Aus meinem Tagebuch

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Aus meinem Tagebuch
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Aus meinem Tagebuch

Das Leben liefert täglich uns Geschichten.

Man braucht nur hinzuschauen.

Man braucht nicht selbst zu dichten.

1.Die schlaue Antolla

Nachdem der 2. Weltkrieg endlich ein Ende hatte, begann für unzählige Menschen, die durch diesen Krieg gelitten hatten, ein neuer, schwerer Anfang. Unsere Mutter und ihre Schwester Helene, damals junge Frauen, machten in dem kleinen Dörfchen an der Ostsee, wohin uns die Flucht aus unserer Heimat verschlagen hatte, ein Stückchen Brachland mit schwerem, lehmigem Boden urbar und legten einen Gemüsegarten an. Als wir unser erstes Bohnengericht aßen, sprach Tante Lena:„Bohnen, Bohnen, meine Lebenskronen. Dicke Milch mit Weizenbrot ist mein sicherer Tod.“ Fragend blickten wir Kinder unsere Tante an. Traurig schweifte ihr Blick in die Ferne und mit leiser Stimme, fast gedankenverloren, begann sie aus ihrer Kindheit zu erzählen, von einem Erlebnis mit einer alten Frau, die sie so nachhaltig beeindruckt hatte:

„Wer kann lebenserfahrener, fleißiger, zäher, klüger und einfallsreicher sein, als die alte Antolla Januschkeit? Wer sie kannte, wird sagen: Niemand. In meinem kleinen Heimatstädtchen an der Memel kannte sie jeder. Aber nur ganz wenige kannten sie wirklich. Oh, die alte Antolla war nicht nur weise, nein sie war auch schlau, sehr schlau und sogar listig.

Wir wohnten am Rande der Stadt in dem letzten Haus, ganz nahe an dem dichten, dunklen und geheimnisvollen Wald. In diesem Haus lebten nicht nur unsere Eltern mit uns drei Kindern, sondern auch unsere Großeltern und unsere Urgroßmutter. Über einen Besuch der alten Antolla freute sich immer die gesamte Familie. Wenn Frau Januscheit die lange Straße stadtauswärts entlang kam, erkannten wir Kinder sie schon von weitem. Zuerst erblickten wir in der Ferne nur ein rotes Pünktchen, das sich hin und her bewegte, erst langsam und dann immer schneller werdend, uns näher kommend. Es war das leuchtend rote Kopftuch, mit dem Antolla wie verwachsen schien. In der Ferne, schwer auf einen festen Krückstock gestützt, schien sie kaum vorwärts zu kommen und erweckte den Eindruck, als wäre sie gebeugt von Kummer, Gram und Gebrechen des Alters. Und so mancher mochte wohl glauben, das letzte Stündlein der alten Antolla sei in greifbare Nähe gerückt. Doch nicht die Gebrechen des hohen Alters waren es, die sie nach vorn gebeugt gehen ließen, sondern das Gewicht eines mit zahlreichen, wertvollen Münzen gefüllten Beutels, welcher an ihrer Brust hing, sicher verdeckt durch dicke, derbe Kleidung. Ein handgewebtes, graues, festes Wolltuch verhüllte zusätzlich den Schatz an der Brust der Alten. Und wer in ihre wachsamen, glanzvollen, graublauen Augen schaute, dem entging auch nicht der klare, kraftvolle Blick. So manch einer, der der alten Frau begegnete, nutzte die Gelegenheit, sie in verschiedensten Angelegenheiten um einen guten Rat zu bitten, denn Frau Antolla Januscheit war gesegnet mit der Weisheit des Alters. Ab und zu blieb sie kurz stehen und warf einen prüfenden Blick zurück in die Richtung, aus der sie gekommen war. Je weiter sie sich von zu Hause entfernte, desto flinker wurde sie, obgleich ihr Weg doch bergauf führte. Nun liefen wir Kinder schnell zu unserer Mutter und kündigten die baldige Ankunft von Frau Januscheit an. Aus Achtung vor der alten Frau unterbrach unsere Mutter ihre Arbeit, kochte sofort schwarzen, starken Tee, den sie gut süßte, bestrich ein paar Weizenbrotschnitten dick mit frischer Butter, holte noch schnell aus der Speisekammer ein Glas mit dicker Milch, legte eilig im Esszimmer ein neues Tischtuch auf den Tisch und begab sich dann zum Eingang des Hauses, um Antolla willkommen zu heißen. Gerade hatte Antolla das Grundstück betreten. Unsere Mutter ging ihr entgegen, begrüßte sie freundlich und mit dem nötigen Respekt, den man einem betagten Menschen entgegenzubringen hat. „Wir freuen uns, liebe Frau Januscheit, dass Sie wieder den weiten Weg auf sich genommen haben und uns besuchen. Seien Sie bitte unser Gast.“ Mit diesen Worten geleitete unsere Mutter sie ins Haus. Nachdem sich Frau Januscheit gut gestärkt und ein wenig erholt hatte, erfuhren wir von ihr Folgendes: Getauft war sie auf den klangvollen Namen Anatolia. So war es auch in dem Kirchenbuch des Städtchens eingetragen worden, aber das wusste kaum jemand. Das interessierte auch keinen, nicht einmal sie selbst. Als Antolla noch ein halbes Kind war, starben ihre Eltern. Sie hinterließen ihr nur ein paar kleinere Münzen, hatten ihr aber viele kluge Lebensregeln mit auf den schweren, eigenständigen Weg gegeben. Und Antolla hatte diese beherzigt. Durch unermüdlichen Fleiß, eine sparsame, ja sogar spartanische Lebensweise und außergewöhnliche Geschäftstüchtigkeit hatte sie das geringe Erbe zu einer stattlichen Summe anwachsen lassen. Dieses kleine Vermögen trug sie tagsüber stets bei sich und des Nachts lag das Geld unter ihrer Matratze und dafür hatte die kluge Alte auch ihre Gründe. Alle, die Antolla Januscheit kannten, wussten, sie hat ihr Leben lang gearbeitet, schwer gearbeitet, immer nur gearbeitet. Wie alt die alte Januschkeit eigentlich war, wusste keiner so genau und die älteren Leute des Städtchens meinten, als sie selbst noch jung waren, wäre Antolla schon alt gewesen. Sie müsse also in ihrem langen Leben bereits viel Geld gespart haben. Jeder wusste, dass sich die gute Alte in ihrem bisherigen Leben nie etwas gegönnt hatte, ihr Geld nie einer Bank anvertraut hatte und auch als recht „knausrig“ galt, was Schwiegertochter Biruta allen, die es hören wollten und auch denen, die sich dafür weniger interessierten, mit geheimnisvollem Blick erzählte. Da machte sich schon etliche von Antollas Bekannten, aber mehr noch die Verwandten, insbesondere Antollas Nachkommen, ihre Gedanken und die abwegigsten Spekulationen waren im Umlauf. Den größten Eifer legte Biruta an den Tag. Nun waren Biruta und ihr Mann Gustav, Antollas ältester, sehr bescheidener und zurückhaltender Sohn, auch schon bei Jahren. Gemeinsam mit ihren Kindern und Enkeln wollten sie das Wohnhaus ausbauen und auch Land hinzukaufen. „ Da müsste man doch schließlich wissen, was man hoffentlich recht bald besitzen würde.“ Diese Gedanken machten Biruta ungeduldig und ungerecht. „Die Alte isst uns noch die Haare vom Kopf“, klagte sie sich bei ihrer Freundin aus. Irgendwie gelangten aber diese Worte auch an Antollas Ohren. Verwundert war die Alte darüber nicht, beobachtete ihre Schwiegertochter aber fortan mit noch größerer Aufmerksamkeit und gesundem Misstrauen. Biruta war kein gewalttätiger Mensch, nur etwas ungeduldig, was das zu erwartende Erbe betraf. Der Gedanke daran verlieh ihr Fantasie und Energie. Sie geleitete ihre Schwiegermutter sogar in deren Schlafkammer, verwickelte Antolla in ein Gespräch und wartete nur darauf, dass diese sich ausziehen und den Brustbeutel mit dem Geld ablegen würde, um einen kurzen Blick hineinwerfen zu können. Aber die aufmerksame Alte legte sich mit dem schweren Geldbeutel auf der Brust in ihr Bett und Schwiegertochter Biruta musste unverrichteter Dinge das Stübchen wieder verlassen. Nachdem Birutas Schritte wieder verklungen waren, versteckte Antolla ihren „Schatz“ unter der Matratze ihres Bettes. Die ganze Großfamilie ernährte sich von dem, was Garten, Feld und die Tiere erbrachten. Die Milch der beiden Kühe wurde größtenteils zu Butter und Käse verarbeitet. Man selbst gönnte sich aber nur sehr wenig davon, sondern verkaufte möglichst viel auf dem Markt. In diesem Jahr hatte die Familie außergewöhnlich viele Bohnen geerntet. Da die Bohnenernte im ganzen Gebiet so ergiebig war, brachte der Verkauf keinen ausreichenden Gewinn. Deshalb kochte Biruta Tag für Tag für die ganze Familie dicke Bohnen. Bohnen gab es mittags und auch als Abendessen. Antolla besaß nur noch ein paar Zähne und auch die hatten sich im Laufe des Lebens in verschiedene Richtungen begeben. Kein Wunder, dass sich bei ihr nach jeder Mahlzeit Leibschmerzen einstellten und ihr Bauch einem aufgeblasenen Luftballon glich. „Justavche“ , sprach Antolla ihren bereits an Zähnen recht armen Sohn an, „wie bekommt Dir das Essen?“ „Mama, es ist ein gutes Essen. Sie müssen sich dabei nur genügend Zeit nehmen.“ Antolla wusste, ihr Gustav würde sich bei seiner Biruta nie durchsetzen. So schwieg sie und erdachte sich eine List. Langsam aß sie die schwer verdauliche Bohnenmahlzeit, strich dabei mehrmals über den geblähten Bauch und sprach:„Bohnen, Bohnen meine Lebenskronen!“ Dabei setzte sie eine sehr zufriedene Miene auf, obgleich sie das Gefühl hatte, ihren Magen mit kleinen Steinen zu füllen. Das geschah mehrere Tage in gleicher Weise. Antolla zeigte sich sehr zufrieden, machte bewusst einen munteren Eindruck und vergaß auch nicht, ihr Sprüchlein zu sagen. Da kam Biruta auf sie zu: „Sie werden verstehen, Mama, die Bohnen müssen bis zur nächsten Ernte reichen. Ich muss sie für uns und die Kinder lassen, weil wir schwer arbeiten.“ Darauf hatte die schlaue Antolla nur gewartet. Sie machte ein ganz erschrockenes Gesicht, schlug die Hände davor und brachte stockend hervor:„Bohnen, Bohnen meine Lebenskronen!“ Und nach einer kleinen Pause: „Dicke Milch mit Weizenbrot ist mein sicherer Tod!“ Dabei tat sie, als würde sie dieses Essen verabscheuen. In Wahrheit hätte sie so gerne von der gut bekömmlichen, dicken Milch gegessen, aber seit Biruta die Schlüsselgewalt im Hause hatte, war für die arme Antolla an so einen Genuss gar nicht zu denken. „Mama, Sie arbeiten nicht mehr. Ein alter Körper braucht nicht so kräftige Nahrung. Ich kann Ihnen wirklich nur dicke Milch mit Weizenbrot. reichen.“ Ein verständnisvoller Blick und ein tiefer Seufzer waren Antollas wohl überlegte Reaktion. Heimlich frohlockte sie. Weil sie ihre Schwiegertochter genau kannte, hatte sie ohne Zank und Streit und ohne böse Worte erreicht, was ihr gut tat und womit sie keinem schadete.

 
Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?