Aus-/ Durchgebrannt

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Edith Seo

Aus-/ Durchgebrannt

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Aus- / Durch gebrannt

Impressum neobooks

Aus- / Durch gebrannt
Einleitung

Haben Sie schon visualisiert, entrümpelt, beim Universum bestellt, den Jakobsweg begangen und es ist NICHTS passiert? Jedenfalls nicht wirklich?

Sie haben sich scheiden lassen, nur um ein Jahr später in der nächsten fatal stagnierenden Beziehung festzustecken, Sie haben ihren Job gekündigt und auf magischem Wege diesmal wieder eine ausweglose Situation vorgefunden?

Sie haben alles Gerümpel aus ihrer Bude geschmissen, um vor dem Nichts zu stehen und alles was passiert ist, ist die Erbschaft ihrer Tante, die ihnen leider keine Louis XVI.- Möbel sondern nur von der Katze angekratzte und vom Hund bepisste 70er Jahre-Kommoden eingebracht haben?

DANN ist dieses Buch genau das Richtige für Sie!

Diesmal muss es klappen, alles anders werden und Sie wollen nie mehr in alte Muster zurückfallen.

Vorab muss ich ihnen sagen: Ich möchte nicht zwischen Dale Carnegie und „The Secret“ im Bücherregal vor mich hinstauben. Nicht einfach dazugelegt werden, nur um ein gutes Gewissen zu haben. Ich habe auch nichts davon, wenn man bestenfalls über das Buch sagt, die Ansätze seien ja ganz gut, aber irgendwie doch aus Bibel, Koran, Thora oder ungeschriebenen Maya-Dogmen plagiiert.

Es geht um Sie!

Identität

Sie fühlen sich ausgebrannt, haben aber keine Kraft, etwas zu ändern, deshalb

brauchen Sie klare Ansagen und Regeln, die Sie beizeiten wieder über den Haufen werfen und neu ausrichten können. Insofern geht es hier schon los. Ein neues

Leben erfordert eine neue Identität. Eigentlich sind Sie mit sich ja ganz zufrieden,

mögen Sie jetzt denken, nur Ihr Chef, Ihr Partner, Ihre Schwiegermutter wollen einfach

Ihre Qualitäten nicht richtig einschätzen.

Womit identifizieren Sie sich? Mit Ihrem Job? Ich kann ihnen garantieren, selbst als Bundespräsident können Sie nach einem halben Jahr vergessen sein. Mit ihrer Beziehung? Mit ihrem Hobby? Wenn sich mal ihr bisheriges Leben betrachten, ist demnach ihre Identität etwas variables. Sie waren mal Schüler, mal Reitbeteiligte, mal Fußballer, mal Krückengänger, mal Amateur-Pokerspieler oder mal Leichtflugzeug-Pilot. Manches davon sind Sie vielleicht heute noch, oder wieder, manches haben Sie schon lange ad acta gelegt.

Schauen Sie genau hin, wer Sie sind und wer Sein wollen.

Grenzen Sie sich ab, schließen Sie sich an, lösen und binden sie neu. Schauen Sie, wie vielfältig Sie selbst sind.

Die Anderen

Wenn Sie Ihr Leben betrachten, wird Ihnen auffallen, dass die Dinge, die Sie am meisten nerven, jene sind, die sich ständig wiederholen. Jeden Sonntag ruft die Schwiegermutter an und wenn sie schon Ihre „krächzende“, „quietschende“, „knatschige“ Stimme hören, merken Sie, wie ihnen übel wird. Oder die jeden Montag um 10 am stattfindende Teambesprechung, bei der Ihr Chef sie immer übergeht, kritisiert oder nicht ausreden lässt. Die ganze Woche ist dann schon wieder gelaufen. Immer sind es die Anderen. Das mag stimmen, aber der Punkt, um den es geht ist: Sie lassen es zu!

Die Anderen haben in vieler Hinsicht eine Bedeutung in unserem Leben. Indem Sie uns nerven, uns mobben, uns loben oder uns bremsen. Alles dient dem Zweck, uns zu fixieren und uns eine Rolle zuzuweisen.

Machen Sie nicht den Fehler, sich an den Menschen zu orientieren, die Ihnen ihre geballten Weisheiten angedeihen lassen. Die Leute, die mir von Müßiggang im ersten Semester oder Schokolade abgeraten haben, sind bereits verstorben (ganz ohne Müßiggang und Schokolade). Ihre Freundin, die den schrägen Vogel kritisiert, den Sie neuerdings daten, brennt selbst vielleicht schon morgen mit einem Bauarbeiter aus Marokko durch. Lassen Sie sich nicht vom Dünkel und den „perfekten“ Lebensentwürfen der anderen irritieren. Die ändern sich (was ihnen zu wünschen ist) oder verstauben. Gehen Sie ihren Weg und lassen Sie sich nicht aufhalten.

Ausbrennen

Besteht Ihre belastende Situation schon länger als ein Jahr? Diese Variante ist ziemlich wahrscheinlich. Vielleicht sogar schon 10 Jahre oder länger. Vielleicht haben Sie bereits irgendeine Krankheit (beliebt sind Migräne, Allergien und alle Arten von Verdauungsstörungen) entwickelt, um zu entkommen. Dann ist es allerhöchste Zeit zu reagieren. Ihr Körper sendet Ihnen Warnzeichen. Auch wenn mancher Heiler sich trotz dieses Wissens nicht retten konnte, sollten Sie sich davon nicht abschrecken lassen. Ich kenne eine Inka-Priesterin, die ein Geschwür hatte, sich aber nicht operieren lassen wollte. Sie hat, vielleicht, aufgrund ihrer Heilkünste, noch einige Jahre überlebt, aber ist letztlich doch daran gestorben. Heiler und Menschen aus Heilberufen allgemein haben es besonders schwer, weil von Ihnen Erfolg erwartet wird. Sie dürfen auch mal ausbrennen, aber am Ende sollten sie wie Phönix aus der Asche wieder aufstehen. Wenn sie das nicht tun, ist ihr ganzes Konzept im Eimer. Vielleicht aber war ihr Konzept ganz in Ordnung, nur dass sie zu sehr von ihm überzeugt waren, statt zu sagen, an diesem Punkt hilft es nicht, ich muss etwas anderes zulassen, selbst wenn es etwas ist, das ich früher immer verdammt habe.

Wenn Ihr Problem also schon über einen langen Zeitraum besteht, so erfüllt es keinen Sinn mehr. Sicher muss man sich am Anfang durchkämpfen, jede neue Aufgabe ist zu Beginn ein Kraftakt und niemandem ist hier geraten, innerhalb von zwei Wochen das Handtuch zu werfen, denn die Probleme der ersten Wochen lösen sich häufig in Luft auf.

Wenn Sie allerdings bei dem hinterhältigen Chef oder dem untreuen Partner verweilen, bremst das Ihre Entwicklung und ist auf jeden Fall ungut.

Panta Rhei- Alles Fließt

Stagnation ist ungesund, weil sie den Wachstumsprozess behindert. Der Wachstumsprozess kann horizontal, vertikal oder chronologisch stattfinden, manchmal ist er auch längst überfällig, dann ist er besonders schmerzhaft, weil er auch Angelegenheiten, die schon längst hinter einem liegen, wieder aufwühlt.

Melanie, 24, hatte ein schlaues Buch gelesen, nachdem sich ihr langjähriger Freund von ihr getrennt hatte. Da stand drin, sie müsse sich aufraffen, alles anders machen, sich nie wieder an jemand anderen hängen und die Verantwortung übernehmen. Normalerweise hätte Melanie so ein Buch an die Wand geknallt, wie sie es mit ihrem Goldhamster gemacht hatte, was sie sich heute noch vorwarf und überhaupt, dachte sie, hätte sie ab 16 alles anders machen müssen. Wenn sie nicht Klaus für Rocco (ein beliebter Name für Draufgänger, in Wahrheit hieß der Betreffende Hermann-Josef, aber bleiben wir bei Rocco) verlassen hätte, wäre sie heute verheiratet und müsste nicht mehr hinaus in die kalte Welt. Aber Rocco würde nun für ein halbes Jahr nach Australien gehen, vielleicht auch für immer, denn er passte optisch und intellektuell perfekt nach Surfer´s Paradise.

Nun beschloss Melanie, nie mehr das kleine Mädchen sein zu wollen, das Rocco verlassen hatte. Sie wollte über sich hinauswachsen. Irgendetwas Neues musste her. Etwas Atemberaubendes, etwas, dass sie vergessen ließe und dass alle anderen anders über sie denken lassen würde.

Und wie es der Zufall wollte- er will immer irgendetwas, dürfte Ihnen auch schon passiert sein- stieß sie an der Uni-Pinnwand auf eine Ausschreibung für ein Praktikum bei einem großen Unternehmen in Abu Dhabi. Melanie sah sich im Geiste als orientalische Prinzessin durch goldgetäfelte Gemächer lustwandeln, umschwirrt von Eunuchen und gesalbt für einen hinreißend monogamen Scheich mit geheimnisvollen Augen. Sie bewarb sich und bekam das Praktikum.

Die erste Woche war die Hölle. Sie sass (bei 45 Grad Aussentemperatur) mit einer Erkältung im unterkühlten Bürogebäude mit akustischer und visueller Präsenz der ringsherum liegenden Baustellen. Der gleichaltrige Kollege wurde zu Geschäftsreisen nach Djidda und Riad mitgenommen, sie jedoch, die in Saudi-Arabien aufgrund der rigiden Gesetze nur als lästiges Anhängsel betrachtet wurde, zunächst in einer Ecke geparkt. Verzweifelt rief sie am Ende der Woche ihre Mutter an:

Ich halt das nicht aus, ich muss abends meine Stimme ölen, weil ich mit keinem gesprochen habe, ich lasse mich krankschreiben und dann komme ich wieder nach hause.“

Was mit Melanie passiert war? Sie war fern der Heimat, sie war auf sich gestellt und sie hatte sich, nach all ihren Heulkrämpfen, die der Ex provoziert hatte, in Träume geflüchtet, die sich so nicht realisiert hatten. Sie hatte alles auf eine Karte gesetzt, war mutig gewesen und wollte etwas ganz anderes machen als bisher. Genau wie Sie vielleicht mit ihrer Ananas-Diät. Aber dann ist alles so unzumutbar, dass man wieder aufgibt, weil die Herausforderung einfach zu groß ist und sich „sonst niemand“ so etwas antut. Mit einer gewissen Genugtuung lässt man sich zurückfallen in das alte Muster mit der neuen, alten Erfahrung, dass man nun mal ein Pechvogel und die Welt grausam ist.

 

Melanie hatte Glück im Unglück, denn ihre Mutter teilte ihr mit, dass sie für eine Woche verreist und damit telefonisch nicht erreichbar sei. Sie solle eine weitere Woche durchhalten, wenn es dann gar nicht mehr ginge, na ja, dann würde man weiter sehen. Aber während dieser Woche solle sie alles geben. So tun, als sei es die letzte Woche und sie könne danach sowieso wieder nach hause.

Nach einem einsamen Wochenende in der Shopping Mall, in der Sie endlich echte Scheichs zu sehen bekam und Inderinnen in Saris, erschien Melanie montags morgens wieder im Büro. Da saß Penelope Cruz im Gucci-Kostüm und stellte sich als Dalia Abu Dingbums vor und außerdem als ihre neue Chefin. Sie warf ihre Haare zurück und ließ Melanie Platz nehmen. Na, toll, dachte Melanie, eine zickige Schönheit als Chefin hat mir gerade noch gefehlt. Aber sie beschloss, bei ihrem Vorsatz zu bleiben. Alles, was Dalia will, wird gemacht, befahl sie sich wie eine Soldatin.

Dalia kam zurück, warf wieder das Haar über die Schulter und lächelte freundlich:

„Ich hab schon gehört, hier hat sich keiner richtig um dich gekümmert. Ich war bis letzte Woche in Urlaub, eigentlich wollte ich vorbeikommen um dich zu begrüßen, aber sorry, ich hatte irgendwie keine Lust.“ Sie zwinkerte kameradschaftlich. „Erst durch die Hitze und dann wieder hier rein, na ja, sorry, dass ich dich hab hängen lassen.“

Melanie verzieh ihr sofort, denn mit so einem Ton hatte sie in dem sterilen und anonymen Glaspalast schon gar nicht mehr gerechnet.

„Jetzt wird´s aber auch erstmal nicht besser, ich muss auf die Baustelle und du musst leider mit. Danach gehen wir aber ins Emirates Palace zum Lunch mit dem Investor. Na, komm...“Dalia warf ihr lässig einen Helm zu und es ging los. Ende der Woche vergaß Melanie, ihre Mutter anzurufen, da sie gerade mit Dalia auf einer Party war und Dalia im Folgenden so was wie ihre große Schwester wurde, mit der sie loszog und die ganze Arabische Welt unsicher machte. Zwei Jahre lang blieb sie dort. Mit Dalia gingen Türen zu Palästen auf, konnten unbezahlbare Pferde geritten und kühne Projekte angegangen werden, die Melanie tatsächlich vergessen ließen, was vorher war.

Nach zwei Jahren aber heiratete Dalia und ließ Melanie allein in der Firma. Ein neuer Chef, ein neuer Umgangston, vergessen geglaubte Erkältungen und laute Baustellen waren wieder da. Weihnachten fuhr Melanie nach Hause und hatte plötzlich gar keine Lust mehr auf Abu Dhabi. Alles dort war künstlich und überhaupt nicht ihr Ding. Dalia war super, aber ohne sie war nichts mehr übrig von all dem. Rocco war längst zurück aus Australien, hatte sich beim Surfen den Oberschenkelhals in einer Welle verkeilt und sah längst nicht mehr so spannend aus wie gleich nach der Trennung. Auch kam er ihr kleiner vor. Trotzdem ging es ihr schlecht.

Ja, werden sie sagen, weil sie sich vorgenommen hatte, sich nicht mehr an jemand anderen zu hängen, doch dann hat sie mit Dalia gewisser Maßen wieder das alte Muster aufgenommen.

Nein! Das meine ich nicht, sondern sie hatte einfach wieder einen Abschnitt beendet. Ein Aspekt ihrer Persönlichkeit hatte durch Dalia entfaltet werden können, doch als er voll ausgelebt war, war sie satt und Sattheit bedeutet immer Stagnation und Stagnation kündigt immer, wenn man sich nicht vorsieht einen Bruch an. Letzterer wird meist als unangenehm wahrgenommen und deshalb klappte Melanie wieder in sich zusammen. Trotzdem hatte sie tolle Erfahrungen gemacht und konnte diese, soviel sei gesagt, drei Jahre später wieder sehr gut nutzen. Ihre Entscheidung nach Abu Dhabi zu gehen, war also keineswegs falsch gewesen, sondern zum gegebenen Zeitpunkt genau richtig. Auch die Entscheidung, trotz aller Widrigkeiten eine Woche länger auszuhalten, war richtig, denn diese Woche hatte ihr zwei fantastische Jahre eingebracht, von denen sie, wenn sie die jetzige Misere überwunden hatte, noch lange würde zehren könnten. Trotzdem, und an diesem Punkt war sie gerade, ändern Zeiten sich und als sie mit dem neuen Chef nicht klar kam und das Negative wieder verstärkt wahrnahm, hielt sie nichts mehr. Auch das war in Ordnung.

Es geht um Sie! Und wenn Sie sich ausgebrannt fühlen, dann brennen Sie besser durch.

Gezeiten

An dieser Geschichte sollte eines gezeigt werden. Es gibt im Leben immer Ebbe und Flut und es gibt keinen organischen Stoff auf dieser Welt, der nicht pulsiert, der nicht nach den Maßstäben von Ebbe und Flut lebt, auch amerikanische Ratgeberautoren nicht. Sie lassen Sie lediglich die Flut sehen, damit Sie glauben, ein Leben nur in der Flut sei möglich. Aber das ist eine Illusion, denn auch eine Sturmflut oder ein Tsunami kann verheerend sein, deshalb seien Sie einverstanden, wenn es Zeit für die Ebbe ist, denn das ist normal. Insgeheim wissen wir das, denn immer, wenn es so richtig ganz besonders gut läuft, warten wir schon auf den Zusammenbruch. Unbewusst wissen wir nämlich, dass die Gezeiten sich in der Mitte einpendeln müssen und je stärker man pendelt, desdo stärker sind Erfolge und Niederlagen. Auch das ist ok.

Während der Ebbe

Nun, wenn es Ebbe und Flut gibt, werden Sie sich fragen, wie kann ich dann der Ebbe entkommen? Denn die Ebbe ist mir unangenehm, ich möchte keine Ebbe. Genau das ist aber das Problem. Denn das Leben setzt sich so oder so durch und manch einem gelingt es mit Charme und Geschick, immer warm von einer Partnerschaft in die nächste zu gleiten, ungekündigt in den nächsten Job zu rutschen oder irgendwie noch die Kurve zu kriegen. Trotzdem gibt es in jedem Leben einen Punkt, an dem man sich fragt, ob man die richtigen Ziele hat, warum man sich nicht richtig glücklich fühlt, obwohl man eigentlich alles hat oder warum das Schicksal ausgerechnet bei einem selbst immer so hart zuschlägt.

Das alles liegt nicht daran, dass die bisherigen Ziele wirklich die ganz falschen waren oder Ihr Leben aufgrund von konkreten Fehlentscheidungen nicht glücklich ist, sondern daran, dass Sie sich verändert haben. Dass einfach das alte JETZT nicht mehr stimmt. Man fühlt sich ausgebrannt, wenn man sich im Kreis dreht, keine Herausforderungen mehr kommen und unsere Kritiker oder Ignoranten- vielleicht ein bisschen philosophisch besser unsere „Entwicklungsassistenten“ genannt- an uns herumkritteln, die Gesamtsituation aber nicht hart genug erscheint, um Nägel mit Köpfen zu machen und alles aufzugeben.

Mit Anfang zwanzig ist man einfach noch um die halbe Welt geflogen, um einen Berg zu besteigen oder bekifft in einem Zelt zu liegen, all das macht mit 45 irgendwie keinen Sinn mehr, genauso, wie es unspannend wird, Karl May zu lesen, wenn man die Schulzeit hinter sich hat. Es gibt für alles eine Zeit und manches passt nicht mehr zum anderen. Aber wir alle haben Träume, z.B. aus unserem Ruhrpott-Container auf einen Bauernhof im Oderbruch umzusiedeln (bei Eigennutzung durchaus empfehlenswert, dort zu investieren). Die Buchhandlungen sind voll von „Zurück auf´s Land“ und „Einmal um die ganze Welt“- Büchern, es scheint also da Bedarf zu geben.

Dieses Kapitel heißt „Während der Ebbe“ und ich gehe mal davon aus, dass Sie dieses Buch während einer Ebbezeit lesen und diese auch als solche erkannt haben, denn während Flutzeiten macht man andere Sachen. Man ist einfach gar nicht da, wo Rumsitzen und Nachdenken angesagt ist. Also gehe ich davon aus, dass Sie gerade jetzt Zeit haben, zumindest einen Abend oder einen kranken Tag, bei dem Sie Pause vom Büro haben. Vermutlich haben Sie sich Arbeit mit nach Hause genommen und lesen mit schlechtem Gewissen (nur diese Seite noch, sagen Sie sich) und ich will Ihnen die Möglichkeit geben, eine Pause zu machen.

Gehen Sie mal an Ihren Bücherschrank und schauen sich an, was da so steht. Diverse geschenkte Bücher, die sie nie gelesen haben, Studienbücher und Arbeitskram, beiseite damit für jetzt. Sehen sie ein paar Ratgeber, die Ihnen bei einem konkreten Problem helfen sollten?

Vielleicht konnten Sie mit meinem Wüstenbeispiel nämlich gar nichts anfangen, vielleicht träumen Sie von Samoa oder Alaska, von einem Häuschen im Elsass oder davon, in die Nähe ihrer Mutter zu ziehen.

Wir lieben Filme und Bücher, in denen jemand plötzlich alles anders macht, aber was ist, wenn Pippa Lee mit ihrem jungen Liebhaber nur bis in den nächsten Trailerpark kommt, er dort zum Alkoholiker mutiert und sie hinterher zurück in ihre Seniorenresidenz zieht, wenn sie selbst das richtige Alter erreicht hat. Vielleicht bekommt er auch einen Herzinfarkt, wer weiß, aber das wollen wir nicht sehen. Wir schauen nur bis zu dem Punkt, an dem der Neuanfang stattfindet, in dem der Umbruch seinen Anfang nimmt und glauben fest daran, von einer schwungvoll abenteuerlichen Musik untermalt, dass diesmal alles anders wird.

Es wird anders, wenn wir es zulassen, dass es anders sein darf, auch anders als in unserer Vorstellung, aber lebendig.

Nehmen Sie also eines der Bücher, die Ihnen damals versprochen haben, dass es eine Methode gibt, die die allumfassende Weisheit bedeutet und dessen Autor zu anderen Zeiten hätte den Schierlingsbecher leeren müssen, so magisch sind seine Lehren. Tatsächlich hatte einiges davon geklappt, haben sie Parkplätze gefunden und eine neue Freundin in dem angefangenen Kundalinikurs, den sie nicht zuende gemacht haben. Diese Freundin war Hobbyfotografin und hat dann einige tolle Fotos von ihnen gemacht, die sie über ein paar Umwege in einen Werbespot oder in das Bett ihres nächsten Lovers katapultiert haben. Am Ende ist die Freundin weggezogen und auch die Folgeaufträge verliefen im Sande.

Nicht jeder Weg führt zum Ziel, aber auf dem Weg des Versuchs passiert meist so einiges. Während der Ebbe haben Sie Gelegenheit sich zu erinnern, den Keller auszuräumen und Pläne für die Zukunft zu machen. Fangen Sie jetzt damit an!

Bereuen

Haben Sie schon mal etwas bereut, das sie getan haben? Sicher, hier und da, man schämt sich, ärgert sich, aber nach einem, spätestens zwei Jahren hat man es vergessen, weil schon wieder neue kleine Katastrophen dazwischen getreten sind, die uns jetzt viel schwerwiegender vorkommen und so schichtet sich alles übereinander.

Viel schlimmer aber nagen, vermutlich gerade jetzt, die Dinge an Ihnen, die Sie nicht getan haben. Die Sie sich immer wieder vorgenommen haben und die deshalb Ihr Leben bis heute belasten. Auch in Ihrem Leben gab es diesen jungen Typen an der texanischen Tankstelle, mit dem sie am liebsten durchgebrannt wären. Oder den eloquenten Kunst-Professor, dessen sinnige Beschreibungen auf der Vernissage Sie so spannend gefolgt sind und der Sie anschließend auf einen Drink einladen wollte, aber Ihre Freundin war dabei und sie wollte unbedingt vor dem Regenschauer nach Hause. Hätten Sie damals das Angebot annehmen sollen, einfach nach Shanghai zu gehen? Für zwei Jahre, die jetzt sowieso längst vorbei gewesen wären, stattdessen ist in diesen zwei Jahren auch nichts passiert, weil ihre Kollegin, die Sie damals angeflirtet hatte, Melanie war und in der Zwischenzeit nach Abu Dhabi abgehauen ist?

Alles in allem ist es meist besser zu handeln, als abzuwarten. Meist bekommt man vom Schicksal sogar mehrere Aufforderungen zum Handeln, schlägt sie aber nacheinander aus. Erinnern Sie sich? Sie hätten die Gelegenheit gehabt, alles ganz anders zu machen und zwar öfter als einmal. Was hat Sie davon abgehalten? Womit versuchen Sie nun ihre Reue zu beschwichtigen?

Mit dem Argument, dass es vielleicht nicht funktioniert hätte, dass Sie alsbald wieder in derselben oder einer noch ungünstigeren Situation gelandet wären?

Das weiß ich, weil wir alle es so machen! Und oft haben wir sogar recht, denn wenn wir wirklich den Schritt machen, oder jemand aus unserem Bekanntenkreis, dann geht meist irgendetwas schief, nach einem halben Jahr, nach drei Jahren oder nach siebendreiviertel. Wir und alle anderen warten eigentlich nur darauf, denn Abenteurer dürfen keinen Erfolg haben. Aussteiger dürfen nicht aufsteigen, denn dann würden wir uns noch beschissener fühlen.

Aus f stiegschancen

Damit liegen wir alle, die Neider und Schadenfrohen, aber falsch. Denn erstaunlicherweise sind die bei einem abenteuerlichen Versuch Gescheiterten meist gar nicht lange unglücklich. Sie heulen ein bisschen, berappeln sich aber auffällig schnell wieder und kommen durch eine Hintertür wieder dort hinein, wo sie mit wehenden Fahnen und einer Staubwolke hinter sich in grauer Vorzeit hinausgestürmt sind. Nun, etwas zerknirscht, sind sie wieder da, warten die Ebbe ab und schauen dann, was in der Jetzt- Zeit wieder möglich ist. Sie brauchen nämlich nicht über die vergangenen Chancen zu grübeln, sie haben es gewagt und wissen wie es ausgegangen ist und auch wenn sie zu Ihnen treuherzig sagen, dass sie Ihren Weg für klüger und umsichtiger halten, dass es von Ihnen schlauer war, da zu bleiben, werden sie jedoch nie so lange über die Alternative sinnieren, wie die Dagebliebenen, ganz einfach, weil es nicht lohnt.

 

Neid

Neid ist ein böses Wort und wird gerne im persönlichen Gespräch negiert. Erstaunlich aber, wie oft Homöopathen die Bachblüte Holly, die Neid heilen soll, verschreiben müssen. Da kann etwas nicht stimmen, oder? Wir alle sind neidisch, aber Neid sollte nicht in Groll, Missgunst oder gar Hass umschlagen, sondern uns anspornen, auch erfolgreich zu sein. Erfolg bedeutet nicht, genauso viel zu verdienen wie ein anderer, denn wer weiß schon, wie glücklich derjenige wirklich ist. Erfolg bedeutet, sein eigenes Ding zu machen. Wenn der andere also fließend Chinesisch spricht, Sie aber mit Fernost überhaupt nichts anfangen können, dann gehen Sie lieber in einen Eishockeyverein oder in einen Salsa-Kurs. Es geht um Sie!

Sie sollten der Mittelpunkt Ihres Lebens sein, die anderen, das sei noch einmal gesagt, sind nur Entwicklungsassistenten, die Ihnen helfen sollen. Sie sind gleichzeitig auch Entwicklungsassistent der Anderen, das sollte klar sein. Wenn Sie der ignorante Chef sind, brauchen Sie sich nicht zu wundern, wenn in zwei bis drei Jahren der Junior auf Ihrem Thron sitzt, den sie damals in die Wüste geschickt haben. Denn die meisten Wüsten bergen geheimnisvolle Oasen und vielleicht braucht Ihre Firma den aufstrebenden, windgewaschenen Ulan Bator- Experten. Dann würden Sie vermutlich schäumen vor Wut, aber gleichzeitig wieder eine Chance bekommen, sich zu entwickeln. Nicht indem Sie es dem Junior nachtun, sondern indem Sie Ihren Weg gehen, der vielleicht zu Greenpeace oder in eine Werkstatt in Saint Louis führt.

Das alte Ziel

Ich nehme an, Sie haben inzwischen in einem Ihrer alten Bücher nachgeschlagen. Sie hatten einige Sätze unterstrichen und vielleicht, wenn es ein interaktives Buch war, Seiten ausgefüllt. Da haben Sie vielleicht aus der Zukunftsperspektive Ihr Leben aufgeschrieben. Vielleicht steht da: „Ich lebe auf einem großen Bauernhof mit Backsteinofen in der Provence, habe sieben Hühner, sieben Schweine, sieben Hunde und einen sieben Jahre älteren Ehemann.“

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