Böse ist der Mensch?

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Aus der Reihe: Böse #1
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Böse ist der Mensch?
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Böse ist der Mensch, nicht gut?

- Kurzgeschichten -

Von Ekkehard Wolf

Vorbemerkung

Es gibt Situationen im Leben, da muss man sich entscheiden. Sie wissen, wovon ich rede. Jetzt zum Beispiel. Eigentlich sind Sie schließlich ein guter Mensch, oder? Also jedenfalls gelegentlich, nicht wahr? Dass Sie trotzdem ausgerechnet diesen Titel angeklickt haben, ist daher ganz leicht zu erklären. Sie interessieren sich dafür, wie der andere Teil der Menschheit so tickt, richtig? Nun gut, ich denke, dann sind Sie hier prinzipiell richtig. Die kleine Sammlung böser Geschichten wird Ihre Zeit nicht allzu lange in Anspruch nehmen. An der einen oder anderen Stelle werden Sie sich vermutlich fragen, ob das alles so stimmen kann. Machen Sie sich darüber dann bitte nicht allzu viele Gedanken. Es gibt Dinge, die geschehen einfach. Natürlich steht es Ihnen frei den Versuch zu machen, den Wahrheitsgehalt der Geschichten zu recherchieren. Aber lassen Sie sich von den Ergebnissen nicht verunsichern. Das Leben geht bekanntlich weiter – jedenfalls für die diejenigen, die vorsichtig genug waren, zu wissen, wann sie besser die Finger davon lassen sollten. Für die anderen gibt es Nachrufe. Sie werden selbst feststellen, zu welcher Gruppe Sie gehören. Klicken Sie gern auf „kaufen“.

Kapitel:

Todesengel

Schutzengel

Racheengel

Grenzkontrolle

Lustig ist das Studentenleben

Angst

Verzweiflung

Erpressung

Dunkel war’s, der Mond schien helle, als ein Auto blitzesschnelle, langsam um die Ecke fuhr.

Geheimnisverrat

Auf die sanfte Art

Verzögerung I

Verzögerung II

Nachrichtensperre

Steine des Todes

Vorbei

Männer sind Schweine

Treu bis in den Tod

Abgetaucht

Lockvogel

Einkaufsbummel

Oktoberfestgetümmel

Todesengel

Die Augen der jungen Frau waren geschlossen. Obwohl die Sonne bereits aufgegangen war, schlief sie tief und fest. Ihr langes, blondes Haar lenkte den Blick auf ein mädchenhaft wirkendes Gesicht, dessen ebenmäßige Züge für den Betrachter schön anzuschauen waren. Die Rucksacktouristin hatte sich in ihren Schlafsack wie in eine Decke eingehüllt. In unregelmäßigen

Abständen kam ein Knie, ein Fuß oder ein Arm zum Vorschein. Einmal war sogar das entblößte Bein bis zum Oberschenkel zu sehen gewesen. Allem Anschein nach war die junge Frau eher zierlich gebaut. Wenn überhaupt, dann war die an dem schwer zugänglichen, felsigen Abschnitt des Strandes Liegende nur sehr spärlich bekleidet. Vermutlich war die Abgelegenheit des Strandabschnitts der Grund dafür gewesen, dass sie sich hier Menschenseelen allein zum Schlafen niedergelassen hatte. Die stark befahrene Straße mit all ihrem Lärm drang nicht bis zu der kleinen Bucht. Dafür sorgte das Rauschen des Meeres für eine Geräuschkulisse, die einerseits etwas Beruhigendes an sich hatte, zugleich aber auch dafür sorgte, dass leise Schritte am Strand kaum wahrnehmbar waren.

Die Blicke des Motorradfahrers ruhten bereits seit mehreren Minuten auf diesem Bild. Er hatte an der Straße eigentlich nur kurz gehalten, um zu urinieren. Auch er hatte sich für diese Stelle entschieden, weil er hoffte, hier unbeobachtet zu sein. Diese Erwartung hatte ihn nicht getrogen. Weit und breit war keine Menschenseele zu entdecken. Allein die junge Frau lag da unten, verführerisch wie eine unberührte Blume, die darauf wartete, gepflückt zu werden. Unwillkürlich musste er an das kleine Liedchen denken, dass ihm seine Mutter oft vorgesungen hatte. „Sah ein Knab’ ein Röslein stehn, Röslein, Röslein, Röslein rot, Röslein auf der Heide...“. Der richtige Text fiel ihm nicht mehr ein. Aber an das Ende vom Lied, an das glaubte er sich ganz genau zu erinnern. Der Biker spürte die Wärme der Sonnenstrahlen und zog es vor, seine schwere Ledermontur zunächst ein wenig zu öffnen. Unschlüssig suchte sein Blick wieder und wieder die Umgebung nach etwaigen Zeugen ab, um dann immer wieder auf der unbekleideten, schlafenden, zierlichen blonden Frau dort unten, nur wenige Dutzend Meter vor ihm am Strand haften zu bleiben. Er ertappte sich dabei, wie er unwillkürlich damit begann, sich vorsichtig seiner schweren Ledergarnitur zu entledigen. Seine Bekleidung darunter beschränkte sich auf ein ärmelloses Hemd und Boxershorts. Der Mann war hoch gewachsen und kräftig gebaut. Seine muskulösen Arme wiesen verschiedene, sorgfältig gestochene Tätowierungen auf, doch für diese interessierte sich in diesem Moment natürlich wirklich niemand. Ein weiteres Mal vergewisserte er sich davon, hier allein und völlig unbeobachtet zu sein und entschloss sich schließlich dazu, den weiteren Weg zur Bucht zunächst mit den Augen zu erkunden. Schnell konnte er feststellen, dass der Abstieg kein Problem darstellen würde. Immer noch etwas zögerlich bewegte er sich sodann vorsichtig in Richtung der schlafenden, jungen Frau mit den glänzenden, blonden Haaren. Bereits nach wenigen Metern musste er aber feststellen, dass der Verlauf des Weges ihm den weiteren Blick auf die Bucht versperrte. Er schaute zurück und nahm zufrieden zur Kenntnis, dass von hier ab auch der Blick zur Straße verwehrt war. Nach Lage der Dinge würde sich das auf dem weiteren Weg zur Bucht auch nicht ändern. Jetzt war sich der Biker endgültig sicher, dass die schlafende, junge Frau ihren Schlafplatz deshalb ausgesucht hatte, weil sie überzeugt davon war, dort unten allein und völlig unbeobachtet zu sein. Auf dem Gesicht des Bikers zeichnete sich ein zufriedenes Grinsen ab, für das sich in diesem Moment aber ebenfalls niemand interessierte. Er selbst spürte statt dessen, wie sich auf seiner Haut kleine Schweißperlen bildeten, die er mit einer schnellen Handbewegung aus seinem Gesicht wegwischte. Gleich hinter der nächsten Biegung hatte er wieder einen freien Blick auf die schlafende Frau unter ihrem zu einer Decke umgewandelten Schlafsack. Der große, kräftige Biker blieb stehen und duckte sich, ohne den Blick abzuwenden von der jungen, zierlichen, blonden Frau. Sie begann etwas unruhig zu werden. Fast erschien es dem fremden Beobachter so, als ob sie im Begriff war zu erwachen. Tatsächlich räkelte sich das Wesen da vor ihm, drehte sich dann aber auf den Bauch und schob die Decke mit einer schnellen Handbewegung von sich, wachte aber nicht auf. Den Augen des Bikers bot sich nunmehr der Blick auf die komplette Rückseite des Körpers der schlafenden jungen Frau. Wie bereits vermutet, war sie bis auf ein kleines Höschen unbekleidet. Bei den sommerlichen Temperaturen an dieser einsamen Bucht war das, wie der Biker fand, nicht besonders ungewöhnlich. Allerdings trug diese Aufmachung entscheidend dazu bei, seine Begierde zu steigern und seine Vorsicht abzuschalten. Er spürte, wie seine Erregung anstieg. Erneut wischte er sich die Schweißperlen aus dem Gesicht. Leise setzte er einen Fuß vor den anderen und näherte sich unaufhaltsam der auf dem Bauch liegenden Frau am kleinen Strand der einsamen Bucht. Für einen Moment drehte sich die Schlafende auf die Seite und gab so den Blick frei auf den vorderen Teil ihres Körpers. Als sie sich gleich darauf auf die andere Seite drehte, erschien es dem nur noch wenige Schritte entfernten, kräftig gebauten Mann so, als ob sie in der Rückenlage einen Augenblick verharrt hatte. Ganz deutlich hatte er wahrgenommen, wie die junge, zierliche Frau ihren Oberkörper nach oben gestreckt und es ihm so erlaubt hatte, einen kurzen Blick auf ihre wohlgeformten Brüste zu erhaschen. Gerade so, als ob sie ihn ermuntern wolle, nur jetzt nicht aufzugeben. Der Biker spürte, wie sein Atem schneller ging, aber er machte sich deshalb keine großen Sorgen. Ein weiteres Mal vergewisserte er sich, mit der schlafenden Frau direkt vor ihm allein und unbeobachtet an dieser uneinsehbaren und vom Lärm der nahen Straße abgeschirmten, kleinen Bucht zu sein. Inzwischen ging sein Atem so schwer, dass er Sorge hatte, die Frau vor ihm könnte von dem Geräusch erwachen. Die letzten Meter legte er daher jetzt ganz schnell zurück. Angekommen am Objekt seiner Begierde verzichtete er auf jede weitere Vorsichtsmaßnahme. Wortlos stürzte er sich auf die zierliche, junge Frau, die sich genau in diesem Augenblick mit weit aufgerissenen Augen auf den Rücken drehte. Erstaunt nahm er noch zur Kenntnis, dass aus ihrem Blick mehr ein Gefühl des Triumphes sprach, als Angst oder gar Entsetzen. Aber dem kräftig gebauten Mann mit den sorgfältig gestochenen Tätowierungen blieb nicht mehr die Zeit, um sich darüber zu wundern. Das Erstaunen wurde überlagert von diesem völlig unbekannten, extrem intensiven Schmerz, den er noch verspürte, als die dreieckig geschliffene Klinge unmittelbar unterhalb der kleinen Rippen links in seinen Körper eindrang und ihm die Aorta durchtrennte. Dann wurde ihm schwarz vor Augen. Die zierliche junge Frau mit den langen blonden Haaren hatte dafür keine Kraft aufwenden müssen. Das Körpergewicht des Mannes, der sich auf sie stürzte, allein hatte dafür ausgereicht. Sie hatte lediglich das Messer so halten müssen, dass es an der gewünschten Stelle in den Körper des Mannes eintrat. Aber damit hatte sie inzwischen ja Übung. Schließlich war das nicht ihr erstes Opfer. Tatsächlich hatte die junge Frau diesen „Schlafplatz“ genau deshalb für ihren Beutezug ausgewählt, weil sie überzeugt davon war, hier unten allein und völlig unbeobachtet zu sein. Durchaus angeekelt schob sie den sterbenden Mann von sich, eilte dann die wenige Schritte zum Wasser, reinigte sich von dem Blut ihres Opfers, und trocknete sich gründlich ab. Ohne Hast bedeckte sie anschließend den Körper des Toten so mit ihrem Schlafsack, dass jeder fremde Beobachter den Eindruck gewinnen musste, hier habe sich ein müder Krieger zur Ruhe gelegt. Eilig schlüpfte sie danach in ihre eigene Kleidung und begab sich sodann zügig aber ohne Hast nach oben zu den Sachen des Mannes. Auf dem Weg dorthin kam ihr der kleine Reim in den Sinn, den ihr ihre Mutter schon vorgesungen hatte. Sie erinnerte sich nicht mehr so genau an den genauen Wortlaut, aber so oder ähnlich musste der gegangen sein. Röslein, Röslein, Röslein rot: du bringst dem Knaben stets den Tod. Die junge Frau durchsuchte gewissenhaft die Taschen der Ledermontur des Bikers, entnahm dort alles, was zur Identifizierung des Toten hätte geeignet sein können, ging die wenigen Schritte bis zum Motorrad ihres Opfers, setzte sich dessen Helm auf, startete die Maschine und machte sich auf zur nächsten Gelegenheit.

 

Schutzengel

Der junge Mann stand da und überlegte. Nachdenklich blickte er zum Himmel, konnte aber beruhigt feststellen, dass kein Wölkchen zu sehen war. Eigentlich hatte er spontan beschlossen, das Zelt doch besser nicht gerade hier aufzubauen, jedenfalls nicht heute, jedenfalls nicht unter diesen Bedingungen. Der junge Mann blickte in die Runde und rieb sich immer noch unschlüssig das Kinn. An sich hatte er sich genau diesen Platz ja extra ausgesucht, weil er so abgelegen war. Schließlich lag er auf einer kleinen Lichtung, umgeben von Bäumen, die nicht nur Schatten spendeten, sondern auch perfekt vor unerbetenen Blicken schützte. An sich spielte das zwar keine große Rolle, denn normalerweise verirrte sich ohnehin keine Menschenseele bis hierher. Aber abgesehen davon lag der Vorteil dieses Platzes auch darin, dass die Hintergrundgeräuschkulisse dazu beitrug, die Sorge vor etwaigen Lauschern abzubauen, die sich rein zufällig ausgerechnet in den kurzen Momenten in der Nähe hätten aufhalten können, in denen es im Zelt aus nachvollziehbaren Gründen nicht ganz so leise herging. Der Grund dafür war der kleine Wasserfall, den der Fluss nur knapp fünfzig Meter weiter unten überwinden musste. Er wusste natürlich, dass die Mädchen meist ein wenig Mühe hatten, sich auf die schönste Sache der Welt zu konzentrieren, wenn sie das Gefühl hatten, von irgendjemandem beobachtet zu werden. Sie waren dann immer irgendwie ein wenig gehemmt und dann machte das alles natürlich nicht mehr so viel Spaß. Das Mädchen, das er sich in dieser Nacht vorzunehmen gedachte, war da vermutlich nicht viel anders aufgelegt. Hinzu kam, dass der kleine Fluss direkt hier noch ganz gemächlich vor sich hin floss. Der Abstieg vom Ufer verlief so sacht, dass es selbst in etwas angeheiterter Stimmung kein Problem darstellen würde, hinterher ein kleines Erfrischungsbad zu nehmen und sich von all dem Schmutz und Blut zu reinigen. Der junge Mann hatte sich diesen Platz also wie gesagt ganz bewusst ausgesucht und sich schon die ganze Woche auf das gefreut, was er sich für diese Nacht vorgenommen hatte. Die Vorfreude war noch dadurch verstärkt worden, dass er sich immer wieder dabei ertappte, wie ihn seine Phantasie dazu verführte, sich sehr konkret auszumalen, wie er die Nacht mit seiner neuen Freundin an diesem Samstag hier auf dieser kleinen Lichtung verbringen würde. Als dann ausgerechnet an diesem Tag die Motorradgang ausgerechnet in ihrer ziemlich unmittelbaren Nähe aufgetaucht war, war ihm von Anfang an nicht sonderlich wohl gewesen. Immerhin hatten sich diese Rocker von Anfang an genauso verhalten, wie man das so gemeinhin von Rockern erwartet. Ihre Scheißmusik hatten sie gleich nach ihrer Ankunft übel laut aufgedreht und auch sonst entsprach ihr Auftreten zu hundert Prozent dem, wie Rocker sich so aufzuführen pflegen. Nachdem sie ihre schweren Ledermonturen abgelegt hatten, kamen Körper zum Vorschein, die mit Tätowierungen noch und nöcher bestückt waren. „Vertrauenerweckend sieht anders aus“, hatte sich der junge Mann klar gemacht, anfangs aber doch noch gehofft, die Brutalos würden sich im Laufe der Zeit dann schon noch wieder verziehen. Aber weit gefehlt. Als sich zu den anfangs zwölf Typen auch noch zwei Bräute gesellten, war ihm schnell klar gewesen, dass der ganze furchterregende Verein die Absicht hatte, hier ebenfalls sein Zelte aufzuschlagen. Der junge Mann musste sein Vorstellungsvermögen nicht sonderlich strapazieren, um sich eine Geschichte auszudenken, mit der es ihm gelingen würde, die Neue davon zu überzeugen, das Zelt für diese Nacht heute doch besser nicht ausgerechnet hier aufzustellen. Wie in einem Film vermochte er sich ohne Mühe vorzustellen, wie diese ganze Bande die Dunkelheit der Nacht nutzen würde, um notgeil wie sie war, ihn und seine Freundin zu überfallen, um dann das zu machen, was Rocker bekanntlich zu machen pflegten, wenn sie sicher sein konnten, dass ihre Opfer keine Chance haben würden. Die beiden Bräute würden dabei vermutlich sogar noch behilflich sein. Aber auf jeden Fall kaum auf die Idee kommen, ihre Kumpel daran zu hindern, genau all das zu machen, was sich diese Macker nun mal vorgenommen hatten. Als die dann auch noch anfingen, das Bier gleich kistenweise in sich hinein zu schlürfen, war er endgültig sicher, dass diese Nacht anders verlaufen würde, als er sich das vorgestellt hatte. Diese Perspektive hatte ihn nicht zuletzt auch deshalb total genervt, weil er in den Tagen zuvor sehr sorgfältig all die netten kleinen Utensilien zusammengelegt hatte, von denen er sicher war, dass sie dazu beitragen würden, seine neue Freundin und ihn in die gewünschte Stimmung zu versetzten. Dazu gehörte der kleine Gaskocher ebenso wie die alte Petroleumfunzel, die dieses einmalige, romantische Licht verbreitete. Dazu hatte natürlich auch gehört, die Luftmatratzen auf Dichtigkeit zu testen, die Bestecke und das Geschirr zu reinigen und die Gläser zu besorgen, aus denen er mit seiner Freundin den Wein genießen würde, der dazu beitragen würde, auch bei ihr die letzten kleinen Besorgnisse wegen etwaiger ungebetener Zuhörer zu zerstreuen. Selbstverständlich hatte er auch an die Angel gedacht und sich vergewissert, dass er die Ersatzschnur für die „etwas größeren Fische“ dabei hatte. Soweit hatte also alles gepasst. Aber genau dieses Gefühl der Sicherheit würde sich ja jetzt ganz sicher nicht einstellen. Das war ihm vom ersten Moment an klar gewesen und deshalb hätte er es wirklich vorgezogen, ganz einfach hier das Zelt abzubrechen und statt dessen irgendwo anders zu campen – egal wo, nur hier eben nicht. Aber daraus war nun einmal nichts geworden. Zu seiner Überraschung hatte seine kleine, furchtsame neue Freundin, ihn mit ihrem typisch befremdeten Gesichtsausdruck angesehen, als er es gewagt hatte, ihr seine Besorgnisse zu unterbreiten. „Vorurteile?“ Nur dieses eine Wort hatte sie ihm etwas unwirsch entgegen gehalten und damit klar gemacht, dass sie seine Befürchtungen nicht zu teilen bereit war. Aber so war sie nun einmal. Er wusste das natürlich. Aber das änderte nichts daran, dass er sich all die schönen Details abschminken konnte, die er sich für den Verlauf der Nacht so lebhaft ausgemalt hatte. Das wurmte ihn zwar gewaltig, aber er hatte sich notgedrungen dazu durchgerungen, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Die zweite Angelschnur hatte er daher folglich gar nicht erst ausgepackt. Bei nächster Gelegenheit würde sich für ihn eine neue Chance ergeben, um seiner Phantasie freien Lauf zu lassen. Im Stillen ärgerte er sich aber massiv darüber, dass seine junge Begleiterin ausgerechnet solche Schutzengel auf ihrer Seite hatte.

Racheengel

Der mittelgroße Mann mit dem Audi hatte die Autobahnraststätte an diesem Nachmittag bereits zum zweiten Mal angefahren. Wenige Minuten zuvor war er schon einmal zum Tanken hier gewesen, hatte aber die beiden Anhalterinnen zu spät registriert, um noch unauffällig halten zu können. Er hatte sich über sich selbst geärgert. Eigentlich fuhr er diese Strecke ziemlich regelmäßig ab, eben weil es um diese Zeit recht häufig vorkam, dass sich eine Anhalterin hierher verirrte. Gleich zwei zu übersehen, war ihm noch nie passiert. Er hatte sich daher beeilt und gleich die kommende Abfahrt genutzt, die Autobahn verlassen und war auf der Gegenfahrbahn zurückgefahren. Die beiden Anhalterinnen konnte er im Vorbeifahren schon erkennen. Sie standen noch immer an der alten Stelle. So war das auch noch als er mit hoher Geschwindigkeit erneut die kommende Abfahrt angesteuert hatte, um die Raststätte erneut zu besuchen. Dort angekommen erwartete ihn allerdings zunächst eine unangenehme Überraschung. Gerade in dem Moment, als er im Begriff war, sein Fahrzeug in Richtung der beiden Anhalterinnen zu lenken, kam ihm ein LKW zuvor. Offenkundig bot der Trucker den beiden jungen Frauen an, bei ihm mitzufahren. Genervt musste der Fahrer des Audi zur Kenntnis nehmen, dass der Typ da vor ihm im Begriff war, ihm seine Beute vor der Nase wegzuschnappen. Natürlich hatte er keine Schwierigkeiten, sich vorzustellen, wie das dann weiter gehen würde. Es war wohl kaum anzunehmen, dass der Mensch in dem LKW da vorhatte, den beiden Nixen die Weiterfahrt für Gottes Lohn zu ermöglichen. Natürlich würde er eine Gegenleistung erwarten. Der Mann in dem Audi hatte auch keine Probleme damit, sich vorzustellen worin die Gegenleistung zu bestehen haben würde. Dass die Beiden in der Lage sein würden, ihrem Fahrer mit einem kleinen Geldbetrag unter die Arme zu greifen, war jedenfalls unwahrscheinlich. Warum sollten sie auch sonst trampen, wenn sie Geld gehabt hätten, um ihre Reise traditionell zu bezahlen. Also würden sie sich etwas anderes einfallen lassen müssen. Noch während er sich vorzustellen versuchte, wie sich das abspielen dürfte, musste er feststellen, dass seine Verärgerung unbegründet war. Wie der Mann in seinem SUV unschwer erkennen konnte, signalisierten die beiden Mädel dem LKW Fahrer unmissverständlich, dass sie nicht bereit waren, sein Angebot anzunehmen. Der Truck setzte daraufhin seine Reise ohne die beiden Mädchen fort. Augenblicklich hellte sich die Stimmung des Audi Fahrers auf. Amüsiert stellte er sich vor, wie der Fahrer des LKW es andernfalls wohl fertig gebracht hätte, seinen Mitfahrerinnen klar zu machen, worin die Gegenleistung hätte bestehen sollen. Da der LKW das Nationalitätenkennzeichen SLO trug war wohl kaum anzunehmen, dass der Fahrer der deutschen Sprache allzu mächtig war. Dass die beiden Mädels slowenisch sprechen würden, war umgekehrt ja wohl auch nicht zu erwarten. Der Mann mit dem Bürstenschnitt musste grinsen, besann sich aber dann darauf, warum er hier war. Langsam setzte er seinen Wagen in Richtung der beiden Anhalterinnen in Bewegung. Dabei war er darauf bedacht, nicht in den Erfassungsbereich der Kameras zu gelangen, mit denen die Tankstelle gegen Treibstoffdiebe gesichert war. Nachdem er diesen Gefahrenbereich erfolgreich umschifft hatte, trat er etwas kräftiger aufs Gaspedal und beschleunigte den Wagen so, als ob er die Absicht hätte, sich in den laufenden Verkehr der Autobahn wieder einzufädeln. Kurz nachdem er die beiden Frauen passiert hatte, bremste er jedoch unvermittelt scharf ab und brachte sein Fahrzeug am Straßenrand zum Stehen. Ohne zu zögern öffnete er die Beifahrertür und signalisierten den beiden Frauen seine Bereitschaft, sie mitfahren zu lassen. Es dauerte einen Moment bis diese begriffen, dass das Angebot ihnen galt. Dann aber beeilten sie sich mit ihren Rücksäcken, den auf sie wartenden Wagen zu erreichen. Dort angekommen erkundigten sie sich ein wenig atemlos aber höflich, ob der Mann in dem 100000 Euro Auto zufällig nach Göttingen fahre. Vermutlich also Studentinnen. Als ihnen diese Frage lächelnd bejaht wurde, war ihnen die Freude ins Gesicht geschrieben. Das änderte sich naturgemäß auch nicht, als der Fahrer ihnen grinsend auch die Zusatzfrage bejahte. Na klar, war er bereit, sie mitzunehmen. Ob das nun ausgerechnet Göttingen sein würde, das, so machte sich der Mann mit den blauen Augen klar, würde sich dann schon zeigen. Bevor er die beiden Mädchen einsteigen ließ, blickte der Mann kurz aufmerksam in den Rückspiegel. Erst als er sicher war, keine Polizeistreife hinter sich zu haben, öffnete er auch die hintere Tür und forderte die beiden jungen Frauen mit einer einladenden Handbewegung dazu auf, ihr Gepäck einzuladen und einzusteigen. Bereitwillig und dankbar kletterte zunächst die mit den dunkelblonden Haaren auf die Rücksitzbank, während zugleich die Rothaarige auf dem Beifahrersitz Platz nahm. Bereits im nächsten Augenblick trat der Fahrer des dunkelblauen Audi erneut auf das Gaspedal und im nächsten Augeblick fädelte er seinen teuren Q7 elegant wieder auf der Autobahn ein. Während der folgenden Minuten war seine Aufmerksamkeit hauptsächlich darauf konzentriert, sich vorzustellen, welches Gesicht die beiden Hübschen wohl machen würden, wenn sie begreifen würden, was er tatsächlich im Schilde führte. Er hatte kein Problem damit sich einzugestehen, dass allein der Gedanke an das, was nun folgen würde, ihn so in Erregung versetzte, dass er aufpassen musste, den Straßenverkehr nicht aus den Augen zu verlieren. Er versuchte sich vorzustellen, wie das sein würde, wenn sich in ihren hübschen Köpfen die Erkenntnis einstellen würde, dass sie ihm ausgeliefert waren. Genüsslich malte er sich aus, wie sie sein Ansinnen erst empört zurückweisen würden. Sobald ihnen aber klar würde, dass sie sich würden entscheiden müssen, entweder seine Wünsche zu erfüllen oder überhaupt keine Wünsche mehr erfüllen zu können, gegenüber niemandem, würden sie sich für den ersten Weg entscheiden. Eher beiläufig nahm er zur Kenntnis, dass sich die beiden Frauen inzwischen lebhaft und angeregt unterhielten. Lediglich das sich wiederholende, ein wenig hysterisch anmutende Wörtchen nein, mit dem seine Beifahrerin mehrfach auf die Erzählung der Frau auf der Rücksitzbank reagierte, nahm er unterbewusst wahr. Bereits beim Einsteigen hatte er die beiden Frauen aufmerksam gemustert und war daher nunmehr damit beschäftigt, sich sehr detailliert vorzustellen, welche der Beiden er sich zuerst vornehmen sollte. Als er sich dann auch noch auszumalen versuchte, wie er es machen würde, war seine Ablenkung für einen Moment so intensiv, dass er fast vergessen hätte zu bremsen, als der Wagen vor ihm die Geschwindigkeit deutlich verminderte. Wenn nicht die neben ihm sitzende Frau ihn mit einem kleinen Aufschrei aus seiner Vorstellungswelt gerissen hätte, wäre es womöglich zu einem Auffahrunfall gekommen. Immerhin reichte dieser Moment, um ihn dazu zu veranlassen, seine Beifahrerin eines etwas ausgiebigeren Blicks zu würdigen. Seine Überraschung hätte nicht größer sein können. Die junge Frau saß mit angezogenen Knien auf dem Beifahrersitz und gab den Blick frei auf ihre endlos langen Beine. Als sich der Blick des Mannes weiter nach oben wendete, blieb er unwillkürlich an der deutlich geöffneten Bluse haften. Es war nicht schwer zu erkennen, dass die junge Frau offenkundig nichts darunter trug. Vor Überraschung hätte er fast ein weiteres Mal den Straßenverkehr aus dem Auge verloren. Das hinderte ihn nicht daran, gleich darauf der jungen Dame einen neuerlichen Blick zuzuwerfen. Ihre Reaktion auf seinen fragenden Blick trug nicht dazu bei, ihn ruhiger werden zu lassen. Völlig ungeniert erkundigte sich die Rothaarige ganz ungeniert danach, ob er nicht Lust auf einen kleinen Zwischenstopp im Grünen habe. Das war eindeutig. Auch wenn sich damit abzeichnete, dass dieser Teil ihrer Begegnung ein wenig anders verlaufen dürfte, als er geplant hatte. Natürlich gab es für ihn keinen Grund, sich dem Ansinnen der Frau auf dem Beifahrersitz zu verweigern. Er spürte, wie seine Atmung schneller ging. Als der Mann mit dem Bürstenhaarschnitt seine Überraschung wieder einigermaßen überwunden hatte, hatte er natürlich auch leine Probleme damit, der Aufforderung der kessen jungen Frau nachzukommen. Da es in dieser Situation ja auch nicht mehr erforderlich war, sich irgendeinen Zwang anzutun, entschied er sich dazu, sich vorab schon einmal tastend einen Eindruck von dem Körper zu verschaffen, mit dem er in Kürze dann komplett würde machen können, wozu er Lust hatte. Ohne lange Umwege forderte er die Frau auf dem Beifahrersitz ganz direkt auf, sich schon mal in Stimmung bringen zu lassen. Wie erwartet, ließ sich die Rothaarige nicht zweimal bitten. Während sein Blick fest auf den Straßenverkehr konzentriert war, ertastete sich die rechte Hand des Mannes den Weg zum linken Bein der Rothaarigen, glitt unter den kurzen Rock, verweilte dort einen Moment und rutschte dann hinein in die Bluse, wo ihn allerdings ein kleiner Schlag der linken Hand der Frau erwischte. Grinsend streckt er die Hand ein zweites Mal aus und wieder ließ die Rothaarige ihn erst gewähren, um ihm dann ein wenig kokett den weiteren Zugang zu verweigern. Das Spielchen wiederholte sich in wechselnder Reihenfolge noch ein paar Mal. Dem Fahrer des Q7 gefiel das Spiel und er hatte nicht das Gefühl, dass es der Frau an seiner Seite anders ging. Genüsslich malte er sich aus, wie er diesem kleinen Flittchen gleich nach Erreichen der bewussten Stelle im Wald schon zeigen würde, was Sache war. Als die Rothaarige ihm kurz vor der nächsten Raststätte dann plötzlich zu verstehen gab, noch einmal schnell für Kleine Mädchen gehen zu müssen, sah er keine Veranlassung, ihr diesen Wunsch zu verweigern. Vielleicht eine Nuance zu salopp bremste er wenig später vor dem Toilettentrakt der Raststätte ab, war dann aber nicht schlecht überrascht, als ihm die dunkelblonde Frau auf dem Rücksitz ohne ein weiteres Wort ihr Smartphone vor die Nase hielt. Ganz deutlich war auf dem Monitor zu sehen, wie er seine Beifahrerin ausgiebig begrapschte. Dass die das wenig lustig fand, bewiesen ihre ständigen Nein Rufe. Unmittelbar nach dieser Vorführung hatte der völlig verdutzte Mann auf dem Fahrersitz dann auch nicht mehr das geringste Problem damit, gemeinsam mit der Frau neben sich samt der erbetenen Kontokarte zum nahe liegenden Geldautomaten zu gehen, dort für die junge Frau gut sichtbar den PIN einzugeben und 1000 Euro abzuheben. Als ihre Freundin gleich darauf verschwand und ohne ihr Smartphone wenig später zurückkehrte, schwante dem Mitvierziger bereits, dass die Sache hier eine Wendung zu nehmen begann, die ihm ganz und gar nicht behagte. Als die Rothaarige auf der nächsten Raststätte triumphierend erneut mit 1000 Euro in der Hand in das Auto zurückkehrte, keimte bei dem Mann mit dem Bürstenhaarschnitt noch einmal kurz die Hoffnung auf, dass die Sache damit beendet war. Dass er sich erneut geirrt hatte, merkte er in dem Moment, als ihm das Mädchen mit den roten Haaren kurz aber bestimmt eröffnete, dass sich dieses Spielchen jetzt an dem Geldautomaten jeder Raststätte bis Göttingen wiederholen würde. Diese Information nahm er zu seiner eigenen Überraschung mit einer gewissen Befriedigung auf. Er war sich sicher, in den nun folgenden Stunden schon eine Lösung für dieses Problem zu finden. Als ihn die Mädel kurz vor Göttingen aufforderten, die Autobahn zu verlassen, war er ganz sicher, dass seine Chance jetzt bald kommen würde. Ohne mit der Wimper zu zucken, steuerte er das schwere Fahrzeug genau dorthin, wohin ihn die beiden Frauen lotsten. Als sie in dem Waldstück eine kleine Lichtung passierten, sah er seine Chance gekommen. Er bremste den Wagen unvermittelt ab und schaltete zugleich den Motor aus. Bereits im nächsten Augenblick jedoch spürte er, wie sich die dünne Drahtschlinge von hinten um seinen Hals legte. Dass er keine weitere Chance haben würde, begriff er dann in den wenigen verbleibenden Sekunden, bevor er das Bewusstsein verlor. Noch im Sterben bemerkte er das Smartphone , mit dem die Rothaarige auf dem Beifahrersitz ihn filmte, während er dabei war, sein Leben auszuhauchen. „Für Gerda“ hatte sie mit ihrem Lippenstift fett auf das Display geschrieben. Dass die Mädel nunmehr ganz sicher darauf verzichten würden, ihn der Polizei zu übergeben, war für ihn unter diesen Umständen nur noch ein schwacher Trost.

 
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