Das Kleingedruckte in der Ehe

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Das Kleingedruckte in der Ehe
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Ela Schweers

Das Kleingedruckte in der Ehe

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Impressum neobooks

Kapitel 1

Das Kleingedruckte in der Ehe

Das Wasser in der Badewanne ist schön heiß, der Lack an meinen Nägeln blau und schwer abzukriegen. Beim abbeizen schweifen meine Gedanken ab. Nun bin ich das zweite Mal aus meiner Ehe ausgezogen. Beim ersten Mal hat mein Mann mich vor die Tür gesetzt, es gab da eine Neue. Lange, dunkle Haare, rauchige Stimme, ansonsten, na, vergiss es. Jedenfalls wurde sie geliebt und wollte geheiratet werden. Nur gab es da noch mich, seine Frau. Da es mit mir sowieso nicht mehr klappte, musste ich ausgetauscht werden.

Ich sollte wohl auch erzählen, wie es dazu gekommen ist. Johannes, mein Mann und ich, ich heiße Gaby, haben 1988 geheiratet. Zu dieser Zeit hatten wir schon eine kleine zweijährige Tochter, Denise. Bis zu dem Drama, das 1992 begann, war alles in Ordnung. 1991 wurde unsere zweite Tochter, Katharina, geboren. Im Oktober des Jahres sind wir alle in ein neues Haus gezogen. Es wurde mit viel Liebe und Farbe hergerichtet.

Ich sollte wohl auch erwähnen, das Johannes aus seiner letzten Ehe noch drei Kinder hat. Melina und Daniela, Zwillinge, adoptiert. Saskia, leibliches Kind. An den Namen sieht man schon, alles Mädchen. Die drei Mädchen kamen in den Ferien immer zu uns. Nicht einen Teil der Ferien. Nein, alle Teile. Die Mutter hatte Ferien und wir den Stress.

Mein holder Gatte ist selbständig, hat eine eigene Firma und verdient etwas besser. So war es für ihn kein Problem, fünf Mädchen etwas zu bieten.

Wie ich schon sagte, das Drama begann 1992. Sommerferien. Saskia fragte ganz beiläufig, was wohl wäre, wenn sie alle bei uns wohnen würden? Sie hatte sich gedacht, so in einem Jahr ganz zu uns zu ziehen. Schock, lass nach. Mir sträubten sich die Nackenhaare. Doch der Adrenalinspiegel ging schon wieder nach unten. In einem Jahr, da konnten sie sich schon alles wieder anders überlegt haben ……, dachte ich.

Eine Woche vor Schulbeginn, Samstag, fuhren die Mädchen wieder nach Hause. Ich hatte Lina noch gebeten, am Samstag darauf als Babysitter zu fungieren. Am Sonntag ist mein Mann auf Geschäftsreise gefahren, wie so oft. Montag rief Saskia mich an.

“Hallo, Gaby”

“Hallo, Saskia. Noch was vergessen?”

“Nein, wir haben Mama erzählt, dass wir zu euch ziehen wollen.”

“Und nun darf Lina am Samstag nicht kommen, oder was?”

“Doch … “

“Abeeerrr?”

Schweigen. Was kam nun? Meine Nackenhaare sträubten sich schon wieder.

Sch ….., verdammt. Was kommt nun?

“Saskia, bist du noch da?”

“Ja, wir kommen alle.”

“Wie, ihr kommt alle?”

“Mama hat gesagt, wenn wir zu Papa ziehen wollen, dann sofort. Und nicht erst nächstes Jahr.”

“Hat sie euch jetzt rausgeschmissen?”

“Mmmmh.”

“Na fein, und nun? Was soll ich denn jetzt machen, euer Vater ist nicht da. Wo wollt ihr denn alle schlafen? Ist gut, ist gut. Ich werde mit euerem Vater reden und dann sehen wir weiter. O.K?”

“Ja, o.k. Rufst du mich morgen an?”

“Ja, mach´ ich. Nun schlaf erst mal ´ne Runde und sag` Llina und Dani, es wird schon werden.”

Nun war guter Rat teuer. Wohin mit drei Mädchen? Hals über Kopf und von heut auf gestern. Unser Haus hatte im Erdgeschoss ein Wohnzimmer, und Schlafzimmer. Im Obergeschoss vier Zimmer. Zwei davon waren von Denise und Katharina bewohnt. Eines hatte ich mir als Gästezimmer hergerichtet. Das vierte Zimmer hatten Johannes und ich uns als Eisenbahner- und Malzimmer eingerichtet (ich male nebenbei auch noch). Der Abend kam und Johannes´ allabendlicher Anruf auch.

Wie bringt man einem Wolf bei, dass er nicht mehr heulen darf? Mist, alles bleibt an mir hängen.

“Hallo, Gaby.”

“Hallo, Johannes.”

“Schläfst du schon?”

“Nö, ich habe auf deinen Anruf gewartet. Saskia hat mich angerufen. Sie hat Katrin (so heißt die Mutter) erzählt, dass sie nächstes Jahr zu uns ziehen wollen. Da hat sie die Kinder vor die Tür gesetzt. Sie kommen alle am Samstag.

“Ach du Scheiße.”

“Genau, und nu?”

“Wo sollen denn alle schlafen?”

“Weiß ich noch nicht, da wirst du wohl dein Eisenbahnzimmer wieder hergeben müssen. Da schlafen erst mal Lina und Dani. Mein Gästezimmer wird Saskia wohl bewohnen müssen. Es muss erst mal gehen.

“Du machst das schon (ein Satz, den ich noch oft hören sollte), ich ruf´ dich morgen wieder an. Schlaf schön.”

“Ja, du auch.”

Schlaf schön, sehr witzig. Der Mann hatte Humor. Wer muss denn nun die ganze Woche muddeln. Na, ich doch. Zwei Kinder, das kleinste ein Jahr alt. Ein großes Haus, ein großer Garten. Aber jetzt schlaf´ ich erst mal.

Am nächsten Morgen war der erste Anruf schon um acht Uhr: Johannes.

“Na du.”

“Hallo.”

“Hast du dir schon was überlegt?”

“Ja. Ich werde unser Zimmer erst mal ausräumen, da kommen dann die Zwillinge rein. Am Samstag ist dann der Umzug. Wenn du am Samstag kommst, kannst du deinen Anzug gleich gegen eine Jeans austauschen. Das wird eine Hetzerei.”

“Na gut, wir sehen uns am Samstag. Du machst das schon.”

Da war es wieder: Du machst das schon. Dann fang ich doch mal an. Denise erst mal in den Kindergarten. Katharina gefüttert, gewickelt und schlafen gelegt.

Dieses Kind schlief sich auch wild durch den Tag.

Zuerst die Eisenbahn wieder abgebaut. Das wird schmerzen. Man(n) gönnt sich ja sonst nichts. Staffelei wieder zusammengelegt. Farben, Pinsel und alles, was dazugehört, auf den Dachboden. Ob ich je wiedersehe? Doppelbett Schrauben raus. Zerlegt und hinüber ins freie Zimmer. Doppelbett Schrauben wieder rein.

Nun ist mein schönes Gästezimmer wieder leer. Das wird demnächst von einem Teenie belegt. Hoffentlich ballert sie mir da keine Löcher in die Wände.

Ich setze mich erst mal auf den Fußboden, schaue mir das leere Zimmer an und werde doch glatt zum Heulbolzen.

Auf was lass´ mich da bloß ein?

Diese drei Kinder sind doch Halbwilde, in der Pubertät. Kenne ich sie überhaupt? Mit Namen, ja. In den Ferien, auf der Sonnenseite. Wie sieht der Alltag aus? Hat jemand einen Rat für mich? Bitte melden unter Chiffre! Dann habe ich ab Samstag mit einem Schlag fünf Kinder. Alles Mädchen. Na toll.

Ich habe mit meiner Familie drüber gesprochen (die besteht aus Bruder, Schwester, Mutter und Stiefvater), meine Cousine und meine Freundin mussten sich mein Gejammer auch anhören. Alle fanden es wunderbar und tapfer. Aber was wollte ich wirklich hören? Das ich verrückt bin? Dass ich es besser lassen sollte? Es wird nie gut gehen? (Ist es ja auch nicht. Aber das wusste ich da noch nicht).

Nun, ich bin schon groß, ich bin stark. Ich schaff´ das schon. Kommt einem doch bekannt vor. Ich höre das Geweine jetzt schon. Aber du lieber Gott, da weint tatsächlich jemand. Schon zwei Stunden vergangen. Katharina weint. Dieses warme, weiche Wesen tröstet mich unglaublich. Nun wird erst mal gekuschelt, und dann werden wir die andere Kuschelmaus abholen.

Die Zimmer sind erst mal fertig. Tür zu und bis Samstag nicht mehr dran denken.

Samstag morgen. Nun ist er doch gekommen, dieser furchtbare Tag. Niemand hat Erbarmen mit mir. Meine beiden Kinder habe ich zu meiner Mutter gebracht. Es wird viel gefahren, und da kann ich mich nicht um sie kümmern. Samstag morgen kommt mein Mann von seiner Reise zurück, wie gesagt, so auch getan. Anzug gegen Jeans austauschen.

Wir waren gar nicht frohen Mutes. Das Wetter allerdings auch nicht. Sturm und Regen waren angesagt. Abends gegen sechs Uhr sind wir dann für die erste Fuhre losgefahren. Weil die Entfernung circa 35 Kilometer beträgt, sind wir mit zwei Autos gefahren. Mein Mann und ich haben jeder ein eigenes Auto. Das Wetter hat uns viel Glück gewünscht, gab uns viel Regen und Sturm. Wenn das kein schlechtes Omen ist. Ich hab´ das einfach nur für ein Scheißtag gehalten.

Auf dem Weg dahin ist uns alles mögliche in den Weg geflogen. Äste lagen auf der Straße. Der Wind heulte und ich auch. Vielleicht hätte ich doch wieder umkehren sollen. Endlich waren wir da. Gott, nee, der Wind riss an meiner Tür und an meinen Haaren. Aussteigen, Treppe rauf, da flogen uns schon die Kinder entgegen. Papa hier, Gaby da, ach wie freuen wir uns doch. Freute sich auch die Mutter? Ich glaube nicht. Welche Mutter möchte schon freiwillig von ihren Kindern verlassen werden? Gut, es gibt Gründe dafür, hässliche Gründe, die ich hier nicht weiter erläutern möchte. In dieser Wohnung spielt sich heute eine Geschichte ab, die das Leben der Kinder, der Mutter und meines drastisch verändern wird. Ich erwähne den Vater nicht, das werde ich später noch begründen. Auf jeden Fall sind wir an diesem Abend zweimal gefahren. Das Bett von Saskia wurde mitgenommen und das Bettzeug aller Kinder. Alles lief ziemlich schweigsam ab. Aber auch sehr belastend. Katrin hat sich nicht sehen lassen, was ich gut verstehen kann. Also haben wir wie die Diebe die Wohnung verlassen und uns dem Sturm wieder ausgeliefert.

 

Zu Hause angekommen, wird alles ausgepackt, die schnatternden , aber auch müden Kinder ins Bett gepackt. Ich packte mich auch. Erst in die Wanne (nachts um elf, also na) und dann ins Bett. Eigentlich habe ich Bock auf Kuscheln, Trösten, Zuversicht verteilen oder ähnliches. Aber da ich schon groß und stark bin, alles schaffe und mein Mann müde ist, FÄLLT DAS AUS! Das übliche: “Schlaf schön”, wird nicht vergessen. Wow! Na dann, gute Nacht!

Kapitel 2
Ein anderes Frühstück

Es ist sechs morgens, aber ich bin schon wach. Meine Gedanken kreisen um das nächtliche Geschehnis. Mein Mann und die Kinder haben sich bestimmt keine Gedanken um die Mutter gemacht. Ich allerdings auch nicht. Hätte ich es sollen? Ich war doch froh, das die Kinder endlich von der Mutter weg waren. Vor allem Lina und Dani. Die Müdigkeit schleicht sich doch noch ein. Mir fallen die Augen wieder zu.

Ich werde durch das Getrampel der Mädchen über mir wach. Nun gut, es ist zehn Uhr, Frühstück ist fällig. Ich hatte den Freitag vorher schon eingekauft. Hoffentlich ist alles da und auch genug. Ich weiß ja, was die Kinder alles essen können, und das habe ich nun jeden Tag. Einkaufen und kochen für sieben Personen.

Wir haben alle schon so oft zusammen gefrühstückt. Aber heute ist es anders. Eine Beklemmung hängt im Raum, es verdirbt mir den Appetit, und wie ich beobachte, den anderen auch. Dieses Frühstück verändert unser aller Leben. Ab heute wird das immer so sein. Ein voller Tisch, die Bude voller Kinder und Probleme.

Ab heute ist das alles … MEINS. Aber wie Johannes immer sagt: “Du schaffst das schon.”

Und er, bitte schön, was möchte ER schaffen? Na, das Geld ran. Ist doch mehr, als ich jemals tun kann, oder?

“Herzlichen Glückwunsch, Gaby. Du hast soeben den zweiten Preis gewonnen. Das Haushaltsgeld wird erhöht und du bekommst zwei Zimmer mehr zum Saubermachen.”

Was wäre der erste Preis gewesen? “EINE REISE”. Warum hab´ ich immer nur Pech? An diesem wunderschönen Sonntag (na, jedenfalls hat sich der Sturm draußen gelegt) mssen wir leider noch ein mal zur Wohnung. Die Kinder brauchen ihre Klamotten und die Schulsachen, na eben den ganzen Firlefanz, den Mädchen so haben. Eigentlich war es auch mehr “Firle”, den “Fanz” konnten wir wegwerfen. Die Mädchen haben regelrecht in Müll gelebt. Die Schreibtische und Schränke fielen schon beim Hinsehen auseinander. Also haben wir es dagelassen. Warum hat Katrin bloß nie gesagt, das die Kinder neue Möbel brauchen? Es wäre doch für Johannes ein leichtes gewesen, neue Möbel zu kaufen (dachte ich, damals). An diesem Tag bekam auch die Mutter den Mund wieder auf.

“Na, du Vater meiner Kinder, das du mir außer dem Besuchsrecht auch den Müll hierlässt, ist genau das, was ich von dir erwartet habe. Darf ich mich verabschieden, oder muss ich erst einen Termin bei dir ausmachen?”

Johannes: “Ich weiß nicht, warum du mich so angreifst. Die Kinder sind ohne Zwang zu uns gekommen. Warum wirst du nur so ausfallend?”

Katrin: “Weiß was, setz dich in dein Auto und verzieh dich.”

Die Abschiedsszene war lange und tränenreich, und mir war es unangenehm. Aber sollte ich ein schlechtes Gewissen haben? JA! Ich hätte den Kindern sagen müssen, dass sie bei ihrer Mutter bleiben sollen. Ich habe meine Gedanken auch stets für mich behalten. Besser ist es.

Kapitel 3

Die Vereinbarung

An diesem Tag haben wir uns mit den Kindern zusammengesetzt und einige Dinge, die wichtig waren, besprochen. Bei ihrer Mutter konnten sie tun und lassen, was sie wollten. Sie glänzte durch regelmäßige Abwesenheit, die auch den ganzen Tag kostete. Die Mutter war begeisterte Scientologin, und diese Aktivitäten dauerten auch schon mal bis in die Nacht. Bei uns war das nun mal etwas anders. Es gab bestimmte Zeiten, da wurde gegessen. Dann Zeiten, wo alle zu Hause sein sollten. Nun, eben alles regelmäßige Dinge. Da die Kinder nun auch nicht mehr für sich kochen mussten (es gab bei der Mutter meist nur Fischstäbchen und Nudeln) oder saubermachen (die ganze Wohnung, sauber, na ich weiß nicht), hatten sie Zeit für die Schule, für Freunde und zum Streiten. Das taten sie auch, ausgiebig. Davon später mehr, viel mehr. Nun, die Vereinbarung war eben das gegenseitige Versprechen, mit Problemen zu uns, zu mir zu kommen. Wenn ich Probleme hätte, dass auch ich eins bis vier offenen Ohren hätte. Mein Mann hat auch sein Dazutun versprochen, meine Sorgen (die da kommen werden) anzuhören. Nun, angehört hat er sich ja auch. Der Tag ging damit vorbei, dass alle gelobten, immer füreinander dazu sein. Sich zu lieben und zu ehren. Keinen unnötigen Frust anzusetzen. Die fünfe mal einen vor den Latz zu knallen. (Oder wie war das Sprichwort noch?) Aber da man(n) sich versprechen kann, … nun denn.

Kapitel 4
Der Alltag zieht seine Kreise

Die Kinder waren von mir in der Hektikwoche schon in der Schule angemeldet. Protest? Na, die Ferien sind zu Ende. Also war der erste Schultag nach den Ferien auch ihr erster Schultag.

Bücher und Hefte gab´s so nach und nach, es wurde neu bestellt. Bei die Kindern war das schon ganz ordentlich. Der Vater bekam schon mal einen Eindruck von den Kosten, die noch auf ihn zukamen, allerdings auch ein leicht grünliches Gesicht. Das Portemonnaie bekam schon Knitterfalten. Das Ritual morgens beim Aufstehen mussten wir erst noch kennenlernen. Ich war doch echt der Meinung, ein Stockwerk höher hausten Trampeltiere. Von dem Geschrei ganz zu schweigen. Oben gab es ein extra kleines Badezimmer. Gleichzeitig von allen dreien benutzt. Dieses Geschrei und Gezeter von Saskia hatte es ganz schön in sich.

“Du dumme Kuh, beweg deinen fetten Hintern (milde ausgedrückt) aus der Tür.”

“Mach die Tube wieder zu.” - “Hab´ ich gar nicht aufgemacht.” - “Das ist mir doch scheißegal.” - “Kannst du deinen Läusekamm nicht mit in dein Zimmer nehmen?” - “Wozu ham wir ein Badezimmer?” - “Bestimmt nicht, um deinen Dreck und Gestank zu ertragen.”

Wer hat was zu wem gesagt? Ich weiß es nicht. Hab` ich das in den Ferien nicht gehört? Oder sind die Sonntagsgesichter versteckt worden? Irgendwie haben wir es geschafft, einen Regelung zur Benutzung zu finden. Es wurde zwar nicht friedlicher, aber leiser. Schließlich wohnten auf der Etage noch zwei Kinder, da musste der Lärm nun mal gedämpft werden.

Dran gewöhnen musste ich mich schon. Schließlich war vorher alles so ruhig. Meine Kinder machten diesen Lärm noch nicht. Schimpfwörter kannten sie auch noch nicht. Aber ich sollte keine Sorgen haben, das werden sie schon noch lernen. Tag für Tag wird ihnen das jetzt vorgeführt.

Monate gingen ins Land, und meine Nerven fingen schon mal an zu packen (noch war es eine Reisetasche).

Weihnachten hatten wir hinter uns und ein paar Geburtstage ebenfalls. Wir schafften immer vier in zwei Monaten. Im Januar wurde Saskia 13. Im Februar hatten die Zwillinge und ich am gleichen Tag Geburtstag. Die beiden wurden 14, und ich, nee, sag´ ich nicht.

Irgendwann war ich der Meinung, dass ich den dreien schon mal ein bisschen Hausarbeit zeigen könnte. Mit dieser Meinung stand ich allerdings alleine da. Wäsche von sieben Personen zu waschen, bügeln und zusammen zu legen, ich meine, das ist doch viel. Nachdem ich nun statt zweimal die Woche fünfmal die Woche waschen musste, hatte ich auch echt keinen Bock mehr. Zumal ich die Wäsche auch noch auf eine Treppenstufe gelegt habe, zum Mitnehmen, die Wäsche nach drei Tagen aber immer noch dalag (es konnte keiner erkennen, wem sie gehörte, da fühlte sich niemand verpflichtet), hatte ich die Faxen dicke. Meine desolaten Nerven machten sich bemerkbar, und ich fing an zu …. schreien.

“Was soll das bitte schön werden, hä? Was glaubt ihr, wer ich bin, euer Neger? Ich glaub´ ich spinne. Meine Zeit besteht nur noch daraus, für euch zu waschen, einzukaufen, zu kochen und euch hniterherzuräumen.”

Saskia hatte schon die Frechheit besessen, ihre dreckige Wäsche vor der Kellertür (Keller ham wir auch noch) abzulegen. Auf meine Frage, was das denn werden solle, meinte sie: “Kannst mit runter nehmen, wenn du in den Keller gehst.” Ihr zu sagen, dass sie wohl nicht ganz dicht sei und in den Keller scheuchen, war eins.

Mit der Zeit habe ich angefangen, die Wäsche auszusortieren. Ich hatte bemerkt, dass nicht getragene Klamotten aus Faulheit wieder in der Wäsche landeten. Aus dem Schrank gerissen, gefällt nicht, ab in die Wäsche.

DAS HÖRT NUN AUF: AB SOFORT.

Das Aufhören fing damit an, dass in der Küche einige Aufgaben an die Mädchen herangetragen wurden. Müll raus bringen. Kartoffeln schälen und den Tisch decken. Mit der Wäsche hab´ ich auch über gleich einiges geändert. So kleine Berge von heller Wäsche konnten die Mädchen nach vier Wochen, ohne sie zu verfärben, bewerkstelligen. Die Waschfarbe ging aber auch über alle Farbvarianten. Sah gut aus, und die Schreierei hatte es dann aber auch ganz schön in sich. Da war doch die bescheuerte Kuh von Lina zu dämlich zum Waschen, meint Saskia. Und Dani hat den Schuss sowieso nicht gehört, die lässt sogar das Wasser anbrennen. Saskias Repertoire an Schimpfwörtern nahm kein Ende. Aber meine Geduld war fast zu Ende.

Saskia hatte von ihrer Mutter mit der Zeit mitbekommen, dass die Zwillinge nichts wert waren, jedenfalls wurden sie so behandelt. Die Mutter hatte ihr vorgemacht, dass die beiden der letzte Dreck seien. Die Mädchen taten mir immer sehr leid. Sie sind eigentlich höfliche und freundliche Mädchen. Was ich von Saskia nicht sagen konnte. Sie war aufsässig und frech. Immer nur freundlich, wenn sie ihre Vorteile darin sah.

Ich war immer der Meinung, die Mädchen würden sich gegenseitig stützen und sich helfen. Sie waren doch immer alleine und mussten ihr Leben alleine bewältigen.

Nun, da sie Tag für Tag in unserem Haus waren, musste ich mit Schrecken feststellen, dass sie sich hassten wie die Pest. Diesen Hass lebten sie auch ganz schön aus. Sie machten sich gegenseitig so fertig, das ich nicht mehr wusste, was ich tun sollte. Also rief ich den Vater auf den Plan und um Hilfe. Da er mir ja sein Versprechen gegeben hatte, zu helfen, nun, also erzählte ich ihm, was in den letzten Monaten hier abgelaufen war.

Ich ließ nichts aus. Da ich immer sehr heftig reagierte, wenn ich etwas erzähle was mich aufregt, redete ich mich Händen und Füßen und sehr laut. Ich habe mich nicht beschwert, sondern einfach nur dargelegt, dass ich nicht mehr weiter wusste.

Ich fragte ihn: “Nun, was sagst du dazu?” (Ich will immer gleich eine Antwort und Klärung.)

Er meinte: “Ich weiß nicht, was du von mir willst. Warum greifst du mich so an?”

“Ich greife dich nicht an, ich erzähle dir doch nur, was hier passiert, und will einen Rat von dir.”

“Und was soll ich deiner Meinung nach tun?”

“Wenn ich das wüsste, brauchte ich dich nicht zu fragen.”

“Nun wird doch nicht gleich komisch.”

“Ich werde nicht komisch (schon etwas lauter), reden wir jetzt von deinen Kindern oder von dir?”

Keine Antwort. Haste davon. Warum schreist auch immer gleich. Seine Augen wurden immer kleiner und das Gesicht länger. Diesen Ausdruck im Gesicht sollte ich noch gut kennenlernen. Jegliche Diskussion konnte ich mir dann abschminken. Auf Probleme hatte mein Mann keinen Bock. Aber das hatte ich da noch nicht so ganz mitgekriegt. Wir hatten noch nie so ernsthafte Probleme. So fing an diesem Tag der Anfang vom Ende an. Schlich sich langsam in unsere Ehe und in meine Gefühle. Dieser Tag endete damit, dass unser Sexleben einen Dämpfer bekam. Und gerade dieses Leben war bei uns immer eine aufregende Sache. Ungeklärtes konnte mich irre machen. Ich fühlte mich unverstanden und allein gelassen. Mein Mann sprach nicht mehr davon. Er hatte es sich nicht überlegt, mir zu helfen. Er ließ es auf sich beruhen. Irgendwann habe ich mich beruhigt, aber ich hatte immer noch die gleichen Probleme.

 

Die nächsten Tage schlich ich nur noch durchs Haus und fühlte mich elend.

Ich hatte Probleme, mit den drei Mädchen unkompliziert umzugehen. Ich machte ihnen leise Vorwürfe, dass meine Ehe Risse bekam.

Mittlerweile war ich auch soweit, dass sie ihre Mistwäsche alleine waschen mussten. Aber jeder für sich. Gegenseitig waren sie nicht bereit, sich zu unterstützen. Was ihnen nicht gehörte, wurde nicht aufgehoben oder weggeräumt. Einfach drüber weg steigen. Diese Kinder waren so ichbezogen. Ich war einfach ratlos. Also traute ich mich noch mal an Johannes ran.

“Ich müsste mal mit dir reden, es geht um die Kinder.” Da war es schon, das lange Gesicht und die kleinen, glänzenden Augen. Na toll.

“Die Kinder sind einfach nicht bereit, sich gegenseitig zu helfen. Sie schreien sich an, die Schimpfwörter werden obszön. Saskia hat keinen Bock, in der Küche mitzuhelfen. Sie hat dann immer zu tun oder muss weg. Die Zwillinge verwandeln ihr (unser) Zimmer in ein Schlachtfeld. Wenn ich etwas sage, sehe ich hochgezogene Augenbrauen. Dann wird oben die Tür geknallt und geschimpft. Du musst unbedingt mit ihnen reden.

(Ich hab´ schon mal die ganzen Sachen der Zwillinge aus dem Fenster gekeilt, das war ein Spaß.)

“Meinst du, wenn ich ihnen rede, wird es besser? Von mir werden sie sich erst recht nichts sagen lassen, ich bin doch kaum da.”

Eben, das war ja das Problem. Er bekam nichts mit. Er hielt sich aus allem raus. Basta. Thema beendet. Das war das Ding mit dem Versprechen, mir zuzuhören.

Von Helfen keine Spur. Meine Wut kroch so langsam, aber sicher über meinen Adrenalinspiegel. Er kann mir doch nicht drei Kinder überlassen, ohne mir zu helfen. Doch, er kann, und wie. Ich merkte bald, das ich auf verlorenen Posten stand. Ich wurde immer unzufriedener. Meine Laune wurde immer schlechter, ich wurde aggressiver und lauter. Das einzige, wo ich meine schiere Freude dran hatte, waren meine beiden kleinen Mädchen. Da war ich ruhig, leise und kuschelte, was das Zeug hielt. Sie waren meine Sonne.

Mittlerweile war es mir auch zu dumm, dass Denise und Katharina alles abbekamen, was da oben ablief. Saskia fing an, auch sie zu beschimpfen. Mit Denise spielte sie ein ganz “tolles” Spiel. Denise musste Pferd sein, dann konnte Saskia ihr immer in den Hintern treten, weil das Pferd so lahm ….. (den Rest lass ich weg) war. Als ich das sah, bin ich ausgerastet.

“Sag mal, was fällt dir denn ein, Denise ständig in den Hintern zu treten?”

“Sie will doch Pferd sein, und wenn sie lahm ist, muss ich sie doch antreiben.”

“Aber nicht mit Fußtritten.”

Mehr als ein Grinsen von ihr war nicht drin. Es war zum Aus-der-Haut-Fahren.

Ich hatte nach einem Jahr die Faxen von diesen Kindern so dicke, am liebsten hätte ich sie wieder nach Hause geschickt. Ich kam einfach nicht mehr klar. Ich brauchte Hilfe. Aber wie die aussehen sollte, das wusste ich nicht. Auf jeden Fall konnte es so nicht weitergehen. Ich war der Meinung, wenn jedes der Mädchen ein eigenes Zimmer hätte, dann werden sie ruhiger. Jeder ihr eigenes Reich, und die Erlösung wäre da. Wie ich schon erwähnte, haben wir einen großen Garten. An der Hausseite zur Straße war viel Platz. Da sollte dann der Anbau hin. Meine kleinen Süßen sollten diese Zimmer haben. Wieder nach unten, in meine Nähe, wo sie dem Geschrei nicht so nahe sind. Ein Architekt (ein ganz netter) wurde herbeigerufen und sah sich die Sache an. Hat eine tolle Skizze gemacht, in dieser waren auch Tipps zu einer neuen Fenstergestaltung und zu einem Biodach, wunderschön bepflanzt, enthalten. Die Haustür würde dann nicht zu allem passen. Also Austauschen leicht gemacht. In dieser Skizze hieß es, das der Flur länger wurde, um zu den beiden neuen Zimmern zu gelangen. Das Badezimmer sollte auch vergrößert werden. Daneben war noch ein kleines Zimmer rangeklatscht, also war es keine Frage, die Zwischenwand musste weg.

Nachdem das Wie und Wo geklärt war, brachte der Architekt unser Anliegen zum Bauamt. Musste nun auch genehmigt werden. Da wir auf weiteren Keller verzichteten und nur oberhalb der Erde gebaut werden sollte, war der Antrag schnell durch.

Johannes hatte auch schon zwei Maurer parat, die nur darauf warteten, anfangen zu können. Diese Maurer waren schon etwas älter und somit in ihrem Job bewandert. So ging alles schnell von der Hand. Ich sollte wohl sagen, mit der Hand. Was diese Männer in kurzer Zeit geschafft haben ist des Lobes wert. Es wurde mit der Hand gegraben, mit der Hand Sand herbeigekarrt. Sogar das Mischen von Mörtel wurde von Hand bewerkstelligt. Natürlich waren Schaufel, Schubkarre und sonstige Utensilien dabei.

In dieser Zeit des Mauer Hochziehens freundeten wir uns an. So wurde viel gelacht, gescherzt und viel Kaffee getrunken.

Es wurde mir bewusst, dass ich all diese Dinge viel zuwenig mit Johannes tat. Aber wann, bitte schön? Er war nie da. Hatte kein Interesse an meinen Sorgen und Nöten. Auch nicht daran, irgend etwas zu tun, dass diese Zeit zum Leben wiederkam.

Ich hatte den leisen Gedanken, da nun alles geschafft war, was er wollte: Kinder in die Welt setzen, ein Haus bauen (seine Firma war dieses Haus), beruflich alles erreicht, dass er uns vergessen hatte. Er hatte alle seine Kinder beisammen und die Frau dafür, die alles schaffte. Und zu Hause lief alles wunderbar und nun ist Schluss mit LIEBE und GEFÜHLSDUSELEI.

Nun bekam ich wohl auch noch meine Depriphase. Na, das fehlte mir noch. Inmitten von Staub und Dreck konnte ich das nicht gebrauchen. Obwohl es beim Mauern mit dem Dreck gar nicht so schlimm war.

Der kam erst, als die Mauern standen und die Fenster drin waren. Nun kam der Durchbruch zum Flur, unserer Seite, zu den Zimmern hin. Die Wand zwischen Bad und Angeklatschtem musste entfernt werden. Damit ging der Staub und Lärm erst richtig los.

Inzwischen waren die Maurer und ich nicht mehr alleine. Fenster einsetzen, Kabel verlegen und Heizungsrohre legen, dafür waren wieder andere Handwerker zuständig. So schwirrten bei uns außer dem Architekten, den Kindern und meiner Wenigkeit allerhand Leute rum. Wer nun wann was tat, wusste ich nicht. Auf jeden Fall ging es voran. Der Streit und Hass der Mädchen ging auch gut voran. Sie tobten sich aus.

So war ich also von dumpfen Hammerschlägen, Bohrmaschinen und schreienden Kindern umgeben und ein Ende war nicht abzusehen. Ich konnte aber voraussehen, dass meine Nerven bald das zeitliche segneten. Ich war fix und fertig. Aber womit? Wofür? Mit wem?

Ich hatte in dieser Bauzeit auch von den drei Mädchen keine Unterstützung. Sie halfen nicht beim Saubermachen oder beim Aufräumen. Sie waren nicht bereit, für mich einzukaufen oder sonstiges für mich zu tun. Sie stritten sich mit Hingabe und vergaßen, dass dieser Anbau eigentlich nur ihretwegen geschah.

Ich betrachtete diese Zeit als Bewährung unserer Ehe. Dieser Anbau, der auch zum Umbau anderer Räume genutzt wurde, der Geduld und Zeit brauchte bis er fertig war, strahlte am Schluss vor Glanz und Helligkeit. Nur bei mir war mittlerweile Glanz und Helligkeit verschwunden. Ich kam mir vor, als lebte ich in einer Höhle. Die einzigen, die noch zu mir durchdringen konnten, waren meine beiden Mädchen.

Sie waren mein Leben. Sie hielten mich wach.

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