Schauerliteratur - 1. Band

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»Ach, du dreieiniger Gott!« stöhnte Base Margit, indem sie sich bekreuzigte; Czenczi aber schlug die Hände vors Gesicht und rief: »Gott behüt' uns, mir ist, als sähe ich es vor mir stehen, das hässliche Weib!«

»Denkt Euch nun mein Erstaunen, werte Jungfer,« fuhr Herr Steidler fort, »Als ich plötzlich den jungen hübschen Mann die dürren, krummen Knochenfinger der Alten erfassen und mit einer Andacht und Inbrunst küssen sah, als wäre sie eine kaiserliche Prinzessin und Ausbund aller Schönheit! Alle Wetter, sagte ich zu mir selbst, mit welchem Halfter sind die zwei Leute zusammengekoppelt? Und da eben der Kreuzwirt mit der dampfenden Weinsuppe, meinem Frühstück, in die Stube tritt, winke ich ihn zu mir heran und frage ihn, wer die Zwei wären? Ei, sagte der, ans Fenster tretend, das ist die Marzipan-Lise, und da ich neugierig wiederhole: die Marzipan-Lise? berichtete er, die Alte wäre die Witwe eines reichen Lebküchlers, nach dessen Tode sie jedoch sein Geschäft aufgegeben, um ein minder süßes, aber bei weitem einträglicheres zu betreiben; sie leihe nämlich auf Pfänder, drücke ihren Schuldnern wucherische Zinsen ab, verkaufe ihnen Haus und Hof und wenn die armen Leute dann ihre Hartherzigkeit verfluchten, pflegte sie zu sagen, wenn sie nur ihr Geld habe, das andere wäre ihr Marzipan, welcher Redensart sie denn auch ihren Spitznamen verdanke. Sie wäre nun an die Siebzig, besäße zwei Häuser zu Bruck, drei Häuser zu Grätz, und auch sonst noch Grundstücke, Weingärten und scheffelweise Geld, aber nicht Kind noch Kegel und kein Mensch wisse, wem nach ihrem Tode all der Reichtum zufallen werde. Und da der junge Mann, sage ich darauf, wer ist er, und macht er der Alten den Hof und will er sie etwa heiraten? Worauf der Kreuzwirt lachte und meinte, die Alte wolle der nicht, nur ihr Geld; denn er wäre armer Leute Kind und hätte sich durch Fleiß und Geschicklichkeit, vorzüglich aber durch die Gunst der Weiber emporgearbeitet, mit denen er als ein hübscher, pfiffiger Bursche gar gut umzugehen wisse, so dass er jetzt Registrant im Magistrat und sehr beliebt bei Rat und Bürgerschaft wäre; nur der Herr Lamprechter, der Kaufmann auf dem Markte, sei ihm nicht grün, weil er der Nani, seiner einzigen Tochter, nachgehe, die um seinetwillen schon frei Freier und darunter den Syndikus der Stadt abgewiesen habe. – Da ich aber meine Frage wiederhole, was denn doch wohl der Herr Registrant mit der boshaften Alten wolle, sagte der Kreuzwirt: Nun, er ist ihr Mietsmann, und seit er in ihr Haus gezogen, hätschelt und pflegt er die Alte, besorgt ihre Geschäfte, redet ihr in aller Weise zu Gehör und alles das in der Hoffnung, sie werde ihm ein tüchtig Stück Geld hinterlassen, damit er nach ihrem Tode die Lamprechter Nani heiraten könne. Es solle auch, setzte der Kreuzwirt hinzu, schon alles in Richtigkeit sein; ja der Registrant behaupte sogar, er selbst habe der Alten auf ihr Verlangen den Entwurf zu einem Testamente aufsetzen müssen, in dem sie ihn zu ihrem Universalerben erklärte; die Alte dagegen wolle es nicht Wort haben, sie lächle boshaft, wie sie pflege, wenn sie darüber zur Rede gestellt werde, und meine, es sei nicht alles Gold was glänze; es gäbe wohl noch Tauben auf dem Dache, aber darum stäken sie noch nicht am Spieße, und manche Henne auf ihrem Ei wisse nicht, was sie ausbrüte, und dergleichen Dinge mehr, so dass im Grunde doch niemand recht wisse, welchen Ausgang die Geschichte nehmen werde! – Während dieser und anderer Reden war im Gässchen unten der Registrant seine Wege gegangen und der alte Drache in seine Höhle zurückgeschlüpft, und ich -«

Hier hielt der Erzähler inne, denn einer seiner Zuhörer hatte in dem Bestreben, sich leise zu erheben und seinen Stuhl recht unbemerkt zurückzuschieben, mehr Geräusch verursacht, als dies vielleicht bei minderer Vorsicht der Fall gewesen wäre. Es war der Schreiber Ferencz, der nicht wenig verwirrt schien, die allgemeine Aufmerksamkeit durch diese Störung so ausschließlich auf sich gezogen zu haben. Erst auf den wiederholten Anruf Horváths, was es gäbe, stammelte er die Entschuldigung hervor, auf dem Platze, den er bisher eingenommen, verletze das grelle Kerzenlicht seine leidenden Augen und er gedächte sich daher in die dunkleren Räume der Stube zurückzuziehen. »Seh' Er nur lieber gleich zu Bette; kranke Leute taugen nicht zu gesunden!« gab ihm Horváth rau und hart zur Antwort, worauf aber Ferencz nach kurzem Besinnen mit unsicherer Stimme erwiderte, er wollte nichts von der anziehenden Erzählung des Herrn Steidler verlieren und daher, wenn es ihm vergönnt wäre, auf der Bank hinter dem Ofen Platz nehmen! – »Auch gut, krieche Er hinter den Ofen,« brummte Herr Horváth; gleich darauf aber Czenczis Erbleichen und Erröten, ihre besorgten Blicke, die schlecht verhehlte Unruhe gewahrend, mit der sie den Bewegungen des Schreibers folgte, rief er, mit der derben Faust auf den Tisch hinschlagend, dass Flaschen und Gläser klirrten: »Kreuz – schwere Not! Rühre dich, Mädel! Das Glas des Herrn Steidler ist leer! Schenk ein und präsentiere ihm den Kuchenteller! Donnerwetter, pass auf!« Während Czenczi zusammenfuhr und so rauer Mahnung ungewohnt, zitternd die Aufträge des Vaters erfüllte, hatte dieser, seinen Unmut unter einer scherzenden Miene verbergend, sich wieder zu seinem Gaste gewandt und ihn aufgefordert, nach dieser unliebsamen Unterbrechung den Faden seiner Erzählung wieder aufzunehmen.

»Liebenswertester Freund,« begann Herr Steidler, »ich habe Euch wohl vorausgesagt, dass an jenem Vorfall, von dem ich Euch durchaus berichten sollte, nicht eben viel Merkwürdiges wäre; Ihr habt mir aber nicht glauben wollen; erstaunt also nicht, wenn ich an den Anfang meiner Geschichte statt ihrer Fortsetzung, die Ihr erwartet und begehrt, gleich unmittelbar ihr Ende knüpfen muss. Nachdem ich nämlich auf die Art und Weise, wie ich eben berichtet, die Marzipan-Lise und ihren Mietsmann kennengelernt hatte, ging ich meinen Geschäften nach und kehrte dann in meine Heimat zurück, ohne von jenen beiden weiter zu hören, oder ihrer auch nur von ferne zu gedenken. Nach etwa sechs Wochen hatte ich wieder eine Geschäftsreise nach Bruck anzutreten und diese Gelegenheit benützte ich, einen Freund auf einem von Bruck kaum eine halbe Stunde entfernten Hammerwerke zu besuchen; dort abgestiegen, wurde ich nicht mehr fortgelassen; ich musste bei meinem Freunde übernachten und setzte erst ziemlich spät morgens meine Reise wieder fort.

»Ich wusste, dass an jenem Tage zu Bruck der Wochenmarkt abgehalten werde und gedachte von diesem Umstande zur Besorgung mancher notwendiger Einkäufe Nutzen zu ziehen; ich war daher nicht wenig erstaunt, als ich bei meiner Ankunft zu Bruck zwar den Marktplatz mit Waren aller Art bedeckt, aber weder Käufer noch selbst Verkäufer, nur einige Kinder und alte Weiber, die Waren zu behüten, zur Stelle fand. Vor dem Kreuzwirtshause angelangt sah ich weder Hausknecht noch Kellnerin herzuspringen, noch schwenkte mir der Kreuzwirt sein grünes Samtmützlein entgegen, dagegen bemerkte ich an der Ecke des Hauses ein Knäuel von Menschen, den immer neuer Zulauf vermehrte. Dies erregte meine Neugier; ich schritt auf das Gewimmel zu und hatte kaum einige Schritte getan, als ich den Kreuzwirt erkannte, der mit zuwinkte und schrie: Hierher, nur hierher, kommt nur, Herr Steidler! – Kreuzwirt, sagte ich, als ich ihn endlich erreicht hatte, beißt Euch das Mäuslein, dass Ihr hier Maulaffen feil habt? Gibt's Feuer oder ist sonst ein Unglück geschehen? – Der aber, ganz erhitzt und verwirrt meiner Worte nicht achtend, schnaubt mir entgegen: Wollt Ihr sie sehen? Ich führe Euch hin, wenn Ihr sie sehen wollt! – Potz Hammer und Amboss! rufe ich, wer oder was ist denn zu sehen? – Was zu sehen ist? war die Antwort, nun die Marzipan-Lise, nach der Ihr letzthin fragtet! Kommt nur mit! Eben ist der Syndikus hinein und die Herren vom Rate! – Und ohne mir weiter Auskunft zu geben, fasste er mich beim Arm, rief mit barscher Stimme der vorwärtsdrängenden Menge ein: Platz da! Vorgesehen! zu, und zog mich, mit breiten Schultern und derben Fäusten mir Luft machend, in das Gässchen hinein, dessen ich früher gedachte, und das nun mit Menschen jeden Geschlechts und Alters so vollgepfropft war, dass nirgends auch nur ein Apfel hätte zur Erde fallen können.

Endlich hatten wir das Haus erreicht, waren die Eingangsstufen hinangestolpert und hatten uns durch den dunklen Hausflur an der steilen, finstern Treppe vorbei durch mehrere Stuben des Erdgeschosses in ein kleines gewölbtes Gemach gedrängt, das, wie sich später auswies, die Schlafstube der Hausfrau war. Das erste, war mir hier in die Augen fiel, war die über einen Haubenstock gestülpte Drahthaube mit der feuerfarbenen Schleife; über der Lehne eines Stuhls hing das Kamelottkleid und das dazu gehörige Halbmäntelchen; die Besitzerin dieser Gewänder aber lag unfern von ihrer Bettsponde, nur notdürftig bedeckt, auf dem Boden; das dünne graue Haar hing aufgelöst um das runzlichte schwarzblaue Gesicht und den pergamentähnlichen Nacken, den scharf ins emporquellende Fleisch gedrückt das grellgelbe Halstuch umschlang, mit dem die Unglückliche nach kurzer, vergeblicher Gegenwehr erdrosselt worden war; dafür bürgten die starren blutunterlaufenen, gewaltsam aus ihren Höhlen herausgetriebenen Augen, der halboffene Mund, der sich zu einem grässlichen Hohngelächter zu verzerren schien, und die verkrümmten Hände, die offenbar in dem vergeblichen Bestreben erstarrt waren: den erdrosselnden Knoten des gelben Halstuches zu lösen! Es war ein entsetzlicher Anblick! Als ich endlich imstande war, meine Blicke von dem furchtbaren Schauspiele abzuwenden, auf das ich lange voll Schaudern und Entrüstung hingestarrt hatte, gewahrte ich in einer Ecke des Gemachs mehrere mir bekannte, ansehnliche Bürger der Stadt um einen stattlichen Herrn versammelt, der, an dem geöffneten Schreibtisch der Ermordeten sitzend, die darin enthaltenen Papiere durchmusterte, und den mir der Kreuzwirt als den Syndikus der Stadt und einen der Freier der Lamprechter Nani zu erkennen gab. Die Herren waren, der Leiche kaum mehr eingedenk, in ein leises, aber höchst lebhaftes Gespräch verwickelt, das, allmählich lauter werdend, durch einzelne Worte erkennen ließ, dass es sich um den Nachlass der Ermordeten handelte. Dieser Umstand hatte mich zu der Frage veranlasst, was denn mit dem Registranten, dem Mietsmann und mutmaßlichen Erben der Toten und glücklichen Nebenbuhler des Syndikus, geworden wäre, und der Kreuzwirt teilte mir eben halblaut mit, dass derselbe, mit der Versteigerung eines in der Laming in Gant verfallenen Anwesens beauftragt, schon seit sechs Tagen abwesend wäre, als sich ein immer zunehmendes Gewirre von Stimmen im Hausflur erhob, die ärgerlich abmahnend einen ungestüm Vorwärtsdringenden zurückzuweisen bemüht schienen. Gleichwohl drang der laute Ruf: Ich muss hinein! Platz da! Ich muss sie sehen! immer näher, bis zuletzt der Schwall der Menge plötzlich sich teilte, und verstört, geisterbleich, große Schweißtropfen auf der Stirn, ein junger Mann ins Gemach stürzte, in dem ich augenblicklich den Registranten wiedererkannte, von dem wir soeben gesprochen. Bei dem Anblick der Ermordeten bebte er zurück, rang die Hände und rief einmal über das andere: O Jammer! O Entsetzen! O unglückseliger, grauenvoller Tag! – Mittlerweile war der Syndikus, der sich beim Eintritt des jungen Mannes erhoben, und ihn eine Weile von fern mit finsterem, fast feindlichem Blicke gemessen hatte, auf ihn zugeschritten und begann jetzt in langsam feierlichem Tone, in dem mir aber Hohn und Schadenfreude ganz deutlich durchzuklingen schienen: Ja! beklage Er das grässliche Ende seiner mütterlichen Freundin! Beklage und beweine Er sie, wie wir sie beklagen und beweinen, wie bald ganz Bruck dies edle Herz, diese vielverkannte Seele, diese Mutter der Armen, diese Zuflucht der Betrübten, beklagen und beweinen wird! Denn, hört und beherzigt es, schätzbarste Anwesende, diese oft geschmähte und verleumdete, diese mit Schimpf und Hohn verfolgte, mit Spottnamen verunehrte Frau hat feurige Kohlen auf euer Haupt gesammelt und ihr ganzes, großes Vermögen ungeteilt und ausschließlich hiesiger Stadt zur Gründung eines Bürgerspitals und Waisenhauses in bester Form Rechtens letztwillig hinterlassen! – Ein Murmeln und Flüstern des Staunens zog brausend durch die Versammlung, während der junge Mann eine Weile stumm und gedankenlos den Sprechenden anstarrte; als aber hier und dort in der Menge ein: Gott segne sie, ein: Ruhe sie in Frieden! laut wurde, als die erste stumpfe und mehr neugierige als erschütterte Menge plötzlich vom Drang des Dankgefühls hingerissen wie ein Mann sich auf die Knie warf und ein Gebet für ihre ermordete Wohltäterin anstimmte, da flammte in seinem Auge die Glut des feindlichsten Hasses auf, die, als sein Blick sich abwendend wieder auf die Leiche fiel, in den Ausdruck wahnsinniger Wut sich verwandelte; er knirschte mit den Zähnen, wühlte mit den Händen in seinem Haar, dann stieß er einen Schrei aus, der halb wie Schmerzgeheul, halb wie Gelächter der Verzweiflung erklang, taumelte, verdrehte die Augen und schlug im nächsten Augenblick leblos wie ein Stück Holz neben der Leiche hin!«

 

Herr Steidler, der in dem Bemühen, seinen Zuhörern die Eindrücke des vorlängst Erlebten recht anschaulich zu vergegenwärtigen, ungewöhnlich lebhaft geworden war, hielt hier inne, um sich zu sammeln und seine Erinnerungen für die Fortsetzung seiner Erzählung zu ordnen, als vom Ofen her, hinter dem schon lange schwere Atemzüge hörbar geworden, nun plötzlich ein dumpfes ängstliches Stöhnen wie das Röcheln eines Erstickenden erscholl. »Herr Jesus,« jammerte Base Margit, »es spukt!« und verbarg das Gesicht in ihrer Schürze.; Horváth war vom Stuhle aufgesprungen, Czenczi aber stürzte mit dem Angstschrei: »Um Gottes willen, was ist geschehen?« auf den Ofen zu. Noch ehe sie aber das mächtige grüne Kachelgebäude erreicht hatte, schwankte schon Ferencz, wie einer, dem die Knie brechend versagen, krampfhaft an das Gesimse des Ofens geklammert und daran sich forthelfend, hinter demselben hervor. Er war kreideweiß bis in die Lippen, seine Brust flog und arbeitete nach Luft; fieberhaftes Zittern durchlief seine Glieder und ließ seine Zähne hörbar aneinanderklappern. – Ihm sei todesübel geworden, es verlege ihm den Atem, ächzte er, aber es werde wohl vorübergehen, wenn er nur erst zu Bette wäre! – »Wasser, Wasser!« schrie Czenczi, »er stirbt! Hilfe!« und damit stürzte sie auf ihn zu und unterstützte den Schwankenden. Aber kaum, dass sie ihn berührt hatte, fühlte sie auch schon die schwere Hand des Vaters auf ihrer Schulter, die sie wie eine Flaumfeder fortdrehte, dass sie taumelnd in einer Ecke des Gemachs niedersank. – »Schickt sich das?« rief Horváth, dessen Grimm nur des zündenden Funken geharrt hatte, um aufzuflammen wie eine Pulvertonne, »ist's hier zu Lande Brauch, dass sittsame Mädchen sich nach Belieben den jungen Burschen an den Hals werfen? Gott's Donnerwetter! Ich will dich lehren, Dirne, was sich schickt!« – und damit erhob er die Hand; aber er besann sich und winkte die Base Margit heran: »Helft dem Burschen auf seine Stube,« sagte er, » und macht fort! Ich bin des Gewinsels satt und will Ruhe haben;« – Margit gehorchte und entfernte sich mit dem halbohnmächtigen Ferencz, zu dessen Wiederbelebung der eben stattgehabte Auftritt auch freilich nicht sehr geeignet war.

Kaum war die Türe hinter den beiden zugefallen, als Horváth, der ihren Abgang mit unmutig düstern Blicken beobachtet hatte, sich wieder zu Czenczi wandte, die blass und regungslos dasaß, und von deren Wimpern große Tränen auf die in ihrem Schoße gefalteten Hände niederträufelten. »Geh' auf dein Zimmer,« sprach er in milderem Tone, »die Erzählung unseres Gastes hat dich aufgeregt, und wenn bei euch Weibsleuten das Rädlein einmal ins Laufen gekommen ist, so will's nicht mehr stille stehen! Geh' und ein andermal sei klüger! und damit gute Nacht!« – Czenczi wiederholte tonlos und kaum vernehmlich die letzten Worte des Vaters, verneigte sich schweigend vor dem Gaste und verließ langsam das Gemach. Horváths Blicke folgten ihr mit dem Ausdrucke schmerzlichen Bedauerns und bitterer Kränkung. Die leidenschaftliche Teilnahme, die Czenczi für den Schreiber bei einem so unbedeutenden Anlaß, wie seine Unpäßlichkeit es war, an den Tag gelegt hatte, ließ über den Zustand ihres Herzens keinen Zweifel übrig, und in Horváths Brust, der sich in seiner blinden Zuversicht getäuscht, in seinem Stolze verletzt und in die bittere Notwendigkeit versetzt sah, dem Herzen weh tun zu müssen, das er am meisten liebte, kämpften die widersprechendsten Gefühle einen harten, peinlichen Kampf. Endlich seines Gastes gedenkend, fasste er sich und nahm wieder an seiner Seite Platz; aber sei es, dass er es für unnütz hielt, ihn über die Bedeutung des Vorganges täuschen zu wollen, oder dass er sich in dem Augenblicke unfähig fühlte, demselben irgendeinen andern annehmbaren Sinn unterzuschieben, er erwähnte des Vorgefallenen mit keiner Silbe und begnügte sich, seinen Tischgenossen zu bitten, die angefangene Erzählung zu Ende zu bringen.

»Meine Geschichte zu Ende bringen?« fragte Herr Steidler, der ein stummer, aber nicht teilnahmsloser Zeuge der Ereignisse des Abends gewesen und mit Vergnügen die Gelegenheit ergriff, seinen Hauswirt auf irgendeine Weise zu zerstreuen, »teuerster Freund, sie ist zu Ende; denn was noch zu berichten bleibt, ist kaum der Rede wert und läuft auf unbestimmte Gerüchte und Vermutungen hinaus. Nur das ist gewiss, dass die Marzipan-Lise mit unerhörtem Gepränge zur Erde bestattet wurde, dass es mit ihrem Testamente seine volle Richtigkeit hatte, und dass ihrem erbschleicherischen Mietsmanne, dem Registranten, wirklich nicht ein Heller aus ihrem Nachlasse zufiel, wodurch denn auch jede Möglichkeit seiner Verbindung mit der Lamprechter Nani zu Wasser wurde.

Der junge Mann, der alle seine Anschläge vereitelt sah und wie gewöhnlich zum Schaden auch noch den Spott hatte, lief seit jenem Tage verstört und halb wahnsinnig in der Stadt herum, bis er nach drei Wochen plötzlich verschwand. Sein Hut und sein Oberrock, die an den Ufern der Mur gefunden wurden, lassen vermuten, dass der arme Teufel in seiner Verzweiflung sich ertränkt habe. Was den Mörder der Marzipan-Lise betrifft, so führten die sorgfältigsten Nachforschungen auf keine Spur. Ein ehemaliger Schuldner der Ermordeten, den sie um Haus und Hof gebracht hatte und der sich zur Zeit des Mordes in der Gegend von Bruck herumtrieb, wurde auf Veranlassung des Registranten als der Tat verdächtig eingezogen, musste aber entlassen werden, da er ein Alibi standhältig nachzuweisen vermochte. Dagegen ging später, und zwar kurze Zeit nach dem Verschwinden des Registranten das Gerücht, er selbst wäre es gewesen, der in der sichern Hoffnung, die Alte zu beerben, ihr hingeholfen hätte, um früher zu Geld und Gut und in den Besitz seiner Liebsten zu kommen. Man erzählt sich nämlich, zwei Brauknechte hätten dem Syndikus angezeigt, dass sie in der Nacht des Mordes, von einem Besuch bei ihren Mädchen gegen Morgen nach der Stadt heimkehrend, dem, wie gesagt, damals in der Laming stationierten Registranten, hastig von der Stadt kommend, begegnet wären und ihn deutlich erkannt hätten, obgleich er bei ihrem Herannahen von der Straße weg in den Busch gesprungen wäre. Wenn nun auch der Hauswirt des Registranten in Laming dagegen steif und fest behaupte, dieser letztere habe sich daselbst in jener Nacht wie gewöhnlich zu Bette begeben und sei frühmorgens von ihm selbst geweckt worden, so schließe das doch nicht aus, dass der verruchte Mörder heimlich in stiller Nacht das Haus verlassen, die Untat vollbracht habe und dann unbemerkt wieder zurückgekehrt sei, wofür auch der Umstand spreche, dass der Mörder die Gelegenheit im Hause der Marzipan-Lise sehr wohl gekannt haben müsse, da kein Einbruch stattgefunden habe und Tür und Fenster unverletzt gewesen wäre.

Mehrere aber wussten mit dieser Angabe noch eine andere zu verbinden und berichteten, zu selbiger Zeit habe der Syndikus, den Nachlass der Marzipan-Lise ordnend, unter ihrer Wäsche ein Päckchen mit der Überschrift: »Legat für meinen Mietsmann,« gefunden. Dieses Päckchen habe ein Tellertüchlein, einen von dem Registranten für die Marzipan-Lise aufgesetzten Testamentsentwurf und ein Schreiben dieser letztern enthalten, worin sie dem Registranten für die Mitteilung des Entwurfs dankte, den sie auch nach ihrer Absicht und zu ihrem Zweck endlich benutzt habe; ihn zum Erben einzusetzen, wäre ihr nie eingefallen; sie hätte ihn damit nur hingehalten, damit sie ohne viele Kosten zu einem brauchbaren Testamentformular käme; wohl aber würde sie ihn für die guten Dienste, die er ihr geleistet, mit einem hübschen Kapital bedacht haben, wenn nicht ihre Katze von dem Kuchen, den er ihr unlängst verehrt, genascht hätte und daran verreckt wäre: sie habe darüber ihre eigenen Gedanken, und meine demnach vollkommen genug zu tun, wenn sie ihm das anliegende Tellertüchlein hinterlasse, um – sich das Maul zu wischen. Nach Lesung dieser Papiere habe der Syndikus, wie die Leute wissen wollten, sich in großer Verlegenheit befunden, indem dieselben, in Verbindung mit der Aussage der Brauknechte, den Registranten allerdings schwer verdächtigten; endlich aber habe er beschlossen, zwei Fliegen mit einem Schlage zu erlegen; nämlich einesteils das unliebsame Aufsehen zu vermeiden, das die Eröffnung des hochnotpeinlichen Verfahrens gegen ein Mitglied des Magistrats nach sich gezogen hätte, andernteils aber durch den Anschein ritterlicher Großmut gegen seinen Nebenbuhler sich des Besitzes der Lamprechter Nani um so bestimmter zu versichern. Er habe sich also zu dieser letztern verfügt, ihr den Sachverhalt mitgeteilt und ihr ans Herz gelegt, wie der Mann ihrer Neigung, falls er sich nicht ganz rein wüsste, sehr wohl daran täte, ungesäumt das Weite zu suchen; dabei aber auch nicht undeutlich merken lassen, auf welche Weise er die zarte Rücksicht, die er für ihre Person an den Tag lege, belohnt zu sehen hoffe. Auf diesem Wege, meinten die Leute, habe der Registrant Wind bekommen, sich aus dem Staube gemacht und der Syndikus die Hand seiner Liebsten gewonnen. – Das letztere hat nun allerdings seine Richtigkeit; die Lamprechter Nani hat wirklich den Syndikus geheiratet: das übrige ist wohl nur eitles Gerede, mit dem böse Mäuler unbarmherzig genug den armen Registranten noch im Grabe verfolgen. Das Ende der ganzen Geschichte ist aber denn doch, dass der Mörder der Marzipan-Lise bis jetzt noch nicht entdeckt worden ist und dass ihn daher Gott wird finden müssen, wie Ihr sagt, da ihn die Menschen nicht erreicht haben.«

Diese Bemerkung, absichtlich von Herrn Steidler hingeworfen, um den in Gedanken verlorenen Horváth ins Gespräch zu ziehen, blieb ohne Erwiderung. Horváth hörte sie nicht; den Kopf in die Hand gestützt, starrte er vor sich hin und hatte die Worte seines Gastes unbeachtet an sich vorüberrauschen lassen. Ihn beschäftigte nur eins: dass Antal recht hatte, dass er selbst in törichter Verblendung sein Kind ins Verderben hatte rennen lassen; dass er nun ein Ende machen müsse und dass es selbst dazu vielleicht zu spät sein könnte. Die tiefe Stille, die eingetreten war, nachdem Steidler seine Erzählung vollendet hatte, entriss ihn endlich seinem Hinbrüten; er fuhr auf und ohne weitere Vorbereitung, als dass er die zunehmende Kränklichkeit seines Schreibers beklagte, fragte er Herrn Steidler, ob er ihm einen Buchhalter empfehlen könne. Diese Frage wurde von dem umständlichen und in Geschäften sehr pünktlichen Gaste mit der Gegenfrage nach den Eigenschaften, die er fordere, und den Genüssen, die er gewähren wolle, und nach entsprechender Erörterung dieser Punkte mit dem Versprechen erwidert, ehe drei Wochen ins Land gingen, wolle er ihm einen ältlichen, aber noch rüstigen Mann zuweisen, der ihm genügen würde, worauf Herr Steidler, da er frühmorgens aufbrechen müsse, für den freundlichen Empfang danksagend, sich vom Tische erhob und von seinem Wirte mit den besten Wünschen für eine »ruhigschlafende« Nacht auf seine Stube geleitet wurde.

 

Der Morgen dämmerte herauf, und die ersten blassen Strahlen des Zwielichts, die in die Kammer des Schreibers Ferencz brachen, fanden ihn wach und halb angekleidet auf seinem zerwühlten Lager sitzend, dem diese Nacht Ruhe und Schlummer fern geblieben zu sein schienen. Der Lichtschirm und das schwarzseidene Tuch, das er tags zuvor um die Backen geschlungen hatte, lagen inmitten der Stube auf den Boden geschleudert, der mit zerrissenen Papieren bedeckt war; Schrank und Lade standen weit offen: Kleidungsstücke, Wäsche und andere Habseligkeiten lagen teils da und dort auf Tischen und Stühlen, teils neben dem Felleisen aufgehäuft, das in einer Ecke des Gemachs halbgepackt dastand und nach dem die Blicke des Schreibers von Zeit zu Zeit unruhig düster hinüberglitten, als überlegte er, ob er das angefangene Werk nicht doch vollenden solle. Wenn die Umgebung des jungen Mannes durch diese und andere Züge einen seltsamen Ausdruck des Unfriedens und der Verworrenheit erhielt, so zeigten sich diese letztern ihm selbst und seiner ganzen Erscheinung noch viel deutlicher aufgeprägt. Seine zusammengeknickte Haltung, das tief auf die Brust herabgesenkte Haupt, die fahle Blässe der Wangen verriet die äußerste Erschöpfung, während die schweren Seufzer, die von Zeit zu Zeit aus der beklommenen Brust sich losrangen und das unter den krampfhaft zusammengezogenen Brauen düster hervorblitzende Auge, das bald minutenlang auf das erlöschende Flämmchen der Nachtlampe gedankenlos hinstarrte, bald in ängstlich scheuer Hast von Gegenstand zu Gegenstand schweifte, von einer innern Ruhelosigkeit, von einer Gottverlassenheit der Seele zeugten, wie nur Verzweiflung oder Schuld sie empfinden. – Jetzt fuhr er auf und horchte. – »Schritte – waren das nicht Schritte? Nein, es war nichts!« Er trocknete sich den Schweiß von der Stirn, strich die wirren Haare zurück, die sie bedeckten und schritt unruhig im Zimmer auf und nieder. – »Warum gab ich auch dem Drängen der alten Margit nach,« murmelte er vor sich hin, »und was bestand ich später darauf, mich nicht zu entfernen? Der alte Schwätzer musste freilich im Auge behalten werden, und wer konnte wissen, dass mich das dumme Fieber packen würde, und dass ich wie ein Schulknabe -« Er vollendete nicht, denn jetzt schallten wirklich draußen rasche Schritte nah und näher, denen bald ein derbes Pochen an der verschlossenen Tür folgte. Ferencz stand einen Augenblick wie erstarrt, dann sich ermannend, sprang er in die Ecke der Stube, riss mit zitternden Händen seinen Mantel von der Wand, breitete ihn über das offene Felleisen hin und wankte dann zur Tür, den Riegel zurückzuschieben; nun öffnete sie sich und Horváth stand auf ihrer Schwelle dem bis in die Lippen erbleichenden Ferencz gegenüber, der vergebens seine tödliche Unruhe unter Bücklingen und ehrerbietigen Morgengrüßen zu verbergen strebte.

Horváth hatte seinerseits die Nacht nicht besser zugebracht als sein Schreiber. Gekränkt in seinem Stolze, erbittert durch den Mangel an Vertrauen, den seine Tochter gegen ihn bewiesen und voll Zorn gegen den treulosen Diener, der seine Wohltaten mit Undank vergolten hatte, war er zu Bette gegangen; aber in der Stille der Nacht, die ihn immer deutlicher der eigenen Mitschuld an der Verwirrung der jungen Leute sich bewusst werden ließ, verloschen allmählich die Flammen seines Zorns. Dagegen faßte er den festen Entschluss, geschehe was da wolle, am nächsten Morgen, sobald nur Herr Steidler abgereist sein würde, unverzüglich mit aller Entschiedenheit einem Verhältnisse ein Ende zu machen, das ihm ebenso schmachvoll als unnatürlich und ganz und gar unmöglich erschien. Gleichwohl war sein Wesen so durch und durch Milde und Gutmütigkeit und so sehr widerstrebte es seiner innersten Natur, irgendjemand, außer im ersten Auflodern des Zorns, etwas vorsätzlich zuleide zu tun, dass er nach Steidlers Abreise kaum minder schweren Herzens den Gang nach der Kammer des Schreibers antrat, als dieser ihn in derselben erscheinen sah!

»Ist Er wieder hergestellt?« sagte er langsam in die Stube tretend und die Tür hinter sich zuziehend. »Nun, das sehe ich gern; denn ich habe mit Ihm zu reden und es freut mich, dass Er seine fünf Sinne beisammen hat!« Er setzte sich mit diesen Worten auf den Stuhl, den ihm Ferencz hingerückt hatte, und blickte wie verlegen im Zimmer herum. – »Ja, ich habe mit Ihm zu reden,« wiederholte er mit barschem, ja rauem Tone, aber es war etwas in diesem Tone, als täte er sich Gewalt an, fester und entschlossener zu scheinen als er war. – »Ich will ihm sagen, dass ich heute nach Vásárhely hinüberreite, um in den Weingärten nachzusehen, und morgen,« setzte er nach einigen Zögern hinzu, »morgen reise ich nach Ofen!« Hier hielt er wieder inne, dann aber sich ein Herz fassen und das Unvermeidliche herausstoßend, sagte er, indem er aufstand und dem Schreiber den Rücken kehrend an den Tisch trat: »Und dann will ich Ihnen sagen, dass ich einen andern zu meinem Buchhalter bestellt habe und dass Er mein Haus noch heute verlassen muss!« Ferencz zuckte bei diesen Worten zusammen wie einer, dem ein Blitzstrahl hart vor den Füßen in die Erde schlägt. – »Hier ist Sein Dienstzeugnis,« fuhr Horváth fort, ein Papier aus der Tasche ziehend und es abgewandt ihm hinreichend, »und hier ist Sein rückständiger Lohn und ein Reise- und Zehrpfennig dazu!« und damit warf er eine Rolle hin, die, im Falle berstend, den Tisch mit Goldstücken bedeckte. – Er schwieg, als ob er eine Antwort erwartete, als diese aber ausblieb, wandte er sich um und ein Blick auf den wie vernichtet dastehenden Schreiber genügte, ihn vollends zu entwaffnen. Er schritt auf Ferencz zu und ihm mit der Hand auf die Schulter schlagend, sagte er: »Er ist ein braver, geschickter, fleißiger Mensch, ich entbehre Ihn ungern und habe Ihn auch in meinem Zeugnis als treu und fleißig bestens rekommendiert: aber Er selbst wird einsehen, dass Er nicht bleiben kann. Morgen reise ich nach Ofen und darum muss Er noch heute, diese Stunde fort! Hört Er?« Ferencz lallte einige unverständliche Worte, während Horváth der Tür zuschritt, die Klinke in der Hand aber noch einmal sich umwandte und sagte: »Dass Er sich aber nicht einbilde, Er könne sich in der Gegend herumtreiben und um mein Haus herumlungern! Das verbitte ich mir und werde Ihm auch das Handwerk zu legen wissen! Er muss fort, gleich und ganz fort! Und damit Gott befohlen!« Mit diesen Worten öffnete er die Türe und verließ, froh, das ihm peinliche Geschäft kurz und entschieden abgetan zu haben, raschen Schrittes das Gemach.