Methoden für den Ethikunterricht (E-Book)

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Aus der Reihe: Didaktische Hausapotheke #13
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Methoden für den Ethikunterricht (E-Book)
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Erika Langhans

Methoden für den Ethikunterricht

Ein Leitfaden für die Sekundarstufe II

Didaktische Hausapotheke, Band 13

ISBN Print: 978-3-0355-0767-6

ISBN E-Book: 978-3-0355-0774-4

Coverbild: Picture-Alliance/dieKLEINERT.de,

Elke Ehninger: «Geschäftsmotto» (Ausschnitt).

© 2019 Keystone

1. Auflage 2019

Alle Rechte Vorbehalten

© 2019 hep verlag ag, Bern

www.hep-verlag.ch

Inhalt

Vorwort des Herausgebers

Einleitung

1 Die Dilemmadiskussion

1.1 Die Dilemmadiskussion: Begriff

1.2 Wirkungsweise und Ziele der Dilemmadiskussion

1.3 Durchführung der Dilemmadiskussion

1.4 Dilemmadiskussion im Unterricht

1.5 Dilemmageschichten

1.6 Musterfoliensatz zur Dilemmadiskussion

2 Fallanalyse

2.1 Die Fallanalyse: Begriff

2.2 Wirkungsweise und Ziele einer Fallanalyse

2.3 Durchführung der Fallanalyse

2.4 Unterrichtsbeispiel Fallanalyse: Rettungsfolter ja oder nein?

3 Gedankenexperiment

3.1 Gedankenexperiment: Begriff

3.2 Wirkungsweise und Ziele eines Gedankenexperiments

3.3 Durchführung des Gedankenexperiments

3.4 Gedankenexperimente – Unterrichtsbeispiele

4 Begriffsanalyse

4.1 Begriffsanalyse: Begriff

4.2 Wirkungsweise und Ziele einer Begriffsanalyse

4.3 Durchführung der Begriffsanalyse

5 Literatur

5.1 Ethik – Fachwissenschaftliche Grundlagen

5.2 Ethik – Didaktik

5.3 Methoden des Ethikunterrichts

Vorwort des Herausgebers

Eine gut ausgestattete Hausapotheke gehört in jeden Haushalt, um kleinere Verletzungen oder Erkrankungen selbstständig zu behandeln. Auf diesem Grundgedanken basieren die «didaktischen Hausapotheken», welche die Pädagogische Hochschule Zürich zusammen mit dem hep verlag konzipiert hat. Doch unsere Hausapotheken sind nicht für Notfälle im Unterricht gedacht. Sie sind vielmehr Anleitungen zur Selbsthilfe bei der Entwicklung der eigenen Berufskompetenz.

Die Hefte greifen aktuelle Herausforderungen aus der Unterrichtspraxis und dem Schulalltag auf. Sie beziehen sich auf die typischen Handlungsfelder1, in denen Lehrpersonen im Beruf tätig sind. Wer sich mit ihren Inhalten auseinandersetzt, erhält einen Mix aus nützlichem Hintergrundwissen, Anstössen zur Reflexion und praktischen Empfehlungen – eine Rezeptologie im besten Sinne des Wortes.

Die vorliegende Hausapotheke ist eine Weiterentwicklung von Band 6 («Ethikunterricht an Berufsfachschulen»), in dem die fachlichen und fachdidaktischen Grundlagen zum Thema gelegt werden. Dieses Heft stellt vier in der Praxis bewährte Methoden vor und befähigt Lehrpersonen so, ethische Fragestellungen im Unterricht vertieft zu behandeln – etwas, das im Alltag oft zu kurz kommt. Wer die Hausapotheke liest, wird motiviert sein, sich für ethische Fragen bewusst Zeit zu nehmen, und merken, dass sie sich geschickt und sinnvoll mit Themen der Lehrpläne verknüpfen lassen.

Prof. Dr. Christoph Städeli

Leiter der Abteilung Sekundarstufe II/Berufsbildung der

Pädagogischen Hochschule Zürich

Einleitung

Die Förderung ethischer Kompetenzen hängt nicht zuletzt von der Wahl geeigneter Methoden und deren angemessener Umsetzung im Unterricht ab. Dieser Band stellt vier Methoden vor, die im Ethikunterricht grosse Wirkung erzielen: die Dilemmadiskussion, die Fallanalyse, das Gedankenexperiment und die Begriffsanalyse. Mit allen vier Methoden kann auf unterschiedliche Weise die moralische Urteilskompetenz effektiv gefördert werden. Sie stehen gleichwertig nebeneinander und sind im Sinne eines Sowohl-als-auch für die Förderung ethischer Kompetenzen zu verstehen.

Die Lehrperson erfährt in diesem Band zu den vier ausgewählten Methoden, welche Vorbereitungen sie zu treffen und wie sie bei der Durchführung vorzugehen hat. Die einzelnen Kapitel sind mit Tipps aus der Praxis und Stolpersteinen zu jenen Fragen und Problemstellungen angereichert, welche die Studierenden in den Modulen der Autorin in den vergangenen Jahren zutage gefördert haben.

Die Dilemmadiskussion ist eine klassische und auch eine der bekanntesten Methoden des Ethikunterrichts. Die Diskussion moralischer Dilemmata stellt eine sehr leistungsfähige Methode zur Förderung moralischer Kompetenzen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen dar. Sie ist jedoch in ihrer Durchführung anspruchsvoll und verlangt von der Lehrperson gute Kenntnisse moralischer Fragestellungen und moralischer Entwicklung, von Moderation und Gesprächsführung wie auch der Begleitung von Gruppenprozessen. Aus diesem Grund wird die Dilemmadiskussion in diesem Band in den Mittelpunkt gestellt und Schritt für Schritt in Vorbereitung und Durchführung vorgestellt.

Die Fallanalyse greift einen realen oder semirealen Fall aus der angewandten Ethik auf, zu dem eine moralisch abgestützte pragmatische Lösung erarbeitet werden soll. Der Fall wird in einem strukturierten Prozess analysiert und ausgewertet. Die Analyse verlangt sowohl Recherchen zu relevanten Fakten (vgl. dazu «Didaktische Hausapotheke» Band 6) und moralischen Normen als auch eine saubere Argumentation, um die Entscheidungsfindung zu begründen. Die Lehrperson stellt je nach Lerngruppe mehr oder weniger Vorleistungen und Arbeitshilfen zur Verfügung.

Das Gedankenexperiment stellt die Frage «Was wäre, wenn …» zu einer erfundenen oder semirealen Situation. Hier müssen Hypothesen ausformuliert werden, was hohe Anforderungen an die Analysefertigkeiten der Lernenden stellt. Die sinnvolle Hypothesenbildung lässt die Teilnehmenden Kernfragen einer Problemstellung herausarbeiten und fördert so das logische Denken in Zusammenhängen.

Mit der Begriffsanalyse können sich Lernende komplexen Begriffen und ihren Konzepten nähern. Auch wenn diese Arbeit nur selten zu einheitlichen Ergebnissen führt, leistet sie dennoch einen wichtigen Beitrag zur Förderung der ethischen Kompetenzen. Begriffe wie «Menschenwürde», «Freiheit» oder «Glück» haben zahlreiche Dimensionen und werden auch ganz unterschiedlich definiert. Die Begriffsanalyse kann helfen, die Vielschichtigkeit solcher Konzepte auszuleuchten und zu begreifen, wie wichtig es für das Zusammenleben ist, sich immer wieder über deren Inhalte zu verständigen.

Die Förderung ethischer Kompetenzen an berufsbildenden Schulen findet nicht im luftleeren Raum statt und steht nicht in Konkurrenz zum Pflichtstoff, sondern kann einfach und komplementär in eine Lerneinheit integriert werden. Ethikunterricht basiert daher auf solidem Sach- und Fachwissen. Idealerweise verknüpft er die Inhalte des Lehrplans mit den dazugehörigen ethischen Fragen. In diesem Sinne sind die hier vorgestellten Methoden für alle Schulfächer geeignet.2

1 Die Dilemmadiskussion

1.1 Die Dilemmadiskussion: Begriff

Von einem moralischen Dilemma sprechen wir dann, wenn wir uns in einer Entscheidungssituation sagen: «Wie man es macht, ist es falsch.» Wir stehen in diesem Moment vor mindestens zwei moralischen Normen, die nicht gleichzeitig erfüllt werden können. Mit anderen Worten: Wird eine moralische Norm erfüllt, so wird dadurch mindestens eine andere verletzt und umgekehrt.3

 

Die Dilemmadiskussion fördert die moralische Urteils- und Entscheidungsfähigkeit. In einer Gruppe wird eine Geschichte mit einem moralischen Dilemma in einer moderierten Diskussion und in einem strukturierten Ablauf erörtert. Eine Besonderheit dieser kontrollierten Dialogform besteht darin, dass sich die Gruppe aus den echten Grundüberzeugungen der Teilnehmenden heraus in zwei ungefähr gleich grosse Meinungslager teilen lassen muss und sich die beiden Seiten abwechselnd unter sich und dann wieder im Plenum mit dem moralischen Dilemma auseinandersetzen.

Die Dilemmadiskussion geht auf den Erziehungswissenschaftler Lawrence Kohlberg zurück, der ab den 1960er-Jahren in Chicago und Harvard die moralische Entwicklung des Menschen erforschte. Dabei stützte er sich auf Jean Piagets Theorie der kognitiven Entwicklung der Menschen und entwickelte diese weiter. Bis zum heutigen Tag bildet Kohlbergs Stufenmodell der Moralentwicklung trotz Kritik von verschiedenen Seiten4 eine bedeutsame Grundlage für die Moralerziehung in der Schule.

Die hier vorgestellte Form der Dilemmadiskussion lehnt sich an der Konstanzer Methode der Dilemma-Diskussion (KMDD) an, die von Georg Lind an der Universität Konstanz entwickelt wurde. Linds Forschung hat gezeigt, dass die strikte Einhaltung eines bestimmten Ablaufs im Wechselspiel von Herausforderung und Unterstützung der Lernenden zur Weiterentwicklung ihrer moralischen Urteilsfähigkeit beiträgt.5

Die Dilemmadiskussion ist eine anspruchsvolle Methode, die gute Kenntnisse moralischer Fragestellungen, moralischer Entwicklung, von Moderation und Gesprächsführung wie auch der Begleitung von Gruppenprozessen erfordert. Wer in diesen Bereichen über keine fundierten Fertigkeiten verfügt und in der eigenen Lehrerbildung nicht in der Dilemmadiskussion geschult wurde, sollte sich in der Durchführung nicht bloss auf diesen Band stützen, sondern unbedingt Weiterbildungen zur Dilemmadiskussion nutzen.

Achtung Stolperstein

Eine Dilemmadiskussion kann nur dann durchgeführt werden, wenn die Teilnehmenden in ein echtes moralisches Dilemma geführt werden, das heisst, wenn sie sich persönlich zwischen zwei moralischen Normen entscheiden müssen und damit eine der beiden Normen verletzen.

Die Lehrperson muss demnach selbst ein moralisches Dilemma erkennen und von anderen Ziel- oder Interessenkonflikten unterscheiden können. Erfahrungsgemäss werden moralische Fragen oft mit rechtlichen, politischen, strategischen oder empirischen Fragen verwechselt.6

1.2 Wirkungsweise und Ziele der Dilemmadiskussion

Die Dilemmadiskussion fördert die moralische Urteils- und Entscheidungskompetenz, indem sie innere und verinnerlichte Werte und Prinzipien, nach denen die Teilnehmenden urteilen, entscheiden und handeln, an die Oberfläche holt. Diese zum Teil unbewussten moralischen Werte, Prinzipien, Normen oder Maximen werden sichtbar und bewusst gemacht, sodass sie überprüft und reflektiert werden können.

Nach Kohlbergs Modell geschieht dies am ehesten, indem die Lernenden durch eine höhere Stufe der moralischen Entwicklung herausgefordert werden als jene, auf der sie sich gerade befinden.7 Da die Argumente der aktuellen Stufe nicht ausreichen, um ein moralisches Problem zu lösen, werden die Teilnehmenden angeregt, sich für Argumente der nächsthöheren Stufe zu öffnen und diese in ihr moralisches Denken und Handeln aufzunehmen.

Das Konstanzer Modell setzt demgegenüber stärker auf die allgemeine Auseinandersetzung mit den Gegenargumenten aus der Gruppe und weniger auf die Herausforderung durch eine höhere Stufe. Das Wechselspiel zwischen den Phasen der Herausforderung und der Unterstützung ist dabei zentral, weshalb die Phasen an sich und deren Abfolge nicht verändert werden sollten.

Es soll an dieser Stelle der Lehrperson überlassen sein, von welchem Gedanken sie sich in der Umsetzung im Unterricht eher leiten lassen will. Für beide Varianten ist bei der Vorbereitung jedoch wichtig, dass die Geschichte die Lernenden stufengerecht abholt und die Lehrperson während der Durchführung keine Argumente verlangt, welche die Lernenden nicht selbst hervorbringen können.

Die vertiefte Beschäftigung mit einer Dilemmasituation verlangt nach einer differenzierten Reflexion der eigenen Normen. Da in einer Dilemmasituation jede Lösung falsch ist, ist es für die Teilnehmenden nicht primär das Ziel, die anderen vom eigenen Standpunkt zu überzeugen. Die Dilemmadiskussion zielt vielmehr darauf hin, die inneren Widersprüche und oft auch die eigene Zerrissenheit im Hinblick auf moralische Normen sichtbar zu machen. Diese inneren Widersprüche können Menschen in der Regel nicht gut aushalten. Die Dilemmadiskussion zwingt aber, sich eine Weile dieser unangenehmen Situation auszusetzen, weil sie eine schnelle, unreflektierte Antwort nicht zulässt. Sich 90 Minuten herausfordernden Argumenten und Zweifeln auszusetzen, geht nicht spurlos an uns vorbei. Die Hirnforschung kann nachweisen, dass alle Hirnregionen während eines solchen Dialogs aktiv sind. Die roten Wangen, die wachen Augen und die angeregte Erschöpfung der Teilnehmenden, wie nach einem sportlichen Wettkampf, geben der Lehrperson einen Hinweis darauf, dass die Dilemmadiskussion erfolgreich umgesetzt wurde. Dies ist eine Besonderheit der Dilemmadiskussion: Sie schafft eine affektive und emotionale Betroffenheit, die eine Voraussetzung für die Entwicklung der moralischen Urteilskompetenz darstellt. Eine emotionale Berührung ist auch bei anderen Methoden möglich, doch ist es den Teilnehmenden dort eher möglich, sich durch eine Reduzierung auf die kognitive Arbeit dem affektiven Aspekt zu entziehen.

Häufigkeit

Wer sich regelmässig mit seinen moralischen Werten auseinandersetzt, kann sich die eigenen Maximen einfacher und rascher bewusst machen und diese dadurch auf ihre Gültigkeit hin prüfen und reflektieren. Georg Lind empfiehlt eine bis zwei Dilemmadiskussionen pro Semester. Häufigere Durchführung kann zu einer Ermüdungserscheinung bei den Lernenden führen und in der Folge kontraproduktiv sein. Wenn wir an berufsbildenden Schulen eine Dilemmadiskussion pro Schuljahr durchführen, tragen wir den speziellen Bedingungen der Berufsfachschulen Rechnung. Eine Absprache mit den Lehrpersonen der anderen Fächer ist sehr zu empfehlen. Schon eine Dilemmadiskussion im Jahr leistet einen bedeutenden Beitrag zur moralischen Entwicklung.

Tipps aus der Praxis

Viele angehende Lehrpersonen haben in den letzten Jahren in ihren Reflexionen von didaktisch-pädagogischen Ausgestaltungen berichtet, die in ihren Absichten zwar nachvollziehbar und lobenswert waren, für die Wirkung der Dilemmadiskussion aber eher kontraproduktiv sind. Im Folgenden sind Massnahmen beschrieben, von denen eher abzuraten ist, und die Gründe dafür aufgeführt:

→ Um die Aktivität aller während 90 Minuten zu sichern, werden während der Durchführung schriftliche Sequenzen eingefügt.

In Anlehnung an das Konstanzer Modell werden keine Phasen weggelassen oder hinzugefügt.

→ Die Lehrperson zwingt mit eigenen Diskussionsregeln alle dazu, sich in den Plenumsphasen zu äussern.

In den Plenumsphasen müssen sich nicht zwingend alle äussern. Die aktive Teilnahme ist in den Meinungsgruppen ausreichend gewährleistet.

→ Die Dilemmadiskussion wird zur schriftlichen Sicherung von Zwischenschritten unterbrochen.

Die zusätzliche Verschriftlichung auf Arbeitsblättern stört den Fluss und damit die Wirkungsweise der Dilemmadiskussion. Die vollumfänglichen Hirnaktivitäten werden durch solche Aktionen wieder auf die Aktivität einzelner Hirnregionen zurückgebunden, womit der Tragweite der Methode entgegengewirkt wird.

→ Um «produktorientiert» zu arbeiten, lassen Lehrpersonen die Lernenden die Ergebnisse der Dilemmadiskussion schriftlich festhalten und in einer Erörterung noch einmal wiederkäuen.

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