Die Erbschaft

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Die Erbschaft
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Alles frei erfunden!

Imprint Die Erbschaft. Kriminalroman

Elisa Scheer

published by: epubli GmbH, Berlin

www.epubli.de

Copyright: © 2015 Elisa Scheer

ISBN 978-3-7375-5517-3

Kapitel 1

Mein Leben war genauso, wie es sein sollte, überlegte ich zufrieden, als ich die Buchungsunterlagen zusammenheftete und in dem entsprechenden Ordner ablegte. Schon halb fünf, und heute Abend würde ich für Christian und mich Tagliatelle alla boscaiola kochen. Mein Schreibtisch war perfekt aufgeräumt, alle Zahlungen veranlasst, alle Rechnungen im Ausgabekorb – Christians Steuerberaterbüro lief richtig gut, und das schon nach vier Jahren!

Allmählich musste er gut genug verdienen, um mir ein etwas höheres Gehalt zu zahlen, fand ich. Immer, wenn ich auf den bescheidenen Lohn hingewiesen hatte, hatte er mich mit dem Hinweis vertröstet, dass das Büro ja schließlich unsere gemeinsame Zukunft darstellte. Und damit hatte er eigentlich Recht, fand ich, als ich den Ordner wieder ins Regal stellte und befriedigt die Reihe sorgfältig beschrifteter Rückenschilder musterte.

Gemeinsam arbeiteten wir für den wirtschaftlichen Erfolg, gemeinsam würden wir ihn auch haben. Und die gemeinsame Arbeit war auch ideal für die Zukunft, ich konnte mir richtig gut vorstellen, wie ich in einigen Jahren hier vor dem Computer saß, während unser Baby mir von seiner Wippe aus zusah und vergnügt vor sich hin brabbelte.

Christian schaute aus seinem noblen Büro. Wie gut er aussah, auch nach einem langen Arbeitstag! Die glänzenden braunen Haare waren immer noch akkurat gescheitelt, das cremefarbene Hemd wirkte überhaupt nicht verknittert, die in verschiedenen dezenten Naturtönen gemusterte Krawatte (ein Geschenk von mir zum letzten Geburtstag, Christian war der einzige Mann, der sich wirklich freute, wenn man ihm Krawatten schenkte), der elegante hellbraune Anzug... Seine blauen Augen zwinkerten. „Liegt noch was an, Schatz?“

„Nein, wir sind für heute fertig. Eigentlich könnten wir nach Hause gehen und uns einen schönen Abend machen.“

„Liebend gerne, Schatz, aber ich hab noch einen Termin, ich muss einen neuen Klienten besuchen.“

Mist! Aber in letzter Zeit war er eifrig hinterher, neue Klienten zu gewinnen, und das kam unserem Büro ja nur zugute, also konnte ich ihm kaum böse sein.

„Schade. Was glaubst du denn, wann du nach Hause kommst – ich meine nur wegen des Essens? Es gibt dein Lieblingsessen, und das wird vom Warmhalten nicht besser“, erklärte ich schnell, um nicht nervend zu wirken.

Er lächelte nachsichtig und überlegte. „Gegen acht, schätze ich. Es sollte nicht allzu lange dauern.“ Sein Gesicht wurde ernst, fast feierlich. „Ich muss ohnehin mit dir über etwas Wichtiges sprechen.“

Ich unterdrückte den Drang, zu fragen, worüber – schließlich konnte ich es mir schon denken! So gut, wie alles in letzter Zeit gelaufen war, wollte er mir sicher entweder das Gehalt erhöhen oder – und das wäre natürlich das Allertollste – fragen, ob ich ihn heiraten würde. Zeit war es, wir waren seit fünf Jahren zusammen, und ich wurde auch nicht mehr jünger, jetzt war ich immerhin schon dreißig.

Ich lächelte ihn voller Liebe an. „Darauf freue ich mich schon.“

Er lächelte nicht, sondern musterte mich überlegend. Süß, wie feierlich er gestimmt war.

„Also, dann gehe ich jetzt und kaufe noch ein bisschen ein, okay?“

„Einverstanden. Nimm die Post mit!“

Klar doch. Ich stand in der Post fast eine halbe Stunde lang an, bis ich die Briefe los war, dann holte ich unsere eigene Post aus dem Postfach und steckte sie achtlos ein. Was nun? Einige Einkäufe, leider auch Getränke, und dummerweise hatte Christian den Wagen, er musste ja schließlich vor dem Klienten einen soliden Eindruck machen. Zwei Autos wären Blödsinn gewesen, sagte Christian immer, und er hatte auch vollkommen Recht – in der Stadt fand man ja für eins schon nie einen Parkplatz! Außerdem verdiente ich nicht genug, um mir einen Wagen leisten zu können. Ja, wenn er mir jetzt mehr Gehalt zahlen würde! Im Moment verdiente eine Kassiererin bei Aldi noch mehr, und davon ging noch mein Anteil an den Nebenkosten der Wohnung und an der Haushaltsführung ab. Wenn ich im Monat hundert Euro sparen konnte, war das schon viel, denn Christian liebte es ja auch, wenn ich gut gekleidet war. In Jeans und T-Shirt durfte ich nicht im Büro sitzen, er schätzte Kostüme oder Röcke mit eleganten Blusen oder Twinsets, und das Zeug war nicht billig, wenn es gut aussehen sollte. Immerhin hatte ich mir in den letzten vier Jahren dadurch eine recht vorzeigbare, wenn auch bescheidene Garderobe angeschafft, sogar ein Abendkleid besaß ich, goldbrauner Samt, ganz schlicht geschnitten, wunderschön. Darauf hatte ich lange gespart!

Das glänzend dunkelgraue Cocktailkleid, das im Schrank direkt daneben hing, hatte Christian mir zum letzten Geburtstag geschenkt. Ein traumhaftes Stück – und dazu hatte ich zu Weihnachten eine passende Silberkette mit perfekt geschliffenen Zirkonias bekommen. Sah fast aus wie Weißgold mit Diamanten, und es gab dem Kleid den letzten Kick. Da wir immer häufiger von Klienten eingeladen wurden, war so etwas auch notwendig. Wenn ich wieder etwas zusammengekratzt hatte, musste ich mir passende Schuhe (dunkelgrauer Seidenrips, sie standen bei Shoe´s im Fenster und kosteten ein Schweinegeld) und ein Abendtäschchen kaufen.

Dieser Wasserkasten war gemein schwer! Ich stellte ihn an der Ecke ab und massierte meine tauben Finger, bevor ich ihn wieder aufnahm und weiterschleppte. Gut, dass wir einen Lift im Haus hatten! Wie immer bewunderte ich die zauberhafte Fassade unseres Hauses – dass Christian damals diese Altbauwohnung aufgetan hatte, war wirklich ein Glücksfall gewesen. Das Haus war komplett in Zartgrün mit Jugendstilranken in Dunkelgrün, Creme und Gold gehalten, der mit schmiedeeisernem Gehäuse geschmückte Aufzug sah zwar sehr authentisch aus, verfügte aber über modernste Technik, und das elegant geschwungene Treppenhaus erfreute mich jeden Tag.

Und die Wohnung erst! Ich schloss die schwere Holztür auf und trug die Wasserkiste in die Abstellkammer, die ich erst am Wochenende perfekt aufgeräumt hatte. Zwei Flaschen kamen in den Kühlschrank.

Sechs Uhr, ich hatte noch reichlich Zeit, bis ich mit dem Essen anfangen musste. Zuerst kickte ich mir die Schuhe von den Füßen und lief einmal durch die Wohnung – Kontrollgang, das brauchte ich täglich.

Die Küche: Groß, hell, mit einer futuristischen Küchenzeile in Edelstahl (man putzte dauernd Fingerabdrücke weg, aber sie sah toll aus) und einer ebenso futuristischen Essecke in Alu und Birke, dazu die Vorratskammer mit den wohl gefüllten Regalen. Das war ja das Schöne an solchen hochherrschaftlichen Wohnungen – es gab jede Menge Nebengelasse und Stauraum, wir hatten zwei Kammern, einen Ankleideraum und insgesamt drei Bäder, abgesehen von Schlafzimmer, Gästezimmer, Wohnzimmer, Esszimmer und Christians Arbeitszimmer. Wirklich perfekt! Eines Tages würden wir aus dem Gästezimmer ein Kinderzimmer machen, da war ich mir sicher.

Das Wohnzimmer mit den schweren dunklen Möbeln, die Christian von seinen Großeltern geerbt hatte, sah ungemein repräsentativ aus, schließlich luden wir auch ab und zu Klienten ein. Ach nein, Christian wollte ja, dass ich von Mandanten sprach! Das Esszimmer, in denen den Mandanten exzellentes Essen vorgesetzt wurde (ich kochte ziemlich gut), passte genau dazu, ein ausziehbarer Tisch in dunklem, sanft schimmerndem Holz mit – bei Bedarf – zwölf Stühlen, dazu zwei Vitrinen, die zwar modern waren, aber genau dazu passten und mit Christians Nymphenburger und meinem Villeroy & Boch gefüllt waren, das ich Stück für Stück erworben hatte, als ich noch studierte und mit manchen Nebenjobs recht gut verdiente. Dazu goldgelbe Samtvorhänge und zwei Stahlstiche, die dem Raum einen Hauch von Tradition verliehen. Einfach perfekt!

Ich breitete ein Tischtuch aus – weißes Leinen, sorgfältig gebügelt – und deckte zwei von meinen Tellern, dazu Untersetzer (Silber, natürlich), Sektgläser, Wassergläser, Besteck und den silbernen Brotkorb. Wenn Christian mit mir etwas Wichtiges besprechen wollte, schien mir Sekt angebracht, und eine Flasche lag ohnehin noch im Kühlschrank. Ich holte gleich noch den Sektkühler aus der Anrichte, in der wir Besteck und Tischwäsche aufbewahrten, und platzierte ihn auf einen Untersetzer – sollte er einen feuchten Ring auf dem Tisch hinterlassen, würde das Christian wirklich schmerzen. Er war tatsächlich der einzige Mann, den ich kannte, der Sinn für Ästhetik hatte und eine schöne Wohnung zu schätzen wusste.

Als ich vor vier Jahren zu ihm gezogen war, musste ich ihm deshalb aus vollem Herzen Recht geben, als er fand, meine paar IKEA-Möbel passten nicht zu seiner Einrichtung. Gut, aus den Bücherregalen konnte man eine Kellereinrichtung basteln, dafür taugten die wackligen Dinger gerade noch, das Bett verkaufte ich, und die beiden feuerroten Plastikklappstühle schenkte ich damals Cora für ihren Balkon, dort passten sie zu den Geranien. Natürlich hatte ich auch sonst einiges von meinem Besitz loswerden müssen, etwa meine kleine Sammlung maßstabsgetreuer Oldtimer. Wo hätte ich so etwas denn hinstellen sollen?

Meine Kleider hingen und lagen im Schrankabteil ganz links, ich hatte ja nicht so viel wie Christian, meine wirklich wesentlichen Bücher standen im Wohnzimmer in einem Regalfach ganz oben. Unwesentliches holte ich mir aus der Bibliothek, im Moment hatte ich allerdings keine Zeit dazu. Einiges, was ich nicht wegwerfen wollte, etwa Erinnerungen an die Kindheit, hatte ich in eine Kiste gepackt und bei Cora im Keller untergestellt, denn Christian fand es albern, solche Dinge aus Sentimentalität aufzubewahren, und wollte in unserem Keller nur Dinge dulden, die man auch wirklich brauchte. Damit hatte er natürlich Recht, aber meine Kindheitssouvenirs waren ein Teil von mir, und den konnte ich nicht einfach auf verschiedene Mülltonnen verteilen. Dann hätte ich ja auch mein Leben neu schreiben müssen! Ich kontrollierte das Schlafzimmer. Perfekt, das Bett hatte ich heute Morgen, während Christian noch beim Frühstück saß, frisch bezogen, mit der schönsten Bettwäsche: grauer Baumwollsatin mit einem Mäandermuster in Anthrazit, Weiß und Silber rundherum. Beide Nachttische waren sauber und schimmerten rötlichbraun, nur je ein silberner Rahmen stand auf beiden Seiten in gefälligem Winkel – auf Christians Seite ein Bild von mir, auf meiner ein Bild von ihm, auf dem er ganz besonders edel aussah, fast schon adelig. Ich glaubte, adelig wäre er tatsächlich recht gerne gewesen.

 

Ich rückte die Rahmen noch etwas überzeugender zurecht, befreite dann den Anzug, den ich aus der Reinigung geholt hatte, von seiner Plastikhülle und dem schauerlichen Drahtkleiderbügel; ich hatte vor einem Jahr traditionelle Holzbügel satt gekauft – für Sakkos waren sie einfach das Beste. Wie teuer solche richtig guten Holzbügel waren, hatte ich vorher auch nicht gewusst. Als der Anzug im Schrank hing, so auf Lücke, dass er nicht verdrückt werden konnte, und die Tür zum Ankleidezimmer wieder geschlossen war, schleppte ich den Wäschekorb in die Küche, klappte das Bügelbrett auf, füllte das Bügeleisen und machte mich zufrieden summend über Christians Hemden und T-Shirts her. Da musste man aufpassen, seine T-Shirts waren meist aus Wildseide und durften nicht zu heiß gebügelt werden. Die Hemden dagegen waren nicht bügelleicht, denn richtige Baumwollhemden sahen einfach besser aus.

Kurz nach sieben hatte ich alles fertig und in Christians Schränken verräumt, das Eisen kühlte auf dem Fensterbrett ab und ich begann damit, Mischpilze zu putzen. Mittendrin klingelte das Telefon im Arbeitszimmer.

„Bei Lichting?“ Der Festnetzanschluss wurde fast nur von Klienten genutzt, also hatte Christian mich gebeten, mich so zu melden. Tatsächlich, ein Kli – äh – ein Mandant. Ich notierte, was er zu sagen hatte, versprach Christians Rückruf und wünschte einen guten Abend. Der Zettel mit dem Gesprächsbericht landete auf seinem Schreibtisch, und ich kehrte in die Küche zurück. Da fiel mir ein, dass ich eigentlich auch noch einen Brief schreiben wollte. Später! Wenn ich kochte, war in der Küche kein Platz für meinen Laptop, und an Christians großen PC wollte ich nicht gehen, ich wusste, das hatte er nicht so gerne.

Ach herrje, ich hatte ja die Post abgeholt, die musste ich ihm noch auf den Schreibtisch legen! Ich fischte den Stapel aus der Handtasche und sah ihn flüchtig durch. Büro – Büro – Büro – Christian privat (ah, seine Mutter!) – Büro – Büro – Rechnung – Rechnung – Büro – einer für mich, von einem Anwalt. Was hatte mir ein Anwalt denn zu schreiben? Ich kriegte doch sonst höchstens Briefe von einer ganz weit entfernten Cousine, die von den Heldentaten ihrer Kinder berichtete? – Büro – Büro – Christian, von seinem Bruder. Ich stapelte die Briefe nach Büro und privat sortiert auf und stopfte den Anwaltsbrief in die Handtasche zurück. Eine neue Tasche brauchte ich bei Gelegenheit auch einmal, bei dieser hier war der der Henkel schon reichlich abgeschabt.

In der Küche überlegte ich, ob ich den Brief gleich lesen sollte, aber ein Blick auf die Uhr überzeugte mich, dass ich lieber mit der Pilzsauce weitermachen sollte. Sobald das Nudelwasser aufgesetzt war und die Pilzsauce leicht vor sich hinköchelte, hackte ich Zwiebeln für den Tomatensalat, den Christian so gerne aß. Ich wischte mir noch die Tränen aus den Augen, als mein Handy klingelte.

„Ulitz?“

„Hi Sarah, ich bin´s. Wie geht´s?“

„Ach, Cora. Prima geht´s mir, wie immer. Ich koche gerade. Was liegt an?“

„Nichts Besonderes. Ich sehe nur einem öden Abend entgegen, weil mein Liebster heute wieder mal seiner Mama das Händchen halten muss. Das Herz, du verstehst.“

„Hat die Alte eigentlich wirklich was am Herzen?“

„Ach wo! Sogar Freddy sagt, dass sie nur so tut, wenn er sich nicht so benimmt, wie sie das gerne hätte. Aber Schiss kriegt er eben doch, wenn sie herumröchelt und in einen Sessel plumpst. Sie guckt sich immer um, bevor sie einen Schwächeanfall kriegt, das hab ich schon beobachtet. Diese alte Hexe!"

Cora war arm dran mit Freddy, der der einzige Sohn einer angeblich kränklichen Witwe war und sich nicht recht traute, seiner Mutter zu sagen, dass sie mit dem Blödsinn aufhören sollte. Die Alte torpedierte jede zweite Verabredung, aber Freddy war ansonsten ein netter Kerl, deshalb blieb Cora mit ihm zusammen. Das Gröbste hatte sie mir vor zwei Wochen halb kichernd, halb wütend erzählt – die beiden schliefen gerade miteinander, und kurz vor dem Orgasmus klingelte Freddys Handy. Guter Sohn, der er war, ging er dran, ohne aus dem Rhythmus zu kommen, und erklärte seiner Mutter keuchend und stöhnend, wo ihre Herztropfen standen. Sie regte sich fürchterlich über die Geräusche auf, die aus ihrem Telefonhörer drangen, und beharrte so lange darauf, dass Freddy es offenbar auch am Herzen hatte, bis ihm der Kragen platzte: „Mensch, Mama, hast du mich adoptiert oder was? Wir bumsen gerade und du störst uns. Ciao!“

Cora musste so lachen, dass sie von ihm herunterrutschte, aber ihren Erzählungen zufolge wurde es doch noch eine rauschende Nacht. „Und was machst du heute Abend?“, fragte ich nur und versuchte, nicht an diese Szene zu denken, um nicht lachen zu müssen.

„Fernsehen und alte Fotos einkleben“, murrte Cora. „Und du?“

„Mal sehen. Christian müsste bald kommen. Er wollte mit mir über etwas Wichtiges sprechen...“

„Ist es das, was ich denke?“

„Ich weiß es nicht, aber ich hoffe es sehr. Aber gratuliere mir lieber noch nicht,

vielleicht erhöht er mir nur das Gehalt. Das wäre auch schon ganz nett, von dem, was er mir zahlt, kann ich das Auftreten kaum finanzieren, das er von mir erwartet. Ich ruf dich auf jeden Fall an, sobald ich etwas Genaueres weiß. Du bist ja zu Hause!“

„Ja, notgedrungen. Na, dann wünsche ich dir, dass Christian genau das sagt, was du dir so wünschst.“

Ich mischte den Tomatensalat durch und grinste still über Cora. Was hatten wir früher für Spaß gehabt, als wir noch zusammen die Uni unsicher machten! BWL war reichlich öde, aber ich fand ewig nicht dem Absprung in ein anderes Fach. Cora hatte nach acht Semestern und mehreren vergeblichen Anläufen, was die Mathescheine betraf, das Handtuch geworfen und war auf Mediadesign umgestiegen. Jetzt verdiente sie ziemlich gut in einer Agentur, die professionelle Webseiten erstellte und verwaltete. Ich hatte es weiter versucht – bei mir waren die Mathescheine nicht das Problem, eher die juristische Seite, die mir genau genommen völlig egal war. Im elften Semester hatte ich Christian kennen gelernt, und er hatte mir geraten, das Studium hinzuschmeißen und lieber Buchhaltung zu lernen. Das hatte mir tatsächlich mehr Spaß gemacht, und als er dann sein Steuerberatungsbüro eröffnete, konnte ich gleich bei ihm einsteigen.

Anfangs hatten wir beide etwas Angst – was, wenn keiner kam? Aber die Leute kamen! In Scharen, mittlerweile. Kein Wunder, wenn man bedachte, wie undurchsichtig das Steuerrecht geworden war; Leute, die irgendetwas absetzen wollten oder Steuersparmodelle suchten, kamen damit alleine nicht mehr zurecht, und Christian war wirklich ausgefuchst, seine Klienten/Mandanten machten einen ganz netten Reibach. In absehbarer Zeit mussten das Büro und die Wohnung abgezahlt sein, dann konnten wir uns auch einmal etwas gönnen. Einen Teil meiner bescheidenen Ersparnisse hatte ich mit Christian in einen geschlossenen Immobilienfonds investiert; in einigen Jahren musste sich das richtig lohnen. Und wie viel Steuern man da sparte! Gut, bei mir machte das nicht so furchtbar viel aus, da ich recht wenig an den Staat abzuführen hatte, aber bei Christian kamen schon erkleckliche Summen zusammen.

Ach ja! Er war so gescheit, so stilvoll – und auch ein guter Liebhaber. In letzter Zeit waren wir freilich nicht mehr so oft dazu gekommen, uns zu lieben, weil der Arme derartig im Stress war und oft einschlief, sobald er im Bett lag, aber ich wusste noch, wie zärtlich er sein konnte, wie sanft und wie rücksichtsvoll.

Mit Kindern wollten wir uns noch Zeit lassen, aber ich hoffte, dass auch Christian allmählich Interesse an dieser Frage bekam. Auch Männer mussten es doch reizvoll finden, sich zu reproduzieren? Mit einem kleinen Jungen samstags Fußball zu gucken oder gar zu spielen? Ihm etwas später zu erklären, mit welchen Tricks man sein Gesamteinkommen auf Null drückte? Ich grinste. Ja, das musste ihm gefallen! Fußball eher nicht, das war ihm zu proletenhaft. Christian spielte Tennis und hatte vor kurzem mit Golf angefangen. Golf hätte mich auch gereizt, es sah so geruhsam aus, aber Christian hatte mir erklärt, dass er Golf spielte, um dabei Kontakte zu seinen Mandanten zu pflegen, unter Männern. Dabei musste er seine Freundin/Sekretärin nicht mitschleppen, und zwei Aufnahmegebühren wären auch ganz schön teuer gekommen. Vielleicht später mal! Ich sah mich schon lässig abschlagen und dabei mit einer anderen Mutter plaudern, deren Kinder auf das gleiche feine Gymnasium gingen wie unsere. Wir könnten Pläne schmieden, ob unsere Söhne nach Harvard gehen und unsere Töchter debütieren sollten – oder umgekehrt, fügte ich im Stillen hinzu, entsetzt über meinen unemanzipierten Denkansatz.

Natürlich, in Christians Welt hatten die Männer das Geld und die Frauen den teuren Geschmack. Schade, dass es immer noch so wenige Frauen mit ordentlich Geld und/oder hohen Einkünften gab – mehr Mandantinnen würden Christian sicher zeigen, dass mit den Frauen in Zukunft zu rechnen war!

Ich kippte die Nudeln in das sprudelnde Wasser und drehte die Hitze zurück. Ein wenig aufbrezeln sollte ich mich auch noch, wenigstens den Zwiebelsaft von den Fingern waschen, bevor ich mir damit noch in die Augen fuhr!

Unser großes Bad neben dem Schlafzimmer sah aus wie aus dem Katalog. Es war lindgrün gekachelt, alle Armaturen aus Messing, die Abschlusskante in Dunkelgrün und Gold, fast wie an der Hausfassade, und überall hingen dicke hell- und dunkelgrüne Handtücher mit schmalen Goldkanten. Auf der gekachelten Ablage standen Christians Kosmetika, die farblich gut hierher passten. Meinen eigenen Kram hatte ich freiwillig im verspiegelten Schrank versteckt – es gab einfach nichts, das mir gut tat und farblich passende Flaschen aufwies. Rosa Gesichtswasser andererseits oder eine silberne Puderdose hätten das Ambiente ruiniert.

Ich warf einen Blick in den Spiegel und wischte mechanisch einen Spritzer weg. Etwas müde sah ich aus und erhitzt. Ich fuhr mir mit einem tonicgetränkten Wattebausch über das Gesicht und puderte mich dann frisch. Ja, jetzt ging es wieder. Keinen Lippenstift, Christian fand rote Lippen ordinär, und mein Mund war auch wirklich groß genug. Dafür war die Nase etwas zu klein. Aber die großen, goldbraunen Augen gefielen mir selbst nicht schlecht. Für die paar Sommersprossen auf der Nase war ich nachgerade zu alt, aber leider verschwanden sie nicht so einfach wie der Babyspeck. Ich bürstete einmal durch meine schulterlangen mittelbraunen Haare und zupfte dann sorgfältig die Haare aus der Bürste. Christian liebte es nicht, wenn Haarbürsten so verspeckt aussahen. Ich spülte Haare und Wattebausch in der Toilette weg, tupfte mir etwas Parfum auf den Hals (viel war nicht mehr in der Flasche) und drehte mich prüfend vor dem Spiegel. In Ordnung, ja. Bei Gelegenheit sollte ich wieder einmal einige Reis-und-Obsttage einlegen, ich fand mich etwas pummelig. Christian stand aber nicht auf dürre Frauen, versicherte er mir immer, „aber auf Moppel natürlich auch nicht. Du bist genau richtig, Sarah, bleib so!“

Das hatte ich auch vor. Mutti wäre sicher stolz auf mich, überlegte ich, als ich die Nudeln abgoss und sie in eine Pfanne kippte, um sie ganz leicht anzurösten, wie Christian es liebte. Bald wäre ich ordentlich verheiratet, und wenn ich dann ein Kind – oder mehrere – kriegte, müsste ich mich nicht alleine durchschlagen.

Mutti hatte es fertig gebracht, im zweiten Semester schwanger zu werden und dann herauszufinden, dass der Kommilitone, der ihr dazu verholfen hatte, einen falschen Namen angegeben hatte und nie mehr auftauchte. Mein unbekannter Erzeuger war also ein echtes Schwein! Mutti hatte das Studium notgedrungen abgebrochen – Anfang 1971 war man an der Uni in puncto Kinderkrippen und Babys in der Vorlesung noch nicht so liberal – und sich einen Job gesucht, um sich und mich zu ernähren. Ihr Vater hatte ihr einen langen Vortrag zum Thema Wie man sich bettet, so liegt man gehalten und alle weitere Unterstützung abgelehnt. Die Möglichkeit, ihn zu verklagen, hatte sie gar nicht in Betracht gezogen, außerdem hatte sie ja dann einen Job und damit keinen Bedarf mehr an Zuschüssen. Toll waren ihre Jobs nie gewesen, einfache Büroarbeiten, aber es reichte für uns beide und eine kleine Wohnung, eineinhalb Zimmer (ich bewohnte das halbe und war schnell darin geübt, zu kochen und Muttis vernünftige kleine Tochter zu sein). Eigentlich hatten wir es sehr gemütlich, und viele meiner Mitschülerinnen hatten genauso wie ich kein Geld, um mit ins Skilager zu fahren oder an der Studienfahrt teilzunehmen. Und ich war auch nicht die einzige, die neben der Schule im Supermarkt Regale auffüllte oder Briefe sortierte. Nach der Pubertät hatte ich nie mehr nach meinem Vater gefragt, und der Rabenopa war hoffentlich seit Jahren tot und schmorte in der Hölle – eine Zwanzigjährige mit einem Baby sich selbst zu überlassen! Ich wusste nicht einmal, wie er geheißen hatte, denn ich hatte immer den Verdacht gehabt, dass er Mutti gezwungen hatte, ihren Namen zu ändern, damit er nicht mit seiner verkommenen Tochter in Verbindung gebracht werden konnte.

 

Jetzt könnte ich Mutti alles zurückgeben, was sie für mich getan hatte, dachte ich traurig und wendete vorsichtig die Nudeln in der Pfanne, aber sie war vor sechs Jahren bei einem Unfall ums Leben gekommen – ein Auto war in der Rubensstraße ins Schleudern geraten, auf den Bürgersteig geraten und hatte Mutti, die dort nach einem Geburtstagsgeschenk für mich gesucht hatte, erfasst. Sie war sofort tot gewesen, erst vierundvierzig Jahre alt. Um die Beerdigung zu bezahlen, hatte ich fast alles verkaufen müssen, was wir besessen hatten, und danach ein unmöbliertes Zimmerchen bezogen. Und ein Jahr darauf war Christian gekommen und hatte mich in ein Leben ohne Aldi-Sonderangebote und wacklige Baumarktmöbel entführt. Sicher, ich musste immer noch sparen, um von meinem kleinen Gehalt alles das zu finanzieren, was Christian von mir erwartete, aber es ging mir doch nun deutlich besser als vorher. Schon dafür liebte ich ihn – aber nicht nur dafür.

Jetzt konnte er aber langsam kommen, die Sauce wurde nicht besser, wenn sie noch länger vor sich hinblubberte! Ich füllte den Sektkühler mit Eiswürfeln und stellte ihn wieder auf den Esstisch, trug das Parmesanschälchen mit dem italienischen Silberlöffelchen, das Christian mir vor einigen Jahren geschenkt hatte, ins Esszimmer und sah nervös auf die Uhr. Zehn nach acht! Wo blieb er denn? Die meisten Mandanten waren doch nicht gar so zeitraubend? Andererseits war das vielleicht jemand, der wieder andere Kunden anschleppte und uns so noch richtig reich machte! Also rührte ich weiter in der Pfanne herum und achtete darauf, dass die Pilzsauce nicht ansetzte.