Der Doppelgänger

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5

An einem Spätsommernachmittag schaute Heloise van Oynne über den dunklen Fluß und schien in den Anblick eines farbenfreudig gestrichenen Hausbootes versunken zu sein, das am Ufer befestigt war.

»Erzählen Sie mir doch noch etwas mehr von Diana, sie muß wirklich faszinierend sein«, sagte sie plötzlich.

Gordon wurde unruhig. Er hatte schon viel mehr über Diana erzählt, als er eigentlich wollte und ihm lieb war.

»Nun ... Sie wissen doch schon alles über sie, ich hoffe, daß Sie sie kennenlernen werden ... eines Tages.«

Die kleine Pause, die er vor den letzten Worten machte, hatte für eine sensitive Frau eine ganz besondere Bedeutung, und Heloise war sehr hellhörig, denn das gehörte zur Durchführung ihrer Absichten. Heute schien sie wieder unglaublich ätherisch zu sein.

Sie war schön, schlank – Diana hätte sie wahrscheinlich mager genannt – und geistreich.

In ihren tiefen schwarzen Augen verbärgen sich Geheimnisse und unergründliche Rätsel. Manchmal fürchtete er sich fast vor ihr.

Gordon Selsbury war nicht verliebt. Er gehörte nicht zu den Leuten, die leicht ihr Herz verloren. Aber es schmeichelte ihm, daß er ein Geheimnis hatte. Früher hatte einmal jemand von ihm gesagt, daß er etwas Sphinxhaftes an sich habe.

Wenn Diana älter und vor allem nicht seine Kusine gewesen wäre, wenn sie sich nicht in dieser meisterlichen Art ganz gegen jedes Herkommen und gegen jede Sitte in seinem Hause festgesetzt hätte und nicht so verteufelt sarkastisch und selbstbewußt gewesen wäre – dann hätte er ihr gegenüber wahrscheinlich so etwas wie Zuneigung, vielleicht auch Liebe, gefühlt.

Er dachte an Diana und schaute auf seine Armbanduhr. Er hatte versprochen, zum Abendessen zu Hause zu sein. Heloise hatte die kurze Bewegung gesehen und innerlich gelächelt.

»War eigentlich die erste Liebesaffäre Dianas sehr ernster Natur?«

Gordon hustete.

Heloise konnte ihn in letzter Zeit überhaupt nicht mehr sehen, ohne dauernd über Dianas frühere Liebe zu sprechen. Das war doch ein merkwürdig weiblicher Zug, den er nicht bei ihr vermutet hatte. Er wurde einer Antwort enthoben, denn sie stellte plötzlich eine andere Frage an ihn.

»Wer ist dieser Mann, Gordon?«

Eine merkwürdige Gestalt war schon zweimal an der Hotelterrasse vorübergerudert, wo sie beim Nachmittagstee saßen, und zweimal hatte der dicke Mann mit dem roten Gesicht zu ihnen heraufgeschaut.

»Ich weiß es wirklich nicht – sollen wir nicht besser gehen?«

Sie machte keinen Versuch, sich zu erheben.

»Wann werde ich Sie wiedersehen, Gordon? Das Leben ist so leer und öde ohne Sie. Hat denn Diana ein Monopol auf Sie? Die Leute würden uns beide nicht verstehen. Ich liebe Sie nicht, und Sie lieben mich nicht; wenn Sie dächten, daß ich Sie etwa liebte, würden Sie mich nicht wiedersehen wollen.« Sie lachte ruhig vor sich hin. »Es ist nur Ihre Seele und Ihr Geist« – sie sprach sehr leise – »nur das vollkommene Verstehen, das uns eint. Liebe oder Ehe bringen das nicht zustande.«

»Es ist wundervoll«, sagte er und nickte. »Nein, die böse Welt würde uns nie verstehen.«

»Ich sehne mich so sehr nach dem einen Tag.« Sie schaute zu dem Fluß hinüber. »Aber ich wage nicht zu hoffen, daß er jemals kommen wird, dieser Tag meiner Träume.«

Auch Gordon Selsbury glaubte nicht daran und hatte schon den ganzen Nachmittag darüber nachgedacht, wie er ihr seine Zweifel sagen könne.

»Ich habe mir den Plan unserer Reise nach Ostende genau überlegt, Heloise. Es würde natürlich etwas Wunderbares sein, wenn wir einander den ganzen Tag sehen könnten und miteinander, wenn auch nicht unter demselben Dach, so doch in derselben Umgebung, leben könnten. Die ungestörte Verbindung unserer Seelen – das ist ein zu glücklicher Gedanke. Aber glauben Sie, daß es klug ist, nach Ostende zu gehen? Ich spreche natürlich von Ihrem Standpunkt aus, denn Skandal und Klatsch berühren einen Mann kaum.«

Sie wandte ihm ihre sehnsüchtig strahlenden Augen zu.

»Was könnten uns die Leute anhaben? Was wollen sie denn von uns sagen? Lassen Sie sie doch klatschen!« sagte sie verächtlich. Er schüttelte den Kopf.

»Ihr Ruf ist mir heilig«, erwiderte er bewegt. »Er ist mir teuer und kostbar und darf nicht irgendwie in den Schmutz getreten werden. Die Saison in Ostende ist zwar vorüber, die meisten Hotels sind geschlossen, und viele Kurgäste sind abgefahren, aber trotzdem besteht die Möglichkeit – allerdings nur die Möglichkeit, daß wir einen Bekannten treffen, der womöglich gleich das Schlimmste über unsere unschuldige Seelenfreundschaft dächte. Es ist außerordentlich gefährlich.«

Sie lachte hart, als er sich erhob.

»Ich sehe, daß Sie sich doch innerlich noch nicht befreien können, Gordon. Es war ein verrückter Gedanke, wir wollen nicht mehr darüber sprechen. Es tut mir weh.« Er zahlte schweigend, und schweigend folgte er ihr zu seinem Auto. Er war etwas gekränkt. Niemand hatte ihm bis jetzt gesagt, daß er innerlich gebunden sei.

»Wir werden nach Ostende fahren. Ich werde Sie treffen, wie wir es schon seit langem verabredet haben«, sagte er, als sie halbwegs zum Richmond-Park gefahren waren.

Sie antwortete ihm nicht, aber sie drückte seinen Arm innig.

Sie saßen schweigend nebeneinander und träumten.

»Es liegt etwas Unendliches in unserer Freundschaft. Ach, Gordon, es ist doch zu wundervoll ...«

Diana las ein Magazin im Studierzimmer, als Gordon eintrat. Sie ließ das Heft sofort sinken und sprang von ihrem Stuhl auf. Wenn sie las, saß sie an seinem Schreibtisch, der sich gewöhnlich bei seiner Rückkehr abends in einem chaotischen Zustand befand, obwohl er ihn morgens nett und ordentlich zurückgelassen hatte.

»Das Essen ist schon lange fertig«, sagte sie kurz. »Du kommst verteufelt spät, mein lieber Gord.«

Mr. Selsbury fühlte sich bedrückt.

»Ich wünschte, du würdest mich nicht Gord nennen, Diana«, sagte er vorwurfsvoll. »Es klingt – es klingt fast wie Hohn.«

»Aber es paßt doch so gut zu dir. Du weißt gar nicht, wie dir dieser Name steht.«

Gordon zuckte die Schultern.

»Jedenfalls nimmt eine Dame nicht das Wort ›verteufelt‹ in den Mund.«

»Wo bist du eigentlich gewesen?« fragte sie mit herausfordernder Offenheit, die ihr besonders eigen war.

»Ich bin aufgehalten worden –«

»Aber doch nicht in deinem Büro«, erwiderte Diana prompt, als sie sich zu Tisch setzten. »Seit dem Mittagessen bist du nicht dort gewesen.« Mr. Selsbury sah verzweifelt zur Decke.

»Ich bin in einer reinen Privatsache aufgehalten worden«, sagte er steif.

»Aha!« Diana schien von seinen Worten in keiner Weise beeindruckt zu sein. Sie hatte, wie sie selbst sagte, das Alter längst hinter sich, in dem man sich durch andere Leute imponieren läßt.

Gordon hatte sich eingestanden, daß sie sehr hübsch sei: In gewisser Weise war sie sogar eine Schönheit. Sie hatte tiefe, graublaue Augen und eine seidenweiche Haut. Auch gab er zu, daß ihre Figur sehr anmutig und graziös war. Wenn sie älter oder jünger gewesen wäre – wenn sie keinen Bubikopf trüge, wenn sie ein wenig mehr Respekt vor wahrer Bildung und Kenntnissen hätte, wenn sie die Gedankenarbeit mehr schätzte und wenn sie weniger selbstsicher wäre!

Er trat nachdenklich ans Fenster und schaute in die Dunkelheit. Diana war für ihn ein ungelöstes Problem.

Der Butler erschien in diesem Augenblick im Zimmer.

»Trenter!«

»Jawohl, Sir?«

»Sehen Sie den Herrn dort auf der anderen Seite der Straße den Mann mit dem roten Gesicht?«

Es war wieder der Fremde, der am Nachmittag an ihnen vorbeigefahren war. Gordon hatte ihn sofort wiedererkannt.

»Ich habe ihn heute schon einmal gesehen – es ist ein merkwürdiges Zusammentreffen.«

»Das ist Mr. Julius Superbus.«

Gordon schaute Trenter erstaunt an.

»Julius Superbus – was zum Teufel wollen Sie denn damit sagen?«

»Welch eine Sprache in Gegenwart einer Dame«, tönte eine Stimme aus dem Hintergrund. Das sah Diana wieder ganz ähnlich.

»Was meinen Sie denn – das ist doch ein lateinischer Name.«

Trenter lächelte verschmitzt.

»Jawohl, Sir, Mr. Superbus ist ein Römer, der letzte Römer in England. Er stammt aus dem Ort Caesaromagnus, das ist ein kleines Dorf bei Cambridge. Ich bin dort in der Nähe in Stellung gewesen, daher weiß ich das.«

Gordon runzelte die Stirn.

Welch ein merkwürdiger Zufall führte ihm diesen seltsamen Menschen zweimal am Tage in den Weg – einmal in Hampton, wo er mit größter Anstrengung in einem Boot an ihm vorbeiruderte, und dann in Cheynel Gardens, wo er scheinbar in den Anblick eines Laternenpfahls versunken war?

»Was ist er denn – ich meine von Beruf?«

»Detektiv, Sir«, sagte Trenter.

Gordon wurde plötzlich blaß.

6

Meistens vergaß Gordon, daß vor dem Namen der angebeteten Heloise van Oynne das kleine Wörtchen Mrs. stand. Er war zu diskret veranlagt, um auch nur auf indirekte Weise festzustellen, wie ihre Ehe beschaffen war. Er stellte sich Mr. van Oynne als einen großen, phantasielosen und brutalen Geschäftsmann ohne Seele vor, und er ahnte den Kampf zwischen dieser feinsinnigen Frau und diesem materiellen, rücksichtslosen Mann: Ärger und verhaltene Wut oder vollständige Interessenlosigkeit auf seiner Seite, resigniertes Leiden und stete Unruhe auf ihrer Seite, bis sie der anderen Hälfte ihres geistigen Wesens begegnete. Und das war eben Gordon.

 

Er schaute wieder aus dem Fenster.

Mr. Julius Superbus hatte einen Tabakbeutel aus Wildleder aus der Tasche gezogen und war gerade damit beschäftigt, seine kurze schwarze Pfeife zu stopfen. Er schien ein Mann zu sein, der selbst die gemeinsten Methoden anwandte, um zu seinem Ziel zu kommen. Ein gewöhnlicher, brutaler Mensch, der sich nichts dabei dachte, seinem Auftraggeber Berichte zu schicken, die eine Frau mit einer feinen, ästhetischen Seele stark kompromittierten. Ein Detektiv! Verzweifelt wandte er sich an Diana. »Würdest du etwas dagegen haben, wenn ich einmal das Studierzimmer einen Augenblick für mich allein haben könnte? Ich muß einen Herrn sprechen.«

Sie winkte ihm einen freundlichen Abschied zu, als sie durch die Tür verschwand.

»Rufen Sie ihn herein!«

»Ich soll ihn hierherbringen, Sir?« Trenter traute seinen Ohren nicht.

Gordon mußte seinen Auftrag wiederholen.

»Er ist aber kein Gentleman«, warnte Trenter, der sich schon im voraus wegen seines Bekannten entschuldigen wollte.

Das stimmte auch. Mr. Superbus war wirklich kein feiner Mann. Gordon hatte sich zwar auch keinen falschen Illusionen darüber hingegeben. Trenter war gespannt, was bei der Zusammenkunft herauskommen würde. Er wußte ja, daß sein Freund ihm bei nächster Gelegenheit alles erzählen würde.

Er brachte Mr. Superbus in das Studierzimmer und zog sich dann diskret zurück.

Nichts an der Erscheinung dieses Mannes erinnerte an die römische Kultur während ihrer Glanzzeit.

Er war sehr klein und korpulent und watschelte mehr als er ging. Er hatte einen großen Kopf, ein rotes Gesicht und einen kleinen, struppigen schwarzen Schnurrbart, den er offensichtlich färbte. Auf seinem sonst kahlen Schädel wuchsen noch siebenundzwanzig Haare, dreizehn auf der einen und vierzehn auf der anderen Seite. Er pflegte sie des öfteren zu zählen.

So stand er vor Gordon, atmete hörbar und drehte seinen Hut in seinen blau angelaufenen Händen.

»Nehmen Sie bitte Platz, Mr. Superbus«, sagte Gordon verlegen. »Trenter erzählte mir, daß Sie – ich meine, daß Sie Römer sind.«

Mr. Superbus verneigte sich, bevor er sich setzte, als ob er sich überzeugen wolle, daß seine Füße auch noch zur Stelle seien.

»Jawohl, Sir«, sagte er mit einer tiefen Stimme. »Ich kann wohl sagen, daß ich das bin. Wir Superbusse« – er betonte dieses Wort so, daß man annehmen konnte, er meine Autobusse von besonderer Größe – »stammen aus einer alten, viele Generationen zählenden Familie. Es sind nur noch vier von uns übriggeblieben. Erstens, meine Wenigkeit, dann mein Bruder Augustus, der ein junges Mädchen in Coventry heiratete, weiter meine Schwester Agrippa, die jetzt sehr gut mit ihrem dritten Mann lebt. Und dann ist noch Scipius da, der ist auf der Bühne.«

»Wirklich? Ist er Schauspieler?« Gordon war einen Augenblick verdutzt über diesen Aufmarsch einer ganzen römischen Kohorte.

In der Nähe von Caesaromagnus liegt die Universität von Cambridge, und einige sarkastische Antiquare dieser Stadt erzählten, daß die so illustre Familie Superbus ihren Ursprung der grillenhaften Laune einiger Studenten verdankt, die vor mehr als hundert Jahren dort lebten. Sie hatten in ihrem Übermut die Familie eines armen Fuhrmannes mit Namen Sooper aufgegriffen und sie auf diesen lateinischen Namen getauft. Mr. Superbus hatte auch von diesen Gerüchten gehört, aber er hatte sie mit Verachtung von sich gewiesen.

»Wo unsere Familie eigentlich herstammt, kann ich Ihnen nicht sagen.« Er sprach jetzt über sein Lieblingsthema. »Aber Sie wissen ja, wie Frauen sind, wenn echte Römer auftreten!«

Gordon gab sich nicht die Mühe, dies auch nur zu vermuten.

»Nun, Mr. Superbus, Sie haben eine – hm, sehr wichtige Position – Sie sind Detektiv, soviel ich weiß?«

Mr. Superbus nickte ernst.

»Es ist doch ein sehr interessanter Beruf, die Leute zu beobachten, vor Gericht aufzutreten und Zeugnis über ihre verschiedenen Missetaten und Verbrechen abzulegen?«

»Da sind Sie falsch unterrichtet – ich trete niemals vor Gericht als Zeuge auf. Ich bin sozusagen mehr kaufmännisch tätig. Natürlich erscheine ich auch vor Gericht bei einem besonderen Kuhp zum Beispiel –«

»Kuhp? Was meinen Sie denn mit Kuhp?« fragte Gordon erstaunt.

»Nun, ich meine – Sie verstehen doch, was ich sagen will wenn ich eine ganz große, geschäftliche Sache mache –«

»Ach, Sie sprechen von einem Coup!«

»Ich nenne das immer Kuhp«, erwiderte Mr. Superbus liebenswürdig. »Augenblicklich habe ich einen ganz großen Kuhp vor.« Er sprach ganz leise und beugte sich so weit wie möglich zu Gordon vor. »Ich bin nämlich hinter dem Doppelgänger her«, flüsterte er heiser.

Ein schwerer Stein fiel Gordon vom Herzen. Die Sache hatte also nichts mit Mrs. van Oynne und nichts mit ihrem großen, brutalen Ehemann zu tun, der sich mehr mit seinen Hunden und Pferden als mit seiner feinsinnigen, intellektuellen und schönen Frau beschäftigte.

»Ich kann mich auf den Namen besinnen – der Doppelgänger ist doch ein Verbrecher? Ist das nicht der Mann, der in der Rolle seiner Opfer auftritt?«

»Ja, das ist er, Sir«, entgegnete Mr. Superbus. »Er ahmt sie nicht nur nach, er ist dann wirklich der Betreffende selbst. Nehmen Sie doch nur den Fall von Mr. Smith –«

Gordon erinnerte sich daran.

»Sie können sich doch kaum vorstellen, daß ihn jemand nachmachen könne, obwohl es nicht so schwer war, da er einen weißen Backenbart trägt und nicht verheiratet ist. Der Doppelgänger hat den Alten um achttausend Pfund erleichtert. Das hat er wieder einmal gekonnt! Erst hat er den wirklichen Smith weggelockt, dann erschien er plötzlich im Privatbüro und schickte einen neuen Angestellten mit einem Scheck zur Bank. Deswegen hat sich doch Smith jetzt aufs Land zurückgezogen. Er hat sich schwer blamiert und kann sich in Gesellschaft nicht recht sehen lassen.«

»Ach so, jetzt verstehe ich«, sagte Gordon langsam. »Sie handeln im Auftrag –«

»Der Vereinigung der Versicherungsgesellschaften. Der Mann sucht seine Opfer nämlich meistens unter Direktoren und Generalvertretern dieser Branche aus.«

Gordon lachte vergnügt, was er selten tat.

»Und Sie sind mir gefolgt, um mich zu beschützen?«

»Das gerade nicht«, sagte Mr. Superbus mit der Zurückhaltung, die ihm sein Beruf auferlegte. »Ich wollte Sie nur kennenlernen, damit ich später im Bilde bin, wenn der Doppelgänger versucht, in Ihrer Rolle aufzutreten.«

»Darf ich Ihnen eine Zigarre anbieten?«

Mr. Superbus nahm sie gnädig an und sagte dann, er werde sie zu Hause rauchen, als er sie einsteckte.

»Meine Frau liebt nämlich den Rauch einer guten Zigarre so sehr. Außerdem kommen die Motten dann nicht in die Vorhänge. Denken Sie, mein Herr, ich bin jetzt dreiundzwanzig Jahre glücklich verheiratet. Es gibt keine bessere Frau auf der Erde als die meine.«

»Ist sie auch Römerin?«

»Nein, sie stammt aus Devonshire.«

*

Als Diana eine halbe Stunde später wieder in das Zimmer trat, stand Gordon an den Kamin gelehnt. Er hatte die Hände auf den Rücken gelegt, den Kopf leicht geneigt und schien ganz in Gedanken versunken zu sein.

»Wer war denn dieser kleine merkwürdige Mann?« fragte sie.

»Er heißt Superbus«, erwiderte er, plötzlich aus seinen Träumen gerissen. »Er hat einige Nachforschungen angestellt. Er will einem Verbrecher auf die Spur kommen, der einen anderen Geschäftsfreund um achttausend Pfund betrogen hat.«

»Ach!« sagte Diana und setzte sich schnell nieder, denn die Erinnerung an den verstorbenen Mr. Dempsi wurde plötzlich sehr lebendig in ihr.

7

Diana hatte Bobby Selsbury sofort gern, als sie ihn zum erstenmal sah. Er war die etwas kleinere Ausgabe seines älteren Bruders, ein offenherziger junger Mann, der mehr Neigung für Revuetheater und modernen Tanz hatte als Gordon. Er war mit einer jungen Kanadierin verlobt und interessierte sich daher weniger für andere Frauen. Er war Diana um so lieber, weil er nicht dieses innere Seelenfeuer hatte, unter dem sein Bruder so häufig litt.

Bobby war schon zweimal zum Abendessen gekommen, und beim zweitenmal glaubte Gordon, daß sein Bruder nun schon genügend Bekanntschaft mit dem ungebetenen Gast geschlossen habe, um einmal offen über Dianas unschickliches Benehmen sprechen zu können.

»Ich sehe gar nicht ein, wozu sie eine Gesellschaftsdame braucht, wenn sie mit einem so alten Herrn wie du zusammenlebt«, sagte Bobby-. »Außerdem seid ihr doch Vetter und Base, und seitdem Diana hier wohnt, ist Cheynel Gardens wenigstens einen Besuch wert. Früher war es furchtbar trist und öde hier.«

»Aber was werden denn die Leute sagen?« protestierte Gordon.

»Du hast mir doch neulich selbst gesagt, daß du dich über die Meinung der Leute hinwegsetzen kannst«, erwiderte der Verräter Bobby. »Du erzähltest mir, daß die Ansichten der hoi polloi, der großen Masse, auf dich nicht den geringsten Eindruck machen. Du sprachst davon, daß ein Mann sich nicht um das Urteil der Öffentlichkeit zu kümmern brauche. Ferner –«

»Was ich damals sagte«, fuhr Gordon aufgeregt dazwischen, »läßt sich nur auf gewisse philosophische Schulen im allgemeinen anwenden, aber niemals auf Fragen des guten Tons und der Wohlanständigkeit!«

»Diana ist nun einmal hier, und du kannst doch ein verflucht glücklicher Teufel sein, daß du jemand hast, der dir deine Socken stopft. – Zahlt er dir denn eigentlich etwas dafür?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Ich lebe von meinem kleinen Kapital«, sagte sie fast wehmütig.

Gordon fühlte sich schuldbeladen, aber er griff dieses Thema erst am nächsten Morgen wieder auf.

»Ich fürchte, daß ich sehr gedankenlos war, Diana. Kaufe dir bitte alles, was du nötig hast, und sage es mir, wenn du Geld brauchst.«

Sie lehnte sich in ihren Stuhl zurück und lachte leise.

»Du bist doch tatsächlich darauf hereingefallen! Ich brauche doch überhaupt kein Geld, ich bin sehr reich.«

»Aber warum hast du denn Bobby gesagt –«

»Mitgefühl tut mir so wohl«, erwiderte sie ruhig. »Und in diesem Hause bringt mir mit Ausnahme Eleanors niemand Sympathie entgegen. Sie ist wirklich ein hübsches, gutes Mädchen. Meinst du nicht auch?«

»Es ist mir noch niemals aufgefallen.«

»Das wußte ich, als ich entdeckte, daß du sie noch nie geküßt hast.«

Gordon hatte gerade einen großen Bissen Schinken im Mund und konnte nicht gleich protestieren.

»Nein, du mußt nicht annehmen, daß ich solche Fragen an die Dienstboten stelle. Aber eine Frau hat feine Instinkte und findet immer einen Weg, um solche Dinge herauszubekommen. Gordon, du bist nicht belastet«, fügte sie mit einer großzügigen Geste hinzu.

»Deine Philosophie ist verwirrend«, sagte er, nachdem er sich wieder beruhigt hatte. »Wie bist du nur auf den Gedanken gekommen, daß ich sie hätte küssen sollen?«

»Das ist doch sehr einfach. Sie ist hübsch, und alle Männer küssen gern hübsche Mädchen, wenigstens wenn sie normal sind. Viele Leute haben mich schon küssen wollen.«

Gordon zog die Augenbrauen hoch, ohne aufzuschauen.

»Du fragst mich ja gar nicht, ob ich ihnen auch erlaubte, mich zu küssen«, fragte sie nach einer Weile.

»Das interessiert mich nicht«, sagte Gordon kühl.

»Nicht ein ganz klein wenig?«

Ihre Stimme klang fast ängstlich, aber er ließ sich nicht täuschen. Er hatte durch harte Erfahrung lernen müssen, daß Diana sich vor Lachen gewöhnlich innerlich ausschütten wollte, wenn sie so war. – Ein schreckliches Mädchen! »Ich habe nur zwei Liebesaffären gehabt«, fuhr sie fort und kümmerte sich gar nicht darum, daß er anscheinend nichts davon hören wollte. »Zuerst mit Dempsi – und dann mit Dingo.«

»Wer war denn Dingo?« Er hatte sich also doch wieder fangen lassen.

 

»Er hieß in Wirklichkeit nicht Dingo, sondern Mr. Theophilus Shawn. Später stellte sich heraus, daß er ein verheirateter Mann mit fünf Kindern war.«

»Großer Gott!«

»Er hat mich aber niemals küssen dürfen. Seine Frau kam und holte ihn weg, als ich mich gerade an den Gewürznelkenduft gewöhnt hatte. Er knabberte nämlich immer solches Zeug. Er wohnte bei meiner Tante. Sie hatte ihn bei einem Vortrag über Sonnenflecken kennengelernt, aber sie wußte nicht, daß er verheiratet war, bis ihn seine Frau bei uns abholte. Sie war äußerst nett und dankte mir, daß ich mich um ihn gekümmert habe. Diese Frau hat sich für ihren Mann sehr interessiert. Die Frauen sollten eigentlich ihre Männer gründlich kennenlernen, bevor sie heiraten. Meinst du nicht auch, Gordon?«

Mr. Selsbury seufzte.

»Ich glaube, du redest da einen großen Unsinn, und ich wünsche beim Himmel, daß du deinen Mann kennenlernst!«

Sie lächelte, aber sie antwortete nicht. Sie fühlte, daß sie ihn für heute genügend geärgert hatte. Er war im Begriff, vom Frühstückstisch aufzustehen, als sie sich auf eine Frage besann, die sie ihm vorlegen wollte.

»Gordon, gestern kam doch ein Mann mit einem griechischen Namen hierher –«

»Du meinst mit einem lateinischen – es war Mr. Superbus.« Sie nickte.

»Was wollte der eigentlich? Wen suchte er?«

»Er war hinter einem Verbrecher her, einem Mann, der allgemein als der ›Doppelgänger‹ bekannt ist. Er ist ein ganz gemeiner Schwindler.«

»Ach so«, sagte Diana und schaute auf das Tischtuch. »Gehst du jetzt fort, Gordon? Wann wirst du wieder nach Hause kommen?«

»Wenn es meine Geschäfte gestatten«, sagte er würdevoll. »Weißt du, Diana, daß noch niemals jemand diese Frage an mich gerichtet hat?«

»Aber ich frage dich doch täglich danach!« sagte sie erstaunt.

»Ich meine natürlich, niemand außer dir. Mein Kommen und Gehen ist noch nie kontrolliert worden. Und ich sehe auch gar nicht ein, warum das nötig ist.«

»Aber ich frage doch nur ganz bescheiden. Ich will doch nur wissen, wann das Abendbrot fertig sein muß.«

»Es ist möglich, daß ich heute abend nicht zu Tisch komme«, sagte Gordon kurz. Er ging fort, um sich in seine Tätigkeit zu stürzen, denn sein Geschäft war in letzter Zeit sehr aufgeblüht, und er war gerade damit beschäftigt, einen neuen Versicherungszweig zu organisieren. Er war fest entschlossen, die Frage, die ihn in seinen Gedanken und Überlegungen störte, für die Stunden seiner Arbeitszeit auszuschalten. Erst beim Mittagessen dachte er wieder an die beabsichtigte Reise nach Ostende mit der Seelenfreundin. Er wünschte, daß Heloise van Oynne einen anderen Platz als gerade Ostende ausgesucht hätte. Dieser weltbekannte Badeort paßte ihm nicht, man verband mit ihm gewöhnlich den Begriff von zügelloser und luxuriöser Lebensführung. Er fühlte auch, daß er wahrscheinlich Diana gegenüber viel mehr Festigkeit und Rückgrat zeigen könnte, wenn er nicht selbst auf verbotenen Wegen ginge, oder zum mindesten beabsichtigte, die althergebrachte Sitte zu durchbrechen.

Der Plan der Ostender Reise war wirklich verrückt, und er fragte sich, von wem er eigentlich ausgegangen sei. Aber schließlich brauchte er ja gar nicht erkannt zu werden, wenn er nicht gerade immer am Landungssteg spazierenging, wo die Dampfer vom Kontinent anlegten. Im Notfall konnte er auch sein Aussehen ein wenig verändern ... Es wurde ihm heiß und kalt bei dem Gedanken. Diana hatte sich doch schon immer über seinen kleinen Backenbart lustig gemacht. Auch sein Friseur machte immer Bemerkungen über diese kleinen Bartansätze. Er hatte auch selbst schon ganz ernsthaft an ihre Entfernung gedacht, besonders seitdem sich Heloise darüber gewundert hatte. Sie meinte, daß sie ihn viel älter machten, als er in Wirklichkeit sei, und es würde natürlich ein liebenswürdiges Kompliment ihr gegenüber bedeuten, wenn er ihr an dem Tag ihrer Reise glattrasiert gegenüberträte. Andererseits ging man aber auch nicht in Cut und Zylinder nach Ostende. Er könnte vielleicht einen Sportanzug tragen – aber er hatte einen Schneider, der ihn beraten konnte, und er sprach auf seinem Heimweg bei diesem Mann vor, der natürlich sogleich im Bilde war und aufmerksam zuhörte.

»Wenn Sie an die belgische Küste gehen, würde ich Ihnen den Vorschlag machen, sich ein paar leichte Sommeranzüge anfertigen zu lassen. Graukariert ist augenblicklich Mode – graue Karos mit einer roten Betonung in der Mitte. Aber nein, Sir, o nein! Lord Furnisham hat erst im letzten Monat einen solchen Anzug bestellt, und wie Sie wissen, ist er ein Mann von feinem Geschmack, der immer nach der letzten Mode gekleidet geht.«

Gordon sah die Muster durch und war bestürzt über ihre Farbenfreudigkeit. Aber vielleicht wäre es ganz gut – wer würde Gordon Selsbury denn in einem modernen, flotten Anzug aus graukariertem Stoff mit lebhaften roten Punkten erkennen?

»Ist das Muster nicht doch etwas grell?« protestierte er.

Der Schneider lächelte nur nachsichtig, als Gordon meinte, es wäre doch wohl besser, wenn er sich den Anzug aus dunkelblauer Seide machen ließe.

Schließlich ließ sich Gordon überreden und bestellte den graukarierten Anzug. Er tröstete sich damit, daß er die Reise ja nicht auszuführen brauche. Fest verpflichtet war er unter keinen Umständen. Wenn er aber doch reisen würde, hatte er wenigstens beizeiten schon für die Ausrüstung gesorgt, und dieser Gedanke war in gewisser Weise auch beruhigend.

Doch ein Gedanke beschäftigte ihn stark. Er mußte doch irgendwie erreichbar sein, wenn unerwartete, geschäftliche Ereignisse sein persönliches Eingreifen erforderten.

Dies war in Wirklichkeit der Hauptgrund seiner Abneigung gegen diese Fahrt. Er konnte dieses Abenteuer ja nur unternehmen, wenn er noch einen Dritten ins Vertrauen zog. Diana war natürlich für diesen Posten unmöglich. Gordon kniff die Lippen zusammen und wiederholte in Gedanken die Ausdrücke, in denen er seinem Stellvertreter den Charakter seiner Reise erklären wollte. Aber sooft er auch versuchte, diese so merkwürdige und unglaublich klingende Geschichte in Worte zu fassen, war er ärgerlich und unzufrieden mit sich selbst. Er ließ alle in Frage kommenden Menschen an seinem Geist vorüberziehen und kam dabei immer wieder auf seinen Bruder Bobby zurück.

*

Robert G. Selsbury hatte ein Büro an der Mark Lane, wo er mit beträchtlichem Gewinn von zehn Uhr morgens bis vier Uhr nachmittags Tee, Kaffee und Zucker kaufte und verkaufte.

Als Gordon gemeldet wurde, prüfte Bobby gerade eine neue Teeprobe, die eben aus China eingetroffen war.

»Wie, Mr. Gordon Selsbury?« fragte Bobby ungläubig. »Bitten Sie ihn herein«, sagte er, als die Stenotypistin es bestätigte. »Nun, was ist denn los?«

Gordon nahm etwas steif auf einem Sessel Platz, setzte seinen funkelnden, tadellosen Zylinder auf den Tisch und zog langsam die Handschuhe aus.

»Robert, ich bin in einer unangenehmen Lage – und ich möchte dich um deine Hilfe bitten.«

»Geld kann es doch nicht sein – also hast du eine Liebesaffäre. Wer ist es denn?«

»Es handelt sich weder um Geld noch um Liebe«, widersprach Gordon etwas gereizt. »Es ist – nun ja, es ist eine sehr delikate Angelegenheit.«

Bobby pfiff, und Pfeifen kann unter Umständen sehr beleidigend wirken.

»Ich will dir die näheren Umstände erklären.« Aber er mußte erst mit sich selbst kämpfen und war schon nahe daran, eine Entschuldigung für seinen Besuch zu finden und sich wieder zu verabschieden.

»Kommst du wegen Diana?«

»Nein, nein, Diana hat mit der ganzen Sache nichts zu tun. Es handelt sich um folgendes, alter Junge ...«

Der »alte Junge« gab Bobby zu denken. Das zeigte, daß sein Bruder nicht mehr ganz normal war. So hörte er denn gut zu, ohne ihn zu unterbrechen. Aber die Geschichte, die Gordon vorbrachte, war die lahmste, die Bobby jemals gehört hatte, das war die durchsichtigste Schwindelei, die jemals einer zweifelnden Mitwelt unterbreitet wurde.

»Wer ist denn eigentlich diese Mrs. van Oynne?« fragte er schließlich.

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