ZURÜCK IN DIE STEINZEIT

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»Ich bin gerade dabei, die Hohlwelt für dünnhäutige Tiere ein wenig sicherer zu machen«, antwortete von Horst.

Er ging zur Seite der Grube und begann, die Eier mit dem Griff seiner Pistole zu zerschlagen. Zwei der Eier näherten sich dem Ende der Brutzeit und wackelten bereits. In ihrem Innern regten sich bereits zwei recht lebendige Jungtiere. Von Horst tötete sie beide und kehrte dann zu Dangar zurück.

»Ich hasse es, diese anderen armen Teufel hier zu lassen«, sagte er und gestikulierte in Richtung der unglücklichen Opfer, »aber es gibt keinen anderen Weg. Ich kann sie nicht alle rausholen.«

»Du kannst noch froh sein, wenn du rauskommst«, entgegnete Dangar.

Von Horst grinste. »Wir werden beide Glück haben«, antwortete er, »aber heute ist unser Glückstag.« In der Sprache der inneren Welt, in der es weder Tag noch Nacht gibt, gab es folglich kein Wort für Tag. Also ersetzte von Horst es durch ein fremdsprachiges Wort der äußeren Welt. »Hab Geduld, dann bist auch du bald draußen.«

Er griff nach dem Lederriemen und zog sich Hand für Hand hoch. Dangar lag auf dem Rücken und beobachtete ihn mit bewunderndem Blick. Es war ein langer, gefährlicher Aufstieg, aber schließlich erreichte von Horst die Mündung des Kraters. Als er sich über den Kraterrand rollte und den Hang hinunterblickte, sah er den Kadaver des Trodon auf einem kleinen Felsvorsprung unter ihm liegen. Die Kreatur war ganz offensichtlich tot und das war auch schon alles, was von Horst an dem Biest wissen wollte. Er wandte sich sofort seiner nächsten Aufgabe zu, nämlich Dangar aus dem Krater zu befreien.

Von Horst war ein kräftiger Mann, stiess nun aber schnell an die Grenzen seiner Ausdauer. Vermutlich lag das an der langen Lähmung, die sein Körper durchmachen musste. Hinzu kam der unsichere Stand, den der steile Abhang des Kraters bot. Dennoch verlor er keinen Augenblick die Hoffnung auf den Erfolg; und obwohl es eine langwierige Arbeit war, wurde er schließlich dafür belohnt, als er die gelähmte Gestalt des Pellucidarers auf dem Gipfel des Hügels neben sich liegen sah.

Zu gerne hätte er sich jetzt kurz ausgeruht, aber seine Erfahrung mit der Welt von Pellucidar hatte ihn gelehrt, dass ein exponierter Ort wie dieser Hügel kein guter Ort war, um zu verweilen. Er musste, mit Dangar im Schlepptau, den Hang hinabgehen und zwischen den Bäumen und einem Wasserlauf, die er von hier aus sehen konnte, nach einem Versteck suchen.

Der Hang war sehr steil, aber zum Glück war er durch gelegentliche Vorsprünge unterbrochen, die zumindest ein Bisschen Halt boten. Da es keine andere Möglichkeit zum Abstieg gab, hob von Horst Dangar über eine seiner breiten Schultern und begann den gefährlichen Weg nach unten. Schlitternd und stolpernd bahnte er sich langsam den Weg den steilen Abhang hinunter, ständig auf der Hut nach möglichen Gefahren. Gelegentlich stürzte er, schaffte es aber immer, sich zu fangen, bevor er in die Tiefe stürzte.

Er war ziemlich erschöpft, als er schließlich in den Schatten einer Baumgruppe taumelte, die neben dem kleinen Bach wuchs, den er vom Gipfel des Hügels aus gesehen hatte. Er legte Dangar auf einer Grasfläche ab und löschte seinen Durst mit dem klaren Wasser des Baches. Es war das zweite Mal, dass er getrunken hatte, seit er den Landeplatz des Luftschiffs O-220 verlassen hatte. Wie viel Zeit inzwischen verstrichen war, konnte er aber nicht einmal erraten. Es könnten Tage gewesen sein, vielleicht Wochen oder sogar Monate. Doch für den grössten Teil dieser Zeit hatte das eigentümliche Gift des Trodon ihn nicht nur gelähmt, sondern auch die Feuchtigkeit in seinem Körper bewahrt und ihn so immer frisch und fit für die ungeborenen Kükens gehalten, von denen er verschlungen werden sollte.

Erfrischt und gestärkt stand er auf und sah sich um. Er musste einen Ort finden, an dem er ein mehr oder weniger dauerhaftes Lager errichten konnte, denn er konnte Dangar unmöglich weitertragen. Er fühlte sich ziemlich hilflos, praktisch allein in dieser unbekannten Welt. In welche Richtung sollte er bloß gehen? Gab es überhaupt den Funken einer Hoffnung die O-220 und damit seine Freunde je wieder zu finden? Besonders in einem Land, in dem es keine Himmelsrichtungen gab? Selbst wenn es sie geben würde, von Horst hatte keine Ahnung, wohin er gehen musste, weil er die Orientierung seit der Entführung durch den Trodon komplett verloren hatte.

Sobald die Wirkung des Giftes nachgelassen hatte und Dangar von den Fesseln der Lähmung befreit war, würde er nicht nur einen aktiven Freund und Gefährten haben, sondern auch einen, der ihn in ein Land führen konnte, in dem er sich eines freundlichen Empfangs sicher sein konnte und eine Gelegenheit, sich einen Platz in dieser wilden Welt zu schaffen, in der er, wie er zu glauben geneigt war, den Rest seines Lebens verbringen musste. Es war bei weitem nicht nur diese Überlegung, die ihn veranlasste, bei dem Volk von Sari zu bleiben, sondern vielmehr ein Gefühl der Loyalität und Freundschaft.

Als er sich sorgfältig in der näheren Umgebung umsah, kam er zum Schluss, dass dieser Ort für ein Lager genauso geeignet war, wie jeder andere. Es gab frisches Wasser, und er hatte gesehen, dass es in der Umgebung reichlich Wild gab. An einigen der Bäume wuchsen Früchte und Nüsse, und auf seine Frage, ob sie essbar seien, versicherte ihm Dangar, dass sie sicher seien.

»Wirst du hierbleiben?«, fragte der Sarier.

»Ja, bis du dich von der Wirkung des Giftes erholt hast.«

»Vielleicht werde ich nie wieder gesund. Was dann?« Von Horst zuckte mit den Schultern.

»Dann werde ich noch eine ganze Weile hier sein«, lachte er.

»Das könnte ich nicht einmal von einem Bruder erwarten«, wandte Dangar ein. »Du musst dich auf die Suche nach deinem eigenen Volk machen.«

»Ich konnte sie nicht finden. Aber selbst, wenn ich könnte, würde ich dich nicht allein und hilflos hierlassen.«

»Das müsstest du aber.«

»Warum denn?«, sagte von Horst.

»Du müsstest mich natürlich töten – als ein Akt der Barmherzigkeit.«

»Vergiss es«, schnauzte von Horst. Allein der Gedanke ekelte ihn an.

»Keiner von uns beiden darf es vergessen«, beharrte Dangar. »Wenn ich nicht nach den nächsten Schlaf-Pausen wieder gesund bin, musst du mich umbringen.« Er benutzte das einzige Maß der Zeit, das er kannte – Schlaf. Wie viel Zeit zwischen den diesen Ruhepausen verging oder wie lange jeder Schlaf dauerte, konnte er nicht sagen.

»Das sind Gedanken für die Zukunft«, antwortete von Horst kurz. »Im Moment interessiert mich nur die Frage des Lageraufbaus. Hast du irgendwelche Vorschläge?«

»Die größte Sicherheit bieten Höhlen in Felswänden«, antwortete Dangar. »Löcher im Boden sind oft die nächstbeste Lösung. Danach eine Plattform oder ein Unterschlupf, der zwischen den Ästen eines Baumes gebaut ist.«

»Hier gibt es keine Klippen«, sagte von Horst, »und ich sehe auch keine Löcher im Boden, aber es gibt Bäume.«

»Dann solltest du besser anfangen zu bauen«, riet der Pellucidarer, »denn es gibt viele Fleischfresser in Pellucidar. Und die sind immer hungrig.«

Mit Vorschlägen und Ratschlägen von Dangar baute von Horst eine Plattform in einem der größeren Bäume, wobei er bambusähnliches Schilf benutzte, das am Rande des Baches wuchs. Dieses schnitt er mit seinem Jagdmesser zurecht und befestigte es mit einem langen, robusten Gras, das Dangar in Büscheln am Fuß des Hügels hatte wachsen sehen.

Von Horst baute auf Dangars Idee hin noch Wände und ein Dach als weiteren Schutz gegen die kleineren Raubtiere, Raubvögel und fliegenden Reptilien.

Von Horst hatte keine Vorstellung davon, wie lange er brauchte, um den Unterschlupf fertigzustellen, denn es gab viel zu tun und die Zeit verfolg schnell.

Hin und wieder aß er Nüsse und Früchte und trank mehrmals, aber er verspürte kein Verlangen nach Schlaf, bis der Unterschlupf fast fertig war.

Er trug Dangar mit grosser Mühe die klapprige Leiter hinauf, die er gebaut hatte, damit sie die primitive Behausung betreten konnten. Mehrmals stürzte er fast ab, schließlich waren die beiden aber oben angekommen und von Horst legte Dangar auf den Boden der kleinen Hütte. Gleich darauf legte er sich hin und schlief augenblicklich ein.

Kapitel 4: Skruf von Basti

Als von Horst erwachte, hatte er einen Bärenhunger. Er stemmte sich auf einen Ellbogen und blickte Dangar an, der breit grinste. »Du hast einen langen Schlaf gehabt«, sagte er, »aber du hast ihn gebraucht.«

»Wie lange denn?«, fragte von Horst.

»Ich habe zweimal geschlafen, während du einmal geschlafen hast«, antwortete Dangar, »und jetzt bin ich wieder müde.«

»Und ich habe Hunger«, sagte von Horst, »Heißhunger. Aber ich habe genug von Nüssen und Früchten. Ich brauche Fleisch.«

»Flussabwärts wirst du viel Wild finden«, sagte Dangar. »Ich habe ein kleines Tal nicht weit unterhalb von hier bemerkt, während du mich den Hügel hinuntergetragen hast. Dort gab es viele Tiere.«

Von Horst erhob sich auf die Beine. »Ich gehe erjage eines.«

»Sei vorsichtig«, mahnte der Pellucidarer. »Du bist ein Fremder in dieser Welt. Du weisst nicht, welche Tiere gefährlich sind. Es gibt einige, die ganz harmlos aussehen, es aber nicht sind. Der Rothirsch und der Thag werden sich auf dich stürzen, dich mit dem Geweih aufgabeln oder dich zu Tode trampeln – und das, obwohl sie kein Fleisch fressen. Achte auch auf die Böcke und Bullen aller Arten und auf die Weibchen, wenn sie Junge haben. Behalte zudem immer den Himmel im Blick, denn plötzlich könnte dich ein Vogel oder eine Flugechse angreifen. Gehe wenn möglich immer im Schutz der Bäume, wo du von oben geschützt bist oder in die Äste klettern kannst, wenn dich etwas vom Boden aus angreift.

 

»Wenigstens bin ich vor einer Gefahr sicher«, kommentierte von Horst.

»Welche wäre das?«, fragte Dangar.

»In Pellucidar werde ich bestimmt nicht an Langeweile sterben.«

»Ich weiß nicht, was du meinst. Ich weiß nicht, was Langeweile ist.«

»Kein Pellucidarer könnte das jemals«, lachte von Horst, als er die Hütte verließ und hinunterkletterte.

Wie Dangar es vorgeschlagen hatte, folgte er dem Bach hinunter in Richtung des Tals, das der Sarier bemerkt hatte, wobei er darauf achtete, so nah wie möglich an den Bäumen zu bleiben und immer auf der Hut vor den Raubtieren, Vögeln und Reptilien zu sein, die immer wieder Jagd auf kleinere Kreaturen machen.

Er war noch nicht weit gegangen, als er in Sichtweite des oberen Endes des Tals kam und einen prächtigen Antilopenbock sah, der alleine stand, fast, als würde er Wache halten. Die Entfernung war zu groß, um einen Schuss mit der Pistole zu riskieren. Darum schlich sich von Horst näher heran und nutzte die Deckung, die ihm die hohen Grasbüschel, das bambusartige Schilf und die Bäume boten. Vorsichtig tastete er sich immer näher an seine Beute heran, um sicher zu sein, dass er sie mit dem ersten Schuss zu Fall bringen konnte. Er hatte noch einen vollen Patronengürtel, wusste jedoch, dass er diesen Vorrat nicht wieder auffüllen konnte, sollte er zu Neige gehen – jede einzelne Patrone musste treffen.

Seine ganze Aufmerksamkeit richtete sich auf den Bock und vernachlässigte dafür für einen Moment, nach Gefahren Ausschau zu halten. Langsam schlich er weiter, bis er einen Punkt hinter einigen hohen Gräsern erreichte, die nur wenige Schritte von dem immer noch ahnungslosen Tier entfernt wuchsen. Er hob seine Pistole, um vorsichtig zu zielen, und als er dies tat, zog ein Schatten über ihm vorbei. Es war nur ein flüchtiger Schatten, aber im gleißenden Licht der pellucidarischen Sonne schien er Substanz zu haben. Es war fast so, als ob eine Hand auf seine Schulter gelegt worden wäre. Er blickte auf, und als er dies tat, sah er ein abscheuliches Ding, das wie ein Geschoss aus dem Himmel scheinbar direkt auf ihn zustürzte – ein mächtiges Reptil, das er unbewusst als Pteranodon aus der Kreidezeit erkannte. Mit einem dröhnenden Zischen, wie aus dem Auspuff einer Dampflokomotive, stürzte das Ding mit unglaublicher Geschwindigkeit herab. Mechanisch hob von Horst seine Pistole, obwohl er wusste, dass nichts außer einem Wunder diese schreckliche Zerstörungsmaschine aufhalten oder abwehren konnte, bevor sie ihr Ziel erreichte. Dann sah er, dass nicht er ihr Ziel war. Es war der Bock. Die Antilope stand einen Moment lang wie gelähmt vor Schreck, dann sprang sie weg – aber es war bereits zu spät. Der Pteranodon stürzte sich auf sie, packte sie mit seinen mächtigen Krallen und erhob sich wieder in die Luft.

Von Horst atmete erleichtert auf, als er sich den Schweiß von der Stirn wischte. »Was für eine Welt!«, murmelte er und fragte sich, wie der Mensch inmitten einer solch wilden Umgebung überlebt hatte.

Weiter unten im kleinen Tal sah er nun viele Tiere grasen. Es gab Rehe und Antilopen und die großen, zotteligen Büffel, die auf der äußeren Kruste schon längst ausgestorben waren. Unter ihnen bewegten sich auch kleine, pferdeähnliche Kreaturen, nicht größer als ein Foxterrier, die dem Hyracotherium aus dem Eozän ähnelten, einem frühen Vorfahren des Pferdes. Alles in allem war hier ein erstaunliches Durcheinander von Vögeln, Säugetieren und Reptilien aus verschiedenen Epochen der Evolution des Lebens auf der äußeren Kruste zu sehen.

Der plötzliche Angriff des Pteranodons erschreckte die anderen Tiere in der unmittelbaren Umgebung, worauf sie galoppierten schnaubend, quiekend und röhrend hinab ins Tal stürmten. Von Horst musste mit ansehen, wie sich so manch gute Mahlzeit aus dem Staub machte. Wenn er unbedingt Fleisch haben wollte, blieb ihm nichts anderes übrig, als ihnen zu folgen, also machte er sich auf den Weg hinter ihnen her, wobei er sich dicht an den Saum der Bäume entlang des Baches hielt, der sich an einer Seite des Tales entlangschlängelte.

Unglücklicherweise alarmierte die Panik der fliehenden Tiere alle weiteren weiter unten im Tal, worauf diese sich der Stampede anschlossen. Innert kurzer Zeit waren sie alle außer Sichtweite. Von Horst sah einige Schafe in eine Schlucht zwischen zwei Hügelausläufern fliehen und beschloss, ihnen zu folgen.

Als er den Canyon betrat, sah er, dass dieser schnell enger wurde und offensichtlich durch die Erosion des Wassers entstanden war, welches zerbrochene Lavafelsen eines früheren Stroms freigelegt hatte. Zwischen den riesigen Felsbrocken, die ringsherum in einem grossen Durcheinander verstreut lagen, verlief ein schmaler Pfad. Die Schafe waren schnell und hatten bereits einen beträchtlichen Vorsprung. Darum machte von Horst keine Anstalten, ihnen unbemerkt folgen zu wollen und hetzte ihnen in schnellen Schritten zwischen den Felsen hinterher.

Endlich kam er an eine Stelle, wo der Pfad in einen breiteren Teil der Schlucht mündete, wo er, als er ihn betreten wollte, deutlich das Geräusch laufender Füße vernahm, die aus dem oberen Teil der Schlucht, auf ihn zukamen.

Aus der gleichen Richtung vernahm er gleich darauf auch eine beunruhigende Reihe von Geknurre und Gebrülle.

Er hatte bereits genug von Pellucidar und seiner blutrünstigen Fauna gesehen, um davon auszugehen, dass praktisch alles, was hier lebte, als potenzielle Bedrohung angesehen werden konnte. Er sprang schnell hinter einen großen Lavabrocken und wartete.

Kaum hatte er sich versteckt, kam ein Mann vom oberen Ende der Schlucht angerannt. Dieser Neuankömmling, so schien es von Horst, war so flink wie ein Reh. Und es war gut für ihn, dass er so flink war, denn hinter ihm kam der Urheber des wilden Knurrens und Brüllens, das von Horst gehört hatte – ein großes, hundeartiges Tier, wild wie ein Leopard. So behände der Mann auch war, das Tier holte ihn ein, und es war für von Horst klar, dass es seine Beute erwischen und zu Boden reißen würde, noch bevor er die offene Fläche überquert hatte.

Der Bursche war nur mit einem primitiven Steinmesser bewaffnet, das er jetzt in einer Hand hielt, als sei er entschlossen, um sein Leben zu kämpfen, wenn er seinen Verfolger nicht mehr abschütteln konnte. Aber wie von Horst, musste er ebenso erkannt haben, wie nutzlos seine Waffe gegen das mächtige Tier sein würde, das auf ihn zustürmte.

Für von Horst war es keine Frage, was er als nächstes tun sollte. Er konnte nicht einfach tatenlos zusehen, wie ein Mensch von den grausamen Reißzähnen eines Hyaenodons in Stücke gerissen wurde, und so trat er hinter dem Felsen, der ihn sowohl vor dem Mann als auch vor dem Tier verbarg, hervor, damit er einen ungehinderten Schuss auf die Kreatur abgeben konnte. Er hob seine Pistole, zielte sorgfältig und feuerte. Es war kein Glückstreffer. Es war ein perfekt platzierter Schuss. Die Kugel bohrte sich geradewegs durch die linke Brust des Tieres und vergrub sich in ihrem Herzen. Mit einem Schmerzens- und Wutgeheul sprang das Raubtier vorwärts, fast bis zu von Horst, dann sackte es tot zu seinen Füßen zusammen.

Der Mann, den es verfolgt hatte, blieb erschöpft stehen. Mit weit aufgerissenen Augen und zitternd stand er da und starrte von Horst verwundert und erstaunt an. Als dieser sich zu ihm umdrehte, wich er zurück und umklammerte sein Messer noch fester.

»Geh weg!«, knurrte er. »Ich töte!« Er sprach dieselbe Sprache, die Dangar von Horst gelehrt hatte, die, wie er erklärt hatte, die gemeinsame Sprache aller Pellucidarer war.

»Du tötest was?«, fragte von Horst.

»Na dich.«

»Warum solltest du mich töten wollen?«

»Damit ich nicht von dir getötet werde.«

»Warum sollte ich das tun?«, fragte von Horst. »Ich habe dir gerade das Leben gerettet. Wenn ich gewollt hätte, dass du stirbst, hätte ich dich einfach dieser Bestie überlassen.«

Der Mann kratzte sich am Kopf.

»Da hast du wohl Recht«, gab er nach einigem Nachdenken zu. »Aber verstehen tue ich es nicht. Ich gehöre nicht zu deinem Stamm. Deshalb gibt es keinen Grund, warum du mich nicht töten solltest. Ich habe noch nie einen Mann wie dich gesehen. Alle anderen Fremden, die ich getroffen habe, haben sofort versucht, mich umzubringen. Außerdem bedeckst du deinen Körper mit eigenartigen Fellen. Du musst wohl aus einem fernen Land kommen.«

»Das tue ich«, versicherte ihm von Horst, »aber die Frage ist nun, ob wir Freunde oder Feinde sind.« Wieder fuhr sich der Mann nachdenklich mit den Fingern durch seinen schwarzen Haarschopf. »Das ist jetzt sehr eigenartig«, sagte er. »Ich habe noch nie von so etwas gehört. Warum sollten wir Freunde sein?«

»Warum sollten wir Feinde sein?«, fragte von Horst verblüfft. »Keiner von uns beiden hat dem anderen je etwas zuleide getan. Ich stamme aus einem sehr fernen Land, ein Fremder in deinem. Würdest du in mein Land kommen, würde man dich gut behandeln. Keiner würde dich töten wollen. Man würde dir eine Unterkunft und Essen geben. Die Menschen würden dir gegenüber freundlich sein, einfach weil sie von Natur aus freundlich sind und nicht, weil du ihnen von irgendeinem Nutzen sein könntest. Es wäre doch viel praktischer, wenn wir hier Freunde wären, denn wir sind von gefährlichen Bestien umgeben. Und zwei Männer können sich besser schützen als einer.

»Wenn du aber mein Feind sein willst, so liegt das an dir. Ich kann meinen Weg gehen und du deinen. Wenn du versuchen willst, mich zu töten, ist auch das deine Sache, aber vergiss nicht, wie leicht ich diese Bestie hier getötet habe. Genauso leicht könnte ich dich töten.«

»Deine Worte sind wahre Worte«, sagte der Mann. »Wir werden Freunde sein. Ich bin Skruf. Wer bist du?«

In seinen Gesprächen mit Dangar war von Horst aufgefallen, dass kein Pellucidarer mehr als einen Namen hatte – abgesehen von gelegentlichen Zunamen wie der Haarige, der Schlitzohrige, der Killer oder ähnliches. Und da Dangar ihn gewöhnlich Von nannte, hat er diesen Namen zu akzeptieren begonnen. So war dies der Name, den er Skruf nun angab.

»Was machst du hier?«, fragte der Mann. »Das ist ein schlechtes Land, wegen der Trodons.«

»Ich habe diesen Ort nicht gesucht«, antwortete von Horst. »Ich wurde von einem Trodon hierher gebracht.«

Der andere beäugte ihn skeptisch. »Du wärst jetzt tot, wenn dich wirklich ein Trodon geschnappt hätte.«

»Einer tat es und nahm mich mit in sein Nest, um seine Jungen zu füttern. Ich und ein anderer Mann entkamen.«

»Wo ist er?«

»Unten am Fluss in unserem Lager. Ich war auf der Jagd, als ich dich traf. Ich bin ein paar Schafen durch die Schlucht gefolgt. Was hast du hier gemacht?«

»Ich war auf der Flucht vor den Mammutmenschen«, antwortete Skruf. »Einige von ihnen haben mich gefangen genommen. Sie wollten mich zurück in ihr Land bringen, um einen Sklaven aus mir zu machen, aber ich konnte ihnen entkommen. Sie verfolgten mich, aber als ich diese Schlucht erreichte, war ich in Sicherheit. Die Schlucht ist an vielen Stellen zu eng für Mammuts.«

»Was hast du jetzt vor?«

»Ich warte wohl so lange, bis sie die Verfolgung aufgegeben haben und werde dann in mein Land zurückkehren.«

Von Horst schlug vor, dass Skruf zu seinem Lager kommen und dort warten sollte. Danach konnten sie zu dritt so weit gehen, wie ihr Weg in dieselbe Richtung führte. Zuerst aber wolle er etwas Wild erlegen. Skruf bot an, ihm dabei zu helfen, und mit dessen Kenntnissen über die Schlucht dauerte es nicht lange, bis sie die Schafe gefunden und von Horst einen jungen Bock erlegt hatte. Skruf war sehr beeindruckt und nicht wenig erschrocken über den Knall der Pistole und die, für ihn, wundersamen Ergebnisse, die von Horst damit erzielte.

Nachdem sie den Bock gehäutet und das Gewicht des Kadavers zwischen ihnen aufgeteilt hatten, machten sie sich auf den Weg zum Lager, das sie ohne ernsthafte Zwischenfälle erreichten. Einmal griff ein Hirschbulle sie an, aber sie kletterten auf Bäume und warteten, bis er weg war, und ein anderes Mal kreuzte ein Säbelzahntiger ihren Weg; aber sein Bauch war bereits voll, und er zog unbeeindruckt weiter. So bahnten sie sich durch die primitive Wildheit von Pellucidar ihren Weg zum Lager.

Dangar war erfreut, dass von Horst sicher zurückgekehrt war, denn er kannte die vielen Gefahren, die einem Jäger in dieser wilden Welt drohten. Er war jedoch sehr überrascht, als er Skruf sah. Als ihm die Umstände erklärt wurden, stimmte er zu, den anderen ebenfalls als Freund zu akzeptieren, obwohl diese Beziehung zu einem Fremden seinem Kodex ebenso fremd war wie dem von Skruf.

 

Skruf kam aus einem Land namens Basti, das in der gleichen Richtung wie Sari lag, wenn auch viel näher, also wurde beschlossen, dass sie gemeinsam in Skrufs Land reisen würden, sobald Dangar sich erholt hatte.

Von Horst konnte nicht begreifen, woher diese Männer wussten, in welcher Richtung ihre Länder lagen, da es keine Möglichkeit gab, die Himmelsrichtungen zu bestimmen, noch konnten sie ihm das Phänomen erklären. Sie zeigten lediglich auf ihre jeweiligen Länder, und die lagen offenbar in derselben Richtung. Wie weit sie von zu Hause entfernt waren, wussten aber beide nicht, sie nahmen jedoch an, dass Sari sehr viel weiter entfernt lag als Basti. Was von Horst zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste, war, dass jeder von ihnen, wie alle anderen Bewohner von Pellucidar, einen gut entwickelten Heimkehrinstinkt besaß, der mit dem der meisten Vögel identisch war und der sich besonders bei Brieftauben zeigt.

Als der Schlaf kam und ging und weitere Jagdausflüge notwendig wurden, um ihre Vorräte aufzufüllen, wurde Skruf immer ungeduldiger. Er war bestrebt, baldmöglichst in sein eigenes Land zurückzukehren, erkannte aber die größere Sicherheit, die eine Reise zu dritt mit sich brachte. Vor allem im Anbetracht von von Horsts Wunderwaffe, die auf beträchtliche Entfernung so leicht tötete. Er fragte Dangar oft nach, ob sich sein Zustand verändert hatte, und war auch nicht verlegen, seine Enttäuschung offen zu zeigen, wenn der Sarier zugab, dass er unterhalb seines Halses immer noch kein Gefühl hatte.

Bei einer Gelegenheit, als von Horst und Skruf weiter als gewöhnlich auf die Jagd gegangen waren, sprach der letztere seinen Wunsch an, in sein Land zurückzukehren. Und der Mann der äußeren Erdoberfläche erfuhr zum ersten Mal, warum Skruf so ungeduldig war.

»Ich habe meine Gefährtin gewählt«, erklärte Skruf, »aber sie verlangte den Kopf eines Tarag, um zu beweisen, dass ich ein mutiger Mann und ein großer Jäger bin. Während ich den Tarag jagte, nahmen mich die Mammutmenschen gefangen. Das Mädchen hat viele Male geschlafen, seit ich weggegangen bin. Wenn ich nicht bald zurückkehre, bringt vielleicht ein anderer Krieger den Kopf eines Tarags und legt ihn vor den Eingang ihrer Höhle. Dann muss ich, wenn ich zurückkehre, eine andere finden, die mit mir zusammen sein will.«

»Es spricht nichts dagegen, dass du in dein eigenes Land zurückkehren kannst, wann immer du es für richtig haltest«, versicherte ihm von Horst.

»Könntest du einen Tarag mit dem kleinen Ding töten, das so ein lautes Geräusch macht?«, erkundigte sich Skruf.

»Vielleicht.« Von Horst war sich dessen nicht so sicher. Zumindest nicht, ob er einen mächtigen Säbelzahntiger schnell genug erschiessen konnte, bevor er durch die gewaltigen Reisszähne und scharfen Krallen in Stücke gerissen werden würde.

»Der Weg, den wir heute gekommen sind«, bemerkte Skruf zögernd, »führt in die Richtung meines Landes. Lass uns weitergehen.«

»Und Dangar verlassen?«, fragte von Horst.

Skruf zuckte mit den Schultern. »Er wird sich nie wieder erholen. Wir können nicht ewig bei ihm bleiben. Wenn du mit mir kommst, kannst du leicht einen Tarag mit dem Ding, das du Pistole nennst, töten. Dann werde ich ihn vor den Eingang der Höhle des Mädchens legen, und sie wird denken, dass ich ihn getötet habe. Im Gegenzug werde ich dafür sorgen, dass der Stamm dich akzeptiert. Sie werden dich nicht töten. Du darfst bei uns leben und ein Bastier sein. Du kannst dir auch eine Gefährtin nehmen, und eines kann ich dir sagen: Es gibt viele schöne Mädchen in Basti.«

»Danke«, antwortete von Horst; »aber ich werde bei Dangar bleiben. Es wird nicht mehr lange dauern, bis er sich erholt. Ich bin sicher, dass die Wirkung des Giftes bald verschwinden wird, so wie das bei mir der Fall war. Bei ihm wirkt das Gift nur deswegen viel länger, weil er eine viel größere Dosis erhalten hat als ich.«

»Wenn er stirbt, kommst du dann mit mir?«, fragte Skruf.

Von Horst gefiel der Ausdruck in den Augen des Mannes nicht, als er diese Frage stellte. Er hatte Skruf nie so kameradschaftlich erlebt wie Dangar. Seine Art war weniger offen und ehrlich. Jetzt wurde er langsam misstrauisch gegenüber seinen Absichten und seiner Ehrlichkeit, obwohl ihm klar war, dass er nichts Konkretes hatte, worauf er ein solches Urteil stützen konnte und dem Mann damit vielleicht sogar Unrecht tat. Dennoch formulierte er seine Antwort auf Skrufs Frage so, dass er auf der sicheren Seite war und keinen Wert auf Dangars Leben legte. »Wenn er lebt«, sagte er, »werden wir beide mit dir gehen, sobald er sich erholt.« Dann wandte er sich wieder dem Lager zu.

Die Zeit verging. Wie viel, konnte von Horst nicht einmal erraten. Er hatte einmal versucht, sie zu messen, indem er seine Uhr aufgezogen hielt und die verstrichenen Tage auf einem eingekerbten Stock abzählte, aber an einem Ort wo es immer Mittag ist, ist es nicht immer leicht, daran zu denken, eine Uhr aufzuziehen oder zu konsultieren. Oft war sie abgelaufen und dann wusste er natürlich nie, wie lange sie schon stehengeblieben war. Ebenfalls konnte er nie genau bestimmen, wie lange er schlief. So wurde er bald entmutigt; oder besser gesagt, er verlor das Interesse. Welchen Unterschied machte die Dauer der Zeit überhaupt? Hatten die Bewohner von Pellucidar nicht offensichtlich genauso zufrieden ohne sie existiert, wie sie es mit ihr getan hätten? Zweifellos waren sie sogar zufriedener gewesen. Als er sich an seine Welt der äußeren Oberfläche erinnerte, wurde ihm klar, dass die Zeit ein harter Lehrmeister war, der ihn durch das Leben gepeitscht hatte, ein veritabler Sklave der Uhren, des unerbittlichen Tickens der Zeiger.

Skruf äußerte immer wieder seine Ungeduld, weg von seiner Heimat zu sein, und Dangar drängte sie, ihn hier zurückzulassen, wenn sie ihn schon nicht töten wollten. Und so schliefen, aßen oder jagten die beiden Männer durch den zeitlosen Mittag des ewigen pellucidarischen Tages – aber ob es für Stunden oder für Jahre war, würden sie nie erfahren.

Er versuchte, sich an diese ungewöhnlichen Umstände zu gewöhnen, die in dieser inneren Welt so völlig anders waren, als alles, was er von der Erdoberfläche kannte. Es fiel ihm schwer, diese fremdartige Umgebung so zu akzeptieren, wie Skruf und Dangar das taten, weil sie nie etwas anders gekannt haben.

Und dann wurde er plötzlich durch die aufgeregten Schreie von Dangar aus einem tiefen Schlaf geweckt. »Ich kann mich bewegen!«, rief der Sarier aus. »Seht! Ich kann meine Finger bewegen.«

Die Lähmung bildete sich schnell zurück, und als Dangar unsicher auf die Beine kam, erlebten die drei Männer ein Hochgefühl, wie es Männer, die gerade ihre Begnadigung erhalten hatten. Für von Horst war es der Anbruch eines neuen Tages, aber Dangar und Skruf wussten nichts von Anbrüchen. Dennoch waren sie genauso glücklich.

»Und jetzt«, rief Skruf, »brechen wir nach Basti auf. Kommt mit mir, und ihr sollt wie meine Brüder behandelt werden. Die Menschen werden euch willkommen heißen, und ihr werdet für immer in Basti leben.«