SPACE 2022

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Aus der Reihe: SPACE Raumfahrtjahrbücher #19
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Letzter Nachtrag

Hier soll kein falscher Eindruck entstehen. Ich bin keineswegs gegen den Wettbewerb zwischen Virgin Galactic und Blue Origin. Und ich bin auch nicht dagegen, dass die beiden Firmenbosse selbst bei diesen Demonstrationsflügen mit an Bord waren. Ganz im Gegenteil. Es signalisiert den Beobachtern: „Seht her, unser System ist so zuverlässig, dass wir uns ihm selbst anvertrauen. Also könnt ihr es auch tun“. Beide Fluggeräte, so begrenzt sie in ihren Fähigkeiten auch sein mögen, sind wichtige Schritte hin zur „Sozialisierung“ der Raumfahrt. Nicht nur für „Touristen“, sondern auch für Wissenschaftler, die Mikrogravitationsforschung, Astrophysik, Astronomie und andere Fachgebiete betreiben, die man auf der Erde nun mal entweder gar nicht oder nur begrenzt wahrnehmen kann. Ein suborbitaler Flug mag kurz sein, aber er ist dafür auf absehbare Zeit um eine ganze Größenordnung billiger als ein Orbitalflug. Bei Blue Origin hat im Übrigen das Wissenschaft-Business schon begonnen. Schon in der Vergangenheit wurden bei Testflügen immer wieder einmal wissenschaftliche Nutzlasten mitgeführt. Am 27. August führte ein New Shepard eine Wissenschaftsmission mit 18 kommerziellen Nutzlasten und einer Versuchsanordnung der NASA für das Anflugverfahren bei Mondlandungen durch. Die Mission wurde unbemannt geflogen. Bei Virgin Galactic dagegen kommt es nach dem Flug für die italienische Luftwaffe – wenn er denn stattfindet – erst einmal zu einer sehr langen Flugpause. Acht Monate sind es diesmal. Solange dauert die vollständige Grundüberholung des WhiteKnight2-Trägerflugzeugs, das in den letzten Monaten immer umfangreichere Reparaturen erforderte.

Mit dem Starship nach Hawaii


Sollte das Prinzip des Starship funktionieren, dann wird das nichts weniger als eine Revolution der gesamten Raumfahrt bedeuten. Schon die schieren Dimensionen des Systems sind beeindruckend. Zusammen wird die Kombination aus Super Heavy und Starship beim Start etwa 5.500 Tonnen wiegen und etwa 120 Meter hoch sein. Sie wird damit die Saturn V aus den Tagen des Apollo-Mondprogramms als immer noch größte Trägerrakete der Welt weit hinter sich lassen. Und noch eines kann man jetzt schon prophezeien: Ein Start dieses Behemots wird akustisch dem Weltuntergang ziemlich nahekommen.

Diese Starts werden nach Beendigung der Testphase nicht nur von Boca Chica aus erfolgen, sondern im späteren Programm zunehmend von Startplattformen weit draußen im Golf von Mexiko und von der modifizierten Startanlage 39A am Kennedy Space Center. Für den Einsatz als Meeres-Start- und Landebasen modifiziert SpaceX derzeit zwei ehemalige Erdöl-Bohrplattformen. Sie sollen die Namen Phobos und Deimos erhalten. Genauso wie die beiden Monde des Mars. So ein Name soll ja auch ein bisschen Programm sein.

Doch noch ist es nicht ganz so weit. Wenn dieses Buch erscheint, sollte es nicht mehr lange dauern bis zum ersten Orbitalflugversuch des Starship von SpaceX. Diese Mission wird nicht von einer Plattform im Meer, sondern vom derzeitigen Testzentrum im texanischen Boca Chica aus erfolgen.



Wo stehen wir im September 2021?

Zum Zeitpunkt, an dem diese Zeilen entstehen (Anfang September 2021), waren die Einsätze der Starship-Prototypen mit einem vollständig erfolgreichen Flug der Serien-Nummer 15 am 5. Mai 2021 abgeschlossen. Dieser Flug ging auf etwa 10.000 Meter Höhe und dauerte knapp sieben Minuten. Elon Musk entschied sich danach, keine weiteren atmosphärischen Testflüge der Orbitaleinheit durchzuführen, sondern gleich den nächsten Flug mit einer kompletten Starship/Super Heavy Kombination und einem teilorbitalen Flugprofil zu wagen. Die ersten Starship-Flugtestgeräte wurden informell als „Starhopper“ bezeichnet. Die Leute von SpaceX bezeichneten das allererste dieser Testgeräte auch scherzhaft als den „Fliegenden Wasserturm“. Der Spitzname kommt nicht von ungefähr, denn dabei handelte es sich tatsachlich um eine klobige Stahlstruktur in der Form eines großen Wasserturms, wie er für die Südstaaten der USA typisch ist. Dieses Testmodell diente dazu, das Grunddesign des Vehikels zu überprüfen, die Funktion des neu entwickelten Raptor-Triebwerks erstmals im Flug zu testen, und die Flugsteuerung des massiven Fahrzeugs zu erproben. Mit dem Grasshopper wurden am 26. Juli und am 27. August 2019 zwei erfolgreiche Flüge bis in 150 Metern Höhe und von etwa einer Minute Dauer durchgeführt. Dem ersten Flug waren drei statische Brennläufe vorausgegangen, bei denen der Starhopper von Klammern auf dem Boden festgehalten wurde. Dem folgten am 4. August und am 3. September 2020 zwei Flüge mit Testgeräten der zweiten Generation, SN 5 und SN 6 (SN für „Serial Number“) bezeichnet. Diese beiden Testfahrzeuge waren bereits wesentlich komplexer als der noch recht einfach gehaltene „Fliegende Wasserturm“. Sie wurden mit jeweils drei Raptor-Triebwerken ausgerüstet und nicht nur mit einem einzelnen, wie beim „Starhopper“. Auch diese beiden Einsätze dauerten jeweils etwa eine Minute und führten bis in 150 Meter Höhe.

Zwischen dem 9. Dezember 2020 und dem 30. März 2021 kamen die Prototypen der dritten Generation zum Einsatz, die SNs 8 – 11. Mit ihnen wurden erstmals komplexe Manöver geflogen, wie etwa der so genannte „Bellyflop“, bei dem sich das Vehikel im Landeanflug in eine horizontale Lage begibt, um größtmögliche Vorteile aus der atmosphärischen Abbremsung zu ziehen. Dieses Manöver muss unmittelbar vor dem Aufsetzen wieder umgekehrt werden. Das heißt, dass sich das Vehikel nun wieder innerhalb von nur etwa zwei bis drei Sekunden in eine vertikale Position begibt, um die raketengestützte Landung durchzuführen. Für diese Manöver ist es auch nötig, die Triebwerke während der mehrere Minuten langen Freifallphase abzustellen, um sie danach erneut zu zünden. Diese Testeinsätze gingen bis in zwölf Kilometer Höhe und dauerten jeweils zwischen sechs und achteinhalb Minuten. Drei der vier Versuche endeten entweder als Teilerfolg (das Vehikel führte jeweils alle Testparameter bis auf das Aufsetzen erfolgreich durch) oder, wie beim Flug mit der SN 11 als Fehlschlag (mit einer Explosion bereits in der Luft während der Landezündung). Beim Flug mit der SN 10 gelang auch die Landung. Jedoch war das Aufsetzen wegen eines mechanischen Fehlers an einigen Landebeinen und einer etwas ungenügenden Triebwerksleistung so hart, dass es zu Beschädigungen führte, die einige Minuten nach dem Aufsetzen doch noch mit einer Explosion des Testvehikels endeten. Der erste und einzige Flug des Prototypen SN 15 verlief dagegen am 5. Mai 2021 vollständig erfolgreich. Dies führte zu dem mutigen Entschluss, danach gleich mit der gesamten Trägerkombination einen teilorbitalen Versuchsstart zu unternehmen, den „Starship-Testflug nach Hawaii“, dessen Planung immer klarere Formen annimmt und den wir gleich beschreiben werden. Doch zunächst ein wenig SpaceX-Terminologie.


SpaceX-Terminologie

Vielleicht fällt Ihnen an dieser Stelle auf, dass die Starships SN 7, SN 12-14 und SN 16 bis 19 nirgendwo erwähnt werden. Genauso wenig wie die Super Heavies Nummer 1-3. Das liegt an der Testphilosophie von SpaceX, die – wie Elon Musk es bezeichnet – „hardware-rich“ angelegt ist. Es gibt also viel zu testende Hardware, und es wird von Anfang an geflogen. Testen und fliegen ist hier die Devise. Die klassischen Aerospace-Firmen machen es anders. Sie testen für viele Jahre nur auf Komponenten- und maximal Subsystem-Ebene. Eines Tages dann, meist viele Jahre nach Programmstart, erscheinen sie dann mit einem komplett fertigen Produkt auf der Startrampe, nur um dann möglicherweise festzustellen, dass dieses Produkt dann – siehe Ariane 6 – schon längst nicht mehr konkurrenzfähig ist. SpaceX pflegt seit Anbeginn des Unternehmens eine iterative Vorgehensweise, wie sie in der „klassischen“ Raumfahrt nur in ihren allerersten Anfängen betrieben wurde. Geflogen wird bereits im frühestmöglichen Stadium, auf einfachen, manchmal „rohen“ Prototypen und mit so genannten „Boilerplates“, die mit dem Endprodukt irgendwann nur noch die grobe äußere Form gemeinsam haben, und manchmal nicht einmal das. Dieses Vorgehen ist schon deshalb notwendig, weil SpaceX seinen Konkurrenten inzwischen so weit vorausgeeilt ist, dass das Unternehmen überall absolutes Neuland betritt. Technische Regionen, wo sich noch nirgendwo ein „klassisches“ Vorhaben etabliert hat. Entwicklung durch „Versuch und Irrtum“ ist hier die Devise. SpaceX baut deshalb Erprobungsträger am laufenden Band und verschrottet sie auch wieder, wenn sie nicht länger benötigt werden. Oberstes Prinzip dabei ist: Niemals knapp an Flugtest-Hardware werden. „Hardware-rich“ arbeiten. Zunächst baute SpaceX für die Starship-Entwicklung insgesamt vier so genannte „Starhopper“, die für Bodentests und kleine Testflüge bis in 150 Meter Höhe verwendet wurden. Sie sind – obwohl nie so benannt – die SNs 1-4. Offiziell begann die „SN“-Bezeichnung mit SN 5, die ebenso wie SN 6 für Tests in Bodennähe und Flugzeiten von etwa einer Minute verwendet wurden. SN 7 flog gar nicht, denn dieses Gerät wurde bei Bodenversuchen – absichtlich – bis zur Zerstörung geprüft. Den Einsatz der SNs 8-11 haben wir bereits eingangs beschrieben. Die bereits teilweise fertig gestellten SNs 12-14 wurden wieder verschrottet, weil mit SN 15 aufgrund der Erfahrungen der vorausgegangenen Flüge ein verbessertes Modell hergestellt wurde. Dieses Modell war – wir haben es oben gesehen – auf Anhieb erfolgreich. SN 16 war da schon fertig gestellt und wird möglicherweise zukünftig noch für einen supersonischen Testflug verwendet werden. Die schon fertigen Komponenten für die SNs 17-19 wurden wieder verschrottet.

 

Das Vorgehen bei den „Super Heavies“ ist ähnlich. Die SNs 1-3 waren reine Bodentestgeräte und sind inzwischen teilweise schon wieder demontiert und der Stahlschmelze zugeführt. SN 4 wird die erste raumflugtaugliche Super Heavy sein. All das führt zu der (derzeit wahrscheinlichen) Erstflug-Kombination für den „Hawaii-Express“ von Starship SN 20/Super Heavy SN 4. Es könnte aber auch genauso gut Starship SN 21/Super Heavy SN 5 sein, denn auch diese beiden Testflugkombinationen sind bereits fertig produziert.


Testflug nach Hawaii

Wann wird nun der erste orbitale Testflug stattfinden? Und wie wird der Flugverlauf aussehen? Hier zeichnet sich zu dem Zeitpunkt, an dem diese Zeilen entstehen, bereits ein klares Bild ab. Zunächst einmal scheint es nicht ganz so schnell zu gehen, wie Elon Musk es gerne hätte, denn die erforderlichen Genehmigungen von FCC (Federal Communications Commission) und FAA (Federal Aviation Administration) stehen Anfang September 2021 immer noch aus. Die Behörde lässt sich nun schon einige Monate Zeit, diese beizubringen, denn immerhin hat SpaceX den Antrag bereits im Mai 2021 gestellt. Wie schon so manches Mal bei Anträgen von SpaceX zeigen sich auch dieses Mal die Behörden überfordert.


Es ist aber auch zugegeben nicht ganz simpel beim Erstflug einer fünftausend Tonnen schweren Rakete, der zu drei Viertel um den Erdball herumführen soll. Immerhin scheint es einige Anzeichen dafür zu geben, dass das nicht mehr ganz so lange dauern wird, denn Elon Musk erspart es sich geflissentlich, auf die Trägheit der Behörde hinzuweisen, wie er es in der Vergangenheit schon öfters getan hat. Die Mission der 125 Meter hohen Kombination aus Starship und Super Heavy wird von Boca Chica aus erfolgen, von der brandneuen kombinierten Startrampe und Landevorrichtung, die zum Zeitpunkt des Fluges noch nicht einmal vollständig fertiggestellt sein dürfte. Super Heavy SN 4 wird für diesen Flug nur mit 29 Triebwerken ausgerüstet sein, anstatt mit 32, wie bei den späteren „normalen“ Einsätzen. Dem Flug vorausgehen werden einige – wahrscheinlich drei oder vier – so genannte „Static Firings“, bei denen die Rakete auf dem Startsockel festgehalten wird. Der erste dieser statischen Brennläufe wird wahrscheinlich nur mit einigen wenigen Triebwerken erfolgen, wahrscheinlich mit drei bis neun der Raketenmotoren. Danach wird das gesteigert, bis beim letzten dieser Probezündungen alle Triebwerke für wenige Sekunden gleichzeitig laufen. Gleichzeitig gezündet werden sie übrigens nicht, sondern in einer genau choreografierten, nur wenige Hundertstelsekunden auseinander liegenden Abfolge, um gefährliche Resonanzen zu unterbinden.

All das sind extrem kritische Momente, denn beim Betrieb so vieler Raptor-Triebwerke tut sich ein Höllenfeuer auf. Nie seit den Tagen der Saturn V hat es je einen solchen feuerspeienden Vulkan auf einer Startrampe gegeben. Wenn dann beim tatsächlichen Start alle Triebwerke laufen, dann wird der Gesamtschub doppelt so groß sein, wie seinerzeit beim Start zu den Apollo-Mondflügen. Mit den dabei ablaufenden thermodynamischen Prozessen befindet sich SpaceX, wie schon so oft in seiner Geschichte, wieder einmal in absolutem Neuland.

Elon Musk erklärte in einem Interview im August, er hoffe, dass die Rakete zumindest den Startplatz in geordnetem Zustand verlässt, bevor es zu einem möglichen „RUD“ kommt. Ein RUD ist in seiner manchmal etwas selbstironischen Terminologie eine „Rapid Unscheduled Disassembly“, also eine schnelle ungeplante Demontage, für gewöhnlich auch „Explosion“ genannt.

Wenn der Rakete so etwas schon kurz nach dem Abheben passiert, ist das nicht schön. Schlimm wäre es aber, wenn es noch auf der Rampe geschieht. Denn die „Stufe Null“, wie Elon Musk den Startplatz gerne bezeichnet, ist wesentlich teurer und komplizierter als die Rakete selbst. Ein neues Starship herzustellen sei zwar nicht billig, so meint er, aber immer noch viel billiger und weniger zeitaufwendig, als eine völlig zerstörte Startanlage neu aufzubauen.

Gehen wir davon aus, dass die Rakete den Startsockel sicher verlassen hat. Nun folgt der Aufstieg der Rakete. Zunächst vertikal, dann immer mehr nach Südosten hin geneigt. Überraschend für den Betrachter wird sein, wie schnell sich die Rakete bewegen wird. Das Schub-Gewichtsverhältnis des Behemots liegt fast bei 1,5 zu 1. In etwa 12.000 – 16.000 Metern kommt eine weitere sehr kritische Phase: Die Zone der maximalen dynamischen Belastung. Die Rakete durchquert hier die Übergangszone vom transsonischen zum supersonischen Geschwindigkeitsbereich. Hier treten Schockwelleneffekte auf, starke aerodynamische Turbulenzen und vor allem ein enormer Staudruck, der auf der Struktur der Rakete lastet. Diese Zone, von den Raumfahrttechnikern „max q“ genannt, war schon das Grab so mancher Rakete, insbesondere bei ihren ersten Testflügen. Hier passiert vieles, was sich nicht mit letzter Gewissheit berechnen oder auf dem Boden testen lässt. Hier treten Vibrationen auf, es entstehen Resonanzeffekte und ganz generell zeigt sich hier, was eine Rakete aushält.


Ist auch das überstanden, dann könnte der Flug ruhiger werden. Bis etwa 150-170 Sekunden nach dem Liftoff. Dann erfolgt die Stufentrennung. Die Kombination ist nun etwa 6.500 Kilometer pro Stunde schnell und bewegt sich in einer Höhe von etwa 60 Kilometern über dem Golf von Mexiko. Hier hat sich SpaceX ein völlig neues Verfahren ausgedacht, um den Betrieb pyrotechnischer Vorrichtungen oder vorgespannter Federmechanismen zu vermeiden, über deren Auswirkungen bei so immens großen Körpern wenig bekannt ist. Die ganze Starship-Kombination wird in eine leichte Drehung versetzt und die beiden Komponenten trennen sich sanft und langsam voneinander. Die Stufentrennung wird damit etliche Sekunden länger dauern, und weniger dynamisch und explosiv ablaufen, als das sonst bei Orbitalraketen der Fall ist. Ist der Vorgang abgeschlossen, dann zünden zunächst die sechs Raptor-Triebwerke des Starship und der weitere Aufstieg in den Orbit wird fortgeführt. Nur Sekunden später dreht sich die Super Heavy und zündet drei bis sechs ihrer 29 Triebwerke, um den Rückflug zum Startplatz einzuleiten. In einer weiten Parabel erreicht die 70 Meter lange Stufe nach einigen Minuten das Apogäum ihrer ballistischen Bahnkurve in etwa 110 Kilometern Höhe und fällt dann wieder der Golfküste vor Boca Chica entgegen. Nach etwa sieben Minuten beginnt der „Re-entry Burn“, ein Brennmanöver, mit dem die Geschwindigkeit soweit herabgesetzt wird, dass die thermischen und dynamischen Belastungen beim finalen Landemanöver nicht zu groß werden. Etwa 30 Sekunden vor dem Aufsetzen beginnt der „Landing Burn“. Ein Brennmanöver bei dem zunächst noch drei, danach nur noch ein Triebwerk eingebunden ist. Im Normalfall wird die Super Heavy zum Startplatz zurückkehren. Der „Booster-Touchdown“ sollte etwa achteinhalb Minuten nach dem Liftoff erfolgen. Bei diesem allerersten Flug wird ihre Mission aber nicht dort enden. Aus Sicherheitsgründen erfolgt der Landeversuch etwa 30 Kilometer vor der Küste von Boca Chica im Wasser. Diese erste Super Heavy ist somit als Verlustgerät geplant. Die Rakete wird, wenn sie eine halbwegs saubere Landung hinlegt, schwimmfähig sein (sie hat ja riesige und nunmehr leere Tanks) und kann dann geborgen werden. Allerdings nicht für den Zweck, weitere Flüge durchzuführen, dazu werden die Schäden zu groß sein.

In der Zwischenzeit setzt die Oberstufe, also das Starship, seinen Flug fort. Er verläuft in Richtung Florida-Straße, wo sie zwischen den Florida Keys und Kuba hindurchfliegt und etwa an dieser Stelle auch die Umlaufbahn erreicht. Für gut zehn Minuten wird das Starship nun im Orbit verbleiben, bis über dem Südatlantik das Retro-Manöver erfolgt.

Die Landung wird etwa 100 Kilometer nordwestlich von Kaui erfolgen, einer Insel, die zum Hawaii-Archipel gehört. Sollte auch die erfolgreich verlaufen, dann könnte auch die Oberstufe aus dem Wasser geborgen werden, wenn auch nicht mehr in flugfähigem Zustand. Das Starship sollte seinen Flug ziemlich genau 90 Minuten nach dem Liftoff beendet haben, sofern die Dinge nach Plan verlaufen. Die ganze Mission wird fast vollständig über Wasser erfolgen, auch das ist eine Sicherheitsmaßnahme. Land wird lediglich, sieht man von den südlichen Florida-Keys einmal ab, über Namibia und Botswana und später im Flug über Papua Neuguinea berührt. In etwa 100 Kilometern Abstand wird auch das Kwajalein-Atoll passiert, das über exzellente Trackingvorrichtungen des US-Militärs verfügt. Das könnte die Landephase des Starship im Zentralpazifik unterstützen.


Das zukünftige Landeverfahren

SN 20/BN 4 sind beide Verlustgeräte. Allerdings ist das nur zu verständlich angesichts des frühen Stadiums der Entwicklung und (angesichts) des technologischen Neulands, das dabei betreten wird. Keinesfalls will SpaceX die teuren Anlagen in Boca Chica gefährden, wenn möglicherweise eine außer Kontrolle geratene Super Heavy in den Start- und Fangturm kracht. Letzterer wird allerdings beim Start von SN 20/BN 4 ohnehin erst in seiner Startkonfiguration fertig sein. Die Fertigstellung der Fanganlage dürfte noch einige Monate länger dauern. Das sensationelle Landeverfahren für die Super Heavy und das Starship, das sich Elon Musk und seine Ingenieure ausgedacht haben, wäre alleine schon einen großen Artikel wert. Vielleicht in SPACE 2023. Für dieses Mal nur kurz: Sowohl das Starship als auch die Super Heavy werden über keine Landebeine verfügen. Eine Ausnahme davon gibt es nur für die zukünftige Mondlandevariante des Starship. Vielmehr werden die beiden Fahrzeuge in der Endphase der Mission den Starttum direkt anfliegen, und dort von gewaltigen Greifarmen gewissermaßen aus der Luft „gepflückt“, und wieder auf den Startsockel gestellt (Super Heavy) oder gleich nach dem Einfangen wieder auf den Booster aufgesetzt (Starship). Ursprünglich war angedacht, genau wie bei der Erststufe der Falcon 9, Landebeine an beiden Stufen anzubringen. Davon ist SpaceX inzwischen abgekommen. Die notwendigen strukturellen Verstärkungen und das (beim Start) tote Gewicht der Landebeine – es wären bei diesem System etliche Tonnen an Masse – können so direkt in Nutzlast investiert werden. Der Startturm dient gleichzeitig als Landeanlage. Eine kühne Idee, erfordert sie doch, dass ein zurückkehrender Booster und ein zurückkehrendes Starship metergenau den Startturm anfliegen, dort vertikal am Turm entlang nach unten sinken, dann von Fangarmen in der Luft ergriffen und danach von diesen vorsichtig abgesetzt werden. Man muss sich dabei stets vor Augen halten, dass die beiden Fluggeräte ungeheuer groß sind. Das Starship ist 55 Meter hoch mit neun Metern Durchmesser und einem Leergewicht von 100 bis 120 Tonnen. Die Super Heavy ist 70 Meter hoch und dürfte ein Leergewicht von mindestens 200 Tonnen auf die Waage bringen. Beide werden aber bei der Landung immer noch etliche Tonnen an Treibstoff mit an Bord führen. Der Start- und Landeturm ist 146 Meter hoch. Die beiden riesigen Greifarme, die den Booster und das Starship aus der Luft „pflücken“ sollen, können in Sekunden hydraulisch nach vorne und zurück fahren und laufen dabei gleichzeitig an einem Schienensystem auf und ab, um den Bewegungen der anfliegenden Rakete zu folgen. Funktioniert dieses System, dann hätte es den Vorteil, sehr schnelle „Turn-Around-Zeiten“ zu ermöglichen, die Bergungskosten fast auf null zu eliminieren, Gewicht zu sparen, das man andernfalls erst in den Weltraum und wieder zurück bringen müsste und jede Menge Bodeninfrastruktur einzusparen. Eine Wiederholung eines Starts mit denselben beiden Stufen wird auf diese Weise innerhalb eines Zeitraums von weniger als einem Tag angestrebt.