedischen Königs. Die englische Prinzessin Elisabeth, Tochter König Jakobs, mittlerweile in der Kurpfalz verheiratet, war im Gespräch gewesen, mit einer jungen Dame aus dem Hause Württemberg hatte man auch geliebäugelt.

Überhaupt boten die deutschen Lande reiche Auswahl. So fiel der Blick auf Brandenburg. In diesem Kurfürstentum, das an die Hohenzollern belehnt war, waren Johann Sigismund und seiner Frau Anna gleich zwei Töchter im heiratsfähigen Alter herangewachsen. Die mannigfaltigen Vorteile einer solchen Verbindung lagen auf der Hand und waren von Reichskanzler Oxenstierna sachlich referiert worden. Selbst Jahre später konnte der König in seiner Erinnerung dessen dröhnende Stimme dozieren hören, dass es vier gute Gründe gäbe, und vermochte sich mit geschlossenen Augen vorzustellen, wie Oxenstierna dabei Daumen, Zeige- und Mittelfinger nacheinander in einer aufzählenden Geste ausgeklappt hatte:

Erstens bekannten sich die Prinzessinnen zur richtigen Religion. Zweitens gehörte Brandenburg zur Familie der Ostseeanrainer und hatte damit einen militärstrategischen Zugang zum Meer. Drittens war die Mitbelehnung der Hohenzollern in Preußen geographisch hochinteressant – mit einem Fuß in diesem Herzogtum würde Gustav Adolf seinem Vetter und Erzfeind, König Sigismund von Polen, die Stirn bieten können. Und viertens lockte im Herzen des deutschen Reiches das niederrheinische Herzogtum Kleve, das endlich den Hohenzollern zugeschlagen worden war.

Aber gegen Ende des Jahres 1615 war noch alles in der Schwebe. Der König suhlte sich in seinem Leid, bewies sich im fernen Russland als Soldat und Liebhaber und befasste sich halbherzig mit dem Gedanken an eine standesgemäße Heirat.

So geschah es, dass sich die Wege illegitimen Kindersegens und dynastischer Eheanbahnung für das Haus Wasa erst im Jahr 1616 auf höchst staunenswerte Weise überschneiden sollten.

Dresden, 9. Dezember 1610

Es waren die beringten Finger ihres Schwagers Christian, des Kurfürsten von Sachsen, die ihren Oberarm wie eine Schraubzwinge quetschten. Die Siegelfläche seines massiven Rings hatte sich zum Handteller hin gedreht und drückte schmerzhaft durch Haut und Muskeln auf den Knochen. Jede andere Person hätte Anna allein durch ihren Blick zur Besinnung gebracht. Doch die Hand dieses angetrunkenen Mannes ließ sich nicht einfach so abschütteln. Nicht jetzt, nicht vor Zeugen. Hier, in diesem Zimmer, in diesem Schloss, war Kurfürstin Anna von Brandenburg nur Gast, Gast in Christians Haus, auf Christians Grund und Boden. Hier war sein Wille Gesetz.

Also ließ sie es widerstrebend zu, dass der Kurfürst sie in eine Ecke des Zimmers dirigierte, wo er sie so herumschwang, dass die anderen Anwesenden seine lächelnde Mimik zu sehen bekamen, ihr abweisender Gesichtsausdruck aber allen Blicken verborgen blieb.

Niemand in diesem Raum ahnte, dass der Kurfürst, bevor er aufgebrochen war, um seiner Schwägerin zur Geburt ihres Kindes zu gratulieren, bereits einige Becher Wein heruntergestürzt, sich mit schwerfälligen Schritten die Treppe heraufgequält, vor der Tür innegehalten, seine massigen, hängenden Schultern nach hinten gedrückt und mehrmals wie ein Erstickender tief Luft geholt hatte, um die Enge in Brust und Kehle zu bekämpfen. Er hatte das getan, um, wenn er durch diese Tür treten würde, überzeugend von dem Umstand abzulenken, dass er seit acht Jahren auf einen Erben wartete und dass seine von Aderlässen und Fruchtbarkeitskuren ausgelaugte und durchscheinend gewordene Frau vergeblich für die Anzeichen einer Schwangerschaft betete.

Christian von Sachsen hatte, etwas unsicher auf den Beinen, den vor dem Geburtszimmer wachenden Lakaien erst angerempelt, dann zusammengestaucht und schließlich mit dem Ellenbogen zur Seite geschoben, um die Tür schwungvoll aufzustoßen. Er war, umhüllt von einem Schwall kalter Treppenhausluft und seine kränkliche Frau Hedwig, eine Prinzessin aus dem dänischen Königshaus, im Schlepptau, in die schläfrige Atmosphäre des stickigen, überheizten Wöchnerinnenzimmers hereingeplatzt, hatte seinem Bruder anerkennend, aber recht flüchtig auf die Schulter geklopft, und war dann breit lächelnd von einem zum anderen Gast gegangen, hatte diesen umarmt, jenen mit der Faust geknufft und wieder einen anderen vertraulich am Wams gefasst.

Fast widerwillig war er dann an die Wiege getreten, in der die zwei Wochen alte Maria Elisabeth wie eine Puppe eingewickelt lag, ein gewöhnlicher, anspruchsloser Säugling, der von seiner Amme geschaukelt wurde. Nachdem er das Neugeborene begutachtet hatte, nicht ohne flüchtig nach sichtbaren Makeln zu suchen, forderte er seine Frau, die sich, wie befürchtet, mit wässrigen Augen an dem Bündel in der Wiege festgesaugt hatte, ruppig auf, der Wöchnerin das gemeinsame Geschenk, einen Geburtsteller, zu überreichen. Immerhin, so seine unausgesprochene Bilanz, war es nur ein Mädchen. Allerdings bereits die zweite, augenscheinlich gesunde Prinzessin innerhalb eines Jahres. Da war noch einiges zu erwarten.

Dasselbe dachte der Vater des Säuglings, Markgraf Johann Georg, der, sich seiner Zeugungsfähigkeit wohl bewusst, den aggressiven Neid des zwei Jahre älteren Bruders mit in sich gekehrter Zufriedenheit genoss. Fast auf den Tag genau vor einem Jahr war ihm schon die kleine Sophie geboren worden. Auch damals kein männlicher Erbe, das nicht, aber ein kräftiger, überlebensfähiger Nachkomme.

Johann Georg, ein weichlicher Mann mit leichtem Bauchansatz und einem Hang zu übertrieben modischer Kleidung, der das auf die günstige Gelegenheit lauernde Leben eines Zweitgeborenen führte, lehnte mit der Schulter an einer der gedrechselten Stützen des Himmelbettes und drehte seiner in die Kissen drapierten Frau den Rücken zu. Die Arme gemütlich verschränkt und ein senfgelb bestrumpftes Bein lässig überkreuzt. Um ihn herum schlängelten sich zwei seiner Jagdhunde, drängten sich an ihn, suchten winselnd seine Hände, die sie abschleckten, bevor sie sich im Kreis drehten und auf dem Boden neben seinen Füßen zusammenrollten. Bereit, sofort hellwach aufzuspringen, wenn ihr Herr seinen Standort wechseln sollte. In dieser Haltung nahm er gleichmütig die Gratulationen entgegen und verglich blitzschnell den Wert der Gaben mit dem Status und dem geschätzten Vermögen der Schenkenden. Seiner Miene nach zu urteilen, war das Ergebnis zufriedenstellend.

„Wenn ich statt eines Mädchens ein paar Welpen geworfen hätte, würde dieser Mann mir größere Beachtung schenken. Wer weiß, vielleicht bekäme ich sogar ein paar abgenagte Knochen zugeworfen“, nörgelte seine Frau Magdalena im Flüsterton. Wenige Minuten zuvor hatte sie ihre Schwester Anna mit einem einladenden Klopfen neben sich auf die Bettkante gelockt und sich mit weinerlicher Stimme beklagt, dass sie Anna beneide, weil diese daheim in Brandenburg bereits ihre Pflicht erfüllt habe.

„Wenn man mich nur endlich aus diesem Bett herauslassen würde.“ Magdalena zupfte mit gesenktem Blick an ihrer pelzbesetzten Bettdecke und sah verschwitzt aus. „Ich leide. Aber dieser Zerberus“, sie deutete mit dem Kinn zu ihrer Hebamme hin, „wird mich in meinem dreckigen Bettzeug verfaulen lassen. Oder verdursten“, sagte sie angriffslustig, die trockenen Lippen mit der Zunge befeuchtend, „wenn meine Milch nicht endlich versiegt.“ Ihre Haut sei wie Pergament. Und sie habe die Farbe der schmutzigen Wäsche angenommen, in der sie liegen müsse. Wahrscheinlich werde sie eines Tages mitsamt den Laken abgezogen, zusammengeknüllt und in einem Waschbottich gekocht.

Kurfürstin Anna hörte sich diese weinerlichen Ausführungen geduldig an. Auch wenn sie sich an die Beschwernisse des Wochenbettes nur noch vage erinnern konnte, empfand sie doch die Mutterschaft als solche, speziell die Erziehung ihres Sohnes, des brandenburgischen Erbprinzen, als schwere Bürde. Als lebenslangen Auftrag, den sie im Ringen mit den wenig förderlichen Widerständen, den unbeherrschten Launen und zerstörerischen Einflüssen ihres Gemahls zu erfüllen hatte. Folgerichtig wollte ihr keine tröstliche Antwort einfallen, weshalb sie nach der feuchten Hand ihrer Schwester griff und diese stumm drückte.

„Ich weiß“, sagte sie leise und gab ihrer Schwester dann mit einer leicht deutbaren Drehung des Kopfes zu verstehen, dass es für sie Zeit wurde, den Kurfürsten zu begrüßen. „Ich muss, Magda.“

„Warte“, konnte ihre Schwester noch lautlos mit den Lippen formen, und holte sie mit einem eindringlichen Blick zurück, als die Kurfürstin schon stand. Anna setzte sich wieder und beugte sich zu ihr hin, deutete einen Wangenkuss an und ließ sich dabei ins Ohr flüstern, dass sie auf alles vorbereitet sein solle. Seine Gnaden sei derzeit noch mehr als sonst von Gereiztheit und Streitlust befallen. Alle würden versuchen, ihm aus dem Weg zu gehen, aber er führe Begegnungen, die für Beteiligte und Unbeteiligte einen eher zweifelhaften Unterhaltungswert versprachen, offenbar absichtlich herbei. Die Dienstboten würden über Ehestreitigkeiten, über sein lautes Gebrüll und über das Weinen der Kurfürstin tuscheln. Was speziell ihre Schwester betreffe: Anna wisse ja, dass Seine Gnaden mit der Entwicklung im Rheinland nicht zufrieden sei.

 

Anna richtete sich auf, unentschlossen, ob es klüger sein würde, sich unter die Gäste zu mischen und dem Schwager ihrer Schwester aus dem Weg zu gehen. Aber nein, es musste sein.

Seit dem März des vergangenen Jahres, als ihr bedauernswerter Onkel Johann Wilhelm, der Herzog von Jülich, Kleve und Berg, aus seiner schweren geistigen Umnachtung erlöst und durch einen Akt göttlicher Barmherzigkeit heimgeholt worden war, schien kaum ein Tag vergangen, an dem Kurfürstin Anna nicht von dessen Erblast verfolgt worden wäre. Johann Wilhelm hatte das größte Versäumnis zu verantworten, das einem Fürsten mit nennenswertem Einfluss unterlaufen konnte: Er war ohne einen legitimen männlichen Erben gestorben.

Eigentlich war die Angelegenheit unzweideutig und klar. Aufgrund eines kaiserlichen Privilegs von 1546 war sie, Anna, als Tochter der ältesten Schwester des Herzogs vorrangig erbberechtigt. In seltener Eintracht hatten ihr Mann, Johann Sigismund von Brandenburg, und ihr Onkel Philipp Ludwig von Pfalz-Neuburg ihre Bevollmächtigten an den Rhein geschickt, deren Präsenz jeden Zweifel an der Rechtmäßigkeit ihrer Erbabsichten zerstreuen sollte. Kaiser Rudolf war verständlicherweise mit diesem eigenmächtigen Vorgehen ganz und gar nicht einverstanden gewesen. Und tatsächlich war wenig später schon sein Kommissar vor den Toren Jülichs gestanden, um vorerst das Regiment zu übernehmen.

Es war vorhersehbar gewesen, dass der übergangene Kaiser jetzt seine Autorität demonstrieren musste. Er wolle den Erbfall einer Prüfung unterziehen, hatte es geheißen, und auch die Ansprüche derjenigen berücksichtigen, die sich unter Einsatz ihrer Ellenbogen in die vorderste Reihe drängelten und allerlei obskure Dokumente vorlegten. Zu denen gehörte auch ihr Schwager, Christian von Sachsen, der in dieser zunehmend vergifteten Diskussion das große Wort führte und seine empörten Mitbewerber unter Einsatz aggressiver Drohgebärden in sein Gespinst aus dreisten Forderungen verstrickte.

Kaum also, dass Anna an den ebenso rotgesichtigen wie übergewichtigen Mann herangetreten war, fand sie sich nicht nur schmerzhaft am Arm gepackt, sondern darüber hinaus in einem befremdlichen Zwiegespräch wieder, das die Befürchtungen ihrer Schwester prophetisch erscheinen ließen.

Kurfürst Christian war ein früh gealterter Mann, dem man aufgrund seines verlebten Äußeren gut und gerne fünfzehn Jahre mehr zu seinen sechsundzwanzig hinzurechnen konnte. Wie viele seiner Standesgenossen trank auch er mehr als ihm guttat. Aber während sich robustere Naturen als die seine rülpsend und schenkelklopfend von diesen Exzessen erholten, schwanden seine Kräfte von Tag zu Tag. Er trank nicht, weil er es genoss, sondern weil er nicht mehr anders konnte. Weil er das Schicksal bekriegen musste, das ihn mit einer verhassten, widernatürlichen Empfindlichkeit ausgestattet hatte. Er hatte eine fast weiße, sommersprossige Haut, die die Sonne immer wieder schmerzhaft verbrannte. Einen leichten Knochenbau, der unter der Last des Fettes ächzte. Eine zarte Konstitution, die ein Leben im Übermaß nicht vorgesehen hatte. Noch als Zwölfjähriger hatte er sich am liebsten bei den Frauen herumgedrückt, wo er befremdete Blicke erntete und weggescheucht wurde. Nie wollte er wie seine gleichaltrigen Freunde mit glitschigen Schnecken zwischen den nackten Zehen durch die Wiesen streifen. Er sah weg, wenn sie Kaninchen das Fell abzogen und versteckte sich, wenn sie sich prügelten.

Als es an der Zeit gewesen war, hatte sein Vater ihm diese Marotten mit den gleichen mechanischen Methoden ausgetrieben, wie er seine Hunde abzurichten pflegte. Christian hatte gelernt, sich zu verstellen, hatte sich verleugnet und verbogen, bis ihm ein dicker Panzer aus dämmendem Fett gewachsen war, und er jegliche Zartheit aus seiner Welt verbannt hatte.

„Ein schönes, gesundes Kind“, gratulierte Anna vorsichtig, nachdem sie ihren Kopf zu einem kurzen Gruß gebeugt hatte, „ein guter Tag für das Haus Sachsen“, und rieb sich demonstrativ ihren Oberarm.

„Gut? Ja, ja, das scheint wohl so zu sein“, nuschelte der Kurfürst und warf seine Handschuhe auf den kleinen Tisch, der neben ihm stand, „gut für wen auch immer“. Ein zähes Schweigen breitete sich aus, in dem der Kurfürst mit starrem Blick vor sich hin brütete, leicht mit dem Kopf wackelte und sich unablässig mit der Zunge über die Lippen fuhr.

Anna vermied es, ihn in diesem Zustand der Blöße anzusehen und fing dabei den ängstlichen Blick ihrer Schwester ein. „Ihr führt ein gastfreundliches Haus“, versuchte sie es erneut, „ich kann mich nicht erinnern, jemals so viele Besucher anlässlich einer Taufe gesehen zu haben. Und alle sind…“

„Gäste?“, plärrte Christian, wobei ihm ein lautes Rülpsen entfuhr, „Schmarotzer sind das! Was diese Leute tatsächlich machen, ist, mich einen Haufen Geld kosten. Und die Geschenke steckt sich Johann in die Tasche!“ Er streckte seinen Arm aus, raunzte nach mehr Wein und riss den Becher, den man ihm gereicht hat, so hastig an sich, dass ein wenig Rotwein auf seine Brust schwappte und dort zu dunklen Flecken versickerte.

„Mein lieber Bruder möchte sich im Glanz seiner Nachfolge sonnen. Er weiß, wie man es anstellt, die Kinder fallen ja nur so heraus aus Eurer Schwester. Eins nach dem anderen. Nun, ein Talent wenigstens scheint ihm ja mitgegeben worden zu sein.“

Die Füße nach außen gedreht, stellte er sich breitbeinig auf und tastete kurz mit der Hand nach der hölzernen Wandverkleidung, um einen sicheren Stand zu erlangen. Anna tauschte erneut einen kurzen Blick mit ihrer Schwester, die betroffen die Finger der rechten Hand auf ihren Mund gedrückt hatte, und bemühte sich, ein neutrales Gesicht aufzusetzen.

„Ich bin bekannt dafür, gleich ohne Umschweife zur Sache kommen“, sagte Kurfürst Christian mit leichtem Zungenschlag, was man daran merkte, dass er „zur“ weich und zischend wie „sssur“ artikulierte, „in mediae res also!“

Anna registrierte sein fehlerhaftes Latein mit Geringschätzung und schwieg. Dem Kurfürsten war das nicht entgangen. Er verzog einen Mundwinkel zu einem kleinen bösen Lächeln, das seine eingetrübten Augen nicht erreichte, wankte, kippte leicht nach vorne und blies ihr seinen abgestandenen Atem in die Nase.

„Anna, Anna, Anna…“, er schüttelte mit gespielt besorgter Miene seinen Kopf, als wäre er sehr enttäuscht von ihr, „was ist denn nur los mit euch Brandenburgern, hmmm?“

Anna wich zurück, ohne es zu wollen. „Ich verstehe Eure Frage nicht.“

„Keine gute Idee, den Kaiser gegen sich aufzubringen“, seufzte er. „Wie ich hören muss, hat die Partei eures Herrn Gemahls in der Jülich-Berg‘schen Sache eine empfindliche Niederlage erfahren. Da seht Ihr es, unrechtmäßige Umtriebe lohnen sich selten. Die Euren haben es verdient, bestraft zu werden.“

Der Kurfürst klang nun sicherer und beäugte sie lauernd. Das Kaminfeuer brannte in ihrem Rücken und Anna spürte, wie Schweiß den Stoff unter ihren Achseln nässte, hielt seinem Blick aber abwartend stand. Sie hatte nicht erwartet, dass er dieses Thema an einem solchen Tag anschneiden würde.

Ihr Gegenüber schnippte mit den Fingern nach einem Diener, und ließ, ohne den Blick von ihr zu wenden, seinen leeren Becher erneut mit Wein nachfüllen, welchen er, den Kopf im Nacken, geräuschvoll, mit großen, gierigen Schlucken austrank. Der Becher wurde ein drittes Mal gefüllt und Christian von Sachsen wedelte den Diener mit der anderen Hand weg.

„Jetzt, wo der französische König tot ist“, stellte der Kurfürst zufrieden fest, „lautet die entscheidende Frage nicht mehr, ob, sondern wann dessen Truppen am Rhein die Beine in die Hand nehmen und wie Hasen nach Westen flüchten werden. Dann, meine Liebe, seid Ihr Brandenburger allein, ganz allein.“

Er ließ den Wein im Becher kreisen und spürte, mit der Zunge schnalzend, dem Geschmack des sauren Getränks nach. Dies sei nun die wahrscheinlich letzte Gelegenheit zur Abkehr von einem verderblichen Irrweg, legte er eindringlich nach, und rückte noch ein wenig näher.

Er sage dies in aufrichtiger Anteilnahme und Sorge um ihrer Aller Wohl, machte er in einem unschuldigen Ton weiter. Brandenburg und Neuburg könnten noch zurück und den Konflikt mit dem Kaiser friedlich beilegen, sie müssten nur, trumpfte er mit süßlicher Stimme auf, ihre Knie und ihre Köpfe recht tief beugen und auf Gnade hoffen.

Gnade? Kurfürstin Anna, in der seine Rede nachhallte, die trotz vorgeblich abmildernder Worte mit Schärfe vorgetragen worden war, räusperte sich und gab einen ungläubigen Laut des Erstaunens von sich. Ihre Stimme klang brüchig.

„Ihr hört Euch wie ein katholischer Beichtvater an, Christian. Gnade!“, gab sie entrüstet zurück, „die wer wem erteilt? Das ist doch grotesk! Habt Ihr vielleicht auch schon eine angemessene Buße im Sinn? Welche Vergehen werft Ihr meinem Gemahl und meinem Cousin denn vor? Ihr wisst sehr wohl, dass die Ansprüche, die Brandenburg auf Jülich, Kleve und Berg erhebt, durch ein Privileg Seiner Majestät Kaiser Karls V. abgesichert sind, das dieser meiner Familie vor hundert Jahren ausgestellt hat.“ Gestärkt durch das Gefühl, geltendes Recht auf ihrer Seite zu haben, wurde Anna lauter und bestimmter im Ton. „Darin ist die Erbfolge ausdrücklich auf weibliche Nachkommen ausgeweitet, ein Fall der nun eben eingetreten ist! Und deshalb steht mir als der ältesten weiblichen…“

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