Mein Leben mit den Eagles

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Mit geliehenem Equipment von den Young Rascals fuhren wir in einem Lieferwagen von Florida nach New York und bauten unsere Sachen auf der Bühne auf. Die Tourmanager hatten ein paar Leute aus der Plattenindustrie zu dem Konzert eingeladen. Unter ihnen war auch Creed Taylor, eine Legende im Musikgeschäft, der schon mit Stan Getz gearbeitet und gerade das phä­nomenale Quincy-Jones-Album Walking In Space produziert hatte. Er war unser Mann.

Wir waren eine von drei Bands, die an jenem Abend vor etwa fünfhundert Zuschauern spielten, in einem neuen und relativ unbekannten Club. Ich wusste, dass Hendrix dort einmal aufgetreten war, und hatte in der Vergangenheit ein Konzert von Paul Butterfield und einem monströsen Bluesgitarristen namens Buzzy Feiten besucht. Es war also durchaus beeindruckend, nun tatsächlich selbst dort zu sein. Glücklicherweise spielten wir an jenem Abend richtig gut, und als der Gig vorüber war, kam Creed Taylor zu uns in die Garderobe.

Creed war in mittleren Jahren, trug eine Wildlederjacke mit Flicken an den Ärmeln und strahlte Ruhe aus. „He, Jungs, das hat mir gut gefallen, was ich da heute Abend gehört habe“, sagte er zu uns. „Ihr wart klasse. Ich bin bereit, euch einen Plattenvertrag über fünftausend Dollar anzubieten. Was meint ihr dazu?“

So viel Geld hatten wir noch nie verdient. Wir konnten unser Glück kaum fassen. Nach einem hastig einberufenen Treffen mit den Tourmanagern nah­men wir das Angebot sofort an und unterschrieben noch am nächsten Tag. Trotz aller Bedenken, die ich hatte, Gainesville zu verlassen, fand ich mich ein paar Monate später mit einem Plattenvertrag in der Tasche im Big Apple wie­der. New York war irgendwie weniger Furcht einflößend als Kalifornien. Ich war bereits ein paar Mal dort gewesen. Ich konnte in weniger als vierundzwan­zig Stunden nach Hause fahren, und außerdem war ich sowieso viel zu gespannt auf die Zukunft, um mich noch zu fürchten.

Unser Fünftausend-Dollar-Vorschuss reichte weniger als einen Monat. Wir leisteten eine Anzahlung auf einen Lieferwagen von Dodge – das war der Einzige, bei dem wir uns die Ratenzahlungen überhaupt leisten konnten. Dann kauften wir uns jeder einen warmen Mantel und ein paar Mikrofone für unsere Beschallungsanlage. Der Rest ging für Gras, Essen, Zigaretten und Jack Daniel’s drauf.

Da wir nun bei Creed Taylor Incorporated (CTI) unter Vertrag standen, mieteten wir eine kleine Wohnung in der Horatio Street an der Lower West Side. Sie lag im Fleischereibezirk, der damals keine besonders gute Wohn­gegend war. Einmal hätte man mich fast mit gezücktem Messer auf offener Straße ausgeraubt, und ein Freund, der zu Besuch kam, wurde von einem anderen Räuber mit einem Brett auf den Hinterkopf geschlagen.

Die Tourmanager halfen uns beim Songschreiben und Proben und orga­nisierten ein paar Auftritte in der Stadt, um uns in Lohn und Brot zu halten. Die Young Rascals wurden unsere Sponsoren. Nach „Groovin’“ und „A Girl Like You“ hatten sie noch einige weitere Hits gehabt und gaben uns nun ein paar von ihren alten Instrumenten und liehen uns eine PA, damit wir in Clubs spielen konnten. Dino Danelli stiftete ein Schlagzeug, Felix Cavaliere eine Hammond B3, und Gene Cornish gab mir eine seiner Gitarren, eine dicke elektrische Gibson.

Als Teil einer Band mit einem Plattenvertrag in New York zu leben war gut und schön, aber meine Begeisterung wurde durch die Tatsache gedämpft, dass meine Mitmusiker ziemlich lethargisch waren und exzessiv Drogen kon­sumierten.

Zuvor war ich stets die treibende Kraft gewesen, hatte die Auftritte gebucht und Kontakte geknüpft. Ich war genauso Manager wie Musiker. Doch der Ver­trag mit der Band war über John und Mike zustande gekommen, nicht durch mich. Die übrigen Jungs dachten offenbar, dass sie nicht viel tun müssten, weil die Tourmanager sie ohnehin zu Stars machen würden. Ich fühlte mich irgend­wie hilflos, weil ich nichts an dieser Situation ändern konnte. Wir lebten in einem beschissenen Apartment, hatten kein Geld, und keiner von ihnen tat jemals etwas, außer Musik zu spielen. Jan und ich hatten uns aufgrund der Entfernung getrennt, und ich fühlte mich immer einsamer und elender.

Wann immer Bernie in die Stadt kam, wurde meine Frustration noch verstärkt. Er und ich waren in Kontakt geblieben, und bei ihm lief alles sehr gut. Als er damals nach Kalifornien zurückgekehrt war, hatte er sich zunächst als Banjospieler und Gitarrist einer Folkrockband namens Hearts & Flowers angeschlossen und war auch auf dem zweiten Album der Gruppe vertreten. Durch seinen alten Freund Chris Hillman hatte er Gene Clark von den Byrds und den legendären Banjospieler Doug Dillard kennengelernt. Bernie war zudem an der Gründung der Gruppe Dillard & Clark beteiligt gewesen, bevor er sich den Corvettes anschloss, der Begleitband von Linda Ronstadt. Diese ging auf Tournee, um für ihr erstes Soloalbum, Hand Sown … Home Grown, zu werben, das sie nach ihrem Ausstieg bei den Stone Poneys veröffentlicht hatte.

„Du musst mit mir in den Westen kommen, dort geht es wirklich ab, Mann“, sagte Bernie jedes Mal zu mir, wenn wir einander begegneten. Wenn er irgendwo auftrat, trafen wir uns meist in der Garderobe, jammten ein biss­chen und tranken ein paar Bier. „Ich habe ein paar tolle Kontakte geknüpft, und ich bin sicher, dass ich dich unterbringen kann.“

„Danke, Bernie“, sagte ich dann stoisch. „Aber ich möchte erst noch ein Weilchen hierbleiben und sehen, wie es mit Flow so läuft. Wir haben jetzt einen Plattenvertrag, und ich wäre doch verrückt, würde ich jetzt abspringen. Außer­dem habe ich kein Geld, geschweige denn ein Auto. Und wie soll ich mich denn ohne fahrbaren Untersatz in L. A. vom Fleck bewegen?“

Als schließlich die Zeit gekommen war, dass Flow ins Studio gingen, um ihr erstes Album aufzunehmen, waren wir alle ziemlich nervös. Creed Taylor buchte ein Studio in Englewood Cliffs, New Jersey. Der Raum, den wir benutz­ten, war rund und sollte natürliche Klangeigenschaften besitzen. Der Studio­besitzer und -betreiber war Rudy van Gelder, ein Deutscher, der von Beruf eigentlich Optiker war und sich als Toningenieur einen ungeheuren Ruf erar­beitet hatte. Er hatte Aufnahmen mit Miles Davis, John Coltrane und Thelo­nious Monk gemacht, und man sagte, er wäre für den typischen Blue-Note-Sound verantwortlich. Er hatte die besten Neumann-Mikrofone und Acht-Spur-Aufnahmegeräte auf dem neuesten Stand der Technik, mit Mischpulten und Equalizern. Er saß in seiner Kabine und bediente die Regler wie ein ver­rückter Wissenschaftler. Er trug sogar weiße Handschuhe, wenn er seine ganz sterilen, perfekten Hi-Fi-Aufnahmen machte.

Eines Tages nahmen uns Andy und John ins Atlantic-Studio mit und erlaubten uns, dabei zuzuhören, wie die Young Rascals ihre neueste Single aufnahmen. Man kannte einander gut, und die Atmosphäre war entsprechend entspannt. Als wir eintrafen, spielten sie gerade die letzte Version ein, und wir standen am Eingang des Studios und hörten ihnen zu, wie sie „It’s A Beautiful Morning“ aufnahmen. Es gefiel mir sofort. Das Stück klang richtig gut, sogar Bongos waren dabei. Ich fragte mich, ob es wohl ein Hit werden würde. Als wir an der Reihe waren und unsere Sachen im Englewood-Cliffs-Studio auf­bauten, waren wir sehr nervös. Es war unsere erste richtige Aufnahme, und wir standen unter immensem Druck. Das Studio wirkte fast wie eine Klinik: Ein Mann im weißen Kittel rannte herum, und überall standen die neuesten Hightechgeräte. Creed kam herein und nahm im Regieraum Platz, wo er alles überblicken konnte, und machte den Eindruck, als wolle er gleich eine Pfeife hervorziehen und sie rauchen. Er sagte kein Wort. Es gab keinerlei musikali­sche Beschränkungen, nichts.

Plötzlich wurde mir zu meinem großen Unbehagen klar, dass es nicht Creed Taylor oder Rudy van Gelder waren, die all diese legendären Aufnah­men machten, sondern die Künstler selbst. Ich war nicht der Einzige, der Schmetterlinge im Bauch hatte. Wir begannen zu spielen, doch konnte man hören und spüren, dass es eine Darbietung unter Zwang war. Es war wie ein führerloser Zug, der auf einen Abgrund zuraste, und keiner von uns konnte auch nur das Geringste tun, um ihn aufzuhalten.

Das Album erhielt den Titel Flow. Auf dem Cover war der Bandname abgedruckt; von den Buchstaben triefte Seifenlauge. Wir hassten es. Es sah aus wie eine Waschmittelwerbung. Ich war einerseits stolz auf das Album, weil es mein erstes war, doch gleichzeitig war ich bitter enttäuscht. Ich hatte erwartet, dass ich es aus der Hülle nehmen und auflegen würde und dann ebenso hin­gerissen wäre wie damals bei der Platte von Quincy Jones. Ich hatte dieselbe Aufnahmetechnik, denselben Tontechniker und denselben Produzenten zur Verfügung gehabt. Ich konnte nicht verstehen, warum es mir beim Hören mei­ner eigenen Platte nicht genauso kalt den Rücken hinunterlief. Die Enttäu­schung wurde sogar noch größer. Wir hatten zwar eine stattliche Menge von Radioeinsätzen im Großraum New York, aber wir waren nicht „UKW-taug­lich“, sodass uns viele Radiostationen wegen unserer langen Jazzsoli nicht spielten. Es machte schnell die Runde, dass wir schon ganz in Ordnung seien, aber eben nicht die Young Rascals. Mag sein, dass wir ein bisschen wie sie klangen und aussahen, aber in Sachen Vermarktung waren wir ein Albtraum, weil es keine Schublade für uns gab. Wir scharten eine eklektische Schar von Jazzfans um uns, anstatt die Massen anzusprechen, die in die Clubs gingen und Schallplatten kauften.

Niemand sprach mehr von einem Nachfolgealbum, und plötzlich wurden die Phasen ohne Arbeit immer länger. Obwohl wir einen gewissen Erfolg gehabt hatten, war dieser letztlich doch nicht durch die Musik, sondern von Drogen inspiriert gewesen. Unsere Manager waren frustriert. Sie hatten die begrenzten Möglichkeiten, die ihnen zur Verfügung standen, mehr oder weni­ger abgegrast. Wenn wir einmal ein paar Auftritte an Land zogen, dann muss­ten wir am Ende hauptsächlich Coverversionen von fremden Songs spielen, um unsere Rechnungen bezahlen zu können. In der Hoffnung, dass die Leute begriffen, worum es uns ging, versuchten wir, ein paar von unseren eigenen Stücken im Programm unterzubringen. Manchen schienen sie zu gefallen, die Meisten jedoch wollten nur tanzen.

 

Ich begriff, dass wir New York verlassen und uns in einem Umfeld nieder­lassen mussten, das dem Songwriting zuträglicher war, um die Band einen Schritt weiter zu bringen. Mike war in der Woche zuvor nach Poughkeepsie gefahren, um einen Freund zu besuchen, und hatte in einer Kleinstadt namens Dover Plains ein kleines Schild mit der Aufschrift „Zu vermieten“ am Straßenrand ent­deckt. Er notierte sich die Telefonnummer. Nachdem wir mit dem Eigentümer gesprochen und festgestellt hatten, dass wir uns die Miete leisten konnten, pack­ten wir unsere Siebensachen in unseren Dodge-Lieferwagen und fuhren nach Norden. Bob Dylans Begleitband, The Band, war in ein modernes rosa Haus in West Saugerties in den Catskills gezogen und hatte dort ihr erstes Album, Music From Big Pink, aufgenommen. Das Haus, das wir vorfanden, war nicht rosa. Es war weiß, lag auf einem eineinhalb Quadratkilometer großen Gelände und wirkte wie aus Vom Winde verweht. Es kostete uns einhundertfünfzig Dollar im Monat – weitaus weniger als das winzige Apartment in New York.

Das Haus war riesig. Vier weiß getünchte dorische Säulen standen vor der Eingangstür, durch die man in eine beeindruckende Diele und ein großzügiges Treppenhaus gelangte. Es gab eine Bibliothek, fünf offene Kamine und einen Hauswirtschaftsraum. Den Dachboden hatte man zu einem Ballsaal für Partys umfunktioniert, mit Bühne und allem Drum und Dran. Das umliegende Land war zum größten Teil verwildert. Einiges davon war jedoch offensichtlich irgendwann einmal landwirtschaftlich genutzt worden, denn alles, was nun darauf wuchs, waren Zucchini in rauen Mengen. Verarmt und konstant hung­rig, wie wir waren, gab es Zucchinibrei zum Frühstück, Zucchinibrote zum Mittagessen und mit Käse überbackene Zucchini zum Abendessen.

Wir lebten achtzehn Monate in dem Haus und wurden mit jedem Monat ärmer. Unsere Auftritte in New York schrumpften auf ein Minimum zusam­men, und die Hälfte der Zeit konnte sich die Band ohnehin nicht dazu aufraf­fen, für lausige einhundert Dollar die beschwerliche Reise von insgesamt drei Stunden in die Stadt und wieder zurück auf sich zu nehmen. Oft hatten wir noch nicht mal ein Transportmittel. Wenn jemand den Lieferwagen nahm, um ein paar Drogen zu besorgen oder seine Freundin zu besuchen, stand der Rest von uns ohne Auto da.

Eines Tages waren Chuck Newcomb und ich im Haus, als uns der Tabak ausging und der Lieferwagen wieder einmal nicht da war. Da wir beide starke Raucher waren, blieb uns nichts übrig, als zu Fuß in die Stadt zu gehen und welchen zu kaufen. Wir machten uns auf in Richtung Dover Plains und ver­suchten nicht einmal zu trampen, da wir beide aus Erfahrung wussten, dass nur wenige Leute aus der Gegend zwei langhaarige, bärtige Hippies mitneh­men würden. Als wir in die Stadt schlenderten, fuhr der Sheriff an Chuck und mir vorbei. Er hielt an, drehte um und verhaftete uns. Man warf uns Gehen auf der falschen Straßenseite vor. Die Strafe betrug fünfundzwanzig Dollar.

Schließlich fuhr uns der Sheriff zurück zum Haus, wo unsere überraschten Bandkollegen sahen, wie der Streifenwagen in der Einfahrt hielt. Schnell rann­ten sie umher und versteckten alle Drogen. John Winter trat mit einer Flöte in der Hand aus dem Haus. „Was ist denn los?“, fragte er. Der Sheriff gab keiner­lei Erklärung, sondern durchsuchte mit seinen Leuten das gesamte Haus von oben bis unten. Es dauerte eine Weile, bis er wieder rauskam, und man konnte ihm im Gesicht ablesen, wie enttäuscht er darüber war, dass er nicht Badewan­nen voller LSD gefunden hatte. Ich versuchte, die mittlerweile extrem ange­spannte Situation aufzulockern, wendete mich an John und sagte: „Hey, warum spielst du dem Polizisten zum Abschied nicht ein kleines Ständchen?“

„Hä?“, fragte John und schien rein gar nichts zu begreifen.

„Deine Flöte“, sagte ich und deutete auf das Instrument in seiner Hand. „Warum spielst du nicht etwas, um zu zeigen, dass niemand sauer zu sein braucht?“

John schüttelte den Kopf. „Nein, nicht jetzt. Meine Lippen fühlen sich nicht gut an, Mann. Ich kann jetzt gar nichts spielen.“

„Ach, komm schon“, drängte ich ihn, weil ich seinen Widerwillen und die Unzufriedenheit des Sheriffs gleichermaßen spürte. „Nur ein paar Töne.“

„Ja, spiel uns was“, ermunterte ihn nun auch der Sheriff. „Ihr behauptet doch, Musiker zu sein. Also lass mal was hören.“

John wich nicht einen Millimeter. „Nein“, sagte er mit fester Stimme. „Tut mir leid, ich bin gerade nicht in Stimmung.“

Als der Sheriff und seine Männer abzogen, waren Chuck und ich von den Strapazen des Tages fix und fertig. Alles, worauf wir uns nun noch freuten, waren ein Zucchiniomelett und eine elende Nacht, in der wir wieder einmal die Stummel aus den Aschenbechern klauben mussten. Gereizt, wie ich war, lief ich im Hausflur John über den Weg und schnauzte ihn an: „Wenn du auf deiner verdammten Flöte etwas für den Sheriff gespielt hättest, wäre das alles vielleicht nicht passiert“, sagte ich.

John zuckte mit den Achseln. „Es ging nicht, Mann“, erklärte er und zeigte auf ein zusammengeknülltes Etwas, das aus der Flöte herauslugte. „In der Eile haben wir den ganzen Stoff darin versteckt.“

SECHS

Im August 1969 hörten wir per Mundpropaganda, dass auf einer zweieinhalb Quadratkilometer großen Milchfarm unweit von Dover Plains ein großes Musikfestival stattfinden sollte. Es wurde mit dem Slogan „Drei Tage des Frie­dens und der Liebe“ angekündigt und sollte in einem Ort namens Bethel in der Nähe von Woodstock stattfinden.

„Hey, da sollten wir hinfahren“, schlug ich meinen Zimmergenossen eines Morgens vor, nachdem jemand ein Flugblatt unter den Scheibenwischer des Lieferwagens geklemmt hatte. „Mehr oder weniger alle, die wir kennen, werden dort sein. Es kommen ein paar Jungs aus New York rauf, und viel­leicht sogar aus Florida. Die Besetzung ist unglaublich: Janis Joplin, The Band, The Who, Jefferson Airplane, Joe Cocker, The Grateful Dead. Sogar Hendrix spielt.“

„Wahnsinn“, entgegnete Mike. „Okay. Organisier das.“

Als ich mich in die Liste der auftretenden Bands versenkte, entdeckte ich Crosby, Stills & Nash, deren Debütalbum, Suite – Judy Blue Eyes, rasch die Charts emporkletterte. Etwas sagte mir, dass sich der Pfad meines Lebens und der des jungen Stephen Stills auch in Zukunft kreuzen würden.

Ich hatte recht damit, dass alle nach Bethel kommen würden – am Schluss waren es eine halbe Million Menschen. Als wir mit einer Gruppe von Freun­den aus New York in einem alten Chevrolet Suburban eintrafen, schien es, als versuchte jedermann, durch dasselbe zwei Meter breite Tor zu gelangen, auf das auch wir zusteuerten. Unter den Leuten in unserem Konvoi befand sich auch Season Hubley, das hübsche Mädchen, in das ich mich verliebt hatte, als sie zwei Jahre zuvor nach Gainesville gekommen war. Leider war sie mit einem anderen dort. Ich wünschte, sie wäre mit mir zusammen statt mit ihm, was mir das gesamte Erlebnis des dreitägigen Festivals verdarb.

Ich kann mich erinnern, dass es häufig regnete. Es gab einen unglaubli­chen Sturm, der mit großen, geballten Wolken von Osten her heraufzog. Die kräftigen Winde bliesen beinahe die wackeligen Lautsprechertürme um. Wir schliefen in Schlafsäcken in dem Chevy und hörten zu, wie der sintflutartige Regen auf das Autodach prasselte. Als Sturm und Regen zu stark wurden, musste die gesamte Bühnenelektronik mit Plastikfolie abgedeckt werden, damit es zu keinem Kurzschluss kam. Abgesehen von dieser Unterbrechung, gab es nonstop Musik. Wir lagen hinten im Auto, waren total zugedröhnt und warteten gespannt, wer als Nächstes angekündigt werden würde.

„O Mann, das muss ich sehen“, sagte ich dann und raffte mich auf, stieg aus dem Wagen und schlitterte im Regen den rutschigen Hügel hinunter in Richtung Bühne. Dort lauschte ich den Klängen von Santana, Hendrix oder Alvin Lee, bis ich glaubte, mir müsste das Blut aus den Ohren schießen.

Es war eine Schlammschlacht, absolut grauenhaft, kalt und nass. Der klebrige Lehm drückte sich zwischen unseren Zehen empor und fand seinen Weg in jede Pore und jede Falte, aber das schien niemanden zu kümmern. Gemeinsam mit Tausenden anderer Menschen stand ich im strömenden Regen, wiegte mich im Takt zur Musik, dann kehrte ich zurück und trocknete mich ab. Die Autofenster beschlugen, bis die Matschkruste endlich getrocknet war. Woodstock war wirklich eine Erfahrung für sich.

Als wir nach dem Festival wieder zurück in Dover Plains waren, fiel es mir auf einmal nicht mehr ganz so leicht, unser Dasein zu ertragen. Ich hatte Ste­phen Stills als Jugendlichen gekannt, doch nun war er in Woodstock aufgetreten, um vier Uhr morgens, auf derselben Bühne wie die Großen des Rock ’n’ Roll, und hatte mit Leuten wie Graham Nash musiziert, den ich so bewundert hatte, als er mit den Hollies nach Gainesville gekommen war. Es war erst das zweite Mal, dass Crosby, Stills & Nash live zusammen spielten, aber sie waren ver­dammt heiß. Stephen saß auf einem Barhocker, trug einen blauweißen Poncho und sang mit seiner eindringlichen, leicht rauen Stimme. Es war mitreißend. Ich hätte alles dafür gegeben, hätte ich nur dort oben an seiner Seite sein können.

Stattdessen hing ich mit einem Haufen Kiffer in irgendeinem großen Haus in der Pampa herum und versuchte, eine Situation zu retten, von der ich genau wusste, dass sie aus dem Ruder lief. Ich fühlte mich menschlich und musika­lisch völlig isoliert. Wir waren meilenweit von allem entfernt, und es gab keine Mädchen oder Freunde außerhalb der Band. Der Winter nahte, und wir waren pleite. Niemand schien zu begreifen, dass wir in diesem riesigen, unbeheizten Haus zu erfrieren drohten, wenn wir nicht schleunigst etwas unternahmen.

Der Winter kam und mit ihm der Schnee. So etwas hatte ich noch nie gesehen: In New York oder Boston waren vielleicht einmal ein paar Flocken gefallen, aber der Schneefall hier war so stark, dass er sich wie weiches, feines Puder vor unserer Vordertür anhäufte. Er roch nach Stahl. Zu Anfang war es ein Spaß, wir veranstalteten Schneeballschlachten und alberten herum. Als der Reiz des Neuen jedoch verflogen war, isolierte uns der Schnee in unserer ohne­hin angespannten Situation nur noch mehr. Ohne jede Fluchtmöglichkeit waren wir nun tagein, tagaus zusammen im Haus gefangen. Die Spannungen zwischen uns traten immer deutlicher zutage. Jene bitteren letzten Monate erinnerten mich an mein letztes Jahr im Haus meiner Eltern, und es tat mir auf einmal leid, dass wir im Streit auseinandergegangen waren. Eines Tages in jenem Winter setzte ich mich an einen Schreibtisch, den ich aus alten Holz­resten gezimmert hatte, die im Hof herumgelegen hatten. Ich nahm einen Stift und Papier und schrieb einen Brief an meine Mutter, in dem ich ihr mitteilte, wo ich war und dass alles in Ordnung sei. „Danke für all die Jahre, in denen Du mich unter schwierigen Lebensumständen großgezogen hast“, schrieb ich, „und für alles, was Du mich gelehrt hast. Erst jetzt beginne ich zu begreifen, was für eine gute Mutter Du mir warst.“ Ich dankte ihr sogar dafür, dass sie mich am Ohr in die Kirche gezerrt hatte. Ich versah den Umschlag mit meiner Adresse und warf ihn ein. Es war der erste Kontakt mit meinen Eltern seit zwei Jahren, und bald kam ein Antwortbrief mit der Post.

„Lieber Don“, schrieb sie. „Wie wundervoll, von Dir zu hören. Ich habe mich zu Tode geängstigt …“ So begann eine Korrespondenz mit ihr, die viele Jahre andauerte. Mein Vater schrieb nie ein Wort.

• • •

Ich begann zu begreifen, dass meine Träume, ein Musikstar zu werden, möglicherweise nichts als Luftschlösser waren. Es war das sogenannte „Ich­jahrzehnt“ nach Vietnam, für mich indes liefen die Dinge nicht besonders gut. Unser einziges regelmäßiges Engagement war am Goddard College in Plain­field, Vermont, einer progressiven Einrichtung für freie Künste, die ein paar Hundert Kilometer nördlich lag. Wir erlebten dort Carlos Santana, wie er sein „Black Magic Woman“ spielte, was damals ein großer Hit war. Arlo Guthrie war Musikstudent am College, und sie hatten sogar eine Gamelangruppe, ein indonesisches Percussionorchester. Als wir eines Tages zu einem Auftritt am Goddard unterwegs waren, gab ich einem plötzlichen, dringenden Bedürfnis nach. Ich parkte den Lieferwagen neben einem Münzfernsprecher, kramte etwas Kleingeld hervor und wählte die Nummer von Susans Familie in Boston, die ich die ganze Zeit über im Kopf behalten hatte.

 

„Hallo, Mistress Pickersgill, hier spricht Don, Don Felder aus Gainesville. Ist Susan da?“

„Hallo, Don. Das ist ja eine ganze Weile her. Nein, mein Lieber, sie lebt nicht mehr hier. Sie hat eine eigene Wohnung gefunden. Möchtest du vielleicht ihre Nummer?“

Susan war sehr überrascht, von mir zu hören. Achtzehn Monate waren vergangen, seit wir das letzte Mal etwas voneinander gehört hatten. Sie hatte gerade mit ihrem letzten Freund Schluss gemacht, einem Sänger und Gitarris­ten, und arbeitete im Harvard History Research Center als Sekretärin. Wir plauderten, bis mir das Geld ausging, und ich versprach, sie wieder anzurufen. Eine Woche später tat ich es, dann wiederum eine Woche später. Es war ein gutes Gefühl, mit jemandem zu reden, der nicht die ganze Zeit total zugekifft war. Sie hatte einen guten Job und ihre eigene Wohnung – etwas, das ich mir niemals hätte leisten können. Ich war beeindruckt.

Ein paar Wochen darauf erzählte mir Susan, dass sie eine Weile im Haus ihrer Schwester in Scituate auf Cape Cod verbringen würde, um dort deren Kind zu hüten. „Willst du auch rauskommen?“, fragte sie mich. „Wir könnten uns wieder kennenlernen.“ Mein Leben war zu einem Trümmerhaufen gewor­den, also ergriff ich die Gelegenheit beim Schopf. Als das Wochenende an jenem wunderschönen Atlantikstrand zu Ende ging, war uns beiden klar geworden, wie sehr wir einander immer noch liebten. Es war, als wäre ich nach Hause gekommen.

In den nächsten Monaten pendelten Susan und ich zwischen Boston und Dover Plains hin und her und versuchten, die verlorene Zeit wieder wettzu­machen. Anfangs war sie vom Gammlerleben, das ich führte, fasziniert – ich lebte in einem alten Herrenhaus, mit einer Band, die gerade eine Platte aufge­nommen hatte, auf Zucchinidiät.

Nach einer Weile jedoch verflog dieser Zauber, und sie konnte die ganze unterschwellige Hässlichkeit sehen, insbesondere im Zusammenhang mit dem Drogenmissbrauch. Als Jimi Hendrix und Janis Joplin in jenem Herbst unter Drogeneinfluss starben, fühlte ich mich wie damals, als JFK ermordet worden war: schockiert und ein bisschen verängstigt. Nicht einmal ein Jahr zuvor hatte ich beide noch in Woodstock auf der Bühne gesehen. Nun gab es sie nicht mehr, sie waren begraben, und mit ihnen waren auch ihre Zukunftsverspre­chen gestorben. Susan war der Ansicht, ich würde nun mit der Richtung, die ich in meinem Leben eingeschlagen hatte, zunehmend unzufriedener werden, wenn ich mich nicht von diesen Einflüssen befreite. Ich wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis ich mich von Flow trennte.

„Komm nach Boston“, drängte Susan. „Du kannst bei mir einziehen und dir einen Job suchen. Es wird schon ein bisschen Studioarbeit geben oder eine Band, die einen Gitarristen sucht.“

Ich wusste, dass sie recht hatte, aber ich brauchte noch ein paar Wochen, bis ich mir ein Herz fasste. Schließlich gab ich damit unseren Traum aus Woodstock auf, oder? Hatte ich Bernie nicht erklärt, dass dies vermutlich die beste Chance auf Erfolg war, die wir hatten? Warum war das alles nur schief­gegangen? Als mir der Dreck, die Apathie und die Lethargie schließlich zu viel wurden, rief ich Creed Taylor an.

„Hallo, Creed, hier spricht Don Felder von Flow“, sagte ich. „Ich wollte dir nur sagen, dass ich mich dazu entschlossen habe, die Band zu verlassen. Es läuft nicht so, wie ich es mir wünsche, also muss ich einfach gehen.“

Creed schien keinesfalls überrascht und sagte, er verstehe mich. „Wo willst du hin?“, fragte er.

„Boston“, sagte ich. „Meine Freundin arbeitet in Harvard.“

„Super“, entgegnete er. „Hör zu, ich kenne ein paar Leute in Boston. Genauer gesagt, ich bin im Vorstand des Berklee College of Music. Wenn du willst, rufe ich dort an und schaue, ob ich dich dort unterbringen kann.“

Ich war angesichts dieser Großzügigkeit ebenso dankbar wie überrascht. „Okay, okay“, sagte ich. „Allerdings hatte ich nicht gedacht, gleich wieder die Schulbank zu drücken. Ich muss dringend etwas Geld verdienen.“

Creed lachte. „Ich habe auch nicht gemeint als Student, Don. Ich meinte als Lehrer. Du hast eine ganze Menge zu bieten, weißt du.“

Trotz seines offensichtlichen Vertrauens in mich war ich noch nicht ganz bereit dazu, mir meinen Bart abzurasieren, mein Haar kurz zu schneiden und ein Mitglied des Bildungsestablishments von Boston zu werden.

„Auf jeden Fall mal vielen Dank“, sagte ich, innerlich grinsend. Unwill­kürlich musste ich mir vorstellen, wie ich in Kunstleder und Tweed gekleidet Jugendlichen das Gitarrespielen beibrachte. „Ich behalte dein Angebot im Hinterkopf, aber ich glaube, ich versuche erst mal, mir eine andere Band zu suchen.“

Die anderen Bandmitglieder waren über meine Entscheidung alles andere als glücklich. Sie betrachteten sie als Ausverkauf. Mike schnappte nach Luft, als ich es ihm sagte: „Was soll das heißen, du steigst aus? Wir stehen kurz davor, ganz groß rauszukommen.“

„Glaubst du das wirklich?“, fragte ich vernichtend. Ich ließ meinen Blick umherschweifen. Das Haus, das wir gemeinsam bewohnten, glich einer Müll­halde. Seit Monaten hatte niemand mehr ernsthaft geübt oder Songs geschrie­ben. „Oder stehen wir nur an der Schwelle dazu, fast bereit zu sein, uns ein paar erste Gedanken darüber zu machen, ob wir vielleicht ein paar Songs für ein mögliches zweites Album schreiben sollten? Wach auf, Mike, das hier wird nichts mehr.“

Aus ihrem Unmut heraus kam die Band bald auf ihr einziges Transport­mittel zu sprechen. „Wenn du gehst, lässt du den verdammten Lieferwagen hier“, sagte John zu mir. „Wir haben keine Lust darauf, ohne fahrbaren Unter­satz hier draußen festzusitzen.“

„Jawohl“, sagte Chuck und wendete sich mir in der Küche zu. „Und die Gitarre, die dir Gene gegeben hat, kannst du auch gleich hierlassen.“

„Ich lasse den Lieferwagen nicht hier, solange er noch auf meinen Namen eingetragen ist“, sagte ich hartnäckig und trat einen Schritt zurück. „Wenn ihr mit den Zahlungen nicht hinterherkommt, habe ich für den Rest meines Lebens eine schlechte Kreditbonität.“

Zu meinem Entsetzen ging Chuck auf mich los, aber Mike hielt ihn zurück. „Hey, Mann, spiel hier nicht den Verrückten“, schrie er. „Das lässt sich alles regeln.“

Mit weit mehr Groll, als nötig gewesen wäre, wurde der Wagen schließlich auf Andy Leo umgeschrieben, und ich durfte gehen. Ich packte meine Sachen und verließ dieses Haus, während der Rest der Band auf der Veranda stand und mir schweigend zusah. Wir waren übereingekommen, dass ich mit dem Wagen bis nach Boston fahren durfte, um meinen Kram zu transportieren. Chuck sollte mich quasi als Rückversicherung begleiten und ihn wieder zurückbringen. Als wir aus der gewundenen Kieseinfahrt hinausfuhren, blickte ich noch einmal zurück und wünschte, es wäre zu einem glücklicheren Ende gekommen.

„Wo sind der ganze Frieden, die Liebe und die Fröhlichkeit geblieben?“, fragte ich Chuck.

Er war viel zu high und zu wütend, um zu antworten.

• • •

Boston war eine ganz andere Welt. Susan und ich lebten glücklich zusam­men in ihrer kleinen Souterrainwohnung auf der Commonwealth Avenue, doch es fiel mir anfangs schwer, ohne eine Band, in der ich spielen konnte, wieder in einer Stadt zu sein. Es war 1970, das Jahr, in dem sich die Beatles trennten, und sosehr ich auch erleichtert war, dass sich das Kapitel Flow erle­digt hatte, so wurde ich doch das Gefühl nicht los, die Orientierung verloren zu haben. Ich nahm fast jeden Job an, der mit Musik zu tun hatte, nur um finanziell über die Runden zu kommen. Zum Dinner im Holiday Inn auf dem Harvard Square spielte ich sogar von sechs bis neun Uhr abends Filmmelodien auf einer Nylonsaitengitarre. Die meisten Songs, die man mich zu spielen bat, kannte ich nicht einmal. Irgendein Typ kam an und sagte: „Hey, heute ist unser Hochzeitstag. Kannst du das Lieblingslied meiner Frau spielen? Es ist ‚The Shadow Of Your Smile‘. Sie mag es unheimlich gern.“