Die Geschichte meines Onkels-Ein NS-Täter in der Familie

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Die Geschichte meines Onkels-Ein NS-Täter in der Familie
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Die Autorin schildert die Entdeckung einer verschwiegenen Wahrheit in ihrer Familie. Ihre akribische Recherche führt sie in das dunkelste Kapitel der neueren deutschen Geschichte. Im Geflecht von Familiengeschichte und historischen Ereignissen nähert sie sich zwischen Entsetzen und Begreifen einem neuen Verstehen ihrer Eltern.

Hinweise:

Die Genehmigung des Bundesarchivs für die Fotos liegt vor.

Die Lebenswege der Personen konnten nicht lückenlos recherchiert werden. Der geschichtliche Hintergrund ist in wesentlichen Zügen geschildert, soweit für die Entwicklung der Personen unerlässlich. Zur Vertiefung wird auf das Literaturverzeichnis sowie die Quellenangaben verwiesen.

Impressum

Copyright: © 2017-Ergänzte Fassung- Doris Johanna Bockholt

Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

ISBN

Doris Johanna Bockholt

Die Geschichte meines Onkels

Ein NS-Täter in der Familie

JEDE WAHRHEIT IST WICHTIG


Für meine Eltern

Die Autorin:

Doris Johanna Bockholt, Jahrgang 1951, geboren in Bottrop, Juristin, Anwältin, Gleichstellungsbeauftragte, Familienfrau.

Mitautorin in: Bärbel Sunderbrink (Hg.),Frauen in der

Bielefelder Geschichte, Bielefeld 2010

(Verlag für Regionalgeschichte), 384 S., ISBN:

978-3-89534-795-5

Mitautorin in: Website der Stadt Bielefeld:

http://www.unglaublich-weiblich.de/


Inhalt:

Warum eine Wahrheit manchmal spät erkannt wird.

Die Geschichte beginnt: Die >Ruhrpolen<

Krieg und Väter

Politik und Familie

Hannas erste Ehe

Die >Hausmädchenheimschaffungsaktion<

Hannas zweite Ehe

Eine SS>Laufbahn< beginnt

SS und >Ruhrpolen<

Der Zweite Weltkrieg beginnt - Polen

Krieg und Brüder

Die >Division Wiking<

Hanna und der SS-Mann

Nachkriegszeit

Die Geschichte meines Onkels

Warum eine Wahrheit manchmal spät erkannt wird.

Vor einigen Jahren begann ich mit der Erforschung meiner Familiengeschichte, vor allem, um das Schweigen meiner Eltern – und besonders meines Vaters – über ihre politische Vergangenheit zu ergründen. Er war Jahrgang 1905, hatte also die Weimarer Zeit und die nationalsozialistische Ära -bewusst erlebt. Aufgrund seiner wenigen Äußerungen vermute ich, dass er den Kommunisten nahestand, vielleicht im kommunistischen Widerstand aktiv war. Jedenfalls war er ein Gewerkschafter >der ersten Stunde<: Bereits am 1.10.1945 trat er dem Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB)- Industriegruppe Bergbau- bei. Dessen Gründung wurde maßgeblich initiiert von Gewerkschaftern aus dem Umfeld der antifaschistischen Widerstandsgruppen.1 Diese Kenntnisse und spärlichen Äußerungen gaben mir das Gefühl, mit meiner Familie zu den >Guten<, den Opfern, den Verfolgten des nationalsozialistischen Regimes zu gehören.

Im Archiv meiner Heimatstadt Bottrop stieß ich auf die Meldekarte eines angeheirateten Onkels mit der Berufsbezeichnung: >SS-Hauptscharführer<. Ich kannte ihn noch aus Kindheitstagen, er war der Ehemann meiner Patin, einer Schwester meines Vaters. Nach dem ersten Schock: ein >NS - Täter< in unserer Familie! meinte ich, ein wichtiges Puzzleteil zum Verständnis meiner Eltern gefunden zu haben und ich begann intensiv zu recherchieren.

Das also ist diese Wahrheit. Als Kind habe ich das Unbehagen meiner Eltern gespürt, obwohl nie darüber gesprochen wurde. Aber Kinder erfahren Dinge, auch wenn Eltern schweigen. 2

Das Schweigen irritiert die Wahrnehmung eines Kindes, führt zu Unsicherheit und Angst. Die Gefühle der Eltern werden übernommen, ihre Ängste an die nächste Generation weitergegeben-längst sind diese Erkenntnisse in der wissenschaftlichen Betrachtung angekommen, werden unter Begriffen wie >transgenerationale Weitergabe< und >generationsübergreifende Traumatisierungen< psychologisch erforscht.3

Worum geht es also?

Es geht um ein tieferes Verständnis für die Erfahrungen und das Verhalten der Eltern-und somit auch um ein besseres Verständnis für die eigene Lebensgeschichte. Wenn wir die eigenen Prägungen erkennen und das was ihnen zugrunde liegt, lösen wir Ängste auf, geben sie nicht weiter an unsere Kinder.

Es geht darum, ans Licht der Wahrheit zu holen, zu sagen, was wirklich war, was meine Eltern nicht sagen konnten, wollten- aus Angst. Stimme für die Eltern sein, ihr Schweigen aufheben, damit es die nächsten Generationen nicht mehr belastet. Die Eltern nachträglich würdigen. Nachvollziehen, wie ein junger Mann zum Henker für Hitler wird. Und ja, endlich auch die eigene diffuse Angst auf- zu- lösen.

Die folgende Darstellung dokumentiert das Leben der Familie meines Onkels, soweit mir die Fakten und Erinnerungen zugänglich waren, und den historischen Hintergrund, insbesondere die Zeit des Nationalsozialismus und ihre Wirkung bis hinein in unser Leben.


Die Geschichte beginnt: Die >Ruhrpolen<

In Bottrop - im Ruhrgebiet- heiraten am 28. April 1913 der Bergmann Josef Pluta, geboren am 10.3.1887 und Anna Schulik. Der Bräutigam stammt aus Radlin, Kreis Rybnik, Oberschlesien, ist katholisch, und wohnt in Bottrop in der Hardtstr.38. Die Braut war gerade 20 Jahre alt geworden und stammt aus Birtultau, dem Nachbarort von Radlin. Ihre Eltern-der Vater ist Bergmann- leben noch dort. Die Eltern von Josef Pluta sind verstorben, der Vater war Halbbauer, er wurde 34jährig vom Blitz erschlagen, die Mutter starb mit 36 Jahren im Wochenbett. Der Kreis Rybnik war damals preußisches Gebiet mit überwiegend polnisch stämmiger Bevölkerung, der Staat Polen existierte nicht mehr.

Den zeitgeschichtlichen Hintergrund für unser junges Paar bildet das zerrissene Polen: nach mehreren kriegerischen Auseinandersetzungen hatten die Siegermächte Preußen, Russland und Österreich 1795 das ehemalige Königreich Polen dreigeteilt und ihren Staatsgebieten zwangsangeschlossen, wobei Preußen das Gebiet mit überwiegend polnischer Bevölkerung erhielt. Diese Bewohner besaßen nun die preußische Staatsbürgerschaft, und sie waren einer zunehmend rigorosen Germanisierung ausgesetzt (Bismarcks >Kulturkampf<) sowie subtilen oder offenen antipolnischen Anfeindungen durch die alten „Reichsbürger“.

Der räumliche und soziale Hintergrund war geprägt durch die Zuwanderung polnischer Bergarbeiter in die Kohlereviere des Ruhrgebiets. Bereits seit 1871 waren sie -nach gezielter Anwerbung durch die Zechen- in die Gebiete der Ruhrbergwerke gekommen und dauerhaft geblieben, wobei sich aufgrund der Sogwirkung die Arbeitskräfte mit gleichen landsmannschaftlichen Wurzeln in bestimmten Regionen niederließen.4

Bottrop wurde zum Kern einer ersten dauerhaften polnischen Ansiedlung, wobei nahezu alle Zuwanderer aus Oberschlesien, und dort aus Ratibor und Rybnik stammten.5 Bis 1914 waren etwa 24.000 Oberschlesier nach Bottrop eingewandert, sie stellten ca. 40% der Einwohner. Die Zechen boten billige, leicht zugängliche Zechenwohnungen an, meist mit Möglichkeit zu Gartenbau und Kleinviehhaltung. Die Wohnkolonien der Prosper-Zechen: Prosper II im Stadtteil Lehmkuhle und: Prosper III im Stadtteil Batenbrock wurden so zu polnischen Enklaven, in der schnell Kontakte geknüpft wurden und häufig Verwandte unterkamen.

Trotz der offiziell antipolnischen wilhelminischen Politik führten die Zuwanderer ein aktives soziales und politisch mitgestaltendes Leben. Viele Vereine wurden gegründet, in denen Kultur und Sprache oder einfach nur Geselligkeit gepflegt wurden. Der Gründung einer eigenen Gewerkschaft –»ZZP«; Polnische Berufsvereinigung- 1902 folgte die Aufstellung der Polenpartei, die mit eigenen Kandidaten bis in die frühen 20er Jahre polnische Interessen vertrat.

 

In Bochum wurde die erste polnische Zeitung »Wiarus Polski«, Der polnische Kämpfer gegründet und es gab zeitweise die Gewerkschaftszeitschrift » Gornik«, Bergmann. Ein zähes Ringen –mit der katholischen Kirche- um die Religionsausübung in ihrer Sprache führte zum Einsatz eines fließend polnisch sprechenden Priesters, und 1905 erlangten die Polen 9 von 10 Sitzen im Kirchenvorstand von Herz-Jesu in Bottrop.

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