Der Anfang vom Rest des Lebens

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Der Anfang vom Rest des Lebens
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Inhaltsverzeichnis

Impressum 2

Vorwort 3

Kapitel 1 4

Kapitel 2 13

Kapitel 3 24

Kapitel 4 34

Kapitel 5 40

Kapitel 6 52

Kapitel 7 61

Kapitel 8 66

Kapitel 9 71

Kapitel 10 80

Kapitel 11 87

Kapitel 12 93

Kapitel 13 100

Kapitel 14 110

Kapitel 15 114

Kapitel 16 119

Kapitel 17 132

Kapitel 18 145

Kapitel 19 158

Kapitel 20 166

Kapitel 21 170

Kapitel 22 183

Kapitel 23 192

Kapitel 24 197

Kapitel 25 206

Kapitel 26 214

Danksagung 219

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2022 novum publishing

ISBN Printausgabe: 978-3-99131-153-9

ISBN e-book: 978-3-99131-154-6

Lektorat: Leon Haußmann

Umschlagfoto: Nmint | Dreamstime.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

www.novumverlag.com

Vorwort

Egal was man sich vom Leben erhofft hat, egal wie sehr man sein Leben durchgeplant hat, kommt es doch immer anders als gedacht. Das Leben hält immer wieder Überraschungen für einen parat. Manchmal sind es gute, aber leider sind es auch oft viel zu schlechte Überraschungen, die einen fast zerbrechen lassen … Dann stellt man sich diese eine Frage!

Warum ich? Aber weiß man nicht nur, was man gewonnen hat, wenn man zuvor auch schon vieles verlieren musste?

Kapitel 1

Isabell trat mit aller Kraft auf die Bremse. Sie merkte aber sofort, dass die Bremse nicht reagierte und sie keine Gewalt mehr über ihren Wagen hatte. Die Straße war einfach zu nass. Der Wagen zog auf die Gegenspur, begann sich dann nach links zu drehen und rutschte immer weiter quer in Richtung Baum. Isabell wusste, was unausweichlich war und gleich passieren würde. Ohne das Lenkrad loszulassen oder von der Bremse zu gehen schloss sie die Augen. Mit voller Wucht prallte Isabell mit ihrem Wagen seitlich mit der Fahrerseite gegen den umgestürzten Baum. Durch den starken Aufprall wurde Isabell mit einer solchen Kraft an die Innenseite der Fahrertür geschleudert, dass sie dabei heftig mit dem Kopf gegen die Fensterscheibe schlug und das Fensterglas zersprang. Isabell verlor sofort das Bewusstsein …

Der Wecker hatte bereits zweimal geschellt, aber Isabell machte keine Anstalten, aus dem Bett aufzustehen. Sie hatte die letzte Nacht kaum geschlafen und wollte, so lange es ging, im Bett liegen bleiben. Nick, ihr Mann, war schon vor knapp zwei Stunden aufgestanden und zur Arbeit gefahren.

Isabell grinste und brummelte vor sich hin: »Einen Vorteil hat es, sein eigener Chef zu sein. Ich kann zur Arbeit kommen und gehen, wann ich es will!«

Isabell schaute auf den kleinen silberfarbenen Wecker auf ihrem Nachttisch und verdrehte die Augen dabei, als sie sah, dass es bereits kurz nach neun war. Um halb elf musste sie spätestens im Büro sein, da sich ein wichtiger Kunde zum Abschlussmeeting angemeldet hatte.

Also zog Isabell ihre kuschlige Bettdecke über ihre Beine, quälte sich langsam aus ihrem schönen, warmen Bett und ging ins Bad.

Isabell schaute in den Badezimmerspiegel und war erschrocken über ihr eigenes Spiegelbild.

»Oh mein Gott, wie sehe ich denn aus?«, platzte es aus ihr heraus. Ihre langen, rotbraun gelockten Haare standen in alle Richtungen ab, als wenn sie die letzte Woche komplett im Bett verbracht hätte. Ihre sonst so schön strahlenden blaugrauen Augen traten wegen den großen Augenringen in den Hintergrund. Nachdem sie sich einen Moment lang im Spiegel gemustert hatte, entschloss sich Isabell doch für eine ausgiebige Dusche inklusive Haare waschen, um zu retten, was zu retten ist. Schließlich musste sie vorzeigbar aussehen im Büro, vor allem, wenn Geschäftstermine anstanden.

Isabells Leben spielte sich seit ihrer Kindheit im Umkreis von zweiunddreißig Kilometern im Nordwesten Englands ab. Bis zum Tod ihres Vaters mit zwanzig Jahren lebte sie alleine mit ihm in Kendal, einer kleinen Stadt kurz vor dem National Park Lake District. Wie bereits ihre Mutter verlor Isabell ihren Vater viel zu früh. Er starb an einer Krebserkrankung. Nach seinem Tod war Isabell auf sich alleine gestellt. Sie verkaufte schweren Herzens ihr Elternhaus und zog nach Blackpool, einer mittelgroßen Stadt an der Küste, um dort aufs College zugehen. Die Kosten für das Haus und gleichzeitig das College zu finanzieren, schien für Isabell unmöglich.

Seit nun mehr als acht Jahren befand sich ihr Arbeitsmittelpunkt in Preston. Hier gründete sie, Isabell Busch, zusammen mit ihrem besten Freund Peter Hall und Alex Cooper die Werbeagentur HBC-Promotion. Auch wenn die Agentur inzwischen wirklich gut lief, war der Anfang des Agenturaufbaus sehr kräftezehrend für Isabell und ihre beiden Partner. Überstunden in der Woche und am Wochenende bestimmten lange Zeit ihr Leben. Adäquate Kunden finden und sie dann auch zu einer Vertragsunterzeichnung zu bewegen war nicht immer ganz einfach. Wie oft haben sich Kunden nach all der wochenlangen Arbeit doch noch im letzten Moment für eine andere Agentur entschieden. Aber nach zwei Jahren voller Kosten und Mühen bekam ihre Agentur einen bombastischen Auftrag von einem namhaften Sportartikelhersteller. Dieses Geschäft war ihr Durchbruch. Danach hatten sie und ihre Partner keine Probleme mehr, Aufträge zu bekommen. Man kann sagen, dieses Geschäft hatte sie wirklich gerettet und dem Ziel, sich in der Branche einen Namen zu machen, sehr viel nähergebracht. Aber nicht nur geschäftlich war es ein großer Erfolg, sondern auch für Isabells Privatleben. Denn wen lernte sie kennen, als das Geschäft bei dem Sportartikelhersteller abgeschlossen wurde? Keinen anderen als ihren Ehemann Nick. Sie lernten sich kennen und auch sofort lieben. Nur ein Jahr später heirateten beide.

Das warme Wasser tat gut auf der Haut und Isabell streckte abwechselnd ihre beiden Nackenseiten in den angenehm festen Wasserstrahl. So lösten sich ein wenig ihre Verspannungen aus der letzten Nacht. Dabei ging Isabell im Kopf noch einmal ihre Präsentation durch, die sie gleich halten würde. Auch wenn sie jetzt schon einige Jahre voll im Geschäftsleben stand, war sie doch immer noch ein bisschen nervös, kurz bevor sie eine Präsentation hielt. Das hatte sie wohl von ihrer Mutter, die immer ein Nervenbündel gewesen war, wenn sie irgendwo vor Publikum sprach. Isabells Vater hatte ihr jeden Tag vor dem Schlafengehen von ihrer Mutter erzählt. Isabell hatte ihn immer sehr stark an seine verstorbene Frau Alice erinnert. Nicht nur die schönen, langen, gelockten Haare und ihr schmales Gesicht, sondern auch ihre gesamte Gestik und Mimik waren fast identisch.

Isabells Mutter starb bei ihrer Geburt im Kindsbett. Es war eine Spontangeburt zu Hause. Isabell kam fast vier Wochen zu früh und in der Nacht ihrer Geburt zog ein starkes Unwetter über die ganze Westküste Englands. Durch die starken Regenfälle und den tobenden Sturm brauchte der Krankenwagen in jener Nacht einfach viel zu lang. Ihre Mutter Alice verblutete, noch bevor der Krankenwagen eingetroffen war. Isabell konnte sich an diese Nacht natürlich nicht erinnern. Trotzdem hatte sie mit den Jahren, wahrscheinlich durch die Erzählungen ihres Vaters über den Todestag ihrer Mutter und dem damit verbundenen Wunder ihrer Geburt, fest eingebrannte Bilder in ihrem Kopf. Obwohl Isabell nur mit einem Elternteil aufwuchs, hatte sie nie etwas vermisst in ihrer Kindheit. Ihr Vater schenkte ihr all die Liebe, die sie brauchte, auch wenn für ihn die Zeit nach Alice’ Tod mehr als schwer war. Er hatte seine Liebe und somit die Hälfte seines Herzens verloren. Den Lebensunterhalt musste er alleine verdienen, den Haushalt alleine führen und immer für Isabell da sein. Ihr war es immer noch ein Rätsel, woher ihr Vater die Kraft damals hernahm.

 

Fertig frisiert, geschminkt und angezogen stand Isabell in der Küche und wartete darauf, dass der Kaffee fertig durchlief. Ihr Blick fiel auf die große Wanduhr in der Küche.

»Scheiße, schon kurz nach zehn«, rutschte es Isabell über die Lippen.

Schnell schnappte sich Isabell den silbernen Thermobecher, ihre Handtasche, ihren Mantel und ihre Schlüssel. Dann verließ sie zügigen Schrittes das Haus und schloss die Tür hinter sich. Fast am Wagen angekommen, blieb sie stehen und machte auf dem Absatz kehrt, als sie merkte, dass sie ihre Präsentationsmappe vergessen hatte.

»Oh nein. Typisch …«, murmelte Isabell vor sich hin, »Jeden Tag das Gleiche!!«

Es war schon richtig herbstlich. Die Bäume verloren langsam ihre Blätter und der Wind wurde zunehmend frischer, so dass man ohne Mantel eine Erkältung riskieren würde. Isabell fuhr wie immer viel zu schnell mit ihrem fünfundzwanzig Jahre alten weißen Austin Healey Cabrio in Richtung Büro. Der Wagen war ihr ganzer Stolz. Isabell hatte immer schon ein Faible für Oldtimer. Aber als sie ihren Austin Healey zufällig bei einem Händler im Schaufenster stehen sah, musste sie einfach zuschlagen. Das schnittige Design mit der langgezogenen Schnauze, die schönen runden Schweinwerfer, der edle silberne Kühlergrill und die kleine, schmale Frontscheibe mit den zierlichen Seitenspiegeln machten den Wagen zu einem sportlichen Hingucker. Leider kam Isabell viel zu selten in den Genuss, mit offenem Verdeck zu fahren. Aber wenn, war es herrlich und sie machte ausgedehnte Touren an der Küste entlang. Sich die frische Küstenluft um die Nase wehen zu lassen genoss sie immer in vollen Zügen.

Trotz Isabells rasantem Fahrstil drängte die Zeit immer mehr! Als sie auf den kleinen Parkplatz vor dem Büro fuhr, erblickte sie Alex, der grinsend in ihre Richtung schaute und dabei seinen Wagen abschloss.

Alex war der jüngere Partner der Firma. Man konnte ihn beschreiben als Schwarm aller Frauen. 1,95 cm groß, gut gebaut und etwas längere dunkelblonde Haare, die er immer wild ins Gesicht fallen ließ. Zu seinen äußerlichen Vorzügen sprach Alex mit einem starken amerikanischen Akzent, der ihm bei den Frauen und somit auch den weiblichen Kundinnen immer einen Pluspunkt einbrachte. Alles in allem konnte sich Alex nicht über mangelndes Interesse der weiblichen Bevölkerung beschweren. Isabell hatte sich lange abgewöhnt, sich die Namen der zahlreichen Bekanntschaften zu merken. Mit seinen zweiunddreißig Jahren hatte Alex noch nie eine ernsthafte Beziehung. Aber Isabell hatte nicht das Gefühl, dass er es bedauerte. Ganz im Gegenteil, er genoss sein Singleleben in vollen Zügen!

»Morgen Isabell. Du siehst so aus, als wenn du spät dran bist?«, sagte Alex mit einem Lächeln im Gesicht.

»Du kennst mich ja, Alex. Ich komm gerne auf die letzte Minute. Aber du bist ja heute auch nicht der Frühste, oder?«

»Tja, die Nacht war kürzer als gedacht. Aber ich habe auch nicht in fünf Minuten einen Kundentermin.«

»Ja, ja. Du hast ja recht!«, erwiderte Isabell mit einem kurzen Augenrollen und einem Lächeln.

Schnell schmiss Isabell ihre Sachen in ihr Büro und lief dann auf direktem Weg in die Küche, um sich noch schnell ihren nächsten Kaffee zu holen. Isabell war morgens ohne Kaffee nicht zu ertragen. Ansprechen vor der ersten Tasse im Büro? Lieber nicht! Das wussten alle anderen und ließen sie auch vorher in Ruhe. In der Küche stand Peter, der andere Partner der Firma, der sich auch gerade seinen Kaffee holte. Dabei sah es so aus, als wenn es nicht seine erste Tasse war. Die Kaffeekanne war schon jetzt nur noch bis zur Hälfte gefüllt und außer der Sekretärin Olive war anscheinend noch keiner im Büro.

»Morgen Isabell«, grummelte er, »Du brauchst dich nicht beeilen. Dein Kunde hat vor ein paar Minuten angerufen und den Termin um eine Stunde nach hinten verschoben.«

»Was? Oh Mann, und ich habe wieder den einen oder anderen Strafzettel riskiert.«

Auf der einen Seite war Isabell erleichtert, so konnte sie noch in Ruhe ankommen und sich vorbereiten, aber auf der anderen Seite war die ganze selbstverursachte Hektik total unnötig gewesen.

»Wenn du morgens früher aufstehen würdest, hättest du auch nicht so einen Stress«, erwiderte Peter forsch.

»Danke für diese morgendliche Weisheit. Was ist dir den über die Leber gelaufen?«

»Entschuldige. Ach, du kannst manchmal froh sein, dass du keine Kinder hast. Die machen nur Ärger. Ich habe das Gefühl, die beiden überlegen sich jeden Tag aufs Neue, wie sie mir wieder das Leben schwer machen können!«

Peter war genau wie Isabell fünfunddreißig Jahre alt. Er lebte getrennt von seiner Frau und die beiden Kinder lebten bei ihm. Sophie war sieben Jahre und John acht Jahre alt. Seine Frau schien nicht wirklich an der Erziehung ihrer beiden Kinder Interesse zu haben. Als sie sich vor vier Jahren trennten, hatte sie ihrem Mann ohne Einspruch das alleinige Sorgerecht überlassen. Es wirkte, als wenn sie glücklich wäre, sich nicht um den lästigen Anhang kümmern zu müssen. Sie war froh, endlich frei zu sein. Einmal im Monat ein Besuch bei den beiden war dann aber auch das höchste an Zeit, welche sie aufbringen mochte. Sophie und John litten sehr unter der Trennung und dem Desinteresse ihrer Mutter. Wie macht man so kleinen Kindern begreiflich, dass die eigene Mutter sie nicht sehen will? Doch Peter meisterte für einen alleinerziehenden Vater alles vorbildlich. Er war zwar zwischendurch auch überfordert mit den beiden, aber das hatten Sophie und John bisher nicht zu spüren bekommen. In der Hinsicht erinnerte Peter Isabell an ihren Vater.

Acht Jahre arbeiteten Isabell und Peter jetzt schon zusammen. Sie hatten die Firma aus dem Nichts aufgebaut. Beide kannten sich noch von früher. Sie gingen zusammen zur Schule, aber hatten sich dann nach dem Abschluss aus den Augen verloren. Doch wie der Zufall es so wollte, trafen sie sich nach dem College-Ende wieder. Sie verstanden sich, als wenn nie ein Tag vergangen war. Beide waren nach dem College in der Werbung tätig, aber beide mit ihrem Arbeitgeber unglücklich. Also beschlossen sie, sich gemeinsam selbstständig zu machen und eine eigene Agentur zu gründen. Ein wirkliches Startkapital konnten beide nicht vorweisen und einen Kredit aufnehmen wollten Isabell und Peter nicht. Deshalb beschlossen sie, noch einen finanzstarken Dritten ins Geschäft mit aufzunehmen. Da kam Alex, der gutaussehende Amerikaner, der das nötige Kleingeld aus einer Erbschaft hatte, genau richtig. Sie lernten Alex auf einer Werbetour kennen. Die Chemie passte und Alex war auf der Suche nach einem Investment. Wie sich später rausstellte, sollte die Kundenakquise wie für ihn gemacht sein.

»Ach, du Armer«, sagte Isabell ein wenig neidisch.

Sie und Nick versuchten es jetzt schon so lange, ein Baby zu bekommen. Doch bisher ohne Erfolg. Zweimal wurde Isabell schon schwanger, aber beide Male verlor sie das Baby innerhalb der ersten drei Monate. Das zehrte an ihren und Nicks Nerven. Rein körperlich brachten beide beste Voraussetzungen mit. Auch die Ärzte konnte keine Ursache finden, warum es nicht funktionierte und warum Isabell die Babys verlor.

»Die Kinder werden krank gewesen sein und haben es deshalb nicht geschafft«, wurde ihnen damals im Krankenhaus gesagt.

Manchmal dachte Isabell, dass es einfach nicht sein sollte. Sie und Nick waren vielleicht einfach nicht dazu bestimmt, Eltern zu werden und Kinder zu bekommen. Diese Gedanken fielen so schwer, da es immer Isabells größter Wunsch war, eine eigene Familie zu haben, weil sie selber nicht in den Genuss kam, ihre Mutter kennenlernen zu dürfen und ihr Vater zu früh von dieser Erde ging. Sie vermisste ihn jeden Tag.

»Was haben die beiden wieder angestellt?«, fragte Isabell neugierig.

Peter schaute Isabell an und schüttelte den Kopf.

»Sie sind jetzt sieben und acht Jahre alt. John macht nur Blödsinn in der Schule. Er passt nicht auf und ärgert oft die anderen Kinder. Ich muss alle paar Wochen bei der Direktorin antanzen. Und er ist erst acht Jahre alt. Wo soll das nur enden? Auch wenn beide nicht in der gleichen Klasse sind und Sophie von Johns schulischen Aktivitäten nur indirekt was mitbekommt, mache ich mir derzeit noch mehr Sorgen um sie als um John. Sie ist so verschlossen. Sie wirkt andauernd traurig. Ich glaube, sie vermisst ihre Mutter momentan sehr. Clarissa hat sich schon wieder seit vier Wochen nicht blicken lassen.«

»Das tut mir leid, Peter. Das hört sich so an, als wenn Sophie mal wieder ein bisschen mehr Zeit mit ihrer Patentante verbringen sollte. Vielleicht hilft ein gemeinsamer Ausflug unter Frauen. Was meinst du?«

»Das ist eine tolle Idee und wirklich lieb von dir. Du hast einen guten Draht zu ihr.«

»Das mach ich gerne für dich und vor allem für mein Patenkind.«

Isabell nahm ihren Kaffee und verschwand im Besprechungsraum, wo sie auf ihren Kunden wartete. Dieser kam natürlich noch eine ganze halbe Stunde später als angekündigt.

»Na toll«, dachte Isabell, »Da hätte ich noch locker eine Stunde länger im Bett bleiben können.«

Die Präsentation lief sehr gut und der Kunde, Maxwell Lake, war begeistert.

Maxwell Lake war ein mittelgroßer, blondgrauer, in die Jahre gekommener Mann, der Isabell bei jedem Meeting mit einem neuen Outfit verblüffte. Er war circa sechzig Jahre alt und immer penibel ordentlich gekleidet. Allerdings entsprach sein Kleidungsstil eher einer dreißig Jahre jüngeren Version von sich. Isabell nahm an, dass er so versuchte, neben seinem Ehemann, der erst Anfang dreißig war, seine optisch erkennbare Lebenserfahrung zu retuschieren.

Maxwell Lake war mit dem Ergebnis mehr als zufrieden und positiv überrascht, wie innovativ doch Shampoo-Werbung aussehen kann. Bei den zahlreichen bereits fest etablierten Shampoo-Sorten mit einem neuen Shampoo auf den Markt zu gehen, würde nicht einfach werden. Schließlich ist Shampoo nun einmal Shampoo und kein neues Produkt, auf das die Welt gewartet hat. Um einen Teil vom Kuchen abzubekommen und sich einen Namen zu machen, musste die Werbung für das Produkt provokant sein und sich in die Köpfe der Kunden in spe brennen. Isabell und Mr. Lake waren der festen Ansicht, dass diese Werbekampagne ein voller Erfolg werden würde. Eine Kombination aus Fernseh- und Plakatwerbung mit einer frechen Verpackung würde in erster Linie die Neugier wecken und zum Kauf animieren. Nach dem Kauf mussten das Produkt und seine Wirkung überzeugen. Und das würde es, wenn es das hielt, was es versprach. Direkt nach der ersten Anwendung sollte Frau den Unterschied merken. Durch die spezielle Zusammensetzung verschiedener Erdmineralien und Fructose wird das beanspruchte Haar sofort repariert. Eine Spülung ist nicht mehr nötig zur weiteren Pflege und das Haar riecht und sieht ganze vier Tage so aus wie frisch gewaschen.

Der Auftrag war im Vergleich eher klein, aber auch dieser bedeutete einige Tausender Umsatz.

Kapitel 2

Als Isabell endlich nach einem langen Tag im Büro in ihre Einfahrt zu Hause einbog, konnte sie schon Nick in der Küche stehen sehen. Sie stellte den Motor ab und hielt kurz inne. Sie fing an, ihren Mann zu beobachten. Nick stand mit dem Rücken zum Fenster. Die Ärmel von seinem blauen Jeanshemd hatte er auf beiden Seiten hochgekrempelt. Seine schnellen Bewegungen zwischen den Küchenschränken, dem Kühlschrank und dem Herd ließen vermuten, dass Nick dabei war, Abendessen zu kochen. Zum Glück musste sich Isabell abends nicht auch noch ums Essen kümmern, wenn Nick zu Hause und nicht gerade auf Geschäftsreise war. Nick übernahm diese Aufgabe sehr gern. Er war meistens früher als sie zu Hause und, was das Kochen angeht, definitiv talentierter. Isabell konnte zwar auch etwas Essbares auf den Tisch bringen, aber die Zubereitung dauerte immer viel zu lang und die Küche sah später aus, als wäre eine Bombe explodiert. Aus dem Grund verzichtete Nick immer freiwillig auf die Kochkünste seiner Frau und machte das Essen dann lieber selber.

 

Kaum war Isabell zur Tür herein, rief Nick aus der Küche: »Hey Issi, du kannst dich schon setzen. Essen ist fast fertig.«

»Hey Nick«, erwiderte Isabell. Dann zog sie ihre Pumps und ihren blauen Strickmantel aus, stellte ihre Handtasche und die Präsentationsmappe auf den Boden vor die Garderobe im Flur und ging in die Küche. Sie begrüßte Nick mit einem flüchtigen Kuss auf den Mund und setzte sich an den bereits fertig gedeckten Esszimmertisch in der Küche. Sie schaute sich den gedeckten Tisch an und überlegte, wann sie das letzte Mal einen richtig romantischen Abend zusammen hatten. Gefühlt war es schon eine Ewigkeit her. Jahrelang war es ein festes Ritual, dass Nick einmal im Monat Isabell mit einem romantischen Abendessen überraschte. Zur Begrüßung stießen Isabell und Nick dann immer mit einem Glas Prosecco an. Dann führte Nick Isabell zu ihrem Platz und Nick verwöhnte Isabell mit einem Drei-Gänge-Menü mit einem dazu passenden Wein. Der Tisch wurde von Nick liebevoll mit ein paar Rosen und Kerzen eingedeckt. Im Hintergrund spielte leise gefühlvolle Piano-Musik, z. B. von Frank Sinatra, und während des gesamten Abendessens schauten sich beide tief in die Augen. An dem Abend waren Handys streng verboten.

Isabell ließ den Blick vom Tisch zu Nick gleiten und seufzte kaum hörbar.

»Wo war der gutaussehende, so aufmerksame Romantiker von früher nur geblieben?«

Isabell versuchte sich einzureden, dass es einfach ganz normal sei, dass sich ein Eheleben nun einmal irgendwann anders anfühlen musste als die rosa Wolke, auf der man am Anfang einer Beziehung flog. Nach ein paar Jahren schaute man sich anders an und vielleicht hatte auch der unerfüllte Kinderwunsch und der damit verbundene Stress dazu beigetragen, dass die Romantik ein wenig verloren gegangen war.

»Willst du ein Glas Wein zum Essen?«, fragte Nick.

»Blöde Frage. Wie immer!«, antwortete Isabell etwas schnippisch.

Kurz darauf servierte Nick das Essen mit zwei Gläsern Rotwein.

»Auch schön, dich zu sehen«, sagte Nick, jetzt ebenfalls ein wenig genervt. »Schlechten Tag im Büro gehabt, oder was ist dir über die Leber gelaufen?«

»Nein, eigentlich nicht. Habe den Auftrag für die Werbekampagne für das neue Shampoo bekommen«, teilte Isabell selbstbewusst und stolz mit und prompt veränderte sich ihre Stimmung.

»Bitte entschuldige. Ich habe schlecht geschlafen und irgendwie war der Tag dann einfach nur anstrengend. Lass uns essen! Es sieht wie immer sehr lecker aus.«

»Entschuldigung angenommen. Bon Appetit!«

»Dir auch, Nick.«

An diesem Abend gingen Isabell und Nick zwar zur gleichen Zeit schlafen, aber nicht gemeinsam. Jeder kauerte auf seiner Seite des Bettes, bis jeder für sich eingeschlafen war.

Mit gemeinsamer Zweisamkeit war es auch nicht mehr das Wahre und es kam immer öfters vor, dass im Bett Funkstille herrschte. An manchen Tagen war Isabell froh und erleichtert, wenn Nick keine Anstalten machte, die in irgendeiner Form nur in Richtung Sex gehen könnten. Die ganzen Versuche, immer schwanger zu werden, waren irgendwann zu einer Pflichtübung geworden und hatten nichts mehr mit einem erfüllten Sexleben zu tun, bei dem jeder auf seine Kosten kommt.

Früher war das anders. Sie konnten die Finger nicht voneinander lassen. An manchen Abenden hatten Isabell und Nick kaum die Haustür geschlossen, da lagen sie nackt im Hausflur. Wie oft hatten sie Angst, dass die Nachbarn sie dabei beobachteten, weil sie im Eifer des Gefechts oft erst viel zu spät an das Zuziehen der Gardinen gedacht haben. Aber früher oder später war der Punkt in einer Beziehung erreicht, wo es einfach nicht mehr so ist wie am Anfang und der Alltag schlich sich ein. Ganz langsam, still und heimlich. Es war doch ein ganz normaler Prozess in einer Beziehung und Ehe. Das Verlangen nacheinander lässt einfach nach mit der Zeit. Zumindest versuchte sich Isabell dies einzureden.

Jedoch ertappte Isabell ihr Herz dabei, wie es in den letzten Monaten des Öfteren immer wieder dieselben Fragen stellte.

»Warum fühle ich eine Leere, wo keine sein dürfte? Warum fühle ich mich so schwer? War das alles? Muss da nicht noch mehr kommen?«

Isabell wurde durch ein paar Sonnenstrahlen geweckt, die durchs Fenster fielen. Langsam öffnete sie ihre Augen. Irgendwas stimmte nicht und Isabell suchte den Grund für ihre Annahme. Sie überlegte und runzelte die Stirn dabei.

»Seit wann ist es so früh morgens schon so hell?«

Mit einem Ruck saß sie senkrecht im Bett …

»Scheiße!!! Verschlafen«, fluchte sie laut und weckte damit natürlich auch sofort Nick, der gehofft hatte, endlich mal ausschlafen zu können.

Es war zwar Samstag, aber Isabell war mit ihrer besten Freundin Eve zum Shoppen in Preston verabredet. Sie wollten sich um elf Uhr zum späten Frühstück treffen, bevor es in die Stadt ging. Isabell schaute auf ihren Wecker auf dem Nachttisch.

»Scheiße, schon kurz nach zehn!!«, fluchte sie wieder.

»Jetzt aber schnell, Eve wird mich umbringen!«

»Oh Mann, Issi. Geht das auch leise? Ich kann endlich mal ausschlafen!«

Nick drehte sich sichtlich verärgert auf die andere Seite und stülpte sich das Kopfkissen über seinen Kopf. Schnell verschwand Isabell im Badezimmer. Sie legte den Turbo ein. Sie war selber überrascht, dass sie innerhalb von fünfundzwanzig Minuten fertig gewaschen, geschminkt, frisiert und angezogen unten im Hausflur stand.

Zum Erstaunen von Isabell fehlte noch jede Spur von Eve, als sie beim verabredeten Treffpunkt an der Ecke der Boutique A Rosa eintraf. Isabell schaute auf ihr Handy. Eve hatte bereits eine Nachricht geschrieben.

10:56

»Sorry Liebes, heute musst du warten. Ich steh im Stau. Und das an einem Samstag!!! «

Isabell antworte sofort.

11:01

» Dabei war ich total pünktlich! Wie lang brauchst du noch?«

11:03

»5 Minuten!!«

11:03

»Ok. Ich warte. «

11.04

»Sehr gütig von dir!!!!«

Isabell schaute etwas ungeduldig auf die Uhr und bemerkte dabei, dass sie leicht fror. Für Ende September war es wirklich schon sehr frisch, stellte Isabell fest. Im Auto hatte sie das gar nicht richtig wahrgenommen. Zum Glück hatte sich Isabell in der morgendlichen Hektik für ihren dickeren grauen Mantel und einen passenden Schal entschieden.

Auf Eve warten zu müssen, war für Isabell eine ungewöhnliche Situation. Isabell musste auf einmal daran denken, wie sie Eve kennengelernt hat.

Es war Peters dreißigster Geburtstag und somit ein guter Anlass für eine ausgelassene Geburtstagsparty. Das war vor sechs Jahren. Isabell war zu dem Zeitpunkt frisch mit Nick verlobt und todunglücklich, dass er an diesem Abend keine Zeit hatte, mitzukommen. Aber das Geschäft ging leider manchmal vor. Isabell hasste es, irgendwohin alleine gehen zu müssen. Normalerweise sagte sie eine Einladung dann lieber ab. Aber da sie es Peter versprochen hatte, blieb ihr keine Wahl.

Eve, eine Galeristin aus Preston, war eine enge Freundin von Clarissa, Peters damaliger Frau. Sie kam auch alleine. Aber nicht, weil ihr Mann verhindert war, sondern weil sie sich auf der Suche nach einer kleinen Eroberung befand. Zu dieser Zeit war Eve bereits ein überzeugter Single, der nichts anbrennen ließ. Zu ihrem Glück war auch Alex der Einladung gefolgt. So hatten sich schnell zwei gefunden, die lediglich ein wenig Spaß haben wollten und sich die Zeit zusammen vertrieben.

Das erste Aufeinandertreffen von Eve und Isabell war doch sehr ungewöhnlich und so wie es anfing, war das Ende für alle sehr überraschend. Beide sahen sich auf der Party das erste Mal und sie konnten sich auf Anhieb nicht riechen. Eve dachte, dass Isabell nur eine blöde Nuss wäre, die hinter dem Mann ihrer Freundin her war und Isabell dachte von Eve noch was viel Schlimmeres. Arrogantes Großstadtflittchen waren an dem Abend ihre genauen Worte, als Eve Isabell anrempelte, als sie aus einem Zimmer in den Flur stolperte, indem sie augenscheinlich gerade noch mit Alex zugange gewesen war. Ihre mittellangen, nicht ganz bis zu den Schultern reichenden schwarzen Haare waren total zerzaust und Eve war gerade damit beschäftigt, ihre Bluse und den Rock wieder in Ordnung zu bringen, als sie direkt in Isabell lief. Nachdem Eve sie für diesen Kommentar mit ihrem eigenem Glas Weißwein übergoss, schauten die beiden sich einen Moment lang an. Alle anderen Partygäste waren wie erstarrt. Keiner traute sich etwas zu sagen oder dazwischenzugehen. Alle warteten auf Isabells Reaktion. Doch zum großen Erstaunen aller hielten beide inne und fingen plötzlich so laut und herzhaft an zu lachen, dass alle die Welt nicht mehr verstanden. Aber am wenigsten Eve und Isabell. Nach ein paar Gläsern Wein und einem ausgewogenen, etwas betrunkenen Kennenlerngespräch merkten beide, dass sie sich sehr ähnlich waren. Natürlich abgesehen von ihrer gewählten Lebenssituation!

Seit diesem Abend waren beide unzertrennlich. Mindestens alle zwei Woche trafen die beiden sich zum Frühstück mit anschließender Shoppingtour. Die einzigen drei Monate, in denen diese gemeinsame Leidenschaft nicht ausgelebt wurde, waren die Monate nach der Geburt von Eves Tochter Cathleen. Der ganze Stolz der überzeugten Single-Frau. Cathleen war jetzt drei Jahre alt und wirklich eines der süßesten kleinen Mädchen, die Isabell kannte. Sie war so stolz, als Eve sie als Patentante aussuchte, dass sie vor Glück die ganze Welt umarmen hätte können. Isabell war zwar schon ein paar Jahre zuvor die Patentante von Sophie geworden, aber zu Cathleen hatte sie von Beginn an ein viel engeres und stärkeres Band. Cathleen war wie ihre eigene Tochter. Eve hatte es nicht geplant. Sie wurde im Urlaub bei einem One-Night-Stand schwanger. Zu dem Vater von Cathleen hatte Eve nie versucht, Kontakt aufzunehmen. Und auch wenn ein Kind nicht in Eves Lebensplanung gehörte, musste sie nicht einen Moment über einen Abbruch nachdenken. Als sie von der Schwangerschaft erfuhr, war sie dennoch zutiefst geschockt. Tagelang meldete sie sich nicht. Doch als sie endlich nach ein paar Wochen zusammen mit Isabell beim Frauenarzt war und auf dem Monitor das kleine Herzchen schlagen sah, war es um Eve geschehen. Sie konnte ihr Glück nicht fassen. Beide hatten sich so sehr gewünscht, dass Isabell zur gleichen Zeit schwanger wird, damit sie ihre Kinder zusammen aufziehen können. Leider blieb der Wunsch der Freundinnen unerfüllt.