Frankfurt

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Aus der Reihe: historisches Deutschland #67
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Erik Schreiber

Historisches Deutschland

Frankfurt A. M.

RUDOLF G. BINDING • ALFONS PAQUET

ZWEI AUFSÄTZE

e-book 067

Frankfurt am Main – zwei Stadtbeschreibungen

© Saphir im Stahl 01.07.2020

Verlag Erik Schreiber

An der Laut 14

64404 Bickenbach

www.saphir-im-stahl.de

Titelbild: Simon Faulhaber

Werbestelle des Städtischen Wirtschaftsamtes

RUDOLF G. BINDING

FRANKFURT UND DER MAIN

Hingelagert in den breiten Thron deiner Ebene, die feine Linie eines Gebirges nicht zu nahe hinter dich gezogen, den Fluß, der dir ansteht, dicht an deiner Seite, so steht dein Bild, schöne Stadt Frankfurt, in meiner Seele. Aber es ist nicht die Ebene, nicht das Gebirge, es ist der Fluß, der dich bestimmt, mit dem du lebst, ohne den du nicht bist; ohne den dein Bild in meinem Innern nicht bestände.

Wahrhaftig, anders liegt diese Stadt an ihrem Strom, als andere Städte an anderen Strömen. Er durchfließt sie nicht, er beherrscht sie nicht, er ist nur in seltsamer Weise an sie geschmiegt: ihr Antlitz hat sie der Sonne zugewendet und der schöne Strom liegt in ihren Armen.

Sie ist mit ihm vereint in einem Bunde. Ihr Herz, mit dem sie fühlt, drängt sich zu ihm und seine Wasser drängen sich an ihr Herz. Denn Dein Herz, o Stadt, liegt nicht da, wo Markt und Treiben, Menschen und Waren in dem großen Geäder breiter Straßen hin und wider strömen, wo dein Handel blüht, dein Verkehr über die Welt hingeht, dein Reichtum mächtig ist, die hunderttausende deiner Bürger wohnen — dort hast du kein Herz, dort lächelst du nicht, dort trägst du Züge ohne das Gepräge deines Wesens, und es ist, als ob es dich manchmal nichts anginge. Längs des Maines aber bist du die Stadt, die sich fühlt. Nicht die königliche, nicht die prunkende, nicht die finstere alte und steinerne, nicht die trotzige, nicht die engherzige, verschlossene, nicht die geschäftige, wie es andere sind und zu sein lieben, sondern die wahrhaft freie Stadt nach Angesicht und Wesen.

Du schwingst die lange Reihe deiner Bürgerhäuser den Strom hinauf, weiß und hell, ein ununterbrochenes Band. Gleicher Sinn, gleiche Bedürfnisse, gleicher Wohlstand, Eintracht und Zusammengehörigkeit haben sie erbaut. Dort auf der Höhe des Ufers wohnten, beständig und bestimmend, in der ruhigen Geschlossenheit einer einzigen Linie, die sich dem sanften Bogen des Flusses ergab, Frankfurts beste Bürger. „Die schöne Aussicht“ haben sie ihre Straße benannt. Dann stromab, nahe und tiefer, auf dem vom Römerberg den Fluß suchenden Ufer, die rötlichen Sandsteine mittelalterlicher Bauwerke; längst verschwundene Wassertore, fast noch zu fühlen; Rümpfe einfacher alter Kirchen, zu gebrechlich schon, um Gott zu dienen, in die Längslinie der Uferstraße eingebaut; danach, in lässiger Hingabe, nicht so dicht und gefestigt wie jenes Band, stromauf, der andere Arm der Häuser, den die Stadt um den Fluß legt. Grün von Gärten drängt sich hindurch, noch einmal eine längere, geschlossene Flucht von Wohnbauten jüngerer Zeit, dann tritt die Stadt von dem Flusse hinweg.

Dies ist. Frankfurt, die liebliche Stirn, die du bietest. Doch wer die Stelle deines Herzens sucht, gewahrt und errät um den Römer herum hohe und steile Schieferdächer; der junge Turm des Rathauses gewinnt seinen Platz und verdeckt fast das hilflose Kuppelgebilde der Paulskirche unter dem plumpen, goldenen Kreuz; und dann ein wenig stromauf, unberührt und unbetastet von Dächern oder Türmen, sie in gebührlichem Abstand haltend, leicht, vertrauend, köstlich, das Wahrzeichen einer heiteren Frömmigkeit, dein Dom. — Es ist, als ob die Lieblichkeit gegen den Himmel immer recht behielte. Unten in seinem Ernste ruhend, von vielfältiger Ehrwürdigkeit umatmet, steigt er gleichsam zu seiner eigenen Heiterkeit auf und krönt sich hoch oben im Lichte mit nichts als einer unbesorgten Anmut.

Der Bau ist dein glückliches Ebenbild, du freie Stadt. Tief in den Gründen liegt Ehrwürdiges und Ernstes; immer aber schon Freies und Festliches, von je bis zum heutigen Tage. Nie von einem Fürsten der Kirche, nie von beherrschenden Adelsgeschlechtern abhängig, wurdest du Hauptstadt des Reichs ohne die Last eines Thrones in deinen Mauern, Wahlstadt von Kaisern, Krönungsstadt.

Ehren und Feiern, nicht ohne Nutzen, wurden dein Teil. Auf dem Römerberg stand die Küche mit dem gebratenen Ochsen für das Volk, von dem der Erbtruchseß dem Kaiser ein Stück überbrachte. Der Hafer war aufgeschüttet, aus dem der Erbmarschall sein silbernes Maß füllte. Der rote und weiße Wein sprang für den Erbschenken vom Born neben dem Springbrunnen. Der Erbschatzmeister streute goldene und silberne Gedenk- und Schaumünzen über das jubelnde Volk.

Auf diese Stätte blickt der Dom zwischen Häusern hindurch mit überhängenden Stockwerken. Er blickt auf die Stätte, wo die freiesten Geister in fruchtlosen Mühen, vom reinsten Willen getragen, deutsche Einigkeit suchten, deutsches Verfassungswerk schmiedeten: die Paulskirche. Er blickt dir recht eigentlich ins Herz, du Stadt, wo deine Märkte und Messen, bürgerlichem Sinn entsprungen, begannen; wo Obrigkeit und Rat noch jetzt ihres Amtes walten; von wo alles ausging, was jetzt deinen Reichtum, deinen Stolz ausmacht.

Er blickt über die vielen Brücken, die dich über den Fluß hinüber verbinden, zu den ehemaligen Häusern der Sachsen, angesiedelt wohl im scharfen Gegensatz und in Gefangenschaft der Franken, von denen du Herkunft und Namen leitest. Aber so sehr dies Sachsenhausen nun ein Teil deiner selbst zu sein scheint, deine Vorstadt, eines ist allein dir vorbehalten; eines gehört dir allein: der Main. Es ist, als ob jener andere Stadtteil keinen Anteil an ihm habe. So sehr er deinem Wesen eigen ist, so sehr er deinem Bilde dient, so wenig ist er dem Wesen der jenseitigen Siedlung zu eigen, so wenig dient er ihrem Bilde. Alles an ihm gehört dem Ufer, an dessen Herz er sich schmiegt, aber unberührt und unberührend fließt er dem andern vorüber.

So stehst du, alte Stadt, mit deinem Fluß in einem schönen, heiteren Bündnis; in wunderbarer Unbeschwertheit, innerer Jugend und Beweglichkeit habt ihr euch gegenseitig behagt. Ohne die Wucht und Qual einer Riesenstadt, die die Ufer der Themse bei London bedrücken, ohne die Heiligung und Heiligkeit, die Köln auf den Strom wirft, ohne die bewußte Krönung, mit der Prag seinem Flusse obliegt, haltet ihr beide, Stadt und Fluß, euer Gewicht.

In dieser deiner Vereinigung mit dem Strom, unnachahmlich und nie erreicht von anderen, stelle ich dich, du Stadt Frankfurt, in die Reihe der Dinge auf Erden, die geliebt werden. Wohl gibt es Menschen, die die Pyramiden Aegyptens lieben, die die Insel von Notre Dame in Paris lieben, die Wien an der blauen Donau lieben, die den Hyde Park lieben im Mai, die das ewige Rom lieben. Auch ich liebe diese Dinge, aber ich liebe auch dich, Frankfurt am Main.

ALFONS PAQUET

FRANKFURT

Ein anachronistisches Bild

I.

Der Umriß dieser Stadt ist gedrungen, weithin wirkend, in Luft und Wasser prächtig abgesetzt. Seit fünf Jahrhunderten ist Frankfurt unter den Städten Deutschlands an Umfang immer die siebente gewesen, zugleich aber auch in diesem Rang die beständigste im Unbestand und Wechsel der andern. Ist sie die heimliche Hauptstadt Deutschlands, seine Mitte im philosophischen Sinn, goldne Ader Mediocritas im politischen Glück und Unglück? Diese Stadt war, was sie als Verkehrsstadt heute ist, schon vor einem Jahrtausend; sie ist, in sichtbaren und unsichtbaren Dingen, unter den motivierten Städten Europas eine der motiviertesten. Es gibt ein anderes Frankfurt im Osten Deutschlands, es gibt in den Vereinigten Staaten sechs Städte, die den Namen Frankfurt angenommen haben, keine ist so lebendig, so Gleichgewicht, Gestalt und Weltbeziehung wie die mütterliche Stadt an dem glänzenden Weg zwischen den beiden europäischen Hauptströmen. Hier scheint bewiesen, was für den Erdkreis eine einzige gut gelegene Stadt bedeutet. Ihr Wesen ist in alles Dunkle eingewurzelt, aber auch verklärt von dem Ruhme, unter den Menschen einen hervorgebracht zu haben, der dem Belohner unter den Göttern am ähnlichsten ist. Die von Jupiter begünstigte Stadt zählt zu ihren Attributen Reichstage, Kaiserkrönungen, große Aufzüge und Handelsgeschäfte. Ihre alten Gassen bewahren die Erinnerung an den Marktfrieden, an gesicherten Besitz. Ihre Herkunft ist die Wahl und Ordnung des Flußüberganges an dem einst vielzerrissenen, mit Quellen, Inseln und Sümpfen verflochtenen Gewässer; Fischerdorf, Herrenhof und Ghetto, die sich aneinanderlehnten, landesherrliches Seßhaftwerden, Verpflanzungspolitik der Karolinger, städtebildende Funktion des Christentums, das aus der Mitte des salischen Besitzes die Kirche ausschied und an der Stelle des Baumheiligtums den Dom erbaute. Männer, in Geschäften groß geworden und bereit, Umfassenderes zu versuchen, haben zum Namen des Gemeinwesens das ihrige beigetragen; andere, in fremden Diensten, in weltumarmenden Abenteuern, das Heimatliche, das von hier war, nie verleugnet. Es gab nicht nur die eine Goethesche Natur und unter den Gelehrten des Geldes nicht nur die Rothschilds, die Frankfurt hervorzubringen, wenn auch nicht zu fesseln vermochte. Dafür wußte die Stadt auch manchen jener nordischeren, Schopenhauer ähnlichen Anachoreten an sich zu binden, sie bot gute Wohnung an dem sonnigen Ufer, gute Table d'hote, gute Bibliotheken, lohnende Ausflüge, gute Verwaltung des weltkundig angelegten Vermögens. Man vergißt auch jenseits des Meeres nicht die Stadt, die Abraham Lincoln und die Unabhängigkeit der Nordstaaten finanzierte. Verheißende Legende, die anknüpft bei der klugen Gastlichkeit dieser Stadt für die aus England, aus den Niederlanden und Italien Vertriebenen des sechzehnten Jahrhunderts; weiter wirkende Beziehung der am Mainufer im alten Saalhof gegründeten amerikanischen Landkompagnie nach England und Pennsylvanien; Abfertigung nach Holland, nach Wien, Prag und Polen, die aus aller Welt Erwiderungen brachte. Die erste auf amerikanischem Boden in deutscher Sprache gedruckte Bibel zeigt die starke und statuarische Egenolff-Fraktur, die ein Geschenk aus Frankfurt an den deutschen Siedler und Drucker Sauer in Germantown war. Von den Büchern, die seit Peter Schöffer unzählig in Frankfurt gedruckt und gebunden wurden, gingen viele über die Landstraßen Europas nach allen Richtungen der Windrose. Das großartige Drucker- und Buchhändlerwesen der Stadt ist vergangen, aber die Schriftgießereien blühen noch, die europäische Presse bis in den spanischen und russischen Sprachbereich hinein druckt ihre Zeitungsseiten täglich mit den hier gegossenen Lettern. In den Leistungen der Gewerbe war Glanz und Reichtum. Eine satte Tradition wirkte aus diesen Handwerkergassen bis in die königliche Tischlerkunst des französischen Rokoko hinüber. Noch sind die alten Meisterstücke zu sehen, Frankfurter Schränke von einer schweren Herrlichkeit der Architektur, des Holzes und der Einlagen; die blauweißen Frankfurter Fayencen stehen prächtig zwischen denen der Manufakturen von Höchst und Hanau, von Flörsheim, Offenbach und Aschaffenburg, hier vermählen sich unbefangen die über Holland hergetragenen Formen Chinas mit denen des deutschen Steinguts. Das gröbere Frankfurter Hafnergeschirr mit seinem farbigen Bildwerk auf einem frohen und reinen Goldbraun vergleicht sich gut mit dem schwarzglänzenden von Marburg, dem grauen vom Westerwald und dem grünen rheinischen der Kölner Gegend.

 
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