ZURÜCK IN DIE STEINZEIT

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Kapitel 2: Die Grube des Grauens

Als von Horst dort in der düsteren Höhle des Todes lag und über seine Situation nachdachte, wünschte er sich, er wäre gestorben, als er die Gelegenheit und die Kraft zum Selbstmord noch hatte. Jetzt war er hilflos. Das Entsetzen über seine Situation wuchs in ihm, bis er fürchtete, verrückt zu werden. Er versuchte, eine Hand zu bewegen, aber es war, als hätte er gar keine Hände mehr. Weder konnte er seine Hände, noch sonst einen Teil seines Körpers fühlen – abgesehen von seinem Kopf. Und so fühlte er sich auch, wie ein losgelöster Kopf, der im Dreck lag. Zwar noch bei Bewusstsein, aber völlig hilflos. Er schaute zur Seite und stellte fest, dass er am Ende der kreisrunden Reihe von Leichen war, am Rande der Lücke. Auf der anderen Seite der Lücke lag der Körper eines Mannes. Von Horst drehte den Kopf auf die andere Seite und sah dicht neben ihm den Körper eines anderen Mannes.

Dann wurde seine Aufmerksamkeit durch ein Knacken und Hämmern auf der gegenüberliegenden Seite erregt. Erneut drehte er den Kopf, damit er sehen konnte, was in dieser Halle der Toten lebte. Seine Augen wurden von einer der elfenbeinfarbenen Kugeln angezogen, die unmittelbar hinter dem Körper auf der anderen Seite des Spalts lag. Die Kugel wackelte hin und her. Die Geräusche schienen aus ihrem Inneren zu kommen und wurden zunehmend lauter, eindringlicher. Die Kugel wippte und rollte hin und her, dann erschien ein Riss in ihr, ein zackiges Loch wurde in ihre Oberfläche gerissen, und ein Kopf ragte heraus. Es war eine Miniaturversion des hässlichen Schädels jener Kreatur, die ihn hierhergebracht hatte. Nun war das Rätsel der Kugeln gelöst – es waren die Eier des großen Beuteltiers. Was aber hatte es mit den zahlreichen Körpern auf sich?

Fasziniert beobachtete von Horst, wie sich das schreckliche kleine Wesen aus seinem Ei befreite. Endlich draussen, rollte es sich auf dem Boden des Kraters aus, wo es einige Zeit träge lag, als ob es sich von seinen Strapazen ausruhen wollte. Dann begann es, seine Gliedmaßen zu bewegen und probierte sie vorsichtig aus. Es erhob sich auf seine vier Füße, setzte sich aufrecht auf seinen Schwanz und breitete seine Flügel aus. Erst flatterte es nur schwach damit, dann aber für einen kurzen Augenblick mit kräftigen Schlägen. Schließlich stürzte es sich auf die abgebrochenen Stücke der Eierschale und verschlang sie. Danach wandte es sich, ohne zu zögern, dem Körper des Mannes auf der anderen Seite der Lücke zu. Als es sich ihm näherte, sah von Horst zu seinem Entsetzen, wie sich der Kopf des Mannes der Kreatur zuwandte und dieser die Augen vor Schreck weit aufriss. Mit einem zischenden Brüllen stürzte sich das widerliche kleine Wesen auf den Körper, und gleichzeitig brach ein durchdringender Schreckensschrei über die Lippen des Mannes, den von Horst schon für tot gehalten hatte. Der entsetzte Blick und die verzerrten Gesichtsmuskeln spiegelten die wahnsinnigen Anstrengungen des Gehirns wider, die gelähmten Nervenzentren bewegen zu können, sie zu zwingen, dem Fluchtinstinkt zu folgen. Der Mann war dermassen bemüht, die unsichtbaren Fesseln zu sprengen, dass es den Eindruck machte, es müsse ihm gelingen. Aber gegen die vollständige Lähmung war er machtlos.

Der abscheuliche Vogel stürzte sich auf den Körper und begann ihn zu verschlingen; und obwohl das Opfer wohl keinen Schmerz empfinden konnte, hallten seine Schreie und sein Stöhnen noch immer in dem hohlen Krater des Grauens wider, bis schließlich die anderen Kreaturen, die zweifellos ein ähnliches Schicksal erwarteten, ihre Stimmen in einer blutigen Kakophonie des Schreckens erhoben. Jetzt erkannte von Horst zum ersten Mal, dass all diese Kreaturen lebendig waren, gelähmt wie er selbst. Er schloss die Augen, um den grausigen Anblick auszublenden, aber seine Ohren konnte er nicht vor dem abscheulichen, seelenverachtenden Lärm verschließen.

Er drehte den Kopf von dem fressenden Reptil weg zu dem Mann, der rechts von ihm lag, und öffnete die Augen. Er sah, dass der Mann nicht in den furchtbaren Chor eingestimmt hatte und ihn mit ruhigem, abschätzigem Blick betrachtete. Es war ein junger Mann mit einem Schopf kohlschwarzer Haare, feinen Augen und regelmäßigen Zügen. Seine Ausstrahlung war von Stärke und ruhiger Würde geprägt, die von Horst beeindruckte. Beeindruckt war er auch deshalb, weil der Mann nicht der Hysterie erlegen war, die die anderen Insassen der Kammer ergriffen hatte. Der junge Leutnant lächelte ihn an und nickte. Einen Augenblick lang überzog ein schwacher Ausdruck der Überraschung die Miene des anderen, dann lächelte auch er. Dann sprach er von Horst in einer Sprache an, die der Europäer nicht verstand.

»Es tut mir leid«, sagte von Horst, »aber ich kann dich nicht verstehen.« Dann war es an dem anderen, verständnislos den Kopf zu schütteln.

Keiner von beiden konnte die Sprache des anderen verstehen; aber sie hatten einander angelächelt, und dadurch ein gemeinsames Band in ihrer Erwartung eines gemeinsamen Schicksals geknüpft. Von Horst fühlte, dass er nicht mehr allein war und so etwas wie einen Verbündeten gefunden hatte. Dieser flüchtige Kontakt machte im Angesicht dieser ausweglosen Situation einen beträchtlichen Unterschied. Im Vergleich zu dem, was er vorher empfunden hatte, war er fast zufrieden.

Als er das nächste Mal in die Richtung des frisch geschlüpften Reptils blickte, war der Körper seines Opfers vollständig verschlungen. Es war nicht einmal mehr ein Knochen übrig. Vollgefressen und mit aufgeblähtem Bauch kroch das Ding in den runden Fleck aus strahlendem Sonnenlicht unterhalb der Krateröffnung, rollte sich zusammen und schlief ein.

Die Opfer waren in Schweigen verfallen und lagen wieder wie tot. Die Zeit verging; aber wie viel Zeit, konnte von Horst nicht einmal erahnen. Er verspürte weder Hunger noch Durst, was er auf seine Lähmung zurückführte. Gelegentlich schlief er sogar ein. Einmal wurde er durch Flügelschlagen geweckt und blickte auf, um den üblen Vogel aus dem Nest des Grauens, in dem er geschlüpft war, durch die Krateröffnung fliegen zu sehen.

Nach einer Weile kam das erwachsene Tier mit einem weiteren Opfer, einer Antilope. Nun sah von Horst, wie er und die anderen Unglücksraben gelähmt worden waren. Die Antilope mit seinem großen Maul auf gleicher Höhe haltend, durchbohrte das Reptil mit der nadelscharfen Spitze seiner Zunge den Hals an der Basis des Gehirns, dann setzte es die hilflose Kreatur zu von Horsts Linken ab.

In dieser zeitlosen Leere des lebendigen Todes konnte man keine Regelmäßigkeit der wiederkehrenden Ereignisse feststellen. Jungtiere schlüpften aus ihren Schalen, fraßen sie, verschlangen ihre Beute (immer am äußersten Rand der Lücke zu von Horsts Linken), schliefen im Sonnenlicht und flogen davon, offenbar, um nie wiederzukehren. Die erwachsenen Tiere kamen mit neuen Opfern, lähmten sie, legten sie an den Rand der Lücke, die von Horst am nächsten war, und flogen wieder davon. Von Horst kam der Lücke von links her immer näher und damit auch sein unausweichlicher Untergang.

Er und der Mann zu seiner Rechten tauschten gelegentlich ein Lächeln aus, und manchmal sprach jeder in seiner eigenen Sprache. Allein der Klang ihrer Stimmen, die Gedanken ausdrückten, welche der andere nicht verstehen konnte, war freundlich und tröstlich. Von Horst wünschte sich, dass sie sich unterhalten könnten. Was hätte das die trostlose Einsamkeit erleichtert! Derselbe Gedanke muss dem anderen auch oft durch den Kopf gegangen sein, und er war es, der zuerst versuchte, ihn auszudrücken und die Sprachbarriere zu überwinden, die sie vom ungetrübten Ausmass ihrer aus der Not geborenen Kameradschaft trennte. Einmal, als von Horst die Augen zu ihm wandte, sagte er: »Dangar«, und versuchte, sich zu erkennen zu geben, indem er die Augen zu sich selbst beugte und das Kinn zur Brust neigte. Er wiederholte dies mehrere Male.

Endlich glaubte von Horst zu begreifen, was er meinte. »Dangar?«, fragte er.

Der Mann lächelte und nickte und sprach ein Wort, das in seiner Sprache offensichtlich eine Bejahung war. Dann sprach von Horst seinen eigenen Namen mehrmals aus und deutete auf sich selbst, so wie es Dangar getan hatte. Das war der Anfang. Danach wurde es ein Spiel von intensivem und gegenseitigem Interesse. Sie taten nichts anderes, und keiner schien der Übung überdrüssig zu werden. Gelegentlich wurden sie müde, aber anstatt zu schlafen, wartete jeder, bis der andere schlafen wollte. Auf diese Weise konnten sie beide ihre wachen Stunden mit der neuen und faszinierenden Beschäftigung verbringen, zu lernen, wie man Gedanken in einer fremden Sprache austauscht.

Dangar lehrte von Horst seine Sprache, und da dieser bereits vier oder fünf Sprachen der äußeren Oberfläche beherrschte, fiel es ihm leicht, auch diese zu erlernen, obwohl sie keine Ähnlichkeit mit einer Sprache besass, die er von der Oberfläche her kannte.

Unter normalen Umständen wäre die Prozedur langsam oder scheinbar hoffnungslos gewesen, aber mit dem Anreiz der Kameradschaft und der Abwesenheit von Ablenkung – sieht man einmal davon ab, dass hin und wieder ein Jungtier schlüpfte und sich vollfrass – machten sie mit erstaunlicher Schnelligkeit Fortschritte. Zumindest kam es von Horst so vor, denn in dieser zeitlosen Welt konnten während seiner Gefangenschaft schon Wochen, Monate oder sogar Jahre äußerer irdischer Zeit vergangen sein.

Endlich war der Zeitpunkt gekommen, an dem er und Dangar ein Gespräch mit relativer Leichtigkeit und Geläufigkeit führen konnten, aber je besser sie miteinander sprechen konnten, desto näher kroch die schicksalhafte Lücke ihres Untergangs im Kreis der lebenden Toten. Dangar würde zuerst gehen, dann von Horst.

Letzterer fürchtete das erste Ereignis noch mehr als das zweite, denn ohne Dangar wäre er wieder allein und hätte nichts, womit er seine Zeit oder seinen Geist beschäftigen könnte, außer dem unausweichlichen Schicksal, das ihn erwartete, während er auf das Knacken der Eierschale wartete, das den Tod in seiner schrecklichsten Form auf ihn loslassen würde.

 

Am Ende waren nur noch drei Opfer zwischen Dangar und der Lücke. Es würde jetzt nicht mehr lange dauern.

»Es tut mir leid, dich bald verlassen zu müssen«, sagte der Pellucidarer.

»Ich werde nicht lange allein sein«, erinnerte ihn von Horst.

»Das stimmt wohl. Nun, es ist besser zu sterben, als hier zu bleiben, weit weg vom eigenen Land. Ich wünschte, wir hätten leben können, dann hätte ich dir nämlich meine Heimat Sari zeigen können. Es ist ein wunderschönes Land mit Hügeln und Bäumen und fruchtbaren Tälern. Es gibt dort jede Menge Wild, und nicht weit entfernt ist der große Lural Az. Ich habe dort auf der Insel Anoroc gelebt, wo Ja König ist. Du würdest Sari mögen. Die Mädchen da sind sehr schön. Es gibt dort eines, das auf mich wartet. Aber wie es scheint, werde ich wohl nie zu ihr zurückkehren. Sie wird traurig sein, aber...« Dangar verstummte einen Augenblick. Dann seufzte er und fuhr fort: »Sie wird darüber hinwegkommen, und ein anderer wird sie zu seiner Frau nehmen.«

»Ich würde gerne nach Sari gehen«, sagte von Horst. Plötzlich weiteten sich seine Augen vor Überraschung. »Dangar! Dangar!«, rief er aus.

»Was ist los?«, fragte der Pellucidarer. »Was ist passiert?«

»Ich kann meine Finger spüren! Ich kann sie bewegen!«, rief von Horst. »Und meine Zehen auch.«

»Das kann doch nicht sein, Von«, rief Dangar ungläubig aus.

»Doch, das kann es. Das ist es! Nur ein bisschen, aber ich kann sie bewegen.«

»Wie kann das sein? Ich kann unterhalb meines Halses immer noch nichts spüren.«

»Die Wirkung des Giftes muss langsam nachlassen. Vielleicht wird die Lähmung ganz nachlassen.«

Dangar schüttelte den Kopf. »Seit ich hier bin, habe ich noch nie erlebt, dass bei einem Opfer die Lähmung nachlässt, nachdem es von einem Trodon mit seiner Giftzunge gestochen wurde. Aber was, wenn es tatsächlich passiert? Wird dir das etwas nützen?«

»Ich denke, das wird es«, antwortete von Horst langsam. »Ich habe während meiner Gefangenschaft viel Zeit gehabt, um mir Szenarien vorzustellen, in denen ich von dieser Lähmung befreit würde. Ich habe mir längst mögliche Pläne zurechtgelegt.»

»Es liegen nur drei Körper zwischen dir und dem Tod«, erinnerte ihn Dangar.

»Ja, das weiß ich. Alles hängt davon ab, wie schnell ich mich wieder vollständig bewegen kann.«

»Ich wünsche dir Glück, Von, auch wenn ich wohl nicht mehr erleben werde, ob du es schaffst oder nicht. Zwischen mir und dem sicheren Tod liegen nur zwei Körper. Die Lücke kommt immer näher.«

Von diesem Moment an konzentrierte sich von Horst mit all seinen Kräften auf die Überwindung der Lähmung. Er spürte, wie die Lebensglut allmählich in seine Glieder kroch, wenn auch nur langsam. Zwar konnte er seine Extremitäten bewegen, allerdings nur wenig.

Ein weiterer Trodon schlüpfte, so dass nur noch einer zwischen Dangar und dem Tod lag – und nach Dangar würde er an der Reihe sein. Als die schreckliche Kreatur, die im Sonnenlicht schlief, erwachte und durch die Krater-Öffnung davonflog, gelang es von Horst, seine Hände zu bewegen und seine Handgelenke zu beugen. Auch seine Füße waren jetzt frei; aber ach, wie langsam, wie schrecklich langsam kehrten seine Kräfte zurück. Konnte das Schicksal so grausam sein, diese große Hoffnung aufrechtzuerhalten und sie ihm dann im Augenblick der Verwirklichung zu entreißen? Kalter Schweiß trat auf seine Stirn, als er seine Chancen abwog – und die standen furchtbar gegen ihn.

Wenn er doch nur irgendwie die Zeit messen könnte! Dann könnte er nämlich die Intervalle des Schlüpfens der Eier herausfinden und so eine ungefähre Vorstellung von der Zeit gewinnen, die ihm noch blieb. Er war sich ziemlich sicher, dass die Jungtiere in einigermaßen regelmäßigen Abständen schlüpften, obwohl er es nicht genau wissen konnte. Er trug eine Uhr am Handgelenk, aber die war längst stehen geblieben. Aber selbst wenn, er hätte sie nicht zu Rate ziehen können, da er den Arm nicht heben konnte.

Langsam zog sich die Lähmung bis zu seinen Knien und Ellbogen zurück. Er konnte diese nun beugen, und darunter fühlten sich seine Gliedmaßen völlig normal an. Von Horst wusste, dass er, wenn ihm genügend Zeit blieb, irgendwann wieder alle Muskeln voll beherrschen würde.

Als er sich anstrengte, die unsichtbaren Fesseln zu durchbrechen, die ihn festhielten, zerbrach ein weiteres Ei, und kurz darauf lag Dangar ohne eine weitere Kreatur zu seiner Rechten – er würde der Nächste sein.

»Und nach dir, Dangar, komme ich. Ich glaube, ich werde vorher frei sein, aber ich wollte dich unbedingt retten.«

»Danke, mein Freund«, antwortete der Pellucidarer, »aber ich habe mich mit dem Tod abgefunden. Ich ziehe ihn dem Dasein vor, das ich jetzt friste – ein Kopf, der auf einem toten Körper sitzt.«

»So müsstest du nicht lange leben, da bin ich mir sicher«, sagte von Horst. »Meine eigene Erfahrung hat mich gelehrt, dass die Wirkung des Giftes irgendwann nachlassen muss. Normalerweise reicht es aus, um das Opfer lange über die Zeit hinaus gelähmt zu halten, in der es als Nahrung für die Jungtiere dient. Wenn ich mich nur befreien könnte, könnte ich dich sicher retten.«

»Lass uns von anderen Dingen reden«, sagte Dangar. »Ich möchte kein lebender Toter sein, und jetzt noch Hoffnungen zu hegen, lebend hier rauszukommen macht das unvermeidliche Ende nur noch bitterer.«

»Wie du willst«, sagte von Horst achselzuckend, »aber du kannst mich nicht davon abhalten, darüber nachzudenken – oder es gar zu versuchen.«

Und so sprachen sie von Sari und dem Land Amoz, aus dem Dian die Schöne gekommen war, und dem Land des Grossen Schattens und den unfreundlichen Inseln im Sojar Az. Von Horst spürte, dass es Dangar gefiel, diese für ihn angenehmen Orte in Erinnerung zu rufen, doch als der Sarier die wilden Tiere und Menschen beschrieb, die dort anzutreffen waren, spürte von Horst, dass sie als entspannende Aufenthaltsorte viel zu wünschen übrig ließen.

Während sie redeten, entdeckte von Horst, dass er seine Schultern und seine Hüften bewegen konnte. Ein angenehmes Lebensgefühl durchströmte seinen ganzen Körper. Er wollte Dangar gerade davon berichten, als das verhängnisvolle Geräusch einer zerbrechenden Eierschale an die Ohren der beiden Männer drang.

»Auf Wiedersehen, mein Freund«, sagte Dangar. »Wir von Pellucidar machen uns nur wenige Freunde außerhalb unserer eigenen Stämme. Alle anderen Menschen sind Feinde, die man töten oder töten lassen kann. Ich bin froh, dich Freund nennen zu dürfen. Schau, das Ende naht!«

Das frisch geschlüpfte Trodon hatte bereits seine eigene Schale verschlungen und beäugte nun Dangar. In einem Moment würde es sich auf ihn stürzen. Von Horst kämpfte darum, sich zu erheben, aber etwas schien ihn noch zurückzuhalten. Dann stürzte sich das Reptil mit klaffenden Kiefern auf seine Beute.

Kapitel 3: Die einzige Hoffnung

Noch einmal versuchte von Horst, sich aufzurichten. Noch einmal sank er erschöpft zurück. Der Schweiß klebte in kalten Perlen an seinen ganzen Körper. Er wollte fluchen und schreien, aber er blieb stumm. Schweigsam war auch Dangar. Er schrie nicht wie die anderen, als der Tod über sie hereinbrach. Das Biest kroch jetzt auf ihn zu – kam näher und näher. Von Horst stemmte sich auf den linken Ellbogen, dann sank er zurück, aber dabei versuchte er, nach der Waffe an seiner Hüfte zu greifen – der Waffe, die er schon vorher vergeblich versucht hatte zu erreichen. Diesmal gelang es ihm. Seine Finger schlossen sich um den Griff. Er zog die Pistole aus dem Holster. Wieder stemmte er sich teilweise auf einen Ellbogen. Der Trodon war fast über Dangar, als von Horst feuerte. Das Vieh stieß einen durchdringenden Schrei aus, sprang hoch in die Luft, flatterte einen Augenblick lang vergeblich mit den Flügeln und fiel dann schwer auf den Boden der Grube – tot.

Dangar sah von Horst erstaunt und dankbar an. »Das warst du«, sagte er. »Ich bin dir dankbar, aber was wird es uns nützen? Wie sollen wir jemals aus dieser Grube entkommen? Selbst wenn es einen Weg gäbe, könnte ich ihn nicht benutzen – ich, der ich nicht einmal einen Finger bewegen kann.«

»Das bleibt abzuwarten«, antwortete von Horst. »Wenn die Lähmung bei dir nachlassen wird, werden wir einen Weg finden. Du hast nicht erwartet, diesem Trodon zu entkommen, und doch bist du lebendig und der Trodon tot. Woher willst du also wissen, was möglich ist und was nicht?«

»Du hast recht«, antwortete Dangar. »Ich werde nie wieder an dir zweifeln.«

»Jetzt sollten wir versuchen, Zeit zu gewinnen«, rief von Horst. Dann hob er Dangar auf, trug ihn über den Spalt und legte ihn neben das letzte Opfer, das der erwachsene Trodon hereingebracht hatte. Als er sich neben ihn legte, bemerkte er: »Das nächste, das schlüpft, wird keinen von uns erwischen, denn es wird auf die andere Seite des Spalts gehen.«

»Aber was ist mit dem alten Vieh, wenn es das nächste Opfer bringt?«, fragte Dangar. »Wird es nicht bemerken, dass sich unsere Positionen verändert haben? Und dann ist da noch der Kadaver seines Jungtiers. Was meinst du, was es damit machen wird?«

»Ich bezweifle, dass der Trodon uns überhaupt bemerken wird«, antwortete von Horst, »aber wenn er es tut, werde ich darauf vorbereitet sein. Ich habe noch meine Pistole und reichlich Munition. Und was das tote Küken angeht, so werde ich es sofort entsorgen. Ich denke, wir können es sogar gebrauchen.«

Dann erhob er sich und schleppte den Kadaver zu einer Seite der Grube, wo er ihn hinter mehreren Eiern versteckte. Dann untersuchte er ihn genau und tastete seine Haut ab. Offenbar zufrieden, zog er sein Jagdmesser und machte sich an die Arbeit, die Haut vom Kadaver abzuziehen.

Er arbeitete zügig, aber sorgfältig. Er richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf diese Aufgabe gerichtet, so dass es erschrak, als das durch den Kratermund einfallende Sonnenlicht kurzzeitig unterbrochen wurde.

Als er aufblickte, sah er, dass der Trodon mit einem weiteren Opfer zurückkam. Sofort legte er sich am Rande der Grube hinter einigen Eiern, die er arrangiert hatte, auf den Boden, zog seine Pistole und wartete.

Nebst seinem Haarschopf und en Augen ragte nur noch etwas über eines der Eier empor – die kalte, schwarze Mündung seiner Waffe. Von Horst beobachtete, wie das ahnungslose Reptil sein Opfer neben Dangar ablegte. Wie er erwartet hatte, schenkte die Kreatur dem Pellucidarer keine Beachtung. Einen Moment später war das geflügelte Biest auf der Suche nach der nächsten Beute bereits wieder durch die Öffnung verschwunden.

Ohne weitere Unterbrechung beendete von Horst die Häutung des Jungtieres, dann schleppte er den Körper zu der Stelle, wo Dangar zuvor gelegen hatte.

Der Sarier lachte. »Eine clevere Art, den Kadaver zu entsorgen«, sagte er, »wenn es funktioniert.«

»Ich denke, das wird es«, antwortete von Horst. »Diese hirnlosen kleinen Teufelchen lassen sich vom Instinkt leiten. Sie gehen für ihre erste Mahlzeit immer an dieselbe Stelle, und ich wette, dass sie alles fressen, was sie dort finden.«

»Aber was machst du jetzt mit der Haut?«

»Wart's ab. Das ist der wichtigste Teil meines Fluchtplans. Ich gebe zu, dass es ein ziemlich hirnrissiger Plan ist, aber es ist der einzige, von dem ich denke, dass er eine gewisse Chance auf Erfolg hat. So, jetzt muss ich zurück und mich wieder damit beschäftigen.« Von Horst ging wieder an die Arbeit und zog die Haut in einem durchgehenden Stück ab. Es dauerte eine ganze Weile, aber als er damit fertig war, musste er nur noch die die Haut zu einem langen Band schneiden und die Innenseite abschaben. Gerade als von Horst die Länge des Riemens mit seinen Fingern abmass, begann ein weiterer Trodon zu schlüpfen.

»Sechsundsechzig, siebenundsechzig, achtundsechzig«, zählte von Horst, während er dem Küken dabei zusah, wie es die Schale seines Eies verschlang.

»Das sind über 100 Meter. Das sollte mehr als genug sein.«

Nachdem es das Ei verschlungen hatte, näherte sich das Trodon-Küken dem gehäuteten Kadaver seines Bruders. Sowohl von Horst als auch Dangar beobachteten gespannt, wie sich das Reptil ohne einen Augenblick zu zögern auf den Leichnam stürzte und ihn verschlang.

Nachdem es weggeflogen war, ging von Horst hinüber und legte sich neben Dangar. »Du hattest recht«, gab dieser zu, »es kannte den Unterschied nicht.«

 

»Ich glaube, sie sind auf der Skala der Intelligenz so niedrig, dass sie sich fast ausschließlich vom Instinkt leiten lassen, sogar die Erwachsenen. Deshalb hat der Alte auch nicht bemerkt, dass ich fehlte und dass du an einem anderen Ort lagst. Wenn ich Recht behalte, hat mein Plan eine größere Chance auf Erfolg. Fühlst du dich mittlerweile irgendwie anders, Dangar? Spürst du, wie das Leben in deine Glieder zurückkehrt?«

Der Sarier schüttelte den Kopf. »Nein«, antwortete er niedergeschlagen. »Ich fürchte, das wird nie mehr geschehen. Ich kann aber nicht verstehen, warum das bei dir geklappt hat. Kannst du dir das erklären?«

»Nein, kann ich leider auch nicht. Ich habe aber eine Theorie. Wie du siehst, sind alle Opfer des Trodon dünnhäutig. Das könnte darauf hindeuten, dass die Nadelspitze seiner Zunge, mit der das Gift injiziert wird, entweder nur dünne Haut durchstossen oder nur in eine geringe Tiefe eindringen kann. Während ich das frisch geschlüpfte Junge gehäutet habe, habe ich meine Lederjacke ausgezogen. Als ich sie untersuchte, entdeckte ich, dass die spitze Zunge des Trodon auf der Rückseite es Kragens durch zwei Schichten Leder und Leinenfutter gedrungen ist, bevor sie in mein Fleisch eindringen konnte. Schau, siehst du den runden, grünen Fleck, der die Einstichstelle umgibt? Vielleicht ist etwas vom Gift im Stoff versickert oder vielleicht war der Stich nicht tief genug, um seine volle Wirkung zu entfalten. Sei's drum. Ich bin mehr und mehr davon überzeugt, dass man sich früher oder später von der Lähmung erholen wird, egal wie viel Gift einer abbekommen hat. Du hast zweifellos eine größere Dosis erhalten als ich, dafür bist du aber auch schon länger hier. Es kann also nicht mehr lange dauern, bis auch du die ersten Zeichen der Genesung bemerken wirst.«

»Ich beginne langsam wieder Hoffnung zu haben«, antwortete Dangar.

»Wir müssen bald etwas unternehmen«, sagte der andere. »Jetzt, wo die Lähmung nachgelassen hat und mein Körper wieder normal funktioniert, fange ich an, Hunger und Durst zu verspüren. Ich werde meinen Plan bei der ersten Gelegenheit in die Tat umsetzen müssen, bevor ich zu schwach werde, um ihn auszuführen.«

»Ja«, sagte Dangar. »Klettere nach draussen, wenn du kannst. Denke nicht an mich.«

»Ich werde dich mitnehmen.«

»Aber das wird unmöglich sein – selbst wenn du selbst aus diesem Loch herauskommen kannst, was ich übrigens noch bezweifle.«

»Trotzdem werde ich dich mitnehmen. Alleine gehe ich nämlich nicht.«

»Nein«, widersprach Dangar. »Das wäre töricht. Ich werde es nicht zulassen.«

»Wie willst du es denn verhindern?«, lachte von Horst. »Überlasse ruhig alles mir. Der Plan kann immer noch schiefgehen, aber ich werde trotzdem sofort damit beginnen, ihn in die Tat umzusetzen.«

Er überquerte die Grube und holte seinen langen Riemen aus Reptilienhaut hinter den Eiern hervor, wo er ihn versteckt hatte. Dann knüpfte er an einem Ende eine Schlinge. Diese legte er nahe bei der Stelle aus, wo der ausgewachsene Trodon sein nächstes Opfer ablegen würde. Sorgfältig führte er den Riemen zu dem Versteck hinter den Eiern, ließ dort etwas Band zurück und brachte dann den Rest zu einem Punkt unterhalb der Krateröffnung, der knapp außerhalb des Lichtkegels war. Hier wickelte er das meiste von dem, was vom Lederband übrig geblieben war, ordentlich auf. Er ging dabei sehr gewissenhaft vor. Das verbleibende lose Ende trug er zu seinem Versteck, setzte sich dann bequem hin und wartete.

Wie lange er wartete, wusste er natürlich nicht, aber es schien eine gefühlte Ewigkeit zu sein. Hunger und Durst bedrängten ihn ebenso, wie Zweifel und Ängste über die Erfolgsaussichten seines Plans. Er war müde, riss sich aber zusammen, um nicht einzuschlafen. Denn jetzt wegzudämmern konnte sich als tödlich erweisen. Trotzdem muss er kurz eingenickt sein.

Denn er erwachte mit einem Schreck und sah, wie der große Trodon im Sonnenlicht hockte und sein lähmendes Gift in den Hals eines neuen Opfers injizierte. Von Horst fühlte sich plötzlich sehr schwach. Das war viel zu knapp. Wenn er nur noch einen Moment länger geschlafen hätte, wäre es vielleicht zu spät gewesen, seinen Plan in die Tat umzusetzen. Er bezweifelte, dass er weiter durchhalten konnte, bis das Reptil ein nächstes Mal kommen würde. Sein Leben – und das von Dangar – hingen nun einzig und allein von ihm ab. Und er hatte nur einen Versuch. Schnell brachte er seine Nervosität unter Kontrolle. Kühl und gefasst zog er seine Pistole aus dem Holster und griff erneut nach dem Riemen.

Der Trodon durchquerte die Grube und trug das gelähmte Opfer zu seinem Platz im tödlichen Kreis. Dabei trat das Biest mit einem Fuß in die offene Schlinge. Von Horst schickte eine laufende Welle des Lederriemens über den Boden, welche die Schlinge am Bein der Kreatur über den Knöchel anhob, dann zog er mit einem schnellen Ruck am Lederband. Die Schlinge zog sich ein wenig zu. War das genug? Würde sie halten? Wie er erwartet hatte, schenkte die Kreatur dem Riemen keine Beachtung, schien sie nicht einmal zu spüren. Dessen war sich von Horst ganz sicher. Das Nervensystem der Kreatur war wohl so wenig ausgeprägt, dass es wohl nur einen schweren Schlag gegen das Bein gespürt hätte.

Nachdem es das Opfer abgesetzt hatte, drehte sich das Reptil zur Mitte der Grube, sprang in die Luft und flatterte in die Höhe. Von Horst hielt den Atem an. Würde sich die Schlinge lösen? Gott bewahre. Sie hielt. Von Horst sprang auf und rannte auf die Mitte der Grube zu, seine Pistole geladen und entsichert in der Hand. Als der Trodon durch den Kraterschlund aufstieg und über die Kante flog, gab der Mann drei Schüsse in schneller Folge ab.

Er brauchte die entsetzlichen Schreie der verwundeten Kreatur nicht, um zu wissen, dass er gut gezielt hatte. Denn er sah, wie das große Reptil durch die Luft trudelte und jenseits des Kraterrandes stürzte. Von Horst griff nach dem Ende des Riemens, hängte mit seinem Gewicht daran und wartete.

Noch bestand die Gefahr, dass der Körper der Kreatur den Steilhang des Kraters ungebremst hinunterpurzeln konnte und ihm das Lederband aus den Händen reissen würde. Also wickelte er das Band so schnell er konnte um die Hüfte und band es fest. Eher würde er sterben, als das Band und damit seinen einzigen Ausweg aus dieser Grube, zu verlieren. Einen Moment lang wickelte sich der Gurt schnell von der Spule ab – dann hörte sie auf. Entweder war der Körper des Trodon zur Ruhe gekommen oder die Schlinge war vom Hinterbein gerutscht. Was nun?

Von Horst zog ängstlich am Riemen. Bald straffte er sich und da wusste er, dass er noch an der Kreatur befestigt war. Ein vager Zweifel überkam ihn, ob der Trodon wirklich tot war oder nicht. Er wusste, wie hartnäckig solche Kreaturen sein konnten. Und wenn sie nun nicht tot war? Was für schreckliche Möglichkeiten ein solches Ereignis mit sich bringen könnte!

Der Mann zerrte noch einmal am Lederriemen. Er gab nicht nach. Dann schwang er mit seinem ganzen Gewicht an ihm. Es blieb, wie es war. Immer noch am losen Ende festhaltend, überquerte er die Grube zu Dangar, der ihn mit großen, erstaunten Augen anstarrte.

»Du hättest ein Sarier werden sollen«, sagte Dangar voller Bewunderung.

Von Horst lächelte. »Ach hör' schon auf«, sagte er. »Jetzt zu dir.« Er bückte sich und hob den Pellucidarer vom Boden auf und trug ihn in die Mitte der Grube, direkt unter die Krateröffnung. Dann band er das lose Ende des Riemens um seinen Körper unter den Armen fest.

»Was hast du vor?«, fragte Dangar.