Der Doppelgänger

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3

Cheynel Gardens ist einer der wenigen Plätze, die kein Chauffeur ohne die Hilfe von Leuten finden kann, die dort in der Nähe wohnen. Die Chauffeure haben wohl davon gehört, können sich dunkel darauf besinnen, daß sie schon Fahrten dahin ausgeführt haben, aber wo es eigentlich liegt, ist ihnen unbekannt. Nur die Polizei und die Postboten wissen das.

Gordon bewohnte dort ein Eckhaus, zu dem auch ein Garten gehörte, nach dem wahrscheinlich die ganze Straße benannt worden war. Die Fenster vom großen Studierzimmer waren aus buntem Glas und hatten eine gewisse Ähnlichkeit mit Kirchenfenstern.

Dieser Raum nahm aber auch eine besondere Stellung im Hause ein. Niemand durfte ihn ohne die ausdrückliche Erlaubnis Gordons betreten. Die starke Eichenholztür war noch mit einer Stofftür gesichert, um den Schall zu dämpfen, so daß kein Geräusch Gordon stören konnte, wenn er den »Economist« und die »Versicherungsrevue« las. Morgens las er die »Times«, aber abends widmete er sich eingehenden soziologischen Studien. Wenn er davon genug hatte, griff er zu dem Buch »Zur Genealogie der Moral« – Nietzsche war einer seiner Lieblingsautoren.

Gordon stieg aus dem Auto, mit dem er nach Hause gefahren war, und gab dem Chauffeur ein Trinkgeld von zehn Prozent, das er zwar aufs genaueste ausgerechnet hatte, wobei er sich aber doch ein klein wenig zu seinen Gunsten irrte. Langsam stieg er die Treppe zur Haustür hinauf und öffnete sie. Es war ein Teil des täglichen feierlichen Rituals. Trenter nahm seinen Hut, seinen Spazierstock, seine Handschuhe, und Gordon fragte wie gewöhnlich:

»Sind Briefe gekommen?«

Wenn Trenter »Nein« gesagt hätte, so wäre das eine unverzeihliche Unterbrechung der Zeremonie gewesen.

»Jawohl, Sir«, antwortete er wie stets. »Und –« er räusperte sich.

Er konnte sich eine weitere Erklärung schenken, denn Gordon starrte schon auf vier große Koffer, die fast die ganze Diele einnahmen. Auf dreien las er die Aufschrift »Wird während der Reise nicht gebraucht«, auf dem vierten war ein Schild aufgeklebt: »Kabinengepäck«.

»Was soll denn das bedeuten?« fragte Gordon atemlos.

»Die junge Dame ist heute nachmittag angekommen, Sir!« Trenter verging fast vor Aufregung.

»Die junge Dame ist heute nachmittag angekommen – welche junge Dame?«

»Miss Ford, Sir.«

Gordon runzelte die Stirn. Er hatte diesen Namen in irgendeinem Zusammenhang schon gehört. Ford – Ford – das klang doch so bekannt!

»Miss Diana Ford aus Australien!«

Seine Kusine! Mr. Selsbury nickte gnädig. Die Selsburys waren höfliche Menschen, und das Gefühl für Gastfreundschaft war noch nicht ganz in ihm erstickt.

»Sagen Sie bitte Miss Ford, daß ich nach Hause gekommen bin und daß ich mich freuen würde, sie in meinem Studierzimmer zu empfangen.«

Trenters Gesicht zuckte nervös.

»Dort ist sie bereits! Ich sagte ihr sofort, daß niemand hineingehen dürfe, wenn Sie nicht zu Hause seien.«

Gordon war verstimmt. Einem Gastgeber ist es stets unangenehm, wenn seine Gastfreundschaft schon vorweggenommen und nicht als ein Geschenk empfunden, sondern als ein Recht beansprucht wird.

»So?« sagte er, aber lächelnd. »Nun, Miss Ford kommt aus Australien, und man kann nicht erwarten, daß sie unsere Gewohnheiten kennt. Ich werde zu ihr gehen.«

Er klopfte an die Tür, und er hörte, wie eine Stimme »Herein« sagte.

»Ich freue mich, dich zu sehen, meine liebe Kusine Diana.« Er sah sich im Zimmer nach ihr um, konnte sie aber nicht entdecken, bis aus seinem eigenen Sessel, in dem er stets am Kamin saß, eine weiße Hand erschien.

»Komm doch näher, Gordon!«

Sie sprang auf und sah ihn an. Sie hatte ihre Schuhe ausgezogen und es sich bequem gemacht. In ihren Seidenstrümpfen sah sie noch kleiner aus als sonst. Er hielt sie für schön, etwa in dem Sinne, wie er ein nettes Kätzchen für hübsch gehalten hätte. Die ganze Sache kam ihm amüsant vor.

»Nun, mein junges Fräulein«, sagte er väterlich und wohlwollend, »hier sind wir also angekommen? Ich hatte niemals erwartet, dich in London zu sehen. Hattest du eine gute Fahrt?«

»Bist du verheiratet?« fragte sie gespannt.

»Nein, ich bin ein überzeugter alter Junggeselle.«

»Ah!« Sie seufzte erleichtert auf. »Ich war während der ganzen Reise besorgt, daß das der Fall sein könne – du hast mir noch gar keinen Kuß gegeben.«

Gordon war so wenig auf den Gedanken gekommen, sie zu küssen, als es ihm eingefallen wäre, ihr mit dem Buch auf den Kopf zu klopfen, das er in der Hand hielt. Aber die Selsburys waren von Hause aus sehr höflich, und so neigte er sich und berührte sie flüchtig mit den Lippen.

»Setz dich bitte – ich werde Tee für dich bestellen. Es tut mir so leid, daß du auf mich warten mußtest. Wo wohnst du denn?«

Sie blitzte ihn mit ihren Augen an.

»Hier«, erwiderte sie einfach.

Er verstand sie nicht.

»Ich meine, in welchem Hotel bist du abgestiegen – wo wirst du die Nacht schlafen?«

»Aber das ist doch ganz einfach – hier!« sagte Diana lachend.

In kritischen Augenblicken verlor Gordon nie den Kopf.

»Du willst damit wohl sagen, daß du kurze Zeit bei mir wohnen willst? Ich würde mich auch sehr freuen, aber leider kann ich dich hier nicht beherbergen, denn ich bin doch ein Junggeselle, und es ist keine Frau im Hause mit Ausnahme der weiblichen Dienstboten.«

Er sprach sehr liebenswürdig zu ihr; seine Gründe waren durchaus logisch, und seine Haltung ihr gegenüber war in jeder Beziehung korrekt.

»Du brauchst eine Frau hier – es war höchste Zeit, daß ich kam«, sagte sie ebenso unbeirrt wie Gordon.

Er unterdrückte einen Seufzer. Die Lage war allerdings recht unangenehm. Andere Männer hätten den Kopf oder ihre Geduld verloren und hätten geschimpft.

»Ich werde mich natürlich freuen, wenn du einige Tage hierbleiben willst«, sagte er dann lächelnd. »Telefoniere bitte mit deiner Gesellschafterin und ersuche sie, ihr Gepäck auch herzubringen –«

Diana zog ungeniert ihre Schuhe wieder an.

»Ich habe eben deine Ruder bewundert. Du hast dich doch damals in Cambridge an dem großen Rennen beteiligt und gewonnen – das finde ich großartig!«

»Ja – hm – ja.« Gordon war eigentlich nicht sehr stolz auf seine früheren sportlichen Heldentaten. »Oder soll ich vielleicht telefonieren?«

»Mit wem?« fragte sie unschuldig.

»Mit deiner Gesellschafterin ... die Dame, die mit dir reiste ...«

»Ach, sei doch nicht so sonderbar! Ich bin doch ganz allein gereist, so allein, wie man nur unter hundertfünfzig Salonpassagieren reisen kann, die sich mit allen möglichen Deckspielen die Zeit vertreiben. Eine gebildete Dame hat ja eigentlich keine gemeinsamen Interessen mit Leuten, die sich an Scheibenwerfen und anderen primitiven Dingen begeistern.«

In Gordons Nähe stand ein Stuhl, und er setzte sich. Männer seiner Art bleiben fast immer Herr der Situation, so unangenehm sie auch sein mag. Die Wucht ihrer Persönlichkeit und ihr großes Wissen verleihen ihnen ein solches Übergewicht, daß sie alle Hindernisse aus dem Weg räumen, so schwerwiegend sie auch sein mögen.

»Ich spreche jetzt als Vater, als Onkel und als vernünftiger, kluger Vetter zu dir.« Er sah auch wirklich liebenswürdig und väterlich aus. »Du bist ein junges Mädchen, und irgend jemand muß dir einmal sagen, daß du unmöglich allein als Gast in dem Haus eines Junggesellen bleiben kannst.«

Sie hatte die Hände auf den Rücken gelegt und stand unbeweglich vor ihm.

»Dann muß ich dir erwidern, Gordon, daß das nicht nur möglich ist, sondern daß ich die feste Absicht habe, hier zu wohnen. Ich kann doch nicht dafür verantwortlich gemacht werden, daß du ein Junggeselle bist. Von Rechts wegen müßtest du eben verheiratet sein!«

»Diana«, sagte er ernst, »du machst mir Sorge. Es ist ganz ausgeschlossen, daß du hier wohnen kannst. Mein liebes Kind, ich muß doch auf deinen guten Ruf Rücksicht nehmen. Vielleicht wirst du nach Jahren einmal einsehen, wie unschicklich dein Vorschlag war. Ich werde jetzt mit dem Laridge-Hotel telefonieren und dort ein schönes Zimmer reservieren lassen.«

Er erhob sich halb, aber sie legte ihre Hände auf seine Schultern und drückte ihn wieder auf seinen Sitz zurück. Er war erstaunt, wie stark sie war.

»Wir wollen nicht miteinander streiten. Es gibt nur einen Weg, mich hier aus dem Hause zu bringen – wenn du mich durch einen Polizisten hinauswerfen läßt. Aber ein einzelner Polizist würde nicht viel gegen mich ausrichten. Ich habe einen Revolver in meiner Handtasche ... und wenn man mich angreift, zögere ich nicht, sofort zu schießen.«

Er sah sie erschrocken an, aber sie erwiderte seinen Blick ruhig und sicher, Sie hatte sich nun einmal in den Kopf gesetzt, hier zu wohnen, und als er es überlegte, erkannte er, daß sie einen von Nietzsches Grundsätzen in die Wirklichkeit umsetzte. Dieser Philosoph sprach allerdings nur von Herrenmenschen.

4

Als Diana an einem der nächsten Tage ihre Einkäufe besorgt hatte und nach Hause kam, fand sie im Wohnzimmer eine etwas magere Dame mittleren Alters vor, die es sich auf dem Sofa bequem gemacht hatte. Sie begrüßte Diana mit einem gleichgültigen Lächeln. Diana hatte den Eindruck, als ob eine Romanfigur früherer Zeit lebendig geworden wäre. Die Fremde trug keinen Hut und strickte an einer feuerroten Wolljacke. Die Nadeln klapperten emsig in ihren Händen und schienen ganz von selbst zu arbeiten.

 

»Guten Tag – Sie sind sicher Miss Ford. Ich bin Miss Staffle – ich hoffe, daß wir gute Freunde werden!«

»Das hoffe ich auch!« erwiderte Diana. »Und wir werden noch bessere Freunde werden, wenn ich erst alles verstehe. Sind Sie hierzu Gast?«

Hurtig und flink schlugen die Stricknadeln aneinander.

Diana sah erstaunt zu – sie hatte noch niemals in ihrem Leben eine Wolljacke oder Strümpfe gestrickt.

»Nun ja, Mr. Selsbury dachte, daß Sie sich zu einsam fühlten. Es paßt ja für uns Mädchen nicht, daß wir allein sind, dann brüten wir zuviel.«

»Da haben Sie recht – ich brüte in diesem Augenblick auch über etwas nach.« Diana konnte sehr bestimmt auftreten. »Ist es richtig, daß Sie gewissermaßen als meine Anstandsdame engagiert sind?«

»Als Ihre Gesellschafterin«, erwiderte Miss Staffle leise.

»Nun, dann liegt der Fall ja sehr einfach.« Diana öffnete ihre Handtasche und nahm ein Scheckbuch heraus. »Wie hoch ist Ihr Gehalt?«

Miss Staffle nannte den Betrag.

»Hier haben Sie Ihr Gehalt für zwei Monate. Es war nicht meine Absicht, eine Gesellschafterin zu engagieren.« Sie klingelte, und die Stricknadeln hörten ganz plötzlich auf zu klappern.

»Eleanor, Miss Staffle verläßt das Haus vor dem Tee. Wollen Sie bitte dafür sorgen, daß das Gepäck heruntergebracht wird. Trenter soll ein hübsches Auto besorgen.«

»Aber, meine Liebe«, – Miss Staffles Stimme klang erregt und etwas scharf –, »Mr. Selsbury hat mich engagiert, und ich fürchte ...«

»Mr. Selsbury braucht keine Gesellschaftsdame. Und nun, mein Engel, wollen Sie Spektakel machen oder wollen Sie als ein süßer, zarter Cherub von hier entschweben?«

Gordon kam nach Hause und war auf eine stürmische Szene vorbereitet. Er hatte sich aber fest vorgenommen, diesmal hart zu bleiben wie ein Felsen, mochte sie nun leidenschaftlich schelten oder ihn durch Tränen zu erweichen versuchen. Als er eintrat, ließ Diana gerade eine neue Platte auf einem ebenfalls neuen Grammophon spielen und tanzte vergnügt nach den Takten des neuen Schlagers: »Niemand darf mich Liebling nennen!«

Er konnte Grammophone im allgemeinen nicht leiden, aber im Augenblick gab es wichtigere Dinge zu besprechen.

Von der trefflichen Miss Staffle war nichts zu sehen.

»War jemand hier?« fragte er leichthin.

»Niemand, mit Ausnahme einer etwas verrückten alten Jungfer, die leider glaubte, daß ich eine Gesellschafterin brauche.«

Gordons Mut sank.

»Wo ist sie denn?«

»Ich habe mir nicht die Mühe gegeben, ihre Adresse zu notieren. Warum fragst du denn eigentlich? War die Gouvernante etwa für dich bestimmt?«

»Du hast sie wieder fortgeschickt?« Diana nickte.

»Ja, ihr Fleiß war ganz entsetzlich.« Plötzlich kam ihr ein Gedanke. »Sie hat die rote Strickweste doch nicht für dich gearbeitet?«

»Was, du hast eine – hm, eine Frau, die ich engagierte, fortgeschickt?« fragte er streng. »Wirklich, Diana, das geht etwas zu weit!«

Diana wechselte sofort das Thema der Unterhaltung.

»In zehn Minuten wird der Tee serviert sein. Mein lieber Gordon, deine Schuhe sind so schmutzig, geh schnell nach oben und zieh andere an.«

Der Widerspruchsgeist in ihm regte sich, sein Gesicht war rot vor Ärger.

»Ich werde nichts Derartiges tun!« sagte er scharf. »Ich will mich nicht in meinem eigenen Hause kommandieren lassen! Diana, die unerträgliche Situation muß jetzt ein Ende haben.« Er schlug mit der Hand schwer auf die Stuhllehne. »Einer von uns beiden verläßt heute abend das Haus. Ich habe genug! Die Dienstboten sprechen schon darüber. Ich sah, wie Trenter lächelte, als du heute morgen im Negligé zum Frühstück herunterkamst. Ich habe eine Stellung, einen guten Ruf und einen Namen in der City. Ich muß meine Interessen gegen die Gedankenlosigkeit selbstsüchtiger, rücksichtsloser Backfische wahren!«

»Aber wie kannst du mir einen solchen Namen geben?« fragte sie vorwurfsvoll.

»Ich gestatte unter keinen Umständen, daß eine so ernste Situation sich in einen Scherz oder Witz auflöst. Und ich säge noch einmal: Einer von uns beiden verläßt Cheynel Gardens.«

Sie dachte einen Augenblick nach, dann ging sie aus dem Zimmer. Gordon hörte, wie sie in der Diele telefonierte, und lächelte. Er hatte gesiegt. Man mußte nur fest auftreten und sich nicht einschüchtern lassen. Mehr war nicht notwendig –

»Ist dort die Redaktion des ›Morning Telegram‹? Hier ist Miss Diana Ford. Senden Sie doch bitte einen Reporter nach Cheynel Gardens Nr. 61.«

In zwei Sekunden war Gordon neben ihr in der Diele und hielt die Sprechmuschel zu. »Was machst du da?« fragte er erregt.

Sie zuckte die Schultern.

»Ein Leben ohne dich ist einfach unerträglich, Gordon«, sagte sie, scheinbar ganz gebrochen. »Wenn du mich aus der Wohnung weist, muß ich ins Wasser gehen.«

»Du bist verrückt!« stöhnte er.

»Der Leichenbeschauer wird vielleicht auch eine solche Ansicht äußern, wie ich hoffe – unterbrich mich nicht, Gordon. Die Leute der Redaktion wollen mich sprechen.«

Nur mit der größten Anstrengung gelang es ihm, sie von dein Apparat zu entfernen. Mit Gewalt nahm er ihr den Hörer aus der Hand.

»Machen Sie sich keine Mühe, jemand zu schicken ... die Dame befindet sich sehr wohl. Sie ist am Leben – ich meine, es ist kein Selbstmord zu fürchten ...«

Außer Atem ging er in sein Studierzimmer zurück.

»Dein Benehmen ist wirklich schändlich, direkt schamlos! Jetzt verstehe ich auch, warum dieser niederträchtige Dempsi vor dir Reißaus genommen hat und lieber draußen in der Wildnis sterben als länger bei einem so schrecklichen Zankteufel sein wollte!«

Gordon war an der Grenze seiner Geduld angekommen. Er war wild und grausam und wußte schon, bevor er zu Ende gesprochen hatte; daß sein Betragen unverzeihlich war.

»Es tut mir leid«, sagte er leise.

Ihre Gesichtszüge waren verschlossen, ihr Blick undurchdringlich. Er konnte ihre Gedanken nicht erraten.

»Es tut mir unendlich leid, das hätte ich nicht sagen dürfen bitte verzeih mir.«

Sie sprach noch nicht. Sie sah fast tragisch aus, wie sie hochaufgerichtet vor ihm stand.

Gordon schlich sich leise aus dem Zimmer. Dann sprach sie ihre Gedanken laut aus.

»Es ist doch einfach Unsinn, daß das Telefon nicht hier im Zimmer ist. Ich werde noch heute abend an das Postamt schreiben, daß das geändert wird.«

Das Abendessen verlief sehr schweigsam. Später ging Gordon aus.

»Ich habe mich mit einem Freund heute abend zum Theater verabredet«, sagte er.

»Ich habe auch seit Jahren kein Schauspiel mehr gesehen«, seufzte sie.

»Aber das wird dich nicht interessieren – es ist ein russisches Stück, das soziale Probleme behandelt.«

Sie seufzte aufs neue.

»Aber ich liebe doch das russische Theater so sehr! Die Haupthelden sterben so schön auf der Bühne, und man kann der Handlung so gut folgen. In einer Oper oder Operette weiß man nie genau, wen die Leute eigentlich darstellen, besonders wenn man den Text nicht genau versteht.«

»Dies ist aber kein Stück für junge Damen«, erwiderte er.

Aber sie ließ sich nicht überzeugen.

»Wenn du mich mitnehmen willst, ich bin in fünf Minuten umgezogen. Ich weiß sowieso nicht, was ich heute abend anfangen soll.«

»Du kannst dir doch überlegen, was es morgen zum Frühstück geben soll«, sagte er ärgerlich.

Als sie nun allein war, teilte sich ihre Aufmerksamkeit zwischen dem Grammophon und ihren Grübeleien. Sie mußte zuweilen an Dempsi denken, aber der Gedanke war ihr etwas unbehaglich. Nicht, daß sie diesen etwas merkwürdigen Menschen, den Sohn Michael Dempsis und Marie Stezzagannis, geliebt hätte. Dempsi brach in ihr Leben ein wie ein Erdbeben über das Haus eines kalifornischen Farmers. Er hatte alle ihre Lebensanschauungen umgestoßen und sie furchtbar erschüttert. Aber jetzt erinnerte sie sich nur noch schwach an seine schmächtige, sehnige Gestalt und an seine vielen Reden. Er hatte sich ihr damals zu Füßen geworfen, hatte gedroht, sie zu erschießen, dann hatte er wieder erklärt, daß er sie anbete und ihretwegen seine geistliche Laufbahn aufgeben wolle. An einem heißen Februarmorgen – sie besann sich noch darauf, wie reich die Rosen in dem Garten blühten – hatte er sein ganzes Vermögen vor sie hingeschleudert und einen tränenreichen Abschied von ihr genommen. Dann war er in die Wildnis gelaufen, um niemals wieder zurückzukommen.

Tatsächlich war die nächste Wildnis etwa hundert Meilen entfernt, aber er hatte gesagt, daß er in die Wildnis gehen und seinem Leben ein Ende machen wolle, das schon über die Grenzen menschlichen Duldens hinaus durch Kummer und Qualen bedrückt sei. Er wolle dort vergessen und Erlösung von seinen Leiden finden. Wahrscheinlich hatte er auch sein Versprechen erfüllt, soweit es sich um den Weg in die Wildnis handelte. Diana beklagte oder betrauerte ihn nicht. Sie war nur neugierig, unter welchen Umständen er wieder erscheinen und die achttausend Pfund von ihr zurückfordern würde, die er ihr damals wohlverpackt und zusammengeschnürt in einer so großartigen dramatischen Szene vor die Füße geworfen hatte. Er hatte allerdings in der Aufregung sein Ziel verfehlt. Das Bündel Banknoten war in weitem Bogen über ihre Füße hinweggeflogen und hatte die Katze getroffen, die gerade Junge hatte und auf Dempsi losstürzte. So wurde seine wilde Flucht noch beschleunigt.

Als die Jahre vergingen, wurde ihr der Besitz des Geldes immer unangenehmer, und sie machte einen schwachen Versuch, seine Verwandten zu entdecken, obwohl sie wußte, daß er nicht einmal einen Vetter hatte. Aber dann geriet das Andenken an Dempsi allmählich in Vergessenheit. Ein romantischer Farmer machte ihr den Hof. Dieses Abenteuer endete jedoch etwas plötzlich, als die sehr unromantische Frau dieses Mannes in einem Auto auf der Bildfläche erschien und ihn wieder mit sich fortnahm.

Diana dachte an diesem Abend auch nur fünf Minuten an Dempsi, dann probierte sie einen neuen Walzerschritt aus, den man eventuell auch nach Jazzmelodien tanzen konnte.

»Ich verstehe nur nicht«, sagte Trenter, »daß unser gnädiger Herr so etwas erlaubt. Es schickt sich doch nicht, daß eine junge Dame im Hause eines Junggesellen wohnt. Das erinnert mich an einen Fall, den der alte Superbus erzählt hat. Er ist ein Gerichtsvollzieher und sieht immer nur die Schattenseiten des Lebens.«

»Ich würde mich schämen, einen Gerichtsvollzieher zum Freund zu haben, selbst wenn man mir eine Million dafür bezahlte«, erwiderte Eleanor, die in dürftigsten und ärmlichsten Verhältnissen groß geworden war. »Eher würde ich mir noch einen Bettler zum Freunde nehmen. Und sorgen Sie sich nur nicht um unsere Miss Diana, Arthur, es ist sehr gut, daß sie da ist. Besonders ich bin sehr froh darüber. Denken Sie denn nicht an mich? Habe ich denn nicht auch eine Moral? Haben die Köchin und ich nicht seit Jahren in demselben Haus mit einem Junggesellen gelebt?«

»Mit euch ist das doch etwas ganz anderes Das Haus ist lange nicht mehr das, was es war«, klagte er.

Aber seine Trauer hatte einen tieferen Grund, den die beiden nicht kannten. So methodisch Gordon sonst auch war, so zählte er doch niemals seine Zigarren. Diana aber hatte ein gutes Schätzungsvermögen und paßte auf alles auf. Eines Tages fragte sie Trenter so nebenbei, ob Mäuse im Hause seien, und als er das bejahte, meinte sie, es sei doch sonderbar, daß Mäuse Havannazigarren auffräßen.

»Es wird noch ein großer Umschwung kommen, ein schrecklicher Wechsel, das fühle ich schon«, sagte er. »Ich weiß es ganz bestimmt. Ich habe immer das zweite Gesicht gehabt, schon als ich noch ein Junge war.«

»Dann sollten Sie eine Brille tragen«, erwiderte Eleanor.