TARZAN UND DER SCHATZ VON OPAR

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Zweites Kapitel

Zwei Wochen später sah John Clayton, Lord Greystoke, der von einer Inspektion seiner weiten afrikanischen Besitzungen heimkehrte, Männer die Ebene zwischen seinem Bungalow und den Wäldern im Norden und Westen überqueren.

Er zügelte sein Pferd und beobachtete die kleine Gruppe, als sie aus einer Senke auftauchte. Sein scharfes Auge entdeckte den weißen Helm eines berittenen Mannes. Da wendete er sein Pferd und ritt den Ankömmlingen entgegen, denn er war überzeugt, dass ein europäischer Jäger seine Gastfreundschaft suchte.

Eine halbe Stunde später stieg er die Stufen zur Veranda seines Hauses hinauf, um Lady Greystoke Monsieur Jules Frecoult vorzustellen.

»Ich hatte mich völlig verirrt«, erklärte Frecoult. »Mein Führer war nie in diesem Gebiet, und die beiden Männer, die ich im letzten Dorf, das wir passierten, anheuerte, kannten das Land noch weniger als wir. Sie ließen uns vor zwei Tagen im Stich. Ich schätze mich sehr glücklich, dass der Zufall mich zu Ihnen führte. Ich weiß nicht, was ich angestellt haben würde, wenn ich Sie nicht gefunden hätte.«

Es wurde beschlossen, dass Frecoult und seine Gruppe einige Tage bleiben sollten. Sobald sie sich von den Strapazen ausgeruht hatten, wollte Lord Greystoke ihnen neue Führer stellen, die sie sicher in das Gebiet zurückgeleiten würden, in dem sich der jetzige Führer auskannte.

In seiner Tarnung als unabhängiger französischer Weltenbummler hatte Werper wenig Mühe, seinen Gastgeber zu täuschen und sich sowohl bei Tarzan als auch bei Jane Clayton beliebt zu machen; aber je länger er blieb, desto geringer wurde seine Hoffnung, das Ziel auf die geplante Weise erreichen zu können.

Lady Greystoke entfernte sich mit ihrem Pferd nie weit von dem Bungalow, und die treue Ergebenheit ihrer wilden Waziri-Krieger, die den größten Teil von Tarzans Gefolge ausmachten, schien die Möglichkeit einer gewaltsamen Entführung oder der Bestechung der Waziri von vornherein auszuschließen.

Eine Woche verging, und Werper war der Erfüllung seines Auftrages nicht näher als am Tage seiner Ankunft. Da aber geschah etwas, das seine Hoffnung wieder belebte und ihm eine weit höhere Belohnung als das Lösegeld für eine Frau vorgaukelte.

Ein Läufer war mit der wöchentlichen Post angekommen, und Lord Greystoke hatte den Nachmittag lesend und Briefe beantwortend in der Bibliothek seines Hauses verbracht. Beim Essen schien er geistesabwesend. Kurz nach der Mahlzeit zog er sich zurück; Lady Greystoke folgte ihm bald. Werper, der auf der Veranda saß, merkte, dass die beiden in ein ernstes Gespräch vertieft waren. Er sagte sich, dass etwas Außergewöhnliches im Gange sein musste, stand leise auf und näherte sich dem Schlafzimmerfenster seiner Gastgeber.

Hier horchte er, und gleich die ersten Worte, die er verstand, erfüllten ihn mit Erregung. Lady Greystoke sprach, als Werper auf Hörweite herangekommen war:

»Ich habe mir immer Sorgen um die Stabilität der Gesellschaft gemacht«, sagte sie. »Trotzdem scheint es mir unglaubhaft, dass man sich um eine solche riesige Summe verkalkuliert hat - es sei denn, dass es sich um betrügerische Machenschaften handelt.«

»Das nehme ich auch an«, erwiderte Tarzan. »Aber was immer die Ursache sein mag, die Tatsache bleibt bestehen, dass ich alles verloren habe. Es gibt keine andere Möglichkeit, als wieder nach Opar zu ziehen und zu holen, was wir brauchen, um die Geschäfte weiterführen zu können.«

»Oh John«, rief Lady Greystoke, und Werper glaubte zu fühlen, wie sie schauderte, »gibt es keinen andern Weg? Ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass du in diese schreckliche Stadt zurückkehren willst. Lieber möchte ich in Armut leben, als dich den Gefahren von Opar ausgesetzt zu sehen.«

»Du brauchst nichts zu fürchten«, erwiderte Tarzan lachend. »Ich bin wohl in der Lage, für meine eigene Sicherheit zu sorgen, und selbst, wenn ich es nicht wäre, hätte ich meine treuen Waziri, die mich begleiten und über mich wachen.«

»Sie sind schon einmal aus Opar geflohen und haben dich deinem Schicksal überlassen«, erinnerte sie ihn.

»Sie werden es nicht wieder tun«, antwortete er. »Sie schämten sich ihres Verhaltens und hatten sich gerade zur Umkehr entschlossen, als ich sie einholte.«

»Es muss einen andern Weg geben«, beharrte die Frau.

»Es gibt keinen andern, halb so leichten Weg, wieder zu einem Vermögen zu kommen, als in die Schatzkammern von Opar einzudringen und zu holen, was wir brauchen«, erwiderte er. »Ich will alle Vorsicht walten lassen, Jane. Wahrscheinlich werden die Bewohner von Opar nie erfahren, dass ich ihnen wieder einen Besuch abgestattet habe, um sie von einem neuen Teil ihres Schatzes zu befreien, von dessen Existenz sie nichts wissen und dessen Wert ihnen unbekannt ist.«

Die Entschiedenheit, mit der Tarzan sprach, überzeugte die Frau, dass weitere Einwände sinnlos waren, und sie wechselte das Thema.

Werper blieb an seinem Platz und lauschte noch eine Weile. Dann kehrte er auf die Veranda zurück, überzeugt, alles Wesentliche erfahren zu haben. Er rauchte zahlreiche Zigaretten, bevor er sich am Abend zur Ruhe zurückzog.

Beim Frühstück am folgenden Morgen verkündete Werper, dass er frühzeitig aufbrechen wolle und erbat die Erlaubnis, auf seinem Rückwege Großwild jagen zu dürfen, was Lord Greystoke ihm gern gestattete.

Der Belgier benötigte zwei Tage, um seine Safari für den Marsch vorzubereiten. Dann verließ er die Farm, begleitet von einem einzigen Waziri, den Tarzan ihm als Führer zur Verfügung gestellt hatte. Die Gruppe legte nur einen kurzen Marsch zurück, dann täuschte Werper einen Krankheitsanfall vor und verkündete seine Absicht, an Ort und Stelle zu bleiben, bis er wieder völlig hergestellt sei. Da sie sich nur eine kurze Strecke vom Bungalow der Greystokes entfernt hatten, entließ Werper den Waziri mit der Bemerkung, er werde ihn zurückholen, wenn er in der Lage sei, den Marsch fortzusetzen.

Sobald der Waziri das Lager verlassen hatte, rief der Belgier einen der vertrauenswürdigen Schwarzen Achmed Zeks in sein Zelt. Er gab ihm den Auftrag, den Abmarsch Tarzans zu beobachten und gleich danach zurückzukehren, um Werper von dem Ereignis und der Richtung, die der Brite genommen hatte, zu unterrichten.

Der Belgier brauchte nicht lange zu warten, denn schon am nächsten Tag kehrte der Schwarze zurück und berichtete, dass Tarzan seinen Besitz an der Spitze von fünfzig Waziri-Kriegern in südöstlicher Richtung verlassen habe.

Werper setzte einen langen Brief an Achmed Zek auf und rief den Führer seiner Gruppe zu sich. Er übergab ihm den Brief und sagte: »Schicke sofort einen Läufer mit diesem Brief zu Achmed Zek. Du bleibst hier im Lager und erwartest weitere Befehle von Zek oder von mir. Sollte jemand vom Bungalow kommen, so sage ihm, dass ich in meinem Zelt liege und niemanden sehen kann. Gib mir nun sechs Träger und sechs Askaris - die stärksten und tapfersten -, damit ich dem Engländer folgen kann, um zu sehen, wo er sein Gold verborgen hat.«

So geschah es. Tarzan, nur mit einem Lendentuch bekleidet und mit der primitiven Bewaffnung versehen, die er am liebsten hatte, führte seine treuen Waziri der toten Stadt Opar entgegen. Werper, der Abtrünnige, folgte seiner Spur durch die langen heißen Tage und schlug nachts sein Lager dicht hinter dem Verfolgten auf.

Während die beiden Gruppen ihren Weg durch den Dschungel suchten, ritt Achmed Zek mit seinem gesamten Gefolge südwärts auf die Greystoke-Farm zu.

Drittes Kapitel

Schlaflos wälzte sich Tarzan auf seinem Lager aus Gras innerhalb der Dornhecke, die seine Safari gegen die Bestien des Dschungels schützen sollte. Mit der Kleidung hatte er auch abgeworfen, was er an Zivilisation angenommen hatte. Nun rief ihn die Stimme der Wildnis, der Hunger nach dem warmen Fleisch und Blut eines frisch geschlagenen Tieres wurde übermächtig in ihm. Leise erhob er sich. Der Waziri, der am lodernden Feuer Wache hielt, wandte ihm den Rücken zu. Geräuschlos schlich Tarzan an ihm vorbei und setzte mit geschmeidigem Sprung über die Dornenhecke hinweg. Schnell erklomm er den nächsten Baum und setzte seinen Weg durch das dichte Geäst fort. Als er weit genug vom Lager entfernt war, ließ er sich auf den Boden gleiten und nahm witternd die frische Spur Baras, des Rehes, auf. Er spürte, wie ihm das Wasser im Munde zusammenlief, und ein leises Knurren kam über seine Lippen, während er der Spur folgte, die von der stärkeren Witterung Hortas, des Ebers, gekreuzt wurde.

Als er sicher war, seiner Beute nahe genug zu sein, schwang er sich wieder in die Bäume hinauf. Sekunden später sah er Bara am Rande einer Lichtung stehen. Lautlos bewegte Tarzan sich durch das Geäst weiter, bis er sich genau über dem Reh befand. In seiner Rechten blitzte das lange Jagdmesser. Sekundenlang verharrte er in seiner Stellung, dann ließ er sich auf das ahnungslose Wild herabfallen. Der Aufprall ließ das Reh in die Knie brechen, und bevor es sich wieder erheben konnte, hatte das Messer sein Ziel gefunden. Als Tarzan sich aufrichtete, um seinen wilden Siegesschrei auszustoßen, trug der Wind ihm eine Witterung zu, die seine Bewegungen erstarren ließ. Er wandte den Blick seiner funkelnden Augen in die Windrichtung und erkannte, wie sich das Gras am Rande der Lichtung teilte. Langsam trat Numa, der Löwe, aus dem Dickicht. Seine gelbgrünen Augen waren auf Tarzan gerichtet, den er neidvoll musterte, denn Numa war in dieser Nacht kein Jagdglück beschieden gewesen.

Von den Lippen Tarzans kam ein warnendes Knurren. Numa antwortete, rührte sich aber nicht von der Stelle. Tarzan kauerte sich neben seiner Beute nieder und schnitt sich ein mächtiges Stück aus der Hinterkeule. Numa beobachtete ihn mit steigender Wut, während Tarzan zwischen den einzelnen Bissen sein warnendes Knurren ertönen ließ. Nun war dieser Löwe Tarzan noch nie begegnet und schien unschlüssig, wie er sich verhalten sollte. Was er sah und witterte, war ein Mensch. Numa hatte Menschenfleisch gekostet, und obwohl es nicht zum schmackhaftesten gehörte, so zählte doch der Mensch zu den leichtesten Beuten. Dieser Mensch hier stieß allerdings ein furchterregendes Knurren aus und ließ Numa zögern, obwohl der Geruch des frischen Fleisches ihn wahnsinnig zu machen drohte.

 

Tarzan ließ die große Wildkatze nicht aus den Augen. Er ahnte, was in dem Gehirn der Bestie vorging. Und es war gut, dass er Numa beobachtete, denn plötzlich konnte Numa der Herausforderung nicht länger widerstehen. Er richtete den Schweif steil auf, und Tarzan, der das Zeichen kannte, setzte mit mächtigem Sprung in den nächsten Baum, die Reste der Rehkeule zwischen den Zähnen. Numas Angriff kam mit der Geschwindigkeit und Wucht eines Expresszuges.

Tarzans Rückzug war kein Zeichen dafür, dass er sich fürchtete. Wäre er hungrig gewesen, würde er den Angriff abgewartet und seine Beute verteidigt haben, wie er es oftmals getan hatte. Aber die Hinterkeule war mehr Fleisch, als er verzehren konnte. Dennoch konnte er nicht dulden, dass Numa sich an seiner, Tarzans, Beute labte. Ganz in der Nähe war ein hoher Baum, der große, harte Früchte trug, und Tarzan schwang sich geschmeidig in dessen Geäst. Nun begann ein Bombardement, das den Löwen zu wütendem Brüllen veranlasste. So schnell er sie einsammeln konnte, sandte Tarzan ein Geschoss nach dem andern hinab. Es war dem Löwen unmöglich, unter dem Hagel dieser Geschosse sein Mahl in Ruhe zu beenden. Brüllend und schnaubend vor Wut zog er sich von dem geschlagenen Tier zurück, doch als er die Mitte der Lichtung erreichte, verstummte er plötzlich, und Tarzan sah, wie Numa sich flach an den Boden presste.

Sekunden später entdeckte Tarzan, was die Aufmerksamkeit Numas erregt hatte. Auf dem Wildpfad näherte sich ein Mensch, ein alter, dunkelhäutiger Mann, der sich allein den Weg durch den Dschungel suchte. Der ganze Körper des Mannes war mit Narben und Tätowierungen bedeckt. Er trug das Fell einer Hyäne um die Schultern, der Schädel des Tieres ruhte auf seinem Kopf. Tarzan erkannte die Zeichen des Wunderdoktors. Er mochte diese Männer nicht und sah dem Angriff des Löwen mit gewisser Schadenfreude entgegen. Plötzlich aber erinnerte er sich daran, dass Numa ihm seine Beute streitig gemacht hatte und dafür bestraft werden musste.

Das Geräusch brechender Zweige beim Angriff Numas war das erste Zeichen für den Schwarzen, dass er sich in Gefahr befand. Er schaute auf und erkannte den knapp zwanzig Meter entfernten Löwen mit der dichten Mähne. Sekunden später sprang der Löwe den Zauberer an. Im gleichen Augenblick sprang Tarzan ihm auf den Rücken. Noch im Fall stieß er das Messer tief in den Leib Numas, während seine Rechte sich in der Mähne des Tieres verkrampfte. Wut und Schmerz ließen Numa aufbrüllen. Er stieg vorn hoch und ließ sich auf den Rücken fallen. Aber Tarzan verlor nicht den Halt und versenkte immer wieder das Messer bis zum Heft in die Flanke des Tieres. Er war zerschunden an allen Gliedern, das Blut der Raubkatze, das sich mit dem Erdreich des Wildpfades vermischte, bedeckte auch seinen Körper. Numa rollte und wälzte sich von einer Seite auf die andere, aber seine wilden Tatzenschläge trafen statt des Gegners nur die Luft. Tarzan wusste, dass er verloren wäre, wenn er seinen Griff nur für eine Sekunde lockerte. Der Wunderdoktor lag noch dort, wo ihn der Ansprung des Löwen niedergeworfen hatte. Wie gelähmt beobachtete er den schrecklichen Kampf zwischen Mensch und Bestie, unablässig die Zaubersprüche seines Kultes mit blutleeren Lippen murmelnd.

Lange zweifelte er nicht am Ausgang des Kampfes - der seltsame weiße Mann musste sicherlich dem mächtigen Simba unterliegen. Wer hatte je gehört, dass ein einzelner Mann, nur mit einem Messer bewaffnet, Sieger über den König des Dschungels geblieben wäre! Dann aber weiteten sich die Augen des alten Mannes, und seine Überzeugung geriet ins Wanken. Und eine schwache Erinnerung stellte sich ein - er sah, wie sich ein schlanker weißer Jüngling durch den Dschungel schwang, begleitet von einer Gruppe großer Affen. Furcht ergriff das Herz des alten Mannes, die abergläubische Furcht desjenigen, der an Geister und Dämonen glaubt.

Der Zeitpunkt kam, an dem der Wunderdoktor nicht mehr am Ausgang des ungleichen Kampfes zweifeln konnte. Nun wusste er, dass der Dschungelgott Simba töten würde - doch was würde der Sieger dann ihm bescheren? Er sah, wie der Blutverlust den Löwen mehr und mehr schwächte. Er sah, wie die mächtigen Glieder zu zittern begannen, wie der Löwe niedersank, um sich nie mehr zu erheben.

Er sah, wie sich der Gott oder der Teufel des Dschungels von seinem besiegten Gegner löste, wie er einen Fuß auf dessen Rücken setzte und sein Gesicht dem fahlen Mond entgegenreckte, um jenen unheimlichen Schrei auszustoßen, der das Blut in den Adern des Wunderdoktors erstarren ließ.

Viertes Kapitel

Tarzans Aufmerksamkeit richtete sich auf den alten Mann. Er hatte Numa nicht getötet, um den Schwarzen zu retten, es war lediglich ein Akt der Rache gewesen. Nun aber, da er den alten Mann hilflos und sterbend vor sich liegen sah, regte sich etwas wie Mitleid in ihm. In seiner Jugend hätte er den Zauberer erschlagen, ohne eine Sekunde zu zögern, inzwischen aber hatte die Zivilisation ihre Wirkung auf ihn nicht verfehlt. Er sah einen leidenden alten Mann und kniete nieder, um seine Wunden zu untersuchen und die Blutungen zu stillen.

»Wer bist du?«, fragte der alte Mann mit zitternder Stimme.

»Ich bin Tarzan - Tarzan von den Affen«, erwiderte Tarzan mit dem gleichen Stolz, als würde er sagen: Ich bin John Clayton, Lord Greystoke.

Der Alte begann zu beben und schloss die Augen. Als er sie wieder öffnete, las Tarzan in ihnen, dass sich der Zauberer mit seinem Schicksal abgefunden hatte. »Warum tötest du mich nicht?«, fragte der Greis.

»Warum sollte ich dich töten? Du hast mir nichts zuleide getan, außerdem bist du schon fast ein toter Mann. Numa, der Löwe, hat dich getötet.«

»Du willst mich nicht töten?« Zweifel und Ungläubigkeit sprachen aus der bebenden Stimme.

»Ich würde dich retten, wenn es möglich wäre, aber ich kann es nicht«, erwiderte Tarzan. »Warum dachtest du, dass ich dich töten würde?«

Eine Weile blieb der alte Mann stumm. Als er endlich sprach, geschah es nach einem inneren Kampf mit der Furcht, die ihn noch immer beherrschte. »Ich kenne dich seit langem«, sagte er. »Damals streiftest du im Lande Mbongas, des Häuptlings, durch den Dschungel. Ich war schon Wunderdoktor, als du Kulonga und die andern erschlugst und unsere Hütten und Giftkessel ausraubtest. Zuerst erinnerte ich mich nicht an dich - dann aber wusste ich, wer du bist - der weißhäutige Affe, der mit den behaarten Affen zusammenlebte und uns das Leben schwer machte - der Dschungelgott - der Munango-Keewati, für den wir außerhalb unserer Tore Nahrung bereitstellten, und der kam und sie verzehrte. Erzähle mir, bevor ich sterbe - bist du ein Mensch oder ein Teufel?«

Tarzan lachte. »Ich bin ein Mensch«, sagte er.

Der alte Mann seufzte und schüttelte den Kopf. »Du hast versucht, mich vor Simba zu retten«, sagte er, »dafür werde ich dich belohnen. Ich bin ein großer Zauberer. Höre mir zu, weißer Mann! Ich sehe, dass dir schlimme Tage bevorstehen. Die Schrift meines eigenen Blutes verrät es mir. Ein Gott, der größer ist als du, wird auferstehen und dich zerschmettern. Kehre um, Munango-Keewati! Kehre um, ehe es zu spät ist. Gefahr liegt vor dir, Gefahr droht hinter dir, aber größer ist die Gefahr vor dir. Ich sehe...« Er verstummte, rang nach Atem. Dann krümmte er sich zusammen und starb. Niemand beantwortete Tarzan die Frage, was der Alte noch gesehen hatte.

Es war sehr spät, als Tarzan wieder über die Dornenhecke setzte und sich inmitten seiner schwarzen Krieger zur Ruhe legte. Niemand hatte gesehen, wie er gegangen war, niemand hatte seine Rückkehr beobachtet. Er dachte über die Warnung des alten Zauberdoktors nach, bevor er einschlief, und sein erster Gedanke galt ihr, als er erwachte. Aber er kehrte nicht um, denn er kannte keine Furcht. Hätte er geahnt, was dem Menschen, der ihm das Liebste auf der Welt war, drohte, so hätte er keine Sekunde gezögert, auf das Gold von Opar zu verzichten und an die Seite seiner Frau zu eilen.

Hinter ihm brütete am gleichen Morgen ein anderer weißer Mann über das, was er in der Nacht gehört hatte - etwas so Unheimliches und Furchterregendes, wie es ihm noch nie begegnet war. Werper, der Mörder, hatte den wilden Siegesschrei gehört, den Tarzan nach der Tötung Numas dem Mond entgegenschleuderte. Werper zitterte noch, wenn er an den unheimlichen Schrei dachte, und er wäre umgekehrt, wenn seine Furcht vor Achmed Zek nicht größer gewesen wäre.

So zogen die beiden Gruppen wieder den Ruinen von Opar entgegen, und nur Gott wusste, was beiden bevorstand.

Am Rande des öden Tales, von dem sich die goldenen Kuppeln und Minaretts von Opar überblicken ließen, hielt Tarzan inne. In der Nacht würde er allein in die Schatzkammer eindringen, um zu erkunden, denn er hatte beschlossen, jede erdenkliche Vorsicht walten zu lassen.

Als die Nacht kam, machte er sich auf den Weg, und Werper, der allein hinter ihm bis zum Talrand geschlichen war, folgte ihm lautlos. Die zahlreichen Felsblöcke, die im Tal umherlagen, boten ihm Deckung zur Genüge, und der mächtige Granitgipfel wies ihm die Richtung. Er sah, wie sich Tarzan auf den großen Felsen schwang, und folgte ihm. Vor Angst brach ihm der Schweiß aus, als er sich an den gefahrvollen Aufstieg machte, aber seine Habgier trug den Sieg davon. Endlich stand auch er auf dem Gipfel des ragenden Felsens.

Von Tarzan war nichts zu sehen. Für eine Weile verbarg sich Werper hinter einem der kleineren Felsen, aber als Tarzan weiterhin unsichtbar blieb, kämmte der Belgier systematisch das Gelände durch. Er fand den schmalen Einschnitt, der in das Herz des Hügels führte, entdeckte die abgetretenen granitenen Stufen. Er schlich weiter, bis er den dunklen Tunnel erreichte, in den die Treppe mündete. Hier hielt er an, denn er wagte nicht, den Tunnel zu betreten, weil er fürchtete, Tarzan könnte ihm begegnen.

Weit vor ihm suchte sich Tarzan tastend den Weg über den steinigen Grund, bis er zur alten hölzernen Tür kam. Sekunden später stand er in der Schatzkammer, wo vor undenklichen Zeiten fleißige Hände die Goldbarren für den Herrscher eines Reiches, das nun unter dem Atlantik begraben lag, gestapelt hatten.

Kein Laut störte die Stille des unterirdischen Gewölbes, kein Anzeichen deutete darauf hin, dass ein anderer inzwischen die Schatzkammer entdeckt hatte.

Zufrieden mit dem Ergebnis seiner Erkundung, machte sich Tarzan auf den Rückweg. Werper, hinter einem überhängenden Fels verborgen, sah ihn aus dem Schatten des Tunnels treten und an den Rand des Hügels gehen, wo er sich in die Richtung wandte, in der seine Waziri warteten. Werper verließ sein Versteck, eilte die Stufen hinab und verschwand in der Dunkelheit des Tunnels.

Tarzan erhob seine Stimme zum donnernden Gebrüll eines Löwen. Zweimal wiederholte er den Ruf in unregelmäßigen Abständen und wartete gespannt, während das Echo in den Bergen verklang. Nach Minuten kam die Antwort von der andern Seite des Tales - einmal, zweimal, dreimal. Basuli, der Häuptling der Waziri, hatte den Ruf vernommen und beantwortet.

Tarzan machte sich, in der Gewissheit, dass seine Schwarzen in wenigen Stunden bei ihm sein würden, wieder auf den Weg in die Schatzkammer. Er wollte die Zeit nutzen, um so viele Goldbarren wie möglich zur Spitze des Hügels zu tragen.

Sechsmal legte er den Weg zurück, bevor Basuli den Hügel erreichte. Achtundvierzig Goldbarren hatte er zum Rand des Hügels getragen. Mit Hilfe seines Strickes zog er die Waziri herauf. Sechsmal war er in die Schatzkammer zurückgekehrt, und sechsmal hatte sich Werper, der Belgier, in den dunklen Schatten des langen Gewölbes zurückgezogen. Wieder erschien Tarzan in der Kammer, diesmal begleitet von fünfzig Kriegern, wieder verließen zweiundfünfzig Goldbarren ihr Versteck, so dass insgesamt hundert Barren zum Abtransport bereitstanden.

Als der letzte der Waziri die Schatzkammer verlassen hatte, wandte sich Tarzan um, um noch einmal einen Blick auf die gewaltigen Schätze zu werfen, in die trotz seines Besuches keine merkliche Lücke gerissen war. Bevor er die Kerze, die er mitgebracht hatte, verlöschte, kam ihm die Erinnerung an seinen ersten Besuch in der Schatzkammer. Damals war er auf der Flucht aus dem Tempel gewesen, wo ihn La, die Hohepriesterin der Sonnenanbeter, verborgen gehalten hatte. Er sah sich wieder auf dem Opferaltar ausgestreckt, während La mit hoch erhobenem Messer neben ihm stand. In langen Reihen warteten die Priester und Priesterinnen in hysterischer Ekstase auf den Augenblick, da sie das Blut ihres Opfers in goldenen Trinkgefäßen auf fangen konnten, um sie zum Ruhm ihres flammenden Gottes zu leeren.

 

Diese und andere Erinnerungen durchzuckten Tarzan, während er die langen Reihen der gelbschimmernden Barren musterte. Er fragte sich, ob La noch immer in den Tempeln der Ruinenstadt herrschte, deren zerfallene Mauern sich über der Schatzkammer erhoben. War sie schließlich doch gezwungen worden, die Frau eines ihrer grotesken Priester zu werden? Für eine Frau von ihrer Schönheit wäre es ein entsetzliches Schicksal gewesen. Kopfschüttelnd trat Tarzan auf die flackernde Kerze zu und verlöschte sie.

Hinter ihm wartete der Spion darauf, dass er freie Bahn bekomme. Er hatte das Geheimnis zu lüften vermocht, das er lüften wollte, nun würde er in Ruhe zu seinem Gefolge zurückkehren können, es in die Schatzkammer führen und alles Gold forttragen lassen, das die Leute schleppen konnten, ohne zusammenzubrechen.

Die Waziri hatten das äußere Ende des Tunnels bereits erreicht und begrüßten die frische Luft und den sternenübersäten Himmel, als Tarzan sich aus seinen Träumen riss und den Männern langsam folgte.

Wieder einmal und zum letzten Mal, wie er glaubte, schloss er die Tür der Schatzkammer hinter sich.

In der Dunkelheit hinter ihm erhob sich Werper und dehnte die verkrampften Muskeln. Dann trat er ein, streckte die Hand aus und ließ sie behutsam über einen Goldbarren der obersten Reihe gleiten. Er hob ihn auf und wog ihn in den Händen. In habgieriger Ekstase drückte er ihn an die Brust.

Tarzan träumte schon von einer glücklichen Heimkehr, von weichen Armen, die ihn umschlangen, von einer rosigen Wange, die sich an die seine schmiegte, aber dann verdrängte die Erinnerung an die Warnung des Wunderdoktors diese Bilder.

Da schlug das Schicksal zu und zerstörte innerhalb weniger Sekunden die Hoffnungen der beiden Männer. Der eine vergaß in der Panik des Augenblicks sogar seine Gier - dem andern raubte ein kantiges Felsstück, das ihm eine tiefe Wunde am Kopf beibrachte, die Erinnerung an die Vergangenheit.

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