SPACE 2021

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Aus der Reihe: SPACE Raumfahrtjahrbücher #18
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Das Antriebssystem von JUICE

Die großen Herausforderungen der Mission an die Raumsonde gelten insbesondere auch für das Antriebssystem. Sollte ein Instrument bei der Ankunft im Jupitersystem nicht funktionieren, wäre das ein herber Verlust, aber die Forschungsreise könnte trotzdem fortgesetzt werden. Funktioniert jedoch das Antriebssystem nicht, dann bedeutet das automatisch das Aus für die Mission. Deswegen stand das CPS (für: Chemical Propulsion System) schon während der Vorstudienphasen im Brennpunkt der Aufmerksamkeit der ESA. So mussten neue Tanks für die große erforderliche Menge an Treibstoff entwickelt werden. Es mussten viele Redundanzen eingebaut werden für den Fall, dass einzelne Komponenten versagen sollten. Und es wurde eine große Anzahl von Tests, beispielsweise mit dem Haupttriebwerk, durchgeführt, um sicher zu stellen, dass das komplette System den besonderen Bedingungen der Reise und des mehrjährigen Aufenthaltes im Jupitersystem widerstehen kann. Die JUICE-Plattform ist bislang die größte Satelliten-/Raumsondenstruktur die in Lampoldshausen mit einem Antriebssystem ausgestattet wurde. Das CPS von JUICE besteht dabei aus den folgenden Hauptkomponenten:

 Zwei Tanks für insgesamt drei Tonnen Treibstoff (Hydrazin) und Oxidator (Stickstofftetroxid), die innerhalb der Zentralstruktur der Sondenplattform übereinander installiert sind.

 Drei Helium-Drucktanks für die Bedrückung der Treibstofftanks. Sie werden benötigt, um den Triebwerken über die komplette Missionsdauer hinweg ausreichend Treibstoff für den Betrieb zuzuführen.

 Ein Triebwerk mit einer Leistung von 400 Newton für die Hauptmanöver, wie zum Beispiel das Abbremsen zum Einschwenken in das Jupitersystem.

 Für Lageregelung und Orbitanpassungen sind sechs 10 Newton- und vier 22 Newton-Triebwerke an Bord. Dieses System ist aus Redundanzgründen doppelt vorhanden. Es gibt also ein zweites, paralleles System mit weiteren sechs 10 Newton- und vier 22 Newton-Raketenmotoren. Die insgesamt acht 22 Newton-Triebwerke bilden außerdem den Plan B für das Abbremsmanöver. Sollte aus irgendeinem Grund das 400 Newton-Triebwerk versagen, wäre das alles entscheidende „Orbit-Insertion-Maneuvre“ auch mit diesen Triebwerken möglich.

 Redundante Ventile und Regler zur zeitweisen Isolation und Regelung von Druck und Treibstoff.

 Filter, welche die empfindlichen Bauteile vor potenziellen Partikeln schützen.

 Eine große Anzahl von Sensoren zur Überwachung von Druck und Temperatur.

 Ein weit verzweigtes Rohrleitungssystem, welches das gesamte CPS miteinander verbindet.

Der Status

Seit der Projektauswahl bei der ESA im Mai 2012 steht der Starttermin Juni 2022 eisern und unverrückbar fest. Das ist gelinde gesagt ungewöhnlich in der Raumfahrt, wenn nicht gar einzigartig. Aber jetzt wird doch langsam die Zeit knapp. Jede noch so kleine Abweichung in der Fertigung bringt den kompletten Zeitplan in Gefahr und erfordert neue Wege, um es dennoch zu schaffen. So wurde entschieden, nicht wie geplant lediglich das Antriebssystem in Lampoldshausen zu integrieren, sondern auch vorher und teilweise sogar parallel den Harness (das ist die komplette elektrische Verkabelung) vorzubereiten. Auch Teile der MLI, das ist die „Multi Layer Insulation“, quasi der „Pullover“ des Satelliten und das, was später so schön silbern und golden glänzt wurden dort angebracht. Daneben wurde auch an der Struktur noch geändert und ergänzt. Zeitweise arbeiteten vier Teams von unterschiedlichen Firmen an unterschiedlichen Subsystemen gleichzeitig an der Satellitenstruktur. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Am Wochenende und über die Feiertage. Teilweise sogar im Mehrschichtbetrieb.

Um Zeit zu sparen war das CPS schon so weit wie möglich vorintegriert und getestet worden. Im September 2019 wurde die Satellitenplattform angeliefert und danach wurde in Rekordzeit das Antriebssystem in diese Struktur integriert. Es waren sieben unglaublich intensive Monate. Bevor JUICE zur nächsten Station geschickt wurde, musste das komplette System noch ausgiebig getestet werden. Im April 2020 verließ die Struktur den ArianeGroup-Standort Lampoldshausen in Richtung Friedrichshafen. Dort erfolgt nun die finale Integration. Weitere Subsysteme werden dort fertiggestellt und integriert, die Instrumente werden dort eingebaut und die Sonde wird für die abschließenden Gesamttests vorbereitet. Diese werden nahezu das gesamte Jahr 2021 in Anspruch nehmen. Bei allen Herausforderungen zeigte sich hier die Kraft einer gemeinsamen Vision und einer gemeinsamen Aufgabe. Es war egal, von welcher Firma und aus welchem ESA-Mitgliedsland jemand kam und welche Muttersprache jemand sprach. Alle, wirklich alle kämpften um das gemeinsame Ziel, den Zeitplan für einen Start im Jahr 2022 einzuhalten.

Bei den finalen Abnahmetests auf Satellitenebene in Friedrichshafen wird das CPS noch einmal durch die Experten aus Lampoldshausen überprüft. Anfang 2022 geht es dann per Flugzeug nach Französisch Guyana zum Europäischen Weltraumbahnhof in Kourou. Hier wird das Antriebssystem bei den sogenannten Final System Performance Tests nochmals auf mögliche Transportschäden gecheckt. Dann, kurz vor dem Start, wird es mit den Treibstoffen betankt und danach unter Betriebsdruck gesetzt.


Die lange Reise

Anfang Juni 2022 soll JUICE mit einer der letzten Ariane 5-Raketen auf seine lange Reise gehen. Das Antriebssystem wird dabei schon unmittelbar nach dem Start betriebsbereit gemacht und danach bis zum letzten Tag der Mission im Einsatz bleiben. Im Verlauf des Fluges zum Jupiter sind fünf sogenannte „Swing-by-Manöver“ notwendig. Ein physikalischer Trick, bei dem die Raumsonde durch Vorbeiflüge an Planeten quasi „Schwung“ holt, um zusätzlich Fahrt aufzunehmen. Drei dieser Manöver finden im Gravitationsfeld der Erde statt, eines an der Venus und eines am Mars. Sie sind aufgrund des hohen Gewichtes der Raumsonde – sie wiegt beim Start fast fünf Tonnen – erforderlich. Bei diesem Gewicht ist ein „Direktschuss“ zum Jupiter mit einer Ariane 5 unmöglich. Aber auch mit der „Schwungtechnik“ dauert es fast siebeneinhalb Jahre, bis das Ziel erreicht ist.

Der Weg zum Ziel

Im Juni 2022 erfolgt durch die Ariane 5 ECA der Einschuss in eine Sonnenumlaufbahn mit einer hyperbolischen Überschussgeschwindigkeit von 3,15 Kilometer pro Sekunde (also 3,15 Kilometer pro Sekunde mehr, als es für eine Fluchtbahn aus der Erdgravitation notwendig ist). Nach einer Umkreisung der Sonne auf dieser Bahn erfolgt im Mai 2023 ein erstes Gravitationsunterstützungsmanöver mit einem Vorbeiflug an der Erde in einem Abstand von 12.700 Kilometern. Fünf Monate und eine halbe Runde um die Sonne später erfolgt ein Swing-by an der Venus, dieses Mal in einem Abstand von 9.500 Kilometern. Eine weitere Sonnenumkreisung danach erfolgt im September 2024 der zweite Erdvorbeiflug. Jetzt in einem Abstand von nur 1.950 Kilometern und bei schon viel höherer Geschwindigkeit als beim Abflug am Heimatplaneten vor mehr als zwei Jahren. Weitere fünf Monate später wird am Mars Schwung geholt, der im Februar 2025 in einem Abstand von 1.100 Kilometern passiert wird. Im November 2026 wird das letzte Mal Schwung geholt. Wieder an der Erde und dieses Mal in einem Abstand von 3.700 Kilometern. Danach hat JUICE genug Fahrt aufgenommen, um in einer weiten Kurve die Marsbahn hinter sich zu lassen, den Asteroidengürtel zu durchqueren, und schließlich den Jupiter anzusteuern.

Den erreicht die Sonde im Oktober 2029. Ein naher Vorbeiflug an Ganymed nimmt schon geringfügig Fahrt weg, bevor dann siebeneinhalb Stunden später das entscheidende Brennmanöver für das „Einbremsen“ in die Jupiter-Umlaufbahn erfolgt. Das ist der alles entscheidende Moment für das Antriebssystem aus Lampoldshausen. Danach hat JUICE zunächst eine enorm langgestreckte elliptische Trajektorie erreicht. Die Bahnanalytiker nennen so etwas einen „capture orbit“, eine Geschwindigkeit, die gerade eben ausreicht, um in eine Umlaufbahn einzutreten. Diese Bahnellipse ist zunächst so weit, dass die Sonde erst im Mai 2030 dem Jupiter wieder sehr nahe kommt. Nun wird die Bahn um den größten Planeten des Sonnensystems nach und nach immer enger. Im Oktober 2030 wird ein erster Vorbeiflug an Europa erfolgen, im April 2031 an Callisto und Ende Januar 2032 noch einmal an Europa und sogar an Io. Im September 2032 erfolgt das „Einbremsen“ in einen elliptischen Orbit um Ganymed. Dieser Orbit wird im Februar 2033 zirkularisiert. Das nominale Einsatzende ist momentan mit Februar 2034 kalkuliert. Reicht der Treibstoff, dann kann das noch verlängert werden. Dann wäre eine erweiterte Mission mit einer weiteren Absenkung der Umlaufbahn auf 200 Kilometer möglich. Die Orbitalkontrolle übernimmt dabei immer noch das Antriebssystem aus Lampoldshausen. Seine finale Aufgabe wird es sein, ganz zum Ende der Mission hin, JUICE gezielt auf Ganymed zum Absturz zu bringen.


Zur Autorin

Alexandra Lein – Master of Science, ArianeGroup Lampoldshausen – Projektleiterin für das Antriebssystem JUICE. Kam mit Umwegen über die öffentliche Wirtschaft, Automobilindustrie und Medizintechnik zur Raumfahrt. Seit nunmehr 12 Jahren ist sie bei der ArianeGroup GmbH in Lampoldshausen.

Tom Cruise und das Ende der ISS


Zuvor hatte sie es vehement abgelehnt und die einzelnen Vorstöße der russischen Raumfahrtagentur Roskosmos in diese Richtung stets etwas angesäuert kommentiert. Im Mai 2019 änderte die NASA aber überraschend ihre Haltung: Von nun an will auch sie Weltraumtouristen zulassen. Für 35.000 Dollar pro Tag kann jeder, der ein kommerzielles Vorhaben beabsichtigt, die Internationale Raumstation (ISS) besuchen. Das sind allerdings nur die Übernachtungsgebühren. Dazu kommen noch die Kosten für den Transport in einem Crew Dragon-Raumschiff von SpaceX oder einem Starliner von Boeing. Die berechnen 50-70 Millionen Dollar pro Person. Obendrauf gibt es ein ganzes Sammelsurium nicht gerade niedriger Nebenkosten. Insgesamt ist so ein Flug zum Außenposten der Menschheit alles andere als ein Schnäppchen. Aber grundsätzlich: Es geht.

 

Eine wichtige Voraussetzung für den Weg in diese Richtung brachte das Jahr 2020 mit dem Einsatz des ersten bemannten kommerziellen Zubringersystems zur ISS. Die US-Astronauten Bob Behnken und Doug Hurley erreichten im Mai die Raumstation erstmals in der Geschichte der Raumfahrt an Bord eines weitgehend privatwirtschaftlich entwickelten und gebauten Vehikels. Die Privatwirtschaft, in dem Fall also SpaceX, wird das System auch selbst betreiben. Die NASA wird zukünftig nur noch die Sitze buchen.

Privatwirtschaftlich und kommerziell ausgerichtet soll in Zukunft auch die ISS werden – zumindest teilweise. Weltraumtourismus gilt dabei als eindeutig kommerzieller Zweck. Es ist also nun kein Problem mehr, dass SpaceX im Mai 2020 verkündete, dass für den Herbst 2021 drei nicht genannte „Passagiere“ einen Trip zur Raumstation gebucht haben – Passagiere, die keine Berufsastronauten sind.

Im selben Monat gab die NASA bekannt, dass sie mit Tom Cruise in Kontakt stehe, um einen Film an Bord der Internationalen Raumstation zu drehen. Keine Reportage und keine Dokumentation – nein, einen Action-Film. Es wäre nicht außergewöhnlich wenn dessen Titel „Top Gun 3“ oder „Mission Impossible – The sky is no limit“ oder so ähnlich lauten würde. Die NASA verkündete, dass sie „exited“ sei, mit dem berühmten Filmstar zusammen zu arbeiten. Wörtlich hieß es, „We need popular media to inspire a new generation of engineers and scientists to make NASA’s ambitious plans a reality”. Also: Wir brauchen die Mainstream-Medien um eine neue Generation von Ingenieuren und Wissenschaftlern zu inspirieren, die ambitionierten Pläne der NASA Wirklichkeit werden zu lassen.

Die Betriebskosten müssen runter

Tom Cruise wird, so scheint es momentan, mit dem Filmregisseur und Kameramann Doug Liman und einer noch unbekannten dritten Person zur Raumstation fliegen. Das Transportmedium wird eine Crew Dragon von SpaceX sein. Der Start wird auf einer Falcon 9 erfolgen. Die Flugdauer wird wahrscheinlich 30 Tage nicht überschreiten. Das ist das Maximum, das die NASA gegenwärtig für kommerzielle Besucher erlaubt.


Die Internationale Raumstation befindet sich heute überwiegend unter NASA-Management. An dieser Stelle werden die Russen ein wenig mosern, denn auch in Moskau gibt es ein Kontrollzentrum, aber angesichts der generellen Kostenverteilung ist es so. Die vielen Versuche, die Betriebskosten der ISS zu senken haben in der Vergangenheit nur wenige Früchte getragen. Nach wie vor zahlt die NASA etwa vier Milliarden Dollar jährlich für ihren Betrieb. Ein Betrag, der für die zukünftigen ehrgeizigen Pläne der US-Weltraumbehörde für den Mond und den Mars fehlt. Diese Kosten müssen also runter und dafür muss die ISS für eine möglichst breite Palette von Anwendern attraktiv werden. In dieser Richtung ist einiges in Bewegung gekommen. Schauen wir uns dazu den Zeitraum von Mitte September 2020 bis etwa Ende des Jahres 2021 an. Schon diese Zeitspanne wird, verglichen mit der Vergangenheit, einen geradezu tumultuösen Betrieb auf der ISS mit sich bringen. Gleichzeitig ist es eine Zeit, in der wir mit dem Start des Tianhe-Zentralmoduls der chinesischen Raumstation die Eröffnung eines zweiten, parallelen Außenpostens im Orbit erleben werden. Zwei Raumstationen, die gleichzeitig in Betrieb sind. So etwas hat es bislang noch nicht gegeben. Sehen wir uns dazu die Details an, soweit sie zum Zeitpunkt des Entstehens dieses Artikels bekannt sind.

Die ISS bis Ende 2021


Anfang September 2020, zum Zeitpunkt an dem diese Zeilen entstehen, befindet sich lediglich die dreiköpfige Crew von Sojus MS-16 mit Chris Cassidy, Anatoli Iwanischin und Iwan Wagner an Bord der ISS. Zuvor hatten Bob Behnken und Doug Hurley die Crew Dragon DM-2 Mission erfolgreich abgeschlossen und waren am 2. August im Golf von Mexiko gelandet. Die Rückkehr von Sojus MS-16 ist, nach 195 Tagen im Orbit, für den 22. Oktober 2020 geplant. Ein schwieriger Zeitpunkt, denn nur wenige Tage zuvor werden kurz hintereinander zwei neue Mannschaften an Bord der ISS erwartet. Eine sehr knappe Zeit für die Übergabe der Raumstation.


Derzeit sieht es so aus, dass die dreiköpfige Crew von Sojus MS-17, bestehend aus den beiden russischen Kosmonauten Sergei Ryschikow und Sergei Kud-Swertschkow, sowie der NASA-Astronautin Kathleen Rubins am 14. Oktober zur ISS starten sollen. Die haben dann etwa sieben Tage Zeit, die Raumstation von Cassidy, Iwanischin und Wagner zu übernehmen. Recht viel länger kann die Sojus MS-16 Crew tatsächlich nicht an Bord bleiben, denn die technische Gewährleistung ihres Raumschiffs läuft nach 200 Tagen im All ab, und die haben sie zu diesem Zeitpunkt bis auf fünf Tage ausgeschöpft. Bei bemannten Raumflügen wird nur im äußersten Notfall am Mindesthaltbarkeitsdatum gedreht. Sojus MS-16 ist noch kaum zwei Tage zurück auf der Erde, da soll auch schon der SpaceX Crew-1 Flug auf die Reise gehen. Mit den Astronauten Michael Hopkins, Victor Glover, Soichi Noguchi und Shannon Walker. Klappt das, dann ist Ende Oktober 2020 zum ersten Mal in der 21jährigen Geschichte der ISS die Sollstärke von sieben Langzeitbesatzungsmitgliedern erreicht. Zusammen bilden sie nun die Expedition 64.


Irgendwann während des ersten Drittels ihres Aufenthaltes, derzeit sieht es nach Dezember aus, sollte Boeing den zweiten unbemannten Testflug seines Starliners durchführen, die Mission OFT-2. Die erste Mission erreichte ja wegen eines Software-Problems nicht die Raumstation, so dass der Testflug nun wiederholt werden muss. Wenn es diesmal klappt wird es an der ISS ein interessantes Bild zu sehen geben. Alle drei bemannten Raumtransportsysteme befinden sich dann gleichzeitig an der ISS: Sojus, Crew Dragon und Starliner. Während also letzterer noch unbemannt unterwegs ist, wird es für SpaceX sicher eine Genugtuung darstellen, dass ihr Raumschiff nun schon den zweiten bemannten Einsatz durchführt.

Im zweiten Drittel ihres Aufenthaltes werden sie etwas erleben, das es nur in einer kurzen Transferphase zwischen der dem Untergang geweihten russischen Raumstation Mir und der noch sehr infantilen Internationalen Raumstation um den Jahreswechsel 2000/2001 gab: Zwei Raumstationen gleichzeitig im Orbit, denn das Tianhe-Basismodul der chinesischen Raumstation soll im Februar oder März starten. Anfang April 2021 findet erneut ein sehr dicht getakteter Schichtwechsel auf der Station statt. Zu diesem Zeitpunkt könnte die ISS dann kurzfristig mit 14 Personen belegt sein. Zunächst startet am 30. März die SpaceX Crew-2 Mission mit Robert Kimbrough, Megan McArthur (der Ehefrau von Bob Behnken), Akihido Hoshide von der JAXA und Thomas Pesquet von der ESA. Nur zwei Tage später folgt nach gegenwärtiger Planung Sojus MS-18. Und das wird mit Oleg Nowitzki, Pjotr Dubrow und Andrei Borisenko zum ersten Mal seit 21 Jahren eine rein russische Crew sein. Wenige Tage danach, das Datum steht noch nicht genau fest, kehrt die Space X Crew-1 (mit Glover, Hopkins, Walker und Hoshide) wieder zur Erde zurück, gefolgt von der Besatzung von Sojus MS-17 am 9. April 2021. Die drei russischen Neuankömmlinge werden gut zu tun haben, denn im April soll zunächst das Nauka-Modul mit einer Proton M-Trägerrakete gestartet werden. Am 23. April legt Progress MS-16 zusammen mit dem Pirs-Modul von der ISS ab. Dadurch wird der Dockingknoten frei, an dem dann Nauka wenige Tage danach anlegen kann. Nauka ist das erste neue Großmodul der ISS seit vielen Jahren.

Im Juli wird die Besetzungslage in der ISS weiter verwirrend bleiben. Werfen wir deshalb einen kurzen Blick nach China, wo etwa um diesen Zeitraum die dreiköpfige Crew von Shenzhou-12 am Tianwe-Modul anlegen soll und dann dort für etwa zwei bis drei Monate bleiben wird. Während ihres Aufenthaltes wird sie möglicherweise noch die Ankunft des Tianzhou 2-Raumfrachters und des zweiten großen Raumstationsmoduls mit der Bezeichnung Wentian miterleben. Die zeitliche Verteilung ist aber noch ungewiss. China hat für die Inbetriebnahme seiner nationalen Raumstation auf jeden Fall zwischen Juli 2021 und Dezember 2022 vier bemannte Shenzhou-Missionen vorgesehen. Nach dem Dezember 2022 ist die Aufnahme des permanenten Betriebs der chinesischen Raumstation geplant.

Bei positivem Ausgang des unbemannten OFT-2 Testfluges werden im Juni 2021 auch die ersten Astronauten mit Boeings Starliner an der ISS eintreffen. Dieser Einsatz ist mit einer Dauer von mehr als 100 Tagen von vorneherein als Langzeitflug geplant. Kommandant ist Christopher Ferguson von Boeing (ein früherer NASA-Astronaut). Begleitet wird er von den beiden NASA-Astronauten Michael Finke und Nicole Mann. Das hat nun zur Folge, dass die ISS bis in den August hinein mit zehn Personen besetzt ist.

Sollte die momentan gültige Planung halten, dann wird es Anfang August für etwa eine Woche wieder ziemlich belebt auf der ISS, denn der Start der SpaceX Crew-3 am 12. August überschneidet sich mit der Rückkehr des SpaceX Crew-2 um etwa eine Woche. Die vierköpfige Besatzung von SpaceX Crew-3 ist derzeit noch nicht vollständig benannt. Zu diesem Zeitpunkt befinden sich dann elf Personen auf der ISS. Dazu kommen die vermutlich drei Taikonauten der chinesischen Raumstation womit erneut 14 Menschen gleichzeitig im Orbit wären.

Eine Frage ist nun, wo die eingangs erwähnte „Spezialmission“ eingeflickt wird. Irgendwann im Herbst sollen nämlich auch Tom Cruise, Doug Liman und eine noch ungenannte dritte Person zusammen mit Chris Cassidy von Axiom Space zu einem Flug von etwa 30 Tagen Dauer zur ISS starten, um dort – ein Novum in der Geschichte der Raumfahrt – einen offiziellen Filmdreh durchzuführen. Am 8. September startet von Baikonur aus eine Spezialversion des Progress-Versorgungsschiffes mit der Bezeichnung Progress MS-UM. Dieses Fahrzeug bringt das neue Prichal Docking-Modul zur ISS und macht es am Nauka-Modul fest. Prichal verfügt über sechs Docking-Ports. Am 5. Oktober 2020 stößt auch Sojus MS-19 zur Station. Sie steht unter dem Kommando von Anton Schkaplerow. Mit ihm fliegen Andrei Babkin und Sergei Korsakow. Nun sind zehn Personen an Bord, bis am 13. Oktober Sojus MS-18 zur Erde zurückkehrt. Gegen Ende Dezember kommt auch die Zeit für den zweiten bemannten Starliner-Flug, nämlich die Mission CST-1. Hier steht die Besatzung schon weitgehend fest. Kommandantin wird Sunnita Williams sein, als Pilot fungiert Josh Cassada und mit an Bord werden Janette Epps sein und möglicherweise Matthias Maurer, der deutsche ESA-Astronaut. Das hängt aber stark von der Verfügbarkeit der Starliner-Kapsel ab, denn zum Zeitpunkt an dem diese Zeilen entstehen müssen ja noch zwei Testflüge absolviert werden.

Wundern Sie sich nicht, wenn die eine oder andere Besatzung in einem Jahr etwas anders aussieht und sich auch die Ansätze für die Zeitplanung etwas verschieben. Was dieses Bild aber vermittelt: Es kommt viel Bewegung in den Betrieb der ISS. Die ruhigen Zeiten, wo man auf Jahre hinaus die jeweils zwei Besatzungen pro Jahr kannte, sind vorbei. Ab jetzt werden die Dinge ziemlich dynamisch – und dieser Zustand wird anhalten. Zumindest für eine Reihe von Jahren. Meine Schätzung: Bis etwa 2030.