Nie wieder Mobbingopfer!

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3. Folgen des Mobbings
Mobbingfolgen für das Opfer

Mobbing ist eine perfide Form seelischer Gewalt, die sich meist unauffällig in Worten und Gesten nähert. Sie erniedrigt, nimmt die Selbstachtung, macht ohnmächtig, hilflos und oft auch krank.

Woran liegt es, dass Mobbing krank macht? Wir wissen, dass Kränkungen krank machen können.10 Beim Mobbing werden Kränkungen und alle anderen Formen seelischer Gewalt dauerhaft eingesetzt. Den immer wieder erfolgenden Aggressionen kann das Opfer nicht ausweichen. Es spürt seinen Kontrollverlust, seine Ohnmacht und Hilflosigkeit. Daraus folgen dann Niedergeschlagenheit, Antriebsarmut und Hoffnungslosigkeit. Können weder das Verhalten noch die Gefühle des Aggressors eingeschätzt werden, entsteht Angst, die wiederum die Immunabwehr schwächt und zu Kopfschmerzen, Verspannungen, Magen- und Darmbeschwerden führt.

Ingrid, 52:

„Nach dem Umzug habe ich einen neuen Job als Krankenschwester in einer Privatklinik gefunden. Mit einigen Kolleginnen kam ich aber von Anfang an nicht klar. Ich wurde gemieden, und hinter meinem Rücken wurde über mich permanent gelästert. Das hat mich richtig krank gemacht. Ich habe dann die Pflegedienstleiterin um Hilfe gebeten, aber die wollte sich raushalten und hat nur gesagt, dass wir die Probleme untereinander lösen sollten. Sie wolle sich da nicht einmischen. So bleibe ich den Mobberinnen weiter schutzlos ausgesetzt.

Jeden Abend weine ich mich nach Stunden erschöpft in den Schlaf. Oft wache ich nachts auf und grüble stundenlang. Morgens ist es dann eine Qual für mich, aufzustehen, mich anzuziehen und zur Arbeit zu fahren. Ich habe Angst vor neuen Angriffen, leide unter Magenbeschwerden, Kopfschmerzen und Übelkeit. Selbst meine Familie und meine Freunde erkennen mich nicht wieder. Sie beklagen sich darüber, dass ich mich so verändert hätte, depressiv geworden wäre und mich bei der kleinsten Kleinigkeit angegriffen fühlte. Ich will das nicht mehr. Das alles muss ein Ende haben, sonst ende ich eines Tages in der Psychiatrie. Ich habe keine Kraft mehr.“

Ingrids Beispiel macht deutlich, was Mobbing anrichten kann, obwohl es Verletzungen hinterlässt, die zunächst unsichtbar sind, die aber in sämtliche Beziehungen hineinwirken und am Ende einen Menschen seelisch und körperlich zerstören können.

Mobbing als Ursache von Krankheiten wurde inzwischen in die Lehrbücher der Psychotraumatologie aufgenommen; dies gilt aber noch nicht für die allgemeine medizinische Diagnostik – mit fatalen Folgen für Mobbingopfer bei Begutachtung und Therapie. Die Folgen des Mobbings sind schwerwiegend: In der Medizin spricht man vom „Posttraumatischen Stressyndrom“11.

„Mobbing hat ganz erhebliche Auswirkungen auf die betroffene Person und das Unternehmen und die Gesellschaft. Die permanenten Schikanen führen in der Regel zu starker Verunsicherung, erhöhtem Misstrauen, Nervosität, Leistungsblockaden, Angst- oder Ohnmachtsgefühlen, Demotivation, innerer Kündigung oder sozialem Rückzug. Nicht selten kommt es zu Depressionen oder Suizid-Gedanken. Körperliche Symptome können Schlafstörungen, Kopf-, Magen-, Rücken-, Nackenschmerzen, Herzklopfen oder Atemnot sein.“12

Welche Auswirkungen Mobbing auf den Betroffenen hat, zeigt auch das Beispiel von Susanne, 27:

„Ich wurde einige Jahre in der öffentlichen Verwaltung massiv gemobbt und habe mich nach Schlafstörungen (Alpträume) und Angstattacken für einen Ausstieg entschieden, nachdem ich vergeblich versucht hatte, mir von diversen Institutionen oder Ansprechpartnern Hilfe zu holen. Nun ist es vorbei. Trotzdem bin ich immer noch damit beschäftigt, meine verwundete Seele wieder in Ordnung zu bringen. Die Mobbingerfahrungen am Arbeitsplatz waren für mich traumatisch, ich fühle mich wie nach einem langen Krieg. Ich bin fassungslos, wie Menschen sein können. Meine normalen Wertvorstellungen haben sich komplett gewandelt. Ich war immer leistungswillig und habe viel für meine berufliche Zukunft gemacht. Die Faulen sind weiter im Dienst und mobben und ich bin nun draußen. Das, was ich erlebt habe, hat mich total verunsichert. Obwohl ich meiner Arbeitsstelle schon längst den Rücken gekehrt habe, leide ich immer noch unter den Nachwehen des Mobbings. Ich bin in Therapie, um mich seelisch wieder zu stabilisieren.“

Die verheerenden Wirkungen von Mobbing werden schließlich offenbar, wenn der Mobbingprozess (s. Abschnitt: „Die Phasen des Mobbingprozesses“, S. 33) eine Eigendynamik entwickelt:

Mobbing bewirkt beim Betroffenen zunächst eine allgemeine Verunsicherung und Anspannung. Der Mitarbeiter versucht in dieser Phase, immer mehr zu arbeiten, achtet ängstlich auf Fehler, macht Überstunden und kann von seiner Arbeit auch nicht mehr abschalten. Dies wirkt sich natürlich auch auf andere Lebensbereiche aus – der Betroffene ist erschöpft, wird mürrisch, unfreundlich, misstrauisch oder sogar aggressiv. Aufgrund des systematischen und über längere Zeit andauernden Mobbings werden diese Verhaltensweisen zu typischen Reaktionen des Betroffenen. Der Gemobbte ist nicht mehr in der Lage, Kontakt zu anderen Menschen, insbesondere in seinem Arbeitsbereich, aufzunehmen. Um dies wieder zu können, bräuchte er Sicherheit und soziale Unterstützung. Immer mehr unbeteiligte Kollegen ziehen sich von ihm zurück, da er sich durch das Mobbing verändert hat und nun anders wirkt.

Durch die Isolierung und der damit einhergehenden Änderung seiner Persönlichkeit gerät der Gemobbte in einen Teufelskreis, aus dem er sich oft nur mit psychotherapeutischer Hilfe befreien kann. Es ist dann nur noch eine Frage der Zeit, bis der Betroffene durch erhöhte Fehlzeiten und Leistungsschwächen auffällt. Damit liefert er erst recht Gründe, ausgegrenzt zu werden. Auch der Vorgesetzte kann sich nun nicht mehr länger des Eindrucks erwehren, dass der betreffende Mitarbeiter überfordert sei.

Damit haben die Mobber ein wichtiges Ziel erreicht. In der Folge wird der Aufgaben- und Verantwortungsbereich des Gemobbten beschnitten, wenn nicht gar einem anderen Mitarbeiter übertragen. Weitere Folgen des erlittenen Mobbings können tiefes Misstrauen gegenüber anderen Menschen, Verlust des Selbstwertgefühls oder sogar Trennungen und Scheidungen sein. Fachleute schätzen, dass viele Selbstmordfälle in Deutschland jedes Jahr durch Mobbing am Arbeitsplatz ausgelöst werden.

Holger, 23:

„Ich bin Berufseinsteiger in der Krankenpflege, einem Bereich, der überwiegend weiblich besetzt ist. Über Monate haben mich die Kolleginnen geschnitten und mir Informationen vorenthalten. Eines Tages, als ich aus dem Urlaub zurückkehrte, klebte an meinem Fach im Schwesternzimmer ein scheinbar witziger Aufkleber: „Riech ich dein Aroma, fall ich gleich ins Koma.“ Dass man sich über meinen angeblichen Körpergeruch lustig macht, trifft mich ganz empfindlich. Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll, weil unklar ist, ob es die Aktion einer einzelnen Person oder ob das eine Attacke aller gegen mich ist. Wäre ich so selbstbewusst wie mein Freund, dann würde ich offensiv damit umgehen und z. B. sagen: ‚Qualität ist eben nicht flüchtig. Ich habe mir meinen Duft patentieren lassen!‘ Aber ich habe nur das Gefühl, der Situation ausgeliefert zu sein und dass alle gegen mich sind. Ich leide inzwischen unter Schlaf- und Konzentrationsstörungen und habe morgens Angst, zur Arbeit zu gehen. Ich weiß nicht mehr weiter.“

Wie dieses Beispiel zeigt, entwickeln viele Mobbingopfer unter extremem sozialem Stress psychische oder physische Probleme, die sich irgendwann in entsprechenden Symptomen äußern. Der Dauerstress am Arbeitsplatz führt häufig zur völligen seelischen und körperlichen Erschöpfung.

Für die Betroffenen bedeutet Mobbing nicht nur ein enormes Krankheitsrisiko, es bedeutet oft sogar das Ende der Karriere. Entweder kündigen die Opfer selbst, weil sie es nicht mehr aushalten, oder sie werden vom Arbeitgeber unter einem Vorwand gekündigt. Andere willigen in einen Aufhebungsvertrag ein. Viele landen in psychiatrischer Behandlung. Laut „Mobbing-Report“ der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) gaben 43 Prozent der betroffenen Personen an, infolge des Mobbings krank geworden zu sein, 20 Prozent von ihnen dauerhaft. 11 Prozent waren nach dem Vorfall langfristig arbeitslos.13 Und nicht selten bleibt der Ruf so nachhaltig beschädigt, dass es schwierig ist, einen neuen Job zu finden. Viele Mobbingopfer müssen komplett umsatteln, weil Personalchefs untereinander telefonieren oder sich herumgesprochen hat, dass jemand als „Problemfall“ gilt.

Wolfgang, 59:

„Ich wurde systematisch gemobbt und dadurch erwerbsunfähig und krank. Im Jahr 2003 war die Welt für mich noch in Ordnung. Damals arbeitete ich bereits seit 15 Jahren bei einer großen Versicherung. Es gab gute Beurteilungen durch meine Chefs. Ich war verheiratet und zufrieden mit meinem Leben. Heute beziehe ich eine kleine Erwerbsunfähigkeitsrente, bin krank, leide unter Schlafstörungen, Depressionen, Panikattacken und posttraumatischen Belastungsstörungen.

Über Jahre wurde ich systematisch schikaniert und unter Druck gesetzt, nachdem die Versicherung fusioniert hatte und ich infolgedessen neue Chefs bekam. Ende 2004 wurde ich nach vielen Ausfällen durch Krankheit arbeitsunfähig. Begonnen hat das Mobbing damit, dass ich als Vertrauensmann der Gewerkschaft HBV (Handel, Banken, Versicherungen) maßgeblich an einem dreiwöchigen Streik im Jahr 2003 beteiligt war. Nachdem ich einen Leserbrief an eine Lokalzeitung geschrieben hatte, erhielt ich eine außerordentliche Kündigung, die später zurückgenommen wurde. Seitdem war meine Arbeit ein einziger Spießrutenlauf und ich fühlte mich ständig überwacht. Wenige Monate später wurde ich zum Vertrauensmann der Schwerbehinderten gewählt. Kurz darauf suspendierte man mich vom Dienst, und zwar wegen angeblichen Lohnbetrugs; eine Kündigung folgte. Ich klagte und gewann. Die Versicherung wurde verurteilt, mich weiter zu beschäftigen. Erste gesundheitliche Probleme stellten sich ein, u. a. Schlafstörungen. Mein Befinden verschlechterte sich deutlich. Ich hatte Existenzängste, grübelte nur noch, fühlte mich wertlos und schuldig, sah alles nur noch negativ und wollte morgens am liebsten nicht mehr aufstehen. Ich litt unter ständigen Ängsten, wenn ich zur Arbeit ging. Ich konnte nicht mehr abschalten, dauernd musste ich an die Arbeit denken. Am Arbeitsplatz fühlte ich mich ausgegrenzt und diskriminiert. Auf einer Betriebsversammlung wurde mir vorgeworfen, ,blauzumachen‘. Die ersten Gedanken an einen Suizid tauchten auf.

 

Ich fühlte mich als Versager und hielt mich am liebsten zu Hause in einem abgedunkelten Zimmer auf. Ende 2004 wurde ich das erste Mal wegen Depressionen und Angstattacken für einige Wochen in eine psychosomatische Klinik eingewiesen. Ich war zu diesem Zeitpunkt absolut am Tiefpunkt angelangt. Aber auch danach erhielt ich häufig anonyme Anrufe, die mich mürbe machen sollten. Ich wurde als Neurotiker beschimpft und fühlte mich bedroht. Als sich ein Kollege, der einem ähnlichen Druck und Stress ausgesetzt war, das Leben nahm, gründete ich eine Selbsthilfegruppe. Ich musste irgend­etwas tun, um nicht ganz zu verzweifeln. Ende 2004 wurde ich mit 52 Jahren in Frührente geschickt.“

Dieses Beispiel ist erschütternd, aber kein Einzelfall. Es zeigt, dass Mobbing zunächst zu Stress und später zu verschiedensten Krankheiten und am Ende sogar in die Frühverrentung führt.

Neben den gesundheitlichen Folgen sind auch die Folgen für die Karriere gravierend. In mehr als der Hälfte (52,8 Prozent) aller Mobbingfälle (Männer und Frauen) wurde das Mobbing durch Kündigung beendet und bei 14,6 Prozent durch Versetzung. Das bedeutet, dass Mobbingopfer in 67,4 Prozent der Fälle ihren Arbeitsplatz verloren haben.14

Mobbingfolgen für den Betrieb

Mobbing ist, wie gezeigt, vor allem für das Opfer eine persönliche Katastrophe. Doch sieht man einmal von der menschlichen Tragödie ab, wird schnell deutlich: Kein Unternehmen kann sich Mobbing leisten.

Mitarbeiter, die Schikanen oder Diskriminierungen am Arbeitsplatz ausgesetzt sind, leiden stark unter den Folgen – und das Unternehmen leidet mit, indem sich das Betriebsklima verschlechtert und die Produktivität infolge fehlgeleiteter Energien sinkt: Motivation und Leistungsfähigkeit gemobbter Arbeitskräfte sinken, der Krankenstand steigt. Daher sollte jedem Betrieb daran gelegen sein, die Arbeitsplätze und die Arbeitsumgebung so zu gestalten, dass Mobbing gar nicht erst möglich ist oder zumindest im Keim erstickt wird. (S. Abschnitt: „Die Verantwortung des Arbeitgebers“, S. 128)

Mobbingfolgen für die Gesamtwirtschaft

Für die Betriebe ergeben sich nicht unerhebliche Ausfälle durch häufige Krankmeldungen. Darüber hinaus aber haben die Folgen von Mobbing auch eine gesamtwirtschaftliche und gesellschaftliche Dimension. Mobbing-bedingte Erkrankungen belasten das Gesundheitswesen wegen ärztlicher Behandlungen, Verbrauch von Medikamenten, Krankenhausaufenthalten und Rehabilitationsmaßnahmen. Mobbing-bedingte Kündigungen und Frühverentungen führen zu höheren Kosten der Arbeitslosenversicherung, der Sozialhilfe und Rentenversicherung.

Mobbingfolgen aus rechtlicher Sicht

Mobbing selbst ist keine Straftat, wohl aber können einzelne Straftatbestände erfüllt sein, z. B.:

(fahrlässige) Körperverletzung (§ 223 ff., 229 StGB)

Nötigung (§ 240 StGB)

Beleidigung (§ 185 StGB)

üble Nachrede (§ 186 StGB)

Verleumdung (§ 187 StGB)

Beleidigung trotz Wahrheitsbeweis (§ 192 StGB)

Diebstahl (§ 242 ff. StGB)

Sachbeschädigung (§ 303 StGB)

Welche rechtlichen Schritte bei Mobbing möglich sind, kann allgemein nicht beantwortet werden, da jeder Fall anders ist. Als Hinweis seien aber die Stichworte: Strafantrag, Strafanzeige und Schadensersatz genannt. Eine genaue juristische Beurteilung ist aber sicher nur einem Rechtsanwalt möglich. Wichtig ist hier, dass zeitnah gehandelt wird, um gegebenenfalls Fristen bei Abmahnungen oder Kündigung zu wahren.

Verletzt ein Arbeitgeber seine Fürsorgepflicht und lässt bewusst zu, dass einer seiner Mitarbeiter am Arbeitsplatz gemobbt wird, kann dies zu einer Klage durch den Arbeitnehmer führen, beispielsweise auf Schadensersatz. Schon allein aus rechtlicher Perspektive sollte ein Arbeitgeber daher alles tun, um Mobbing zu vermeiden. (s. Abschnitt: „Juristische Hilfen“, S. 117)

TEIL 2: ANALYSE DES MOBBINGS
1. Die Phasen des Mobbingprozesses

Mobbing vollzieht sich in einem fortschreitenden Prozess. Weil Mobbing zu Anfang dieses Prozesses oft in der Form der „verdeckten Aggression“ (s. S. 17) abläuft, ist es für Mobbingopfer meist sehr schwierig, die Gefahr rechtzeitig zu erkennen.

Manchmal beginnt es mit ein paar harmlosen Witzen. Aufmerksam sollte man werden, wenn solche Witze nicht mehr als witzig empfunden werden und man sich getroffen und verletzt fühlt. Es wird ernst, wenn der vermeintliche Witz ein Übergriff in Richtung Respektlosigkeit ist. Spätestens dann sollte man protestieren, etwa mit den Worten: „Moment mal, was soll das?“

Die Eskalation des Mobbingprozesses erfolgt in unterschiedlichen Phasen. Leymann stellt bei Mobbing ein stereotypes Verlaufsmuster fest, das er in fünf Phasen gliedert:

1. Phase: Ein Konflikt wird nicht konstruktiv gelöst.

2. Phase: Es wird systematisch Psychoterror ausgeübt.

3. Phase: Die Personalleitung reagiert.

4. Phase: Ärztliche und psychologische Fehldiagnosen erfolgen.

5. Phase: Der Gemobbte wird aus der betrieblichen Gemeinschaft ausgeschlossen

Die Phasen dieses Modells laufen nicht zwangsläufig in genau dieser Reihenfolge ab, und es müssen auch nicht alle Phasen durchlaufen werden. Das Modell beschreibt sozusagen den „worst case“, wenn der Psychoterror ungehindert seinen Lauf nimmt. Nicht jeder Mobbingverlauf muss so weit eskalieren. Leymann glaubt, dass es viele Fälle gibt, bei denen der negative Verlauf unterbrochen wird, weil z. B. der Arbeitgeber das Problem rechtzeitig in die Hand genommen hat oder dem Angreifer klar wird, was er anrichtet.15

1. Phase: Ein Konflikt wird nicht konstruktiv gelöst

Ausgangspunkt von Mobbing ist häufig ein offener oder verdeckter Konflikt, der weder benannt noch gelöst wird. Z.B. kann schon die Angst vor einem besonders qualifizierten neuen Mitarbeiter, der Konkurrenz bedeutet und eine Bedrohung darstellt, als Motiv reichen, um anzufangen, diesen zu mobben. Da sich niemand um diesen vorhandenen, aber nicht wahrgenommenen Konflikt kümmert, kann sich im Laufe der Zeit eine Eigendynamik entwickeln. Im weiteren Verlauf tritt der ursprüngliche Konflikt immer mehr in den Hintergrund und es entwickelt sich eine persönliche Auseinandersetzung, die sich häufig in ersten Schuldzuweisungen und vereinzelten persönlichen Angriffen äußert. Am Ende kommt es zu einer Front- und Parteienbildung.

Magdalena, 39:

„Meine Erfahrung ist: Entweder du heulst mit den Wölfen oder das Rudel schließt dich aus. Ich habe genau das erfahren und wurde von Kolleginnen gemobbt. Jetzt, im Nachhinein, erkenne ich den Grund, warum ich gemobbt wurde: Ich war einfach anders als sie. Ich hatte keine Lust dazu, mich in der Freizeit auch noch mit ihnen zu treffen, um shoppen zu gehen. Mir reichte es schon, mit ihnen den ganzen Tag lang zusammen sein zu müssen. Schnell bemerkte ich, dass ich isoliert wurde. Weil ich keinen offensichtlichen Grund für die Attacken meiner Kolleginnen erkennen konnte, begann ich irgendwann, an mir selbst zu zweifeln. Ich konnte nachts nicht mehr schlafen und grübelte nur noch. ,Vielleicht liegt es doch an mir?‘, fragte ich mich immerzu. Selbstzweifel und Schamgefühl verhinderten, dass ich mir rechtzeitig Hilfe suchte. Jeder Tag und jede Begegnung war ein ,Kampf ums Überleben‘. Ich versuchte mich in Anpassung, dann in Unterwürfigkeit. Am Ende war ich so zermürbt und resigniert, dass ich den anderen das Feld überließ und nur noch ,gute Miene zum bösen Spiel‘ machte, so tat, als ob mich die Angriffe gar nicht beeindruckten, um in Ruhe gelassen zu werden. Aber egal, was ich tat, meine Reaktionen verschonten mich nicht, sondern verstärken die Attacken meiner Kolleginnen. Die Lage verschärfte sich in dem Moment, in dem ich mich krank meldete und zu Hause blieb. Ab jetzt stand für meine Kolleginnen fest, dass mit mir irgendetwas nicht stimme. Sie hatten keineswegs ein schlechtes Gewissen, sondern sahen sich in ihrer Bewertung meiner Person gerechtfertigt.“

Es ist tatsächlich Mode geworden, sich nach der Arbeit zu sogenannten „After-Work-Partys“ zu treffen. Weil Magdalena keine Lust hatte, sich mit ihren Kolleginnen in der Freizeit zu treffen, also sich selbst ausgrenzte, reagierte die Gruppe ihrerseits mit massiver Ausgrenzung. Der Konflikt war da!

In der Folge nahm der Prozess an Dynamik zu. Es war Magdalena unmöglich, diesen aus eigener Kraft aufzuhalten. Diese Erfolglosigkeit ist kaum verwunderlich, da es zum Wesen des Mobbings gehört, dem Opfer keine Chance der Gegenwehr zu lassen. Schikanen werden bagatellisiert, der überspannten Phantasie oder der Überempfindlichkeit des Opfers zugeschrieben.

Trotz der geringen Erfolgsaussichten sollten Mobbingbetroffene besonders im Anfangsstadium versuchen, dem Mobbing zugrunde liegende Konflikte durch ein klärendes Gespräch zu lösen, um damit das Fortschreiten des Mobbingprozesses aufzuhalten. (S. „Der Umgang mit dem Mobbingkonflikt“, S. 92)

2. Phase: Es wird systematisch Psychoterror ausgeübt

In der zweiten Phase wird das Opfer gezielt attackiert. Die Form der Aggressionen wandelt sich: Aus den getarnten werden immer mehr offene Aggressionen. Der Ton wird ruppiger. Unfreundliche Worte, verletzende Anspielungen („Es riecht hier plötzlich so seltsam“) sowie der Einsatz von Körpersprache für den Ausdruck von Verachtung haben das Ziel, zu verletzen oder einzuschüchtern. Feindseligkeiten und Gehässigkeiten nehmen zu: „Wenn Frau W. nicht im Team wäre, könnten wir viel schneller arbeiten.“

Während der eigentliche, ungelöste Konflikt in den ­Hintergrund gerät, wird das Opfer schikaniert. Die Ausgrenzung wird verstärkt, indem man dem Gemobbten konsequent aus dem Weg geht, ihn nicht mehr über betriebliche Zusammenhänge informiert, boykottiert und isoliert. Beliebt ist es auch, soweit es die Organisation der Arbeitsverteilung unter den Mitarbeitern zulässt, das Opfer dadurch zu benachteiligen, dass ihm „undankbare“ Aufgaben „übrig gelassen“ werden oder dass man ihm für die Aufgabenerfüllung wichtige Informationen vorenthält. (Zu der Frage, inwieweit sich das Opfer dagegen durch ein Gespräch mit dem Vorgesetzten erfolgreich wehren kann, s. S. 92: „Der Umgang mit dem Mobbingkonflikt“.)

Der Mobbingprozess hat in dieser zweiten Phase einen hohen Grad an Eigendynamik erreicht: Durch die ständigen Demütigungen ist die gemobbte Person so verunsichert, dass ihre Arbeit erheblich darunter leidet. Der Betroffene ist kaum noch in der Lage, seine Aufgaben konzentriert zu bewältigen. Er macht Fehler, was Anlass zu neuen Schikanen gibt. Die Ausweglosigkeit lässt ihn gereizt und aggressiv reagieren. Es zeigen sich psychosomatische Symptome wie Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Rückenprobleme, Magenbeschwerden, Herz- und Kreislauferkrankungen. Seine Fehlzeiten im Betrieb nehmen zu.

 
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