Bunte Herzen

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Lene stand vor Werner und wollte seinen Rat.

»Was soll ich anziehen?«

Werner antwortete nicht gleich, weil er in dem Buch vor sich die Zahlenreihe zusammenaddieren wollte.

»Das Schwarzseidene?«

»Ja – ich denke«, sagte Werner ohne aufzuschauen.

Lene dachte nach.

»Ach«, meinte sie, »es ist so langweilig, immer schwarz. Die Pastorin natürlich in schwarzer Seide.«

»Wenn man nun mal Pastorin ist«, warf Werner hin, indem er weiter rechnete.

»Die Baronin wird natürlich hell sein«, fuhr Lene fort.

»Das glaube ich nicht«, meinte Werner. »Als Hausfrau wird sie wohl eher einfach gekleidet sein.«

Aber Lene bestand darauf: »Ach! Was die einfach nennt! Und dann, der Baron Rast wird da sein. Der soll ja ein so schlechter Mensch sein, wie man hört.«

Werner schaute auf »Hat das denn irgendeinen Einfluß auf deine Toilette?«

»Wenigstens«, beschloß Lene, »leg’ ich dann die kirschroten Bänder um.«

»Tu das, Kind«, sagte Werner freundlich, »das wird hübsch sein. Auch wohl vielleicht, weil der Baron Rast ein schlechter Mensch ist?«

»Was hat das für einen Zusammenhang?« fragte Lene und ging aus dem Zimmer.

Die Zimmer in Dumala waren heute alle erleuchtet. Die alten Möbel mit den verblaßten Seidenbezügen und den großen gewundenen Lehnen standen mürrisch, wie im Schlaf gestört, im hellen Lampenlicht.

Als Werners in das Kaminzimmer traten, waren die anderen Gäste dort schon versammelt.

Die Baronin Huhn aus Debschen, in eine blanke, graue Atlasrobe, wie in einen Spiegel gekleidet, sehr erhitzt unter ihrer weißen Perücke, unterhielt sich mit dem Baron Werland, der im Gesellschaftsanzuge noch schmäler und gebrechlicher als sonst aussah.

Neben ihm am Kamin lehnte Behrent von Rast, breitschulterig und groß. Der Kopf war seltsam grell, mit dem kurz geschorenen schwarzen Haar über der geraden, niedrigen Stirn, mit dem Bart, der am Kinn geteilt, wie zwei schwarzblaue Flammen von beiden Seiten abstand. In dem bräunlichen Gesicht saßen zwei große, samtbraune Augen.

»Unangenehm!« dachte Lene.

Karola begrüßte die Pastorin sehr herzlich.

»Wie freue ich mich, Sie hier zu sehen. Man sieht sich so selten.«

Lene errötete, weil sie überrascht war von der unumwundenen Falschheit dieser Freundlichkeit. »Sie ladet mich ja nie ein«, dachte sie. Vor dem Diner saß man zusammen und plauderte. Rast ließ sich von der Baronin Huhn und Werland über Landwirtschaft belehren. – »Ach! – So ist es! Ich bin sehr dankbar. Gott! Ich bin so unwissend in der Landwirtschaft.«

Karola unterhielt sich zerstreut mit der Pastorin:

»Sie haben zu Hause viel zu tun, nicht wahr? Sie sind musikalisch, wie angenehm!«

Jakob öffnete die Türen zum Speisezimmer.

»Stütz dich nur auf meinen Arm, mein Alter«, sagte Rast brüderlich zu Werland.

»Danke! ja, ich muß mich führen lassen«, meinte Werland. »Ich hätte nicht gedacht, daß ich noch die Beine anderer Leute werde pumpen müssen.«

»Mach’ dir nichts draus«, tröstete Rast. »Es ist noch lange nicht erwiesen, daß Beine für ein angenehmes Leben durchaus nötig sind. Die großen Damen in China haben die Füße so gut wie abgeschafft.«

Bei Tisch saß Rast neben Lene, Werland nahm ihn jedoch in Anspruch. Er wollte mehr von den großen Damen in China hören. Werner unterhielt sich mit der Baronin Huhn, die von ihren Dienstboten sprach.

Simon, der Schweinehüter, sagte, er sei zum Schweinehüten da und wollte im Winter keine andere Arbeit so recht tun.

Karola, ein wenig bleich in ihrem dunkelroten Seidenkleide, der Mund unnatürlich rot, war einsilbig.

»Der Gang vorigen Abend«, fragte Werner, »ist er Ihnen bekommen?« Es war, als hätte sie ihn vergessen und müßte sich erst darauf besinnen.

»Der Gang? – Ach ja, der war schön.«

Rast hatte sich jetzt Lene zugewandt und begann eine Unterhaltung. Seine großen Samtaugen glitten dabei ruhig und frech über das Gesicht und die Gestalt der jungen Frau. Es war Lene, als streiften diese Augen langsam die Kleider von ihr ab. Sie wurde dunkelrot.

»Wir sind ja Nachbarn. Wir werden, hoffe ich, gute Nachbarschaft halten. Der Pastor ist ja Jäger.«

»Mein Mann jagt nicht mehr«, berichtete Lene, »man sieht das hier nicht gern.«

»So?« Rast bedauerte es. »Schadet denn das jagen der Würde? Hat die Frau Pastorin auch schwere Pflichten ihrer Würde?«

»Jeder hat seine Pflichten«, erwiderte Lene.

»Hm – streng sein; und so. hübsch zu sein, ist wohl nicht erlaubt?« meinte Rast. Lene machte ein sehr ernstes Gesicht. Sie wollte ihn in seine Schranken zurückweisen.

Er wandte sich von ihr ab und rief zu Karola hinüber:

»Wissen Sie, Baronin, Ihr Diner ist das beste, das ich seit langem gegessen habe, daher darf ich das sagen. Man schmeckt sofort Tradition heraus.«

»Unser Jansohn ist auch der konservativste aller Köche«, berichtete Werland.

»Ja, ja, das schmeckt man«, bestätigte Rast. »Es ist, als legte er überall ein paar Blätter vom Stammbaum zu. Familienküche, das ist das Wahre. Man müßte es gleich herausschmecken können, diese Speise ist Werlandsch, – diese Huhnsch.«

»Viel saueren Schmand, das ist mein Familienspruch«, sagte die Baronin Huhn.

Als der Sekt kam, verstummten die Einzelunterhaltungen, und Rast sprach allein, erzählte Anekdoten aus aller Welt, eine nach der anderen.

Wie sie ihm alle zuhörten, wie sie lachten, auch Karola! Werner wunderte sich darüber. Ihm waren sie zuwider, diese Geschichten, und diese weiche, schnarrende Stimme, die die Worte so nachlässig hinwarf. Er schaute mißbilligend zu Lene hinüber. Sie achtete nicht darauf. Sie hörte aufmerksam zu, legte ihr Taschentuch vor den Mund, weil sie so lachen mußte.

Nur Pichwit blieb ernst und sah Rast mißbilligend und ironisch an.

Nach dem Essen mußte Werner wieder die Baronin Huhn unterhalten. Werland sprach mit Lene, nachlässig und schon ein wenig schläfrig. In einer Fensternische standen Rast und Karola. Werner konnte Karolas Profil sehen, das sich scharf und rein von dem dunkeln Vorhang abhob. Sie stand sehr gerade, die Taille ein wenig zurückgebogen. Werner hörte nur scheinbar der Geschichte von einer Trine zu, welche widerwillig war, die die Baronin Huhn ihm erzählte. Eine tiefe Verstimmung quälte ihn, ein Gefühl, als sei es nun mit etwas vorüber, das ihm lieb und nötig gewesen war.

Warum lachte Lene so unnatürlich? Und dann bewegte sie die Hände zuviel beim Sprechen, das sah ungeschickt aus. Er horchte zum Fenster hinüber. Rast schien von Pferden zu sprechen und von Rennen. Auch Karola lachte heute, wie sie sonst nicht lachte, so ein helles, girrendes Lachen. Konnte sie das denn wirklich unterhalten, was der große, schwarze Herr da erzählte?

Werner versank in Gedanken. Er sah das Zimmer vor sich, wie es an den einsamen Abenden war, wenn er hier saß, und Karola zu den Füßen ihres Gatten kauerte und mit der Hand über sein Bein hinstrich, und es ganz stille war, so still, daß sie das Nagen der Maus hinter dem Getäfel hörten, und Karola zu ihm aufsah, und er zu ihr niederschaute, und ihre Blicke ruhig und lange ineinander ruhten, und ihr Schweigen eine so seltsam erregte Zwiesprache hielt.

Am Kamin war es still geworden. Werland schlief in seinem Sessel. Lene saß stumm und verlegen da.

Drüben am Fenster standen sie noch immer beisammen, aber ihre Stimmen waren jetzt gedämpfter. Ja, es ist schwer mit den Leuten«, schloß die Baronin Huhn ihre Erzählung und seufzte.

Die beiden Stimmen in der Fensternische waren nun der einzige Ton im Zimmer. Der Baß weich, ein wenig singend. Karolas Alt antwortete eindringlich, schien es Werner, und mit einem kindlichen Schmollen, das er an ihr nicht kannte.

Werner erhob sich. »Lene, es ist spät.«

Man brach auf.

Auf der Heimfahrt, im Schlitten, war Lene sehr gesprächig: sie hatte sich gut unterhalten, dieser Baron Rast war sehr merkwürdig –, interessant konnte man sagen. Man mußte mit ihm auf seiner Hut sein, mußte ihn in seine Schranken zurückweisen. Aber unterhaltend war er.

»Hast du ihn in seine Schranken zurückgewiesen?« fragte Werner spöttisch.

»Gewiß« – erwiderte Lene.

»Übrigens«, sagte Werner, »mußt du darauf achten, beim Sprechen nicht soviel zu gestikulieren. Das sieht schlecht aus.«

»Ich gestikuliere gar nicht«, behauptete Lene gereizt. »Und übrigens gestikulieren die anderen auch.« Nun schwieg sie gekränkt.

Werner war unzufrieden mit sich. Warum mußte er dieses unschuldige, kleine Selbstbewußtsein niederschlagen, warum ihr den Abend verderben? – nur weil er sich unglücklich fühlte. Und warum war er unglücklich? Er hatte ja nicht einmal das Recht, unglücklich zu sein.

Lene aber mußte ihre kleine Rache haben. Sie äußerte:

»Die Baronin hat aber heute mit dem Baron Rast kokettiert. Oh! die geniert sich nicht.«

Werner hatte aus Schloß Dumala längere Zeit nichts gehört. Der Winter mit plötzlichem Frost und dann wieder Tauwetter fing übel an. Überall herrschten Krankheiten. Werner mußte Krankenbesuche machen und Beerdigungsreden halten. Er arbeitete stark und eifrig.

Der letzte Abend im Schlosse hatte etwas wie eine Unruhe, eine Qual in ihm zurückgelassen. Die mußten niedergekämpft werden, da sie ihm verdächtig erschienen.

Er sah Rast zuweilen nach Dumala vorüberfahren. Lene hatte eine unangenehme Art, das jedesmal laut zu verkünden, als sei es ein Ereignis.

»Da fährt der Baron Rast wieder nach Dumala.«

»Nun ja, warum nicht«, antwortete Werner darin möglichst ruhig, aber es klang doch gereizt.

Sonntags sah Werner Karola in ihrem Kirchenstuhl. Neben ihr saß Rast in dem seinen. Sie nickten einander zu, lächelten. Zuweilen neigte Rast sich zu ihr hinüber, sagte etwas, wie im Salon. Karola hob ihren Muff an den Mund.

 

Werner schlug mit der Faust auf den Rand der Kanzel, donnerte auf die Gemeinde hinunter, so daß die alten Frauen aus ihrem Schlaf erwachten und verwundert zu ihm aufschauten.

Beim Mittagessen sprach er sich sehr streng über dieses Benehmen in der Kirche aus.

Als am Abend jedoch ein weißer Nebel sich über die Ebene legte, das Haus ringsum wie in feuchte Watte einpackte und die Welt eng, ganz eng machte, da trieb es Werner hinaus nach Dumala.

Ohne einen Gedanken daran zu wenden, ohne mit sich zu streiten, zog er den Pelz an, nahm den Stock. Er kannte das an sich. Wenn es in ihm plötzlich stark nach etwas schrie, da half nichts.

»Du gehst?« fragte Lene verwundert.

»Ja, ich will in Dumala nach dem Baron sehen.«

»Jetzt – plötzlich?«

»Ja, jetzt – plötzlich. «

Draußen vermochte er kaum drei Schritte weit zu sehen. Überall das weiße, kalte Fließen, das alles verhängte, in dem er allein war, ganz, ganz allein. Alles andere war ausgelöscht, selbst die Töne erstarben. Das tat wohl. Wie in einer Unendlichkeit stand er, kein Anfang, kein Ende. Hier, in dieser Einsamkeit mußte es gut sein, eines zu retten, das in Gefahr war. Heraus ans allem in diese kühle, weiße Einsamkeit mit ihm. ja, mit ihm, natürlich! Werner lächelte höhnisch über die Schliche seiner Seele. Mit ihm! Er war der rechte Retter! So wollte ja wohl auch Behrent von Rast retten.

Dumala fand er wie sonst. Die dunkle Zimmerflucht. Im Kaminzimmer saß Karola zu Füßen ihres Mannes und strich mit der Hand über die rote Decke auf seinen Beinen.

»Bravo, Pastor!« rief Werland. »Sie haben uns vernachlässigt. Ich sagte es schon, der Barmherzigkeitssport ist unserem Pastor zu anstrengend geworden. Setzen Sie sich. Erzählen Sie.«

»Ja«, sagte Karola, »erzählen Sie, so von Waldhäuslern und Bauernhäusern, wo die Frauen schon um ein Uhr nachts ausgeschlafen haben, aufstehen und spinnen. Ist die Mutter Gehda gestorben?«

Ja, Mutter Gehda war tot. Sie war ruhig eingeschlafen, auf dem Gesicht den verdrießlichen Ausdruck, den sie in der letzten Zeit hatte, weil sie sich über den Tod ärgerte. Dann erzählte Werner von dem Waldhüter, der von Wilderern erschossen worden war. Er erzählte langsam und umständlich. Er sah dabei auf Karolas Hand, auf die blitzenden Ringe, die die Decke auf und ab fuhren, er sah zu ihrem Gesicht, zu ihren Augen auf, zögernd, als fürchtete er sich vor etwas, das er dort finden könnte.

Karola schaute nachdenklich in das Feuer, mit stetigen, seltsam schillernden Augen. Werner sah es diesen Augen an, daß sie ihm längst nicht mehr zuhörte. Sie war mit ihren Gedanken sehr weit fort.

Als er kurz abbrach, merkte sie es nicht.

Werland schlief.

Plötzlich ging eine Veränderung über Karolas Gesicht. Etwas Gespanntes kam hinein. Sie blinzelte mit den Wimpern. Es war, als horchte sie angestrengt hinaus.

Weit draußen kam ein Ton durch den Nebel, kaum hörbar. Aber Karola lauschte. Ihre Hand hörte auf, über die rote Decke zu streichen, und ein leichtes Rot stieg in ihre Wangen.

»Hören Sie, Pastor?«fragte sie.

»Ja – ein Schlitten.«

»Rast«, sagte sie und lächelte.

Es war unwürdig und lächerlich, sagte sich Werner, daß dieses Lächeln ihn so schmerzte.

Rast kam, den Bart feucht vorn Nebel, die Augen voll von einem herausfordernden, frischen Glanz. Mit seiner lauten Stimme, seinem Lachen weckte er das stille Haus aus seinem Schlaf.

»Solche Nebeltage sind tödlich«, sagte er. »Bei mir zu Hause – die Melancholie! Da muß man zusammenkriechen. Herr Pastor, an solchen Tagen müssen die Seelen in Ihrer Hand weich wie Wachs sein, wenn Sie ihnen von Licht sprechen. Na, und Licht kommt doch in der Religion vor.«

Er hatte viel erlebt. Jagden und Pferde wurden durchgegangen. Karola, von ihrem niedrigen Stühlchen, sah zu ihm auf, die Mundwinkel zu einem Lächeln bereit.

In der Zimmerflucht wurden die Lampen angesteckt. Jakob brachte den Tee.

Werland wurde auch gesprächig, er erzählte aus den Zeiten, da »ich noch meine Beine hatte«. Er neckte Pichwit, der zum Tee erschien und die Gesellschaft stumm und feindselig beobachtete.

»Gedichtet, Pichwit, was? Ich seh’ schon. Blaue Ringe um die Augen – immer ein Zeichen starker, lyrischer Erregung.« Er kniff ein Auge zu und kicherte.

»Kommen Sie, Baronin«, sagte Rast. »Wenn ich eine Reihe erleuchteter Zimmer seh’, muß ich darin auf und ab gehen. Ihr Saal hört ohnehin zu wenig Schritte.«

Karola und Rast begannen in den hellen Zimmern auf und ab zu gehen, Schulter an Schulter, Karola sehr schlank in dem blauen Tuchkleide mit der langen spitzen Schleppe.

»Gleich eifrig im Gespräch«, murmelte Werland.

Die drei zurückbleibenden Männer sahen durch die Tür dem Paar im Saale zu, aufmerksam und schweigend, als sei es ein Schauspiel, als warteten sie auf etwas, das geschehen sollte.

»Pichwit«, sagte Werland endlich, »gehn Sie mal in das Eßzimmer und schauen Sie nach dem Barometer.«

Gehorsam erhob sich Pichwit und ging in das Nebenzimmer.

Werland kicherte, beugte sich vor, flüsterte:

»Oh, der paßt auf, wie ›n Hund. «

Werner verstand nicht gleich. »Wem?«

»Denen da.«

»Denen?«

Werland winkte, er sollte leise sprechen. »Ich will Ihnen mal was sagen, Pastor. Wenn der Pichwit verliebt ist, das ist in der Ordnung, das macht mir Spaß; und Sie –«

»Ich?«

»Gleichviel, sprechen wir nicht von Ihnen«, fuhr Werland ungeduldig fort. »Das alles ist nichts. Das muß eine Frau haben. Aber der da«, er zeigte mit dem Daumen zum Saal hin, »der – ist mir ungemütlich. Der versteht sich auf blaues Blut. Das macht mich nervös.«

Werner fühlte es, daß er bleich bis in die Lippen wurde. Das ärgerte ihn. Er versuchte es, sanft und ermahnend zu antworten.

»Ich bitte Sie, Herr Baron. Das wäre Ja eine grundlose Kränkung Ihrer Frau Gemahlin.«

»Ba – ba – lieber Pastor«, unterbrach ihn Werland, »das ist französisches Drama: Mein Herr, Sie beleidigen mich.«

»Es ist doch natürlich«, wandte Werner ein, »daß die Frau Baronin die Unterhaltung des Baron Rast genießt. Sie hat nicht viel Unterhaltung.« Er wollte sehr gerecht sein.

»Sie brauchen niemanden zu entschuldigen«, flüsterte Werland. »Alles geht ganz natürlich zu. Alles auf der Welt geht natürlich zu. An Wunder glaub’ ich nicht. Es ist ganz natürlich, daß die Nachtigall fortfliegt, wenn Sie den Käfig offen lassen. Aber dazu haben Sie sie doch nicht in den Käfig gesetzt.«

Werner machte ein beleidigtes Gesicht, beleidigt für Karola.

»Gott gab Ihnen, Herr Baron, eine Gattin von so klarem, reinem Blick und so ruhiger Güte und Geduld, daß es undankbar ist, so zu sprechen.«

»Danke, Pastor, danke«, unterbrach ihn Werland, »Predigten erbauen, aber beweisen nichts. Klaren Blick, sagen Sie. ja, aber gerade die Klügsten sind hilflos vor so gewissen Dummheiten des Lebens. Diese Frauen werfen bei gewissen Gelegenheiten ihren Verstand mit Genuß beiseite, so wie sie ein enges Mieder aufhaken.«

Er hielt inne, seufzte, kicherte dann wieder:

»Der Pichwit kommt nicht zurück. Nein, der steht im Eßzimmer und horcht. Oh! der paßt auf! Hören Sie, Pastor, Sie sprachen da von reinem Blick und Geduld und so Sachen. Sie meinen, was man Tugend nennt. Bei Damen der Gesellschaft gebraucht man dieses Wort nicht gern, aber das meinen Sie, tugendhafte Gattin, nicht wahr?«

»Das meine ich«, bestätigte Werner. »Warum wollen Sie sich Ihren Frieden nehmen lassen und den Frieden Ihrer Frau Gemahlin stören?«

»Ich bin nicht ganz ruhig, das ist wahr – und das ist vielleicht dumm«, sagte Werland. »Einer, der keine Beine hat, sollte ruhig sein. Aber diese Tugend ist bei unseren Frauen Sache der Reinlichkeit, der Erziehung zur Reinlichkeit, wie das Bad und die gute Seife und das gute Parfüm. Nur, daß das Bad und die Seife von Pinaud und das Parfüm Gewohnheiten sind, von denen man sich schwerer lossagt als von der Tugend. Man sagt Leidenschaft oder Liebe, und darin glauben die Frauen, das, was sie für unreinlich halten, sei nun plötzlich eine feine Sache. Ich kenne diese Geschichten, ich bin jetzt, was man so nennt –, objektiv – darin.«

»Wenn es Sie beunruhigt«, begann Werner ein wenig mühsam, »muß denn – – muß denn – der Baron Rast kommen?«

»Was wollen Sie!« meinte Werland. »Soll ich ihm sagen: du – Rast – komm nicht, ich bin eifersüchtig? Das wäre so was für den. Nein, Pastor, Beine haben wir zwar nicht, aber lächerlich machen wir uns trotzdem nicht. Es geschieht ja nichts! Konversation! Sie sind Pastor, Ihnen kann man beichten. Ein Beichtvater ist ein Mann, dem ich die lächerlichsten Sachen erzählen kann und der mich nicht auslachen darf. Nehmen wir an, ich hätte nichts gesagt.«

Er schaute durch die Tür in den Saal. »Wo sind Sie denn geblieben, zum Teufel! Pichwit!« rief er. Pichwit erschien in der Tür. »Das Barometer fällt«, meldete er. »Wo sind die beiden?« fragte Werland. Pichwit zuckte die Achseln. »Die Frau Baronin«, berichtete er, »wollte dem Baron Rast den alten Flügel und das Turmzimmer zeigen. Die Mamsell ging mit aufschließen.«

»Aha! antiquarische Interessen«, meinte Werland. »Und wovon sprachen sie denn vorher?«

Pichwit lächelte hochmütig: »Soviel ich hörte, erzählte der Baron von malaiischen Frauenzimmern.«

Werland lachte tonlos in sich hinein: »Bekannt, alte Technik, man spricht von anderen Weibern. Gute Nacht, Pichwit, schlafen Sie wohl.«

Als Pichwit gegangen war, bemerkte Werland: »Sehen Sie, der, der hat so das, was man gewöhnlich mit Liebe bezeichnet. Na, – aber Schluß. Reden wir von etwas anderem. Bilden Sie sich nicht ein, Pastor, daß ich klage und daß Sie mich bemitleiden müssen.«

»Wir haben zuweilen seltsam erregte Momente. Das kommt, wir können nichts dafür.« Werner versuchte, etwas Passendes zu sagen, aber es klang ihm selber leer und verlogen.

»Danke, danke«, unterbrach ihn Werland. »Wie sagten Sie – Pflichterfüllung? Über den malaiischen Weibern und dem Interesse am alten Turmzimmer ist mein Bein heute doch ein wenig in Vergessenheit geraten. Na – ich sage nichts. Schluß.«

Eine andere Unterhaltung wollte nicht gelingen. Beide Männer sahen die Zimmerflucht hinab, horchten – warteten.

Endlich hörte man Stimmen. Karola und Rast kamen.

»Famoses altes Zimmer«, sagte Rast. »Das Bett mit den verblichenen grünen Damastvorhängen – und die zerfetzten Goldtapeten, was für eine gespenstische Üppigkeit dadrin steckt. Unglaublich!«

Werland nickte: »Ja, ja. Das war wohl der Sündenflügel der alten Werlands. Dekorative Sünden. Das achtzehnte Jahrhundert hatte wenig Temperament, daher wurde die Sinnlichkeit dekorativ.«

Es war spät geworden.

»Ich bringe Sie nach Hause, Pastor«, sagte Rast. »Gute Nacht, Werland. Wenn es weiter so nebelt, ziehe ich zu euch in den alten Flügel.«

»In den Sündenflügel«, kicherte Werland.

»Ja, ja«, sagte Rast, »zu Hause bekommt man Einsamkeitsfieber.«

»Ein seltsames Haus«, sagte Rast zu Werner, als sie zusammen durch den Nebel fuhren.

»Ja«, erwiderte Werner kühl, »manches Schwere ist diesem Hause auferlegt.«

»Schwere?« wiederholte Rast. »Ja, wegen des Werland. – Alle haben da was. Werland mit dem Bein, und die schöne Frau, und das kleine Gespenst von Sekretär, alle seltsam einsam, aber eine Einsamkeit, die fiebert –, die fiebern alle vor Einsamkeit. Das regt ordentlich auf, steckt an.«

»So Schweres auch dem Hause auferlegt ist«, sagte Werner, und er ärgerte sich selbst darüber, daß das so salbungsvoll klang, »die Baronin versteht es mit ihrer Güte und Klarheit, da Harmonie hineinzubringen.«

»Opfer«, sagte Rast, und ließ die Peitsche knallen. »Was soll sie machen? Ein Mann ohne Beine. Da setzt sich alles in Opfer um. Bekanntes Phänomen. Chemie der Sinnlichkeit.«

»Um diese Frau zu verstehen«, meinte Werner gereizt, »dürfte keine andere Formel genügen, als Hochachtung.«

»Ganz Ihrer Ansicht, Herr Pastor«, erwiderte Rast. »Aber da sind wir ja bei Ihnen. Gute Nacht.«

Lene schlief schon, die Wangen heiß, zwischen den blonden Augenbrauen eine kleine, aufrechte Falte, ein schwermütiges, kleines Zeichen, das der einsame Abend zurückgelassen hatte. Leise legte Werner sich in das Bett. Lene atmete ruhig und regelmäßig neben ihm. Draußen tropfte der Nebel vom Dache, ein stetiges, geschäftiges Flüstern, eine heimliche, traurige Geschichte, die die Nacht sich erzählte.

 

Und in der Stille und Dunkelheit dieser Nacht war plötzlich etwas da – bei Werner – in ihm, etwas Fremdes, dem er fast mit Neugier zuschaute. Also so ist es, wenn wir hassen.

Er war stark, er war jähzornig. Er kannte es, wie die Wut heiß in die Glieder fährt und es eine Erlösung ist, die Hand schwer auf eine Wange niedersausen zu lassen.

Aber dieses jetzt war anders: – Dieses bohrende, beständige Denken an einen Mann mit dem Gefühl des Widerwillens, mit fast körperlichem Schmerz. Die Gedanken begannen zu mahlen. Rast bleich und hilflos zwischen Werners Händen. Rast vor Karolas Augen gedemütigt – lächerlich und verächtlich. Kindische Phantasmen, denen er nicht wehren konnte. Immer das quälende, heiße Verlangen, Rast leiden zu sehen, quälend, aufdringlich, wie ungestilltes, sinnliches Begehren.

Da sollte er nun die Leute trösten und ihnen in die Seele reden. Was wissen wir denn, was in unseren Seelen ist. Etwas Fremdes kommt, herrscht. Wir können nur zusehen.

Mußt du denn jetzt so häufig nach Dumala?« fragte Lene.

»Ja, ich muß«, antwortete Werner im Ton der Autorität.

»Warum?«

»Weil der Baron leidet und es ihn beruhigt, wenn ich da bin.«

»Du kannst ihm ja doch nicht helfen.«

»Ich bitte dich«, Werner wurde streng, »mir nicht in das, was ich für nötig halte, hineinzureden.«

»Sie haben dort ja Gesellschaft genug«, fuhr Lene eigensinnig fort.

»Wieso?«

»Der Baron Rast fährt ja so häufig hier vorüber.«

»Seine Sache«, meinte Werner. »Du scheinst dich dafür zu interessieren, ob er vorüberfährt.«

Nun schlug Lene die Hände vor das Gesicht, weinte und klagte:

»Was soll ich denn tun? Ich bin ja immer allein. Nun soll ich nicht einmal mehr sehen, wer vorüberfährt!«

Werner nahm seine Mütze vom Nagel und ging.

Die weinende Frau da drinnen hatte recht. Und er – er tat, als erfüllte er streng und weise seine Pflicht, er ging einen unreinlichen Weg, das sah er so klar, als ginge ein anderer diesen Weg, und er schaute ihm nach und wunderte sich, wohin der wohl geraten wird.

Aber nach Dumala mußte er. Es war ihm, als sei ein wichtiger Posten unbesetzt, wenn er nicht im Kaminzimmer, im Scheine der grünen Lampe saß.

Es war immer dasselbe. Karola war zerstreut und sah verträumt ins Feuer und horchte hinaus. Und dann klingelten die Schellen draußen.

»Ah, Rast!« sagte sie.

Sie verbarg es nicht, wie lustig dieses Schellengeklingel ihr in die Glieder fuhr. Sie richtete sich auf, streckte die Arme, in einer ihr ungewohnten Bewegung des Sichgehenlassens, als schüttele sie die Schläfrigkeit der Stunden ohne ihn von sich ab. Sie ging Rast entgegen, lächelnd, mit flimmernden Augen.

Und er kam, füllte den Raum mit seiner klingenden Stimme, seinem sorglosen Lachen, seinem englischen Parfüm. Die Lichter wurden angezündet. Es wurde festlich, ihm zu Ehren.

Wenn nach dem Tee Karola und Rast im Saal auf und ab gingen, saßen Werland, Pichwit und Werner am Kamin, schweigsam und wachsam. Wenn sie sprachen, so sprachen sie mit gedämpfter Stimme. Pichwit ging nach dem Barometer und blieb lange fort. Werland flüsterte und kicherte:

»Haben Sie bemerkt, Pastor, denen dort geht nie der Stoff zur Konversation aus.«

»Ja, Baron Rast ist sehr unterhaltend«, erwiderte Werner matt.

»Gott!« meinte Werland, »Sie brauchen einer Frau nur einigemal zu sagen: ›Ich bin sehr interessant‹, dann glaubt sie es.«

Ein starker Wind hatte die Nebel zerstreut. Als Werner gegen Abend von einem Gang in das Dorf dort hinter dem Walde nach Hause ging, stand ein goldener Himmel über dem Lande. Durch die feuchten Tannenzweige schlüpfte viel schwergoldenes Licht. Werner ließ das Licht auf sich wirken. Er wollte nicht denken, nur das helle, stille Leben dieses Lichtes wollte er in sich hineintrinken.

Da hörte er vor sich den feuchten Schnee unter Schritten knirschen. Es war Karola. Die Hände tief in ihren Muff gesteckt, den Kopf geneigt, ging sie langsam und sinnend den Weg hinab. Beide sahen zu gleicher Zeit auf.

War es etwas wie Ungeduld, das einen Augenblick über ihre Züge ging? fragte sich Werner.

Aber sie lächelte gleich wieder.

»Ah, Pastor, das ist hübsch!«

»So allein hier?« fragte Werner.

»Allein«, erwiderte Karola. »Natürlich! Ich habe einen Spaziergang gemacht. Sehen Sie, wieder das schöne Licht. Erinnern Sie sich, wie wir das letztemal im Abendrot nach Hause gingen? Das war schön!«

»Ja, das liegt doch nicht gar so weit zurück«, meinte Werner.

»Nicht?« sagte Karola. »Ach, alles geht so schnell – schnell vorüber, wie Laterna magica-Bilder.«

Durch den Wald kam Schellengeklingel, es entfernte sich, wurde schwächer.

»Dort fährt einer«, sagte Werner und horchte.

»Ja – er fährt fort«, erwiderte Karola ruhig.

Beide schwiegen.

»Sie sind gut, glaube ich«, sagte Karola plötzlich aus ihren Gedanken heraus.

Werner lächelte. »Warum bin ich gut?«

»Weil Sie«, versetzte Karola, »die, welche Sie lieben, glaube ich, gut schützen? Sie sind friedlich und stark.«

»Ich?«

Karola sah in die untergehende Sonne und dachte nach. »Ich glaube, die Beschäftigung mit den ewigen Dingen macht friedlich. Ewig, – das klingt, als ob alles aus wäre und nur Ruhe – große Ruhe. Ja, der, den Sie lieben, ist gut geborgen.«

»Es – es ist doch wohl –«, begann Werner, seine Stimme klang ein wenig unsicher, »es ist doch wohl für jeden das Schönste, das zu schützen, was er liebt.«

Karola nickte. »Ja – ja. Aber es ist gut, wenn Liebe stark und friedlich ist.«

Das Abendlicht floß wieder grell über die Ebene, als sie aus dem Walde traten und in die lange Allee einbogen.

»Warum sprechen Sie von – Geschützt-werden«, fragte Werner. »Kann ich – – – wollen Sie geschützt sein?« Das kam zögernd und ungeschickt heraus.

»Ich?« Karola lachte. »Mein Gott! Ich bin ja so furchtbar geborgen.«

Dann zeigte sie auf ihre Schatten, die vor ihnen auf dem Schnee lagen. »Und die Schatten, haben die sich verändert?«

Werner schüttelte den Kopf »Nein – nein – Ihrer ist ganz leicht und frei. Zum Verheimlichen haben Sie kein Talent, gnädige Frau.«

Karola lächelte ein seltsam hochmütiges Lächeln, das er an ihr noch nicht kannte, und sagte in einem Ton, der ihm mißfiel:

»Wozu auch?«

Am Ende der Allee trennten sie sich.

»Auf Wiedersehen, Pastor, Sie kommen doch zu uns«, sagte Karola und reichte ihm die Hand. »Was machen Sie für seltsame Augen? Ach, es ist wohl die Abendsonne, wenn die sich in den Augen spiegelt, dann werden die Augen ganz wild.«

»Ich bin friedlich und stark«, dachte Werner auf dem Heimwege. »Und sie ist wohlgeborgen und hat nichts zu verbergen. So geht man liebevoll durch den hübschen Abendschein, und einer legt dem anderen freundlich seine Lügen an das Herz.«

Der Waldhüter Erman war bei Werner. Gott! sah der Mann zerlumpt aus mit seinen Bastschuhen, der schlechtgeflickten Hose, dazu das traurige Trinkergesicht. Er war auch heute leicht angetrunken. Werner hatte ihn zu sich bestellt, um ihm eine Strafrede zu halten. Seine Frau klagte beständig über ihn.

»Eine Schande ist es«, fuhr er ihn an. »Sieht so ein herrschaftlicher Waldhüter aus? Nicht einmal Stiefel hast du bei diesem Saufen, und Frau und Kinder verhungern.«

»Ja – ja – Sünde ist’s«, sprach Erman weinerlich vor sich hin. »Was kann man machen!«

» Nicht saufen!« schrie Werner ihn an.

»Nicht saufen, – nicht saufen«, wiederholte Erman. »Wer kann das! Was hat man sonst!«

»Jetzt bist du schon betrunken«, fuhr Werner fort. »Glaubst du, der Baron Rast wird solch einen Lumpen als Waldhüter behalten?«

»Der Baron – der!« Erman lächelte verschmitzt.

»Was heißt das?«

»Mit dem ist’s auch nicht richtig.«

»Was sprichst du da!« Der Mann war betrunken, er sollte ihn fortschicken, sagte sich Werner, aber er schickte ihn nicht fort, er schwieg, er wartete, was der Mann sagen würde. Erman dachte nach, sah mit den verschwommenen wasserblauen Augen zur Decke hinauf, suchte seine Erinnerungen zusammen.